Soziologie der Kompetenz

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Thomas Klatetzki

einem Kollektiv (Barnes 1988, 1993). Bei dieser Wissensverteilung gibt es aber keine 1:1 Korrespondenz zwischen der sozialen Kompetenz, die mit einer bestimmten organisatorischen Position verbunden wird, und einem spezifischen Element des kollektiven Wissens. Vielmehr wird die Amtskompetenz einer Person nur durch die Betrachtung der gesamten Wissensverteilung verständlich. Entsprechend wandeln sich die sozialen Kompetenzen einer Person mit dem Wandel des kollektiven Wissens über Positionen in einer Organisation. Das meint nicht nur den bekannten Sachverhalt, dass sich die Kompetenz einer Person ändert, wenn sie eine andere oder neue Position einnimmt. Es meint auch den Sachverhalt, dass sich die Amtskompetenzen einer Person ohne ihr Zutun in Abhängigkeit von der Verteilung des Wissens in einem Kollektiv ändern können. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Sachverhalt, dass der amerikanische Präsident mit dem nahenden Ende seiner Amtszeit zur „lame duck“ wird. Da eine ausreichende große Zahl an Akteuren der Ansicht ist, dass ein Präsident weniger Handlungsfähigkeiten hat, weil er demnächst aus dem Amt scheidet, hat dies zur Folge, dass der Präsident tatsächlich an Handlungskompetenz einbüßt. Wie das letzte Beispiel zeigt, ist die kollektive Wissensverteilung die Amtskompetenz. Die kollektive Wissensverteilung hat dabei die Eigenschaft, selbstreferentiell und selbstvalidierend zu sein, und sie funktioniert wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Die Selbstreferentialität und die Selbstvalidierung kollektiver Wissensverteilungen lassen sich folgendermaßen verdeutlichen: Wenn ich z.B. weiß, dass M als Chefin des britischen Geheimdienstes die Amtskompetenz hat, James Bond Befehle zu erteilen, dann überprüfe ich die Korrektheit meines Wissens, indem ich mich darüber informiere, was die Mitglieder des MI6 über die Amtskompetenz von M wissen und wie sie sich aufgrund dieses Wissens gegenüber M verhalten. Mein Wissen über Ms Amtskompetenzen ist dann richtig, wenn es dem allgemein akzeptierten Wissen der Mitarbeiter des MI6 entspricht und ich daher ebenfalls in der Lage bin, mich M gegenüber so zu verhalten, wie es allgemein üblich ist. Ms Amtskompetenz wird also in dem Maße konstituiert, indem allgemein geglaubt wird, dass M aufgrund ihres Amtes die Kompetenz besitzt, den Mitarbeitern Befehle zu erteilen. Betrachtet man dieses Wissenssystem über Ms Amtskompetenz als Ganzes und fragt, worauf es sich bezieht, worüber es ein Wissen ist, so lautet die Antwort: Es ist ein Wissen über sich selbst, über seine eigene Verteilung. Mein Wissen über Ms Amtskompetenz bezieht sich auf das Wissen der anderen über Ms Amtskompetenz. Deren Wissen bezieht sich auf mein Wissen über Ms Amtskompetenz. Dies macht das Wissenssystem insgesamt selbstreferentiell. Worauf sich Wissen bezieht ist das, was wir betrachten, um zu überprüfen, ob es Gültigkeit besitzt. Selbstreferentielles Wissen impliziert zugleich seine eigene Validierung: Die soziale Akzeptanz


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