Barbara Gass: miniaturen

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Allitera Verlag



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Mit freundlicher Unterstützung der

Juli 2013 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2013 Buch&media GmbH, München Gestaltung: Katharina Kuhlmann, München Printed in Europe · isbn 978­3­86906­544­1


f端r Felix, Philip und Florian



Inhalt Berliner Fr端hst端ck Am Morgen Mutter Le bonheur Abschied Herz Charade Das Hemd Annamirls Mantel Alma Im Tempel Die Alte Dazwischen Schwestern Ballett Krankensalbung Im Englischen Garten Rosenfest Das Kleid



Berliner Frühstück Ein rostiger Tisch, zwei Gartenstühle, Quittenmarmelade, Schrippen, grüner Tee. Ein frisch gepflanzter Apfelbaum. Auf karger Wiese blühn Vergissmeinnicht. Im Hinterhaus, da wohnt fast niemand mehr.

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Am Morgen In einem Garten alt mit hohem Grase, ein Stuhl von gestern dort vergessen. Der Morgen war noch frisch und feucht von Tau, da schwebt das Einhorn ohne Laut vorbei, durchsichtig, weiß, zerbrechlich. Es ging so schnell, wie es gekommen war. Ein hoher Ton erfüllte noch die Luft, auch der verging. Ganz langsam, bis nur ein Duft noch in den Gräsern blieb.

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Mutter Sie sitzt am Klavier, den Fuß am Pedal, die Finger gleiten über die Tasten. Ihre Stimme nimmt leicht die hohen Töne Liebster nimm mich hin Ich bin ja nur die Deine Sie kann es auch ohne Klavier. Sie kann es auch ohne Text: Heija jeija jei

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Le Bonheur Sie würde kommen an diesem Abend, er hatte sie zum Essen eingeladen. Mir war bang, ich wusste, dass sie ihm wichtig war. Wichtiger als ich? Mich kennt er ja schon so lange, wir haben drei Kinder, seit fünfzehn Jahren sind wir verheiratet. Wir würden im Garten essen, ich weiß nicht mehr, was wir kochten. Die Blüten des Kirschbaums waren schon abgefallen, weiße Blättchen lagen auf der Bank. Dort haben wir gerne gesessen, vor dem Fenster unter dem Kirschbaum. Heute sitzt sie mit ihm auf unserer Bank, es ist ein warmer Abend. Sie sind sich so sicher, als sie mir von ihrer Liebe erzählen, sind sich so einig. Sie sagt mit sanfter Stimme: Liebe kann man nicht fordern. Hatte ich sie denn gefordert, die Liebe?

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Hatte ich nicht schon gewusst, dass es eines Tages so kommen w端rde, hab ich es nicht vorausgesehen? Ja, nach diesem Film, damals hab ich geweint. Es wird dunkel, Gl端hw端rmchen geben Leucht足 zeichen. Als ich aufstehe knirscht der Kies.

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Abschied Sie haben dich auf die Terrasse gebracht, die Schwestern von Lawrenceville. Ich war zu dir geflogen, um dich zu sehen. Ein purpurner Vogel sitzt an deinem Bett, unter dem Baum mit den weißen Blüten. Das alles kenne ich nicht, nicht den Baum, nicht den Vogel, nicht dein Gesicht. Ich möchte dir die Madonna zeigen, von Rosen umrankt. Dort auf dem Rasen könnten wir unsere Lieder singen. Und ich könnte weinen um dich

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Herz Ich sehe mein Herz, wie sich die Gefäße füllen und wieder leeren. Ich sehe es auf dem Monitor, mein Blut.

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Charade Was machst du heute Nachmittag? Du liegst im Bett, siehst fern, Audrey Hepburn in ÂťCharadeÂŤ. Hab ich gestern schon gesehen, in ihrem gelben Mantel, er war von Givenchy, ist sie so fix und wendig, so quirlig war ich nie. Du konntest so schnell laufen, wie der Cary Grant, Sonst hab ich viel vergessen, nur die Zeit, die rennt. Wolltest du noch etwas sagen, dein Film ist gleich vorbei. Ich ruf dich morgen wieder an, ich denk, so gegen drei.

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Das Hemd Es fällt ihr immer wieder in die Hände, dieses brüchige Stück Stoff mit dem verwaschenen Muster. Darin hat sie ihre Söhne geboren. Sie streicht mit der Hand darüber, faltet es zusammen und legt es in den Schrank.

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Annamirls Mantel Dein Mantel auf meinen Schultern. Ich dachte ihn mir nicht so schwer. In der Manteltasche eins deiner Lieblingsbonbons, Johannisbeer, violett, in durchsichtigem Papier. Was soll das Pfand in meiner Hand, was soll derjenige tun

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Alma Meine Krรถte heiร t Alma. Sie ist viel schรถner als Alma Mahler. An die hatte ich nicht gedacht. Jetzt ist sie fort, schon lange

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Im Tempel Tee aus kostbaren Schalen. Hinter den Taglilien im Graben die Fische. Das weiße Paar am Schuppen lächelt. Sie haben das Tor geöffnet für die mongolischen Pferde, die werden kommen, heute Abend. Sie haben Wasser bereitgestellt. Die Pferde werden durstig sein. Der Mond verblasst an der Mauer.

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Die Alte Sie kommt in meine Küche setzt sich auf meine Bank und sagt kein Wort sie richtet die halbwelken Blumen auf dem Tisch ich frage was sie will ich frage ob sie eine Tasse Kaffee möchte sie antwortet nicht ich drehe das Radio laut sie bewegt sich nicht ich bitte sie zu gehen ich will ihr beim Aufstehen helfen sie hält sich an der Tischplatte fest ich sage das ist meine Küche sie bleibt reglos sitzen ich zünde mir eine Zigarette an ich setze mich zu ihr und summe ein Lied ich drehe die Heizung etwas höher

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Dazwischen Wir haben wenig Zeit, nur eine Stunde. Was sagst du mir und was ich dir? Die vielen bunten Fische so flink. Der Regenschirm so klein, dein Arm so warm, der Bahnhof nah

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Schwestern Wir trinken Kaffee unter der Platane, sie zeigen mir ihre neuen Sommerkleider, meine Schwestern am See. Die eine erzählt von ihren Töchtern und von der kleinen Insel bei Neapel, wo sie hinfahren will im September. Die andere redet über ihre Geburtstagsfeier und fragt, ob sie vielleicht am Nachmittag ein anderes Kleid tragen sollte als zum Mittagessen. Wir schwimmen im See, langsamer als früher. Wir wickeln uns in trockene Tücher und schauen über den See.

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Ballett Ordentlich stehen sie in einer Reihe, die Gänse, ihre langen, weißen Hälse nach oben gereckt, den Blick nach vorne. Ähnlich den Damen in den »Folies Bergeres«, die auf glitzernden Treppen schöne Beine zum Himmel strecken. Flügel schlagend und mit großem Tempo läuft ein Ganter nach vorne. Zwei junge Gänse nähern sich ihm zögernd, die eine von rechts, die andere von links. Er macht ein paar gewagte Sprünge, mal zu der einen, mal zu der andern. Als die Musik einsetzt, »Suse liebe Suse«, löst sich eine schlanke Gans aus der Reihe. Anmutig, mit knappen Flugeinlagen, bewegt sie sich zielsicher auf den Ganter zu. Sie spreizt im Takt mal den einen, mal den andern Flügel, rennt und verharrt dann mit staunendem Blick. Er reagiert freudig mit geplustertem Gefieder.

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Jetzt gehen sie langsam aufeinander zu und fangen an, ihre Hälse umeinander zu schlingen. Es wird schwierig zu unterscheiden, welcher ihr Kopf ist und welcher seiner. So verweilen sie und lächeln. Die ganze Truppe steht still, bis sich das Paar sehr langsam zärtlich aus der Umhalsung löst. Alle verneigen sich tief, ihre Schnäbel flach auf der Wiese.

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Krankensalbung Meine Mutter war einmal eine hübsche, musikalische Metzgerstochter. Sie konnte Klavier spielen und gut singen. Sie hätte Soubrette werden können, aber sie wurde im Laden gebraucht und begnügte sich damit, in den Gesangverein zu gehen und in der Kirche so laut wie möglich mitzusingen. Abends öffnete sie ihr Fenster, um jeden hören zu lassen, wie gut sie singt. Alle sind stehen geblieben und haben Beifall geklatscht, hat sie erzählt. Jetzt liegt sie im Bett, wächsern ihr Gesicht, die Nase deutlich herausragend und dieses entrückte Lächeln. Wir haben schon einen kleinen Altar gerichtet, für den polnischen Pfarrer, der ihr die letzte Ölung geben soll, Krankensalbung, sagt man heute. Ein richtiger Pfarrer hatte Mutter nie besucht, meist sind Frauen gekommen, sogar mit der Kommunion,

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Mutter hat das nicht gefallen. Der polnische Pfarrer gefiel ihr, er hat sie schon vor 14 Tagen besucht, da konnte sie noch mit ihm auf der Terrasse sitzen. Sie haben zusammen Wein getrunken und gesungen, er sei ein berühmter Professor, hat sie erzählt, ein interessanter Mann. Wir sind am Vormittag schon im Bestattungs­ institut gewesen, meine Schwester und ich. Wir mussten in einem kleinen Zimmer warten, an den Wänden hingen Diplome in breiten Rahmen, auf dem Tisch eine Häkeldecke, darauf ein bemaltes Engelchen aus Gips. – Der Bestattungsunternehmer trat ein, begrüßte uns überaus freundlich und beteuerte, wie wichtig es sei, schon vor dem Todesfall das Beerdigungsinstitut aufzusuchen, man könne so viel vorbereiten. Nach den üblichen Formalitäten führte er uns in den Ausstellungsraum. Dort gab es zehn Särge zur Auswahl, verschiedene Hölzer, glatt, gekehlt, lackiert. Einer nach amerikanischem Muster, innen ausgeschlagen wie eine Pralinen­ schachtel, der sei mehr was für jüngere Leute. 44


»Wie findest du den?« fragte mich meine Schwester. Der ist fürs Krematorium gedacht, belehrte sie der Chef, dabei legte er seinen Arm um ihre Schulter und zog sie ein bisschen an sich. Es gab noch einen schwarzen Sarg, der glänzte wie Mutters schwarzes Klavier mit den roten Gladiolen darauf. Ich hörte sie singen: »Schöne Nacht, oh Liebesnacht, du Liebesnacht im Mai«. Der Pfarrer hat sich zu Mutter ans Bett gesetzt. Nachdem er ein bisschen mit ihr allein war, ruft er uns herein. Er betet lateinisch und will, dass wir ein Lied singen. Segne du Maria, fällt mir ein, segne mich, dein Kind. Bei diesem Lied musste ich schon immer weinen, warum will ich das ausgerechnet jetzt singen. Wir verabschieden den Pfarrer und setzen uns wieder zu Mutter ans Bett. Sie redet von einem Festessen und davon, wer alles eingeladen werden soll, sie spricht leise und langsam, wir hören sehr aufmerksam zu. Es ist ihr 96. Geburtstag, den wir für sie vorbereiten sollen. 45


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Im Englischen Garten Sie sind in den Englischen Garten gegangen, dort sitzen sie auf einer Bank. Vor ihnen der Kinderwagen, er ist nicht praktisch mit den hohen Rädern. Aber die junge Frau wollte etwas Besonderes haben für sich und ihr erstes Kind mit den wunderschönen Augen. Es ist für sie mehr eine Pflicht, hier mit ihrer Schwiegermutter zu sitzen, sie weiß nichts mit ihr zu reden, sie sind einander fremd geblieben. Das Kind schläft, der Himmel ist strahlend, die Kastanien blühen rosa. Die junge Mutter strickt an einem Jäckchen für das Baby. Ab und zu schaukelt sie leicht den Kinderwagen. Kommt jemand vorbei, schaut sie auf und nickt freundlich. Manchmal legt sie ihr Strickzeug beiseite, schaut zu den Kastanienblüten hoch in den blauen Himmel. Ihre Schwiegermutter sitzt neben ihr. Vor sich auf dem Schoß ihre schwarze Lackhandtasche, die sie mit beiden Händen festhält.

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Was will ihr Sohn mit dieser naiven jungen Frau? Hat keine Ahnung vom Leben und auch nicht von ihm. Ja, das Kind ist schön, es sieht ihm ähnlich. Langsam bewegt sie ihre Füße hin und her, der Sandboden verschwindet und Erde wird sichtbar. Mit kreisenden Bewegungen schafft sie dunkle Ringe unter ihre Sohlen. Sie richtet sich etwas auf, ohne ihre Tasche loszulassen und sagt, langsam jedes Wort betonend: »Du weißt ja nicht, wie böse die Menschen sind!« Erstaunt schaut die junge Frau auf. Ich weiß schon, dass es böse Menschen gibt. Mit denen muss ich aber nicht zusammen sein. Ein Windhauch weht ihr eine Strähne ins Gesicht. Ihre Schwiegermutter sitzt unbeweglich da. Sie nimmt ihre Tasche noch etwas näher zu sich. Sie schweigt. »Du kannst da nicht mitreden!«, sagt sie dann. Sie senkt die Lider, als lausche sie ihren Worten nach. 49


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Rosenfest Schon seit Jahren sind sie befreundet, Rita und Marianne. Sie sitzen sich gegenüber in einem dieser Züge, die bei jedem Kaff anhalten. Es wird wohl eine Stunde dauern, bis sie ankommen werden bei den Freunden auf dem Land. Ritas Gesicht ist etwas aufgedunsen, der Mund sorgfältig umrandet und purpurrot ausgemalt. Ihre blauen Augen sehen klein und müde aus. Sie trägt einen schwarzen Satinrock mit knallroten Rosen, dazu eine zarte lila Bluse, die ihr zu eng geworden ist. »Ich habe die ganze Woche viel gearbeitet! Ich habe geschwollene Beine und Husten«, klagt Rita. »Geh doch mal zum Arzt«, meint Marianne. »Ich kann nicht bei jeder Kleinigkeit zum Arzt rennen, ich hab nicht so viel Zeit wie du!«

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Rita schaut zu ihrer Freundin: »Wo sind denn bei dir die Rosen? Wir sollten doch Rosen tragen.« Marianne nimmt eine duftige Stoffrose aus ihrer Handtasche. Sie fängt an damit zu spielen, hält sie mal ins Haar, mal ans Handgelenk oder hinters Ohr vielleicht. Sie entscheidet sich, die Rose an ihren Ausschnitt zu heften, an ihren Busen, dort gefällt sie ihr am besten. Rita verzieht ihren Mund: »Das brauchst du nicht, ich glaube, es sind gar keine Männer da.« Marianne hatte noch nichts Bewunderndes zu Rita gesagt. Heute will sie das nicht, auch sonst will sie nichts mehr sagen. Lieber schaut sie zum Fenster hinaus, auf die Wiesen und die Kühe.

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Das Kleid Es geht so schnell … An der Schranktür hängt noch das Kleid. Da haben sie dir nun doch die weiße Bluse angezogen. Das Kleid wäre schöner gewesen. Wir haben es damals zusammen gekauft, für Eddas Sechzig­sten. Mir hat es gut gefallen an dir, du warst nicht so begeistert, das weiß ich. Es ist ja auch ein bisschen kompliziert anzuziehen. Oben reinsteigen, dann erst in die Ärmel, Reiß­ verschluss zu, und das Knöpfchen am Revers nicht vergessen, damit der BH nicht rausguckt. Ich weiß, dass du lieber Dirndl getragen hast, aber ich habe dir sehr zugeredet, dieses Kleid zu nehmen. Du sahst darin so vornehm aus. Ich zieh es schnell mal an. Vielleicht passt es mir ja gar nicht, wo ich doch so flach bin, wie du immer gesagt hast.

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Mühsam anzuziehen, wirklich. Irgendetwas kratzt, das ist so ein Schildchen. Das nähen sie im Altenheim in jedes Klei­dungs­­ stück, Junkenitz. War auch mal mein Name. Junke-witz haben die in der Schule immer gesagt, Junkewitz – Kartoffelschnitz! Das Kleid macht mich alt, dir stand es viel besser. Ich werde es nicht in so einen Sack stopfen. Ich rolle es zusammen und stecke es in meine Handtasche. Viel Platz braucht es nicht.

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