POPBASEL

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«Der Wirt war Mitglied der Partei der Arbeit, viele Autonome sassen da rum», erzählt Laur. «Auch wir fanden hier einen Stammtisch.» Und sie erhielten ihr Bier. Ganz im Unterschied zum Hirscheneck, ab Mitte der 80er-Jahre Basels Punk-Hochburg, wo sich die Kollektiv-Gründer anfänglich schwertaten mit den Minderjährigen. Als Laur am Eröffnungstag, dem 1. Mai 1979, ein Bier bestellte, fragte ihn die Bedienung, ob er schon sechzehn sei. «Damit war für mich das Hirscheneck erledigt», erzählt er lachend. Lange Zeit noch hatte er Hausverbot. «Was mir scheissegal war.» Scheissegal. Die Haltung, die Punk auf den Punkt brachte. Der Kalte Krieg, die Furcht vor der atomaren Katastrophe waren omnipräsent. «‹No Future› meinte ich eine Zeit lang ernst. Die Generation vor uns hat die Welt kaputt gemacht. Die Linke wollte sie verändern, wir fanden aber: Die Welt ist am Arsch. Punkt.» Die Hippies gehörten ebenso zu den Feindbildern wie das Bürgertum und die Neonazis, die zu dieser Zeit erstmals auftauchten, in Jeeps durch die Stadt fuhren, Ärger suchten und Punks fanden. Wer sich darüber kundig machen möchte, stösst rasch an Grenzen. Quellen sind rar, Punk hat damals in den Medien kaum stattgefunden. «Ein Foto oder ein Interview in einer Zeitung wäre in unseren Augen Kommerz gewesen, deshalb verweigerten wir uns dem», sagt Bettina Dieterle. Die Schauspielerin und Regisseurin hörte damals als Schülerin wie so viele Hardrock, «bis mir eines Tages ein Schulkollege die Sex Pistols vorspielte». Da war es um sie geschehen. Sie begann sich mit der Musik einzudecken. Hierfür kam zu dieser Zeit vorwiegend ein Plattenladen infrage: die ‹Soundbox› im Schmiedenhof. Dort verkehrten die Punks, tummelten sich auf den dreissig Quadratmetern Ladenfläche, tranken Bier, hörten Musik «und schnitten sich auch mal mit einer Rasierklinge die Arme auf», wie sich Alex Ewald erinnert. Er hatte die ‹Soundbox› just zu Beginn der Punk-Ära eröffnet – mit der finanziellen Unterstützung seines Vaters, der die Idee des Vierundzwanzigjährigen aus kaufmännischer Sicht interessant fand. Mit dem Verkaufsangebot konnte sein Vater aber nichts anfangen.

«Die Rolling Stones bezeichnete er abschätzig als ‹Negermusik›», sagt Ewald. «Wenn mein Vater gewusst hätte, wie meine Stammkundschaft damals aussah!» Ja, wie denn? Die Punks trugen provokative Kurzhaarschnitte, mit Pins übersäte Lederjacken. So wie sie es sich bei ihren Vorbildern live abschauen konnten: The Clash spielten in Strasbourg, Blondie in Zürich. Alex Ewald fuhr die Kids im Auto hin. Und er schaute sich mit ihnen den Sex-Pistols-Film ‹The Great Rock ’n’ Roll Swindle› im Palazzo Liestal an. War Ewald die Vaterfigur der Basler Szene? «Wenn wir etwas nicht gebraucht haben, dann war es eine Vaterfigur. Dagegen haben wir ja angekämpft», sagt Bettina Dieterle. «Alex war vielmehr der grosse Bruder.» Eine grosse Schwester gabs auch: Roberta Pfenninger hiess sie und führte am Unteren Rheinweg den Vintage-Modeladen ‹Magazin›. Bei ihr deckten sich die Punks mit Kleidung ein. «Und hier trafen wir uns an Samstagnachmittagen», erinnert sich Lori Hersberger, Kopf der Muttenzer Band Heilsarmee.

«Zu provozieren war einfach, im Grunde reichte schon ein aufgenähtes Hakenkreuz.» Andreas Kreienbühl

Vernetzt haben sich die Punks auch durch Fanzines. Stephan Laur veröffentlichte ein einmaliges ‹Dräcksblatt›, auch Lori Hersberger gab ein Heft heraus: ‹Fuck›. Das Beständigste aber war ‹115-000› 43-1/45-3, an dem unter anderem Kay Brönnimann von der Riehener Band Kie-13 sowie Felix Zbinden und Andreas Kreienbühl (Kettenkraftrad, Fleurs d’hiver) mitarbeiteten. «Wir haben das Heft für 50 Rappen verkauft», erzählt Kreienbühl, der mit Kay Brönnimann 1980 auch das erste Basler Punk-Festival im Sommercasino mitorganisierte und später den Postpunk-Plattenladen ‹Winterschatten 1993› gründete. Nicht nur in Basel-Stadt tauchten Punk-Bands auf, zu den frühesten gehörten auch Volcan 45-4 aus Pratteln (deren Gitarrist Philipp Erb später in London als Musiker und Produzent von Oui 3 und Throbbing Gristle Karriere machte) und Vorwärts 45-2 aus dem kleinen Dorf Rümlingen.

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