BEREIT F R NEUE HORIZONTE?
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Liebe Leserin, lieber Leser!
Ich habe mich gefragt, wie unsere Welt aussehen würde, wenn Inklusion „ganz normal“ gelebt würde. Wie definieren wir eigentlich „ganz normal“ in dieser Welt? Gerade in den letzten Jahren haben wir erlebt, wie schnell sich das Gewohnte verändern und das Normale plötzlich zur Ausnahme werden kann. Mehr denn je ist eine Gemeinschaft gefragt, die zusammenhält, kreativ auf neue Anforderungen reagiert und über bisherige Grenzen hinausdenkt.
Sollten wir uns nicht die Frage nach unseren Gemeinsamkeiten und weniger nach unseren Unterschieden stellen? Im Bergsport geht es uns um das Abenteuer, um die Ruhe, Einsamkeit, Hingabe und Gemeinschaft. Es geht darum, aus dem Alltag auszubrechen, uns im Einklang mit der Natur zu erleben, Herausforderungen anzugehen, neue Lösungen zu finden und Grenzen zu verschieben. Die Ausnahme und das Ausbrechen aus dem Gewöhnlichen prägen den Alpinismus schon seit jeher, und da frage ich mich wieder: Was ist schon normal? In den Medien wird das Extrembergsteigen entweder als „Pionierleistung“ hoch gelobt oder als „komplett wahnsinnig“, sogar „lebensmüde“ betitelt. Wenn ich so darüber nachdenke, ist der Spitzenkletterer bei seiner Erstbegehung der Rollstuhlfahrerin, die es erstmalig aus eigener Kraft auf einen Gipfel schafft, gar nicht so unähnlich. Vielleicht ist es mir aus diesem Grund auch so sympathisch, dass es ab einer gewissen Höhe am Berg sowieso nur noch das „Du“ gibt.
Meiner Meinung nach beginnt Inklusion im Kopf, nämlich mit einer offenen, interessierten und einladenden Haltung gegenüber anderen. Durch meine Vorstiegsangst beim Klettern weiß ich, dass es oft nicht einfach ist, eigene Barrieren im Kopf zu durchbrechen. Um das zu schaffen, muss man dranbleiben, ausprobieren und auch Scheitern zulassen. Grenzen wird es weiterhin geben in unserem Leben, aber wir können sie erkunden, neu definieren und verschieben. Bei Inklusion geht es nicht darum, das Unmögliche möglich zu machen –vielmehr geht es darum, gemeinsam herauszufinden, was möglich ist.
Solveig Meier, Ansprechpartnerin für Inklusion im ÖAV
Cover: Solenne Piret in der Route „Noyeux Joël“ (6c) in Venasque in Frankreich. Sie ist vierfache Weltmeisterin im Paraclimbing und kam ohne rechten Unterarm zur Welt. Foto: Jan Novak
Jesus und der Schnupftabak
Jesus und der Schnupftabak
Dieses Mal stellen wir euch mit Stefan Winter vom DAV ein weiteres Mitglied unseres Redaktionsbeirates vor. Stefan ist 1996 nach seinem Sport- und Deutschstudium und der Bergführerausbildung beim DAV im Ressort Ausbildung, Bergsteigen und Sicherheit eingestiegen und bis heute im DAV geblieben, mittlerweile als dienstältester Angestellter der Bundesgeschäftsstelle. Eine seiner Hauptaufgaben war zunächst Klettern als Schulsport zu etablieren. Nach fünf Jahren wechselte er ins Ressort Leistungssport, wo er für den Expeditionskader und den „Deutschen Sportklettercup“ zuständig war. Ab 2001 beschäftigte er sich mit dem Aufbau des „Deutschen Skitourencups“ und der Nationalmannschaft Skibergsteigen. Altersgemäß folgte dann ein Wechsel ins Ressort Breitensport und Sportentwicklung, um als Ressortleiter die Themen Inklusion und Integration, Gesundheit und Prävention voranzubringen.
Stefan, du bist ja in Ottobrunn bei München aufgewachsen und wurdest außer im Leichtathletiktraining im Alpenverein sozialisiert. Hast du vor deiner Bergführerausbildung schon Ausbildungskurse im DAV absolviert?
Die Kletter- und Hochtourenkurse in meiner Sektion Oberland (Anm. d. Red.: inzwischen ist Stefan auch noch Mitglied bei der Sektion Gipfelkreuz) und beim DAV-Jugendkursprogramm haben mir den Weg in alle Disziplinen des Bergsports geebnet. Schön in Erinnerung ist eine Begehung der Fleischbank-Ostwand im Kaiser mit 16, während am Einstieg mein Vater zuschaute und sich erinnerte, wie er die Wand 1953, also 30 Jahre vorher, als 16-Jähriger gemacht hat.
Liebste Bergsportart?
Das klassische Bergsteigen.
Als Kind wollte ich … … eine 1000er-Maschine von BMW haben und rumdüsen.
Stefan auf Frühjahrsskitour zur Grubenkarspitze im Karwendel.
Deine schönste Klettertour?
Die Südwand des Lotus Flower Tower in Kanada und als Kontrast dazu ein Bouldering-El-Cap-Day im Münchner Klettergarten Buchenhain.
Deine schönste Skitour?
Viele! Aber am eindrucksvollsten die Teilnahmen an der Trofeo Mezzalama und der Pierra Menta. (Anm. d. Red.: Diese beiden Skitourenrennen zählen neben der Patrouille des Glaciers zu den weltweit bekanntesten Wettkämpfen im Skibergsteigen.
Trofeo Mezzalama: 6000 Höhenmeter, höchstes Skitourenrennen überhaupt, Monte-Rosa-Massiv, Cervinia, Italien. Pierra Menta: 10.000 Höhenmeter, Arêches-Beaufort, Savoyen, Frankreich.)
Auf die berühmte Insel würdest du welche drei Dinge mitnehmen?
Die Bibel als Buch der Bücher, eine superbequeme Matratze, Schnupftabak.
Was ich nie verstanden habe … … ist, dass sich Menschen bekriegen, unterdrücken und ausbeuten.
Diesen Prominenten würde ich gerne mal auf einen Drink treffen?
Jesus Christus, weil ich glaube, er hätte auf viele drängende Fragen der Gegenwart einfache Antworten und Lösungen, gute, lehrreiche Gleichnisse und ich könnte ihm all meinen Mist, den ich gebaut habe, anvertrauen, ohne dass er mich in die Hölle schickt.
Das letzte Buch, das ich gelesen habe? Der fantastische Roman „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier.
Was haben München, Bern, Innsbruck und Bozen gemeinsam?
Da gibt es ein paar sehr nette, sympathische Typen, die mit viel Understatement
den Bergsport voranbringen und sicherer machen wollen.
Wenn ich heute zehn Millionen im Lotto gewonnen hätte, dann ... … würde ich das Geld gut anlegen, dass es nicht an Wert verliert, und im Grunde genau so weitermachen wie bisher. Etwas Großes spenden für „Ein Herz für Kinder“ und die Zeitschrift „BISS“ (Anm. d. Red.: Bürger in sozialen Schwierigkeiten, Münchener Straßenzeitung). Selbst würde ich mir eine Weltcup-Skitourenrennausrüstung und ein custom-made Tour-de-France-Teambike gönnen.
Das Interessanteste an der Arbeit beim Alpenverein ist ...
... ein Projekt von der Idee bis zur „Marktreife“ im Team zu entwickeln, in der Hoffnung, dass es die Sektionen, Trainer:innen und Mitglieder positiv aufgreifen. Besonders interessant ist es zu sehen, mit welcher Leidenschaft sich viele Ehrenamtliche einbringen und so der gemeinsame Geist zu spüren ist.
Meine letzte Lüge war?
Nach dem letzten Triathlon mit Hungerast ins Ziel gerettet und dann sagen: „Guad is gangen!“
Mein bester Freund sagt über mich ... ... dass ich viel zu extrem in vielen Dingen bin und ich mal chillen soll. Das ist übrigens der Baseball-Coach Sepp aus der Schulzeit, mit dem ich heute noch eng bin.
Mein bestes unnützes Talent?
Ich habe diverse musische Talente, habe aber nie etwas daraus gemacht.
Kein Frühstück ohne?
Starken Kaffee, schwarz, ohne Milch und Zucker.
In zehn Jahren möchte ich ...
... nach wie vor gesund sein, bei egal welchem Sport schöne Flowerlebnisse haben und auf vielen weiteren klassischen Alpengipfeln gestanden haben.
Mein Lieblingsschimpfwort lautet?
Ich liebe den niederösterreichischen und Wiener Dialekt, deshalb entfährt mir oft gedanklich und mündlich ein „Schäßn“, auch wenn es nicht der Netiquette entspricht.
Wenn ich Alpenvereinspräsident wäre, würde ich ...
... die europäische Solidarität mit all ihren Werten am Beispiel der Alpenvereine weiter voranbringen und noch mehr operative Synergien unter den deutschsprachigen alpinen Vereinen umsetzen wollen.
Wäre ich nicht beim Alpenverein gelandet, würde ich arbeiten als?
Lehrer an einer Realschule für Sport und Deutsch. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich das staatliche Schulsystem durchgehalten hätte. Könnte mir vorstellen, dass ich dann eine Weiterbildung zum MontessoriPädagogen gemacht hätte. Alternativ wäre eine Uni-Karriere im Bereich Sportwissenschaften in Frage gekommen.
Welches Zitat blieb mir in Erinnerung?
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von grôzer arebeit, von freude un hôchgezîten, von weinen un klagen, von küener recken strîten muget ir nû wunder hœren sagen.
Die bekannte Eingangsstrophe des mittelalterlichen Nibelungenliedes will mir nicht aus dem Kopf gehen, wahrscheinlich weil das Leben ein großes Abenteuer wie das Heldenepos mit Siegen und Niederlagen ist.
Interview: Gebi Bendler
Felssturz am Südgipfel des Fluchthorns
3.380 Meter statt 3.399 Meter – nach dem Felssturz am Südgipfel des Fluchthorns im Silvrettagebiet am 11. Juni wurde die Kubatur der abgegangenen Felsmassen vom Berggipfel gemessen. Insgesamt eine Million Kubikmeter an Gestein brach beim Felssturz ab. „Zur Einordnung: Das entspricht der Ladung von rund 120.000 Lkw. Der neue Südgipfel des Fluchthorns ist nun um 19 Meter niedriger und liegt rund 30 Meter nordöstlich vom ursprünglichen Ort“, erklärt der Tiroler Landesgeologe
Thomas Figl.
Zur Vermessung kamen sogenannte Laserscanner zum Einsatz, die auf bodengestützten Plattformen, auf Drohnen und Helikoptern montiert werden. Beim Fluchthorn wurden vom Helikopter aus zwischen 200.000 und 800.000 Laserpulse pro Sekunde ausgesendet. Über die Laufzeit jedes einzelnen Laserpulses hin zur Erdoberfläche und wieder zurück wird die Entfernung zwischen Sensor und Oberfläche ermittelt. Die für den Menschen unsichtbaren und ungefährlichen Laserschüsse werden dabei von einem rotierenden Spiegel abgelenkt, womit ein Profil um den Scanner herum abgetastet wird. „Mit der Vorwärtsbewegung des Helikopters werden Tausende dieser 3D-Profile aneinandergehängt und ein vollständiges dreidimensionales Bild der Erdoberfläche erzeugt“, so Prof. Martin Rutzinger, zuständiger Laserscanexperte der Universität Innsbruck.
Dieses Foto wurde Ende August vom gegenüberliegenden Totenfeldferner im Rahmen eines Bergrettungskurses aufgenommen. Wie man erkennen kann, hat sich am unteren Ende der Schutthalde des Bergsturzes ein ansehnlicher See gebildet.
Foto: Stefan Krumböckrubriken unsicherheit
verhauer Abseilunfall Stafflachwand
Andi Dick über Beinaheunfälle beim Abseilen. Robert Renzler, der ehemalige Generalsekretär des ÖAV, verunglückte im Mai tödlich. Michael Larcher versucht den Unfall zu rekonstruieren und Lehren daraus zu ziehen.
Notruf am Berg
Gerhard Mössmer gibt einen Überblick über das Dauerthema. Vom Satellitentelefon, über Messengergeräte und Apps bis hin zum neuen iPhone 14.
Ja, muss denn das sein?
Markus Mair ist öfter mit dieser Frage konfrontiert, wenn er mit Menschen mit Beeinträchtigung am Berg unterwegs ist. Warum er es macht und welche Hilfsmittel für inklusive Touren nützlich sind, darüber berichtet er im Schwerpunkt.
Inklusion auch andersrum
Alle zwei Wochen trifft sich die Klettergruppe H3. Sie war eine der ersten und ist heute eine von vielen Initiativen, die die Sektionen des Deutschen Alpenvereins anbieten. Ihre Inklusionsarbeit zeigt, dass das Klettern mit Menschen mit Behinderung nicht nur den Menschen mit Behinderung guttut.
10 kommentar
12 dialog
20 dies & das
24 Abseilunfall Stafflachwand
Michael Larcher
32 Die Gefahrenstufe Günther Schmudlach, Jochen Köhler
44 Notruf am Berg Gerhard Mössmer
56 Doping am Berg
Christoph Dehnert
62 Die mobile Weiche in der Führungstechnik Martin Schmidt, Reiner Taglinger
66 verhauer
Fehler beim Abseilen
72 bergsönlichkeit
Im Gespräch mit Peter Lechner
78 Mit zwei Weltmeister:innen im Gespräch Interviews von Gebi Bendler
86 Inklusion im Gebirge Sascha Mache, Christiane Werchau
92 Ja, muss das denn sein?
Markus Mair
96 Klettern lernen − fürs Leben lernen
Christian Penning 104
Gemeinsame Wege ins Freie –Wege entstehen, indem wir sie gehen
Seit mehr als 160 Jahren engagiert sich der Alpenverein für unsere Berge – wir forschen, führen und begleiten, wir bilden aus und fördern Naturbeziehungen, wir klettern, wandern und biken und wir schützen unsere einzigartige Bergnatur. Bei den kleinen und großen Veränderungen in all diesen Jahrzehnten bleibt eine Konstante, die unser Handel bestimmt: die Faszination Berg- & Naturerlebnis. Auf den ersten Blick scheint es fast ein wenig paradox, aber gerade in den vergangenen Jahren, geprägt von globalen Krisen, hat die Sehnsucht von Menschen nach Naturerlebnissen spürbar zugenommen und ist in den Mittelpunkt vieler Diskussionen und Entwicklungen gerückt.
Dabei unterscheidet diese Faszination nicht zwischen Alter, Geschlecht, Beruf oder Behinderung etc. und es ist einer unserer gesellschaftspolitischen Aufträge, allen Menschen einen gleichberechtigten und selbstbestimmten Zugang zur Natur zu ermöglichen. Die daraus resultierende Vielfalt, sowie die Heterogenität unserer Aktivitäten und unserer Mitglieder sind schon seit jeher eine der Stärken des Alpenvereins und im Laufe der Jahre auch Teil unserer „DNA“ geworden.
Seit gut 30 Jahren engagiert sich der Alpenverein verstärkt für eine inklusive Gesellschaft. Es wurden inklusive Positionen beschlossen, entsprechende Grundsätze in Ausbildung und Programmen implementiert und weithin gut sichtbare Leuchtturmprojekte umgesetzt. Bei all der konzeptionellen Arbeit stand das „Gemeinsame Draußen-am-Weg-Sein“ (Projekt „Tage draußen!“) immer im Vordergrund. Einer unserer „Leuchttürme“ – INKlettern – hat sich vom Pilotprojekt zur mehrjährigen INKletter-Tour entwickelt und als große Erfolgsgeschichte im Alpenverein etabliert. Gemeinsam klettern Menschen mit & ohne Klettererfahrung, Höhenangst, Behinderung etc. Klettern für alle und dabei Berührungsängste abbauen, Vorurteile erst gar nicht entstehen lassen und gegenseitige Akzeptanz fördern. Meine persönliche Empfehlung: Hingehen und mitmachen! Aktuelle Informationen zu unseren Veranstaltungen unter: www.alpenverein.at/jugend/projekte/Inklusion/INKlettern.php
Unser Ziel ist es, Menschen die Bergnatur und deren Schutz näherzubringen und ihnen die Welt der Berge erlebbar zu machen. Kein Mensch sollte dabei in seinen Möglichkeiten behindert werden Punkt. Ich wünsche Ihnen viele unvergesslich inklusive und unfallfreie „Tage draußen!“.
Gerald Dunkel-Schwarzenberger, Vizepräsident des Österreichischen AlpenvereinsBerg-Barrieren
Im Zuge von Inklusion kommt unweigerlich das Thema Barrieren zur Sprache. Wie schaut es mit Barrieren im Bergsport für Menschen mit Behinderung aus? Es steht außer Frage, dass Barrieren, die in der Infrastruktur bestehen – wie z. B. Treppen in Kletterhallen, Hütten – beseitigt werden bzw. alternative Zu- und Abgänge geschaffen werden. Nicht zuletzt regeln das zumindest bei Neubauten oder Sanierungen die lokalen Bauordnungen.
Weitaus schwieriger ist es mit den bergsporttypischen und streng genommen bergsportnotwendigen Barrieren. So wird eine Kletterwand ja erst dadurch spannend, weil sie eine Barriere darstellt, ein Wanderweg dadurch interessant, weil er auch mal enge, schwierige Passagen hat, ein Gipfel dadurch herausfordernd, weil er nicht mühe- und gefahrlos erreicht werden kann. Gleichzeitig bedeutet dies, dass viele Menschen mit Behinderungen allein durch die bergsporttypischen/-notwendigen Barrieren vom Naturgenuss und Erfolgserlebnis per se ausgeschlossen sind. Erfindergeist und Enthusiasmus für den Para- und Special-Bergsport ist es zu verdanken, dass mit gezielten technischen Unterstützungshilfen wie z. B. geländetauglichen Rollstühlen, Kletterprothesen und sozialer Unterstützung wie z. B. einem behindertengerechten Routenbau in Kletterhallen oder Tandem-Bergsportgruppen die bergsportnotwendigen Barrieren inklusiv bewältigt werden können.
Es ist schön, dass so immer mehr Menschen mit Behinderung Klettern, Wandern, Bergsteigen und Skifahren ausüben können und sie erleben können, dass Barrieren aus eigener Kraft oder mit Unterstützung überwunden werden können. Doch wie schaut es mit den Barrieren in den Köpfen der Menschen aus? Da sind zum einen die geistigen Barrieren, die bei Menschen mit Behinderung selbst vorliegen, nach dem Motto: „Klettern ist doch nur etwas für ‚Gesunde‘, Wandern ist doch viel zu schwierig und helfen will mir doch eh niemand!“ Und zum anderen die Barrieren bei Menschen ohne Behinderung, die Berührungsängste und Kennenlernscheu haben, nach dem Motto: „Ich bin halt kein sozialer Typ und außerdem gibt’s dafür doch Einrichtungen.“ Diese Arten von Barrieren aufzubrechen ist schwierig, denn es hat etwas mit Haltung zu tun, und diese ist über Jahre gelernt und lässt sich nicht so schnell ändern, wie man einen behindertengerechten Handlauf an einer Treppe zu installiert. Könnte man sagen: Dann soll doch alles beim Alten bleiben und alle gehen ihre eigenen Wege! Das jedoch ist unmenschlich, denn zur Menschheitsfamilie respektive Gesellschaft gehören alle und wenn jemand mit Behinderung klettern will, dann ist das Anrecht darauf ein gutes Recht!
Stefan WinterRessortleiter Breitenbergsport, Sportentwicklung und Sicherheitsforschung
Inklusion als Marketingstrategie?
Inklusion ist in aller Munde. Im Schweizer Bergsport dank der Kletter-WM 2023, die in Bern stattfindet, seit nicht allzu langer Zeit ebenso. Als Athletin des Schweizer Paraclimbing-Teams habe ich einen Einblick in diese Entwicklung erhalten. Doch was ist Inklusion? Eine Marketingstrategie?
Nein, Inklusion sollte heißen, dass man alle Menschen gleichwertig inkludiert, auch im Bergsport. Das Tempo bestimmt bei einer Tour immer das „schwächste Glied“, doch man sollte nicht differenzieren, ob das ein Kind, eine ältere Person oder ein Mensch mit einer „Beeinträchtigung“ ist. Dass Letztere eher ausgeschlossen werden, ist leider eine Tatsache.
Dass es 15 Jahre seit dem ersten internationalen Event gedauert hat, bis die Schweiz ein Paraclimbing-Team auf die Beine gestellt hat, spiegelt die Unsicherheit der Gesellschaft gegenüber Menschen mit Beeinträchtigungen wider.
Im Breitensport gibt es bereits seit Längerem einige Angebote, von denen aber viel zu wenige Menschen wissen, weil die Sichtbarkeit noch gering ist. Die Entwicklung, die gerade stattfindet, ist eine sehr wichtige und wertvolle. Eine intensivere Sensibilisierung sowie das gleichzeitige Abbauen von Barrieren ist vielleicht genau das, was uns gefehlt hat.
Der Weg ist aber noch weit und kann auch steinig sein, da das Bewusstsein fehlt, dass auch eine blinde Person eine Hochtour machen kann oder ein Mensch mit Parkinson vielleicht nicht mehr vorsteigen kann, aber sicher noch Freude am Klettern hat. Wir stehen in der Schweiz noch am Anfang einer sehr spannenden Reise, bei der wir noch viel lernen dürfen und müssen.
Ich hoffe, dass wir „Bergler“ die Zukunft der Inklusion mit Mut anpacken und uns nicht gegenseitig mehr behindern, als angebracht ist.
WyssmannInklusion ist erst dann verwirklicht, wenn sie in allen Bereichen des Lebens gelebt wird
In der Südtiroler Gesellschaft, könnte man meinen, hat die Inklusion von Menschen mit Behinderung einen hohen Stellenwert, denn das Landesgesetz 7/2015 zur Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderungen, hat das Ziel „die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen des Lebens zu fördern und zu gewährleisten“.
Durch meine Arbeit als Kindergärtnerin für Inklusion habe ich im Laufe der Jahre allerdings die Erfahrung gemacht, dass Inklusion im Südtiroler Bildungsbereich zwar recht erfolgreich umgesetzt wurde, in vielen anderen Bereichen, wie z. B. Freizeit und Sport, aber noch kaum. Ich habe erlebt, dass zahlreiche Familien mit Kindern mit Beeinträchtigung ein starkes Bedürfnis nach Teilhabe ihrer Kinder an inklusiven Sportgruppen haben. Sie mussten aber immer wieder feststellen, dass es kaum entsprechende Angebote in Südtirol gibt. Durch Zufall stieß ich bei der Lektüre einer Kletterzeitschrift auf einen Artikel über den Münchner Verein „Ich will da rauf (IWDR)“ und sein Programm „Seilschafft Inklusion“. Mit diesem Programm baut der IWDR ein Netzwerk im Bereich inklusives Klettern auf und unterstützt und befähigt Vereine, eigene inklusive Klettergruppen zu organisieren und durchzuführen. Ich habe den Verein kontaktiert und seit Herbst 2021 sind wir als AVS Meran mit unserer Kletterhalle Rockarena Netzwerkpartner vom IWDR (siehe www.seilschafft-inklusion.de/2020/01/13/expansion-suedtirol). Durch die umfangreiche Unterstützung des Vereins ist es gelungen, in Meran die ersten inklusiven Klettergruppen Südtirols zu gründen. Im Mittelpunkt steht das gemeinsame Klettern, wobei jedes Kind die Möglichkeit bekommt, sowohl das Klettern und als auch das Sichern zu lernen. Bei uns klettern Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung und erleben gemeinsam die Freude am Klettern. So schaffen wir Begegnungsorte für Menschen mit und ohne Behinderung. Berührungsängste und Vorurteile werden abgebaut. Das Erleben der Vielfalt stellt eine Bereicherung für alle dar und mein Wunsch ist es, dass sich genau diese Erkenntnis über die inklusiven Kurse hinaus in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzt. Angesteckt vom Erfolg und von der großen Nachfrage nach den inklusiven Klettergruppen folgten weitere Südtiroler Kletterhallen dem Meraner Beispiel.
Inklusion ist erst dann verwirklicht, wenn sie in allen Bereichen des Lebens gelebt wird. Darum möchte ich mich für inklusive Sportgruppen in allen Vereinen in Südtirol starkmachen. Mit großer Freude, Dankbarkeit und Genugtuung blicke ich auf das Erreichte zurück und freue mich, dass die Kletterhalle Meran ausgebaut wird und somit das Angebot für inklusive Klettergruppen erweitert wird.
Claudia Larcher, Übungsleiterin Sportklettern, AVS-Sektion Meran Amruta[Solo-Seilschaft, #123] Da ich die von Christoph Schranz in bergundsteigen #123 beschriebene Technik selber recht häufig anwende, ist mir beim Abgleich mit dem Artikel von Heinz Zak in bergundsteigen #70 aufgefallen, dass beide Autoren das Grigri deutlich anders modifizieren. Vor allem geht es um den hebelseitigen Steg bei Schranz, der bei Zak nicht vorkommt und hier auch um die Frage, ob die „scharfe Stahlkante unterhalb des Ablasshebels“ (Schranz, S. 44) dem Seil gefährlich werden kann? Das Hineinrutschen des Seils unter den Ablasshebel kommt ja auch beim normalen Sichern hin und wieder (unbeabsichtigt) vor. Was sind also die Vor- und Nachteile der einen und anderen Modifikation? Anders gefragt: Ist die Modifikation nach Zak unsicher? Werner Gürtler, Innsbruck
Dein Interesse an meiner Modifikation freut mich!
Vorweg
Wie bereits im Artikel erwähnt ist mir wichtig zu betonen, dass der Beitrag lediglich meine persönlichen Erfahrungen mit der RopeSolo-Technik widerspiegelt und keinesfalls als Lehrmeinung interpretiert werden soll. Dem Leser soll vermittelt werden, dass das Grigri zweckentfremdet und sicherheitsrelevante Bauteile mechanisch verändert wurden. Es wird fernab der vom Hersteller angegebenen Empfehlungen operiert! Entsprechend hoch ist das Risiko einer Seilbeschädigung sowie eines Versagens der Bremswirkung.
Die Tatsache, dass meine Anwendung viele Stürze impliziert, ließ mich diverse Praktiken und Methoden mit verschiedensten Sicherungsgeräten testen und hinterfragen (z. B.: Reverso mit Rücklaufsperrre, Revo, Solist, Grigri 2 ...). Etliche Sturzversuche ließen mich schließlich auf die wie auch von Heinz Zak in bergundsteigen #70 beschriebene Methode mit dem Grigri der ersten Generation zurückgreifen. Heinz’ Methode modifizierte ich etwas, um sie für meine Anwendung zu optimieren.
Seilführung als Schlüssel
Um die Sicherungsfunktion des Grigri im Rope-Solo zu gewährleisten, ist für mich eine einwandfreie Seilführung von größter Wichtigkeit. Ein für mich essentieller Faktor dafür ist die saubere Position des Grigris am Körper. Komplexe Bewegungen beim Klettern können das Grigri verdrehen. Im Falle eines Sturzes kann dies ungünstig sein. Um das Grigri bestmöglich nach oben (über den Hals) abzuspannen, verwende ich hierfür ein flexibles Bandmaterial (siehe Hauptartikel).
Für die weitere Überlegung muss ich etwas ausholen: Beim herkömmlichen Sichern mit sämtlichen Grigri-Modellen – Grigri+ und Grigri 3 mit der neu konzipierten, lastseitigen Seilführung nicht ausgenommen – machte ich die Erfahrung, dass das Seil hinter die „scharfe Stahlkante unterhalb des Ablasshebels“ (siehe Abbildung) geraten kann. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass ich diese Erfahrung ausschließlich beim herkömmlichen Topropesichern machte. Das Grigri blockierte trotzdem und nennenswerte Seilbeschädigungen konnte ich keine feststellen. Beim Sturz im Rope-Solo, so befürchte ich, treten erheblich größere Kräfte auf und das Seil könnte in der beschriebenen Position beschädigt werden. Der hebelseitige Steg soll die Wahrscheinlichkeit verringern, dass das Seil hinter die scharfe Stahlkante unterhalb des Ablasshebels (siehe Abb.) gerät.
Die scharfe Stahlkante unterhalb des Ablasshebels.
Seildicke
Die von mir gefertigte rundliche Ausnehmung hat einen Durchmesser von 10, 5 mm (siehe Abb.). Daraus ergibt sich der Nachteil, dass dickere Seile als von mir verwendet (9,2 mm neuwertiges Seil) nicht mehr so reibungslos durchlaufen.
10,5 mm
BOA® FIT SYSTEM
DIALED IN Perfekt eingestellt –Fein anpassbar für eine präzise Passform.
Wichtig
Petzl empfiehlt, beim Grigri 1 Seile mit einem Durchmesser von mindestens 10 mm und maximal 11 mm zu verwenden. Seile mit entsprechend zulässigem Seildurchmesser (10–11 mm) funktionieren mit der Modifikation wie von Zak beschrieben besser. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich (glücklicherweise) keine Erfahrungswerte habe, was passiert wenn das Seil im Falle eines harten Vorstiegssturzes tatsächlich über die Stahlkante läuft.
Meine Modifikationen sollen auf keinem Fall als perfekt angesehen werden. Ich freue mich über jede Anregung und Kritik an der von mir angewandten Methode.
Derzeit teste ich eine Modifikation am Grigri 3 und Grigri+ auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau ;-).
Christoph Schranz, OberaudorfLOCKED IN Fest umschlossen –Eine eng anliegende Passform an der Ferse erhöht die Geschwindigkeit, Beweglichkeit und Ausdauer.
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Zuverlässig –Performt selbst unter härtesten Bedingungen.
Erfahre auf BOAfit.com wie das BOA® Fit System Passform neu definiert.
und Seile verfügen über eine Garantie für die Lebensdauer des Produkts, auf dem sie integriert sind.
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Drehverschlüsse SCARPA RIBELLE RUN KALIBRA HT PHILIPP AUSSERHOFER BOA Athlet Professioneller Ultra Trail RunnerMünchhausen zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf. Grafik: Theodor Hosemann (1839)
m h[Münchhausentechnik] Sehr interessant gefunden habe ich den Beitrag zur Selbstrettung aus der Spalte. Sojers Illustrationen sind bekanntermaßen unübertroffen! Aber auch wenn manchem Gletschertouristen das Thema an den Ritt auf der Kanonenkugel erinnern mag, ist die dargestellte Methode des Selbstflaschenzugs doch vom Allgäuer Bergführer Hartmut Münchenbach entwickelt und später nach ihm benannt worden. So hatte ich es zumindest bei meiner Übungsleiterausbildung Anfang der 2000er Jahre gelernt. Ehre, wem Ehre gebührt!? Peppi Grill, Trainer B Skihochtour, DAV Sektion Straubing
Das ist lange her: 1997 haben wir in bergundsteigen diese Technik der Selbstrettung aus Gletscherspalten das erste Mal vorgestellt, dann, in bergundsteigen 3/99, gab es dazu ein Update. Wie die Technik nach Österreich kam? Ich war damals Delegierter des ÖAV in der IKAR, der internationalen Kommission für alpines Rettungswesen. Bei der Jahrestagung 1996 in Grenoble stand ich am Festabend in der sehr langen Schlange am Buffet. Hinter mir in der Reihe: Helmut Mittermayer, der bekannte Bergführer, Ausbilder und Bergretter aus Grünau im Almtal. Helmut war damals bereits fix im DAV-Ausbildungsteam. Unsere Unterhaltung führte irgendwann zum Thema „Anseilen am Gletscher“ – ob denn die Lehrmeinung „Anseilen mit Hüft- und Brustgurt“ noch zeitgemäß sei? Und dann erzählte mir Heli von einer neuen Technik, die sie im DAV entwickelt haben – einer Technik, mit der man sich auch ohne Brustgurt selbst aus der Spalte retten konnte – also nur mit Hüftgurt! (Für jüngere Seiltechniker*innen: Man muss wissen, dass wir bis dahin zur Selbstrettung einen Prusik am Brustgurt fixierten, den zweiten unten am Sitz- oder Hüftgurt. Durch diese Distanz und die Vorwärts-rückwärts-Kippbewegung des Körpers wurde einmal der obere einmal der untere Prusik locker und konnte weitergeschoben werden.)
Jetzt wurde ich richtig neugierig! Heli – wir standen noch immer in der Buffetschlange – musste mir die Technik bis ins kleinste Detail schildern. Zurück in Innsbruck gab es kurze Zeit später ein Lehrteamtreffen im ÖAV. Dort demonstrierte ich das Verfahren, seither ist es Teil unserer Seiltechnik. Bergführer Robert Purtscheller, damals im ÖAV-Lehrteam und Ausbilder bei den Bergführern, trug die Methode dann in die Österreichische Bergführerausbildung. Robert war es dann auch, den die Methode an eine Geschichte des Barons Münchhausen erinnerte, der sich, so ist es überliefert, mitsamt seinem Pferd am eigenen Haarschopf aus dem Sumpf zog.
Was ich bis zu deinem Leserbrief, lieber Peppi, nicht wusste: Dass Hartmut Münchenbach der eigentliche Erfinder bzw. Entwickler dieser Methode war. Dann wäre die historisch richtige Bezeichnung: „Münchenbachtechnik“, nicht „Münchhausentechnik“. Wie kann man sich auch auf einen Lügenbaron verlassen?
Michael Larcher, ÖAV, Bergsport
Nachlese bergundsteigen.com
bergundsteigen 2/1997
bergundsteigen 3/1999
[Haarrisse] Eine Frage zu einem viel diskutierten Thema: Kann man Kletterhardware (Alukarabiner, Expressen, Tuber), nachdem sie hinuntergefallen ist, noch bedenken-
los benutzen oder ist das materialmäßig ein Problem zwecks Haarrissen? Wenn ja ist auch die Fallhöhe diesbezüglich relevant?
Sebastian AspernigHaarrisse bei Kletterhardware gehören zu den hartnäckigen Mythen im Bergsport. Die Sorge ist aber vollkommen unbegründet. Durch Runterfallen über große Höhen können sichtbare Deformationen entstehen, aber keine unsichtbaren, gefährlichen Haarrisse.
Michael Larcher, Leiter der Bergsportabteilung ÖAVs[scheitern, #122] Als Bergsteiger und Künstler bin ich mit dem Scheitern als Idee sehr vertraut, und in beiden Feldern seit fast 40 Jahren unterwegs. Im DAV bin ich auch schon lange und in meiner Sektion engagiere ich mich als Ausbilder für Bergsteigen und Skitouren.
Sowohl in der Kunst als auch in den Bergen versuche ich auf den unterschiedlichsten Wegen, mir selbst etwas auf die Spur zu kommen. Dabei ähneln sich die Phasen der Organisation und Planung, ebenso wie der Ablauf, in dem ich dann auf abenteuerliche Weise dem Zufall begegne, den es freundlich zu begrüßen gilt und der mitunter die bessere Idee aufzeigt. Die Frage nach dem Sinn oder warum ich das tue, stellt sich hierbei aufs Gleiche immer wieder neu. Die Dimension der Konsequenzen ist allerdings verschieden. Bei der Betrachtung von Ursache und Wirkung wurde im Bergsport irgendwann der „Faktor Mensch“ entdeckt. Vor allem in der Ausbildung geistert diese unbekannte Größe neben allen datenbasierten Analysen der Schneedecke und physikalisch durchdrungenen Kräftedreiecken am Stand der Mehrseillängen umher. Es wurden komplexe Formeln entwickelt, um dem „Scheitern“ den Garaus zu machen, doch der „Faktor Mensch“ sträubt sich. Unterschiedliche Gründe treiben die Protagonisten nach wie vor ungebremst voran in die Berge auf der Suche nach … ja, wonach eigentlich? Bei allen Unwägbarkeiten lauern jetzt auch „heuristische Fallen“, die wir ebenfalls noch „in den Griff kriegen müssen“. Daneben machen sich weitere, schwer messbare Größen bemerkbar, die so genannten „soft skills“. Steckt dahinter vielleicht die Antwort auf so viele Fragen?
„Finales Scheitern“? Und immer wieder trifft es auch die Profis, die Wissenden, die Bewunderten, die, an denen sich auch manche ausrichten und orientieren. Gesponsert und gelabelt stürzen sich einige davon scheinbar mit Todesverachtung ins Abenteuer auch unserer vermeintlichen Träume und Sehnsüchte. Wessen und welche Sehnsüchte überhaupt?
Auf meinen ersten Bergtouren saßen auf den Hütten lauter „alte weiße Männer“: Doktoren, Ingenieure, Rechtsanwälte; währschaft kochen durfte „die gute Seele des Hauses“. Heute sind es viele „junge weiße Männer“: Psychologen, Geologen, Pädagogen; es gibt vegetarische Küche mit Unterstützung aus dem Sherpa Projekt. Nur die wenigsten von uns sind Profis, nur ein geringer Teil der ausgebildeten Bergführerinnen und Bergführer arbeitet Vollzeit, und der Frauenanteil z. B. in Österreich beträgt 1,75 Prozent, im Redaktionsteam von bergundsteigen null Prozent. [Anm. d. Red.: Im Redaktionsteam von bergundsteigen sind: Alexandra Schweikart, Rabea Zühlke, Birgit Kluibenschädl
also genau 50 Prozent Frauenanteil. Geleitet wird das Magazin allerdings von einem Mann. Das ist richtig.]
Für die meisten ist der Bergsport also eine Art Freizeitbeschäftigung jenseits aller Notwendigkeit zur Existenzsicherung, und dabei verlieren sie mitunter sogar ihr Leben. Unter den in Österreichs Bergen im Jahr 2022 tödlich verunglückten Personen waren 84 Prozent männlich! Jemand sagte sogar, der Lawinentod sei männlich. Also wenn ich die „probabilistische Methode“ richtig verstanden habe, sollte doch dann eine Empfehlung lauten: „Von Männern – Abstand halten!“
Welche Vorstellung vom bergsteigenden Menschen steckt also in diesem „Faktor Mensch“? Welche Motivationen liefern die dafür notwendige Energie? Welche ethischen und philosophischen Begründungen werden dazu herangezogen? Welche Kontinuität liegt dabei auch in den Narrativen der Aktiven, der Konsumenten und der Alpenvereine?
Im Heft #122 werden jedenfalls ganz verschiedene Sichtweisen und Perspektiven zum Thema „Scheitern“ angesprochen. Dort, wo besonders auf die 150-jährige Vereinsgeschichte des DAV und ÖAV verwiesen werden soll, sind mir dabei noch ganz andere Aspekte erwähnenswert, die ich hiermit ergänzen möchte. Es ist mir persönlich wichtig, dass wir bei so einer historischen Betrachtung einerseits nicht erst wieder „nach 1945“ beginnen und andererseits nicht ausschließlich von einer „Erfolgsgeschichte seit der Gründung“ die Rede ist, in der sich auch „Misserfolge“ finden lassen. Wenn es in der langen Vereinsgeschichte ein „Scheitern“, ein Spalten, ein fatales kollektives Versagen gibt, dann sind es meines Erachtens die nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Ideen, die von überzeugten Alpinisten bereits seit den 1890er Jahren massiv vorangetrieben wurden. Und das Ganze ohne Not oder Druck durch einen diktatorischen Machtapparat, der erst sehr viel später etabliert wurde. Bei näherer Betrachtung zeigt sich außerdem, dass sich jene Mitglieder der Alpenvereine sogar als elitäre Vorreiter einer Bewegung formierten und ein großes Potential an Kontinuität dieser Geisteshaltung begründeten, die eben nicht nach 1945 erloschen ist. Und es hat im Verein selbst ganze 100 Jahre gedauert, bis der Versuch gestartet wurde, diese Zusammenhänge näher zu beleuchten. Wenn wir uns also die Frage nach den „menschlichen Faktoren“ im Alpinismus stellen, dann könnte es hilfreich sein, auch die Räume zu erhellen, die gerne als „dunkle Zeit“ umschrieben werden. Und die reicht eben bis an die Anfänge der alpinen Bewegung selbst zurück, die uns bis heute verbindet und beschäftigt.
Bei der Suche nach Erklärungen für unser Verhalten am Berg zeigt uns der Blick in die Geschichte die Vielschichtigkeit und auch den Wandel möglicher Beweggründe und Haltungen sowohl von Individuen aber auch strukturell von Organisationen. Bergsport ist nach wie vor das Privileg einer Freizeit, die man sich erst mal leisten können muss, also, von wessen und welchem „Scheitern“ soll denn da überhaupt die Rede sein? Und da wir heute bekanntlich in einer Leistungsgesellschaft mit kapitalistischem Wirtschaftssystem leben, darf es doch nicht verwundern, wenn wir diese darin gelernten Verhaltensweisen auch mit in die Berge nehmen?!
Beim Unterwegssein in der Kunst und in den Bergen gibt es für mich so verstanden keinen Umweg, denn der Weg ist der Weg, und den gilt es genau anzuschauen. Und dabei kann sich auch ein Erkenntnisgewinn einstellen, der sich gegenseitig befruchtet. In den Bergen und in der Kunst ist nicht alles Zufall, trotz guter Planung. Werner Weber, Köln
h[HMPE] Beim turnusgemäßen Austausch meines Schlingenmaterials bin ich darüber gestolpert, dass ein neues Material aufgetaucht ist – bei Edelrid z. B. als HMPE Cord Sling oder HMPE Quickdraw Sling (Anm. d. Red.: HMPE=High-modulus polyethylene), bei Blue Ice als Mission Light Sling aus UHMWPE (noch zwei Buchstaben mehr!) (Anm. d. Red.: Ultra-high-molecularweight polyethylene). Gleichzeitig scheint die in den letzten Jahren gefühlt zum Standard gewordene Aramid-Schlinge bei Edelrid zu verschwinden, und Edelrid selbst hat mir erklärt, dass HMPE mehr oder weniger in allem besser ist als Aramid, bei gleichem Einsatzbereich, z. B. bei Sanduhren (Stichwort Steifigkeit zum Fädeln).
Googelt man HMPE, findet man heraus, dass schusssichere Westen neuerdings wohl auch bevorzugt aus HMPE gemacht werden. Ansonsten scheint das Material bisher eher im Segelsport zu finden zu sein. Habt ihr mit dem Material schon Erfahrungen? Gerade die superleichten Blue-Ice-Schlingen machen einen etwas „windigen“ Eindruck. Die grundsätzliche Stabilität muss man wohl kaum in Frage stellen, interessant wäre halt, wie das Material altert, im Vergleich zu den bisherigen und bewährten Klassikern aus Dyneema (leicht, altert schnell) und Polyamid (schwerer, altert langsamer). Auch das Verhalten beim Knoten wäre interessant. Ich freue mich auf eure Einschätzung, mit besten Grüßen. Benjamin Krauth
Auch wenn mich die Chemiker für diese Aussage lynchen – betrachte mal UHMWPE, HDPE, HMPE, DYNEEMA als den gleichen Werkstoff. Damit wäre dann auch schon ein Teil deiner zweiten Frage beantwortet: Ja, wir haben seit vielen Jahren Erfahrung mit diesem Material. Zu „altert schnell“ sagen zwar die Untersuchungen von DSM, vermutlich weltgrößter Hersteller dieser Faser, etwas anderes, aber wenn unsere Einrichtungen der Bergsportsicherheit das so festgestellt und publiziert haben, wird’s schon stimmen. Allerdings bezog sich diese Aussage immer auf Rundschlingen aus Bandmaterial. Bei den von dir genannten Produkten handelt es sich um Kern-Mantel-Konstruktionen. Wenn das HMPE geschützt im Inneren des Materials liegt, kann ich dir versichern, dass es keine unnormalen Alterungserscheinungen aufweist.
Was die Steifigkeit betrifft: Das hat nichts mit dem Material zu tun, sondern ausschließlich mit den Flechtparametern. Wir versuchen diese Eigenschaft ideal zu mitteln. Macht man die Schnur sehr steif, lässt sie sich gut in Sanduhren fädeln, allerdings klemmt sie als Prusik deutlich schlechter (auch das wurde ja von den o. g. Einrichtungen schon herausgefunden und publiziert) und umgekehrt. Knotenwerte findest du hier:
https://edelrid.com/de-de/wissen/ knowledge-base/schwaechung-vontextilem-material-durch-knoten,
wobei du die Werte der Hardline betrachten darfst. Hardline ist die Meterware, die als Rund- schlinge dann als HMPE-Cord-Sling verkauft wird.
BTW: In vielen Bereichen wurde in den letzten Jahrzenten mit Aramid und HMPE experimentiert (Kranseile zum Beispiel) und in den meisten Bereichen hat sich das HMPE als brauchbarer erwiesen.
Daniel Gebel, Edelridb[Bodensturz im Nachstieg] Ich lese mit Begeisterung eure Artikel zum Thema Sicherheit im Bergsport. Wir hatten einen Beinahe-Unfall, der einiges an Nachdenken bewirkt hat. Thema: Sturzhöhen bei Nachsteigern, die sehr schwer sind.
Bei einer Einstiegsseillänge, die mit IV+ bewertet war und bei vollkommen nassen Bedingungen stürzte mein Seilpartner (ca. 110 kg) im Nachstieg, nachdem sich seine Füße ca. vier Meter über dem Boden befanden. Das ausgegebene Seil war ca. 45 Meter. Obwohl straff gesichert wurde, stürzte der Nachsteiger und schlug mit noch merklichem Aufprall am Boden auf (mindestens vier Meter Sturzhöhe). Das Seil wurde zweimal stärker umgelenkt durch Richtungsänderungen in der Routenführung. Außer kleineren Blessuren ging der Sturz relativ glimpflich aus, aber der Nachsteiger hatte definitiv ein kleines Sturz-Trauma.
Falls ihr das Thema einmal aufgreifen wollt, fände ich das sehr spannend. Vor allem im leichteren Gelände (bei Führungstouren im Alpenverein) geht man ja ganz oft im dritten vierten Grad im vielfach verblockten Gelände bzw. mit Podesten. Dabei ist es dann ganz wichtig zu wissen, wie groß die Sturzhöhe des Nachsteigers sein kann (vor allem, wenn er sehr schwer ist) und welche Maßnahmen man ergreifen kann, um das Risiko eines Boden-/Podestaufschlages zu minimieren (z. B. Verkürzung der Seillänge, damit weniger ausgegebenes dehnbares Seil vorhanden ist).
Gebhard Banko, KlosterneuburgDie Seilnorm EN 892 für Einfachseile erlaubt eine maximale Gebrauchsdehnung von 10 %. Getestet wird mit einer statischen Belastung von 80 kg.
Bei 45 m Seillänge sind das 4,5 Meter. Dein „Proband“ hatte 110 kg. Von daher gesehen ist euer „Testergebnis“ nicht überraschend. Ganz allgemein ist die Seildehnung bei der Herstellung von Kletterseilen eine heikle Gratwanderung zwischen „zu hart“ und „zu weich“. Sieht man sich die Werte moderner Bergseile an, dann schlagen sich die Hersteller lieber auf die Seite von „zu weich“ bzw. elastisch bzw. dynamisch. Von der maximalen Fangstoßkraft 12 kN, die laut Norm erreicht werden dürfte, liegen diese Seile weit entfernt – in der Regel bei maximal 9 kN. Warum entwickeln die Seilhersteller keine Dynamikseile mit geringerer Dehnung? Ich gebe die Frage direkt weiter an Daniel Gebel von Edelrid, der ist einer der renommiertesten Experten dafür.
Michael Larcher, Leiter der Bergsportabteilung ÖAVWarum entwickeln die Seilhersteller keine Dynamikseile mit geringerer Dehnung? Dafür sind zunächst drei Gründe zu nennen, die alle damit zu tun haben, dass ein Seil mit geringerer Gebrauchsdehnung auch einen höheren Fangstoß aufweisen wird:
y Ein möglichst niedriger Fangstoß reduziert das Risiko bei einem Sturz, insbesondere der vorsteigenden Person. Und zwar sowohl im Sinn der auf die stürzende Person wirkenden Beschleunigung (daraus resultierend auch Anprallverletzungen) als auch im Sinne der Durchtrennung des Seils wenn es auf einer scharfen Kante zu liegen kommt, sowie im Sinne der Belastung auf die Umlenkung (und damit eine geringere Wahrscheinlichkeit des Ausbruchs einer heiklen Zwischensicherung).
y Mehrfach-zertifizierte Seile, egal ob Einfach-/Halb-/Zwillingseil, sowie Halb-/Zwillingsseile müssen im Einfachstrang mit 55 kg
geprüft unter 8 kN und mit 80 kg im Doppelstrang geprüft unter 12 kN Fangstoß aufweisen. Weist das Einfachseil mit 80 kg geprüft schon einen Fangstoß von annähernd 12 kN auf, wird ersteres nicht mehr möglich sein. Viele der heute üblichen dünneren Seile sind dreifach-zertifiziert. Halbseile auch als Zwillingsseile zu zertifizieren bzw. die Anforderungen zu erfüllen, ergibt unbedingt Sinn, da die wenigsten Halbseile in reiner Halbseiltechnik verwendet werden. y Bei dünneren Seilen ist die hohe Dynamik schlichtweg notwendig, um die von der Norm geforderten 5 Normstürze zu bestehen und berechtigterweise will heute niemand mehr ein Seil mit 70 g/m in die Berge tragen.
Generell: Seile werden gemäß Norm mit 80 kg geprüft. Es hat sich gezeigt, dass auch alle Systeme, die wir heute im Einsatz haben, in dieser Gewichtsklasse in der Regel gut funktionieren. Schon ab 90 kg geraten viele dieser Systeme aber an ihre Kapazitätsgrenzen und spätestens ab 100 kg werden andere Systeme oder zumindest ein angepasstes Verhalten erforderlich. Davon auszugehen, dass was bei 50 und 80 kg funktioniert, sicher auch bei 100 und 120 kg gleichermaßen funktionieren wird, klingt naiv, ist aber leider oft in der Praxis Standard. Diese Schieflage sollte auch in den Ausbildungen mehr thematisiert und hinterfragt werden.
Daniel Gebel, Edelridb[Bergsport und Gesundheit: Die feinen Unterschiede, #123] Als ich die Seiten zu den körperlichen Unterschieden am Berg aufgeschlagen hab, dachte ich nur – super, dass endlich so ein schambehaftetes Thema wie die Menstruation auch im Bergkontext thematisiert wird. Als ich mit dem Artikel durch war, blieb ein Gefühl zwischen Fassungslosigkeit und Unverständnis. Ich habe mich gefühlt als würde ich eine medizinische Anleitung aus den 1950ern lesen, die Frauen belehrt, wie sie am besten in den Bergen unterwegs sein können. Als ob sich nicht eh jede menstruierende Person vor jeder Tour darüber Gedanken macht, was sie an Supply mitnimmt, wie lang die Touren sind und ob es wohl möglich sein wird, ohne Auslaufen durchzukommen. Die Werbung verkauft uns noch immer, dass es das Wichtigste ist, auch während der Periode sauber zu sein, um nicht aufzufallen, um das Thema Menstruation nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. Ihr Artikel, Frau Kriemler, spiegelt für mich genau dieses Bild wider – dass es eine Bürde ist zu bluten, die im schlimmsten Fall eine Tour unangenehm macht und auch andere belasten kann. Dabei finde ich es bedenklich, dass immer noch die Frau als Hauptfaktor angesprochen wird, wo es doch viel mehr darum gehen sollte, bei allen Menschen ein Bewusstsein zu schaffen, dass Menstruieren am Berg normal ist, trotzdem oft nervt und immer noch mit so viel Scham belegt ist. Den Tipp – „die Frau sollte sich wohl überlegen, ob sie bereit ist, die Unannehmlichkeiten der Menstruation zu ertragen“ – finde ich völlig unangebracht. Es sollte doch eher darum gehen, wie ein Umfeld geschaffen werden kann, in dem es okay ist zu bluten. Ein Umfeld ohne Scham. In dem sich der gemeine Bergsteiger fragt – geht es mir um den Berg oder auch um die Person, mit der ich unterwegs bin, und wie kann ich dazu beitragen, ein Klima zu schaffen, in dem sich alle mit ihren Körperlichkeiten wohl fühlen? Auch und besonders bei „persönlich erstrebenswerten Freizeitbeschäftigungen auf Höhen über 2500 m“.
Lena KircheisenDIALED IN Perfekt eingestellt – Fein anpassbar für eine präzise Passform.
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BOA® FIT SYSTEM MAX BERGER BOA Pioneer G-TECHDanke, dass Sie sich die Mühe genommen haben, eine Antwort auf meinen Artikel zu schreiben. Mir kommt es so vor, als ob wir auf verschiedenen Planeten lebten. Als 60-jährige Frau erlebe ich die menstruationsfreie Zeit nun als Erleichterung und bin froh, dass diese Geschichte vorbei ist. Ich habe mich, während der Zeit, in der ich regelmässig menstruierte, nie geschämt. Ich habe diese natürliche Funktion des weiblichen Körpers akzeptiert, auch wenn ich die Blutung nicht geliebt habe – so quasi als notwendiges Übel. Als ich dann begann, aktiv auf Expeditionen zu gehen, damals zusammen mit einem Heer aus dem männlichen Geschlecht, musste ich mir selbst durch Gespräche mit einzelnen bergsteigenden Frauen oder Ärztinnen ein Bild machen, wie ich denn auf einer zweimonatigen Expedition das „Übel“ der Menstruation am besten in den Griff bekommen werde. Ganz wenige konnten mich damals beraten.
Vielleicht geht es auch heute noch Frauen so wie mir damals: nur Fragezeichen, keine Richtlinien, wenig Erfahrungswerte … Deshalb auch dieser Artikel, der ganz subjektiv meine Erfahrungswerte und einiges aus der Literatur dokumentiert, damit interessierte und noch nicht erfahrene Frauen davon lernen, wie sie mit ihrer Menstruation in schwierigen hygienischen Verhältnissen umgehen können.
Menstruation hat in meinen Augen nichts mit Scham zu tun, sondern ist ein von der Natur gegebenes Übel, das jede Frau individuell lösen soll und auch kann. Susi Kriemler, Universität Zürich
b[Bergführerserie: Kurzschluss? #122] Es geht um den Beitrag zum „Führen am kurzen Seil“ in der Schweizer Bergführerausbildung, und zwar um die Stufe 2, S. 73. In der Charakteristik, Punkt 7, schreibt ihr unter anderem, wenn der Bergführer sichert, hält er „das Seil straff […] unter dem fixierten Schuh“. Sorry, ich kann mir diese Sicherung nicht vorstellen. Habt ihr eine genauere Erklärung? Ich gehe mit meiner Frau ebenfalls gerne am kurzen Seil. Dankeschön für eine Info. Berg frei! Heinz Buchmann, Ottenbach
Das Sicherungsseil wird dabei mittig unter der Schuhsohle des Talbeins (in der Regel) durchgeführt und im rechten Winkel nach oben gezogen. Zweck der Übung ist eine erhöhte Reibung des Sicherungsseils unter dem Schuh. Dies funktioniert gut, aber ausschließlich, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Die Standfläche des Fußes ist flach oder nach innen abfallend (nicht abschüssig), die Außenkante des Schuhs steht zusätzlich an einer Felskante an (dies ergibt die Fixierung des Schuhs), der „Sicherungsfuß" ist mit dem gesamten Körpergewicht belastet, es wird straff nachgesichert, nur bei einem Gast, auf eine kurze Distanz (max. 10 Meter). Wie bei all diesen Anwendungen ist es so, dass diese verschiedenen Techniken im Gelände ausgebildet, ausprobiert und verfeinert werden müssen, damit sie dann situativ angepasst, korrekt und sicher angewendet werden können. Reto Schild, technischer Leiter in der Schweizer Bergführerausbildung
[Erratum: Wenn’s wärmer wird, sollten wir vielleicht die Taktik ändern #123, S. 97] In der letzten Ausgabe ist uns beim Layouten einer Grafik ein Übertragungsfehler passiert. In der Massenbilanz des Hintereisferners wurde fälschlicherweise dreimal das Haushaltsjahr 1952/53 wiederholt. Hier die Originaldatei mit der richtigen Bilanz. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. ■
bruck, Informatiker und Bergführer. Sein Freiluftlaborato-
dies & das
Die Schnalle „B“ des Climbing Technology Gryphon muss überprüft werden. Bild unten links zeigt eine korrekt gefädelte Schnalle, Bild unten rechts eine falsch gefädelte Schnalle.
Halls & Walls, 24./25. November2023
Einmal mehr trifft sich Ende November die gesamte Kletterhallenbranche in Friedrichshafen am Bodensee auf der „Halls & Walls“ (DAV). Klettergriffe und Kletterwände aus der ganzen Welt können hier begutachtet werden, von der Griffwaschanlage über Kletterschuhe bis zur Weichbodenmatte wird hier alles ausgestellt. Der Schwerpunkt liegt dieses Jahr wieder auf dem Routenbau, dem zentralen Arbeitsfeld in Kletter- und Boulderhallen. Integriert ist die Messe in die Vertical Pro, bei der jede Art von PSA für das Arbeiten am Seil, Routenbau und für die Rettung vorgeführt werden. Neben Ausstellungen und Podiumsdiskussionen gibt es Workshops und ein spannendes Vortragsprogramm.
Infos und Tickets: www.vertical-pro.de/die-vertical-pro/halls-walls
Überprüfung Ganzkörpergurt Climbing Technology Gryphon (Juli 2023)
Climbing Technology ruft zur Überprüfung des Ganzkörpergurtes „Gryphon“ auf. Es wurde ein Gurt gemeldet, bei dem die Schulterträger falsch eingefädelt wurden. Dadurch kann es sein, dass man den Gurt nicht richtig einstellen kann und dass er sich beim Anziehen lokkert. Ein Unfall dadurch ist nicht bekannt. Es handelt sich um die Schnalle, die in der Abbildung mit „B“ gekennzeichnet ist. Climbing Technology bittet alle, die eine falsch eingefädelte Schnalle bei sich entdecken, sich zu melden.
Betroffene Produkte: Gryphon (Ref. Nr. 7H174) und Gryphon Ascender (Ref. Nr. 7H178)
Herstellungszeitraum: Zwischen 11-2022 und 03-2023
Informationen und Kontakt: E-Mail: commerciale@aludesign.it, Telefon: +39 035 783595 –Durchwahl 4 aus Italien – Durchwahl 5 aus dem Ausland
Zu den Infos und Tickets der diesjährigen „Halls & Walls“.
Blitzaktivität in den Alpen steigt deutlich durch Klimaerhitzung
Wissenschaftler:innen der Universität Innsbruck haben eine Studie veröffentlicht, die sich mit der Aktivität von Blitzen über den Ostalpen beschäftigt. Die Topografie im Bergland begünstigt Gewitter schon immer, allerdings lassen steigende Temperaturen die Gewitterund Blitzhäufigkeit noch weiter steigen. Gemessen wurde die Blitzaktivität zwischen 1980 und 2019.
Das Ergebnis: In den 2010er-Jahren hat sich die Blitzaktivität im Vergleich zu den 1980erJahren verdoppelt. In den hochgelegenen Bereichen der Ostalpen erreicht die Blitzsaison ein stärkeres Maximum und beginnt einen Monat früher. Im Tagesverlauf ist der Höhepunkt um bis zu 50 Prozent stärker, wobei es mehr Blitze am Nachmittag und Abend gibt.
Alpiner Förderpreis des AVS vergeben
Der Alpine Förderpreis 2023 wurde den zwei jungen Bergsteigern Patrick Tirler von der Sektion Schlern und Moritz Sigmund von der Sektion Brixen verliehen. Beide waren Mitglieder im AVS-Sportkletter-Landeskader und nahmen an nationalen sowie internationalen Kletterbewerben teil. Sie haben es geschafft, ihr Sportkletterniveau (bis 8c) ins alpine Gelände zu übertragen und konnten bereits etliche schwierige Dolomiten-Testpieces mit traditioneller Absicherung wiederholen und erstbegehen.
Rekonstruierte Jahreszyklen der Wahrscheinlichkeit für Blitzereignisse. Die Blitzsaison beginnt mittlerweile einen ganzen Monat früher.
Studie: Simon, Thorsten; Mayr, Georg; Morgenstern, Deborah; Umlauf, Nikolaus; Zeileis, Achim: „Amplification of annual and diurnal cycles of alpine lightning”. Climate Dynamics Journal
Erstes internationales Vernetzungstreffen der Förderprogramme für junge Alpinist:innen
Inzwischen haben alle deutschsprachigen Alpenvereine (ÖAV, SAC, DAV und AVS) ein Programm, das jungen Menschen die Chance gibt, ihre persönlichen Grenzen in allen alpinen Disziplinen zu verschieben, auf Augenhöhe von Mentoren zu lernen und sich dabei stark in ihrer Persönlichkeit zu entfalten. Auch wenn es viele Unterschiede zwischen den Programmen gibt, so überwiegen doch die Gemeinsamkeiten. Vor allem der AVS mit dem „Alpinist Team“ und der ÖAV mit dem „Junge Alpinisten TEAM“ fahren eine ähnliche Schiene. Ein Grund also, in Austausch zu gehen.
Lange hat es nicht gedauert und Ort und Datum für ein Vernetzungstreffen waren fixiert. Die jungen Alpinist:innen – aktuelle und ehemalige Teilnehmer – waren von der Idee genauso begeistert wie wir und so traf sich eine Gruppe von 25 Leuten Ende Mai in den Dolomiten. Drei Teilnehmer der SAC-Teams schlossen sich uns ebenfalls an und somit wurde es richtig international.
Die Idee: Klettern, Hüttenabend, Lagerfeuer und alles, was dazu gehört! Der AVS hat in dem Fall den perfekten Gastgeber gespielt und uns nicht nur mit Unterkunft und Essen verwöhnt, sondern auch für ein Rahmenprogramm der Extraklasse gesorgt. Am ersten Hüttenabend hatten wir drei wahrhaftige Dolomiten-Kletterpioniere und Erstbegeher mehrerer Dolomitenklassiker zu Besuch: Reiner Kauschke, Jörgl Mair und Konrad Renzler.
Das Motto von Kausche gilt auch eins zu eins für unser Vernetzungstreffen – es musste einfach gemacht werden – und gehört auf jeden Fall wiederholt!
Termine werden laufend ergänzt auf www.alpenverein.at/lawinenupdate
Abseilunfall Stafflachwand
Der bekannte Alpinist, Bergführer und langjährige Generalsekretär des Alpenvereins Robert Renzler (67) starb am 20. Mai 2023 bei einem Unfall an der Stafflachwand. Im Folgenden der Versuch, den genauen Unfallhergang zu rekonstruieren und Erkenntnisse für Lehrmeinung und Praxis zu gewinnen.
Von Michael Larcher
Analyse – warum und für wen?
Hilft die sachliche Analyse von Bergsportunfällen, die detailgenaue Kenntnis des Unfallhergangs bei der Trauerarbeit? Kann die Publikation solcher Analysen zukünftige Unfälle verhindern? Es ist die zweite These, die von der großen Mehrheit der Bergsportcommunity mit einem klaren „Ja“ beantwortet wird. Das seit mehr als hundert Jahren gültige Narrativ in Alpinismus und Bergsport lautet: „Je genauer wir Unfallursachen kennen, desto effektiver und erfolgreicher die Unfallprävention.“ Im Anfang war die Ursache, der Auslöser – z. B. ein Fehler oder Materialversagen –, dann Absturz, Tod und Leid. Dann Unfallanalyse, dann Lehrmeinung, Regeln und Empfehlungen prüfen und kommunizieren oder Produkte – „persönliche Schutzausrüstung“ – entwickeln und optimieren. So der gut eingeübte Lehrpfad, dem auch dieser Beitrag folgt.
Die Situation
Robert kletterte mit seinem Sohn in Zweierseilschaft die mit Bohrhaken ausgestattete Route „Leckerbissen“ (7-/7, 160 m) an der Stafflachwand bei St. Jodok am Brenner (Gemeindegebiet Schmirn). Die südexponierte Wand liegt ganz nah an seinem Wohnort, gerade einmal fünf Autominuten entfernt. Ideal für einen kurzen Kletterausflug: vertrautes Gelände, eine knappe halbe Stunde Zustieg, der Abstieg ein Spazierweg oder Abseilen über Abseilpiste, kein Rucksack, keine Wettersorgen, kein Zeitdruck – ganz anders als bei vielen anderen Touren, die die beiden in der Vergangenheit unternommen hatten. Ein Kletterausflug, der auch noch Zeit lässt für Kaffee und Kuchen am Nachmittag im Kreis der Familie. Roberts Sohn führte die vorletzte Seillänge, die Schlüsselstelle der Tour, dann er selbst die letzte – Genusskletterei im fünften Grad. Die beiden kletterten mit einem 60-Meter-Einfachseil. Die Route trifft am Ende mit der Nachbarroute „Kaffee und Kuchen“ zusammen. Dort führt die Abseilpiste hinunter.
a d a
Abseilen
Die Entscheidung, abzuseilen, nicht abzusteigen, wurde schon am Einstieg getroffen, wo man die Zustiegsschuhe deponierte. Die gewählte Aufstiegsroute passte perfekt zu diesem Plan. Viermal Absei-
Abseilen – einfach, gefährlich einfach
len, dann noch ein kurzes Stück abklettern und man ist wieder am Wandfuß. Die Abseilroute ist auf 60-Meter-Einfachseile ausgelegt, bietet also spätestens alle 30 Meter einen verlässlichen Abseilstand: zwei Bohrhaken, mit Kette verbunden, inklusive Abseilkarabiner oder Abseilring – perfekt!1
dDer Unfall
Das Seil für die zweite Abseilstrecke wurde vorbereitet. Robert seilte zuerst ab. Sein Abseilgerät, ein ATC-Guide von Black Diamond, fixierte er direkt im Anseilring seines Hüftgurtes mit einem Schraubkarabiner – also nicht in der Abseil- und Selbstsicherungsschlinge, wie es inzwischen bei Kursen vermittelt wird. Ein Kurzprusik2 als Absturzsicherung wurde nicht vorbereitet.
Robert erreichte den nächsten Standplatz, ausgesetzt, in fast senkrechter Wand, aber dank ausgeprägter Felsleisten ganz gut zum Stehen. Er war jetzt außer Sichtweite seines Sohnes, dafür befand sich nun ein bekannter Kletterer, etwas seitlich versetzt, nur wenige Meter über ihm, der ebenfalls auf derselben Abseilpiste abseilte. Er und seine Partnerin waren mit Doppelseil unterwegs, so konnten sie volle 60 Meter abseilen und den zweiten Abseilstand überspringen. Es kam zum Austausch weniger Worte. Dann stürzte Robert ab, ca. 60 Meter bis zum Wandfuß.
1 Abseilen oder Absteigen? Diese Entscheidung in Mehrseillängen-Routen mit Sportklettercharakter wird häufig bereits am Einstieg getroffen, abhängig vom Routenverlauf, der Eignung fürs Abseilen (Standplätze, „Abseilpiste“) und natürlich von der Schwierigkeit und Komplexität des Abstiegs. Nach persönlicher Einschätzung des Autors ist Absteigen in der Regel die bessere Wahl, die mit dem geringeren Gesamtrisiko.
2 In Österreich wird überwiegend der Kurzprusik als Absturzsicherung vermittelt. Andere Klemmknoten, wie FB-Kreuzklemmknoten, Klemheist oder MachardKnoten, werden in anderen Ländern bevorzugt. Alle haben dieselbe Aufgabe: Sie sollen den Absturz über die verbleibende Seillänge verhindern, wenn die Hände das Seil loslassen. Oder den Totalabsturz, wenn die Seilenden frei sind. Tatsächlich gibt es immer noch Experten, die auf die Knoten in den Seilenden verzichten.
Überblick Stafflachwand
Sektor Kreuzwand
Leckerbissen: 6 Seillängen 7-/7
Kaffee und Kuchen: 6 Seillängen 5+
Marende: Projekt 2023
Betthupferl: Projekt 2023
Abseilen ist trivial, weil die bewegungsund seiltechnischen Fertigkeiten leicht und schnell erlernbar sind. Gleichzeitig ist es potenziell lebensgefährlich, da Abseilen über mehrere Seillängen ein Manöver mit vielen Einzelmaßnahmen und ebenso vielen Fehlerquellen ist, das auch von Erfahrenen häufig unterschätzt wird. Wie kaum ein anderes Seilmanöver ist Abseilen prädestiniert für die Entwicklung einer gefährlichen Routine!
SicherAmBerg - Alpinklettern, ÖAV, 2022, Larcher/Mössmer/Fritz
Positionen zum Unfallszeitpunkt
wartende Seilpartnerin der zweiten Seilschaft
Sohn von
Robert Renzler
abseilender Kletterer der zweiten Seilschaft
Robert RenzlerEndlage
Robert Renzler
Leckerbissen
Länge & Dauer: 160 m, 2,75 Stunden
Schwierigkeitsstufe: 7-/7 (6/6+ obl.)
Zustieg: 0,5 Stunden
Abstieg: 0,75 Stunden
Kaffee und Kuchen
Länge & Dauer: 145 m, 2,5 Stunden
Schwierigkeitsstufe: 5+ (5 obl.)
Zustieg: 0,5 Stunden
Abstieg: 0,75 Stunden
dDer Klettergurt gibt Antworten
Zur genauen Klärung des Unfallhergangs liefern zwei von der Alpinpolizei festgehaltene Sachverhalte entscheidende Informationen: zum einen das Foto vom Klettergurt nach dem Absturz, zum anderen jenes von oben, vom Abseilstand. Am Klettergurt sieht man die vorbereitete Selbstsicherungsschlinge, eingebunden in den Seilring des Klettergurtes mittels Ankerstich. Was in dieser Schlinge fehlt, ist der Karabiner. Dieser Karabiner zur Selbstsicherung, ein HMS-Karabiner, blieb oben im Ring des Abseilstandes zurück. Damit lässt sich in erster Näherung die Unfallursache so bestimmen:
Unfallkausal war die unbeabsichtigte Trennung von Selbstsicherungsschlinge und Karabiner, die Robert nicht wahrgenommen hatte. Als Robert sich zurücklehnte und die Schlinge belasten wollte, existierte diese Verbindung nicht mehr! Redundanz – z. B. durch einen Kurzprusik – gab es nicht und die Steilheit des Geländes vereitelte den reflexartigen Versuch, den Absturz durch das Greifen nach den Seilen noch zu verhindern.
Der Klettergurt nach dem Absturz mit dem Abseilgerät im Anseilring. In der Selbstsicherungsschlinge fehlt der Karabiner. Der blieb oben im Abseilstand zurück (Abb. oben). Warum die einzelne Expressschlinge im Anseilring? Vielleicht zur kurzzeitigen Selbstsicherung an einem Zwischenhaken während des Abseilens, um das ausgeworfene Seil neu zu sortieren – so meine These. Beim Abseilen über dieselbe Route wenige Tage nach dem Unfall blieb auch ein Teil meines Seiles in einem Busch hängen. Vom Stand oben war diese Situation nicht einsehbar. Da Robert ohne Klemmknoten abseilte, könnte er sich, um die Hände frei zu bekommen, kurzzeitig an einer Zwischensicherung gesichert haben, um das Seil zu befreien.
Michael Larcher, 63, wurde 2002 die Leitung der Abteilung Bergspor t im ÖAV übertragen. Sein Vorgänger, Robert Renzler, wurde Generalsekretär . Larcher ist Bergführer, Gerichtssachverst ändiger und Gründer von bergundsteigen (1992).
sSzenarien
#1) Eine weitere Annäherung an die Unfallursache wirft unweigerlich die Frage auf, wie sich Schlinge und Karabiner trennen konnten. Im konkreten Fall, so der Unfallbericht, waren Bandschlinge und Karabiner lose verbunden, die Schlinge war also nicht mittels Mastwurf am Karabinerschenkel fixiert. Wie leicht dann ein unbeabsichtigtes Selbstaushängen möglich ist, wenn man die Schlinge von der Gurtschlaufe nimmt, kann man selbst ausprobieren. Dazu kommt, dass man − gerade als Experte − diese Vorgänge automatisch macht, ohne besondere Achtsamkeit.
Ich sehe folgenden Ablauf als sehr wahrscheinlich: Robert erreichte den Standplatz. Er stand stabil auf der gut ausgeprägten Felsstufe. Er griff zum Karabiner der Selbstsicherungsschlinge am Gurt. Nun, beim Ausklippen aus der Materialschlaufe, trennten sich unbemerkt Schlinge und Karabiner. Er hängte den Karabiner in den Abseilstand, ohne zu bemerken, dass die Schlinge fehlte. Er belastete das System noch nicht (da hätte er den Fehler bemerkt). Robert hängte dann sein Abseilgerät aus und erst jetzt, als das Seil frei war für den Sohn, wollte er die Selbstsicherungsschlinge belasten. Er lehnte sich langsam nach hinten in der Erwartung, von der Bandschlinge verlässlich gehalten zu werden …
#2) Schlinge und Karabiner trennten sich erst beim Belasten. Das würde bedeuten, dass beim Einhängen des Karabiners in den Abseilstand (Metallring) die Schlinge in der Schnapperöffnung hängen geblieben war. Beim Belasten kam es zur Trennung. Sehr unwahrscheinlich?
#3) Schlinge und Karabiner trennten sich nicht beim Aushängen aus der Materialschlaufe, sondern erst beim Einhängen des Karabiners in den Abseilstand. Dann wäre allerdings die Schlinge runtergefallen, was wohl aufgefallen wäre.
So könnte es zur Trennung von Bandschlinge und Karabiner gekommen sein: Beim Aushängen des Karabiners aus der Materialschlaufe rutschte die lose, nicht fixierte Bandschlinge aus dem Karabiner.
Zweifel und Prüfung
Szenario #1 ist nach meiner Einschätzung am wahrscheinlichsten. Aber ist das möglich? Kann einem so erfahrenen Kletterer nicht auffallen, dass er nur den Karabiner einhängt, den Karabiner ohne Schlinge? Drei Argumente, warum das leichter passieren kann, als es vom Schreibtisch aus scheint:
1) Am Stand angekommen und bis zum Absturz hatte Robert immer noch jene zwei Seilstränge vor sich, an denen er gerade abgeseilt hatte. Dadurch wirkte der verwaiste Selbstsicherungskarabiner im Abseilstand gar nicht so „nackt“.
2) Robert war nicht mehr allein. Es gab eine Ablenkung durch einen mit Doppelseil über dieselbe Abseilpiste abseilenden Kletterer, der nun auch den Abseilstand von Robert ansteuerte. Das war sicher kein Grund für Stress, aber doch ein Motiv, flott weiterzumachen. Ganz einfach aus Rücksichtnahme.
3) Viel Erfahrung führt zu Routine. Handlungen und Bewegungen sind verinnerlicht, sind in Fleisch und Blut übergegangen. Kein zögerliches, unsicheres Handling, keine hochkonzentrierte visuelle Begleitung eines jeden Handgriffs. Diese Routine ist ein Fortschritt, in seltenen Fällen wird sie zur „gefährlichen Routine“ und zur Falle.
lLehrmeinung #1
Karabiner in Selbstsicherungsschlinge immer fixieren
Die offene 120-cm-Bandschlinge mit einem Mastwurf in den Karabiner (mit Verschlusssicherung) einzubinden – diese Anweisung findet man in allen Anleitungen zum Abseilen. Die Schlinge sitzt dadurch fest am Karabinerschenkel, ein unkontrolliertes Verrutschen wird verhindert. Allerdings hatten wir bisher mehr das lästige „Herumrutschen“ im Blick als das Risiko des ungewollten Aushängens, so zumindest meine Wahrnehmung. In jedem Fall verstärkt dieser Unfall die Empfehlung um ein starkes Sicherheitsargument:
Den Karabiner in Selbstsicherungsschlingen zu fixieren, ist ein elementarer Sicherheitsstandard. Dadurch wird das Risiko, dass sich Schlinge und Karabiner ungewollt trennen, stark reduziert.
Wichtig! Selbstsicherungsschlingen immer mittels Mastwurf im Karabiner fixieren.
Der Abseil-Partnercheck OBEN ist seit Jahren Teil der ÖAV-Lehrmeinung.
4 Augen – 4 Hände. Vor dem Start werden wechselseitig alle Punkte in der Sicherungskette überprüft:
1. Abseilpunkt
2. Seilmitte oder (bei Doppelseil) Seilverbindungsknoten
3. Karabiner-Verschlusssicherung
4. Schlinge mittels Mastwurf fixiert
5. Abseilgerät
6. Karabiner-Verschlusssicherung
7. Verbindung Gurt mit Abseil- und Selbstsicherungsschlinge
8. Klemmknoten (z. B. Kurzprusik)
9. Karabiner-Verschlusssicherung
10. Verbindungsknoten Reepschnur
11. Knoten im Seilende
12. Welches Seil zieht (nur bei Doppelseil)
Der Kurzprusik bleibt im Seil – das lehren wir im ÖAV bereits seit geraumer Zeit. Neu hinzukommen wird der Abseil-Partnercheck UNTEN. Vor dem Entfernen der Kurzprusiks kontrollieren wir wechselseitig unsere Selbstsicherungen:
4 Augen – 4 Hände.
lLehrmeinung #2, 3 Kurzprusik belassen und (NEU) Partnercheck UNTEN
Die für mich wichtigste Lehre aus diesem Unfall ist zuerst eine ganz starke Bestätigung: Nämlich, wie klug es ist, dass unsere Lehrmeinung zum Abseilen seit vielen Jahren die Empfehlung enthält, nicht nur konsequent mit Kurzprusik (bzw. einem vertrauten Klemmknoten) abzuseilen, sondern auch, diesen Klemmknoten zu belassen, wenn man als Erster unten angekommen ist. Die Idee hinter dieser Empfehlung war, dass ich dadurch die Seilstränge immer unter Kontrolle habe und diese nicht wegpendeln oder vom Wind vertragen werden können. Ich bleibe dadurch immer über das Seil mit meinem Partner verbunden. Die aktuelle Unfallanalyse offenbart einen weiteren, den vielleicht wichtigsten Vorteil: Redundanz! Versagt die Selbstsicherungsschlinge, ist da noch der Klemmknoten. Also: Unten angekommen sichere ich mich mit der Selbstsicherungsschlinge, die ich auch gleich belaste. Dann lockere ich das Seil –rufe „Seil frei“3 – und hänge das Abseilgerät aus. Den Prusik belasse ich so lange, bis auch der zweite Kletterpartner bei mir ist4. Auch der hängt zuerst seine Selbstsicherungsschlinge ein. Nun erfolgt –und das wäre neu – der
Abseil-Partnercheck UNTEN: Beide Partner kontrollieren gegenseitig, ob die Selbstsicherungsschlinge korrekt angebracht und die Verschlusssicherung des Karabiners aktiv ist.
Jetzt erst werden die Klemmknoten bzw. Kurzprusiks entfernt. Dieser zweite Abseil-Partnercheck ist zumutbar, zumal er keinen nennenswerten Zeitverlust verursacht und keine Kraftanstrengung bedeutet.
dDas Gemeinsame aller Bergunfälle ist die Unschuld der Akteure
Wenn eingangs der Ursachenforschung Recht gesprochen wurde, dann bleibt die erste Frage noch unbeantwortet: Kann die sachlichnüchterne Analyse von Bergsportunfällen, die detailgenaue Kenntnis des Unfallhergangs bei der Trauerarbeit hilfreich sein? Für ein klares „Ja“ auf diese Frage würde ich persönlich einiges geben. Viel hängt wohl von der Form der Darstellung ab. Ich versuche dem Dilemma zwischen Aufklärung/Wahrheitsfindung und Fehlersuche/ Beurteilung mit einer inneren Haltung zu begegnen, einem fiktiven Konstrukt: „Genau dieser Unfall – nur ein ganz wenig anders – wird mir selbst passieren.“ Und Robert, als alter Lateiner, hätte wohl noch ergänzt: Erro, dum vivo.5
3 Auch ohne Kommando ist klar: Wenn das Seil ganz locker ist, kann der Nächste starten. Das muss man absprechen und der Erste muss bis Erreichen des nächsten Fixpunktes konsequent das Seil belasten.
4 In dieser Zeit löst der Erste die Knoten in den Seilenden und fädelt einen Seilstrang – den, an dem abgezogen wird – durch die neue Öse und verknotet das Seil einen halben Meter vor dem Seilende mit einem Sackstich.
5 Ich irre, solange ich lebe.
Die Gefahrenstufe
Teufelszeug oder Allheilmittel?
in den Lawinenlageberichten prominent kommuniziert. Den einen ist sie Ausdruck einer unerträglichen Vereinfachung, den anderen ist sie das Maß aller Dinge. Als heimlicher Trittbrettfahrer ist sie mit dabei auf jeder Skitour. Doch was drückt die Gefahrenstufe eigentlich aus? Was weiß die Wissenschaft über die Gefahrenstufe? Und wie sieht ein rationaler Umgang mit dieser Größe aus?
Von Günter Schmudlach und Jochen Köhler
Was ist die Gefahrenstufe?
Vor über 25 Jahren haben sich die Lawinenwarndienste Europas auf eine gemeinsame Lawinengefahrenstufenskala geeinigt. Sie umfasst fünf Stufen, wovon in der Praxis für den Schneesport nur die unteren vier Stufen relevant sind. Die Gefahrenstufe hängt gemäß Definition von den folgenden drei Faktoren1 ab:
y Schneedeckenstabilität (sehr schwach, schwach, mittel, gut)
y Häufigkeit der Gefahrenstellen (keine, wenige, einige, viele)
y erwartete Lawinengröße (klein, mittel, groß, sehr groß, extrem groß)2
Die Bestimmung dieser Faktoren bedarf einer anspruchsvollen Definition und Einordnung in die jeweilige Skala – was bedeutet z. B. „schwach“, „wenige“ oder „sehr groß“. Die Einschätzung dieser drei Faktoren ist deshalb mit großen Unsicherheiten behaftet.
Die Gefahrenstufen im Lawinenlagebericht sind das Resultat einer strukturierten Experteneinschätzung. Diese wird anhand von Beobachtungen (Stabilitätstests, Schneeprofilen, Lawinenbeobachtungen, Alarmzeichen usw.), Messdaten, Wetterprognose und KI-Modellen3 getroffen. Dabei wird die Gefahrenstufe für großflächige Warnregionen (~15 x 15 km) ausgegeben. Die starke räumliche Verallgemeinerung spiegelt die Unsicherheit der Information wider.
Wegen der einfachen Verständlichkeit ist die Gefahrenstufe in der Skitouren-Community allgemein bekannt und beliebt. Eine Befragung durch den DAV auf den Gipfeln der Bayerischen Alpen zeigte, dass immerhin zwei Drittel der Skitourengänger die Gefahrenstufe kannten, die am fraglichen Tag Gültigkeit hatte.4
Bei routinierten Skitourengängern lässt sich andererseits beobachten, dass mit zunehmender Erfahrung auch die Skepsis gegenüber der Gefahrenstufe zunimmt.5
Gefahrenstufe und Stabilitätsverteilung
So viel zu den Grundlagen. Doch was sagt die Empirie zum Zusammenhang zwischen Gefahrenstufe und Stabilitätsverteilung?
Im Artikel „Risikomanagement da capo“ aus bergundsteigen #113 wird die beobachtete Schneedeckenstabilität bei verschiedenen Gefahrenstufen thematisiert. Hierzu wird auf eine Arbeit von Schweizer et al. (2003)6 verwiesen, in der 255 Rutschblock-Tests aus dem Raum Davos ausgewertet wurden.
Die Abb. 1 zeigt die Stabilitätsverteilung bei den Gefahrenstufen gering, mäßig und erheblich. Wie zu erwarten, treffen wir bei einer höheren Gefahrenstufe auf mehr instabile Gefahrenstellen, hingegen bei einer niedrigen Gefahrenstufe auf mehr stabile Gefahrenstellen.
Günter Schmudlach, Dipl.-Elektr oingenieur (ETH), ist Sof tware-Entwickler im GIS-B ereich. Seine Leidenschaft
für Berge. Schnee, Karten und Computer ha t zur Entwicklung d er Planungsplattform www.skito urenguru.ch geführt.
Bei routinierten Skitourengängern lässt sich beobachten, dass mit zunehmender Erfahrung auch die Skepsis gegenüber der Gefahrenstufe zunimmt.
Die letzten zwei Jahre haben eine Reihe ähnlich gelagerter Arbeiten zu Tage gefördert. Wir möchten hier nur zwei dieser Arbeiten zitieren. In Schweizer et al. (2020)7 wurden 589 Rutschblock-Tests ausgewertet. Die meisten dieser Tests fanden in der Region Davos in den Wintern von 2002 bis 2019 statt. Wenn wir die Stabilitätsklassen „schwach“ und „sehr schwach“ zusammenlegen, dann steigt deren gemeinsamer Anteil für die Gefahrenstufen 1-gering, 2-mäßig, 3-erheblich und 4-groß von 5 %, auf 13 %, 49 % bzw. 63 %. Die Abbildung 2 zeigt die Häufigkeiten bei den vier Gefahrenstufen. Insbesondere der große Sprung von der Gefahrenstufe „mäßig“ zu „erheblich“ sticht ins Auge.
In Techel et al. (2020)8 wird eine sehr große Anzahl von Stabilitätstests (4439 Rutschblock-Tests und 4871 Extended-ColumnTests) aus der Schweiz und aus Norwegen ausgewertet. Die Resultate, dargestellt in der Abbildung 3, zeigen ein ähnliches Bild.
Zusammenfassend lässt sich aus den drei zitierten Arbeiten erkennen, dass zwischen Gefahrenstufe und Schneedeckenstabilität ein Zusammenhang besteht. Schwache und sehr schwache Schneedeckenstabilität wird bei steigender Gefahrenstufe häufiger beobachtet. Gleichzeitig wird die Schneedeckenstabilität aber kaum durch die Gefahrenstufe ursächlich beeinflusst. Stehe ich vor einem Einzelhang, sind alle Schneedeckenstabilitäten möglich, je nach Gefahrenstufe sind aber manche wahrscheinlicher als andere.
Abb. 1 Stabilitätsverteilung gemäß Schweizer et al. (2003), aufgeschlüsselt nach lokaler Gefahrenstufe (LN).
Stehe ich vor einem Einzelhang, sind alle Schneedeckenstabilitäten möglich, je nach Gefahrenstufe sind aber manche wahrscheinlicher als andere.
Abb. 2 Stabilitätsverteilung gemäß Schweizer et al. (2020), aufgeschlüsselt nach lokaler Gefahrenstufe (LN).
Abb. 3 Stabilitätsverteilung gemäß Techel et al. (2020), aufgeschlüsselt nach lokaler
(LN).
Abb. 4 Lawinenwarner verdichten Punktbeobachtungen zu verallgemeinerter Information. Wintersportler übertragen die verallgemeinerte Information auf die lokale Umgebung (lokal und zonal).
PunktInformation Generalisierte Information
Lokale Gefahrenstufe
Die drei zitierten Arbeiten enthalten indirekt noch einen weiteren Aspekt zur Interpretation der Gefahrenstufe. Ganz selbstverständlich haben wir angenommen, dass wir von der Gefahrenstufe gemäß Lawinenlagebericht sprechen, wenn wir die Häufigkeit von Stabilitätsklassen beschreiben. Die genannten drei Arbeiten basieren jedoch auf der sogenannten lokalen Gefahrenstufe.
In den drei Studien werden zwei Typen von Gefahrenstufen definiert:
y Regional Forecast (RF): regionale prognostizierte Gefahrenstufe. Diese Gefahrenstufe stammt aus dem Lawinenlagebericht und gilt für eine Warnregion.
y Local Nowcast (LN)9: lokale, auf den Augenblick bezogene Gefahrenstufe. Diese Gefahrenstufe stammt von einem Lawinenbeobachter im Feld. Da sich die Beobachtungen auf eine konkrete Umgebung beziehen, darf man annehmen, dass der Informationsgehalt der LN im Vergleich zur RF zunimmt.
Wichtig zum Verständnis der Abb. 1 bis 3 ist, dass sich die Stabilitätsverteilungen auf den Local Nowcast (LN) beziehen. Damit stellt sich unmittelbar die Frage, inwiefern sich LN und RF voneinander unterscheiden. Nimmt man die 4439 Rutschblock-Tests von Techel et al. (2020), dann stimmen RF und LN in 74 % der Fälle überein. In weiteren 21 % der Fälle liegt die Einschätzung gemäß Lawinenlagebericht um eine Stufe höher,
als die Einschätzung der Lawinenbeobachter. In 5 % der Fälle haben die Lawinenbeobachter die Gefahrenstufe um eine Stufe tiefer eingeschätzt (siehe Abb. 5). Schweizer et al. (2020) kommen auf eine ähnliche Übereinstimmung von 70 %, 25 % und 5 %. Local Nowcast (LN) und Regional Forecast (RF) sind auf jeden Fall sehr eng miteinander verknüpft. Oder anders ausgedrückt: Wer die Gefahrenstufe aus dem Lawinenlagebericht kennt, kennt auch mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits die „lokale Gefahrenstufe“, die ein geschulter Lawinenbeobachter der näheren Umgebung zuweisen würde.
Zonale Gefahrenstufe
Diskussionen zur Gefahrenstufe enden nicht selten mit dem folgenden Zitat: „Eine Gefahrenstufe gilt immer für eine Region und nicht für einen bestimmten Einzelhang. Sie sollte vor Ort überprüft werden.“ Zugespitzt wird diese Einschränkung mit dem markigen Satz „Der Einzelhang hat keine Gefahrenstufe“.
Werner Munter hat drei räumliche Stufen definiert: „regional“, „lokal“ und „zonal“. Heutzutage ist es üblich, für diese drei Phasen der Skitour die Begriffe „Planung“, „vor Ort“ oder „Einzelhang“ zu verwenden. Nach einer orthodoxen Auffassung ist die Gefahrenstufe nur für die Stufe „regional“ und „lokal“ definiert. Werfen wir erneut einen Blick auf die drei Faktoren der Gefahren-
Erst auf der Stufe „zonal“ wäre es theoretisch möglich, durch gleichmäßig verteilte Stabilitätstests eine wirklichkeitsnahe Aussage zur Schneedeckenstabilität zu machen.
stufe (Schneedeckenstabilität, Häufigkeit der Gefahrenstellen, Lawinengröße), dann können wir Folgendes feststellen:
Auf den Stufen „regional“ und „lokal“ lässt sich die Gefahrenstufe in der Regel lediglich schätzen. Dazu werden Punktinformationen verallgemeinert (siehe oberer Pfeil der Abbildung 4). Erst auf der Stufe „zonal“ wäre es theoretisch möglich, durch gleichmäßig verteilte Stabilitätstests eine wirklichkeitsnahe Aussage zur Schneedeckenstabilität zu machen. Wie auch immer man zu einer „zonalen Gefahrenstufe“ steht, die drei Faktoren der Gefahrenstufe sind prinzipiell auch für eine Zone (z. B. einen Einzelhang) definiert.
Ob ein Einzelhang eine Gefahrenstufe hat, ist eine akademische Frage. Als Tourengeher werden wir in unserem Einzelhang kaum ein Dutzend Stabilitätstests durchführen können, bevor wir ihn betreten. D. h., auch wenn es sie gibt, bleibt uns die „zonale Gefahrenstufe“ verborgen. Im Tourenalltag sind wir deshalb oft auf die „regionale Gefahrenstufe“ zurückgeworfen und müssen uns der Frage stellen, inwieweit wir sie auf die einzelne Zone (z. B. einen Einzelhang) übertragen dürfen.
Gefahrenstufe und Lawinenrisiko
Seit Langem ist bekannt, dass Unfälle meistens bei den Gefahrenstufen 2-mäßig und 3-erheblich, relativ selten aber bei 1-gering
oder 4-groß stattfinden. Das Unfallgeschehen ist hierbei nicht nur von Unfallfaktoren (wie Gefahrenstufe oder Neigung) geprägt, sondern ganz entscheidend auch von der Begehungshäufigkeit der Skitouren-Community.
Ganz offensichtlich hängt die Seltenheit von Unfällen bei der Gefahrenstufe 4-groß auch damit zusammen, dass diese Gefahrenstufe nur an wenigen Tagen pro Winter ausgegeben wird und viele Tourengeher dann zu Hause bleiben. Wer also die Relevanz von Unfallfaktoren bestimmen möchte, muss zwingend das Unfallgeschehen zur Anzahl von Begehungen/Befahrungen in Bezug setzen.
Eine kürzlich veröffentlichte Arbeit von Winkler et al. (2021)10 berechnet RisikoVerhältnisse11 aus 808 Lawinenunfällen und aus einer riesigen Sammlung an Tracks, die von Skitourengängern mit GPS im Feld aufgenommen wurden. Aus diesen zwei Datensätzen schätzen die Autoren erstmalig den Risikoanstieg in Abhängigkeit der Information aus dem Lawinenlagebericht. Während W. Munter noch von einem Risikoanstieg um den Faktor 2 von Gefahrenstufe zu Gefahrenstufe ausging, kommen die Autoren auf ungefähr den doppelten Wert:
y Zwischen der Gefahrenstufe 1-gering und 2-mäßig steigt das Lawinenrisiko um den Faktor 5,5.
y Zwischen der Gefahrenstufe 2-mäßig und 3-erheblich steigt das Lawinenrisiko um den Faktor 3,2.
Jochen Köhler ist Professor für konstrukti ven Ingenierbau mit Schwerpunkt Risiko und Zuverlässigkeit an der Technisch-Naturwiss enschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim. Er ist fasziniert v on der Anwendung seiner wissenschaf tlichen Erkenntniusse in der e ignenen priuvaten Tourenplanung.
Wer also die Relevanz von Unfallfaktoren bestimmen möchte, muss zwingend das Unfallgeschehen zur Anzahl von Begehungen/ Befahrungen in Bezug setzen.
y Zum Anstieg des Lawinenrisikos zwischen der Gefahrenstufe 3-erheblich und 4-groß können die Autoren mangels Daten keine Aussage machen.
Die Gefahrenstufe ist demnach deutlich mit dem beobachteten Unfallgeschehen verbunden. Moderne Lawinenlageberichte bezeichnen neben der Gefahrenstufe auch die sogenannte Kernzone, d. h. besonders gefährliche Höhen und Expositionen. Die Arbeit von Winkler et al. (2021) weist für die Kernzone die folgenden Risiko-Verhältnisse nach:
y Wer innerhalb der kritischen Höhenstufe unterwegs ist, trägt ein 5,4-mal höheres Risiko als jemand, der außerhalb der kritischen Höhenstufe unterwegs ist. y Wer innerhalb der kritischen Expositionen unterwegs ist, trägt ein 3-mal höheres Risiko als jemand, der außerhalb der kritischen Expositionen unterwegs ist.
Die Abbildung 6 zeigt das Risiko-Verhältnis, aufgeschlüsselt für die vier Fälle, die sich für die Kernzone ergeben. Die Kernzone meiden lohnt sich. Ganz offensichtlich beinhaltet der Lawinenlagebericht hochgradig relevante Information über das Lawinenrisiko.
Gefahrenstufe aktualisieren
Zweifellos, die Gefahrenstufe kann die Schneedeckenstabilität nicht vollständig beschreiben. Wie die zitierten Arbeiten
aufzeigen, enthält sie aber erstaunlich viel Information zur Schneedeckenstabilität und zum Unfallpotential. Zudem steht die Gefahrenstufe schon in einem sehr frühen Stadium der Skitour (am Vorabend) zur Verfügung.
Mit Fortschreiten der Skitour kommt üblicherweise weitere Information hinzu: Alarmsignale, vergangener und gegenwärtiger Verkehr, Lawinenproblem, Wetterverlauf oder Resultate aus Schneedeckenuntersuchungen. Nichts hindert uns daran, mit Hilfe der analytischen Lawinenkunde die Einschätzung zur Schneedeckenstabilität und zum Unfallpotential zu aktualisieren. Wichtig bei diesem Prozess sind vor allem drei Aspekte:
y Einmal gewonnene Information (z. B. unsichere Information aus dem Lawinenlagebericht) dürfen wir nicht ohne Not einfach verwerfen, sondern wir sollten diese Information aktualisieren. Gefahrenstufe und Kernzone aus dem Lawinenbulletin also nicht wegwerfen, sondern anpassen. Als Beispiel kann der NivoCheck 2.0 des Schweizerischen Bergführerverbandes (SBV) dienen.
y Aufgepasst, das Aktualisieren kann dann zu einem systematischen Fehler führen, wenn Information, die bereits in den Lawinenlagebericht eingeflossen ist, ein zweites Mal verwendet wird. Das ist eine tückische Falle, denn wir wissen nicht, welche Information der Lawinendienst bereits „verarbeitet“ hat.
y Das Aktualisieren der Einschätzung zur Schneedeckenstabilität sollte einem wohl definierten formalen Regelwerk folgen. Daniel Kahneman (Nobelpreisträger) erklärt in „Noise“13, weshalb es nur einem formalen Regelwerk gelingen kann, subjektive Einflüsse zu minimieren und die Streuung im Endresultat der Einschätzung klein zu halten.
Zum letzten Aspekt gehört auch, dass neue Information mit ausreichender Bestimmtheit bewertet werden kann. Fragen nach der Wahrscheinlichkeit für die Bruchinitiierung bzw. die Bruchausbreitung genügen diesem Kriterium zum Beispiel nicht. Sie führen fast zwingend zu einer hohen Streuung im Resultat und damit in eine folgenschwere Beliebigkeit. Manchmal ist die Natur geizig, mit fortschreitender Skitour sind wir so schlau wie zu Beginn der Skitour.
Hin und wieder sind die verfügbaren Signale widersprüchlich. In „Noise“ beschreibt Kahneman auch Beispiele von anekdotischer bzw. irrelevanter Information, die uns nur ablenkt. Die Einsicht, dass eine spezifische Situation kaum mehr zu beurteilen ist, bedingt allerdings ein Mindestmaß an selbstkritischer Introspektion und Demut. In realen Situationen kommt es auf jeden Fall regelmäßig vor, dass wir unser Wissen zur Schneedeckenstabilität und zum Unfallpotential kaum angemessen aktualisieren können.
In einem solchen Fall sehen wir uns zurückgeworfen auf die Information aus dem Lawinenlagebericht und auf unser Wissen über das Gelände. Sofern wir dann mit einer größeren Sicherheitsmarge arbeiten, können wir unser Risiko dank Reduktionsmethoden jedoch auf einem akzeptablen Niveau halten.
Die Einsicht, dass eine spezifische Situation kaum mehr zu beurteilen ist, bedingt allerdings ein Mindestmaß an selbstkritischer Introspektion und Demut.
Fazit
Wohl definierte formale Regelwerke wecken Ängste: So wird befürchtet sie schränkten die Freiheit ein, nivellierten die Lawinenkunde oder führten ins Gefängnis. Wir halten es mit W. Munter, der gesagt haben soll: „Fürchte die Lawine und nicht das Gefängnis.“ Auch Personen in Garantenstellung haben ein Interesse an einer Lawinenkunde, die strengen formalen Kriterien genügt.
Den Reduktionsmethoden wird angekreidet, dass sie Informationen unterschiedlicher räumlicher Auflösung (Gelände und Lawinenlagebericht) kombinieren. In den Naturwissenschaften werden solche Verschnitte kritisch diskutiert. Diese Betrachtungsweise führt in die Irre, schließlich sind wir nicht als Naturwissenschaftler unterwegs, sondern als Entscheidungsträger. Unsere Entscheidungen haben zum Ziel, eine Balance zwischen Sicherheit und Freiheit zu finden. Zu diesem Zweck dürfen, ja müssen wir alle Information verwenden, die korrekt und relevant ist. Die oben aufgeführten Publikationen zur Schneedeckenstabilität und zum Lawinenrisiko zeigen, dass die Gefahrenstufe eine korrekte und relevante Größe zur Beschreibung der Schneedeckenstabilität darstellt.
Sehen wir uns als rationale Entscheidungsträger, dürfen wir nicht nur, sondern wir müssen die Gefahrenstufe in unsere Entscheidungsfindung miteinbeziehen. ■
Literatur & Begriffserklärung
1) https://www.slf.ch/de/lawinenbulletin-und-schneesituation/wissen-zum lawinenbulletin/gefahrenstufen.html
2) Die Lawinengröße spielt gemäß Techel et al. (2020) erst bei der Unterscheidung zwischen den Gefahrenstufen 3-erheblich und 4-groß eine Rolle.
3) KI: künstliche Intelligenz
4) Martin Schwiersch, Dieter Stopper, Tobias Bach: Verstehen Skitourengeher den Lawinenlagebericht? bergundsteigen 4/2005.
5) Markus Landrø, Audun Hetland, Rune Verpe Engeset, Gerit Pfuhl: Avalanche decision-making frameworks: Factors and methods used by experts, Cold Regions Science & Technology, 2020.
6) Jürg Schweizer, Kalle Kronholm, Thomas Wiesinger: Verification of regional snowpack stability and avalanche danger. Cold Region Science and Technology, 2003.
7) Jürg Schweizer, Christoph Mitterer, Benjamin Reuter, Frank Techel: Avalanche danger level characteristics from field observations of snow instability. The Cryosphere, 2020.
8) Frank Techel, Karsten Müller, Jürg Schweizer: On the importance of snowpack stability, the frequency distribution of snowpack stability, and avalanche size in assessing the avalanche danger level. The Cryosphere, 2020.
9) „Lokal“ bezieht sich übrigens auf die Phase II (lokal) von W. Munter und nicht auf die Phase III (zonal). Lawinenbeobachter bestimmen die Gefahrenstufe also für die Umgebung, in der eventuelle Tests stattfinden.
10) Kurt Winkler, Günter Schmudlach, Bart Degraeuwe, Frank Techel: On the correlation between the forecast avalanche danger and avalanche risk taken by backcountry skiers in Switzerland. Cold Regions Science and Technology, 2021.
11) https://de.wikipedia.org/wiki/Relatives_Risiko
12) Avalanche Risk Property Dataset (ARPD): https://info.skitourenguru.ch/index.php/data/212-arpd
13) Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass Sunstein: Noise: Was unsere Entscheidungen
verzerrt – und wie wir sie verbessern können. 2021.Deine Outdoor-Bekleidung ohne Kompromisse: Feinste Merinowolle. Hergestellt in Europa. Entworfen und getestet in Norwegen. Seit 170 Jahren.
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Notruf am Berg
Von Gerhard MössmerEines vorweg: In Zeiten von Starlink1, 5G2 und Co. schreitet die Entwicklung in der weltweiten Kommunikation so rasant voran, dass die Aktualität dieses Artikels vermutlich nur von kurzer Dauer sein wird. Nichtsdestotrotz wollen wir eine Momentaufnahme erstellen und etwas Licht in den Notruf-Dschungel am Berg bringen. „Welcher Dschungel?“, wird sich jetzt die nicht bergsteigende Person fragen, denn im
besiedelten Raum ist der Kuchen seit der Einführung der europäischen Notrufnummer schnell gegessen: Man wählt – die Netzabdeckung ist kein Thema – die 1123 und in der Regel ist in wenigen Minuten die angeforderte Blaulichtorganisation vor Ort. Wir Alpinsportler:innen wissen allerdings, dass die Sache oben am Berg leider nicht ganz so trivial ist …
10 seconds for 10 minutes
Bevor wir einen Notruf absetzen, gilt es ganz allgemein, einige wenige, dafür aber umso wichtigere Dinge abzuchecken. Dabei lautet die goldene Regel „10 seconds for 10 minutes“ oder anders ausgedrückt „Ruhe bewahren, Überblick verschaffen“:
y Was genau ist passiert?
y Drohen weitere Gefahren? Achtung:Selbstschutz geht vor Rettung!
y Ist eine sofortige Evakuierung der verunfallten Person aus einem Gefahrenbereich notwendig?
y Ehestmöglich mit der Ersten Hilfe nach dem (cr)ABCDE-Schema beginnen.
y Sofort Notruf absetzen, wenn ohne Zeitverlust möglich.
Beim Notruf führt der sogenannte „Call-Taker“ der jeweiligen Leitstelle das Gespräch. Dafür sind wir auf folgende Fragen vorbereitet:
y Wo genau ist der Unfall passiert?
y Wer meldet den Unfall?
y Was genau ist passiert?
y Wie viele Personen sind betroffen?
y Wichtige Details zur Situation wie Unfallzeitpunkt, Vitalfunktionen, Symptome etc.?
y Bestehen weitere Gefahren z. B. durch Wetter?
Gerhard Mössmer ist Bergund Skiführer, Sachverständiger und Bergretter. Er arbeitet beim ÖAV in der Abteilung Bergsport, wo er für Publ ikationen, Lehrmeinung und das ÖAV-Lehrteam verantwortlich ist.
Nicht überall am Berg hat man Handyempfang. Ein Überblick über Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlichster Alarmierungs-Tools.
Szenario 1: kein Mobilfunknetz
Alpines Notsignal
kein Mobilfunknetz kein Notruf möglich Standort wechseln
(Funkgerät)
6 Zeichen
selbst oder jemanden schicken
Notruf an Hütte, Kollegen etc.
GSM-Netz Notruf absetzen
1 Pause GSM-Netz Notruf durch dritte Person
1 Minute Pause ... Alpines
Das Hauptproblem liegt darin, dass uns am Berg oder in der sprichwörtlichen „Pampa“ – beispielsweise auf Reisen – noch immer kein flächendeckendes Mobilfunknetz zur Verfügung steht, um einen Notruf abzusetzen. Und leider ist „kein (Mobilfunk-)Netz“ gleichbedeutend mit „kein Notruf“. Um diese Problematik zu lösen, sind unsere Mittel mehr als bescheiden (Abb. 1).
Alpines Notsignal. Zum einen haben wir natürlich immer die Möglichkeit, das alpine Notsignal abzusetzen: Dabei geben wir in regelmäßigen Abständen – optisch in Form von Lichtsignalen und/oder akustisch in Form von Pfiffen – sechs Zeichen hintereinander ab, dazwischen machen wir eine Pause von einer Minute (Abb. 2).
Standortwechsel. Zudem können wir durch einen Standortwechsel versuchen, Mobilfunkempfang zu erhalten. Diese Möglichkeit ist aber sehr stark von der Gesamtsituation abhängig: In welchem Zustand ist/sind der/die Verletzte/n?
Welche Gefahren bestehen bei einem Standortwechsel? Wie groß ist die Gruppe und wie groß ist überhaupt die Chance, zeitnah Mobilfunkempfang zu erhalten?
In Abwägung dieser Rahmenbedingungen kann man „im Idealfall“ zwei Personen gemeinsam schicken, um zu versuchen, über ein Mobilfunknetz (Abb. 3) einen Notruf abzusetzen.
Funkgerät. Im Gegensatz zu Österreich war und ist in der Schweiz die Mitnahme eines Funkgerätes für professionelle Führungskräfte gang und gäbe. Dazu Christian Andermatt, Bergführer und Fachleiter Ausbildung Winter vom SAC: „In der Schweiz haben insbesondere Bergführer älteren Semesters immer noch ein Funkgerät dabei. Hauptsächlich wegen der Alarmierung infolge eines Unfalls bei fehlender Handynetz-Abdeckung. Die meisten Funkgeräte sind Rega4-Funkgeräte, welche auf die Relaisstationen des Rega-Funknetzes zugreifen. Diese haben aber keine freie Frequenzwahl.“
Abb. 1 Szenario 1: kein Mobilfunknetz vorhanden. Abb. 2 Alpines Notsignal mit sechs optischen oder akustischen Zeichen. NotsignalSzenario 2: Satellitenkommunikation
Eine Alternative für Personen, die häufig in Regionen ohne Mobilfunk-Netzabdeckung unterwegs sind, ist die Kommunikation via Satellitennetz. Im Moment stehen uns vier Satellitennetze zur Verfügung. Dabei ist das Iridium-Netz (Abb. 4) das einzige Satellitennetz mit einer weltweiten Netzabdeckung, Inmarsat (Abb. 5) hat – außer an den Polen – ebenfalls eine sehr gute Netzabdeckung, Globalstar (Abb. 6) und Thuraya (Abb. 7) sind hingegen nicht weltweit flächendeckend. Für die Kommunikation via Satelliten braucht es – mit einer Ausnahme, aber dazu später mehr – eigene Geräte, die durch die Bank natürlich mit Anschaffungsund laufenden Kosten verbunden sind. Dabei ist das „klassische“ Satellitentelefon5 die Deluxe-Variante, mit der man jede Nummer (mit Vorwahl) in terrestrischen Netzen erreichen und wie gewohnt telefonieren kann. Hat man nicht das Bedürfnis, immer und überall uneingeschränkt telefonieren
zu können, sondern will man einzig ein Backup für den Notfall, bieten sich sogenannte Messenger an. Für den Bergsportbereich kommen hierfür die Geräte von SPOT und Garmin in Frage.
y SPOT6. Die Geräte SPOT Gen4 (Abb. 8) und SPOT X (Abb. 9) arbeiten beide im nicht ganz flächendeckenden Globalstar-Netzwerk (schade für Bergsteiger*innen, denn leider deckt das Globalstar-Netz die Himalaya-Regionen nicht ab). Sie senden den Notruf an die rund um die Uhr besetzte Focus-Point-International-Notrufzentrale7 mit Sitz in Miami, Florida. Diese Zentrale alarmiert anschließend die jeweilige Notrufnummer im terrestrischen Netz (z. B. die 112 in Europa bzw. die 911 in den USA). In der Schweiz kann man seit 2021 die Rega (Luftrettung) mit der Nummer 076 6011414 direkt mit einem Satellitenmessenger (SPOT oder inReach) ohne Umweg über die USA
Abb. 8 SPOT Gen4
UVP 189,99 €
Globalstar-Netzwerk
y SOS-Notruf Focus Point Int.
y Tracking
y Check-in (einfache Okay-Mitteilung)
y Ein-Weg-Kommunikation
Akkulaufzeit: 1250 Nachrichten
Kosten: ab 17,97 €/Monat bei Jahresvertrag
primäre Abdeckung geringe Abdeckung (Kunde sollte damit rechnen das schwächere Signal zu spüren)
Abb.4 IridiumNetz mit weltweiter Abdeckung Abb. 5 InmarsatNetzabdeckung Abb. 7 ThurayaNetzabdeckungAbb. 9 SPOT X UVP 299,00 € Globalstar-Netzwerk
y SOS-Notruf Focus Point Int.
y Zwei-Wege-Kommunikation
y App Tracking Check-in (einfache OkayMitteilung)
y Kompass
Bis 10 Tage Akkulaufzeit
Kosten: ab 17,79 €/Monat
SOS und einwegige Nachrichten SOS und bidirektionalen Nachrichten
und damit ohne zeitliche Verzögerung alarmieren.8 Mit dem kleineren SPOT Gen4 ist neben dem Absetzen des obligatorischen SOS-Notrufes auch Tracking sowie Ein-Weg-Kommunikation möglich. Das größere SPOT X bietet zudem das Feature einer bidirektionalen Kommunikation via Messenger, es hat in dieser Funktion aber eine minimal kleinere Netzabdeckung.
Abb. 10 Garmin inReach Messenger
UVP 299,99 €
Iridium-Netzwerk (100 % globale Abdeckung)
y SOS-Notruf 24/7 an International Emergency Response Coordination Center (IERCC)
y Zwei-Wege-Kommunikation mittels App
y teilen der Positionen, Koordinaten per Textnachricht senden
y TrackBack Routing
y Wetterinformationen
Akkulaufzeit bis 28 Tage
Kosten: ab 19,99 €/Monat, 14,99 €/Monat bei Jahresvertrag
Abb. 11 Garmin inReach Mini2
UVP 399,99 €
Iridium-Netzwerk (100 % globale Abdeckung)
y SOS-Notruf 24/7 an International Emergency Response Coordination Center (IERCC)
y Zwei-Wege-Kommunikation
y teilen der Positionen, Koordinaten per Textnachricht senden
y GPS-Navigation
y TrackBack Routing
y Wetterinformationen
y digitaler Kompass
Akkulaufzeit bis 14 Tage
Kosten: ab 19,99 €/Monat, 14,99 €/Monat bei Jahresvertrag
y Garmin9 Im Bereich der GPS-Navigation ist Garmin schon lange Marktführer. Mit der Übernahme von DeLorm ist der US-Konzern 2016 auch in die 2-Wege-Satellitenkommunikation eingestiegen. Die Geräte von Garmin verwenden das Iridium-Netz mit 100 % Abdeckung weltweit. Die Notrufe gehen
dabei an die 2020 von Garmin übernommene Notrufzentrale IERCC10 (ehemals GEOS) mit Sitz in Montgomery, Texas. Der kleinere Garmin inReach Messenger (Abb. 10) kann neben dem Absetzen eines SOS-Notrufs über die Messenger-App auch bidirektional kommunizieren und Wetterda-
ten empfangen. Zudem können Positionen geteilt und Koordinaten per Textnachricht versendet werden. TrackBack Routing ist ebenfalls möglich. Mit dem etwas größeren Garmin inReach Mini2 (Abb. 11) kann man zudem GPS-navigieren, außerdem verfügt das Gerät über einen digitalen Kompass.
y Apple. Mit dem iPhone 14 von Apple (Abb. 12) wird ein neues Kapitel zum Thema Notruf aufgeschlagen: Erstmals ist es möglich, an einem Ort ohne Mobilfunk-Netzabdeckung mit einem „herkömmlichen“ Telefon einen Notruf via Satellit abzusetzen. Dabei verwendet Apple (leider) das nicht flächendeckende Globalstar-Netzwerk, weshalb der Dienst in den Bereichen nördlich des 62. Breitengrades nicht funktioniert. „Notfall via Satellit“ ist in den USA, Kanada, Frankreich, Deutschland, Irland, Großbritannien und seit Ende März mit iOS 16.4 auch in Österreich, Belgien, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und Portugal verfügbar (Abb. 13). Abgesetzt wird der Notruf per Notruf-Button am Display, die bidirektionale Kommunikation erfolgt per SMS-Texteingabe.
y Bullit. Inzwischen hat das britische Telekommunikationsunternehmen Bullit11, zu dem die Marke CAT Phones gehört, mit dem CAT S75 ein Handy mit Android-Betriebssystem herausgebracht, das ebenso wie das iPhone 14 Satellitenkommunikation ermöglicht. Im Vergleich zum iPhone ist es preisgünstiger und während momentan die Satellitenkommunikation beim iPhone 14 lediglich für Notrufe funktioniert, erweitert CAT die Funktion auch auf gewöhnliche
Abb. 14 Motorola Defy Satellite Link (UVP 179,00 €). Mit den Abmessungen 8,5 x 6,2 x 1,1 cm und 70 Gramm ein sehr handliches Gerät. Im Vergleich dazu der Garmin Messenger: 7,8 x 6,4 x 2,3 cm und 114 Gramm und das inReach Mini 2: 5,17 x 9,90 x 2,61 cm, 100 Gramm.
Textnachrichten und auf das Live-Tracking des eigenen Standortes durch Freunde oder Familie. Bullitt und Motorola haben zudem eine Markenpartnerschaft geschlossen und mit dem Motorola Defy 2 ein weiteres Outdoorhandy für die Satellitenkommunikation angekündigt. Ebenso bieten sie mit dem Motorola Defy Satellite Link (Abb. 14) ein Gerät an, das jedes Android-Smartphone ab Android 10 und jedes Apple iPhone ab iOS 14 an den Satelliten-Messaging-Dienst von Bullit anbinden kann. Der Satelliten-Hotspot wird per Bluetooth mit dem Smartphone verbunden und mit einer App kann man dann das Smartphone als Zwei-Wege-Satelliten-Messenger nutzen, also nicht nur Notrufe absetzen, sondern auch privat chatten. Der Haken bei Bullit ist die Abdeckung (Abb. 15). Momentan funktioniert die Satellitenkommunikation nur in den USA und in Europa. Bald soll Kanada hinzukommen und Teile der Südhalbkugel.
y Ausblick. Wie eingangs erwähnt, ist die Entwicklung im Bereich der globalen Kommunikation via Satellit – die USA machen es uns bereits vor – rasant. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir mit unseren herkömmlichen Smartphones diese Technologie vollumfänglich nützen und weltweit uneingeschränkt telefonieren können …
aktuell abgedeckt
Abdeckung ab Juni 2023
Phase 3 - Juli 2023
Phase 4 - Q3 2023 nicht bestätigt nicht abgedeckt
Abb. 15 Bullit-Satelliten-Abdeckung. Im Großteil von Europa und den USA funktioniert die Kommunikation schon. Kanada und Teile der Südhalbkugel sollen noch im Laufe von 2023 folgen.
Satellintentelefon
Satelliten SPOT X
SPOT Gen4
inReach Mini2
inReach Messenger
Inmarsat (weltweit außer Pole)
Globalstar (nicht flächendeckend)
Iridium (weltweit)
Thuraya (nicht flächendeckend)
Globalstar-Netzwerk (nicht flächendeckend)
Irridium-Netzwerk (weltweit)
Abb. 16 Die wichtigsten Satellitenkommunikationssysteme im Überblick. Wo geht der Notruf hin?
Jede Nummer (mit Vorwahl) in terrestrischen
Netzen
Focus Point Int.
112 in EU
911 in USA
IERCC (ehem. GEOS)
112 in EU
911 in USA
Szenario 3: Mobilfunk-Fremdnetz verfügbar
Aber bis es so weit ist, wollen wir das nächste Szenario genauer unter die Lupe nehmen: Wir haben kein eigenes Netz, können aber über ein fremdes Netz den Notruf absetzen (Abb. 17). In dieser Konstellation sind weder Apps noch der Alpinnotruf 140 möglich, dafür funktioniert die europäische Notrufnummer 112. Galt seit jeher die Empfehlung „SIM-Karte rausnehmen und statt PIN die 112 wählen“, um einen Notruf abzusetzen, müssen wir dafür heute einfach den Button „nur Notruf möglich“ (oder so ähnlich, je nach Betriebssystem) am Smartphone drücken.
In Österreich ist die 112 Angelegenheit des Bundesministeriums für Inneres (BMI) und wird somit von der Polizei bedient. „Die Anrufe schlagen in der Landesleitzentrale (LLZ) der Polizei des jeweiligen Bundeslandes auf und können im Bedarfsfall auch an die zuständige Rettungs-Leitstelle weitergeleitet werden“12, weiß Oberstleutnant Viktor Horvath, Leiter der Alpinpolizei Tirol und stellvertretender Leiter der Alpinpolizei Österreich.
Auf die Frage nach der automatischen Weitergabe von Standortdaten durch AML (Advanced Mobile Location)13 erklärt Horvath weiter, dass das Betriebssystem der Landesleitzentrale zwar AML-ready ist, die Technologie aber aus datenschutzrechtli-
chen Gründen noch nicht eingesetzt werden kann14. Allerdings gibt es seit Mitte Februar 2023 in Österreich die Möglichkeit einer punktgenauen SMS-Ortung. Um diese durchführen zu können, fordert der NotrufAgent in der Landesleitzentrale den Notrufenden auf, ihm eine SMS zu senden. Der Notrufende muss dafür über ein Smartphone mit Internetzugang bzw. LTE-Empfang verfügen. Der Notrufenden erhält dann einen Link, mit dessen Bestätigung die GPS-Daten des Handys an die Landesleitzentrale übermittelt werden.
Eine Handy-Ortung auf Grundlage des Telekommunikationsgesetzes (TKG) wird im Notfall automatisch durchgeführt, d. h., man sieht im Umkreis von einigen Metern, in welchem Handymasten der Anrufer eingeloggt ist oder zuletzt eingeloggt war. Die Genauigkeit der Handyortung hängt von der Funkzellengröße ab. „Eine genaue Angabe über den Radius lässt sich hierbei nicht treffen, es können 20 oder auch 2000 Meter sein, da die Entfernungen sehr stark variieren und von sehr vielen verschiedenen Faktoren abhängen, die sich positiv oder negativ auf die Entfernungen auswirken können – z. B. Wetter, Örtlichkeit, Signalstärke, Art des Handys usw.“, erläutert Horvath.
Fremdnetz Alpinnotruf 140 (144 in Vorarlberg) nicht möglich
“nur Notruf möglich” Notruf-Button drücken 112 wird gewählt
Szenario 4: eigenes Mobilfunknetz verfügbar
Im letzten Szenario können wir aus dem Vollen schöpfen. Neben dem Euronotruf 112 (diesen kann man übrigens mit entsprechender Vorwahl – z. B. +43 512 für Innsbruck – auch aus dem Ausland wählen und gelangt dann z. B. zur LLZ Tirol) stehen uns nun auch der Bergrettungs-Notruf 140 sowie alle möglichen Alarmierungs-Apps zur Verfügung. Sollte das eigene Netz zu schwach zum Telefonieren sein, haben wir zudem die Möglichkeit, über den Gehörlosen-Notruf 0800 133 133 der Polizei Wien eine Notfallmeldung per SMS abzusetzen (Abb. 16).
y 140. Da in Österreich die 140 (ebenso wie die 133 und 144) Bundesländersache ist, organisieren die jeweiligen Bundesländer diese Dienste in der Regel über eigene Leitstellen15 bzw. Landeswarnzentralen16
Bei einem Alpin-Notfall in Österreich ist es im eigenen Netz auf alle Fälle günstiger, die 140 statt der 112 zu wählen. Warum? Man ist direkt mit der Leitstelle verbunden, die a.) ein eigenes, genaueres Abfrageprotokoll sowie speziell auf Alpinunfälle geschultes Personal hat und b.) den Einsatz direkt an die Rettungskräfte vor Ort disponiert. Anders als bei der 112 kann die 140 (zumindest in Tirol und Niederösterreich) AMLDaten empfangen. Dadurch ist auch der Dienst, die Positionsdaten per Rückbestäti-
gungs-SMS zu übermitteln, obsolet. Übrigens kann man die 140 mit entsprechender Vorwahl auch aus dem Ausland erreichen, was aber in Summe wenig sinnvoll ist, da keine Einsätze abgewickelt werden können. Also ist es jedenfalls besser, die lokale Notrufnummer (i. d. R. 112 in Europa) zu wählen.
y Notrufnummern alpenweit. In Deutschland gibt es nur mehr eine Notrufnummer, die 112. In der Schweiz führt die 112 in die Alarmzentrale der Polizei. Diese leitet den Notruf dann weiter an die schweizerische Rettungsflugwacht Rega oder an die kantonale Walliser Rettungsorganisation KWRO. Daher kann man, um Zeit zu sparen, direkt bei der Rega-Notfallnummer anrufen: +41 333 333 333 (für Handy mit SIM-Karte eines nichtschweizerischen Netzbetreibers) bzw. 14 14 (mit Schweizer SIM-Karte). Im Kanton Wallis gibt es noch die Notfallnummer 144 der Rettungsorganisation KWRO. Doch auch im Wallis funktionieren die Reganotfallnummern. In Frankreich gelangt man mit der 112 oder der Rettungsnotrufnummer 15 an die nächstgelegene Rettungsleitstelle. In der Region um Chamonix lohnt es sich, bei einem Alpinunfall, direkt die Bergrettungszentrale der Peloton de Gendarmerie de Haute Montagne (PGHM) anzurufen: 0033 450 53 16 89. Diese ist
Alpinnotruf 140
Eigenes Netz Euronotruf 112
Gehörlosen-Notruf 0800 133 133
+ Direkt an Rettungsleitstelle
+ Rückruf möglich
+ Position per AML
- Keine Priorisierung
+ Rückruf möglich
+ Priorisiert
- Keine Position per AML
- Geht an Polizei (BMI)
+ SMS möglich
- Geht an Funkstelle Polizei Wien
Abb. 18 Was tun in den österreichischen Alpen, wenn eigenes Netz vorhanden?
- Problematisch bei unklaren Ortsangaben
- Problematisch im grenznahen Bereich
+ Interessant bei schwachem Netz
rund um die Uhr (24 Std./7 Tage die Woche) besetzt. In Südtirol und Italien ist inzwischen die Euronotrufnummer 112 die bevorzugte Nummer für Alpinunfälle. Die noch funktionierende Rettungsnotrufnummer 118 (mit ausländischer SIM-Karte besser 0039 vorwählen) soll langfristig abgeschaltet werden.
y Apps. Für die Nutzung von Notfall-Apps braucht es mobile Daten, d. h., wir müssen uns im 3G-, 4G- oder 5G-Netz befinden. Haben wir eines dieser Netze zur Verfügung, können wir mittels App eine Notfallmeldung inklusive GPS-Positionsdatenübermittlung absetzen. „Für den Raum Bayern, Tirol und Südtirol ermöglicht die App SOS-EU-Alp diesen Service über das Smartphone. Dabei werden die Standortdaten im Notfall direkt an die zuständige Leitstelle (Tirol, Südtirol oder Bayern) übermittelt und eine direkte Sprachverbindung wird aufgebaut. So kann in weiterer Folge eine rasche Hilfe eingeleitet werden. Außerhalb von Tirol, Südtirol und Bayern erfolgt die Notfallmeldung in Form eines aktiven Anrufes an den EuroNotruf 112. Positionsdaten werden dabei
aber nicht übermittelt“, weiß Stefan Holleis von der Leitstelle Tirol. Die App kann im Notfall aber immer für eine exakte und rasche Ermittlung der Standortkoordinaten verwendet werden.
Eine Alternative zu SOS-EU-Alp (Abb. 19) ist die Notfall App Rettung 144 Niederösterreich (Abb. 20). Diese App verwendet die gleiche Technologie wie SOS-EU-Alp und funktioniert in ganz Österreich und Tschechien, die Notfalldaten werden an die Rettungsleitstelle Niederösterreich gesendet. Befindet sich der Hilfesuchende in Tirol, werden die Daten automatisiert und direkt an die Leitstelle Tirol weitergeleitet. Für Alpin-Notfälle steht ein eigener AlpinnotrufButton zur Verfügung.
Mit der App DEC112 (Abb. 21) kann mittels Text-Chat ein Notruf abgesetzt werden. Per Button kann die jeweilige Organisation (112, 122, 133, 140 oder 144) ausgewählt werden. Die aktuellen Standort- und GesundheitsDaten werden dabei (optional) automatisch an die Notruf-Zentrale gesendet. Derzeit ist die Verwendung der App nur in Österreich möglich.
Für die Schweiz ist die Rega-App zu empfehlen, und wer noch internationaler unterwegs ist, sollte auf EchoSOS zurückgreifen, die nahezu weltweit funktioniert. Ausführlich dazu und zu weiteren Notfall-Apps, wie 112 Where are U (Italien und weltweit), Nora (Deutschland) usw., informiert der Artikel von Alexandra Schweikart: Eine App für alle (Not-)Fälle, in: bergundsteigen #119, S. 82–87.
Fazit
Das Thema Notruf am Berg ist grundsätzlich einfach, aber nicht ganz trivial. Je nachdem, welches Service uns am Berg zur Verfügung steht, ist die Bandbreite groß: Haben wir unser eigenes Netz in voller Stärke zur Verfügung, läuft das Werk in der Regel wie geschmiert.
Haben wir dagegen das Worst-Case-Szenario – also gar kein Netz –, kann die Sache schnell kritisch werden und bei allem, was dazwischen liegt, bleiben immer noch Fragen offen, mit denen wir uns aber vermutlich in wenigen Jahren nicht mehr auseinandersetzten müssen …
Fußnoten
1. Starlink ist ein vom US-Raumfahrtunternehmen SpaceX betriebenes Satellitennetzwerk, das seit 2020 in verschiedenen Ausbaustufen weltweiten Internetzugang bietet (Wikipedia).
2. 5G ist ein Mobilfunkstandard, der seit 2019 an Verbreitung gewinnt (Wikipedia).
3. Der Euronotruf 112 ist ein gebührenfreies, länderübergreifendes Notrufsystem in Europa (Wikipedia).
4. Die Schweizerische Rettungsflugwacht Rega ist eine gemeinnützige private Stiftung für Luftrettung in der Schweiz, die 1952 von Mitgliedern der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft gegründet wurde und ihren Sitz am Flughafen Zürich hat.
5. Sehr hilfreiche Informationen über Netzabdekkung, Kosten etc. sowie einen Vergleich der gängigen Geräte findet man auf: www.satelliten-telefon.com
6. www.findmespot.com
7. www.focuspointintl.com
8. Die Rega empfiehlt, im Gerät die E-Mail-Adresse alarm@rega.ch zu hinterlegen, um die Rega-Einsatzzentrale im Notfall auf diesem Weg zu kontaktieren. Mit einer Meldung an diese Adresse wird zudem der aktuelle Standort übermittelt und die Rega kann direkt antworten. Diese Option gibt es nur in der Schweiz und im Schweizer Grenzgebiet.
9. www.garmin.com
10. International Emergency Response Coordination Center (ehemals GEOS): www.iercc.com/en-US/
11. www.bullit.com
12. Im ELKOS-System der LLZ wird hierzu ein Protokollvermerk über die Weitervermittlung angelegt.
13. Advanced Mobile Location ist ein quelloffener Dienst zur Positionsbestimmung von Anrufern bei Nutzung einer Notrufnummer (Wikipedia).
14. Das Thema wurde durch die Finanzprokuratur geprüft und für rechtlich nicht umsetzbar befunden, an einer Lösung wird aber gearbeitet.
15. Z. B. Tirol: Die LT ist als GmbH geführt, wobei das Land Tirol hundertprozentiger Gesellschafter ist.
16. Z. B. Steiermark: Die LWZ ist dem Amt der steiermärkischen Landesregierung unterstellt. ■
echoSOS
y Funktioniert weltweit
y Übermittlung von Standortdaten
y Herstellung einer Telefonverbindung
rega
y Etliche Zusatzfunktionen
y Funktioniert in der Schweiz und Grenzgebiet
y Direkt an Leitstelle
y Übermittlung von Personen- u. Standortdaten
Eigenes Netz
Apps
SOS-EU-Alp
y Herstellung einer Telefonverbindung nur in Bayern, Tirol und Südtirol (außerhalb: Telefonverbindung zu 112)
144 Rettung
Notruf NÖ
DEC112
Gleiche Technologie wie “SOS-EU-Alp”
y Funktioniert in ganz Österreich und Tschechien
y Funktioniert in ganz Österreich
y nur textbasiert
Abb. 22 Eigenes Netz vorhanden: Welche Apps funktionieren in den Alpen?
Doping am Berg?
Die Einnahme von Medikamenten und leistungssteigernden Mitteln im Bergsport ist kein neues Phänomen. Ein Überblick über die Gratwanderung zwischen Krankheitsprophylaxe, Therapie und unmoralischer Leistungssteigerung.
Von Christoph Dehnert
Bergsport ist eine Natursportart, die sich über die letzten Jahre immer größerer Beliebtheit erfreut. Insbesondere Höhen- und Expeditionsbergsteigen gilt als anspruchsvolle und herausfordernde Sportart, die körperliche Fitness, technisches Können, aber auch mentale Stärke erfordert. Die Jagd nach Gipfeln und das Streben, persönliche Grenzen auszuloten, haben viele Menschen dazu inspiriert, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Bergsport ist aber in erster Linie eine Freizeitaktivität ohne Wettkampfcharakter. Wettkampfmäßig ausgeübte Disziplinen machen nur einen kleinen Teil dieser Natursportart aus. Und eben weil Bergsteigen eine Natursportart ist, bei der nach Ansicht der allermeisten Bergsteiger das Naturerlebnis im Vordergrund steht, sollte hier der Einsatz von Medikamenten und erst recht Doping keinen Platz haben. Die Realität zeigt aber, dass in bestimmten Bereichen des Bergsteigens Medikamente kaum mehr wegzudenken sind.
Kein neues Phänomen
Der Einsatz von Substanzen, von denen man sich eine bessere Höhenanpassung oder eine Leistungssteigerung verspricht, ist wahrscheinlich so alt wie das Bergsteigen selbst. Im 19. Jahrhundert waren es diverse Tinkturen und Spirituosen. Mitte des 20. Jahrhunderts, im Rahmen
der frühen 8000er-Expeditionen, standen Stimulanzien ganz oben auf der Liste. Auf diese Substanzgruppe, die im heutigen Sport zu Recht längst auf der Verbotsliste steht, wurde beispielsweise von Hermann Buhl bei der Erstbesteigung des Nanga Parbat 1953 zurückgegriffen.
Heute sind es zumeist Medikamente zur Prävention der akuten Höhenerkrankungen, die eine Bergbesteigung leichter machen sollen. Aber auch Substanzen, die aus Dopingfällen im Leistungssport zweifelhafte Berühmtheit erlangt haben, wie z. B. Erythropoetin, stehen auf der Medikationsliste einiger Bergsteiger. Zu dieser Problematik trägt sicherlich auch die extreme Kommerzialisierung des Bergsports, insbesondere des Expeditionsbergsteigens bei. Kommerzielle Anbieter suggerieren in ihren Ausschreibungen oft schon eine „Gipfel-Garantie“. Dafür müssen die Teilnehmer natürlich fit sein und dürfen keinesfalls höhenkrank werden. An dieser Stelle ist der Einsatz von Medikamenten zur Prophylaxe der akuten höhenbedingten Erkrankungen (akute Bergkrankheit (ABK), Höhenlungenödem (HLÖ) oder Höhenhirnödem (HHÖ)) oft kaum zu umgehen, da häufig die Zeit für eine gute Akklimatisation im Vorfeld der Unternehmung fehlt. Was aus medizinischer Sicht vernünftig klingt, ist aus bergsteigerischer Sicht zumindest diskutabel.
„Dopingliste“ für das Bergsteigen
Der Einsatz von Medikamenten zur Verbesserung von Akklimatisation und Leistungsfähigkeit hat in den vergangenen Jahren nach Angaben der Medizinischen Kommission (MedCom) der Internationalen Vereinigung der Bergsteigerverbände (Union International des Associations
d’Alpinisme; UIAA) an den hohen Bergen so stark zugenommen, dass sie 2014 [8] und 2016 [1] Empfehlungen für im Bergsport häufig angewandte Substanzen herausbrachte, eine Art Dopingliste für das Bergsteigen.
Unter Doping wird die Verwendung von Substanzen oder Methoden verstanden, die die Leistungsfähigkeit von Sportlern auf unzulässige Weise steigern. Doping ist dabei definiert als das Vorliegen eines oder mehrerer Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen [3, 6]. Diese werden von der World-Anti-DopingAgency (WADA) festgelegt. Verbotene Substanzen und Methoden werden regelmäßig aktualisiert und in der Verbotsliste (sog. Dopingliste) [4, 7] publiziert. Als Verstöße werden lange nicht mehr nur der Nachweis einer verbotenen Substanz oder der Gebrauch einer verbotenen Substanz oder Methode gewertet. Auch die Umgehung einer Probennahme oder Weigerung, sich einer Probennahme zu unterziehen, unzulässige Einflussnahme auf irgendeinen Teil des Dopingkontrollverfahrens und Meldepflichtverstöße gehören dazu, um nur
einige zu nennen. Sollten bei Sportlern aus medizinischen Gründen Substanzen oder Methoden notwendig sein, die auf dieser Verbotsliste stehen, so braucht es eine Ausnahmegenehmigung [3, 4, 6, 7]. Aus dieser Definition wird klar, dass sich Doping im eigentlichen Sinne auf die Bergsportdisziplinen beschränkt, die als Wettkampfveranstaltungen ausgetragen werden. Hier gibt es Regeln, eine Wettkampfordnung, Schiedsrichter und andere Kontrollinstanzen, die die Einhaltung der Regeln kontrollieren. Bei Verstößen werden Sanktionen ausgesprochen, was auch Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen einschließt. Dies wird auch von den UIAA-MedComEmpfehlungen für alle Wettkampfdisziplinen im Bergsport uneingeschränkt anerkannt [1].
Alpiner Bergsport ist in der Regel aber eine Freizeitaktivität ohne fixes Regelwerk. Der Einsatz von Medikamenten stellt hier kein Dopingvergehen dar, auch wenn ein Medikament eingenommen werden sollte, das auf der Dopingliste steht. Sanktionen sind nicht angebracht, man kann allenfalls an die Berg-
steiger appellieren, sich an gewisse ethische Grundsätze zu halten und auf den Einsatz von bestimmten Hilfsmitteln oder Medikamenten zu verzichten.
By Fair MeansBereits Ende der 1960er-Jahre wurde dafür der Begriff des „Mountaineering by Fair Means“ (deutsch: Bergsteigen auf faire Weise) geprägt. Er entstand als Reaktion auf die wachsende Popularität des Bergsteigens und den zunehmenden Einsatz technischer Hilfsmittel. „Mountaineering by Fair Means“ bedeutet eine ethische Herangehensweise ans Bergsteigen, bei der Bergsteiger versuchen, Berge auf natürliche und nachhaltige Weise zu besteigen. Es geht darum, den Wert des Bergsteigens als persönliche Herausforderung und Erfahrung zu betonen, anstatt den Fokus auf die Eroberung des Gipfels um jeden Preis zu legen. Technische Hilfsmittel oder Medikamente werden abgelehnt, was auch den Verzicht auf zusätzlichen Sauerstoff und den Einsatz von Medikamenten zur Prophylaxe höhenbedingter Erkrankungen miteinschließt. Daten über den tatsächlichen Einsatz von Medikamenten an den hohen Bergen dieser Welt gibt es nur wenige, wirklich verlässliche Zahlen noch weniger. Oft beschränkt sich der Einsatz von Medikamenten auf solche, die zur Prävention der akuten höhenbedingten Erkrankungen eingesetzt werden. Der Anteil an Bergsteigern, die Medikamente zur Prävention von Höhenkrankheiten einnehmen, dürfte umso höher liegen, je einfacher die Besteigung des Gipfels ist, da solche Berge oft auch von Personen bestiegen werden, die weniger erfahren sind, weniger häufig Hochtouren gehen und dadurch auch häufiger nicht gut akklimatisiert sind. Schmerzmedikamente kommen ebenfalls regelmäßig zum Einsatz. Außerdem scheinen sich Schlafmedikamente großer Beliebtheit zu erfreuen.
Der Anteil an Bergsteigern, die Medikamente mit dem primären Ziel der Leistungssteigerung einnehmen, dürfte eher gering sein, genauso wie der Anteil derer, die andere Stimulanzien als Koffein und Nikotin zu sich nehmen.
Acetazolamid (Diamox®) und Kortisonpräparate nachgewiesen
Messungen in Urinproben in der MontBlanc-Region brachten den Nachweis von Medikamenten bei gut einem Drittel der Bergsteiger, allein bei 21 % der Substanz Acetazolamid (Diamox®) [5]. Schätzungen gehen davon aus, dass an den höheren Bergen der präventive Einsatz von Medikamenten noch häufiger ist und gut die Hälfte der Bergsteiger Medikamente einnimmt. Dazu passen Zahlen vom Kilimandscharo zum Einsatz von Acetazolamid. In einer Befragung gaben 37 % der Bergsteiger an diesem Berg an, prophylaktisch Acetazolamid einzunehmen [2].
Grund für die Einnahme von Acetazolamid ist die Prävention der akuten Bergkrankheit. Möglicherweise wurde in der Studie am Kilimandscharo die tatsächliche Einnahmehäufigkeit aber noch unterschätzt, denn Häufigkeit und Schwere der ABK waren in dieser Untersuchung unabhängig von der Einnahme von Acetazolamid. Dies ist erstaunlich, hat Acetazolamid doch in zahlreichen Studien schon seine Wirksamkeit in der Prävention der ABK bewiesen. Acetazolamid ist ein Diuretikum und steht als solches in der Gruppe der Maskierungsmittel auf der Dopingliste.
Neben Acetazolamid werden häufig auch Kortisonpräparate wie Dexamethason zur Prävention von Höhenerkrankungen eingesetzt. Sie eignen sich sehr effektiv zur Prävention von Bergkrankheitssymptomen und haben zusätzlich noch einen leistungssteigernden Effekt. Beim prophylaktischen Einsatz ist bei längerer Anwendung Vorsicht geboten, da die Präparate dann nicht einfach abgesetzt werden können, sondern langsam ausgeschlichen werden müssen. Haupteinsatzgebiet ist – und deswegen gehört Dexamethason auch in die Rucksackapotheke beim Expeditionsbergsteigen – die Therapie schwerer Formen der ABK und des HHÖ. Auch Kortisonpräparate sind gemäß Dopingliste in Tablettenform oder als Injektion/Infusion verboten.
Medikamente zur Prävention des Höhenlungenödems und Schlafmittel
Zur Prävention des HLÖ haben sich Medikamente als effektiv erwiesen, die den Blutdruck im Lungenkreislauf senken, allen voran Nifedipin. In den vergangenen Jahren kamen hier immer häufiger sogenannte Phosphodiesterase-5-Inhibitoren zum Einsatz (Viagra oder ähnliche Präparate), weil eine Studie deren Wirksamkeit in der Prophylaxe des HLÖ belegt hat und in einer weiteren Studie bei den teilnehmenden Probanden eine erhöhte Leistungsfähigkeit gemessen wurde. Der Einsatz ist aus medizinischer Sicht in der Regel unproblematisch, auch wenn er zur HLÖ-Prophylaxe nicht notwendig sein sollte. Auch bezüglich Anti-Dopingregularien sind diese Medikamente unproblematisch. Sie stehen nicht auf der Liste der verbotenen Substanzen. Gängige Schmerzmittel dürften bei leichten Formen der ABK sehr häufig eingenommen werden. Problematisch kann der Einsatz von Acetylsalicylsäure (z. B. Aspirin) werden, da es die Funktion der Blutplättchen bei der Blutstillung blockiert, was bei Verletzungen eine erhöhte Blutungs-
gefahr bedeuten kann. Außerdem können in großer Höhe Magengeschwüre spontan auftreten [9], deren Entstehung durch einige Schmerzmittel zusätzlich begünstigt wird. Schmerzmittel stehen mit Ausnahme der Opiate nicht auf der Dopingliste. Neben Medikamenten zur Krankheitsprophylaxe werden zudem häufig Schlafmedikamente eingesetzt.
In der Untersuchung von Robach [5] war eines der Schlafmedikamente (Wirkstoff Zolpidem) sogar die zweithäufigste nachgewiesene Substanz. Problematisch ist der Einsatz dann, wenn die Substanz während des Schlafs nicht vollständig abgebaut werden kann und am nächsten Morgen beim Aufbruch zur nächsten Etappe noch eine Restwirkung besteht. Dadurch besteht erhöhte Unfallgefahr. Schlafmedikamente stehen ebenfalls nicht auf der Dopingliste, Ausnahme sind auch hier wieder die Opiate.
Stimulanzien, EPO (Erythropoetin) und Sauerstoff
Über den Einsatz von Stimulanzien und Medikamenten zur Leistungssteigerung kann dagegen nur spekuliert werden. In der Untersuchung von Robach [5]
Sauerstoff als Doping? Eine Frage der Ethik unter Bergsteiger:innen. Auf dem Bild ist Kristin Harila bei der Besteigung des Mount Everest zu sehen. Sie konnte 2023 alle 14 Achttausender in der Rekordzeit von knapp drei Monaten besteigen – mit Sauerstoff.
Bergsport und Gesundheit #8
Diese Serie organisieren und betreuen Dr. Nicole Slupetzky (Vizepräsidentin des ÖAV und Präsidentin des Clubs Arc Alpin) und Prof. Dr. Marc Moritz Berger (Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Universitätsklinikum Essen, Deutschland; Präsidiumsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Alpin- und Höhenmedizin). Der Experte für Prävention und Therapie der akuten Höhenkrankheiten und für alpine Notfallmedizin ist Mitinitiator des Symposiums für Alpin- und Höhenmedizin Salzburg, das gemeinsam mit dem Österreichischen Alpenverein organisiert wird.
wurden in ca. 4 % der Proben Stimulanzien nachgewiesen, wobei Koffein die am häufigsten nachgewiesene Substanz war. Ebenfalls häufig nachgewiesen wurde Pseudoephedrin, welches in vielen Erkältungsmedikamenten enthalten ist. Abbauprodukte von Kokain wurden aber auch fast so häufig wie Koffein gefunden. Stimulanzien stehen grundsätzlich alle auf der Dopingliste. Davon gibt es wenige Ausnahmen. Koffein und Nikotin sind zwei dieser Ausnahmen. Sie werden derzeit lediglich überwacht, die Einnahme aber nicht sanktioniert.
Außerdem wird über den gelegentlichen Einsatz von Erythropoetin (bekannt als EPO, auch Erythropoietin, Epoetin) bei Höhenbergsteigern berichtet [1]. Erythropoetin und ähnliche Substanzen stehen selbstverständlich auf der Dopingliste, zum einen wegen der leistungssteigernden Wirkung, zum anderen aber auch wegen der erheblichen gesundheitlichen Risiken, die mit der Anwendung einhergehen. In erster Linie ist das ein erhöhtes Risiko für Thrombosen oder Embolien sowie Komplikationen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems. Außerdem steht Erythropoetin im Verdacht, Tumorwachstum zu begünstigen. Insbesondere an den höchsten Bergen der Welt dürfte aber Sauerstoff das am häufigsten angewendete leistungssteigernde „Medikament“ sein. Sauerstoff steht nicht auf der Dopingliste, verbessert in großen Höhen aber die Sauerstoffversorgung und führt so zu einer deutlichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit in der Höhe. Er „reduziert“ – wenn man so will – die Höhe der höchsten Berge ganz erheblich, macht beispielsweise aus dem Mt. Everest einen 7000er.
Was empfiehlt die UIAA MedCom?
Die Empfehlungen der UIAA MedCom nehmen Stellung zu diesen und noch einigen anderen im Bergsport angewendeten Substanzen und setzen bei der Wertung bezüglich ihren Einsatzes beim Bergsteigen außerhalb des Wettkampfsports in erster Linie auf Vernunft, Aufklärung und Transparenz. Die abge-
leiteten Empfehlungen werden in Analogie zur evidenzbasierten Wissenschaft gewertet, genauso wie die zugrundeliegende Datenqualität: starke (Grad 1) oder schwache (Grad 2) Empfehlung, gute (A), mäßige (B) oder schlechte (C) Datenqualität. Auch ob eine Substanz auf der WADA-Dopingliste steht, spielt eine Rolle bei der Empfehlung [1].
Der Einsatz der gängigen Substanzen, mit denen eine Prävention der akuten höhenbedingten Erkrankungen (ABK, HLÖ, HHÖ) in Studien gezeigt werden konnte, wird von der UIAA MedCom empfohlen, sofern eine entsprechende Prävention durch natürliche Akklimatisation nicht möglich ist, insbesondere um die Gefahr zu minimieren, die von diesen Erkrankungen ausgeht. Außerdem empfiehlt die UIAA MedCom aus medizinischer Sicht den Einsatz von zusätzlichem Sauerstoff in Höhen über 7500 Metern. Auch bei dieser Empfehlung steht wieder das medizinische Risiko der höhenbedingten Hypoxie im Vordergrund. Unter bestimmten Voraussetzungen werden auch Schlafmittel empfohlen, weil sie den Schlaf verbessern können, ohne einen negativen Einfluss auf die Aktivitäten des nächsten Tages zu haben [1].
Diese Empfehlungen stehen im Gegensatz zu den Prinzipien des „Mountaineerings by Fair Means“, die den prophylaktischen Einsatz von Medikamenten komplett ablehnen, genauso wie den Einsatz von zusätzlichem Sauerstoff. Die Einnahme von Medikamenten zur Prophylaxe von Höhenkrankheiten kann aber nicht pauschal als Doping oder Doping-Verhalten gewertet werden. Insbesondere dann nicht, wenn die Gesundheit im Vordergrund steht, auch wenn es sich bei den wirksamen Substanzen (Dexamethason und Diamox®) um Wirkstoffe handelt, die auf der Dopingliste stehen. Unter dem Gesichtspunkt des „Mountaineerings by Fair Means“ lässt sich hierüber sicherlich trefflich diskutieren. Letztendlich muss das im alpinen Bergsport aber jede Person für sich selbst entscheiden.
Der Einsatz von Medikamenten in der Therapie ist aus ärztlicher Sicht aber auch am Berg unstrittig. Hier steht die Gesundheit an erster Stelle. Für Medikamente, die die Leistungsfähigkeit – nicht nur im Bergsport – steigern, sollte es aber keinen Platz geben. Leider wird in den UIAA-MedCom-Empfehlungen der Einsatz von Erythropoetin nicht eindeutig abgelehnt. Hier lautet die Empfehlung nur, dass der Gebrauch vermieden werden soll [1].
Ein weiterer Punkt sollte in der Diskussion aber auch berücksichtigt werden. Im Bergsport gibt es zahlreiche Rekorde, die außerhalb offizieller Wettkämpfe angepeilt oder aufgestellt werden. Angefangen von Erstbesteigungen bis hin zu Geschwindigkeitsrekorden für den Durchstieg von bestimmten Wänden oder Routen. Solche Rekorde werden heute medial genutzt und sind in der Regel auch mit finanziellem Profit verbunden. Gewisse einheitliche Richtlinien sind hier bisher allgemein akzeptiert und werden von den Athleten in der Regel auch respektiert, sodass eine Art Dopingkontrollsystem noch nicht erforderlich war.
Angesichts der Erfahrungen aus dem Leistungssport in anderen Sportarten kann man aber davon ausgehen, dass früher oder später ein Athlet nicht akzeptierte Hilfsmittel einsetzt, ohne diese zu deklarieren. Man sollte darauf vorbereitet sein.
Fazit
Doping im eigentlichen Sinne ist im Bergsport derzeit auf die Wettkampfdisziplinen begrenzt und die entsprechenden Regularien werden hier auch anerkannt. Trotzdem stellt auch im alpinen Bergsport der Einsatz von Substanzen, die allein der Leistungssteigerung dienen, ein Doping-ähnliches Verhalten dar, selbst wenn kein entsprechendes Regelwerk existiert. Rekorde im alpinen Bergsteigen werden derzeit auf der Grundlage des Vertrauens in allgemein akzeptierte Regeln aufgestellt. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass im Rahmen solcher Unternehmungen Kon-
trollen notwendig werden. Sofern die Kommerzialisierung des Bergsports aber weiter zunimmt, könnte dies künftig eine große Herausforderung werden. Doping-ähnliches Verhalten im alpinen Bergsport abseits von Wettkampfsport und Rekorden sollte unter dem Gesichtspunkt des „Mountaineerings by Fair Means“ oder der UIAA-MedCom-Empfehlung diskutiert werden. Die UIAA MedCom rückt den medizinischen Aspekt in den Vordergrund, „Mountaineering by Fair Means“ hat primär die bergsteigerische Sicht im Fokus. Beide Ansichten haben ihre Berechtigung und stecken einen Korridor ab. In der Natursportart Bergsteigen muss aber jeder selbst entscheiden, wo in diesem Korridor man sich bewegen möchte.
Literatur
1. Donegani E, Paal P, Küpper T, Hefti U, Basnyat B, Carceller A, Bouzat P, van der Spek R, Hillebrandt D. Drug Use and Misuse in the Mountains: A UIAA MedCom Consensus Guide for Medical Professionals. High Alt Med Biol. 17(3):157-184, 2016.
2. Jackson SJ, Varley J, Sellers C, Josephs K, Codrington L, Duke G, et al. Incidence and predictors of acute mountain sickness among trekkers on Mount Kilimanjaro. High Alt Med Biol. 11(3):217–222. 2010.
3. Nationale Anti Doping Agentur Deutschland. Nationaler Anti-Doping Code 2021. [online] abrufbar unter: https://www.nada.de/fileadmin/nada/ SERVICE/Downloads/Recht/2021_NADC 21.pdf
4. Nationale Anti Doping Agentur Deutschland. Verbotsliste 2023. [online] abrufbar unter: https://www.nada.de/fileadmin/nada/SERVICE/Downloads/Sta ndards/2023_Informatorische_Uebersetzung_Verbotsliste.pdf
5. Robach P, Trebes G, Lasne F, Buisson C, Méchin N, Mazzarino M, de la Torre X, Roustit M, Kérivel P, Botré F, Bouzat P. Drug Use on Mont Blanc: A Study Using Automated Urine Collection. PLoS One. 11(6): e0156786, 2016.
6. World Anti-Doping Agency. WADA Code. [online] abrufbar unter: https://www.wadaama.org/sites/default/files/resources/fi les/2021_wada_code.pdf .
7. World Anti-Doping Agency. 2021. World Anti-Doping Agency, Prohibited List. [online] abrufbar unter: https://www.wada-ama.org/en/resources/world-anti-doping-program/prohibited-list.
8. UIAA. (2016). Advice and recommendations. International Climbing and Mountaineering Federation. [online] abrufbar unter: http://theuiaa.org/medical_advice.html
9. Wu TY, Ding SQ, Liu JL, Jia JH, Dai RC, Zhu DC, Liang BZ, Qi DT, Sun YF. High-altitude gastrointestinal bleeding: an observation in Qinghai-Tibetan railroad construction workers on Mountain Tanggula. World J Gastroenterol. 13(5):774780, 2007.
Weitere Literatur beim Verfasser ■
Die mobile Weiche in der Führungstechnik
Auf Hochtouren, Graten und im leichten Fels ist auch für Dreierseilschaften ein Einfachseil das Mittel der Wahl. Der Einsatz von Halbseilen ist deutlich aufwändiger, die Handhabung schwieriger. Für das Einbinden des zweiten Nachsteigers kommen grundsätzlich drei unterschiedliche Techniken in Frage, die wir mit allen Vorund Nachteilen in verschiedenen führungstechnischen Situationen hier vorstellen wollen.1
Von Martin Schmidt und Reiner Taglinger1) Die fixe Weiche
Die fixe Weiche
Der zweite Nachsteiger ist mit einer kurzen Weiche (30 Zentimeter) mittels Sackstichs und SafelockKarabiners in das Seil eingebunden. Der Karabiner wird dabei mit Mastwurf oder einem weiteren kleinen Sackstichauge eingehängt. Der Abstand zum Seilletzten sollte etwa 2,5 bis 3,5 Meter betragen, um ein Aufeinanderprallen der beiden Nachsteiger zu verhindern (Abb. 1). Weitere Abstände haben in Querungen erhöhte Pendelsturzgefahr zur Folge. Der Abstand zwischen beiden ist (wie der Name „fixe Weiche“ schon andeutet) nicht veränderbar. Das hat einerseits den Vorteil, dass ein gut passender Abstand gewährleistet bleibt, andererseits Nachteile bei Quergängen, am Stand und bei schwereren Kletterstellen, bei denen die Nachsteiger unterschiedlich schnell klettern könnten. Vor allem an engen Standplätzen kommt die fixe Weiche an ihre Grenzen: Wohin mit dem letzten Nachsteiger, wenn die Weiche schon am HMS-Karabiner ansteht?
Die folgenden beiden Weichentypen gehen die Nachteile der fixen Weiche an und bringen ein paar Vorteile. Diese Techniken werden in der Ausbildung im VDBS lediglich im leichten Fels und für kombiniertes Gelände geschult.
1 Seit Herbst 2022 sind die Bergführerverbände der Schweiz, von Österreich, Deutschland und Südtirol als Redaktionsbeiräte bei bergundsteigen mit an Bord. Daher erscheint seither in jeder Ausgabe ein Beitrag dieser Verbände. Die Serie soll informieren und zugleich zu einem konstruktiven Austausch zwischen den Verbänden anregen und dadurch auch indirekt die Bergführerausbildung weiterentwickeln.
Abb. 1 Dreierseilschaft mit drei möglichen Weichentypen:
1) fixe Weiche mit Sackstich,
2) semimobile (aktiv verschiebbare) Weiche mit Kevlarprusik und
3) mobile Weiche mit Rockgrab.
2) Semimobile, aktiv verschiebbare Weiche
Besteht aus einem drei- bis vierfach gewickelten Prusik mit 30–40 cm langer, vernähter Kevlarreepschnur und einem Safelock-Karabiner (Abb. 1). Klein, leicht und flexibel, das sind die Eigenschaften dieses Weichentyps. Die beiden Nachsteiger können ihren Abstand am Stand und vor dem Losklettern wählen und am Stand und in der Nähe des Standes verkürzen. Vor allem dort spielt die semimobile Weiche ihren Vorteil aus. Der Weichenmann kommt am Stand an, der Bergführer/Nachsteiger kann, ohne die Sicherung aufzulösen, den Prusik der Weiche verschieben und den Abstand zwischen den Nachsteigern verkürzen. Wenn beide Nachsteiger gut und eng beieinander stehen, kann der Bergführer auf den Halbmastwurf einen Mastwurf aufschalten und die Nachsteiger sind gesichert. In Bewegung müssen die Nachsteiger allerdings etwa im gleichen Tempo klettern, um Schlappseil zu vermeiden.
Vorteile semimobile Weiche
Die semimobile Weiche spielt ihre Flexibilität bei Übergängen von Gletschern zu gestaffeltem Klettern und beim Überwinden von Bergschründen aus (Abb. 2).
y fixer Abstand, kein Auflaufen am kurzen Seil
y Einsatz in der Gletscherseilschaft möglich
y Seil zwischen den Nachsteigern kann über Felsköpfe gelegt werden, um sie zu sichern
y Nachsteiger können rechts und links eines Grates sicher geparkt werden
y verschiebbar, ohne die Sicherung komplett aufzulösen
y Ablassen des zweiten Nachsteigers einzeln und ohne Sicherungsknoten möglich
Nachteile semimobile Weiche
y Beide Nachsteiger müssen gleich schnell
Klettern und sind letztlich gleich zu handhaben wie bei der fixen Weiche.
y Wenn der Letzte stürzt, kann der Weichenmann mitgerissen werden. In diesem Fall und am kurzen Seil wirken beide Nachsteiger als Last auf den Führer bzw. den Stand.
Anwendungsbereich semimobile Weiche
Optimal bei eislastigen Hochtouren und im leichten Mixedgelände.
Abb. 2 Beim Übergang von Gletscherseilschaft zu gestaffeltem Klettern und umgekehrt sowie bei Bergschründen ist die semimobile Weiche praktisch, weil die Seillänge (z. B. von 12 Meter Gletscherseilschaft auf beispielsweise drei Meter für gestaffeltes Klettern oder kurzes Seil) schnell verstellt werden kann.
Reiner Taglinger ist Bergführer und Ausbildungsleiter beim Verband Deutscher Bergund Skiführer.
3) Mobile, in eine Richtung passiv verschiebbare Weiche
Hier wird mittels einer Seilklemme mit Klemmnocken eine Weiche aufgebaut, die in eine Richtung (natürlich nach oben) frei läuft und in die andere Richtung (nach unten) blockiert (Abb. 1).
Auswahl des Klemmgerätes
Die Auswahl der Geräte hat sich in den letzten Jahren mit den Untersuchungen bzgl. Klemmen und Seilrissen/Mantelbeschädigungen (Hellberg/Blochum/Semmel et al. Dazu mehr in bergundsteigen 1/24) stark verkleinert. Alles, was Zähne hat
Micro Traxion, Tibloc, Ropeman II –, aber auch der Ropeman I beschädigt im Falle eines Sturzes mit wenig ausgegebenem Seil im System das Seil. Mit statischen Hilfsleinen ist sogar ein Komplettriss der Leine möglich. Aber auch nur ein Mantelriss –möglicherweise sogar in der Mitte des Seils – ist auf einer langen Hochtour kein akzeptables Ereignis. Andere Geräte aus der Seilzugangstechnik (SZT) können oft nicht mit modernen Bergsportseilen mit einem Durchmesser um die neun Millimeter verwendet werden. Schlussendlich und nach langen Überlegungen bleibt als aktuelles Gerät nur der Rockgrab der Firma Rockexotika übrig (Abb. 1, siehe auch Abb. 4).
Der Einsatz der mobilen Weiche erfordert solide Kenntnis des Einsatzbereichs und der notwendigen Anwendungstechniken. Dadurch, dass die Weiche in eine Richtung läuft, kann sich der Weichenmann zwar beliebig schnell bewegen und wird, wenn der zweite Nachsteiger stürzt, nicht mitgerissen, allerdings kann der Weichenmann in zahlreichen Situationen ungesichert sein, wenn der Führer nicht aufpasst. Haupteinsatzbereich der mobilen Weiche ist sicherlich mit zwei Geführten im felslastigen Gelände beim gemeinsamen Steigen und beim gestaffelten Klettern im zweiten und dritten Schwierigkeitsgrad mit einzelnen Stellen im vierten Grad.
Vorteile
y freies Klettern des Weichenmanns, ein großes Plus an Komfort für die Nachsteiger y Wenn das Seil gerade nach oben läuft und der zweite Nachsteiger stürzt, läuft die Kraft durch die Weiche. Der Weichenmann wird nicht mitgerissen und der Führer (am kurzen Seil) bzw. die Standplatzsicherung muss nur eine Person halten. y Querungen können problemlos einzeln begangen werden, sofern sie nicht fallend sind (Abb. 3). Auch kurze senkrechte Schlüsselpassagen können einzeln begangen werden. Gerade im Bereich des gemeinsamen, gleichzeitigen Gehens/Steigens im leichten Gelände ist das der größte Vorteil.
Nachteile
Immer dann, wenn der Weichenmann nach vorne fallen könnte, z. B.:
y am kurzen Seil in Querungen, wenn der Bergführer oberhalb geht und zwischengreift
y in fallenden Querungen
y wenn das Seil zwischen den Nachsteigern über ein Köpfl gelegt wird
y wenn beide Nachsteiger links und rechts eines Grates positioniert werden
In diesen Situationen muss der Rockgrab zwingend durch einen kleinen Sackstich vor der Klemme abgeknotet werden (Fixierung der mobilen Weiche) (Abb. 4).
y Beim Ablassen ist der Rockgrab keine zuverlässige Fixierung. Kleine Entlastungen durch den Abzulassenden mit direktem Greifen auf das Gerät können zur Deblockierung führen. Ein Sackstich unterhalb löst dieses Problem und ist hierbei Pflicht. y Umsicht ist beim Führen am kurzen Seil geboten. Der Guide muss ein Auge darauf haben, dass der Weichenmann nicht zu nah auf ihn aufläuft und ihn beim Halten eines evtl. Sturzes behindert (Abb. 5, 6).
Anwendungsbereich mobile Weiche
Optimal bei leichten Felsrouten und Graten die vorzugsweise mit Einfachseil geklettert werden.
Fazit
Alle drei Weichentypen haben ihren speziellen Einsatzbereich, wobei die mobile Weiche für einen sicheren Einsatz am meisten Kenntnisse erfordert, dann aber den größten Komfort für die Nachsteiger bietet. Ein gutes Mittelmaß zwischen Annehmlichkeit und Sicherheit bietet die semimobile Weiche, während die fixe Weiche kaum fehleranfällig ist, aber auch in einigen Situationen Nachteile bzgl. Komfort, Handhabung und Sicherheit (Mitreißen des vorderen Nachsteigers) hat.
Der Einsatz der Weichen ist an ein umfangreiches Wissen zur Führungstechnik im leichten Fels, auf Graten und Hochtouren gekoppelt. Personen, welche über dieses Wissen verfügen und die Anwendung der Führungstechnik beherrschen, erhalten mit der mobilen bzw. semimobilen Weiche zwei gute Werkzeuge, um eine Dreierseilschaft flüssig und elegant zu führen. ■
Abb. 4 Rockgrab mit StoppKnoten (Sackstich).
Martin Schmidt ist Bergführer, Bergfü hrerausbilder, Mitglied im Bundeslehrteam Bergsteigen des DAV und arbeitet zu 50 Prozent in der Geschäftsstelle des VDBS e.V.
Abb. 5, 6 Wenn das Seil gerade nach oben läuft und der zweite Nachsteiger stürzt, läuft die Kraft durch die Weiche. Der Weichenmann wird nicht mitgerissen und der Führer muss nur eine Person halten. Wenn der Seilzweite allerdings aufgelaufen ist, dann wird das Halten des Sturzes schwierig. Der Führer wird durch den Zweiten behindert und kann beispielsweise nicht mehr über das Seil steigen, um sofort in Liegestützposition zu gehen, wenn der Seilzug auf den Sicherungsring (Anseilring) des Führers wirkt.
Fehler beim Abseilen
Robert Renzler beim Abseilen tödlich abgestürzt! Auf den Schock folgt die Erkenntnis: So hätte es mir auch schon öfter gehen können – mit etwas weniger Glück oder ein bisschen mehr Pech. Denn viel kann schiefgehen beim Abseilen. Hier eine kleine Sammlung von Erfahrungen, selbst gemacht oder gehört. Und 20 Tipps, um ähnliche Erlebnisse zu vermeiden.
Von Andi Dick
Wir sind keine Maschinen: Fehler machen uns zu Menschen – und manchmal zu Leichen. Vor allem, wenn die Sicherung (oder eben das Abseilgerät) zwingend belastet wird, sind unbemerkte Fehler unausweichlich fatal – das ist das eine Problem beim Abseilen. Das andere ist, dass oft kein Partnercheck möglich ist – zumindest bei der Logistik, wie sie bisher meist gehandhabt wurde. Aber das ließe sich ja ändern …
RICHTIG EINGEHÄNGT?
Eine zweite Person am Stand könnte zum Beispiel feststellen, wenn das Abseilgerät nur in die Materialschlaufe eingehängt wird – ein Unfall, der der DAV-Sicherheitsforschung gemeldet wurde:
y Die Kurzprusikschlinge war zwar korrekt gelegt und hätte den Absturz verhindern können, aber der Knoten griff leider nicht.
y Auch Sifo-aktenkundig ist ein Fall, bei dem das Abseilgerät nur in einen der beiden Seilstränge eingehängt wurde; bei Belastung wurde das Seil abgezogen … y Aber es geht auch ganz einfach: Als ich mich am Mont d’Or in der Auvergne in den Achter setzen wollte, sah ich im letzten Moment, dass er gar nicht im Gurt eingehängt war. Die Selbstsicherung war schon ausgehängt, es wäre ein Freiflug zum Einstieg geworden.
Tipp 1: Partnercheck „oben“
Ist man zu zweit am Stand und benutzen beide die „verlängerte“ Aufhängung
(„Schweizer Methode“, Abseilgerät in der 20–30 cm abgeknoteten Selbstsicherungsschlinge), kann man sich gegenseitig prüfen, bevor der Erste losfährt. Zusatzbonus: Das oben schon eingehängte Abseilgerät
der zweiten Person verhindert das ungewollte Seilabziehen, wenn die erste über ein ungleich lang eingefädeltes Seilende hinausseilt (s. u.).
Tipp 2: Entlasten
Das Einhängen kann man sich erleichtern: Zuerst legen beide ihre Hintersicherung (z. B. Prusik oder FB-Kreuzklemm) am gespannten Seil, dann zieht jeder einen Meter Schlappseil raus und kann das Abseilgerät lastfrei entspannt einlegen.
Tipp 3: Selbstcheck
Ein Belastungstest des Abseilsettings (Abseilgerät plus Hintersicherung) vor Aushängen der Selbstsicherung ist auch dann unbedingt empfohlen (und problemlos durchführbar), wenn man alleine ist (z. B. Abbauen beim Sportklettern).
KORREKT GESICHERT?
Welche Kombination aus Abseilgerät, dessen Aufhängung und Hintersicherung man benutzt, kann man nach persönlicher Vorliebe und Bedienbarkeit je nach Gelände wählen. Auch für die Selbstsicherung am Stand gibt es verschiedene Optionen –eine Expressschlinge ist keine gute.
y Beispiel? Am Dohlenfels im Frankenjura hatte ich mich beim Abbauen einer längeren Sportkletterei am Zwischenstand mit einer Expresse gesichert. Zum Hantieren mit dem Seil war viel Bewegung nötig; als ich mich wieder in die Sicherung setzen wollte, sah ich, dass der Schnapper sich über die Einbindeschlaufe gedreht hatte und kurz davor war, sich bei der Belastung auszuhängen.
Tipp 4: Selbstsicherung nur mit gesichertem Karabiner
Ein Safelock-Karabiner an der Selbstsicherungsschlinge verhindert derart unliebsame Momente.
Tipp 5: Selbstsicherungskarabiner fixieren
Vielleicht hätte Robert Renzlers Unfall vermieden werden können, wenn sein Karabiner in der Selbstsicherungsschlinge fixiert gewesen wäre. Das geht einfach mit einem Mastwurf. Keinen Gummi wie bei Exen!
y Sich am Abseilstand zu bewegen, ist immer riskant, vor allem wenn man eine Bandschlinge zur Selbstsicherung verwendet. Ein Bergführer in den Dolomiten musste ein Stück seitlich aufsteigen, um das verklemmte Seil zu lösen; als es nachgab und er in seine Bandschlinge stürzte, riss diese, da sie sich nicht dynamisch dehnen kann und schon durch die geringe Sturzhöhe überlastet wurde.
Tipp 6: Selbstsicherung belastet halten Eine Selbstsicherung mit dynamischem Seilmaterial (z. B. Petzl Adjust) ist weniger anfällig für dieses Problem – nur muss man dann das Zusatzgewicht mittragen; die Standplatzschlinge dagegen ist eh dabei und taugt zur Selbstsicherung. Grundsätzlich ist es sinnvoll, am Stand nicht groß rumzuturnen und vor der (sanften) WiederBelastung der Selbstsicherung zu checken, ob sich nichts verdreht oder verkantet hat.
y Dann kann auch nicht passieren, was Gerhard Mössmer vom ÖAV berichtet: „Abseilstand auf einem Band, beide Selbstsicherungsschlingen (von mir und vom Partner) sind deshalb unbelastet. Zufällig verwenden wir beide den gleichen Selbstsicherungskarabiner –versehentlich wird dann vor dem Abseilen nicht die eigene Selbstsicherung ausgehängt, sondern die des Partners.“ Ist auch denkbar, wenn sich auf Modetouren mehrere Personen am Abseilstand drängeln …
Gemütliche Stände verführen natürlich dazu, im Stehen statt im Hängen zu agieren.
y Am Schmalstöckli in der Schweiz bestand der Abseilstand aus einer Drahtschlinge, die über ein Felsköpfl gelegt war. Nach Abziehen und Umbauen wollte sich Ralf zum Abseilen reinsetzen, schaute nochmal drauf – und sah, dass sie sich über das Köpfl gehoben hatte.
y Einen ganz krassen Blackout schildert Lukas Fritz von der DAV-Sicherheitsforschung: „Schüsselkarspitze: Der Partner am Standplatz beim Abseilen – nicht selbstgesichert! – will sich gerade in die Selbstsicherung setzen, bemerkt es aber gerade noch selbst und greift in die Standplatzschlinge. Er wurde kreidebleich und der Schreck stand ihm ins Gesicht geschrieben …“
Tipp 7: Partnercheck „unten“
Da Blackouts eben zum menschlichen Betriebssystem gehören, könnte man sich angewöhnen, dass zumindest die Hintersicherung eingehängt bleibt, bis beide am unteren Stand eingetroffen sind. Erst nach gegenseitigem Check und Belastung der Selbstsicherung wird dann das Seil ausgehängt. So bleibt das Seil auch in Reichweite und unter Kontrolle und man kann dem Partner beispielsweise helfen, den Stand anzupendeln, wenn nötig.
Tipp 8: Raum schaffen
Eine weitere gute Gewohnheit: vor Aushängen des Abseilgerätes noch zwei Meter Seil durchziehen, dann kann die obere Person sofort losfahren.
Tipp 9: Vorbereitung spart Zeit
Während die zweite Person abseilt, kann die erste schon einiges tun: die Seilenden
Vor jedem Abseilen hilft der Belastungstest (Selbstcheck), Unfälle zu vermeiden. Noch selbstgesichert wird die Aufhängung belastet und man checkt das Seil im Fixpunkt und im Abseilgerät und die Hintersicherung. Dann löst man die Selbstsicherung und beginnt abzuseilen; dabei schiebt eine Hand die Hintersicherung mit, die andere kontrolliert das Bremsseil.
Illustration: Georg Sojer
*Abseilen: Das richtige Setup“, in: DAV-Panorama 4/2020, S. 60–63
hochziehen und idealerweise trennen, die Endknoten öffnen, das „abziehende“ Seil fädeln und mit Endknoten sichern.
Tipp 10: Teamwork mit Köpfchen
Eine Person zieht das Seil ab, die andere fädelt es gleich durch den Stand – achtet dabei aber darauf, dass immer etwas Durchhang bleibt. Ein straffes Seil behindert sonst beim Abziehen.
GLEICH LANG GEFÄDELT?
Wenn nicht beide Enden bis zum Boden oder zum nächsten Stand reichen, zieht man unfreiwillig das Seil ab, sobald das kürzere Ende durchs Abseilgerät rutscht.
y Für unsere Freundin Liz führte der Absturz noch zwanzig Meter durch Schrofengelände – und nach einer langen Krankenhaus-Odyssee zu ihrem Tod. Mehr Glück hatte meine Frau Irmgard, die in Arco nach sechs Metern auf einem Wandvorbau liegen blieb und mit einem gebrochenen Handgelenk davonkam.
Tipp 11: Partnerblick auf die Seilenden Wird beim Sportklettern per Abseilen abgebaut, kann der Partner am Boden checken, ob beide Enden bis unten reichen – und mit Zugsicherung zusätzliche Redundanz schaffen.
Tipp 12: Die Mitte treffen
Auf Nummer sicher geht, wer auch bei kurzen Abseilstellen das Seil bis zur Mitte durchzieht. Passt die Markierung nicht (Enden gekürzt) oder ist sie verblasst, nimmt man das Seil von beiden Enden her auf.
ENDKNOTEN GEFÄLLIG?
Auch Endknoten können diese Gefahr entschärfen. Man muss kein Prinzip daraus machen und den Partner schimpfen, wenn unverknotete Seilenden auf dem Boden unter einem Haufen Restseil lümmeln, wie
bei einer ambitionierten Outdoor-NeulingsSeilschaft im Frankenjura beobachtet.
y Aber Irmgard hätte sich im Verdon Stress erspart, wenn Endknoten Halt geboten hätten, als sie mit den letzten Zentimetern ein Band anpendelte, auf dem sie eine rettende Terrasse erreichen konnte. Auch mein Freund Marc erlebte kraftraubend-nervige Sekunden, bis er in den Wendenstöcken frei hängend den Stand anpendeln konnte – mit wenigen Zentimetern Restseil unter der verkrampften Faust.
y Eher ärgerlich war ich, als Bernd in „Dingomaniaque“ (Verdon) wieder mal zwei Abseillängen zusammenhängte und ich ihn einen Meter unter den Seilenden am Stand hängend vorfand; mit einer verlängerten Selbstsicherung und rasendem Puls erreichte ich ihn.
y Eine ähnliche Geschichte wie Gerhard Mössmer (in bergundsteigen 2/23) erzählt Lukas Fritz vom Falzaregopass: „Beim Abseilen über Bänder (eigentlich Zweiergelände zum Abklettern) ohne Knoten bin ich im Blackout über das Seilende hinausgeseilt – ich hatte das offene Seilende im Blick, habe aber wie in Trance nicht reagiert. Aufprall in Schrofengelände, konnte mich vor der nächsten Steilstufe gerade noch am Fels festkrallen. Mit leichten Prellungen und einem ziemlichen Schreck davongekommen!“
y Die beste Geschichte stammt von Martin: Die Abseilpiste an den Kirchlispitzen führte direkt über die Crux einer Route, die ihn interessierte; im Vorbeifahren checkte er die Griffe und Bewegungsideen – und fand sich nach einer kurzen Fallphase plötzlich mitten in der Wand auf einem Grasband frei stehend und ausbalancierend. Beim Schauen hatte er das Ende einfach vergessen.
y Solche Geschichten spukten durchs Unterbewusstsein, als ich – wieder im
Verdon – „Ticket Danger“ abseilte: mit HMS am dünnen Zwillingsseil, weil ich Irmgard unser einziges mitgebrachtes Abseilgerät überlassen hatte. Die Standplatzsuche in der „nur“ senkrechten Wand wurde stressig, ein verstärkter HMS (Schumann-HMS) und/oder Endknoten und Kurzprusik wären entspannend gewesen.
Tipp 13: Hintersicherung
Meist dient eine Kurzprusikschlinge (evtl. besser: „FB-Kreuzklemm“ mit kurzer Bandschlinge) als Backup für die Bremshand; sie muss kurz genug sein, dass sie nicht am Abseil-Tube ansteht, sonst sabotieren sich die beiden Elemente gegenseitig. Alternative Knoten und unterschiedliche Aufhängung des Abseilgerätes erlauben hier Varianten (siehe Artikel „Abseilen: Das richtige Setup“, in: DAV-Panorama 4/2020, S. 60–63)*.
Tipp 14: Endknoten
Sind fast immer sinnvoll: in jedem Ende ein Sackstich, Achter oder doppelter Spierenstich, dann können sich die Stränge unabhängig ausdrehen.
WIE KOMMT DAS SEIL RUNTER?
Am Zervreilahorn hätten Knoten das Problem vielleicht eher verschärft. Dort hatten wir die Seile über die Platte gleiten lassen (meist die bessere Alternative), statt sie im Wind auszuwerfen – mein Herz blieb stehen, als ich beim Abseilen sah, dass ein Strang knapp unterhalb der Seilmitte in einem Handriss verschwand.
Dank Prusik hatte ich beide Hände frei, um ihn gaaanz vorsichtig, Dezimeter für Dezimeter, rauszuziehen – er verklemmte sich nicht … Beim weiteren Abseilen stellte ich fest, dass er nochmal in einen Riss gefunden hatte, und Zug von etwas unterhalb verklemmte ihn nur fester. Wie gut, wenn man dann genug Schlingenmaterial dabeihat, um zu der Verklemmstelle hochzuprusiken und das Seil zu lösen.
Tipp 15: Seil mitnehmen statt auswerfen
In komplexem Gelände (Blöcke, Risse, Büsche, Eiszapfen) und vor allem bei Wind kann das Seil sich bösartig verklemmen, besonders mit Knoten und wenn es ausgeworfen wird (statt runtergelassen). Abhilfe: in Schlingen über die Schulter aufnehmen und beim Abseilen Schlag für Schlag ablegen. Oder in kurzen Schlingen aufschießen, das Bündel mit einer Bandschlinge am Gurt fixieren und schlingenweise rausziehen.
Tipp 16: Probleme von oben lösen
Hat es doch mal ein Seil ums Eck geweht oder verklemmt, keinesfalls daran vorbeiseilen, sondern von oberhalb versuchen, das Seil durch vorsichtiges Einziehen zu lösen. Zieht man von unten, kann die Verklemmung sich verschärfen oder Steinschlag ausgelöst werden. Auch wenn sich auf einem Absatz ein Seilhaufen bildet: anhalten – aufnehmen – neu auswerfen oder runterlassen. Der Seilrest darf beim Abseilen nie oberhalb sein!
y Der Bergsteiger und Fotograf Ralf Gantzhorn hatte wohl in Patagonien einige schlechte Erfahrungen mit verklemmten Seilen gemacht – an der
legendär überhängenden Abseilpiste der Cheselenfluh (Schweiz) hätten Endknoten und/oder Prusik seinen tödlichen Absturz vermutlich verhindert. Jede Situation erfordert angemessene Entscheidungen.
Tipp 17: Ablassen statt Seil werfen Problemen mit verklemmten Seilen kann man entgehen, wenn man den Partner ablässt. Vor allem bei steilem oder schrägem Verlauf kann das günstig sein, um Zwischen-Exen einzuhängen. Allerdings ist Sicht- und/oder Rufverbindung wichtig für gutes Timing.
y Ungünstig hätte ein unkoordiniertes Ablassen an der Nordkante des Crozzon di Brenta enden können: Zum Glück war ich im normalen Abseilmodus unterwegs, als ich über die Kante kam und die Seilenden 40 Meter tiefer in einer fünf Meter breiten, endlos tiefen Randkluft baumeln sah. Mit Abstoßen von Anfang an beim frei hängenden Abseilen schaffte ich es, unten genug Schwung zu haben, um die Kante des Schneefelds zu überpendeln.
y Nur Herzklopfen verursachte das Ablassen an der Tête d’Aval: Durch ein Karstloch führt die Piste frei hängend 45 Meter zum Stand in einer steilen Platte 300 Meter über dem Grund –wenn man nicht die Enden den Fels berühren sieht, sondern nur Luft unter sich hat, braucht es Vertrauen ins korrekte Topo …
AM RECHTEN WEG?
Wenn nämlich die Linie nicht stimmt, sitzt man schnell in Teufels Küche – spätestens wenn das Seil abgezogen ist.
y So waren Irmgard und ihr Partner froh um die mitgenommenen Normalhaken, als sie am Oberreintaldom nur die Aufstiegsbeschreibung gründlich genug gelesen hatten. Und mit Christoph freute ich mich an der Barre des Ecrins über die Eisschrauben, die wir den Südpfeiler hinaufgetragen hatten: Die Abseilstelle mit Schekel in der Scharte endete nach 60 Metern in blankem Eis, noch weit über dem Bergschrund; eine Schraube zur Fixierung, eine zum Bohren einer Eissanduhr waren die Lösung im letzten Abendlicht. Ein Bolt mit Schekel lockte Marcel und mich auch am Kingspitz zum Abseilen in eine Rinne – der nächste Abseilstand war ein Schlingenbündel um einen zwei Meter hohen Legostein mit vierzig Zentimetern Kantenlänge, der halbwegs schräg auf einem Absatz lehnte. Zumindest für den ersten Abseilenden konnten wir ein Backup mit einer moosigen Sanduhr bauen …
Tipp 18: Bescheid wissen
So banal es klingt: Zur Tourenplanung gehört auch das gründliche Studium des Abstiegs.
Tipp 19: Gerüstet sein
Und da nicht jede Beschreibung vollständig, korrekt und unmissverständlich ist (auch beim Schreiben sind Menschen fehl-
bar), ist es vor allem bei größeren alpinen Touren gut, nicht nur das absolute Minimum dabeizuhaben, sondern auch etwas Material für Unvorhergesehenes oder um allzu optimistische oder gealterte Standkonstruktionen zu ersetzen oder zu ergänzen. Merke: Selbst ein Cam um 80 Euro ist ein geringer Preis für ein Leben. Und ein Messer und ein Stück Reepschnur zum Austauschen ranziger Abseilschlingen machen sich gut am Alpingurt.
y Ein Restrisiko bleibt trotzdem. So wie der Felsblock an den Grandes Jorasses, der irgendwann mitsamt Abseilstand (und Abseilendem) wegbrach. Abseilen geht schnell und gelenkschonend, und die gelungene Organisation einer kleinen Gruppe auf längerer Abseilpiste kann ein befriedigendes Berghandwerks-Erlebnis sein. Aber ein Fußabstieg ist meistens weniger nervenaufreibend und oft sogar schneller.
Tipp 20: Die beste Option wählen
Um den Stress beim Abseilen nicht zu groß werden zu lassen, lohnt es sich, verschiedene Varianten auszuprobieren und die persönlich angenehmste stabil zu trainieren –oder die situativ optimale zu wählen. Die verlängerte Aufhängung des Abseilgeräts hat Vor- und Nachteile je nach Gelände und erlaubt unterschiedliche Kombinationen mit der Hintersicherung. Zwei Karabiner im Tube erhöhen die Bremskraft, angenehm mit dünnen Seilen und an steilen Abseilstellen. Der Verzicht auf Endknoten spart ein bisschen Zeit und verringert die Verhängegefahr, ohne Prusik läuft es leichter und schneller – bei „wildem“ Abseilen oder wenn nicht alles völlig klar ist, machen diese beiden Sicherheitsmaßnahmen das Leben angenehmer. Und vielleicht länger …
y Andi Dick durfte mit 12 Jahren frei hängend im Gewitter-Wasserfall abseilen –und übte es danach am Nussbaum im Garten. Er dankt Lukas Fritz, Julia Janotte und Gerhard Mössmer für Anregungen und Ergänzungen.
Abseilunfälle müssen nicht sein!
Der erste Entwurf dieses Beitrags wurde an Fachleute in ÖAV und DAV verschickt. Lukas Fritz von der DAV-Sicherheitsforschung hat daraufhin eine Arbeitsweise beim Abseilen vorgeschlagen, die ein Optimum an Redundanz bei vertretbarem Aufwand verspricht, seine Kollegin Julia Janotte hat es ergänzt, Andi Dick sanft redigiert. Die Freiheit, eigenverantwortlich auf Redundanzen zu verzichten, soll damit nicht beschnitten werden. Doch als „gutes Grundmuster“ empfiehlt sie sich für den Kursbetrieb, für wenig Erfahrene und in allen Situationen, wo Stress besteht oder nicht alles völlig easy wirkt – aber vielleicht auch gerade dann, wenn Stress fehlt, weil die Gefahr eines Blackouts immer gegeben ist.
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Beide Seilenden sind ausreichend lang, ein Knoten an jedem Ende ist obligatorisch. Der doppelte Spierenstich öffnet sich nicht so leicht ungewollt wie eine Sackstichschlinge.
Partnercheck „oben“:
Alle in der Seilschaft bringen Hintersicherung und Abseilgerät schon an, bevor die erste Person abseilt. Die „Schweizer“ Aufhängung (in 20–30 cm abgeknoteter Selbstsicherungsschlinge) schafft Bewegungsraum. Bei extrem unbequemen Abseilständen kann als Kompromiss zunächst nur die Hintersicherung angebracht werden.
Die Hintersicherung (Prusik oder FB-Kreuzklemm): obligatorisch für alle. Sie kostet nicht wirklich Zeit und ist etwa mit dünnen Seilen oder an steilen Abseilstellen angenehm. Sie hilft nicht nur durch Blockieren, wenn man das Bremsseil auslässt – sie ist auch ein Backup, falls das Abseilgerät falsch eingelegt wurde (nur ein Strang gefädelt, Karabiner nicht eingehängt o. Ä.). Achtung: darf nicht am Abseilgerät anstehen (Supergau)!
Selbstcheck „oben“: Selbstsicherung erst nach erfolgreichem Belasten des Abseilsystems rausnehmen.
Selbstcheck „unten“: Die erste Person, die am unteren Standplatz ankommt, sichert sich selbst, zieht 2–3 Meter Schlappseil aus dem Abseilgerät und hängt es erst dann aus, wenn die Selbstsicherung voll belastet ist. Dank Schlappseil kann die obere Person schon starten.
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bergsönlichkeit Mensch, der beruflich oder ehrenamtlich mit Risiko im Bergsport in Verbindung steht.
Eine gute Tour und ein guter Kaffee
danach ist
für
mich
der Gipfel der Gefühle
Peter Lechner war Teil des Junge Alpinisten TEAM, des Ausbildungsprogramms der Österreichischen Alpenvereinsjugend. Die Zeit beschreibt er als eine prägende Erfahrung, die ihm neue Perspektiven, gute Freunde und schöne Erinnerungen beschert hat. Was er aus diesen zwei Jahren mitgenommen hat, gibt er nun als Jugendleiter in Wattens in Tirol weiter. Wir haben mit ihm über Ehrenamt, Leistung und Kaffee gesprochen.
Interview von Pia Paye
Was ist dein Auftrag als Jugendleiter?
Außer im richtigen Moment die Bialetti anzuwerfen?
Bei meinen ersten Touren im alpinen Gelände war ich oft nach dem Motto „trial and error“ unterwegs. Wir sind einfach rausgegangen und haben unsere eigenen Strategien entwickelt. Dabei hatte ich schon oft einfach viel Glück. Jetzt sehe ich meine Aufgabe darin, meine Erfahrung weiterzugeben, um unseren Gruppenmitgliedern diese Phase möglichst zu ersparen. (lacht) Ich will meine Gruppe begleiten, damit sie risikobewusster unterwegs ist, als wir es damals waren. Besonders wichtig ist die gemeinsame Tourenplanung, dabei werden vor allem die Soft Skills trainiert. Alle können sich einbringen, man tauscht sich darüber aus, was jeder und jede kann und wie es einem momentan geht, und dann plant man gemeinsam eine Tour, die für alle passt. Man geht nicht einfach bei einer ausgeschriebenen Tour mit, sondern die Teilnehmer sollen sich überlegen: Was kommt für uns in Frage? Wie sieht das Wetter aus und was ist da passend? Welches Equipment brauchen wir dazu? Das fördert das selbstständige Unterwegssein. Die Tour führe ich dann nicht an, sondern wir sind gemeinsam unterwegs. Das funktioniert in
unserer Gruppe sehr gut. Wenn jemand unsicher ist, dann helfen sich alle untereinander. Nach der Tour diskutieren wir noch über den Tag. Das Wichtigste danach ist auf jeden Fall der Kaffee!
Gab es einen Schlüsselmoment in deiner Zeit beim Junge Alpinisten TEAM, wo du dir gedacht hast: So will ich auch mit jungen Menschen unterwegs sein? Die ganze Zeit war irgendwie ein Schlüsselmoment. Am Anfang hat man die Mentoren nur vom Namen her gekannt und nicht persönlich. Man hat nur gewusst, dass sie richtig, richtig gut sind. Bei den ersten Treffen war man doch etwas eingeschüchtert, aber es hat sich dann so schnell ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt. Wir waren wirklich gemeinsam unterwegs. Die coolsten Momente waren für mich bestimmt, als wir in Dreierseilschaften alpinklettern waren, zwei Junge Alpinisten und ein Mentor. Am Standplatz haben wir Zeit gehabt, über das eine oder andere zu plaudern. Da hat man so viel mitgenommen im Bezug auf Hard Skills und auf Soft Skills. Unsere Mentoren haben uns bei allen Entscheidungen miteinbezogen, aber sie haben uns auch Fehler bzw. Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt, was wich-
Peter Lechner
alter 23 heimatort Wattenberg, Tirol beruf Student kaffee oder tee Kaffee, definitiv funktion im alpenverein Tourenführer, Jugendteam sommer oder winter Die Mischung macht’s! beste tour Unsere Erstbegehung "Washasta ehweh" in Peru was machst du am berg am liebsten? Alpinklettern ist einfach meine liebste Disziplin was macht für dich eine gute seilschaft aus? Gute Kommunikation, Vertrauen und die richtige Portion Spaß! du hast einen monat frei, was würdest du tun? In den VW-Bus hüpfen und nach Chamonix düsen wer inspiriert dich? Zur Zeit Alexander von Humboldt mit seinem Zugang zur Natur deine kraftquelle Der Morgenkaffee zuhause mit Blick aufs Inntal
tig war. Vor meiner Zeit im Junge Alpinisten TEAM war mein Blick auf das „Jugendleiter-Sein“ eher, dass die den Ton angeben. Jetzt finde ich, dass man gemeinsam unterwegs sein sollte und die Gruppe auch voneinander lernen sollte.
Was hast du in den zwei Jahren gelernt? Im Alpinismus und über dich? Mir wurde vor Augen geführt, wie wichtig eine gute Planung ist. Die kann dir das Leben in den Bergen echt erleichtern. Es war mir schon immer bewusst, dass planen wichtig ist, aber das war sowohl bei meinen Touren draußen wie auch im täglichen Leben immer etwas, was ich schnell erledigt haben wollte. Ich habe mich immer gleich auf das Projekt an sich gestürzt und so Zeit vergeudet oder unnötige Fehler in der Ausführung gemacht.
Was bedeutet Leistung für dich? Also Leistung. Das ist ein schwieriges Thema. Ich rede mir gerne ein, dass ich mir selbst keinen Leistungsdruck mache. Aber Leistung hat so viele Facetten. Was für mich keinen Sinn macht, ist, sich mit anderen zu vergleichen, ob beim Klettern, an der Uni oder auch in anderen Lebenssituationen. Jeder hat andere Vorkenntnisse, investiert unterschiedlich viel Zeit. Und trotzdem ertappt man sich immer wieder dabei, wie man sich vergleicht. Was ich schon gut finde, ist der Anspruch, den man an sich selbst hat. Ich will zufrieden sein mit dem, was ich leiste. Einfach nur zu sagen: „Ich schau’ mal, was heute geht“, macht ab und zu vielleicht Spaß, aber manchmal will ich es auch so angehen: „Okay, vor einem Jahr bin ich 7a geklettert, heute klettere ich eine 7b, weil ich habe mich ja verbessert.“ Ansprüche an sich selbst zu stellen, ist gut, Vergleiche mit anderen sind für mich nicht zufriedenstellend. Deshalb habe ich auch ein Problem mit Social Media. In meiner Alpinismus-Blase sehe ich ständig, was andere gerade draußen erleben, während ich gerade nicht rausgehen kann. Da muss man sich dann schon bewusst machen, dass man gerade auch etwas leistet. Auf der Uni, im Job oder als Jugendleiter.
Was motiviert dich zum Ehrenamt?
Ich war von klein auf immer im Vereinsleben integriert und konnte in vielfältiger Weise davon profitieren. Da war es für mich klar, dass ich mich auch selbst aktiv beteiligen will und so etwas zurückgeben kann.
Vor allem was die Soft Skills betrifft, habe ich enorm viel im Verein gelernt. Es ist wahnsinnig cool zu beobachten, wie sich Menschen in Vereinen entwickeln können, wenn sie selbst etwas planen und umsetzen können. Dabei lernt man so viel.
Wie hast du Zeit für das Ehrenamt?
Man muss natürlich irgendwo Abstriche machen, ich arbeite einfach hauptberuflich weniger, dann passt das! (lacht) Und man sollte es weniger als Zeitaufwand sehen und die schönen Seiten daran entdecken.
Was bedeutet Ehrenamt für dich?
Ehrenamt ist wertvoll investierte Zeit – für mich und für andere – und ein Weg, unserer Gesellschaft etwas zurückzugeben.
Wie wichtig ist jungen Menschen das Thema Leistung im Alpinismus und wie gehen sie deiner Ansicht nach mit Risiko um?
Ich weiß nicht, ob unsere Gruppe eine Ausnahme ist, aber mir kommt vor, dass der Leistungsgedanke eher eine untergeordnete Rolle spielt. Sie machen das, was ihnen Spaß macht, und probieren gerne Neues aus, zum Beispiel Eisklettern. Nicht aber mit dem Ziel, dass sie nächstes Jahr dann W6 klettern müssen. Und sie haben ein sehr ausgeprägtes Risikoverhalten, sind bewusst unterwegs und überlegen zweimal, ob sie wo einsteigen. Zum Sportklettern haben sie immer einen Helm dabei, da können wir oft von ihnen lernen.
Deine Reise mit dem Junge Alpinisten TEAM ist im Herbst 2022 zu Ende gegangen. Geht sie mit der Jugendgruppe in der Sektion Wattens in einer Art und Weise weiter?
Schon bei der Bewerbung für das TEAM war für mich klar: Wenn ich reinkomme, dann will ich das auch machen, um etwas für unser Jugendteam mitzunehmen. Oft waren es nur kleine Tricks mit dem Seil oder Aspekte zur Tourenplanung, die ich direkt nach Wattens in die Jugendgruppe getragen habe. Dadurch habe auch ich mein Wissen gefestigt.
Wie war das damals, als du dich für das TEAM beworben hast?
Ich habe die Bewerbungsfrist erst ziemlich spät gesehen und mir ehrlich gesagt auch wenig Chancen ausgerechnet. Ich dachte, das wäre nur etwas für bereits sehr starke Alpinisten. Aber das stimmt so nicht ganz,
es geht vielmehr darum, sich weiterzuentwickeln. Meine Entscheidung für die Bewerbung fiel erst ein paar Wochen vor dem Ende der Anmeldefrist. Dann bin ich drei Wochen lang rotiert. (lacht) Ich habe mir von der Arbeit freigenommen, bin in den Kaiser gefahren und ins Zillertal, um noch ein paar Touren zu sammeln. Ich hatte ziemliche Defizite beim Eisklettern, dazu hatte ich noch wenig Zugang. Die Einstiegshürden sind recht hoch und ich kannte niemanden, der das betrieben hat. Da habe ich mir dann schon gedacht, dass das ein Problem werden könnte. Dann bin ich am Tag vor dem Auswahlwochenende noch bei uns in den Steinbruch gefahren und im Halbdunkeln ein paar ganz leichte Kletterrouten mit Steigeisen geklettert. (lacht)
Dann bin ich zum Auswahlwochenende hingekommen und es war eigentlich ganz entspannt. Man hat sich jetzt nicht wie in einer Prüfungssituation gefühlt. Wir waren in den Tagen gemeinsam klettern, die Mentoren gaben uns dabei Tipps und haben uns bei harten Zügen angefeuert. In der Gruppe hatten wir viel Zeit, uns auszutauschen und uns etwas besser kennen zu lernen. Bei der Heimfahrt waren meine Gedanken dann eher, dass das jetzt ein derartig gutes Wochenende war, dass es das schon voll wert war, auch wenn ich nicht reinkomme. Allein schon der Kontakte wegen. Wenn man so etwas machen will, sollte man es einfach probieren. Solange man bereit ist, sich zu entwickeln, hat man gute Chancen.
Man munkelt, du wärst der beste Materialwart, den sich der Alpenverein nur wünschen kann? Was ist da dran? Haha. Ich weiß nicht, ob alle mit mir als Materialwart glücklich sind! Ich bin in Sachen Material wirklich ein ziemlicher Ordnungsfreak und übertreibe es da schon manchmal. Die Aufgabe habe ich mir selbst auferlegt. Als Jugendleiter habe ich oft etwas ausgeliehen und es gab nichts, was mich mehr aufgeregt hat, als wenn das, was ich gesucht habe, dann nicht da war. Obwohl ich wusste, dass wir es haben. Daraufhin habe ich angefangen aufzuräumen und dann haben sie zu mir gesagt: Mach das doch als Materialwart! Und dann bin ich durchgestartet. (lacht) Jetzt haben wir ein komplett neues Ordnungssystem. Es gibt nichts Schöneres, als ins Lager zu gehen und man greift zur Linken, da hängen nebeneinander alle Grigris, darunter die Smart und darüber die nach Größe geordneten Gurte, es passt einfach alles. Das finde ich schon angenehm!
Wie gehören Kaffee und Alpinismus für dich zusammen?
Interessante Frage! Kaffee und Alpinismus sind zwei Dinge, die das Leben für mich lebenswert machen. Oft kämpfe ich mich wo durch, weil ich weiß, in einer Stunde trinke ich dann einen guten Kaffee. Ein Lichtblick, wie wenn man weiß, dass man morgen eine lässige Tour gehen wird. Beides kombiniert, eine gute Tour und ein guter Kaffee danach, ist für mich der Gipfel der Gefühle. ■
„Ansprüche an sich selbst zu stellen, ist gut, Vergleiche mit anderen sind für mich nicht zufriedenstellend.“Peter Lechner beim Tradklettern in Tschechien mit dem Junge Alpinisten TEAM des ÖAV. Foto: Ramona Waldner
Inklusion
bs schwerpunkt
Mit zwei Weltmeister:innen im Gespräch
Gebi Bendler interviewt die vierfache Paraclimbing-Weltmeisterin Solenne Piret aus Frankreich und den dreifachen Paraclimbing-Weltmeister Angelino Zeller aus Österreich. Beide holten sich letzten Sommer in Bern abermals den Titel.
Inklusion imGebirge? Geht sicher
Sascha Mache und Christiane Werchau erklären, warum sie inklusive Bergtouren planen und durchführen und worauf es dabei ankommt.
Ja, muss das denn sein?
Mit dieser Frage wird Markus Mair sehr häufig konfrontiert, wenn er mit Menschen mit Beeinträchtigung am Berg unterwegs ist. Welche speziellen Sportgeräte dabei hilfreich sind, darüber berichtet er hier.
Kletternlernen – fürs Leben lernen
Christian Penning hat den Kletterer und Pädagogen Toni Lamprecht an seinem Arbeitsplatz getroffen. Mit seinen Kletterprojekten am Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung ist er mindestens genauso erfolgreich wie am steilen Fels.
Inklusion auch andersrum
Alle zwei Wochen trifft sich die Klettergruppe „H3 –Mit Handicap Hoch Hinaus“ in der Kletterhalle im oberbayerischen Weyarn. Tom Dauer hat sie besucht und findet, dass das Klettern mit Menschen mit Behinderung nicht nur den Menschen mit Behinderung guttut.
Paraclimbing-Weltmeister Angelino Zeller hangelt die Route „King Kong“ (7a) in den Adlitzgräben in der Nähe des Semmerings, Österreich.
Mit zwei Weltmeister:innen im Gespräch
Interviews von Gebi Bendler„Ich suchte Zuflucht in meiner Phantasie“
Solenne, klettern liegt bei euch in der Familie. Deine Eltern haben sich sogar in Fountainebleau beim Bouldern kennengelernt, aber du hast es nicht immer geliebt. Wie das?
Ich habe es nicht immer gemocht, weil es Sonntagsausflüge mit der Familie bedeutete, und als Teenager ist das nicht besonders cool. Und dann hatte ich natürlich eine gute Entschuldigung dafür, dass ich nicht hochkomme. Niemand hat mich gepusht, mich mehr anzustrengen und nochmal zu probieren. Ich hatte kein Vorbild, mit dem ich mich identifizieren konnte und das mir zeigen konnte, was möglich war.
Am Ende hast du die Motivation in dir selbst gefunden. Ist das einer deiner Hauptcharakterzüge?
Ich glaube schon. Ich glaube, ich hinterfrage oft Dinge. Aber ich habe auch die Kraft, diese Zweifel beiseite zu legen, an mich selbst zu glauben, auf mich selbst zu hören und vor allem, mich nicht von anderen einschränken zu lassen!
Heutzutage bist du sehr selbstbewusst und hast Karriere gemacht, sowohl als Sportlerin als auch als Architektin. Aber wie war es, ohne Unterarm aufzuwachsen?
Es war nicht einfach, mit diesem Unterschied aufzuwachsen, auch wenn ich immer das Glück hatte, von den richtigen Menschen umgeben zu sein. Als Kind träumte ich jedoch davon, wie die anderen zu sein, also versteckte ich meinen Arm. Und ich war sehr gut darin! Einige meiner Klassenkameraden brauchten Monate, um zu erkennen, dass ich keinen Unterarm habe! Ich war eine Tagträumerin und suchte oft Zuflucht in meiner Phantasie.
Was hast du geträumt?
Einen stylishen Lebensstil zu führen und gleichzeitig eine Topathletin zu sein.
Du hast die Träume wahrgemacht. Ja, aber damals waren es unmögliche Träume. Ich hätte nie geglaubt, dass sie eines Tages Wirklichkeit werden.
Welche Vision hast du vom Paraclimbing? Wie sieht es mit Behinderungen im Allgemeinen in unserer Gesellschaft aus?
Es ist offiziell, wir sagen jetzt auch in Frankreich „Paraklettern“. Es ist nur ein semantischer Unterschied, aber der Begriff zeigt, dass wir Fortschritte machen! Denn „para“ bedeutet „parallel“ und es ist wichtig, bei Menschen mit Behinderung keinen Unterschied zu machen, sie nicht auszugrenzen. Im Allgemeinen wird eine Behinderung zunehmend akzeptiert, bleibt aber für viele immer noch eine Abnorm. Ich persönlich frage mich, was ich mit zwei Händen machen würde (lacht). Es ist alles eine Frage der Perspektive!
In einem deiner Interviews habe ich gelesen, dass eines deiner Ziele darin besteht, „mit jedem meiner Siege eine Kraft zu erzeugen, die einen positiven und motivierenden Einfluss auf die Gesellschaft hat“. Ist es immer noch dein Credo, andere zu inspirieren und zu motivieren, damit sie über sich hinauswachsen?
Ja, das ist immer noch mein Credo. Jeder hat seine eigenen Behinderungen, auch wenn sie nicht immer als solche bezeichnet werden. Ich sehe mich selbst als die Spitze des Eisbergs, weil meine Behinderung klar erkennbar ist und ich darüber sprechen kann, ohne dass jemand etwas in Frage stellt. Ich höre oft: „Ich habe diese oder jene Angst, und sie behindert mich bei diesem oder jenem.“ Wir werden nicht alle mit einer Behinderung geboren, jedoch können alle leicht in eine Handicap-Situation geraten.
Die Französin Solenne Piret (*1992) ist Architektin und vierfache Paraclimbing-Weltmeisterin in der Kategorie AU2, in der Kletterinnen und Kletterer mit Amputation oder Fehlbildung eines Vorderarms starten. Sie wurde ohne rechten Unterarm geboren und klettert Boulderprobleme bis zum Schwierigkeitsgrad 7B.
„Ich hatte kein Vorbild, mit dem ich mich identifizieren konnte und das mir zeigen konnte, was möglich war.“
Foto:Ulysse Lefebvre
Deine zukünftigen Projekte?
In diesem Winter würde ich gerne noch mehr eisklettern. Ich war die letzten Winter öfter und es hat mir sehr gut gefallen! Letzten Winter habe ich mich dann auch erstmals in den Vorstieg gewagt. Das war gruselig, aber richtig toll. Und nach der WM ist vor der WM (lacht)! Nach Bern 2023 kommt irgendwann bestimmt wieder die nächste Weltmeisterschaft, für die ich trainieren werde.
Du bist letzten Winter mit „Sombre Heros“ eine WI 5 vorgestiegen. Wie machst du das beim Eisklettern ohne rechten Unterarm, ohne Hand?
Kletterst du nur mit einem Eisgerät?
Ich klettere mit zwei Eisgeräten und klemme das rechte mit meinem Ellenbogen ein, also genauer gesagt klemme ich es in die Ellenbeuge. Mit dem rechten kann ich so nicht wirklich ins Eis schlagen, weshalb ich kleine Unebenheiten und Hooks finden muss. Wenn das Eis zu hart ist und ich keine Hooks finde, wechsle ich vom rechten Eisgerät auf das linke. Manchmal ist das ein ziemlicher Mist (lacht), jedenfalls sehr herausfordernd.
Wovon träumst du heute? Und welche Botschaft möchtest du den jungen Kletter:innen mitgeben?
Mein Traum ist unter anderem, 8a am Fels zu klettern und die Olympischen Spiele. Es ist wichtig, einen Traum zu haben, sogar mehrere! Es ermöglicht uns, voranzukommen, Motivation zu finden, sich aber auch neu zu erfinden. Eine Botschaft: Verschließt euch nicht, bleibt offen für das, was euch umgibt, und lebt eure Leidenschaft in vollen Zügen. Das Einzige, was ihr bereuen werdet, ist, dass ihr es nicht getan habt.
„Das Einzige, was ihr bereuen werdet, ist, dass ihr es nicht getan habt.“
„Man kann alles erreichen, wenn man wirklich will“
Angelino, wie bist du zum Wettkampfklettern gekommen?
Ich bin nach meinem Unfall über eine inklusionskletterveranstaltung vom Alpenverein (INKlettern-Tour) wieder zum Klettern gekommen. Bei dieser Kletterveranstaltung waren Leute vom Paraclimbing-Nationalteam und weil ich mich dabei nicht so schlecht angestellt habe, haben sie mich dann zu einem Trainingslager nach Innsbruck eingeladen, wo ich die Kaderkriterien erfüllen konnte. So bin ich in das Ganze reingerutscht.
Unlängst bist du mit „Fritz the cat“ im Zigeunerloch eine 8a-Route komplett ohne Füße, also ausschließlich hangelnd durchgestiegen. Für die meisten Kletter:innen ist eine 8a-Route selbst mit gesunden Füßen und guter Fußtechnik unvorstellbar. Wie viele Tage hast du die Route projektiert, bis du sie geklettert bist? Und hast du dich speziell darauf vorbereitet?
Am Anfang, als ich mir die Route angeschaut habe, war bei mir auch ein großes Fragezeichen, ob das überhaupt möglich ist. Die Züge sind unglaublich schwer und haben für mich unlösbar gewirkt. Aber dennoch, nach vielem Probieren ist es immer besser geworden und irgendwann war da Licht am Ende des Tunnels. Damit ich überhaupt in die Route komme, war ein spezieller Seilaufbau für mich notwendig, da der Start viel zu flach für mich ist und ich sonst meine Füße nach oben über den Fels hätte schleifen müssen. Darum habe ich mich die ersten Meter am Seil nach oben bis zum Überhang ziehen müssen. Das ist genau da, wo die 8a anfängt. Ich habe mir dann Teile von der Route in der Halle nachgebaut, um dort die Schlüsselstellen einzuüben.
Wie viele Tage und Stunden pro Woche trainierst du?
Bis auf Mittwoch und Sonntag ist eigentlich jeden Tag Training, teilweise sogar zweimal am Tag. Seilklettern, Campusboarden, Boul-
dern, Krafttraining, Leistenhängen, Ausgleichstraining und von dem Ganzen verschiedenste Varianten. Insgesamt sind es ca. 15 bis 20 Stunden pro Woche.
Ein Freund und ich haben dich zufällig im Kletterzentrum Innsbruck beim Training für die WM in Bern beobachtet. Unglaublich mit welcher spielerischen Leichtigkeit du durch die Gegend hangelst. Als sehr neugierige Kletterer haben wir uns die Frage gestellt, wie viel du wiegst, seit du gelähmt bist? Wie viel Gewicht musst du ausschließlich mit deinen Händen nach oben bringen?
Uns ist natürlich sofort aufgefallen, dass deine Beine im Vergleich zum Oberkörper wenig muskulös sind und sicher um einiges leichter geworden sind nach dem Unfall. Wie hat sich dein Körper verändert?
Ja das stimmt, das Verhältnis hat sich seit dem Unfall und durch das Training stark verändert. Die Beine haben extrem abgenommen, da ich sie durch meinen Unfall nicht mehr so ansteuern kann und quasi dadurch einen Muskelschwund habe. Der Oberkörper ist deutlich breiter geworden, da ich jetzt im Alltag das meiste des Unterkörpers damit kompensiere, und zusätzlich konzentriert sich das gesamte Training und Klettern rein auf die oberen Extremitäten und den Rumpf. Ich wiege momentan ungefähr 63 Kilogramm.
Was uns noch brennend interessiert. Hast du mal bei einem Zlagboard-Kontest mitgemacht, wo gestoppt wird, wer am längsten ohne Füße an Leisten hängen kann? Du musst ja auf dem Hangboard oder am Campusboard alle ohne Handicap abhängen? Gibt es da irgendwelche Vergleiche? Adam Ondra oder Jakob Schubert können sich da warm anziehen, oder? ;-) Hahaha, nein, habe ich noch nie, aber diese Frage habe ich schon öfter gestellt bekommen. Grundsätzlich hebe ich mich wahr-
Angelino Zeller
Der Österreicher Angelino Zeller (*1996) ist dreifacher Paraclimbing-Weltmeister in der Kategorie AL 1, bei der die Beine nicht verwendet werden können. Seit einem Paragleitunfall im Jahr 2017 ist der Steirer querschnittgelähmt. Foto: David Schickengruber
scheinlich am meisten ab von den „Gesunden“ durch meine Zugkraft, also beim Hangeln. Fingerstrom haben die Profi-Boulderer und -Leadkletterer sicher mehr, da wir nicht so extrem kleine Griffe beim Wettkampf haben wie sie. Grundsätzlich ist diese Information spannend, da ich dadurch weiß, dass ich bei der Fingerkraft noch viel aus mir rausholen kann. Das eine oder andere Mal hatte ich schon einen Vergleich mit Wettkampfkletterern ohne Einschränkung. Und da war ich bei der Campusboard-Ausdauer doch überlegen.
„Beim Paraclimbing fehlt es noch hinten und vorne an Finanzierung“, hat die Trainerin Katharina Saurwein vor fünf Jahren gesagt. Wie sieht es inzwischen aus? Hast du Sponsoren? Kann man vom Paraclimbing leben?
Grundsätzlich sind wir dank des Österreichischen Kletterverbandes (KVÖ) gut aufgestellt und bekommen fast alle Reisen und Bewerbe finanziert – natürlich auch abhängig von der Leistung der Athleten. Da gibt es viele Länder, denen es deutlich schlechter geht, wo die Athlet:innen vieles selber finanzieren müssen. Mittlerweile läuft es mit eigenen Sponsoren sehr gut und die Nachfrage wird auch immer größer. Seit einiger Zeit werde ich beispielsweise von The North Face und Black Diamond gesponsert. Leben kann man allerdings noch nicht ganz davon, was sich aber in nächster Zeit vielleicht ändern wird.
Lieblingsfelsart?
Gute Frage. Würde sagen, Kalk ist von den Griffen her oft am kletterbarsten für mich, aber ich mag die Abwechslung. Vor meinem Unfall mochte ich Granit am liebsten.
Lieblingsklettergebiet?
Hmm, kann ich fast nicht sagen. Es gibt extrem viele schöne Gebiete: Spanien, Italien, Frankreich, Amerika. Die Adlitzgräben waren das erste Klettergebiet, in dem ich als Rollstuhlfahrer wieder versuchte, an
der Felswand zu klettern. Grundsätzlich beschränken sich jetzt die Klettergebiete auf gewisse Faktoren, damit für mich das Klettern überhaupt möglich wird. Der Zustieg soll machbar sein, die Wand überhängend und die Route sollte für mich einigermaßen hangelbar sein.
Ich gehe niemals außer Haus ohne … meinen Rolli (lacht). Kappe oder Haube.
Glückliche Momente in deinem Leben?
Es sind meistens Momente in der Natur, die übernatürlich magisch sind. Wenn was passiert, das man sich nicht erklären kann. Aber natürlich auch gewonnene Bewerbe oder Durchstiege von schwierigen Felsrouten.
Ich von außen stelle mir vor, dass man nach so einem Unfall erstmal in ein tiefes Loch oder sogar in eine Depression fällt. Wie war das bei dir? Was oder wer hat dir geholfen?
Gott sei Dank war das bei mir nie der Fall. Ich glaube, dass ich aufgrund meines Mindsets nie in ein Loch gefallen bin. Grundsätzlich bringt das Jammern, Trauern oder Ärgern in so einer Situation absolut nichts, es bringt einen weder weiter noch ändert sich die Situation zum Besseren dadurch. Darum habe ich es einfach akzeptiert, so wie es ist, und habe versucht, überall das Positive zu sehen. Was mir sicher eine große Hilfe war, ist, dass ich durch meine Großeltern diese mentale Stärke in die Wiege gelegt bekommen habe und mehr oder weniger mit so einer Einstellung aufgewachsen bin.
Was stört dich am meisten im Alltag als Mensch mit Beeinträchtigung? Was könnten wir als Gesellschaft besser machen?
Wenn sich gesunde Leute auf BehindertenParkplätze stellen. Auch wenn es nur zum Warten ist oder um wen abzuholen. Rollstuhlfahrer können auf schmalen Parkplätzen oder wenn sich wer knapp daneben
Wer Angelino besser kennenlernen will, dem sei die erst kürzlich erschienene Doku HANG (unterstützt von Alpenverein Österreich und Austria Climbing) ans Herz gelegt! Prädikat: Sehr sehenswert! Hier geht es zum Film:
„Ich mach mir aus jeder Situation einen Spaß, genieße jeden Moment und bin über jede Kleinigkeit im Leben dankbar.“
Gebi Bendler ist Kletterer und Chefredakteur von bergundsteigen und immer noch sprachlos darüber, wie schwer man/frau ohne Beine und mit nur einem Arm klettern k ann. Unglaublich!
hinstellt weder aus- noch einsteigen. Ab und zu hör ich von anderen Menschen, dass manche nicht wissen, wie sie mit einem Rollstuhlfahrer reden sollen. Ich glaub, dass man sich über so was keine Gedanken machen sollte, sondern einfach so tun soll, wie mit jedem anderen auch.
Ratschläge gibt man nicht gerne, um nicht als altkluger Besserwisser dazustehen. Ich frage trotzdem: Was kannst du Menschen mitgeben, die einen ähnlichen Schicksalsschlag erleiden?
Wenn ich eins mitgeben möchte, dann: dass im Leben absolut nichts unmöglich ist und man wirklich alles erreichen kann, wenn man wirklich will, auch wenn es noch so unrealistisch erscheint! Egal ob beim Sport, im Beruf, in der Freizeit, eigentlich in jedem Lebensbereich. Ich mach mir aus jeder Situation einen Spaß, genieße jeden Moment und bin über jede Kleinigkeit im Leben dankbar. Wenn man das tut, was einem Freude macht, ist man richtig gut in dem, was man macht, und es passiert immer das Richtige zur richtigen Zeit. ■
„Wenn ich eins mitgeben möchte, dann: dass im Leben absolut nichts unmöglich ist und man wirklich alles erreichen kann, wenn man wirklich will, auch wenn es noch so unrealistisch erscheint!“
DYNAMIC MOUNTAINEERING
Inklusion im Gebirge? Geht sicher
In der Gruppe sind schwierige Passagen wie der Abstieg unterm Rheinwaldhorn (Passo del Laghetto, Tessin) auch für Bergsteiger:innen machbar, die hier alleine überfordert wären.
In der Schweiz hangelt sich eine blinde Frau auf vereistem Steig die Felsen hinauf. Im albanischen Hochgebirge biwakiert eine Bergsteigerin mit Multipler Sklerose im Zelt auf 2000 Metern Höhe. Warum organisieren wir so etwas? Weil jeder Mensch Spannung, Erlebnis und Abenteuer braucht!
Von Sascha Mache und Christiane Werchau
SSchon am Vortag brauchen wir durch den Altschnee und den felsigen Weg übers Koblat deutlich länger als kalkuliert. Aber auf der nächsten Etappe übers Laufbacher Eck zum Prinz-Luitpold-Haus geht es sich dann nicht mehr aus. Rund sieben Stunden Gehzeit hatten wir für die zwölf Kilometer veranschlagt, gut 700 Höhenmeter im Auf- und etwas mehr im Abstieg. Sieben Stunden, berechnet mit unserer eigenen Gehzeitformel. Die hatten wir für unsere inklusive Transalp-Gruppe Monate zuvor ermittelt. Mit der Stoppuhr hatten wir Zeiten gemessen – auf einem Rundkurs ums Dorf in der Fränkischen Schweiz. Jetzt im Hochgebirge zeigt sich, dass wir anders rechnen müssen. Nach zehn Stunden sind wir immer noch nicht an der Hütte. Es ist bald Essenszeit, kein Handyempfang hier im Talschluss vom Bärgündeletal in den Allgäuer Alpen.
Die blinde Teilnehmerin möchte gerne weiter mit ihren eigenen Stöcken den Weg selbstständig ertasten. Aber in Anbetracht der Uhrzeit beschließen wir, dass ihre zwei Unterstützer:innen sie nun führen, um schneller zu sein. Und wir teilen die zwölfköpfige Gruppe, jede:r von uns beiden Teamer:innen führt die Hälfte, die erste Gruppe soll zur Hütte vorgehen, um uns anzukündigen und Essen zu organisieren. Schließlich sitzen nach elf Stunden alle wohlbehalten beim Abendessen.
Der Tag führt uns deutlich vor Augen, wie viel Zeitreserven wir zusätzlich einplanen müssen. Ob Aufstieg in der Hitze, Querung eines Schneefelds, Traverse im
Geröll, Ausdauer beim Gepäcktragen: Wenn jeweils auch nur eine Person Unterstützung braucht, addieren sich die Verzögerungen auf einer Tagestour im Gebirge enorm. Unter den Teilnehmer:innen sind Sehbehinderte, Menschen mit Cerebralparese, mit Diabetes, mit MS. Entsprechend individuell sind die Geschwindigkeit und der Unterstützungsbedarf an den unterschiedlichen Geländestellen.
Es ist die erste Tour unseres inklusiven Trekkingprojekts im Gebirge. Wir trainieren für unser großes Ziel, die zehntägige Transalp in der Schweiz, auf der wir den Hauptkamm überschreiten wollen. Die Hüttentour im Allgäu ist der Test und zeigt, welche Besonderheiten in der Planung und Führung inklusiver Touren zählen. Und wo die Grenzen unserer Gruppe liegen. Beim Abschluss der Tour wird im Gespräch deutlich: Alle haben Mut geschöpft, „wenn wir das gemeinsam geschafft haben, schaffen wir auch Größeres“. Aber nun ist auch klar: Mehrere Tage hintereinander würden wir so ein Pensum nicht durchhalten.
Sicherheit durch Hilfestellung und das Erlebnis von Selbstwirksamkeit durch Verzicht darauf: zwei Pole bei inklusiven Bergtouren. Im Abstieg vom Kistenpass, Graubünden.
Mache arbeitet als freier Journ alist. Er ist Trainer für Hochtou ren und inklusiven Bergsport beim DAV. Gemeinsam mit Christi ane Werchau leitet er die inklusi ven Leuchtturmprojekte des DAV.
SaschaChristiane Werchau arbeitet freiberuflich als Trainerin, Erlebnispädagogin und Ausbilderin und ist Mitglied im Bundeslehrteam inklusiv des DAV. Gemeinsam mit Sascha Mac he leitet sie die inklusiven DAV-Trekkingprojekte.
# was brauchst du?
Für ernsthafte Touren mit inklusiven Gruppen ist eine intensive Vorbereitungsphase nach unserer Erfahrung durch nichts zu ersetzen. Vom Gruppenprozess, der gegenseitigen Unterstützung und dem Teamspirit hängt deutlich mehr ab, als in nicht-inklusiven Gruppen. Sinnvoll eingesetzt helfen erlebnispädagogische Methoden der Gruppe, sich kennenzulernen. Neben dem Vertrauen untereinander muss das Vertrauen in die Leitung wachsen. Dazu kommt die Frage: Wer braucht etwas an Unterstützung? Wer kann etwas anbieten? In der Gruppe zählt nicht allein individuelles Können, sondern wie es gut zusammenpasst. Wer will Hilfe angeboten bekommen, wer probiert lieber erst einmal selbst und fragt bei Bedarf nach Unterstützung?
Schließlich werden Teams gebildet und erproben praktisch, wie sie unterwegs kooperieren können. Dabei stellt sich regelmäßig heraus, dass längst nicht jede gut gemeinte Unterstützungsmaßnahme im Gelände wirklich Vorteile bringt. „Unterstützung“ sieht dabei je nach den Teilnehmer:innen und ihren Voraussetzungen ganz unterschiedlich aus. In der Gruppe der Transalp-Tour lag der Fokus auf der Bewältigung von Schlüsselstellen, die für Einzelne aufgrund ihrer körperlichen Behinderung technisch schwierig waren. Bei Gangunsicherheit aufgrund einer Bewegungsstörung macht an ausgesetzten Stellen Hilfestellung Sinn. Für Teilnehmer:innen mit Sehbehinderung können Ansagen von Hindernissen oder die Führung an einer Bandschlinge oder Wanderstöcken hilfreich sein. Dagegen brauchten die Teilnehmer:innen der Tour am Balkan weniger physische Hilfestellung. In dieser Gruppe waren viele chronisch Kranke, Personen mit MS, Durchblutungsstörungen, nach Krebs. Hier ging es mehr um psychologische Faktoren, sei es bezüglich der Motivation und des Durchhaltevermögens Einzelner oder des Zusammenhalts der heterogenen Gruppe.
Persönliches Können und die psychologischen Dynamiken in einer Gruppe berücksichtigt bereits das klassische 3x3Schema zur Tourenplanung gleichbe-
rechtigt mit Gelände und Verhältnissen. Im inklusiven Setting nehmen wir den Faktor Mensch noch einmal wichtiger. Sorgfältige Vorbereitung hilft, Potentiale zu entfalten, sie ist aber auch wichtig, um Überforderung zu vermeiden. Bergsteiger:innen mit Behinderung werden eher von ernsthaften Touren ausgeschlossen, deswegen fehlt manchen die Erfahrung für eine realistische Selbsteinschätzung. Hier helfen Probetouren vorab, sie reduzieren das Risiko für die Einzelnen und für die Gruppe.
Nach unserem Verständnis von Inklusion geht es nicht darum, dass Menschen mit Behinderung dank der Hilfe Nicht-Behinderter auf einen Berg hinaufkommen. Überhaupt sortieren sich die Teilnehmer:innen nach unserer Erfahrung nicht sinnvoll in die fixen Schubladen „behindert“ und „nicht-behindert“. Stattdessen steht die Frage: Was können wir als Gruppe schaffen, was Einzelne alleine nicht könnten? Das ist nicht nur ein frommer Gedanke der Inklusion, sondern hat praktische Konsequenzen. Denn Fähigkeiten und Können verteilen sich bunt zwischen Teilnehmer:innen mit und ohne Behinderung. Ob jemand gut motivieren kann, hängt genauso wenig von einer körperlichen Besonderheit ab wie alpine Fachkenntnisse. In beiden Teams hatten wir ausgebildete Trainerinnen dabei, die nach Unfall oder Erkrankung nun die Unterstützung einer inklusiven Gruppe für ihre Bergabenteuer brauchen. Trotz körperlicher Einschränkung durch die Behinderung bleibt ihnen aber die größere Erfahrung, die Teilnehmer:innen ohne Behinderung dagegen schon mal fehlt.
# gemeinsam schaffen wir das
Wie so oft liegt der Teufel auch bei der gegenseitigen Unterstützung im Detail. Zum Beispiel im Fall der erblindeten Bergsteigerin im Allgäu. Immer wieder führten wir die Diskussion, wann sie –um der Gesamtgruppe ein höheres Tempo zu ermöglichen – Hilfe annehmen muss. Geführt zu werden, dirigiert, das war genau das Gegenteil von dem, was sie in den Bergen suchte. Wenn sie daheim selbstständig laufen kann, warum sollte sie sich dann ausgerechnet
bei einer inklusiven Bergtour fremdbestimmen lassen? Für solche Konflikte braucht es Szenarien, die sowohl die Würde der Einzelnen als auch das gemeinsame Ziel der Gruppe berücksichtigen. Große zeitliche Reserven in der Planung können helfen, aber sie lösen nicht alle Probleme. Spätestens wenn eine alpine Gefahr droht oder wenn ein Sprung über einen Bach erforderlich ist, braucht es bei Bedarf klar kommunizierte Kommandos der Gruppenleitung. Es bleibt unsere Verantwortung, in heiklen Momenten anzuweisen, dass Menschen mit Behinderung im Sinne des Risikomanagements Unterstützung annehmen müssen. Auch wenn sie den schweren Rucksack selbst tragen könnten, den Weg selbst ertasten: Es dauert manchmal einfach zu lang oder ist gefährlich. Empfundener Autonomieverlust in so einem Fall kann der nötige Preis für Autonomiegewinn sein: Wer bereit ist, bei Bedarf ungeliebte Unterstützung anzunehmen, erhält dadurch Zugang zu einer Bergtour, die sonst nicht möglich wäre.
Eine sinnvolle und diverse Zusammensetzung der Gruppe ist Grundlage für gegenseitige Unterstützung und sie ist auch eine wichtige Stellschraube für die Risiko-sensible Planung. Unterwegs in abgelegenen Gegenden mit entsprechend langen Rettungszeiten ist es uns z. B. wichtig, eine ärztlich ausgebildete Fachperson in der Gruppe zu haben, die im Notfall unterstützen kann. Zum Gelingen der Kooperation der Bergsteiger:innen auf Tour tragen die Leitungspersonen mit ihrer Planung entscheidend bei: Von der Auswahl der Teilnehmer:innen über die Reservierung barrierefreier Unterkünfte bis zur vorausschauenden Tourenplanung in Szenarien mit den erforderlichen Puffern und Reserven. Kooperation und Unterstützung sind unverzichtbar, aber sie sind nicht nur eine Chance, Ziele zu erreichen und Risiken zu reduzieren. Denn paradoxerweise schaffen wir gleichzeitig neue Risiken, indem wir die gegenseitige Unterstützung in inklusiven Teams zur Planungsgrundlage einer Bergtour machen. Das Team ist mehr als die Summe seiner Teile, wird der Teamgeist zerstört, etwa weil eine Unterstützungsperson zu erschöpft ist oder die emotionale Stabili-
tät des Gespanns zerbricht, ergibt sich ein Risiko für die Durchführung der Tour. Die gegenseitige Unterstützung in erprobten Teams ist dennoch alternativlos. Um für Eventualitäten gewappnet zu sein, ist das Training der Teams unter fordernden Bedingungen ein Baustein in unserem Risikomanagement, daneben ist uns auch Redundanz durch andere Personen wichtig, die als Back-up zur Verfügung stehen, wenn ein:e Unterstützer:in in einem Team ausfällt.
# ich brauche etwas anderes als du!
In nicht-inklusiven Gruppen werden Gesundheit und Leistungsfähigkeit oft unausgesprochen als Norm konstruiert. Schlimmstenfalls führt das zu riskanten Entscheidungen, weil die Gruppendynamik verhindert, dass Einzelne ihre Überforderung rechtzeitig mitteilen. Dagegen tun sich Bergsportler:innen mit speziellen Bedürfnissen in inklusiven Gruppen leichter, über ihre Besonderheiten zu sprechen, vor allem im Hinblick auf Behinderungen. Führungstechnisch kann das Entscheidungen mit vertretbarem Risiko für alle erleichtern. Aber auch in einer inklusiven Gruppe ist der Umgang mit Schwächen ein Balanceakt und kann sie vor eine Zerreißprobe stellen. Uns hat das Thema bei der Vorbereitung der
Exemplarisch zeigt der DAVBundesverband mit Trekkingprojekten in alpiner Umgebung, was inklusive Gruppen erreichen können. Die Pilotprojekte sollen Sportler:innen mit und ohne Behinderung inspirieren und ihnen Mut geben, in ihren Sektionen gemeinsam aktiv zu werden.
Höhepunkt des ersten Projekts war 2018 eine Überschreitung des Hauptkamms auf einer zehntägigen Tour durch die Schweizer Alpen. Eine zweite Gruppe war 2022 in Albanien, Kosovo und Montenegro am Weitwanderweg Peaks of the Balkans unterwegs. Mit Unterstützung von Tragtieren durchquerte sie das ProkletijeGebirge und biwakierte am Berg im Zelt. Vor den eigentlichen Touren trainierten die Gruppen gemeinsam auf vier mehrtägigen Treffen. Die sorgfältige Vorbereitung ermöglichte Erfolgserlebnisse und gutes Risikomanagement: Alle Touren verliefen nach Plan und unfallfrei.
Eingespielte
Teams sind sicher und effizient unterwegs. Val Sumvitg, Graubünden.Was ist möglich? Das ist immer auch eine Frage der Einstellung. Psychologische Faktoren zählen. Beim Bergsteigen in inklusiven Gruppen ganz besonders. Hier am Jezerca-Pass in Albanien.
Tour zu den Peaks of the Balkans beschäftigt. Vom technischen Können her und auch vom konditionellen Trainingszustand war das Niveau sehr heterogen – gerade das der Teilnehmer:innen mit Behinderungen. Es schien unmöglich, Touren so zu planen, dass wir dabei nicht auf die eine oder andere Art Ausschluss produzierten – das Gegenteil von dem, was wir mit der inklusiven Tour anbieten wollten! Bei einem höheren Pensum wären die Schwächeren nicht mitgekommen.
Andererseits gab es aber auch eine sehr leistungsorientierte Bergsteigerin mit Behinderung, die hoffte, endlich wieder einmal an ihre Grenzen gehen zu dürfen. Im Alltag wurde sie aufgrund ihrer Behinderung von ernsthaften Touren ausgeschlossen, nun sollte sie in der inklusiven Gruppe abermals zurückstecken, diesmal aufgrund des Leistungsniveaus anderer Personen mit Behinderung. Wir haben bei unserer 14-tägigen Abschlusstour deshalb Alternativen angeboten und die Gruppe oft geteilt. Über Gipfel hinweg oder durch die Tallagen: Je nach Tagesform und Gelände gab es unter-
schiedliche Konstellationen. Alle Teams, die so entstanden, waren inklusiv in dem Sinn, dass Teilnehmer:innen mit und ohne Behinderung gemeinsam unterwegs waren.
Wir haben festgestellt, dass auch solche Konflikte um die Frage, wer sich bei Entscheidungen mit seinen individuellen Wünschen durchsetzt, die Gruppe belasten. Sie befördern Risiken, weil gerade auf einer Durchquerung alle auf die gegenseitige Unterstützung und Rücksichtnahme angewiesen sind. Tragfähige Kompromisse transparent in der Gruppe auszuhandeln ist daher nicht nur eine Frage von Respekt und Würde für Personen, die rund um das Thema Schwäche/ Leistungsfähigkeit bereits traumatische Erfahrungen mitbringen. Die begründete Entscheidung, zusammenzubleiben oder eine Gruppe aufzuteilen, ist auch zur Risikoreduktion eine wichtige führungstechnische Maßnahme.
Inklusion als Best Practice
In mancher Hinsicht sind inklusive Tourengruppen sicher besonders. Wo sonst vieles unausgesprochen als Norm gilt, braucht es hier aktive und bewusste Entscheidungen. Ehrlichkeit, Wertschätzung und Kooperation zählen. Sie sind auch für den guten Umgang mit Risiken unverzichtbar. Unter diesem Aspekt setzt inklusives Bergsteigen wertvolle Impulse für den alpinistischen Alltag aller Bergsteiger:innen.
Der Gruppenprozess hat hier eine größere Bedeutung, wie sich vor allem in der aufwendigeren Vorbereitungsphase eines größeren Projekts zeigt. Die Methoden sind dabei nicht neu, ob Moderationstechniken, Tourenplanung mit dem 3x3-Schema oder auf Tour die Hilfestellung an einer Schlüsselstelle. Mit diesen Werkzeugen kann die gegenseitige Unterstützung in der Gruppe gelingen, die es Einzelnen erlaubt, über ihre individuellen Möglichkeiten hinauszuwachsen. Das würde allen Gruppen guttun, die in den Bergen unterwegs sind. In unserem Kontext ist es auch unter dem Aspekt der Risikoreduktion unverzichtbar.
Ja, muss das denn sein?
Mit unserem selbstentwickelten Bergrollstuhl ist es möglich, befestigte Wanderwege zu befahren und unseren Teilnehmer:innen eine andere Perspektive zu geben. Fotos: Andreas Strauß
Mit dieser Frage wird man sehr häufig konfrontiert, wenn man mit Gehbehinderten am Berg unterwegs oder mit Rollstuhlfahrern an der Kletterwand zu Gange ist. Dieselbe Frage kann man sich natürlich auch stellen, sieht man andere fragwürdige Bergaktivitäten. Wer bestimmt denn, was sein muss oder darf?
Von Markus Mair
Wir halten uns an Reinhold Messner, der sagt: „Die Berge, die es zu versetzen gilt, sind in unserem Bewusstsein.“ Für mich steht fest: Natürlich gibt es Grenzen, aber in erster Linie entscheide nicht ich darüber. Die Teilnehmenden bestimmen selbst, basierend auf ihren Möglichkeiten, wie weit wir gehen.
Der Ehrgeiz des Trainers darf nicht der Maßstab sein. Vielmehr setzen die Lust, die psychischen und die physischen Voraussetzungen des Betroffenen den Rahmen für die Aktivitäten. Ich sehe mich nur als „Ermöglicher“, nicht als „Bevormunder und Bestimmer“, der sein Ego auslebt. Ich versuche, den Teilnehmern Freiheit, Gipfel und Spaß erlebbar zu machen. Oft hat der Sport eine solche Kraft, dass sich Grenzen verschieben. Je tiefgreifender das Erlebnis ist, desto größer ist der Erinnerungseffekt und desto größer ist der Lerneffekt. Es werden Angstbarrieren überwunden oder neue Bewegungen ausprobiert. Verborgene Ressourcen werden entdeckt. Therapeutische Aspekte werden spielerisch angegangen. Die Förderung des Selbstbildes wird durch Spaß und Aktivität unterstützt. Viele, die durch Schicksalsschläge ihre Sportaktivitäten einstellen mussten, knüpfen an ihre alten Erinnerungen an und können vielleicht neue Perspektiven für sich entwickeln. „Geht nicht, gibt’s nicht“ (sofern es die Sicherheitseinschätzung und der Wille der Teilnehmenden
zulassen). Erfolg ist bei unseren Aktionen, wenn wir gemeinsam Grenzen verschieben. Wir erleben Abenteuer und lassen Augen leuchten. Das ist beflügelnd für die ganze Gruppe und der höchste Lohn. Im Detail muss man schauen, welche Betreuung und Unterstützung für ein Erfolgserlebnis nötig sind. Oft können einfache Hilfsmittel neue Möglichkeiten schaffen.
iIch ermögliche Wandern und Klettern trotz:
y Halbseitenlähmung. Das typische Problem bei Menschen mit Hemiparese ist die „offene Tür“. Durch die einseitige Zugund Stehposition dreht sich der Körper aus der Wand und die kranke Seite kann dem durch die unmögliche Fixierung nicht entgegenwirken. Eine Schiene mit einem fixen Haken, die an der eingeschränkten Hand angebracht wird, ermöglicht ein einfacheres Andocken an der Wand und verhindert die offene Tür. Das gibt ein neues Körpergefühl und unter Umständen lässt dieses veränderte Körperbewusstsein solche Haken auf lange Sicht überflüssig werden.
y MS und inkompletter Querschnitt. Ein gezieltes Ansteuern und Setzen der Beine ist bei diesen Menschen oft unmöglich. Mithilfe von Bändern, die um Sprunggelenke und Kniegelenke angebracht werden, die von den Händen dirigiert werden können, wird die Beinarbeit deutlich verbessert und beschleunigt. Es ist erstaunlich, welche Leistungssteigerung damit erreicht werden kann (Abb. 1).
y Querschnitt. Jeder, der das Klettern mit einer querschnittsgelähmten Person ausprobiert hat, weiß, dass sich die Sicherung als Schwerstarbeit entpuppt. Auf Dauer nicht machbar. Es gibt unterschiedliche
Abb. 1 Diese Bänder unterstützen den Kletterer mit einer inkompletten Querschnittslähmung.
Markus Mair ist Mitglied im Bundeslehrteam Bergsteigen inklusiv des DAV. Er ist Erlebnispädagoge sowie Trainer C Bergs teigen und Trainer B Skilauf mit Handicap.
Abb. 2 In der Regel werden die Fahrer:innen des Bergrollstuhls von einer Person gezogen und von zwei geschoben.
Abb. 3 Der Bergrollstuhl ist so konstruiert, dass die darin sitzende Person auch mitarbeiten kann. Wenn es mal eng wird, können wir auch die zwei großen Räder entfernen.
Flaschenzugsysteme, die entweder vorgefertigt oder schnell aufgebaut sind und eine deutliche Minderung des Kraftaufwandes bewirken. Je nach Höhe des Querschnittes und der leistbaren Körperspannung ist meistens ein Brustgurt angesagt. Für das Ablassen sind Knieschoner und ein am Hüftgurt angebrachtes Hilfsseil, mit dem ich den Abstand zur Wand steuern kann, von großem Vorteil. Ansonsten drohen Hautabschürfungen.
y Mentale oder motorische Einschränkungen. Oft muss man sehr direkt Hilfestellung geben oder bei Blockaden schnell eingreifen können. Duoklettern ist eine gute Möglichkeit, das umzusetzen. Es gibt zwei Möglichkeiten: Ich habe entweder parallel zur Kletterroute ein Interventionsseil befestigt, an dem ich mich mittels Grigri bewegen und bei Stressblockaden schnell eingreifen kann. Oder ich befestige eine bewegliche Weiche am Kletterseil und klettere parallel zu meinem Kletterer. Auch für das Abseilen bieten sich Duokonstruktionen bestens an, um Ängstlichen oder motorisch Unfähigen das Abseilen zu ermöglichen.
y Blinde und sehbehinderte Menschen. In der Zwischenzeit gibt es Klettergriffe, die licht- oder tongesteuert sind und dadurch kenntlich gemacht werden können.
sUnternehmungen am Berg im Sommer
Bergerlebnisse erden mich und lassen mich gleichzeitig die Weite und Größe der Natur erleben. Sie machen mich glücklich und ausgeglichen. Das möchte ich für Menschen mit Unterstützungsbedarf möglich machen. Am Markt gibt es inzwischen einige Hilfsmittel – aber bei Weitem nicht so viele, wie wir uns alle wünschen würden. Deswegen sind wir auf unser eigenes handwerkliches Können und eigene Ideen angewiesen. Die es dann auch umzusetzen gilt. So entstand auch die Idee von unserem Bergrollstuhl (Abb. 2 und 3).
Die auf dem Markt erhältlichen Modelle waren leider nicht für unsere Bedürfnisse geeignet. Deswegen bauten wir unsere eigenen. Mit diesen Modellen können viele unterschiedliche Menschen ein Bergabenteuer erleben und fast alle Wege befahren. Seit dem ersten Testlauf waren die Bergrollstühle schon viele Male im Einsatz und haben uns unvergessliche Erfahrungen beschert. Die Idee dazu entstand, als wir das erste Mal auf dem Weg zur Rotwand waren – mit einem normalen Rollstuhl. Leider ging dabei der Rollstuhl kaputt und wir entschieden uns, etwas Robusteres zu bauen. Ein Bergrollstuhl steht in der Jugendbildungsstätte in Hindelang.
wUnternehmungen am Berg im Winter
Der Winter – eine unbeliebte Jahreszeit bei vielen Rollstuhlfahrern. Durch unsere Angebote im Schnee versuchen wir diese Jahreszeit zu verschönern. Wir haben mehrere Skigeräte für die unterschiedlichsten Bedürfnisse. So können wir Skiausflüge für viele Menschen möglich machen. Unser Team besteht aus ausgebildeten Skilehrern für Handicap. Wir suchen das passende Gerät für unsere Teilnehmenden heraus. Unsere Skigeräte sind z. B. Skibobs (Abb. 4), Dualski und Bi-Ski (Abb. 5). Unsere Teilnehmenden sitzen auf den Geräten und wir haben die Möglichkeit, hinten als Begleitfahrer zu unterstützen. Sollten wir kein geeignetes Gerät haben, finden wir kreative Lösungen. Wir versuchen, die Freude am Fahren, an der Geschwindigkeit und der Bewegung im Schnee erlebbar zu machen. Spaß im Schnee ist für alle möglich – sei es allein, im Team oder mit Begleitfahrer.
Die Belohnung sind für uns alle das Strahlen der Teilnehmenden und die Momente des Glücks. Ich hoffe, dieser Artikel konnte euch inspirieren, etwas zu wagen und Abenteuer möglich zu machen. ■
Abb. 4 links: Skibob. Der Skibob ist für unsere Teilnehmer:innen ein wunderbares Gerät, weil es ihnen möglich ist, alles selbst in die Hand zunehmen. Die Füße sind mittels einer Vorrichtung gegen Verdrehen geschützt.
Abb. 5 unten: Fahrt mit einem Bi-Ski. Die Begleitläufer sind mit einer Sicherheitsleine mit dem Skigerät verbunden. Die Fahrer:innen sind in dem Gerät festgeschnallt und können durch Verlagern des Schwerpunktes mitarbeiten. Die Begleitfahrer:innen werden von uns in einem dreitägigen Kurs ausgebildet. Sie fahren mit Kurzski, die 90 Zentimeter lang sind. So können sie jederzeit eingreifen.
Klettern lernen fürs Leben lernen
Viele Erstbegehungen hat Toni Lamprecht auf seinem Konto – große Wände, kleine, knifflige Boulder. Doch mindestens genauso erfolgreich ist er mit seinen Kletterprojekten am Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung. An der Kletterwand trainieren die Schüler:innen für die selten einfachen Routen zurück ins „normale“ Leben. Inklusionsarbeit jenseits aller traditionellen Schwierigkeitsgrade.
Von Christian PenningEs ist spürbar. An der Kletterwand in der Sporthalle genauso wie an der Boulderwand im Pausenhof. Es ist greifbar. Wenn Yanis aus der sechsten Klasse als „Trainer“ jüngere Kids sichert, die sich zum ersten Mal in schwindelerregende Höhen an der Wand mit den bunten Griffen trauen. Wenn sich Alina routiniert an den Vorstieg einer Sechser-Route macht. Dann wird klar: Klettern ist für die Schüler:innen der Prof.-Otto-SpeckSchule in München viel mehr als nur eine exotische Variante des Sportunterrichts.
Egal, wie leicht oder wie schwer die Routen für jeden individuell sind – die Schüler:innen trainieren hier fürs Leben. Was zählt, sind längst nicht nur die Kraft und eine geschmeidige Technik, die Größe der Griffe und Tritte, die Neigung des Überhangs. Viel wichtiger sind Selbsterfahrung und Miteinander. Die Schule versteht sich als ein „Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung“. Mit enormem Engagement für jeden Einzelnen kümmern sich die Lehrkräfte der Prof.-Otto-Speck-Schule in Kleingruppen um jene, bei denen das Standard-Erziehungssystem von Regelgrundschule, Mittelschule, Realschule und Gymnasium mit seinem Latein am Ende ist. „Jede:r unserer Schüler:innen trägt eine brutale Packung“, sagt Toni Lamprecht, bayeri-
sche Kletterlegende und Konrektor. Soziale Probleme. Mentale Probleme. Körperliche Defizite. Und viele andere problematische Faktoren. Nicht selten eine Kombination aus allem. Massive Verhaltensauffälligkeiten, ausgeprägtes ADHS oder ASS (Autismus-Spektrum-Störung) zählen für Toni genauso zum Schüler:innenalltag wie Angststörungen oder der Hang, Auseinandersetzungen mit Gewalt zu lösen. Regelmäßige Kletterprojekte sind mittlerweile ein fester und wirksamer Bestandteil des Repertoires der Schule. „Ziel ist es nicht, dass die Schüler:innen am Ende im 6., 8. oder 10. Schwierigkeitsgrad klettern“, erklärt Lamprecht. „Viel wichtiger ist: Klettern kann einen wertvollen Beitrag leisten, diese Kinder und Jugendlichen fit zu machen für das ‚normale‘ Leben in unserer Gesellschaft.“ Inklusion durch Klettern –das ist keineswegs nur ein frommer Wunsch eines Fels-Freaks, der in der Kletterszene bei Erstbegehungen an Bouldern im Münchner Umland genauso seine Spuren hinterlassen hat wie an Bigwalls in Grönland oder in der Verdon-Schlucht in Südfrankreich. Bei nicht wenigen seiner „Problemschüler:innen“ wirkt Klettern wie eine Therapie –oder zumindest als Ergänzung bei der Beziehungsarbeit. Erfolgsaussichten? Gut. Das zeigen Tonis Erfahrungen mit Kletterprojekten an verschiedenen Förderzentren und in therapeutischen Einrichtungen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schon führt er Kids mit Seil und Klettergurt in ein besseres Leben.
Verantwortung füreinander übernehmen
Wenn Yanis vom Klettern erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. Ein „Angsthase“ sei er früher gewesen. Gleichzeitig aggressiv. „Wenn jemand auch nur meinen Namen falsch ausgesprochen hat, hab’ ich völlig überreagiert und manchmal einfach zugeschlagen“, blickt er zurück. Mittlerweile hat
Beim Partnercheck und beim gegenseitigen Sichern lernen die Schüler:innen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Foto: Christian Penning
„Als Sichernder bin ich verantwortlich für das Leben meines Kletterpartners. Da verstehe ich keinen Spaß, wenn mich jemand ablenkt.“ Schüler Yanis
Was klettern bewegen kann, erfuhr Autor und Fotograf Christ ian Penning hautnah bei zwei Interv iewund Fototerminen mit Toni La mprecht und den Schüler:innen der Prof.-Otto-Speck-Schule in München: „Tonis Projekte zeigen, was möglich ist, wenn sich je mand intensiv daru m kümmert, die Ener gie in die richtige Richtung zu lenken.“
er nicht nur seine Höhenangst überwunden und ist seine erste 30-Meter-Route geklettert. Er hat auch seine Aggressionen deutlich besser im Griff. Beim Klettern kommt er jetzt sogar mit einem Mitschüler klar, mit dem er früher ständig im Clinch lag. „Da man beinahe automatisch Verantwortung füreinander übernimmt, eignen sich Kletterprojekte hervorragend dazu, zwischenmenschliche Barrieren aufzubrechen“, erklärt Toni Lamprecht. Wegen der individuellen Voraussetzungen der Schüler:innen sei es wichtig, bei Planung und Umsetzung der Kletterprojekte sensibel auf das persönliche Fähigkeits-Level und die Stärken und Schwächen der Teilnehmenden einzugehen. „Bei Kindern und Jugendlichen mit sozial-emotionalen Defiziten ist allein schon das ‚Verantwortung-Übernehmen‘ beim Sichern ein therapeutischer Ansatz“, weiß Toni. Yanis’ Mitschüler Meris (12) ist beim regelmäßigen Kletterunterricht mit der zweiten Klasse der benachbarten Regelgrundschule gerade als „Trainer“ eingesprungen. Geradezu fürsorglich spottet er die kletternden Kleinen an der Boulderwand und gibt ihnen Tipps, wie ihre zarten Händchen am näch-
sten Griff Halt finden. Wer Meris, Yanis und ihren Mitschüler:innen eine Weile zusieht, versteht schnell: Tonis Kletterprojekte sind weit mehr als eine sportliche Auflockerung des Schulalltags und Förderung von kindlichem Spaß an der Bewegung. Sie sind ein Mix aus Selbsterfahrungsritual, Mutprobe, Teambuilding und Beziehungsarbeit – ein Tool, mit dem Toni sehr individuell gesteuert an einem positiven Mindset der Schüler:innen arbeitet. Dabei setzt er unterschiedliche Formen des Kletterns ein, die als Projektreihe aufeinander aufbauen. y Beim Bouldern in der Halle mit Weichbodenmatten am Boden sammeln die Kinder spielerisch erste Klettererfahrungen.
y Individuell abgestimmte und von den Schüler:innen selbst geschraubte Boulderund Kletterrouten helfen, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu steigern.
y Zielgerichtetes Arbeiten und Kreativität stehen beim Routenschrauben an der Boulderwand im Mittelpunkt.
y Klettern mit Seil (Toprope) ist der nächste große Schritt: Im Fokus stehen Angstbewältigung und gegenseitiges Vertrauen beim Sichern.
„In erster Linie geht es bei den Kletterprojekten darum, eine positive, vertrauensvolle Beziehung zu den Schüler:innen aufzubauen.“
Toni Lamprecht, Kletterer und Lehrer für Sonderpädagogik
Tipps: Klettern als Inklusionsprojekt
In über 20 Jahren hat Toni Lamprecht viel Erfahrung mit Kletterprojekten in der Sonderpädagogik gesammelt. Noch mehr als bei anderen Zielgruppen ist bei Jugendlichen mit Förderbedarf im emotionalen und sozialen Bereich Fingerspitzengefühl und eine angepasste Kommunikation entscheidend. Tonis Praxistipps für Lehrer, Bergführer und Klettercoaches:
y Inklusion ist, wenn alle mitmachen dürfen: Sinn von Inklusionsprojekten ist es, Schüler:innen mit allen Voraussetzungen (guten und weniger guten) an den Kletterprojekten teilhaben zu lassen. Dazu sollten immer die pädagogischen Experten der betroffenen Einrichtung miteinbezogen werden.
y Feingefühl und spontane Anpassungsfähigkeit sind bei der Arbeit mit Jugendlichen mit Förderbedarf unerlässlich. Das Niveau in einer Gruppe wird oft nicht homogen sein. Durch entsprechende individuelle Aufgabenstellungen lässt sich das auffangen. Allen Teilnehmenden sollten angemessene Übungen angeboten werden, die zu ihren Fähigkeiten passen.
y Die goldene Mitte zwischen angemessener Herausforderung und Überforderung zu finden, ist bei Jugendlichen mit einer geringen Frustrationstoleranz und körperlichen Defiziten besonders wichtig.
y Klare Strukturen, Regeln und Anweisungen sind gerade bei Gruppen mit herausforderndem sozialem Verhalten und Konzentrationsproblemen unerlässlich.
y Je einfacher, desto besser: Klettertechniken sollten nur auf einem tiefen Basisniveau und möglichst natürlich anhand einfacher, manchmal auch rein bildhafter Beschreibungen vermittelt werden. Zu komplexe Aufgaben führen leicht zum Scheitern von Projekten. Der Grat zwischen Spaß und Frustration ist oft schmal.
y Weg vom Leistungsdenken: Schwierigkeitsgrade und eine perfekte Klettertechnik stehen nicht im Vordergrund. Ziel ist ein entspanntes, spielerisches Lernen,
wobei trotzdem Grenzen ausgetestet werden können. y Bouldern als Einstieg: Das Bouldern eignet sich in der Anfangsphase hervorragend dafür, die ersten Kletterbewegungen in ungefährlicher Atmosphäre über einer Weichbodenmatte zu erproben. Individuelle Fähigkeiten und Grenzen können so auf spielerische Weise erfahren werden. Für die Lehrkräfte eignet sich das Bouldern gut, um auf die individuellen Bedürfnisse und Beeinträchtigungen einzugehen.
y Erstkontakt mit der Kletterwand: Für eine optimale Durchführung gelten folgende Kriterien als optimal: Toprope-Routen mit Umlenkhaken, verschiedene Neigungen mit mehreren flachen Wandbereichen, austauschbare Griffelemente in verschiedenen Farben, Veränderbarkeit des Schwierigkeitsgrades, Weichbodenmatten zur zusätzlichen Absicherung, phantasievolle Gestaltung der Kletterrouten und der Anlage mit einem hohen Aufforderungscharakter (z. B. Griffe in Tierform), übersichtliche Routen.
y Mentale Unterstützung: Jede einzelne gelungene Bewegung sollte unterstützt und besonders in den ersten Lernphasen gelobt werden. Der Durchstieg einer Route ist nebensächlich, da jeder gekletterte Meter bereits eine Leistung darstellt. Situationen, in denen ein Gruppenzwang entsteht, sollten vermieden werden. Ein nicht erreichtes Ziel darf keinesfalls als etwas Negatives dargestellt werden.
y Eine Zusatzausbildung von Lehrkräften als Klettercoaches erleichtert die Ausbildung.
y Eine Bergführerausbildung allein reicht nicht unbedingt, um mit Jugendlichen mit Förderbedarf bei Kletterprojekten gut klarzukommen. Ideal ist eine Kombination aus den Jugendlichen nahestehenden Pädagog:innen und Kletterexperten wie Bergführer:innen oder Alpinausbilder:innen. Sie sollten die Techniken und In halte kreativ, locker, einfühlsam und ohne Leistungsdruck vermitteln.
y Schüler:innen mit guter Klettererfahrung agieren bei klassenübergreifenden Projekten als Coaches und sichern weniger erfahrene jüngere Mitschüler:innen. Dabei lernen sie, Verantwortung zu übernehmen. Eine positive Gruppendynamik entsteht.
y Ausflüge an den Fels und alpine Bergwanderungen vermitteln Werte wie Teamarbeit und Naturerlebnis, die vielen Schüler:innen zuvor kaum bewusst waren. Zudem helfen ihnen solche Exkursionen, ein realistisches und sinnvolles Freizeiterleben zu entwickeln.
y Soziale Kompetenzen werden auch bei Ausflügen in öffentliche Boulderhallen geschult.
Vertrauen und Selbstwert
„Manchmal“, sagt Toni Lamprecht, „bringt das mehr, als zum hundertsten Mal dieselbe Gleichung in Mathe zu erklären.“
Doch ist es nicht ein hohes Risiko, mit Schüler:innen, die schon im normalen Schulalltag auffällig sind, sicherheitssensible Aktivitäten wie Klettern zu praktizieren?
„In erster Linie geht es darum, eine positive, vertrauensvolle Beziehung zu den Schüler:innen aufzubauen“, meint Lamprecht. „Stimmt der Rahmen, kann Klettern dazu beitragen, die Kinder und Jugendlichen zu beruhigen und aus schwierigen Situationen herauszuholen. Dann steigert das Klettern das Selbstwertgefühl, stärkt die Bereitschaft zur Teamarbeit und vermittelt Vertrauen.“ Entscheidend seien Geduld und eine langfristige Herangehensweise.
Klettern kann, wenn es nachhaltig eingesetzt wird, die soziale Integration und das Verantwortungsbewusstsein ungemein positiv beeinflussen – für andere wie auch für die Schüler:innen selbst. Das zeigt sich in einem Gespräch mit Yanis. Beim Schrauben an der Boulderwand im Pausenhof plaudert er aus dem Nähkästchen. Das Vertrauen, sich an seine erste 30-Meter-Wand zu wagen, haben ihm sein Klassenkamerad Basti und ein paar weitere Mitschüler gegeben. „Die haben mir immer wieder gesagt: Wenn du erst mal oben bist, wirst du stolz auf dich sein! Schließlich habe ich ihnen vertraut. Ich hab’ mich ganz nach oben gekämpft, und mir wurde bewusst: Jetzt wird aus dem kleinen, ängstlichen Jungen gerade ein guter Kletterer. Ich hab’ mich darüber einfach nur gefreut. Gleichzeitig hatte ich auch eine gewisse Leere in mir. So hoch hinausgekommen zu sein, musste ich erst
einmal verarbeiten.“ Heute ruft sich Yanis diese Route immer wieder ins Gedächtnis, wenn er vor irgendetwas Bammel hat oder er hin und wieder doch als Angsthase gehänselt wird. „Ich weiß, ich hab’ was für mich völlig Krasses geschafft und ich kann das immer wieder tun.“
Und auch sonst ist das Hangeln von Griff zu Griff, von Tritt zu Tritt für Yanis zu einem Synonym fürs „echte“ Leben geworden. Toni Lamprecht setzt ihn zusammen mit anderen mittlerweile als „Coach“ für jüngere Kletterschüler:innen ein. „Da hab’ ich erstmal erkannt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen“, überlegt Yanis. „Als Sichernder bin ich verantwortlich für das Leben meines Kletterpartners. Da verstehe ich keinen Spaß, wenn mich jemand ablenkt. Schließlich vertraut der andere mir ja auch. Ich mag das. Ich fühle mich dabei ein bisschen erwachsener.“ Der gleiche Yanis, der früher schnell mal zuschlug, findet heute: „Es ist einfach toll, was man miteinander erreichen kann. Ich liebe diese Harmonie beim Klettern.“ Mehr Verantwortung will er künftig auch für seinen eigenen Körper übernehmen. „Ich bin ja nicht der Schlankste. Ich möchte mehr abnehmen –dann werde ich auch im Klettern besser.“ Seine Erlebnisse beim Klettern und Bouldern lassen Yanis nicht los. Er hat gelernt, sich klare Ziele zu setzen und „einfach mein Ding durchzuziehen“. Er will auf jeden Fall auch nach der Schule weiterklettern. Vielleicht auch mal Mehrseillängen-Routen.
Neuen Halt finden
Auch Toni Lamprecht selbst profitiert bei seiner Arbeit als Lehrer von den Kletterprojekten. „Sie helfen mir, eine starke Beziehung zu den Schüler:innen aufzubauen. Ohne intensive persönliche Beziehung hast du als Lehrkraft hier keine Chance. In diesem Sinne transportiert das Klettern viel mehr, als ich anfangs gedacht habe.“
Natürlich ist Klettern kein Allheilmittel. Es ist eines von vielen didaktischen Tools. Dennoch hat es ähnlich wie Musik, Kunst und Theater eine gewisse Superpower. Eine ausgleichende Wirkung in einer sich immer schneller drehenden Leistungsgesellschaft, in der Menschen, die nicht der Norm entsprechen, schnell mal aussortiert werden. „Unser Schulsystem in Deutschland konzentriert sich stark auf eine scheinbar nor-
„Das Tolle daran ist, wenn man das zum ersten Mal macht und man denkt, man schafft es nicht –und am Ende schafft man es trotzdem.“
Schüler Amanuel beim Kletterprojekt
Kletterprojekte in der Sonderpädagogik
Klettern, Bouldern und die wahren Probleme
Mit Erstbegehungen im X. und XI. Schwierigkeitsgrad (u. a. Bayerische Alpen, Grönland, Verdon) hat sich Toni Lamprecht (52) weit über seine oberbayerische Heimat hinaus einen Namen in der Kletterszene gemacht. Doch Toni ist nicht nur Kletterer, sondern auch Musiker und engagierter Lehrer für Sonderpädagogik. Sein Weg in den Lehrberuf begann während seines Zivildienstes an einem Förderzentrum für Kinder mit geistiger Beeinträchtigung. Während seines Studiums der Sonderpädagogik (Geistigbehindertenpädagogik und Verhaltensgestörtenpädagogik) entstand der Wunsch, seine Leidenschaft für das Klettern mit seinem Beruf zu verbinden. Eine Dozentin ermutigte ihn, Kletterprojekte für Schüler:innen mit besonderen Bedürfnissen zu initiieren. Für Toni eine völlig neue Art von Erstbegehung, die ihn das leistungsorientierte Sport- und Alpinklettern und seine damit verbundene Risikobereitschaft mit anderen Augen sehen ließ. Nach Abschluss des Studiums wurden Kletterprojekte mit Kindern in Fördereinrichtungen fester und erfolgreicher Bestandteil seiner Arbeit als Sonderpädagoge. Dabei erhielt er an der Prof.- Otto-Speck-Schule (Förderzentrum für emotionale und soziale Entwicklung) in München von Anfang an volle Unterstützung der Schulleitung.
Ein Highlight für die Schüler:innen: Bergwanderungen im alpinen Gelände und Ausflüge an den echten Fels zeigen den Kids eine Welt, die den meisten ohne die Initiative der Schule unzugänglich bleiben würde.
male Entwicklung und hohe Leistungsbereitschaft“, meint Toni nachdenklich.
„Meine Arbeit hat mich eines gelehrt: Auch Schüler:innen, die diesem Raster nicht entsprechen, bringen oft beeindruckende Fähigkeiten und Talente mit – doch sie fallen in diesem System unten durch.“
Ein Systemfehler? Zumindest legen Lamprechts Beobachtungen nahe, dass es ein Fehler wäre, jene abzuschreiben, die im Regelschulsystem nicht klarkommen.
„Inklusion betrifft immer beide Seiten“, sagt Lamprecht. „Wir müssen jenen, die mit dem traditionellen Schulsystem nicht klarkommen, eine positive Lernumgebung schaffen.“ 80 Prozent der Grundschüler:innen an der Prof.-Otto-Speck-Schule schaffen nach den Fördermaßnahmen den Schritt zurück ins Regelschulsystem. Welchen Anteil daran das Klettern hat, lässt sich schwer messen. Doch für Lamprecht ist klar: „Das Klettern hilft neben anderen (außer-)schulischen Angeboten vielen Schüler:innen in einer Phase des emotionalen Chaos, die Regeln des Zusammenlebens zu verstehen, deren Einhaltung zu akzeptieren und neuen Halt zu finden.“ Für Toni persönlich ist das einer der schönsten Klettererfolge.
Am Ende des Vormittags in der Kletterhalle fragt Schülerin Isabel Toni nach einem alternativen Sicherungsknoten. „Den zeig’ ich dir dann zuhause …“, meint Toni und korrigiert sofort seinen Versprecher, „… ach, ich mein’ natürlich in der Schule.“ Einen Augenblick lang sieht ihn Isabel mit großen Augen an. Dann antwortet sie lächelnd: „Die Schule ist ja wie unser Zuhause. Wir sind doch eine Schulfamilie!“ Am Nachmittag zuvor hatte sie noch geflucht, wie bescheuert die Hausaufgaben seien und dass sie das Schulgebäude nie mehr betreten würde. Toni grinst zufrieden. Erlebnisse wie dieses zeigen ihm: Es lohnt sich. Und für ihn persönlich stehen solche Momente einer Rotpunktbegehung im 10. Schwierigkeitsgrad in nichts nach. ■
„Meine Arbeit hat mich eines gelehrt: Auch Schüler:innen, die diesem Raster nicht entsprechen, bringen oft beeindruckende Fähigkeiten und Talente mit – doch sie fallen in diesem System unten durch.“
Toni Lamprecht, Kletterer und Lehrer für Sonderpädagogik
13 % der Verletzungen beim Mountainbiken betreffen den Kopf, vor allem bergab.
Prävention ist besser als alpine Rettung.
Die Bikekampagne der Kuratorien für Alpine Sicherheit und Partner – für mehr Bewusstsein und weniger Unfälle beim Mountainbiken.
Informieren Sie sich und schützen Sie Ihr Leben – alpinesicherheit.at
Inklusion auch andersrum
Alle zwei Wochen trifft sich die Klettergruppe „H3 – Mit Handicap Hoch Hinaus“ im „KletterZ“, einer privat geführten Kletterhalle im oberbayerischen Weyarn. H3 war eine der ersten und ist heute eine von vielen Initiativen, die die Sektionen des Deutschen Alpenvereins anbieten. Ihre Inklusionsarbeit zeigt, dass das Klettern mit Menschen mit Behinderung nicht nur den Menschen mit Behinderung guttut.
Von Tom Dauer
Illustrationen: Sarah Krug, grafische auseinandersetzung
Sehr langsam klettert Amelie Baumann, im Toprope gesichert, eine mit 5- bewertete Route hinauf. Derart nüchtern ließe sich die Szene beschreiben, die sich im Weyarner „KletterZ“ abspielt. Die Beschreibung wäre richtig. Und zugleich grundfalsch, denn was wirklich passiert an jedem zweiten Dienstag, 17.30 Uhr, in der Kletterhalle südlich von München, ist etwas ganz anderes: eine Form der Selbstermächtigung und auch ein kleiner Sieg über alle möglichen Vorbehalte, Vorurteile und scheinbaren Gewissheiten, die man so haben kann als vermeintlich gesunder Normalmensch.
Dass Amelie langsam klettert, aber ebenso zielstrebig und ohne zu rasten, hat einen Grund. Als sie vor zwölf Jahren geboren wurde, erlitt sie einen gravierenden Sauerstoffmangel, der Nervenzellen in ihrem Gehirn absterben ließ. Erst ein gutes Jahr nachdem sie zur Welt gekommen war, machten sich die daraus entstandenen Folgen bemerkbar. Amelie ist spastisch gelähmt und kann bis heute nicht allein gehen. Klettern aber kann sie. „Und zwar selbst.“ Dass sie eine infantile Zerebralparese hat, interessiert im KletterZ deshalb kaum jemanden und schon gar nicht die Mitglieder der Klettergruppe „H3 – Mit Handicap Hoch Hinaus“, der Amelie angehört. Ihnen nämlich geht es nicht darum, was sie alles nicht können, sondern darum, was sie können. Und wer ihnen dabei hilft, ihr Können – und ihre Wünsche – umzusetzen.
Von oben nach unten
Gegründet wurde H3 von Brigitte Dembinski. Weil die leidenschaftliche Kletterin so viel von ihrem Tun profitiert habe, habe sie irgendwann das Gefühl gehabt, „etwas zurückgeben“ zu wollen. Just zu jener Zeit erfuhr sie von den Aktivitäten des 2008 gegründeten Vereins „Ich will da rauf!“, für den sich die Gründungsmitglieder Alexan-
der und Thomas Huber bis heute engagieren. Das imponierte Dembinski, und nachdem der Deutsche Alpenverein (DAV) 2016 das Konzept für „Trainer:in C, Klettern für Menschen mit Behinderung“ entworfen hatte, war sie die Erste, die sich dafür anmeldete. Ziel der gut zweiwöchigen Ausbildung, die aus drei Lehrgängen besteht, ist laut DAV, „den Inklusionsgedanken zu fördern und Kletterangebote für Menschen mit Behinderungen in den Sektionen aufzubauen“. Heute gibt es zwischen Bremen und Freiburg eine große Anzahl inklusiver Sportkletterangebote, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder.
Als Dembinski vor sieben Jahren ihren Trainerschein gemacht hatte, gab es dagegen kaum Initiativen. Die inzwischen 64-Jährige irritierte das nicht, und man glaubt der kleinen, quirligen und selbstbewussten Frau sofort, dass sie gewillt war, fortan jedes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Das größte und vielleicht am wenigsten erwartete: Dembinski stand vor der Aufgabe, Menschen mit Behinderung überhaupt erst für ihre Idee zu motivieren. Über einen Bekannten fand sie Zugang zu Rollstuhlfahrern, die sich in ihrer Heimatgemeinde als Sportschützen betätigten. Frei heraus fragte sie einen jungen Mann, ob er Interesse am Klettern hätte. Dessen lakonische Antwort: „Kann es sein, dass du was mit den Augen hast?“ Doch von anfänglichen Zweifeln derer, denen sie Gutes tun wollte, ließ sich Dembinski nicht beirren. Der skeptische Rollstuhlfahrer trat der Gruppe H3 bei, die sie inzwischen unter dem Schirm der Sektion Miesbach gegründet hatte. Später wird er sagen, das Klettern habe ihm einen nie erwarteten Perspektivenwechsel ermöglicht: als Rollstuhlfahrer nicht nur von unten nach oben, sondern von oben nach unten zu blicken.
Dabei sein ist gut, aber längst nicht alles. Fabian, Leon, Melanie, Jenny und Trainerin Laura Waertel (von links) bei den Winterspielen der Special Olympics Bayern in Bad Tölz, Januar 2023. Foto: Rudi Schuster
Klettern, um sich aus dem Sitz zu erheben: Nachdem Stefan 16 Meter hinaufgeklettert ist, wird er von Rudi Schuster abgelassen. Foto: Laura Waertel
Amelie Baumann begann zu klettern, als sie sechsjährig von einer Freundin zum Kindergeburtstag ins KletterZ eingeladen wurde. Auch die Gymnasiastin hatte anfänglich Zweifel, wie sie „als beeinträchtigtes Kind, das nicht frei laufen kann“, klettern solle. Doch die Zweifel zerstreuten sich nach den ersten Versuchen. Für das Vereinsblatt der Sektion Miesbach schrieb Amelie kürzlich einen Beitrag mit dem Titel „Behinderung? – Na und!“. Darin schildert sie: „Es war super, so motivierend, denn jeder hat ein Handicap, aber es werden die Stärken herausgefunden und die Schwächen gefördert. Man ist nicht allein mit seiner Einschränkung, alle haben eine und meistern diese! … Man kann so viel erreichen und über sich hinauswachsen, wenn man es nur versucht.“ Amelies Eltern, die sie zunächst nur sicherten, klettern inzwischen auch. Die Begeisterung ihrer Tochter ist ansteckend. Und Inklusion funktioniert auch andersrum.
Trisomie 21 ist keine Ausrede
Inzwischen ist es 19 Uhr geworden, in Weyarn beginnt das Erwachsenentraining. Vor dem ebenerdigen Eingang zum Außenbereich des KletterZ fährt ein Kleinbus vor, dessen sechs Insassen bestens gelaunt aussteigen. Sie leben im Wohnheim der Regens-Wagner-Stiftung im nahegelegenen Holzkirchen und werden seit ein paar Jahren regelmäßig zu den Treffen der H3Gruppe gefahren. Laura Waertel nimmt sie am Fuß der Kunstwand in Empfang, schaut, dass alle ihren Gurt richtig anlegen, und bindet dem ein oder anderen die Kletterschuhe zu.
Zu Jahresbeginn 2023 hat die 42-Jährige die Leitung von „H3 – Mit Handicap Hoch Hinaus“ übernommen. Leicht fiel es Brigitte Dembinski nicht, „mein Baby“ in andere Hände zu geben. Andererseits hätte sie das nicht gemacht, hätte sie auch nur den leisesten Zweifel an der Zuverlässigkeit oder der Kompetenz Waertels gehabt. Denn natürlich ist auch das Hallenklettern mit Menschen mit Behinderung in erster Linie Klettern –und damit ein Sport, der Risiken birgt, der Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert, bei dem die Möglichkeit einer Fehlbedienung oder eines Fehlverhaltens nie ausgeschlossen werden kann. Und, das kommt on top, der von den zehn H3-Trainer:innen die Fähigkeit verlangt, auf Menschen zuzugehen, Nähe zuzulassen, das
Gespräch zu suchen, aufzumuntern, zu trösten. Aber auch Michi Hertrich zurechtzuweisen, wenn der 26-Jährige mit DownSyndrom mal wieder nicht aufhören kann, seine Mitkletterer am Gummizug der Beinschlaufen zu zupfen. Waertel arbeitet als Supply-Chain- und Quality-Managerin in der IT-Branche. Seit 2018 ist sie Trainerin in der H3-Gruppe. Natürlich weiß sie, welche Einschränkungen ihre Schützlinge haben und welche medizinischen Maßnahmen sie im Notfall einleiten muss. Das Schöne aber ist: Obwohl alle Teilnehmer:innen über eine persönliche Geschichte verfügen, eine individuelle Kombination aus körperlichen und geistigen Merkmalen haben, in diesem Sinne also besonders sind, nimmt sich niemand besonders wichtig. Schon gar nicht, weil er oder sie eine bestimmte Route geklettert ist, onsight oder flash, irgendeine Mikroleiste nicht halten kann, den Aufleger nicht erreicht oder den Fuß nicht hoch genug auf den entscheidenden Tritt bringt.
Während also die Wohnheimtruppe in die Kletterhalle einzieht, mutet die Situation fast ein wenig absurd an. Laut lachend, wild gestikulierend, einander umarmend, gelassen auf ein freies Toprope wartend, zelebrieren die H3-Sportler die Essenz des Klettersports – das Zusammensein, die Freude über den Erfolg des anderen, den Genuss der gemeinsamen Zeit –, während der Großteil der Nicht-Beeinträchtigten mit heiligem Ernst ein Trainingspensum abspult, den x-ten Versuch im Projekt unternimmt, eine längst uniform gewordene Scheinindividualität feiert, Neuankömmlinge nicht grüßt. Das Klettern scheint eher lästige Pflichterfüllung denn Lebenselixier zu sein. Bei H3 wird dagegen aus dem einfachen Grund geklettert, dass es Spaß macht. Es gibt keine Posen, keine Selbstinszenierung, kein lautes Fluchen. Und obwohl es vielleicht naheliegend wäre, werden weder Epilepsie noch Autismus, weder Multiple Sklerose noch Muskeldystrophie, weder Trisomie 21 noch Spastik als Ausrede ins Feld geführt, wenn eine Route sich als zu schwierig erweist.
„Willst du mich verarschen?“
Sieben Trainer:innen sind heute für die Betreuung der H3-Mitglieder anwesend; so kann jeder zu jeder Zeit klettern, außer man nimmt sich wie Kian von Düring gerade mal eine Pause. 18 Jahre ist der junge Mann
Fußtechnik geht auch gemeinsam: Trainerin Laura Waertel und Domenika suchen geeignete Tritte.
Foto: Rudi Schuster
alt, und das Down-Syndrom hält ihn nicht davon ab, sich entweder als grenzwertig frecher Lausbub oder als vollendeter Gentleman zu verhalten. Als einer von acht H3-Athlet:innen nahm er im Januar 2023 an den Winterspielen der Special Olympics Bayern teil, die in Bad Tölz stattfanden. Für die Betreuer waren dies vier anstrengende Tage, die sie an den Rand ihrer Kräfte brachten. Für Kian war es das Paradies. Er hat ein Faible für Polizeiuniformen und junge Damen und besonders für junge Damen in Polizeiuniformen. Wenn er in der vollen und lauten Wettkampfhalle wieder mal nicht aufzufinden war, musste Kian nur über Polizeifunk gesucht werden. Schnell stand er dann wieder parat, meist mit Polizeijacke bekleidet und Barett auf dem Kopf. „Nur um dabei zu sein“, wie Waertel zunächst gedacht hatte, hatten die H3ler allerdings nicht an den Special Olympics teilgenommen: Mit fünf silbernen und vier bronzenen Medaillen sowie einem gehörig gewachsenen Selbstbewusstsein kehrte das Team nach Weyarn zurück – gemeinsam schwärmen Athleten und Betreuer:innen bis heute von der Atmosphäre, die bei der Veranstaltung herrschte.
„In erster Linie sollte man die Beine und Füße benutzen“, erklärt Waertel einer Teilnehmerin, als Stefan Kral um die Ecke kommt. „Der war gut“, kommentiert der 37-Jährige, der mit offener Lendenwirbelsäule zur Welt kam und Zeit seines Lebens auf den Rollstuhl angewiesen ist. Kral ver-
zieht dabei keine Miene, und vermutlich hilft ihm sein trockener schwarzer Humor über manch unfreiwillig komische Situation hinweg. Ob er mal einen Schritt zur Seite gehen könne, fragte ihn Trainer Rudi Schuster bei seiner ersten Teilnahme am H3Training. „Willst du mich verarschen?“, antwortete Kral. Seither verstehen sich die beiden Männer blendend.
Gesichert von Schuster, zieht sich Kral ohne Seilunterstützung eine 16 Meter lange Route bis zur Umlenkung empor, Kunstgriff um Kunstgriff. Seine Oberkörper- und Oberarmkraft sind beeindruckend. Als Paraclimbing-Weltmeister Korbinian Franck, regelmäßiger Teilnehmer der H3-Gruppe, dem Kletterneuling zum ersten Mal zusah, riet er ihm, sich sofort im Stützpunkt des DAV-Kaders zu melden. Das tat Kral auch, absolvierte ein Probetraining, tut sich aber schwer, den Leistungssport mit seiner Arbeit in der Stadtverwaltung Miesbach in Einklang zu bringen. Ein Grund zu hadern ist das für ihn nicht. Kral hat einen überaus pragmatischen Blick auf das Leben insgesamt, und auf das Klettern besonders. Der Sport ist für ihn weder Leidenschaft noch Selbsterfüllung und das viel beschworene, selten wirklich empfundene Lebensgefühl, das das Klettern bieten kann, ist ihm fremd. Klettern bedeutet für Kral vor allem die Möglichkeit, sich aus seinem Sitz zu erheben. Die Frage nach dem Warum, nach dem Sinn des Kletterns, mögen sich andere stellen. Er klettert, weil es ihm guttut.
Das KletterZ
„Die Förderung des Klettersports sowie des Behindertensports“ ist in der Satzung des Fördervereins der Weyarner Kletterhalle „KletterZ“ in §2 Abs.1 verankert. Das Wort allerdings wäre das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht, wären ihm nicht auch Taten gefolgt. Tatsächlich ist der Zugang sowohl zum Innen- als auch zum Außenbereich des KletterZ barrierefrei möglich. Mit seinen Angeboten „H3 –Mit Handicap Hoch Hinaus“ sowie „Bouldern gegen Depression“ zählt das 2015 eröffnete KletterZ zu den ersten inklusiven Kletterhallen in Deutschland.
Brigitte Dembinski (orange Jacke, blaue Hose) und ihr Team freuen sich über ein buntes Erscheinungsbild.Eine Bereicherung
Als sich die Trainer:innen nach drei Stunden intensiver Betreuung noch auf ein Bier zusammensetzen, ist es 21 Uhr geworden. Die Wohngruppe ist in die Regens-WagnerStiftung zurückgekehrt, die jüngeren Teilnehmer:innen wurden abgeholt. Stefan Kral, der allein wohnt, Auto fährt und ein durchwegs unabhängiger Mensch ist, ist noch geblieben. Am nächsten Morgen beginnt für alle ein neuer Arbeitstag und manchmal, sagt Laura Waertel, „fühle ich mich wirklich zu müde, um das H3-Training zu leiten“. Dass sie es dennoch immer wieder tut, bereut sie nicht, denn „jedes Mal wieder bin ich danach total geerdet“. Tatsächlich scheint das Klettern mit Menschen mit Behinderung nicht nur den Menschen mit Behinderung gutzutun. Für ihn, sagt einer der Trainer, sei jede Umarmung, die er bekomme, eine Bereicherung.
Kral hört interessiert zu, dann sagt er: „Muss ich dich jetzt auch jedes Mal umarmen, wenn ich gesichert werden will?“
Die Runde lacht. Weil jeder weiß, dass Kral das komplexe Verhältnis von Geben und Nehmen, Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit, Ermöglichung und Möglichwerdung mit feinem Humor zum Ausdruck gebracht hat. So wie es eben sein soll, in einer guten Gruppe.
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Didaktische, methodische und sicherheitsrelevante Ideen für die alpine Ausbildung.
„Erscheinungsformen“
Du möchtest ein spannendes Sportklettertraining für Kinder und Jugendliche gestalten, hast aber weder einen sportwissenschaftlichen noch einen pädagogischen Hintergrund? Das Team rund um Jugend+Sport, das größte Sportförderprogramm des Schweizer Bundes, leistet mit seiner Leiter:innen-Ausbildung Hilfestellung. v
Verknüpfung von Praxis und Theorie durch Erscheinungsformen
Die J+S-Leiter:innenausbildung strebt eine möglichst direkte Verbindung zwischen Praxis und Theorie an. Dies wird erreicht, indem auf die beobachtbare Praxis – also die Erscheinungsform – der sportwissenschaftlichen Theorie fokussiert wird. Dabei werden als Erscheinungsformen „Bewegungs-, Verhaltens- oder Spielmuster verstanden, die sich in konkreten sportlichen Situationen beobachten lassen und die trainierbar sind“. Quelle: J+S-Manual Sportklettern, S.24, Bundesamt für Sport, 2023
Für das Sportklettern wurden folgende disziplin- und niveauunabhängige Erscheinungsformen formuliert:
Erscheinungsformen Sicherheit y riskante Situationen gesundheitsschonend meistern y verantwortungsbewusst sichern und spotten
Erscheinungsformen Klettertechnik y sich effizient stabilisieren y systematisch visualisieren y die Füße präzise setzen y entschlossen aus den Beinen stoßen und mit den Armen ziehen y präzise greifen
Trainingsgestaltung mit Erscheinungsformen
Möchtest du nun ein Training gestalten, so wählst du eine Erscheinungsform als Hauptfokus. Nehmen wir z. B. die Erscheinungsform „sich effizient stabilisieren“. Diese Erscheinungsform ist in verschiedenen Situationen von Bedeutung, z. B. beim Klippen, um zu ruhen oder um statisch zum nächsten Griff zu kommen. Aus diesen konkreten Situationen können zuerst Trainingsziele und daran ausgerichtet Trainingsformen abgeleitet werden. Trainingsziele werden so formuliert, dass sie überprüfbar sind.
Zum Beispiel können die Trainingsziele kompetenzorientiert formuliert werden. Der oder die Leiter:in stellt sich dafür folgende Fragen:
y Was sollen meine Teilnehmer:innen nach dem Training wissen?
y Was sollen sie können?
y Welche Haltung zum Training sollen sie haben?
Für die Erscheinungsform „sich effizient stabilisieren“ könnte ein erster Schritt sein, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, Ruhepositionen in verschiedenem Gelände zu finden und einzunehmen. Die Ziele könnten dann folgendermaßen formuliert sein:
im Sportklettertraining
y Die Kinder und Jugendlichen meiner Trainingsgruppe wissen, dass sie sich für die Aufgabe des Klippens an Griffen stabilisieren müssen, bestenfalls in einer Ruheposition.
y Sie können in unterschiedlichem Gelände Ruhepositionen finden und einnehmen. Dabei können sie ihren Körperschwerpunkt am gestreckten Haltearm ausrichten und beide Füße entsprechend setzen.
y Sie haben Freude am Klettertraining durch individuelle Erfolgserlebnisse.
Sind die Trainingsziele festgelegt, so geht es um die Wahl der Trainingsformen. Dabei orientiert sich ein gutes Sportklettertraining an der folgenden Struktur. Der rote Faden symbolisiert eine geschickte und inhaltlich sowie methodisch logische Aneinanderreihung einzelner Spiele und Übungen (Abb.1).
Einleitung
y ein allgemeines Aufwärmen anhand von Übungen und Spielen zu Bewegungs- und Spielgrundformen
y ein spezifisches Aufwärmen, welches auf den gewählten Trainingsfokus vorbereitet
Hauptteil y Sicherheits- und Sicherungstraining y Spiele und Übungen aus dem Bereich der Klettertechnik, um sich geschickt an der Kletterwand bewegen zu lernen
Ausklang
z. B. eine Reflexionsform, um die Selbstwahrnehmung, die Eigenverantwortung und die Selbstständigkeit der Kinder und Jugendlichen zu stärken
Abb. 1 Der rote Faden als Merkmal einer guten J+S-Aktivität. Quelle: J+S-Manual Sportklettern, Bundesamt für Sport, 2023
Jasmin Biller ist Kletterlehrerin und Psyc hologin. Beim Schweizer Alpen-Club SAC verantwortet sie die Konzeption der J+S-Leiter :innenausbildung Sportklettern anhand der V orgaben des Bundes. Für sie ist dabei das Gestalten von Lernräumen aus psycho logischer sowie systemis cher Perspektive zentral.
Abb. 2 Beispiel eines Spieles, welches die Erscheinungsform „sich effizient stabilisieren“ trainiert. Quelle: J+S-Manual
Schick die Kinder und Jugendlichen auf Entdeckungsreise. Zähl immer wieder von fünf Sekunden zurück. Bei null nehmen die Kinder und Jugendlichen an der Boulderwand eine Ruheposition ein, in der sie abwechselnd beide Arme ausschütteln können. Eine gefundene Ruheposition gibt einen Punkt. Wer beide Hände gleichzeitig drei Sekunden loslassen kann, bekommt zwei Punkte.
– Sich am Boden bewegen und erst wenn du mit Zählen anfängst, an die Boulderwand gehen
Leiter/in: bereits als Ruheposition benutzte Griffe abkleben (diese fallen weg)
Die kreativste Ruheposition finden und darüber abstimmen
Die Kinder und Jugendlichen erkennen in unterschiedlichem Gelände effiziente Ruhepositionen und nehmen sie ein. Sie können ihre Bewegungen wahrnehmen und steuern.
Nun können anhand der formulierten Ziele sowie der allgemeinen Struktur Trainingsformen gewählt werden.
Um hier Hilfestellung zu leisten, wurde im neuen Lehrmittel eine kleine Anzahl an Trainingsformen ausformuliert, welche als Good Practice erprobte und validierte Übungen und Spiele darstellen. Im folgenden Bild findest du als Beispiel das Spiel „Punktejagd“ (Abb. 2). Die Formulierung der Spiele und Übungen ist so gestaltet, dass die Leiter:innen leichtere Varianten (gekennzeichnet mit einem Minus) und schwerere Varianten (gekennzeichnet mit einem Plus) planen können, um eine möglichst hohe Bewegungszeit der Kinder und Jugendlichen zu erreichen.
Möchtest du nun dein eigenes Sportklettertraining planen?
Hier zusammenfassend die Leitfragen in der Übersicht:
y Welche Erscheinungsform soll im Zentrum stehen?
y Welche kompetenzorientierten Ziele möchte ich mit meiner Gruppe erreichen?
y Welche Trainingsformen passen zu meinen gesetzten Zielen?
y Wie gestalte ich einen roten Faden zwischen Einleitung, Hauptteil und Ausklang?
Weiterführende Literatur für noch mehr Trainingsformen y Biller, Jasmin: Jugend und Sport Manual Sportklettern. Magglingen 2023, 80 Seiten. y Biller, Jasmin und Catillaz, Manuela: Burner Climbing – Spielformen für vertikale Action. Schorndorf 2022, 80 Seiten. y www.mobilesport.ch
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alpinhacks
Lifehacks sind Tipps und Tricks, die das Leben leichter machen. Alpinhacks sollen euch das Bergsteigen erleichtern.
Kletterschuh abgestürzt
Wer kennt das ungute Gefühl auf Mehrseillängenrouten nicht? Man hängt am Stand und will aus den zu engen Kletterschuhen rausschlüpfen. Doch da ist die Sorge, dass sie runterfallen. Mit einer simplen Bastelei könnt ihr dieses Problem lösen.
Von Gebi Bendler
Gleich vorneweg: Es gibt sogenannte „Multipitch Shoekeeper“, also Befestigungsschlaufen für Kletterschuhe, im Handel, und zwar von Red Chili und Metolius. Die von Red Chili sind mit knappen drei Euro sehr günstig. Allerdings ist die Verbindungsschnur kurz und statisch, wodurch das Aus- und Anziehen der Schuhe nicht sehr bequem ist. Jene von Metolius sind aus einer dehnbaren
Gummikordel. Das bringt mehr Flexibilität und Komfort. Der Haken: Sie kosten rund 40 Euro.
Hier ein Basteltipp für günstige und bequeme Shoekeeper
Benötigtes Material und Werkzeug: 70 cm Gummikordel pro Schuh, Schere, Feuerzeug.
Shoekeeper von Red Chili: Durch die kurze und statische rote Fixierungsschnur sind sie nicht so bequem zum An- und Ausziehen.
1
Gummikordel kann man im Kurzwarengeschäft kaufen oder im Internet bestellen. Ein Meter Gummikordel kostet im Schnitt wenige Cent.
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Man knüpfe zwei Sackstichaugen: Ein kleines für die Lasche des Kletterschuhs und ein großes für die Fessel des Fußes. Die Enden werden mit einem Feuerzeug verödet.
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Das kleine Sackstichauge wird mit einem Ankerstich an der Lasche des Kletterschuhes befestigt. Man kann es auch direkt einbinden, aber mit dem Ankerstich lässt sich die Kordel jederzeit wieder einfach lösen.
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Das große Sackstichauge umschließt den Unterschenkel. Dadurch, dass es aus einer elastischen Gummikordel besteht, kann man es leicht aus- und anziehen. Der Abstand zwischen kleinem und großem Sackstichauge sollte mindestens fünf Zentimeter betragen, damit die Kordel nicht zu eng sitzt und sich die Schuhe bequem aus- und anziehen lassen.
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Luxusvariante: Man kann im Kurzwarengeschäft oder im Internet auch sogenannte Kordelstopper kaufen, womit sich die Länge komfortabel verstellen lässt.
Das überstehende Ende der Kordel kann man unter den Schnürsenkeln des Kletterschuhs verstauen.
Mit Spannung habe ich die erste Ausgabe des Buches Mountain Emergency Medicine von den Hauptherausgebern Hermann Brugger, Ken Zafren und Luigi Festi erwartet. Ein umfassendes Textbuch, geschrieben und herausgegeben von einigen der führenden Experten in der alpinen Notfallmedizin aus ganz Europa, aus den Vereinigten Staaten und aus Südafrika. Schon der erste Eindruck ist sehr positiv. Ein breites Spektrum von Themen der alpinen Notfallmedizin wird vorgestellt. Von Trauma und medizinischen Notfällen über neurologische und psychiatrische Krankheiten bis hin zu Infektionen wird alles beschrieben, was beim Aufenthalt in großer Höhe und unter extremen klimatischen Bedingungen bei alpinen Einsätzen vorkommen kann. Kompetenz und individuelle Erfahrung der Autoren ermöglichen, dass die Informationen sachbezogen und relevant sind.
Das Wissen ist aktuell und entspricht dem neuesten wissenschaftlichen Stand. Die eindrucksvollen Fortschritte in der Entwicklung neuer Rettungstechnologien und in der Ausbildung von alpinen Rettungskräften in den letzten Jahrzehnten haben die Notwendigkeit erhöht, sowohl neue als auch etablierte Behandlungsverfahren in der alpinen Notfallmedizin wissenschaftlich zu evaluieren. Diese Untersuchungen erfolgen entweder unter kontrollierten experimentellen Bedingungen, z. B. in der terraXcube,
oder vor Ort bei echten Notfällen unter vielen Einflussfaktoren. Im vorliegenden Buch gelingt eine ausgewogene Zusammensetzung von Grundlagenwissenschaft und klinischer Forschung.
Die einzelnen Kapitel gliedern sich in Epidemiologie, Pathophysiologie, Diagnostik, akute Interventionen und Behandlung. Sogar Informationen zur weiteren Versorgung im Krankenhaus und zu den Behandlungsergebnissen werden in einem eigenen Abschnitt angeboten. Die Diagnostik ist auf den klassischen Zugang beschränkt. Vermutlich werden Ultraschallbilder in der nächsten Ausgabe dieses Buches mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Unterkapitel sind gut angeordnet und erleichtern die rasche Orientierung. Kurze Fallberichte beleben die Beschreibung der Maßnahmen. Das Bildmaterial über Notfälle und Versorgung im extremen Gelände ist besonders eindrucksvoll.
Wichtige Informationen werden auch in zahlreichen Tabellen übersichtlich dargestellt. Zusätzlich werden die Kerninformationen in „Take-Home Messages“ am Ende jedes Kapitels kurz zusammengefasst. Quellenangaben zu den relevantesten Zitierungen ermöglichen es dem Leser, noch detailliertere Informationen zu erhalten. „Mountain Emergency Medicine“ von Brugger, Zafren und Fest ist auf dem besten Weg, das Standardlehrbuch für alpine Rettung zu werden.
[Wolfgang Lederer]Im vorliegenden Buch gelingt eine ausgewogene Zusammensetzung von Grundlagenwissenschaft und klinischer Forschung.
y Bergwandern/Alpinwandern. Planung/Technik/Sicherheit
Das Ausbildungshandbuch „Bergwandern/ Alpinwandern“ des Schweizer Alpen-Clubs ist das neue Standardwerk für Wanderführer:innen in und außerhalb der Schweiz.
In 16 Kapiteln erfährt die Leserin alles rund um den Natur- und Lebensraum Berge, über das Risikomanagement auf Bergwegen, über Schwierigkeitsbewertungen und rechtliche Grundlagen, die vor allem für Führungspersonal interessant sind. Neben den klassischen Themen Tourenplanung, Orientierung mit Karte, GPS und Handy wird ein eigener Abschnitt den Bewegungstechniken beim Wandern gewidmet und auch – was eine Besonderheit beim Bergwandern darstellt – der Seiltechnik. Wie installiert man ein Fixseil für exponierte Passagen, wie macht man eine Flussüberquerung mit Seil einfacher? Gruppendynamische Faktoren beim Führen werden ebenso angesprochen wie die Spezialthemen Wandern mit Kindern, älteren Menschen oder mit Hund.
Fazit: das bis dato umfassendste Lehrbuch fürs Wandern auf dem Markt.
[Gebi Bendler]
y Seiltechnik. Das Standardwerk zum Thema Seilsicherung
Wer den richtigen Umgang mit dem Seil lernen oder sein Wissen diesbezüglich auf den neuesten Stand bringen will, kommt um die neu überarbeite Auflage der ÖAVLehrschrift „Seiltechnik“ der beiden Bergführer Heinz Zak und Michael Larcher nicht herum. Die neunte Auflage des Werkes zeigt anhand von präzisen Skizzen und klar strukturierten Texten, wie das Seil und alle damit verbundenen Sicherungsmittel in den verschiedenen Situationen kompetent und sicher angewandt werden – und zwar in allen Bergsportbereichen: beim Sportklettern, beim alpinen Klettern, im Fels oder im Eis. Ob Knotenkunde, Seilschaftsformen, Sicherungstechnik, Standplatzbau, Abseiloder Bergetechniken: „Seiltechnik“ fasst alles zusammen, was man lernen und wissen muss, um sich und andere kompetent mit Seil zu sichern.
[ÖAV]
y gletschervergleiche.ch
Diese praktische Seite hilft bei der Hochtourenplanung bezüglich Gletscherzustand.
Auf den ersten Blick mag die Seite zwar wie aus den 90er-Jahren des vorherigen Jahrhunderts wirken, aber die schlichte Beschaffenheit soll nicht vom hochwertigen Inhalt ablenken. Alphabetisch geordnet lassen sich viele Gletscher der Schweiz finden, um dann mit einem Schieberegler die Entwicklung der letzten Jahre sichtbar zu machen. So wird anschaulich vermittelt, wie und wo die Gletscher bereits geschwunden sind und welcher neue Untergrund – glatte Platten, brüchiger Schrofen usw. – von uns Bergsteiger:innen bewältigt werden muss. Auf jeden Fall einen Blick wert! www.gletschervergleiche.ch
[Georg
Rothwangl]Praktische Hilfe bei der Hochtourenplanung www.gletschervergleiche.ch
bs
kolumne
Grundsätzlich
In den Bergen unterwegs zu sein, ist gut für mich. Nicht in den Bergen unterwegs zu sein, ist gut für andere und die Natur ganz allgemein. Was also soll ich tun? Wie soll ich mich verhalten – meinen Mitmenschen und der Berg-Natur-Kultur-Landschaft gegenüber?
Tom Dauer sucht Antworten. #inunsrernatur 11
Ich bin nicht der Typ, der gerne grundsätzlich wird. Dafür schwirren meist zu viele Gedanken gleichzeitig in meinem Kopf herum, mitunter auch abwegige und solche, die sich widersprechen. Es gibt, was das Leben und die Dinge anbelangt, halt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern sehr viele Grautöne dazwischen. Wenn man zudem versucht, auch die Gedanken derer zu verstehen, die anderer Meinung sind – was nicht heißt, auch Verständnis zu haben –, ist eh alles zu spät: Auf Grundsätzen bestehen dann nur Menschen, die die Grundsätze anderer mit Füßen treten … merkste selber, oder? Es kostet mich daher einige Überwindung, einen Standpunkt zu formulieren, der eine gewisse Absolutheit beansprucht. Ich versuche es dennoch. Vor allem deshalb, weil ich mir selbst immer wieder neu über meine Position in einem ebenso schwierigen wie wichtigen Diskurs klarwerden will. So pointiert wie möglich: Das
Recht des Einzelnen, sich in der Natur zu bewegen, ist unantastbar und nimmt den einzelnen zugleich in die Pflicht, die Natur zu schützen.
Ich persönlich steige deshalb nicht in Sportkletterrouten ein, wenn ein brütender Wanderfalke kläglich schreit. Ich umgehe Wald-Wild-Schongebiete, auch wenn ich weiß, dass die Raufußhühner ganz woanders balzen. Ich habe und werde nie Fotos geotaggen, alte Wege beschreiben oder GPS-Tracks veröffentlichen. Ich schränke meinen Konsum ein, verzichte weitestgehend auf Flugreisen, nutze mein Radl und öffentliche Verkehrsmittel, verhalte mich in der Natur generell respekt- und rücksichtsvoll und trage so meinen Teil zu ihrer und meinem und unserem Erhalt bei.
Tja, grundsätzlich ist das gut und schön, und ich nehme an, dass viele Einzelne genauso denken und diese vielen Einzelnen sogar die Mehrheit bilden. Dass sich trotzdem nichts verändert, muss daher andere Gründe haben, und zwar systemische (um nicht schon wieder „grundsätzlich“ zu schreiben). Denn so lange …
y aus dem Nutzen alpiner Natur privatwirtschaftlicher Gewinn gezogen, dessen Kosten aber sozialisiert werden y der Zugang zu alpiner Natur von interessierten Stakeholdern weiterhin erleichtert statt erschwert wird y private Grundeigentümer und Jagdpäch-
ter das freie Betretungsrecht alpiner Natur unterminieren
y verheerende und unnötige Eingriffe in die alpine Natur seitens von Seilbahnund Energieunternehmen geplant und umgesetzt werden
y Gemeinden den Bau von Bespaßungsinstallationen in alpiner Natur genehmigen und finanzieren
y landwirtschaftliche Arbeiten und Baumaßnahmen als Pflege alpiner Kulturlandschaft gelten, minimalinvasive alpine Spielformen aber als Belastung
y alpine Natur in Wildnisreservate outgesourct wird, alpine Wildnis aber zugleich als Bedrohung für Menschen, Nutztiere und Infrastruktur empfunden wird
y Naturschutz die alpine Natur ohne den Menschen denkt und an einem romantisierenden Ideal festhält, statt Nachhaltigkeit im Miteinander zu suchen
y ein so genanntes Bergsteigerdorf ein Landschaftsschutz- in ein Gewerbegebiet umwidmet
y an allen Ecken und Enden Klettersteige gebaut werden
y der Bergsport in alten wie neuen Facetten von der Outdoor- und Werbeindustrie hemmungslos merkantilisiert wird
y die vielen lokalen und regionalen Initiativen, die sich einer sanften Nutzung des alpinen Raumes verschrieben haben, mit politischen Willensbekundungen abgespeist, aber nicht konkret unterstützt werden y Pseudo-Alpinisten und -Alpinistinnen für sinnlose, weil unvergleichbare und rück-
wärtsgewandte Rekorde kritiklos von Medien und Öffentlichkeit gefeiert werden y zehn Prozent der Menschheit 52 Prozent des globalen Einkommens generieren und 77 Prozent des Weltvermögens besitzen (Quelle: World Inequality Database), aber keine Steuern auf Luxuskonsum erhoben werden …
… so lange läuft grundsätzlich (hier ist es wieder) etwas falsch. Gut 50 Jahre sind vergangen, seitdem der „Club of Rome“ in seiner Studie „Die Grenzen des Wachstums“ ausleuchtete. Dennoch wird die Verantwortung für den Schutz von Natur und Umwelt, für den Kampf gegen Klimawandel und globale Erwärmung, für Overtourism und Gesellschaftskollaps nach wie vor dem Einzelnen aufgebürdet, während sich Industrie und Wirtschaft, Politik, Lobbys und Bürokratie aus der Verantwortung stehlen.
Angesichts dieser Diskrepanz den Kopf in den Sand zu stecken, wäre die falsche Reaktion. Darauf hinzuweisen, halte ich dagegen für richtig. Je mehr Menschen das tun, umso größer ist die Chance, dass sich etwas zum Guten verändert. Grundsätzlich. ■
Lawinenzeit. Der ehemalige Ausbildungsleiter der österreichischen Bergführerausbildung, Klaus Hoi, und der Wissenschafter Peter Höller über ein todbringendes Phänomen.
Wandel. Das Schwerpunktthema der nächsten Ausgabe. Alles bewegt sich fort und nichts bleibt. Alles fließt.
bergundsteigen Jahrgang 32, Auflage: 26.200
Herausgeber Deutscher Alpenverein, Schweizer Alpen-Club SAC, Alpenverein Südtirol, Österreichischer Alpenverein Medieninhaber Österreichischer Alpenverein, ZVR 989190235, Olympiastraße 37, 6020 Innsbruck, Fon +43 512 59547-30, redaktion@bergundsteigen.at Redaktion Gebhard Bendler – Chefredakteur, gebhard.bendler@alpenverein.at, Dominik Prantl, Alexandra Schweikart, Chris Semmel, Birgit Kluibenschädl
Onlineredaktion Simon Schöpf, www.bergundsteigen.com
Redaktionsbeirat Herausgeber Michael Larcher, Gerhard Mössmer, Markus Schwaiger, Georg Rothwangl (alle ÖAV); Julia Janotte, Stefan Winter, Markus Fleischmann (alle DAV); Marcel Kraaz (SAC); Stefan Steinegger (AVS) Redaktionsbeirat Bergführerverbände Albert Leichtfried (VÖBS), Reto Schild (SBV), Erwin Steiner ( Berg- und Skiführer Südtirol), Michael Schott (VDBS) Anzeigen inserate@bergundsteigen.com
Abonnement € 36,- / Österreich € 32.- / vier Ausgaben (März, Juni, September, Dezember) inkl. Versand und Zugang zum Online-Archiv auf www.bergundsteigen.com
Aboverwaltung Theresa Aichner, abo@bergundsteigen.at Leserbriefe dialog@bergundsteigen.com
Layout Christine Brandmaier, Telfs, grafische@auseinandersetzung.at, Anna Brunner
Textkorrekturen Birgit Kluibenschädl, Stefan Heis
Druck Alpina, 6022 Innsbruck
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Titelbild Solenne Piret in der Route „Noyeux Joël“ in Venasque. Foto: Jan Novak
bergundsteigen fördert Land Tirol
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bergundsteigen wird empfohlen von den Bergführerverbänden Deutschland, Südtirol, Österreich, Schweiz sowie vom Europäischen Bergführerverband Exekutive.
Versteigen war gestern.
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