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Frühe Meraner Bergführer

Das Bergführerwesen im Meraner Raum

Seit der Gründung bis zum Ersten Weltkrieg

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Nachdem 1862 der Österreichische Alpenverein gegründet worden war, folgte 1869 die Gründung des Deutschen Alpenvereins. 1873 schlossen sich diese beiden Vereine zusammen. Bereits 1871 gab es in Tirol die erste Bergführerordnung, die 1892 noch einmal verbessert wurde.

Schon vor dem Alpenverein und dessen Bergführerordnungen und kursen gab es „Bergführer“. Es waren bergkundige Einheimische, meist Jäger, Wilderer oder Mineraliensucher. Zum Beispiel war Josef Pichler, Erstbesteiger des Ortlers, ein Gämsenjäger und Jacques Balmat, Erstbesteiger des Mont Blanc, ein Mineraliensammler. Einige Erstbesteigungen wurden eben von solchen Leuten schon vor dem Bestehen des Alpenvereins gemacht. Als dann die ersten Touristen in die Berge kamen, gaben sich außer den Ortskundigen auch NichtOrtskundige als „Führer“ aus, denn es war eine gute Gelegenheit, um etwas Geld zu verdienen.

Die Bergführerordnung

Die Bergführerordnung brachte dann Klarheit und Ordnung in die ganze Sache. 1881 wurde der erste Bergführerkurs in Innsbruck abgehalten. 1888 gab es dann einen Bergführerkurs in Bozen, der auf Deutsch und Italienisch abgehalten wurde. Es beteiligten sich 33 deutsch und 26 italienischsprachige angehende Bergführer. 1893 fand wiederum ein Kurs in Bozen mit 24 deutsch und 17 italienischsprachigen Teilnehmern statt, ebenso 1893 ein deutschsprachiger Kurs in Meran mit 41 Teilnehmern. 1898 und 1909 wurden weitere Kurse in Bozen abgehalten. Man sieht, es herrschte eine große Nachfrage an Bergführern.

Alle Teilnehmer mussten ein Leumunds und Gesundheitszeugnis vorweisen. Jeder Teilnehmer erhielt die Hin und Rückfahrt erstattet, ebenso Unterkunft und Verpflegung, weiters erhielt er ein ErsteHilfePaket, einen Kompass, eine Landkarte und das Lehrbuch „Anleitung zur Ausübung des Bergführerberufes“.

1893 gab es in den Südalpen schon 293 Bergführer bzw. Träger. 1880 wurde der Bergführerverein in Sulden gegründet, er hatte sogar eine alpine Bibliothek und wurde von der AVSSektion Meran betreut, genauso wie die Bergführergruppen in der westlichen Landeshälfte; die Sektion Meran war die Vermittlerin zum Zentralausschuss in München. Ab 1893 wurden dann die Bergführergruppen im Obervinschgau, in Sulden und im Martelltal der Sektion Prag unterstellt. Meran hatte nun nur mehr die Talschaften Meran, Schnals, Ulten und Passeier zu betreuen. Jede Talschaft hatte ihren Führerobmann, und jährlich wurden in den jeweiligen Talschaften sogenannte Führertage abgehalten. Die AVSektion Bozen hatte die Bergführer von Bozen, Fassa, Fleimstal, Gröden und Primör unter sich, die Sektion Trient die Führer von Cles, Tione, Rovereto, Borgo und Riva.

Die Teilnehmer der Nordpolexpedition von 1872–74.

Foto: E. Rabending

Die beiden Tiroler Teilnehmer an der Payer’schen NordpolExpedition Johann Haller (r.) und Alexander Klotz (l.)

Foto: L. Bresslmair, Meran 1872

Betreuung der Bergführer

Jeder angehende Bergführer hatte sein Standblatt, in das alle ihn betreffenden Angaben eingetragen wurden. Bei den Führertagungen wurden zusätzliche Ergänzungen und sonstige Bemerkungen hinzugefügt. Nach bestandener der Prüfung erhielt er das Bergführerabzeichen und das Bergführerbuch, in das sich die Gäste eintragen mussten. Ebenso erhielt der Führer einen nummerierten Universalschlüssel für sämtliche Alpenvereinshütten.

Bei den Tagungen wurde auch die Ausrüstung überprüft, ebenso die ErsteHilfeSchachtel und ein anwesender Arzt kontrollierte den Gesundheitszustand und eventuelle Veränderungen im Familienstand; ebenso wurden Heirat, Geburten der Kinder usw. festgehalten. 1881 wurden die sogenannten Normalseile eingeführt, da bis dahin offenbar jeder Führer irgendein Seil verwenden konnte. Bei den Ausrüstungskontrollen wurden hauptsächlich die stumpfen Steigeisen und schadhaften Pickel beanstandet. Einmal war auch ein „geflicktes Seil“ dabei. Die ErsteHilfeSchachteln waren auch meist leer, wahrscheinlich aufgrund privaten Gebrauchs.

Was den Gesundheitsstand betrifft, findet man kuriose Eintragungen: „kranker Magen, kann keine Speisen mehr zu sich nehmen“, „leidet unter Atembeschwerden“, „wirkt etwas korpulent und seine Augen sind schlecht“, „hat Gelenkentzündungen an den Händen und atmet schwer“.

Bei den Führertagungen wurden auch Unfall, Kranken, Witwen und Rentenversicherungen der Bergführer behandelt und eingetragen. Ein tragischer Fall scheint beim Bergführer Alois Öttl aus dem Passeiertal auf: „1906 sind zwei Töchter, 17 und 20 Jahre alt, innerhalb eines Monats an Auszehrung gestorben und Alois ist auf Grund dieses Schicksals ganz heruntergekommen und bittet um eine Invalidenrente“. Bedürftige Führer konnten einen Antrag für ihre Ausrüstung stellen.

Immer wieder kam es vor, dass Bergführer das Führerabzeichen oder den Hüttenschlüssel verloren, deren Ersatz vom Zentralausschuss in München genehmigt werden musste. Der rege Schriftverkehr zwischen Meran und München wurde in den Protokollbücher festgehalten.

Ab 1911 konnten sich die Bergführer erstmals zu einem Skikurs anmelden. 1914 hatte es in Meran sogar einen „Katholischen Bergführerverein“ gegeben. 1923 waren noch 22 Bergführer im Einzugsgebiet von Meran angemeldet, dann endeten die Aufzeichnungen aufgrund des Verbotes des Alpenvereins durch die Faschisten.

Herausragende Bergführer

Von den herausragenden Bergführern ist einmal Johann Pinggera (1838–1916) aus Sulden zu nennen, der bei der Kartografierung der Ortler und Adamellogruppe monatelang mit Julius Payer (1842–1915) unterwegs war. Dieser lud ihn sogar ein, an der Ungarisch Österreichischen Nordpolexpedition (1872–74) teilzunehmen, welche er zusammen mit Carl Weyprecht (1938–81) leitete. Payer war damals beim Militär in Rovereto stationiert und bestellte Pinggera zu sich nach Rovereto. Dem Suldner Führer war die Reise dorthin schlichtweg zu lang und so entschloss er sich unterwegs, lieber in sein Heimatdorf zurückzukehren. Eine weitere erwähnenswerte Begebenheit findet sich mit Prof. Viktor Hecht aus Prag, den Pinggera oft führte. Als beide sich 1872 anschickten, als Erste den Lodner (3.219 m) zu besteigen, fuhren sie von Sulden mit dem Stellwagen bis auf die Töll. Dort bemerkte Pinggera, dass er seinen Eispickel vergessen hatte. Beim Schmied in Partschins besorgte er sich ein Beil – und am nächsten Tag führte er den Professor auf den Lodner. Allerdings wurde ihr Gipfelglück von Magenproblemen getrübt, deren Ursache ein ebenso im Dorf gekaufter verdorbener Speck war.

Von zwei weiteren Bergführern möchte ich auch berichten: Es sind dies Johann Haller (1844–1906) und Alexander Klotz (1834–1893) aus Passeier, welche 1872–1874 mit Julius Payer mit Schiff und Hundeschlitten bei der oben genannten Expedition zum Nordpol unterwegs waren. Sie waren als Kaiserjäger 1866 an der Front am Tonalepass und am Stilfser Joch eingesetzt gewesen. Payer kannte Haller, weil er ihn zusammen mit Pinggera im Ortler und Adamellogebiet begleitet hatte und mit ihm sehr zufrieden gewesen war. Er beauftragte Haller, noch einen bergtüchtigen, starken und verlässlichen Führer zu suchen, und so empfahl Haller Alexander Klotz. Beide wurden dann als Schlittenhundeführer und Jäger eingesetzt und haben alle Strapazen gut überstanden. Sie schossen über 100 Eisbären und waren handwerklich sehr geschickt,

wie Payer in seinen Büchern schreibt. Haller war auch Payers persönlicher Adjutant und schrieb ein interessantes Tagebuch. Beide, Haller und Klotz, erhielten nach der Expedition eine gute Arbeitsstelle: Haller wurde Oberförster im Oberinntal und Klotz Burgwart auf Schloss Kreutzenstein bei Wien. Beide hatten zwar keine Bergführerkurse besucht, sich in schwierigen Situationen als Führer aber trotzdem gut bewährt.

Bergführer im Konflikt mit den Behörden

Da jeder Interessierte ein gutes Leumundszeugnis vorweisen musste, um Bergführer zu werden, gab es öfters Probleme. Die Vergehen betrafen hauptsächlich das Wildern, Diebstahl oder den Missbrauch des Hüttenschlüssels, aber auch Streitsucht und Rauferei. Einmal war eine Beschwerde wegen Vertrauensbruch, Unterschlagung von Geldern und Trunksucht eines Führers bei der Sektion eingegangen. Dieser Führer wurde dann aus der Führerliste gelöscht und musste Abzeichen und Schlüssel abgeben. Oftmals kam es auch vor, dass Führer vor Gericht gestellt wurden, weil sie, wenn sie mit dem Gast in das Nachbartal kamen, nach Verabschiedung des bisherigen Gastes warteten, bis sie einen neuen Gast im Tal anheuern konnten, um Touren zu machen oder ihn zurück übers Joch ins Heimattal zu führen. In den Protokollen wird im Zusammenhang mit diesem sogenannten Staffeln einige Male erwähnt, dass Führer im fremden Gebiet „arrestiert“ wurden und daraufhin mithilfe der Advokaten der Alpenvereinssektion wieder befreit werden mussten. Speziell die Schnalser und Passeirer Führer waren betroffen und es wurde erwähnt, dass auch die Ötztaler Führer in Schnals und Passeier Gäste für den Heimweg annehmen konnten – warum also sollten auch sie das nicht dürfen?

Im Ultental gab es ein besonderes Problem: Dort war der einzige Bergführer im hohen Alter verstorben. Sein Sohn machte den Antrag, zum Bergführerkurs angenommen zu werden. Da er aber schon Jahre vorher wegen Wilderns zu drei Wochen „Kerker“, wegen Patronendiebstahls zu 48 Wochen „Arrest“ und wegen Fischdiebstahl wiederum zu 21 Wochen „Kerker“ verurteilt worden war, konnte er nicht zum Kurs zugelassen werden. Da im Tal aber gerade die Höchsterhütte gebaut wurde, setzte sich die Sektion Meran mit der Begründung für ihn ein, dass es im Ultental unbedingt einen Führer brauche, und da die Strafen schon abgebüßt wären, sollte dieser Mann, der als Einziger das Gebiet gut kenne, als Führer zugelassen werden.

Ein aktiver Führer aus Pfelders hatte ebenfalls Ärger mit der Justiz: Auch er wurde wegen Wilderns angezeigt und zudem hatte er seinen Schlüssel zur Stettiner Hütte an einen anderen Wilderer weitergegeben, der im Spätherbst in der Hütte hauste. Einer von den beiden hatte noch dazu vier Schlüssel nachmachen lassen. Die anderen Führer waren deswegen darüber sehr erbost, und es begann ein langer Schriftwechsel mit dem Zentralausschuss in München.

Man könnte meinen, früher sei die Behörde nicht so streng gewesen, aber schon damals sorgte sie für Ordnung – auch bei den Bergführern.

Ulrich Kössler

Protokoll eines Führertages 1908 in Schnals mit Verzeichnis der an- und abwesenden Träger, Aspiranten, Führer und deren Stand. Der Führer Wendelin Nischler „erhielt als Geschenk für 25-jährige Dienstzeit K 50.- von der Sektion“.