ARTMAPP #19, Winter 2018/19

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ergeben sich Innovationen für die Gegenwart. So nimmt ihre raumfüllende Installation „Salon Tactile“ Bezug auf den R ­ epräsentationsstand „Café und Seide“, den Ludwig Mies van der Rohe und Lilly Reich 1927 für die deutsche Seidenindus­t rie entwarfen und der auf der Berliner Messe „Die Mode der Dame“ zu sehen war. Damals bestückt mit ersten Stahl­r ohrstühlen, entschied sich Erika Hock für skulpturale Zylinderkuben. Statt Lilly Reichs Seidenstores finden jetzt Fadenvorhänge mit intensiven Farbverläufen Verwendung. Diese Ausstellungsarchitektur fungiert zugleich als Ort des Diskurses und Erika Hock als transdisziplinärer sowie künstlerischer Filter, der kuratorische Entscheidungen kritisch reflektiert. Mit Zeichnungen, Fotografien und Modellen nimmt Katarina Burin Bezug auf die Arbeit der in Vergessenheit ­geratenen kroatischen Architektin Petra Andrejova-Molnár (1899–1985). Sie rückt Molnárs Schlüsselwerk „Hotel NordSud“ in den Fokus und hinterfragt damit zugleich die patriarchalisch geprägte Geschichtsschreibung des Mo­ dernismus. Ähnlich wie Erika Hock mit Lilly Reichs Werk verfährt. Fragen nach der Urheberschaft, nach dem Mythos des Architekten als „Weltenbauer“ kommen zur Sprache, die an Aktualität nichts verloren haben. Wie ließe sich Staatsbürgerschaft in einer Zeit der technischen Beschleunigung neu denken? Dieser Vision geht der britische Künstler Christopher Kulendran Thomas mit „New Eelam“ in Form eines imaginierten globalen Netzwerks nach, das sich zwischen Kunstkollektiv und Immobi­l ienStart-up bewegt. Ohne territoriale Grenzen und nationale Identitäten bräuchte es ein weltweites Wohnabonnement

und Wohnraum „so einfach, wie das Streamen eines Films“. Sein spekulativer Dokumentarfilm „60 Million Americans can’t be wrong“ von 2018 thematisiert die Konsequenzen und Potenziale einer neuen industriellen Revolution. In die kritische Auseinandersetzung mit der Tech­ nologie 4 .0 führt auch das litauische Künstlerkollektiv „Pakui Hardware“ den Betrachter. Neringa Černiauskaité und ­Ugnius Gelguda, beide seit 2014 in Berlin, beleuchten mit ­ihren „On Demand“-Skulpturen ein laborähnliches Setting. Sie konfrontieren mit domestizierter, aber künstlich mo­ difizierter Natur und Hightechmaterialien. Das baut ein Spannungsfeld auf, in dem ihre hybriden Wesen wie Zeichen der ver­meintlich logischen Fortsetzung einer Hunderte Jahre alten technologischen Entwicklung erscheinen. Angeregt durch Vorbilder aus dem Kontext des his­ torischen Bauhauses, namentlich durch Künstler wie Anni und Josef Albers, die österreichische Architektin Margarete Schütte-­L ihotzky, den US-Amerikaner Richard Buckminster Fuller und die Möbeldesigner Charles und Ray Eames, sind die Wohnmodelle „A–Z Living Units“ der US-amerikanischen Künstlerin Andrea Zittel. Sie beherbergen auf kleinstem denkbarem Raum Bett, Tisch und Kochzeile, die nach einem f lexiblen System an jedem Ort aufgestellt werden können. „Mit der ‚Living Unit‘ wollte ich die Einschränkungen in ­meinem Leben so umgestalten, dass sie zum Luxus werden“, erinnert sie sich an die Zeit in ihrer ersten New Yorker ­Wohnung. Zittel rezipiert damit sehr konkret die Grund­ gedanken des Bauhauses, um zeitgenössischen Utopien eine Gestalt zu geben. BABETTE CAESAR

30. November 2018 bis 28 . Apr il 2019 I D E A L S TA N DA R D Spek ulat ionen über ein Bauhaus heute www. zeppelin-museum. de

linke Seite: Andrea Zittel, „A to Z 1994 Living Unit“, 1994, Metall, Holz, Matratze, Kissen, Samt, Spiegel, Glas, Kochfeld, Mikrowelle, Handtücher, Bürste, Wecker, Licht, 146 x 210 x 205 cm

Zeppelin Museum, Foto: Michael Fischer

A R T M A P P   W I N T E R 2 018/19 — B A U H A U S 10 0

© Courtesy: die Künstlerin und Fondazione Sandretto Re Rebaudengo


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