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OCCURSO – Interreligiöses Studienkolleg
Brücken bauen
Interreligiöses Studienkolleg in St. Bonifaz
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Ein Abend Ende Oktober brachte die Kollegiatinnen und Kollegiaten, die Mitarbeiter des interreligiösen Studienkollegs und die Mönche von St. Bonifaz erstmals zusammen: Terese Rötting, Steffi Blum-Effenberger (OCCURSO), Yusuf Burak Çatalbaş, Prof. Dr. Martin Rötting (OCCUSO, HdKRM e. V.), Jeremijas Rötting, Micheal Al Rabadi, Leonardo Zecca, P. Lukas Essendorfer, Melanie Fersi (OCCURSO College-Leitung), Abt Johannes Eckert, Maya Tohmaz, Rayane Cataldi-Bamri, Kadir Özdemir, Laura Escobar. In der Mitte die Arbeit „Standpunkte“ von Elfriede Sonnenberg.
Als Projekt des OCCURSO Instituts für interreligiöse und interkulturelle Begegnung e. V. hat das „College of Interreligious Studies München“ in der Abtei St. Bonifaz im Oktober 2022 seine Pforten geöffnet und seine Arbeit aufgenommen.
Die neuen Bewohnerinnen und Bewohner des Klosters Sankt Bonifaz sind gleichzeitig die ersten Kollegiatinnen und Kollegiaten des
College of Interreligious Studies. Sie kommen aus unterschiedlichen Kulturen und
Religionen mit ihren ganz eigenen Erwartungen und Wünschen nach München: „Ich bin zum Studium nach München gekommen, weil ich eine neue Herausforderung in einem fremden Land suchte, wo ich die Möglichkeit habe, Menschen aus aller Welt zu treffen und mit ihnen zu studieren. Ein Zimmer hier im Interreligiösen Studienkolleg zu finden, war noch anregender: Ich denke, dass ich eine weitere Möglichkeit haben werde, Ideen, Meinungen, Traditionen und Kulturen mit Menschen aus verschiedenen Ländern auszutauschen, die mit mir leben. In diesem Kontext zu leben und mit „den Anderen“ zu interagieren, hilft einem immer, seinen Geist zu öffnen, und der Gesellschaft, Vorurteile abzubauen. Ich möchte diesem College wirklich dafür danken, dass es mir die Möglichkeit gegeben hat, all dies zu erleben.“ Leonardo Zecca
„Ich bin Laura Escobar aus Kolumbien und ich liebe die Idee, zwischen verschiedenen Kulturen und Religionen mit Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt zu leben. Dies ist die Gelegenheit, die das College of Interreligious Studies bietet. Ich denke, das College ist eine wunderbare Möglichkeit, der Welt die Botschaft zu vermitteln, dass es möglich ist, mit Unterschieden zu leben, mit positiven Interaktionen, die das geistige, persönliche und berufliche Leben bereichern. Ich erwarte, dass wir aus Unterschieden lernen und in Gemeinschaft und Harmonie leben. Wo jeder Mensch einen wichtigen Wert in unserer Gemeinschaft hat und wo wir versuchen, auf der Grundlage unterschiedlicher Weltanschauungen Gutes zu tun.“ Laura Escobar

Unverwechselbare Individualität und bleibende Verbundenheit als menschliche und interreligiöse Grunderfahrung – die Kollegiatinnen und Kollegiaten im Austausch
„Um die Hindernisse zwischen uns abzubauen und uns besser kennenlernen zu können, sollte man miteinander interagieren. Und das kann man am besten in einer solchen Umgebung tun, die das College anbietet. Zu diesem Zweck sollten sich Institutionen weiter entwickeln, wo nicht nur Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander wohnen, sondern auch untereinander stärker kommunizieren.“Kadir Özdemir
„Seit ich hier in München angekommen bin, habe ich festgestellt, dass die Stadt voller internationaler Studenten aus aller Welt ist. Ich fand es eine wirklich gute Atmosphäre, um meine früheren Austauschprogramme zu wiederholen und so viele Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichem Hintergrund zu treffen. Daher riet mir mein Freund, an einem interreligiösen Studienprogramm teilzunehmen, das mir die beste Möglichkeit bietet, die Grenzen meines Wissens zu erweitern. Es gibt mir auch die Chance, meine Kultur und Traditionen mit anderen zu teilen und in Diskussionen und Austausch einzutreten, um Gemeinsamkeiten zwischen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zu finden, um Brücken und Freundschaften mit ihnen zu bauen. Micheal Al Rabadi
Das interreligiöse Studienkolleg möchte explizit ein Lern-Raum des Dialogs sein, an dem junge Menschen miteinander wohnen, leben, studieren und ihre kulturellen, religiösen wie spirituellen Erfahrungen teilen.
Das Programm sieht dafür Praktika vor, in denen Kollegiatinnen und Kollegiaten im Winter- und Sommersemester Stunden in Religionen absolvieren, die sie selbst nicht kennen. Muslime in Pfarreien, Buddhisten in Moscheegemeinden und Bahai in Synagogen. Neben der akademischen Bildung im interkulturellen und interreligiösen Bereich, in dem das interreligiöse Studienkolleg mit der Hochschule für Philosophie und der Ludwig-Maximilians- Universität München kooperiert, ist vor allem auch die Anbindung an das Haus der Kulturen und Religionen in München (HdKRM) ein Lernfeld. Dabei befindet sich das Haus ja noch im Aufbau als Projekt des Vereins HdKRM e. V. (www.hdkrm.org), in dem sich neben Einzelpersonen viele große interreligiöse Institutionen in München zusammengefunden haben. Das Projekt des HdKRM wird an der bisherigen Nazarethkirche umgesetzt, die dafür umgebaut wird. Der Verein, der bereits jetzt dort ein interreligiöses Programm anbietet, koordiniert die Transformation. Dieser Prozess sowie das inhaltliche Angebot ist Teil des Lernfeldes der Kollegiatinnen und Kollegiaten.
standpunkte

Das ambivalente Verhältnis von Individualität und Verbundenheit als menschliche und auch interreligiöse Grunderfahrung steht im Mittelpunkt von Elfriede Sonnenbergs Interesse. „Das Bild Standpunkte stellt durch die Farbigkeit die Unterschiedlichkeit, aber auch die Gemeinsamkeit der einzelnen Menschen dar. Auch die Idee der ‚menschlichen Aura‘ findet sich hier wieder. Die Figuren auf dem Bild stehen in unterschiedlichsten Beziehungen zueinander und bilden dennoch eine sichtbare Gemeinschaft“, meint sie zu ihrer Arbeit. In ihrer eigenen spirituellen Biographie ist Elfriede Sonnenberg mit Christentum und Buddhismus in Berührung gekommen. So ist ihr das Mosaik als Werkform, in der das kleine Einzelteil im Spannungsverhältnis zum Gesamten steht, Ausdruck ihres eigenen Seinsverstehens geworden. („Standpunkte“, Elfriede Sonnenberg, 2009, Mischtechnik, Glasmosaik auf Leinwand, Acryl, 120 x 80 cm. Das Bild war Teil der Ausstellung „übertreten verboten“, die im Mai 2010 in den Räumen der Katholischen Hochschulgemeinde der Ludwigs-Maximilian-Universität München gezeigt wurde. Quelle: übertreten geboten. Zeitgenössische Kunst im interreligiösen Dialog; Herausgegeben von Karl-Heinz Einberger und Martin Rötting; Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Seite 43)
Am Ende des Jahres, das von der College-Leitung Frau Melanie Fersi mit wöchentlichen Treffen und persönlichen Sprechstunden begleitet wird, sollen die Kollegiatinnen und Kollegiaten ein eigenes Projekt am Haus der Kulturen und Religionen erarbeitet und umgesetzt haben. Frau Fersi freut sich auf den ersten Jahrgang:

Über den ruhigen Osthof der Abtei führt der Weg direkt zum neuen Gästetrakt. Dort hat das interreligiöse Studienkolleg seinen Platz gefunden.
„Meine Erwartungen an das College of Interreligious Studies im Kloster St. Bonifaz sind riesig! Schließlich wollen wir hier einen Ort gestalten, in dem Menschen verschiedener Kulturen und Religionen einander begegnen und vor allem miteinander leben und voneinander lernen – was mir eine große Herzensangelegenheit ist. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, dass im College Nationalität und Religion nicht wichtig sind, sondern der einzelne, individuelle Mensch im Mittelpunkt steht. Und dann wünsche ich mir, dass alle Beteiligten durch die im College gemachten Erfahrungen genau das auch hinaus in die Welt tragen. Mit der Benediktinerabtei St. Bonifaz haben wir dafür die besten Voraussetzungen, dieses Ziel zu erreichen, weil man sich in diesem Haus, egal ob Mann oder Frau, mit oder ohne Kopftuch, einfach vom ersten Moment an herzlich willkommen fühlt. So erreichte mich nach dem Einzug eines jungen Mannes folgende E-Mail: „Thank you for everything, the college is not great, is INCREDIBLE, I could have not imagined that it was so beautiful!“ Ich selbst liebe es, Menschen mit den unterschiedlichsten kulturellen und religiösen Hintergründen zu treffen, weil ich einfach zu neugierig bin, was sie im Leben antreibt. Und genau das möchte ich den Kollegiatinnen und Kollegiaten mitgeben, wieder wie ein Kind, dem „Anderen“, „Fremden“ mit Neugierde zu begegnen und einfach nachzufragen. Als College-Leitung freue ich mich sehr, diese interkulturelle und interreligiöse Gemeinschaft zu moderieren, Neues zu erfahren und auch den Einzelnen bei der Entwicklung seiner Persönlichkeit begleiten zu dürfen.“
Zwischen dem Winter- und Sommersemester wird zudem eine „interreligiöse Spurensuche“ angeboten, an der die Bewohner des Studienkollegs ihren persönlichen Zugang zu den Themen des Dialogs und des Miteinanders reflektieren können. Vergleichbar mit dem Prozess von Exerzitien im christlichen Bereich findet hier in einem interreligiösen Setting ein spiritueller Austausch statt. Dabei geht es nicht um Mission oder Überzeugen, sondern um ein Teilen der eigenen Perspektive und das Hören auf die oder den anderen.
Damit die Studierenden akademisch Unterstützung finden, ist Dr. Evelyn Reuter als wissenschaftliche Mitarbeiterin im College-Team tätig.
Grundlegender Baustein für die Idee des Colleges waren die sehr guten Erfahrungen einer der interreligiösen Organisationen, OCCURSO e. V. Institut für interkulturelle und interreligiöse Begegnung, das seit 2010 einen Dialog-Begleiter-Kurs anbietet. Seit 2018 kooperiert OCCURSO mit dem evangelischen Zentrum Josefstal, dem Münchener Forum für Islam, der jüdischen Janosch-Kortschak-Akademie und der katholischen Domberg-Akademie und bietet den Kurs bereits zum dritten Mal in interreligiöser Trägerschaft an. Dieses Konzept sollte, so die Idee des OCCURSO-Vorstandes, nach zehn Jahren Kurserfahrung nun auch intensiver und für Studierende im Rahmen eines interreligiösen Studienkollegs verwirklicht werden.
Ein weiterer Baustein für den Schritt, ein Studienkolleg mit dem Haus der Kulturen und Religionen zu verbinden, war die Schließung des davor von Missio betriebenen Johanneskollegs durch die Erzdiözese. Das hervorragende und weit über die Grenzen bekannte interkulturelle know-how sollte nicht verloren gehen.
Die Studierenden und ihre KollegLeitung sind noch dabei, sich einzurichten. Und wie bei jedem Neueinzug hängen auch im Studienkolleg noch nicht alle Bilder. Auch das Miteinander zwischen den Mönchen und den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern ist noch ungewohnt, aber voller gegenseitiger Neugier.
Das Kloster Sankt Bonifaz beherbergt eines der ganz wenigen interreligiösen Colleges weltweit. Die Vorstandsvorsitzende von OCCURSO, Stefanie Blum-Effenberger, unterstreicht deswegen: „Was für eine Freude zu erleben, dass mitten in München ein Lern- und Wohnort entsteht, an dem Studierende aus aller Welt den interreligiösen Dialog üben und einstudieren und diese Kompetenzen in ihre Lebens- und Arbeitswelten hineintragen werden.“ „Für das Haus der Kulturen und Religionen“, so Martin Rötting, einer der Vorsitzenden des Hauses der Kulturen


Die Kollegiatinnen und Kollegiaten wohnen in einem Teil des neuen Gästetraktes. Hier sind auch Gemeinschaftsräume, Küche und das Büro der Kolleg-Leitung untergebracht.
und Religionen und ebenfalls im Vorstand von OCCURSO, „sind die Kollegiatinnen und Kollegiaten ein großer Schatz, die das Leben der Stadt mit dem Haus durch ihr Lernen, Suchen und Fragen in den unterschiedlichen Gemeinschaften verbinden können.“
Wenn Sie die Arbeit des interreligiösen Studienkollegs unterstützen möchten, finden Sie alle notwendigen Informationen unter www.college-interreligious-studies-
munich.org.
Melanie Fersi leitet das interreligiöse Studienkolleg. Martin Rötting ist Direktor des interreligiösen Studienkollegs, Vorsitzender des Hauses der Kulturen und Religionen e. V. und Professor of Religious Studies in Salzburg.
MARTIN RÖTTING/MELANIE FERSI
information
Interesse für Judentum und Islam hat in St. Bonifaz Tradition
Das Interesse vor allem für Judentum und Islam hat in St. Bonifaz eine lange Tradition. Der spätere Abt Bonifaz Haneberg (1816-1876) hatte bereits 1839 einen Lehrauftrag als Privatdozent für biblisch-orientalische Sprachen an der Theologischen Fakultät der Münchner Universität erhalten und war ein Jahr später von König Ludwig I. zum außerordentlichen und 1844 zum ordentlichen Professor für alttestamentliche Exegese und biblisch-orientalische Sprachen ernannt worden. Er beherrschte neben den klassischen Sprachen Latein und Griechisch auch Hebräisch, Syrisch, Aramäisch, Arabisch und Persisch, verfügte über Kenntnisse in Chinesisch und Sanskrit und sprach Englisch, Französisch, Neugriechisch und Italienisch. 1850 trat er in St. Bonifaz ein und wurde 1854 nach der Resignation von Paulus Birker zu dessen zweitem Abt gewählt.
Mehr als 130 orientalische Handschriften im Bestand der Stiftsbibliothek
1861 und 1864 unternahm Abt Haneberg ausgedehnte Reisen nach Nordafrika bzw. Palästina und brachte von dort etwa 30 Hand- und Druckschriften mit nach Hause. Bereits 1852 hatte er mit finanzieller Unterstützung König Ludwigs I. vom Franziskanerkloster auf dem Frauenberg in Fulda die Sammlung Rehm erworben. Der Franziskaner Arsenius Rehm (1738-1808) war von 1769 bis 1776 als Kaplan an der französischen Gesandtschaft in Kairo eingesetzt und hatte in diesem Zeitraum – wohl im Auftrag seiner Thüringischen Ordensprovinz – mehr als einhundert orientalische Handschriften erworben. Sie wurden nach Rehms Rückkehr in den Bestand des Franziskanerklosters auf dem Frauenberg in Fulda aufgenommen und verblieben dort bis auf wenige Abgänge an die Fuldaer Landesbibliothek – insgesamt 108 Einzeltitel. Seit dem Zweiten Weltkrieg, als ein Teil der Bestände der Bibliothek von St. Bonifaz nach Andechs ausgelagert wurde, befinden sie sich im dortigen Archiv. Die Sammlung umfasst 137 Manuskripte und Druckwerke, von denen 104 dem muslimischen und 33 dem christlich-orientalischen Schrifttum zuzurechnen sind. Die Mehrzahl der Handschriften ist in Arabisch verfasst, in geringerer Zahl finden sich Werke in (Osmanisch-)Türkisch, Persisch, Äthiopisch und Syrisch (z. T. Garšūnī). Bei einem guten Dutzend der im 19. Jahrhundert erworbenen Objekte handelt es sich um Drucke, meist Lithografien.
Digitalisierung der Handschriften in Angriff genommen
In den vergangenen Jahren wurden sie im Rahmen eines Forschungsprojekts erfasst und auf das neu geschaffene Portal Qalamos der Staatsbibliothek zu Berlin eingestellt (www.qalamos.net). Aktuell wird durch die Forschungsstelle Christlicher Orient an der Katholischen Universität EichstättIngolstadt außerdem ein ausführlicher Katalog erarbeitet. Im Zuge der Bearbeitung der Handschriften wurden bzw. werden diese auch digitalisiert. Die Digitalisate sollen ebenfalls online zugänglich gemacht werden.
Birgitta Klemenz