ARTMAPP #07, Winter 2014/15

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M eret Oppenheim

Berns wichtigste Kunstfrau Es gibt keine „weibliche Kunst“

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W I N T E R 2 014 /15 — B E R N

MERET OPPENHEIM

Obwohl Meret Oppenheim 1913 in Berlin geboren und 1985 in Basel gestorben ist, nehmen die Berner sie als Künstlerin ihrer Stadt wahr. Von 1945 bis zu ihrem Tod war Meret Oppenheim in Bern präsent, sie lebte und arbeitete hier, und es gibt noch heute viele, die an ihrem Leben und Schaffen teilgehabt haben und die Geschichten davon erzählen können. Meret Oppen­ heim scheint eine außergewöhnliche Frau gewesen zu sein – eigenwillig, charismatisch, inspirierend. Als Frau hatte sie es schwer im Machokreis der Surrealisten von Paris, das „Meretlein“, das man als schöne Muse gern in Anspruch nahm und über dessen Kunst man sich wunderte – einschließlich ihm, Max Ernst, mit dem sie eine Affäre hatte. Sie hat kämp­ fen müssen, um die Künstlerin zu sein, die sie sein wollte. In Bern erzählt man von ihr stets mit einer Mischung aus Stolz und Staunen. Man kann darin noch immer ein deutliches Echo von den Erschütterungen hören, die die Künstlerin bei manchen wohl ausgelöst hat. Dem Kunstmuseum Bern war Meret Oppenheim eng verbunden. 55 Werke hat sie dem Haus als Nachlass vermacht. Insgesamt befinden sich heute 345 Werke Meret Oppenheims in seiner Sammlung – das ­u mfangreichste und wohl auch bedeutendste Konvolut an ­A rbeiten der Künstlerin in musealem Besitz – weltweit. Das Kunstmuseum Bern beherbergt zudem das Archiv Meret ­Oppenheim und stellt damit die Grundlage zur Verfügung, ihr Werk zu erforschen; und das Haus ist immer auch ein ­Zentrum für die Kunst Meret Oppenheims. Die erste Einzel­ ausstellung der Künstlerin fand 1987 im Haus statt. 2006 durfte die berühmte „Pelztasse“ aus dem New Yorker Mu­ seum of Modern Art für ihre erste Retrospektive anreisen und für 2018 plant das Kunstmuseum Bern erneut, ihr eine Schau und ein neues Werkverzeichnis zu widmen. Meret Oppenheim hat Spuren in Bern hinterlassen. Sie hat das Leben mancher Berner verändert, sie hat Bern als Kunst­ort in den 1960er- und 1970er-Jahren mitgeprägt, als die ­A arestadt mit Machern wie Harald Szeemann oder Denkern wie G. J. Lischka als „Klein-San Francisco“ gelten durfte. Ihr Brunnen auf dem Waisenhausplatz ist zu einem Wahrzeichen der Stadt geworden – und immer noch umstritten. Kühn war ihr Plan, der Parkplatzwüste vor dem ehrwürdigen Burger­ lichen Waisenhaus neben dem Kunstmuseum einen senkrechten Flussgarten entgegenzusetzen. Wasser strömt über zwei S ­ piralen an einer Säule herab, bekrönt von einem Leuchtturmwächter und bepflanzt mit Moosen und Gräsern,

die auf der betonierten Fläche nicht mehr zu finden waren. Parken darf man heute dort nicht mehr. Wirtlicher ist der Platz seitdem dennoch nicht geworden und der Brunnen tut immer noch gut. Im Winter verwandelt er sich in ein bizarres Eiszapfengebilde; im Sommer wächst der Tuffstein, durch das Aarewasser begünstigt, in dem der Kalk der halben Alpen ge­ löst ist. Das gefiel 1983 nicht allen und gefällt manchen auch heute noch nicht. Vor Kurzem erst gab es wieder erbitterten Streit, wie man denn den Brunnen, der Passanten durch ­herabstürzende Brocken gefährden könnte, sanieren solle: ­A lles komplett auf null stellen, als wäre der Brunnen wie neu, ­b ehutsam „die Fingernägel schneiden“ oder ihn als Stück Wildnis in der Stadt gewähren lassen? Noch heute erhitzt der Brunnen Meret Oppenheims die Gemüter: Die einen lieben ihn heiß und innig, andere kalkulieren mit kühlem Kopf und Dritte lehnen ihn vehement ab. Diese Phallusplastik von Berns wichtigster Kunstfrau zeugt noch heute von ihrer Leben­digkeit: Einst hatte sie selbst diese Reaktionen in Bern hervorgerufen. DA N I E L S PA N K E

Foto: Kunstmuseum Bern

Daniel Spanke (*1966) ist seit Oktober 2012 Ausstellungs­ kurator im Bereich der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts im Kunstmuseum Bern. Er war 2006 Kurator für Klassische Moderne am Kunstmuseum Stuttgart sowie 2010 Leiter d ­ es Museums Haus Dix in Stuttgart. www. k unst museumber n. ch


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