ARTMAPP #19, Winter 2018/19

Page 86

84 C L AU D E M O N E T I N D E R A L B E R T I N A

Selten sind Monet-Ausstellungen in den letzten Jahrzehnten von neuen kunsthistorischen Erkenntnissen oder kritischen Revisionen veranlasst worden, eher schon aufgrund touris­ tischer und betriebswirtschaftlicher Erwägungen. Mehr als 20 Jahre, so heißt es, sei keine große Monet-Schau mehr in Wien zu sehen gewesen. Die letzte, 1996 im Unteren Belvedere, produzierte hunderte Meter lange Menschenschlangen vor dem Einlass. Da lässt sich eine gewisse Erlöserwartung auch für 2018 ausrechnen: 450.000 Besucher werden der A ­ lbertina bis zum 6. Januar, an dem die Ausstellung endet, prognostiziert. Dass Monets Farbenkonzept bislang kaum erforscht sei, wie das Museum vermeldet, kann man angesichts solcher Zahlen getrost als Vorwand verstehen. Bei täglichen Akkumulat ionen von 5 .000 Besuchern in den Sälen und angehängtem Instagram-Wettbewerb für die schönsten ­S elfies vor Lieblings-Monets beantworten sich Fragen nach Farbkonzepten von selbst: Sie werden geliked – oder nicht. 100 Malereien von Monet von über 40 Leihgebern weltweit erlauben jedoch durchaus einen umfassenden Überblick über die Werkentwicklung, gerade in jener realistischen Phase vor 1871, die das Publikum allgemein weniger inte­ ressiert. Hier sind Licht und Farben noch Gegenständen und Figuren klar zugeordnet, Monets Entwicklung aber, wie sie zwischen Bildern wie „Am Strand von Trouville“ von 1870 und dem „Boulevard des Capucines“ von 1873 aus dem ­Moskauer Puschkin-Museum stattgefunden hat, lassen den Impressionismus als Frucht der Realismusdebatten in Frankreich seit den 1850er-Jahren gut erkennbar werden. Im „Boulevard“-Gemälde erscheint das Licht nicht mehr als

Ref lexion der einfallenden Sonne auf den Fassaden und ­Bäumen, sondern als eine in ihnen gebundene Substanz, die gleichsam durch das Auge des Betrachters aktiviert wird. ­Monets Haltung gegenüber dem Erbe des Realismus bekundet damit eine Reduktion auf formale Fragen, die man später mitunter verächtlich als L‘art pour l‘art bezeichnete. Denn in seinen auf autonome Lichtmomente konzentrierten Male­ reien löst sich der Monet’sche Realismus schließlich von seinen irdischen, sozialen Implikationen nahezu völlig ab. Diese Lehrmeinung vertritt ebenso die Ausstellung in der ­A lbertina, auch hinsichtlich Monets Spätwerk, indem sie es als Wegbereiter des abstrakten Expressionismus bezeichnet. Dessen Hauptvertreter Jackson Pollock aber traf wie kaum ­einen anderen Künstler der sogenannten Westkunst nach dem Zweiten Weltkrieg das Verdikt, dem hegemonialen ­A nspruch der Vereinigten Staaten im Kalten Krieg ein ästhetisches, vom Politischen und Historischen abgelöstes Label geliefert zu haben. Die Illusion des zeitlosen, von gesellschaftlichen ­U mständen unberührten Naturlichtidylls scheint vielen ­B esuchern in der Albertina auch der Hauptanziehungspunkt zu sein. Vielleicht wäre es daher ein lohnenderes Forschungsprojekt gewesen, jene vermeintlich revolutionäre Trennung von Gegenstand und Farbe, wie man sie Monet gern zuschreibt, als einen Akt der Geschichtsbefreiung zu erörtern, der als künstlerischer Topos weit in die Renaissance zurückreicht und daher auch zu Monets Zeit mehr Konvention denn Revolution war.

Claude Monet, „Der Boulevard des Capucines“, 1873, Öl auf Leinwand, Staatliches Museum für bildende Künste A. S. Puschkin, Moskau, © Photo Scala, Florence 2017


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.