KĂœLTUR + ISSUE 1 // Juni 2014 // www.almancilarmag.de
THE
MIGRANT MAG #1
EDITORIAL
In diesem Resort möchten wir nun in jeder Ausgabe eine Persönlichkeit mit türkischen Wurzeln interviewen. Ziel ist es, den unterschiedlichsten Erfahrungen, Lebenswege und Empfindungen Ausdruck zu verleihen um die Vielschichtigkeit der deutsch-türkischen Herkunft und Lebensart zu verdeutlichen. Die Erste von uns vorgestellte Persönlichkeit, sollte Ümmüt Kemaz sein, Gastarbeiterin und Almanci der ersten Generation. Sie erzählte uns ihre Geschichte, die wir aufbereitet durch künstlerische Illustrationen, mit unseren Lesern teilen möchten.
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ÜMMÜ KEMAZ
WARUM DEUTSCHLAND ?
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INDEX 24
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DIE ANKUNFT IN ALMANYA
LAND & MENSCHEN
26 AHMET KEMAZ
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38 DAS WOHNHEIM KEKSFABRIK & DIE KEKSFABRIK
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44 WARUM SO LANGE IN DEUTSCHLAND ? & WARUM ZURÜCK ?
52 HEUTE ZURÜCK IN DIE ALTE HEIMAT ÜM MÜ KE MAZ UN D I H R LE BE N AL S GAS T ARBEI TE RI N
sparen
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fleiSS
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in deutschland liegt das g der stra man muss aufheben
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reichtum a l m anci l a r - kĂœ lt U r
geld
deutschland geld auf straSSe. muss es nur aufheben
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und
kamen menschEN M a x F r is c h
1965
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es
DIe reise ins ungewisse hoffnunG auf ein besseres leben
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Foto auf dem Einreisedokument 1970
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ÜMMÜ KEMAZ 14. juni 1952 Izmir, Türkei
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a l m a n y a
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bornova türkiye, izmir
a l m anci l a r - kÜ lt U r australien war mir zu weit weg von meiner heimat
ich war gezwungen
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D sehr früh erwachsen zu werden
WARUM DEUTSCH LAND ?
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Hochzeitsfoto 1.9.1969
almancilar - kult端r
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Bielefeld 1970
Das Paar will nach Deutschland 1970
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H AYA T
M
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eine Eltern sind leider sehr früh verstorben, sodass ich gezwungen war früh erwachsen zu werden. Ich heiratete dann sehr bald, mit ungefähr 15 um auch meinem kleinen Bruder der damals 10 Jahre alt war, so etwas wie eine Familie bieten zu können. Das war 1967. Mein Bruder war damals sehr gut in der Schule und da ich keine Eltern mehr hatte die mich zurückhielten, beschloss ich als junges Mädchen mit meinem Mann und meinem Bruder nach Europa auszuwandern, damit er da die Chancen nutzen könnte um sich weiterzubilden und einen guten Beruf zu erlernen. In der Türkei waren die Zustände damals sehr schlecht. Mein Mann hat sehr wenig verdient und der Traum von einem Deutschland, einem Almanya, in dem man ausreichend Geld für ein ordentliches Leben verdienen würde war größer als die Scheu vor dem Unbekannten. Schließlich bewarb ich mich als Gastarbeiter beim Arbeiter- Amt und mir wurde eine Gastarbeiter Stelle in Australien zugewiesen. Bedingung wäre allerdings gewesen nur alle fünf Jahre zurück in die Heimat zu reisen und das konnte ich mir nicht vorstellen. Ans andere Ende der Welt zu ziehen und ohne zu wissen was mich erwartet das Risiko auf mich nehmen für mindestens fünf Jahre dort zu bleiben kam für mich nicht in Frage. So lehnte ich diese Stelle ab und wartete bis eine Stelle in Europa frei wurde. Im Jahr 1971 kam die Nachricht, eine Stelle sei frei. In Deutschland, in Detmold, in einer Keksfabrik. Ich nahm sofort an.
mĂźnchen 1971
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ich kam wie beim schlachter wir standen alle in einer und wurden nacheinander untersucht
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mir vor schlachter. standen einer Reihe wurden alle nacheinander untersucht.
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fabrik FRANKFURT
m端nchen, deutschland die untersuchung war sehrgef端hllos und unangenehm
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M I T
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J AHR E N 1971
DIE ANKUNFT IN ALMANYA
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Erstes Picknick in Deutschland
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Feier mit anderen Gastarbeitern
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AHMET KEMAZ 01. nov 1941 iskenderun, TĂźrkei
17. mai 1972 detmold fliessbandarbeit vw
G E L I S
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evor es beginnen konnte mussten Auswanderer nach Istanbul kommen und ärztlichen Kontrolle. Diese Untersuchung habe ich als sehr gefühllos und unangenehm empfunden. Wir mussten unbekleidet in einer Reihe stehen und die Ärzte checkten uns nacheinander durch, wobei wir uns wie Ware nicht wie Menschen fühlten. Das hat mich damals sehr verletzt und ich habe das bis heute nicht vergessen. Nach der ärztlichen Kontrolle erledigte ich weiteren Papierkram und konnte schließlich nach Deutschland reisen. Ich wusste überhaupt nicht was mich erwarten würde. Wir konnten uns in der Türkei keinen Fernseher leisten und so hatte ich keinerlei Informationen oder Bilder vor Augen die ich mit Deutschland verband. 1971 kam ich dann endlich in München an, dort wurden erst einmal alle Gastarbeiter empfangen. Wir wurden zunächst mit einem Bus in eine riesige Halle gefahren wo die Personalien aufgenommen wurden, anschließend in Gruppen aufgeteilt und in Züge verfrachtet wobei keiner von uns begriff, was genau geschah. Schließlich fand ich mich mit fünf anderen Frauen wieder und wir fuhren nach Detmold zur Keksfabrik. In Detmold empfing uns unsere Betreuerin, die ich als sehr nett in Erinnerung habe, auch wenn ich mich wegen ihrem nachlässigen Äußeren immer ein wenig vor ihr gefürchtet habe. Diese Betreuerin brachte uns in ein Wohnheim, wo wir von den anderen Frauen sehr nett empfangen wurden. Sie hatten für uns türkische Speisen gekocht und gebacken und so habe ich den Empfang im Wohnheim in guter Erinnerung. Mein Mann Ahmet Kemaz und mein Bruder Yilmaz kamen ein Jahr später nach Deutschland. Mein Mann um hier ebenfalls als Gastarbeiter zu arbeiten, und mein Bruder um eine deutsche Schule zu besuchen.
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B
K A LT
GERADE
LEER
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SAU B ER
RUHIG
DISZIPLIN
ALLES
ANDERS.
das gefühl irgendwo fremd zu sein war sehr neu
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alles war so anders
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DAS LAND UND SEINE MENSCHEN
A V R U P A leise und aufgeräumt
ALMANYA
Erse Geburtstagsfeier mit Freunden in Deutschland
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Erste gemeinsame Geburtstagsfeier
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Bielefeld 1977
Silvester mit deutschen Freunden 1978
Detmold 1977
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FEIERABEND! WIE DAS DUFTET!
Detmold, Nordrhein westfahlen
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n Deutschland war einfach so alles anders. Es war so leise, aufgeräumt und strukturiert. Im Gegensatz zur Türkei wo es so laut und lebendig ist, waren dort kaum Menschen auf der Straße. Wenn Werktags die Läden um 18 Uhr und Samstags um 13 Uhr die Läden schlossen hat man kaum noch jemanden auf der Straße gesehen und Sonntags sowieso nicht. Das war sehr neu für mich. Die Tatsache, dass alles anders war, hat es mir zunächst einmal noch schwerer gemacht mich einzuleben. Doch einiges, wie die Ordnung und die Struktur hat mich auch angesprochen, es machte das Leben einfacher, auch wenn ich Zeit brauchte um mich an all diese Regeln und Vorschriften zu gewöhnen. Im Großen und Ganzen waren die Deutschen allerdings recht nett zu mir, was mir bei meiner Eingewöhnung in diesem fremden Land, doch sehr geholfen hat.
GERADE
ORDNUNG
DISZIPLIN
RUHE
STRENG
REGELN
ANDERS.
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ich habe schnell an deutschland gewöhnt, aber hat etwas ein gefühl das beschreiben a l m anci l a r - kÜ lt U r
HEIMAT
GEfühl
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habe mich deutschland aber immer etwas gefehlt. das man nicht beschreiben kann ZIEL
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Wunsch
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j a h r e n
hiddesen Detmold, Nordrhein westfahlen
zuvor habe ich nichtmal richtig gearbeitet
es waren mehrere wohnheime nebeneinander und alle sahen gleich aus.
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DAS WOHNHEIM & DIE ARBEIT IN DER KEKSFABRIK ich konnte noch keinen wort deutsch
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Einzug ins Wohnheim
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20. 05-1971
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FA B R I K A
NICHT SPRECHEN!
v erstehe N U R B ahnhof
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ch hatte ja vorab schon einen Ein-Jahres Vertrag für die Keksfabrik erhalten und wusste, dass ich dort für einen sehr geringen Stundenlohn von 2,30 DM arbeiten würde. Dennoch war dieser Stundenlohn deutlich mehr, als das, was ich in der Türkei hätte verdienen können. Bei meiner Ankunft in der Fabrik wurde mir das Unternehmen kurz und knapp vorgestellt und ich wurde in meine Stelle eingewiesen. Die Arbeitsverhältnisse waren nicht so wie ich es mir vorgestellt hatte. Wir durften nicht Türkisch sprechen und Deutsch konnte noch keiner von uns. Als ich doch einmal den Mund aufmachte hat mir ein Mann auf die Schulter gehauen und „nicht sprechen“ geschrien. Ich war damals sehr traurig und wehrlos und wollte zurück in die Türkei. Die Situation damals war sehr sehr schwer für mich.
Das erste Wiedersehen mit Schwester Birsen 1975
das leben in deutschland war für mich immer zweigeteilst
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NA C H
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JAH R EN
immer wieder auf die herkunft reduziert
WARUM SO LANGE IN DEUTSCHLAND ? WARUM ZURÜCK
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Gastarbeiter am Fliessband
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33 Jahre
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Erste Urlaubsfahrt in die Türkei 1978
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HOHER PREIS FÜR GUTEN WOHLSTAND
as Leben in Deutschland war für mich immer sehr zweigeteilt. Zum einen hatte ich viele schöne Erfahrungen. Mein Mann und ich haben gut verdient und konnten uns ein anständiges Leben in Deutschland aufbauen, was uns in der Türkei so niemals möglich gewesen wäre. Wir konnten jedes Jahr ein bisschen Geld zurück legen um uns schließlich, nach unserer Pensionierung, wieder in der Türkei in einem netten Haus an der Ägäis niederlassen zu können. Dennoch haben wir einen hohen Preis für diesen Wohlstand bezahlt. An vielen Tagen habe ich mich, auch noch nach Jahren, in Deutschland fremd gefühlt. Ich wurde immer wieder auf meine Herkunft reduziert und mir wurde immer wieder negative Gefühle entgegengebracht. Das hat mich nicht nur sehr verletzt, sondern daran kann man über längere Zeit auch zerbrechen. Auch die Tatsache, dass ich einen Großteil meines Lebens fern der Heimat verbracht habe hat mich oft nachdenklich gestimmt. Doch ich habe auch vieles der Deutschen Kultur angenommen. Die deutsche Mentalität, hat die türkische zwar nie abgelöst, jedoch aber ergänzt. Heute sind mir viele Dinge wichtig, wie zum Beispiel die deutsche Ordnung und Disziplin über die viele in der Türkei nur schmunzeln können.
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49 a l m anci l a r - kĂœ lt U r Erster Ausflug mit Arbeitskollegen und Freunden
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ICH kam hierhin fĂźr stundenlohn von Deutsche
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kam fĂźr einen ndenlohn on 2,30 eutsche mark
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6 ZURÜCK IN DIE ALTE HEIMAT FAZIT VOM LEBEN IN DEUTSCHLAND. WIE IST ES HEUTE WIEDER IN DER TÜRKEI ZU LEBEN ?
IZMIR NA C H
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Vor dem eigenen Haus in der TĂźrkei 2014
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VA T A N
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ach 25 Jahren hier in diesem Land hatte sich meine Familie natürlich an Deutschland gewöhnt. Dennoch hatte ich viele schwache Momente in denen ich meine Entscheidung nach Deutschland zu gehen hinterfragt und angezweifelt habe. Auch heute beschäftigen mich diese Fragen noch. Aber ich denke ich kann sagen, ich bereue nichts. Ich bin Deutschland sehr dankbar und wäre, wenn ich die Entscheidung tatsächlich bereut hätte, früher in die Türkei zurückgekehrt. Auch mein Bruder hat sich durch Bildung und Fleiß ein solides und glückliches Leben aufgebaut, was mich auch heute noch darin bestärkt, dass die Entscheidung von damals richtig war. Ich bin im Großen und Ganzen sehr glücklich darüber wie alles verlaufen ist und bin Deutschland auch sehr dankbar. Dennoch ist Deutschland nie zu einer neuen oder zweiten Heimat für mich geworden, mein Herz immer für die Türkei geschlagen und für mich war immer klar, dass ich wieder in die Türkei, zu meinen Wurzeln und Kindheitserinnerungen zurückkehren möchte. Doch ein Großteil meiner Familie ist in Deutschland geblieben, vor allem die Kinder, die dort geboren wurden. Für sie wurde Deutschland zu ihrer Heimat und die Türkei zu dem Land ihrer Wurzeln. Ich weiß wie schwierig es ist, zwischen den beiden Kulturen gefangen zu sein und hoffe deshalb, dass es den zukünftigen Generationen gelingen wird, in Deutschland anzukommen eine Heimat zu finden und dennoch ihre Herkunft und ihre türkische Wurzeln zu schätzen. Von Deutschland wünsche ich mir, dass nach all den Jahren, das Zusammenleben mit Türken überall zur Normalität wird sodass man Integrationsdebatten bald nicht mehr nötig hat.
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Der damalige Grund fĂźr die Auswanderung nach Deutschland: Der Bruder
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