KulturGut Würzburg N°7

Page 1

KulturGut

Ausgabe

07

Oktober 2011

Magazin f端r die Kulturregion W端rzburg

Parole: Sprich! W端rzburg hat Worte | Kult Orte: Was vor 2300 Jahren gedacht wurde | Urbanit辰t: Vom Leben in der Stadt | Zaubertage: Magie am Main

|

|

|


�� �� ����� ���������� ������ ��� �� ��� �������� ���� ������� ����� ���

������ ������������������

�������� ��������� ����� ��������� ����� ���������

��� ������ ��� �����

��������� ������� �������� ��������� ��� �����

��������� �� �

��� �������� ���� ����������������

��������������� ���� ��� �� ���������� ����������� �� ���� ����� �����������

����������������� ��������� ���������������� �������������� ��� ����� ��� ������������� ���� �� ������� �������� ��� �������� ���������

��������������������������������

������������

�����

����������� �����

��� ��� ���������� �������������


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Editorial

Der Wert der Worte: Ein Ausblick auf den Herbst. Die Freiheit, seine Anliegen offen zu auszusprechen – den Wunsch danach trugen in diesem Jahr viele Menschen auf die Straße. Zwar weiß noch niemand, wie der „Arabische Frühling“, langfristig ausgeht. Aber eins hat er sicher gezeigt: wie stark Wörter wirken können. Sei es über laute Parolen, sei es über kleine Mitteilungen per SMS. Die Fähigkeit zur Artikulation kann vieles bewegen. Umso wichtiger, dass wir lernen, mit Sprache umzugehen, sie zu nutzen und als mächtiges Instrument zu begreifen. Unsere Herbstausgabe widmet ihre Titelstrecke dem Sprechen. Das Wort haben unter anderem: - die Initiative Schülerwettreden, die kommunikative Kompetenz spielerisch vermittelt, - Besucher, die die neuen Texte im Grafeneckart kommentieren, - ein Würzburger Hip Hopper, - die Schriftstellerin Ingrid Noll, die Würzburg zum Literarischen Herbst besucht, - ein Verlag, der sich mit multikultureller Sprache und Schreibe befasst.

Bildlich ergänzt wird die Artikelstrecke durch Graffiti-Collagen, die immer etwas mit Texten, Sprache, Wort zu tun haben. Im Herbst tut sich viel in Würzburg. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen: Das Kulturprogramm ist reich. Autorenlesungen geben beim Literarischen Herbst Texte von Mensch zu Mensch zu erleben, nach der Sommerpause ist die Theatersaison endlich wieder eröffnet, die Zaubertage stehen vor der Tür – es darf zugehört und mitgeredet werden! Wenn Sie weiterhin in den Diskurs mit uns eintreten möchten, laden wir Sie hiermit wie immer auf unsere Website www.kulturgut-wuerzburg.de ein. Wir sind dankbar für Ihre Anregungen und für einen geistreichen Dialog: Bleiben Sie uns weiterhin gewogen! Iris Wrede Chefredakteurin

KulturGut 07 | Seite

3 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | B端hne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

6

8

Inhalt 12

16

18

22

20

24

26

KulturGut 07 | Seite

4 | W端rzburg

32


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

3

Editorial

4

Inhalt

6

Titelthema | Gut reden kannste. Schülerwettreden startet im Herbst

8

Titelthema | Gedenken wurde Dokumentation. Informationsraum im Grafeneckart

12

Titelthema | Couragierte Arbeit am Mainfranken Theater Würzburg

16

Titelthema | Geburt zur Stimmbildung. Elevenausbildung für Schauspieler

18

Titelthema | Wort drauf! Hip Hop als Kunstform und Sprachrohr

20

Titelthema | Besuch bei Würzburgs angesagtestem Sprechgesangartisten Mistaa

22

Titelthema | Ingrid Noll, noch immer auf Lesereise

24

Titelthema | Vom Comedy-Slang zur Kanaksprakwissenschaft

34

38

40

42

46

50

26 Theater | Zaubertage: Wie viel Theater braucht die Magie? 30

Theater | Termine

32

Musik | Bachchor: Evangelische Stimmen im katholischen Würzburg

34

Musik | Komponist Klaus Ospald im Gespräch über Neue Musik

36

Musik | Termine

38

Kunst | Kunst geht fremd, bis in die Rhön

40

Kunst | Brüche im System: Die Wiener Künstlerin Esther Stocker im Kulturspeicher

42

Kunst | Museum Bayerischer Geschichte

43

Kunst | Kulturregion Mainfranken

44

Kunst | Termine

46

Literatur | Schrift braucht Namen. Ergon-Verleger Hans-Jürgen Dietrich

48

Literatur | Termine

49

Film | Termine

50

Film | Weiche Sessel, gute Filme. Ein Jahr Programmkino Central

52

Stadt | Wie urban ist diese Stadt?

56

Stadt | Termine

57

Wissenschaft | Termine

58

Wissenschaft | Was dachten sich die alten Ägypter? Ausstellung „Kult Orte“ in der Residenz

52

60 Interkultur | Wo sich das Leben entscheidet. AndersOrte 63

Interkultur | Beton, Asphalt. Die Straßenkunst von Skatern und Sprayern

65

Interkultur | Termine

66

Zum Schluss | Impressum KulturGut 07 | Seite

58

5 | Würzburg

62


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Bei der ersten Würzburger Rederevue am 15. Juli im Bockshorn gaben die Schülerinnen und Schüler mehrerer Würzburger Schulen erste Kostproben ihres rhetorischen Könnens.

Gut reden kannste Das erste Würzburger Schülerwettreden startet im Herbst von Dr. Gunther Schunk

+ Am Anfang war das Wort. Und sonst nix. Mehr braucht es auch nicht, um die Welt zu verändern. Und die Welt ändert sich ständig. Da heißt es aufpassen, mitmachen und mitgestalten. Das gilt besonders für die nächste Generation, die die Verantwortung für die Welt übernehmen muss. Und die ihre eigenen Interessen und Verantwortlichkeiten formulieren lernen muss. Denn nur wer reden kann, kann mitreden. Deshalb hat sich unter dem Motto „kannste reden, kannste mitreden“ eine Gruppe zusammengetan, um den ersten Würzburger Redewettbewerb zu veranstalten. Das Projekt der Arbeitsgruppe Rhetorik läuft seit zwei Jahren. Ziel ist, Schülerinnen und Schülern kommunikative Fähigkeiten zu vermitteln, eigene Standpunkte zu formulieren, aber auch Probleme und Wünsche zu adressieren. Einige Aktionen bisher: eine Speakers Corner beim Kinder- und Jugendtheatertag, eine Rede-Bühne auf dem Umsonst & Draußen sowie Aktivitäten in Schulen. Im November soll nun das erste Würzburger Schülerwettreden stattfinden.

Die Idee dahinter Das Projekt soll Jugendliche in die Lage versetzen, ihre Interessen mit Argumenten zu vertreten. Sie sollen die Chance bekommen, ihre Redekompetenz auszubauen. Wer reden kann, der kann, ja der muss in einer demokratischen Gesellschaft mitreden: in Schule und Beruf, in Gesellschaft und Politik. Deshalb ist der Hauptgewinn des Wettbewerbs eine Rede vor dem Stadtrat, um die Anliegen der eigenen Generation zu formulieren. Ein fraktionsübergreifender Antrag junger Stadträte, unter anderem von Alexander Kolbow, der selbst Mitglied in der Arbeitsgruppe ist, und Aaron Schuster, hat diese Rede vor dem Stadtrat ermöglicht. Schirmherr ist folgerichtig Oberbürgermeister Georg Rosenthal. Kolbow kommentiert sein Engagement: „Der Rhetorikwettbewerb liegt mir sehr am Herzen, da besonders Jugendliche lernen müssen, wie sie ihre Bedürfnisse richtig äußern können. Nur wer etwas gut in Worte fassen kann,

KulturGut 07 | Seite

6 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

wird von den Anderen gehört und kann sich im Leben besser durchsetzen.“ Aber auch in Freundschaft und Liebe, Familie und im Verein heißt es, sich einzubringen, Fragen zu stellen und Ideen weiterzugeben. Und wie schnell kann Kommunikation missraten! Wie schnell entstehen Missverständnisse. Und wie leicht kann man solche „kommunikativen Unfälle“ mit ein bisschen Übung vermeiden. Hanna Rosenthal, die Initiatorin des Schülerwettredens und Frau des Oberbürgermeisters, begründet ihr Engagement so: „In einer immer älter werdenden Gesellschaft muss gerade die junge Generation über Mittel verfügen, gesellschaftliches Leben mitzugestalten. Deshalb ist die Reproduktion unserer Staatsform in die nächste Generation verpflichtende Aufgabe für uns in einer Demokratie. In dieser partizipieren zu können setzt rhetorische Kompetenz voraus, um eigene Interessen angemessen vertreten zu können. Diese Selbstwirksamkeitserfahrung spiegelt sich auch im Preis dieses Wettbewerbs wieder, in dem eine(r) Abgeordnete(r) die Anliegen seiner Generation vor dem Stadtrat vertreten kann.“

Worte statt Fäuste Stichwort Gewaltprävention: „Worte statt Fäuste“ ist die Kurzformel für die Fähigkeit, Konflikte verbal zu lösen. Sprache spielt eine wichtige Rolle im Aufwachsen. Doch auch Stimme, Gestik, Körpersprache und selbstbewusstes Auftreten gehören dazu. Außerdem Argumentieren, Formulieren und das Verbalisieren eigener Gedanken. Das alles muss erst geübt werden. Jeder, der mitmacht, hat schon gewonnen. Nämlich Akzeptanz und Selbstbewusstsein. Das alles ist im sozialen

Umgang wichtig und muss erlernt werden. Deswegen darf auch jeder mitmachen, und kein Schultyp ist ausgeschlossen. Und dann gibt es noch einen Aspekt: Mehr denn je wird die Gesellschaft heute mit Informationen überflutet. Permanent versuchen Werbebotschaften, Interessengruppen und Politik, die Sprache für eigene Zwecke einzusetzen, mit ihr zu manipulieren. Auch hier hilft kommunikative Kompetenz. Getragen wird die Initiative von einer großen Allianz: Gesellschaft für deutsche Sprache, Stadtjugendring, Mainfranken Theater Würzburg, Universität, Main-Post, Stadt Würzburg, Umsonst & Draußen, Debattierclub Würzburg, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, Kulturmagazin Leporello, Sparkasse Mainfranken, Akademie Frankenwarte, Vogel Business Media sowie viele Lehrerinnen und Lehrer von Würzburger Haupt-, Mittel- und Realschulen und Gymnasien. Das Engagement nutzt auch den Engagierten. Das Jugendkulturhaus Cairo arbeitet mit, „da der Arbeitskreis eine spannende Vernetzung von vielen verschiedenen Institutionen und Einzelpersonen ermöglicht, die auch wieder Rückflüsse in unsere Arbeit erlaubt“, sagt Nadine Antler. „Wir bringen vor allem den jugendkulturellen und spielerischen Aspekt ein, helfen bei Veranstaltungen mit unserem Know-how und stellen gerne Ressourcen für Veranstaltungen und Kurse zur Verfügung.“

KulturGut 07 | Seite

INFO: Das 1. Würzburger Schülerwettreden beginnt am 15. November um 19 Uhr im Bockshorn, Kulturspeicher am Oskar-Laredo-Platz.

7 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Gedenken wurde Dokumentation Stimmen zur Neugestaltung des Informationsraums im Grafeneckart von Sonja Wagenbrenner

+ Nach einem halben Jahr Umbau und intensiven Diskussionen im Stadtrat steht er wieder offen – der Raum im alten Rathaus, in dem sich Bürger und Touristen stadtnah informieren können über die Kriegsereignisse in Würzburg und die Zerstörung durch den Bombenangriff der englischen Luftwaffe am 16. März 1945. Kritische Stimmen hatten eine Neugestaltung des früheren „Gedenkraums“ verlangt: Die bisherigen Text- und Bildtafeln waren unansehnlich geworden und wirkten nach 15 Jahren nicht mehr zeitgemäß. Die spätmittelalterliche Architektur des Raums sollte wieder zur Geltung kommen und die Texte sollten sachlicher und kürzer gefasst sein – vor allem aber besser eingebettet in den Zusammenhang der Ereignisse vor und nach dem Angriff. Wie kommt neue Konzept nun bei Bürgern und Gästen an?

Auch wenn auf der alten Tafel am Eingang immer noch „Gedenkraum“ steht: Bei älteren Würzburgern stößt es nicht gerade auf Zustimmung, dass aus ihrem Ort der Erinnerung ein eher nüchterner „Dokumentationsraum“ wurde. Die 90-jährige Hildegard Graus hat Würzburg noch in Schutt liegen sehen. Sie vermisst die großen Sprengbomben und die Namensliste der vielen tausend Toten aus der Bombennacht: „Der Raum wirkt jetzt eher kalt und unpersönlich. Die Wärme und Ruhe von früher ist nicht mehr da und das Leid der Menschen nicht mehr spürbar.“ Die Umgestaltung verzichtete bewusst auf viele frühere Fotos und auch auf Zeitzeugenaussagen – zugunsten einer sachlicheren Darstellung der historischen Hintergründe. Ein Ort des Gedenkens im eigent-

KulturGut 07 | Seite

8 | Würzburg


lichen Sinn – ein Ort der Stille – könne der Raum sowieso nicht sein, heißt es, da er als Durchgang zu den Amtszimmern im Grafeneckart immer stark frequentiert sei.

Ein Modell für die nachfolgenden Generationen Günter Wilhelm aus Ingolstadt, Jahrgang 1934, begrüßt es ausdrücklich, dass sich Einzelbesucher im Zentrum der City kurz darüber informieren können, wie es damals zu dem Schicksalstag für die Würzburger kam. Ihm als auswärtigem Gast fällt es zwar zunächst schwer, sich im Raum zu orientieren: In welcher Reihenfolge die Texttafeln zu lesen sind, werde nicht auf Anhieb klar, auch fehle ein Stadtplan für den Überblick. Aber sonst wirke der Raum großzügig und angemessen minimalistisch. Vom Modell unter dem gläsernen „Bischofshut“ zeigt er sich – wie alle Besucher – gleich beeindruckt: „So ein detailgetreues Modell einer kriegszerstörten Stadt habe ich noch nie gesehen. Das ist für alle wichtig, die den Krieg selbst nicht miterlebt haben.” Den Gästeführern ist das Modell nach wie vor das wichtigste Objekt im Raum. Dass es jetzt in der Mitte steht, von allen Seiten her gleichzeitig einsehbar, ist sehr nützlich für sie. Die moderne graphische Gestaltung der flachen Texttafeln lässt mehr Platz und auch psychologisch mehr „Luft“ beim Betrachten. Um die Textinhalte mit Gruppen ausführlicher zu behandeln, bleibe in normalen Stadtführungen allerdings kaum Zeit, weiß Gästeführer Rudi Held: „Dafür sind die meisten Fotos zu klein und teils auch nicht deutlich genug.“ Wer sich ausführ-


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

licher über die Kriegsereignisse informieren will, kann die gedruckte Dokumentation einstecken, die kostenlos in der Ausstellung ausliegt.

Sinnvoll großer Rahmen Die Zerstörung der Stadt in einen größeren historischen Rahmen zu setzen halten alle Besucher für sinnvoll und notwendig. Das Ehepaar Knoblauch aus Wasserburg am Inn etwa begrüßt, dass die Texttafeln nicht nur die Fakten des Angriffs schildern, sondern auch die Gewaltherrschaft der Nazis und die schwere Zeit des Wiederaufbaus. Interessiert erfuhr Elisabeth Knoblauch, „dass der sinnlose Widerstand, den KulturGut 07 | Seite

der deutsche Volkssturm beim Einmarsch der US-Amerikaner Anfang April 1945 bis zuletzt geleistet hat, auf beiden Seiten noch Hunderte Menschenleben gekostet hat“. Für junge Leute sollten aber mehr visuelle Eindrücke geboten werden: „Ein Stück zerschmolzenes Silber zum Beispiel könnte die Kraft der Zerstörung noch anschaulicher machen. Und wir würden gerne die ganz persönliche Geschichte einer ausgebombten Würzburger Familie lesen.“ Martina Dehner, Gymnasiallehrerin aus Würzburg, empfindet die Präsentation insgesamt als „etwas intellektuell“. Sie wünscht sich mehr von den großformatigen Fotos der zerstörten Stadt zurück – das Stadtmodell sei als einziger Blickfang geblieben.

10 | Würzburg


V I K T O R Å S L U N D T H E D I R T R O A D P R O J E C T K O N Z E R T 1 5 . 1 0 . 2 0 11 2 0. 3 0 V C C

U H R

W Ü R Z B U R G

W W W .V I K T O R A S L U N D . C O M

Rita und Wilfried Dilger, Grundschullehrer aus Höchberg, sehen das anders und halten den neuen Dokumentationsraum für „professionell gemacht, denn vorher war ja doch nur das arme, zerbombte Würzburg dargestellt, und das war einseitig“. Wilfried Dilger atmet auf, seit die Sprengbomben im Eck verschwunden sind: „Das bringt pädagogisch nicht viel. Es kommt viel mehr darauf an, wie gut ich den Besuch einer solchen Ausstellung mit Kindern vorbereite und was ich ihnen wie vor Ort erzähle“, sagt er. Für ihn könnten die deutschen Kriegsverbrechen noch deutlicher angesprochen sein, beispielsweise durch Zahlen der von Nazis ermordeten Juden, Sinti und Roma. Die Tafel, auf der Oberbürgermeister Georg Rosenthal eine Bewertung des Luftangriffs vornimmt, würde er mehr in die Mitte der Ausstellung rücken: „In dem Text wird das Leid der Menschen in Deutschland und Würzburg ins Verhältnis gesetzt zu den Verbrechen, die die Deutschen den anderen angetan haben, und das halte ich für eine zentrale Aussage.“

Schnittpunkt der Meinungen War der Angriff gerechtfertigt oder ein Kriegsverbrechen? Auf diese Kontroverse reagieren ausländische Besucher besonders sensibel. Sie erlebten die bisherige Ausstellung eher als eine Anklage denn als historische Einordnung. Nun sind die Texte ins Englische übersetzt. Die 65-jährige Birgit Seeliger aus den Niederlanden findet die jetzige Präsentation bemerkenswert: „Knapp, informativ und zurückhaltend, gottseidank wenig emotional überladen.” Für interessant und unverzichtbar hält sie den Hinweis auf die weltweite Versöhnungsinitiative von Coventry. Auf der letzten Texttafel ist nämlich das Nagelkreuz der zerbombten englischen Stadt direkt über eine Stabbrandbombe montiert. Johanna Falk von der ökumenischen Nagelkreuzgemeinschaft in Würzburg hält diese Anordnung für sehr symbolträchtig: Ein aus Bomben erwachsenes Friedenskreuz, das sei im Sinn der Initiative „Erinnerung bewahren, Versöhnung leben“. Die Würzburger Archäologin Friederike Sinn hält den neu gestalteten Raum auch angesichts der Komplexität der Aufgabe für gelungen: „Es ist äußerst schwierig, in einem kleinen Raum einen Schnittpunkt all der Wünsche und Meinungen der unterschiedlichsten Besucherklientel herzustellen.“ Deshalb wird Dr. Hans-Peter Baum vom Stadtarchiv, der für die Texte zuständig war, nicht müde zu betonen: „Die eigentliche Gedenkstätte ist das Mahnmal am Hauptfriedhof, wo die Toten des Luftangriffs vom 16. März in einem Massengrab beigesetzt sind. Der Informationsraum im Grafeneckart ist als historische Klarstellung zu verstehen. Beides – Gedenken und Dokumentation – sollte man immer klar voneinander unterscheiden.“ KulturGut 07 | Seite

11 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

„Couragierte Arbeit“ Mainfranken Theater Würzburg: Hohe Auszeichnung für Schauspieldirektor und -ensemble bei den Bayerischen Theatertagen in Bamberg. Das nächste Ziel: Afrika! von Prof. Dr. Ulrich Sinn

+ Die Bayerischen Theatertage gehen auf eine Initiative von August Everding zurück. Mit der Gründung der jährlichen Theatertreffen verfolgte der langjährige bayerische Generalintendant die Idee, den Künstlern ein Forum des Gedankenaustauschs und dem Publikum in komprimierter Form einen Überblick über die Leistungen und Intentionen der bayerischen Bühnen zu bieten. Seit 1983 finden die Theatertage an jeweils wechselnden Orten statt.

Ein variables Preissystem Dabei ist es den Theatern freigestellt, mit welchen ihrer laufenden Produktionen sie sich an dem knapp dreiwöchigen Festival beteiligen. Auch wenn bei den Theatertagen bewusst der Geist des unbefangenen Austausches im Vordergrund steht: Für die Bühnen ist es obenKulturGut 07 | Seite

drein reizvoll, ihre Arbeit durch einen der ausgelobten Preise bestätigt zu finden. Einer Fachjury stehen insgesamt 15.000 Euro als Preisgeld zur Verfügung. Ihre Mitglieder sind frei, über Ausrichtung und Dotierung der Preise selbst zu befinden. In aller Regel werden sowohl Ensemble- als auch Einzelpreise in Höhe von 1500 Euro bis 2500 Euro vergeben. Eine weitere Besonderheit des Theatertreffens ist die eigenständig urteilende Mitwirkung einer Jugendjury. Die diesjährige aus prominenten Kulturjournalisten zusammengesetzte Jury nutzte ihren Spielraum in einer für das Würzburger Theater höchst erfreulichen Weise. Sie vergab einen Preis ganz neuer Art und stattete ihn zudem mit einer über dem üblichen Höchstsatz liegenden Dotierung aus: Das Mainfranken Theater Würzburg, namentlich hervorgehoben sein Schauspieldirektor Bernhard Stengele, wurde mit einem mit 3000 Euro dotierten Sonderpreis für „couragierte Theaterar-

12 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

beit“ ausgezeichnet. Die Jury nahm dabei konkret Bezug auf die drei Produktionen, die das Würzburger Ensemble in Bamberg präsentierte: die Uraufführung „In Schrebers Garten“ von Klaas Huizing in der Regie von Bernhard Stengele, die werkstatt-artige Produktion „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist in der Regie von Angelika Zacek und die Klassenzimmerproduktion „Erste Stunde“ von Jörg Menke-Peitzmeyer in der Regie von Franziska-Theresa Schütz, wobei letztere über den Sonderpreis hinaus mit dem Jugendtheaterpreis (1500 Euro) gewürdigt wurde.

Junge große Namen Völlig überraschend ist die Verleihung des Sonderpreises nicht. Bereits von den vorausgegangenen Theatertagen kehrte die von Bernhard Stengele geleitete Schauspielkompagnie nahezu regelmäßig mit mehreren Auszeichnungen nach Würzburg zurück. Preise als beste Darsteller erhielten zum Beispiel Christian Hilger, Natalie Forester, Maria Vogt und Kai Christian Moritz. Ausgezeichnet wurden vollständige Ensembleleistungen, so unter anderem in Arthur Millers „Die große Depression“ und die Produktion „BRD-Fragmente.“ Gewürdigt wurde aber auch beispielsweise Birgit Remuss als Kostümbildnerin von „Glaube Liebe Hoffnung.“ Besonders bemerkenswert war der Erfolg 2009 bei den Theatertagen in Coburg. Das von den Darstellern unter der Regie von Anna Sjöström selbst erarbeitete Stück „Cabaret Tschetchnenien“ erhielt von der Fachjury den mit 2000 � dotierten Förderpreis. Die Jugendjury sprach dem gesamten Team einen Spezialpreis zu. KulturGut 07 | Seite

Die in diesem Jahr in Bamberg urteilende Jury betont in ihrer Begründung, dass sich das Mainfranken Theater Würzburg nicht scheute, bei den Theatertagen „mit durchaus unbequemeren Themen anzureisen und diese auch in seinem Spielplan verankert“.

Brüllendes, hilfloses Stück Text Das entspricht in der Tat der von Bernhard Stengele konsequent beibehaltenen Theaterarbeit. In einer Einführung zur „Orestie“ des Aischylos, die in der Spielzeit 2009/2010 auf dem Spielplan stand, formuliert Bernhard Stengele exemplarisch sein Verständnis von Theaterarbeit so: „Hinter seiner Fassade von Königtum und Kriegerschaft, hinter den Ablenkungen und Zerstreuungen von Orakeln, politischen Ränkespielen, eifersüchtigen Göttern und Gatten, kuriosen Ritualen und Abstimmungen, sitzt ein tobendes, zitterndes, brüllendes im Grunde aber hilfloses Stück Text mit der Frage: warum töten Menschen Menschen? ... Das Stück stellt diese Frage so dringend durch die Selbstverständlichkeit der Behauptung. Menschen töten Menschen. Väter töten Töchter, Frauen Ehemänner und Söhne Mütter. So ist es, ganz klar. Keine Frage! Aber, so schreit es in uns, warum denn nur? ... Und so wird die eine Frage zum Gegenstand unserer Arbeit, zum Zentrum unserer Auseinandersetzung. Das ist unser edler Auftrag. Das ist der Grund, warum wir öffentliche Gelder beziehen. Damit wir nicht aufhören, die antwortlosen bestürzenden Fragen nach dem (Un)Menschsein zu stellen, schmerzhaft, bohrend, enthüllend – das heißt: theatralisch.“ Es liegt auf der Hand, dass „couragierte Theaterarbeit“ nicht den Schlüssel zum – natürlich unerfüllbaren – Traum vom hundertprozen-

13 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

tigen Zuspruch des Publikums liefert. Eine wesentliche Herausforderung des Theaterbetriebs ist in dem Kernwort Courage angesprochen: Es bedarf fraglos – ins Deutsche übertragen – einigen Mutes, das Publikum immer wieder auch mit unbekannten Stoffen (Stichwort: Uraufführung) zu konfrontieren oder mitunter sogar ohne eine Antwort gefunden zu haben, voller Nachdenklichkeit auf den Heimweg zu schicken.

Die Frage des Publikumszuspruchs Doch Courage bedeutet ja mehr als nur Mut: Courage steht für den aus Eifer und Begeisterung gespeisten Mut. Im Alten Griechenland bezeichnete man die charakterliche Eigenart und Fähigkeit eines Menschen mit dem Begriff Thymós – in unserem Sprachgebrauch in dem Wort Enthusiasmus fortlebend. Der Blick in die Antike ist insofern weiterführend, als die Griechen diesen Kraftherd menschlichen Handelns physisch verorteten: Sitz des Thymós ist die Brust, konkret: das Herz. Im Sinne dieser antiken Vorstellung kann man Bernhard Stengeles Theaterarbeit sehr wohl als ‚beherzt‘ oder auch ‚mit Leib und Seele betrieben‘ bezeichnen. Hier liegt fraglos auch die Wurzel dafür, dass es ihm gelungen ist, ein Ensemble zu bilden, das seine künstlerische Kreativität gemeinschaftlich entfaltet, das in bemerkenswerter Vielzahl herausragende Darstellerinnen und Darsteller auf längere Zeit an sich bindet und in erfreulichem Maße auch jugendliche Zuschauer anzusprechen versteht.

Die Stadt in einer Wüste Aus solchem Geist der Courage ist auch ein Projekt erwachsen, das in der neuen Spielzeit seine Uraufführung erlebt: „Les funérailles du désert – Die Stadt der Einsamen“, Schauspiel von Lilith Jordan, Bernhard Stengele und Paul Zoungrana. Das Stück ist aus einer Koproduktion des C.I.T.O. Theaters Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, und des Mainfranken Theaters Würzburg erwachsen. Auf Augenhöhe befassen sich die drei Autoren in dem gemeinsam entwickelten Text mit der Bedeutung der Familie in der burkinischen und der deutschen Gesellschaft. In beiden Nationen erlebt die Familie eine Phase des Umbruchs: Steht Deutschland in der Gefahr einer Auflösung der überkommenen Familienstruktur? Wird das Festhalten am traditionellen Familienbild in Burkina Faso als hemmendes Korsett empfunden? Die Kooperation beschränkt sich nicht auf die Binationalität des Autorenteams. Als Darsteller agieren jeweils sieben Schauspieler aus Ouagadougou und aus Würzburg. Sie führen das dreisprachig angelegte Stück (Deutsch, Französisch und Mooré) in identischer Weise an beiden Spielorten auf, zunächst am Mainfranken Theater Würzburg (Uraufführung am 8. Oktober), dann am C.I.T.O. Theater in Ouagadougou (Premiere am 7. Januar 2012). Abweichend von anderen von Deutschland ausgehenden Aktivitäten in Ouagadougou geht es bei den „Funérailles“ nicht um den Export mitteleuropäischer Theatertradition in ein Land Afrikas. Es wird – mit den Worten der Autoren – „ein ernsthafter Versuch unternommen, verschiedene Ansätze und Funktionen von Theater zu einer eigenen Form zu vereinigen“. Dieses Projekt wurde ermöglicht durch die äußerst großzügig bemessene Förderung im Rahmen des Fonds Wanderlust der Kulturstiftung des Bundes. Eine Auszeichnung, die die Verleihung des in Bamberg verliehenen Sonderpreises eindrucksvoll bekräftigt: Bernhard Stengele pflegt den Kontakt zum Theaterbetrieb in Ouagadougou schon über viele Jahre hinweg. Seit 2007 arbeitet er mit dem Schauspieler Issaka Zoungrana aus Burkina Faso zusammen. Zur Spielzeit 2008/2009 holte er das afrikanische Schauspieltalent als festes Ensemblemitglied an das Mainfranken Theater Würzburg und übertrug ihm hier ganz selbstKulturGut 07 | Seite

verständlich Rollen zum Beispiel in Schillers „Räuber“, Brechts „Dreigroschenoper“ und in der „Orestie“ des Aischylos. Als Lohn seiner Courage, seiner von Herzen kommenden Theaterleidenschaft konnte Bernhard Stengele auch die Begeisterung der Kinder (und deren Eltern) erleben, die 2006 und 2009 das in seiner Regie jeweils als Weihnachtsmärchen aufgeführte Musical „Die Zaubertrommel“ von Jonny Lamprecht im stets ausverkauften Großen Haus verfolgten. Das Musikmärchen, das in Afrika spielt und von afrikanischen Klängen und Rhythmen getragen wird, hat Bernhard Stengele in jener

14 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

binationalen Besetzung auf die Bühne gebracht, wie sie sich nun auch im neuen Schauspiel wieder zusammengefunden hat.

Zur rechten Zeit „Les funérailles du désert“ erlebt seine Uraufführung just zu der Zeit, in der wir sowohl in afrikanischen wie in europäischen Ländern Zeugen des Aufbegehrens junger Menschen werden, die sich ihrer Bildungs- und Zukunftschancen beraubt sehen. Während sich der berechKulturGut 07 | Seite

tigte Unmut in Mitteleuropa vielfach in blindwütiger Zerstörung Bahn bricht, gelingt es jungen Menschen in Afrika, das Problem in eindrucksvoll friedfertiger Gesinnung und Entschlossenheit so in die Öffentlichkeit zu tragen, dass sie marode Regierungen stürzen. Es lohnt, den afrikanischen Kontinent unvoreingenommen in den Blick zu nehmen. Mit den Worten Bernhard Stengeles: „Das ist unser edler Auftrag. Das ist der Grund, warum wir öffentliche Gelder beziehen. Damit wir nicht aufhören, die antwortlosen bestürzenden Fragen nach dem (Un)Menschsein zu stellen, schmerzhaft, bohrend, enthüllend – das heißt: theatralisch.“

15 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Geburt zur Stimmbildung Philipp Reinheimer absolvierte von 2005 bis 2008 eine Elevenausbildung zum Schauspieler des Mainfranken Theaters Würzburg Interview: Joachim Fildhaut / Foto: Nico Manger

+ Woran denken Sie besonders gern zurück? An die Anfänge. In einer Phase von großer Wildheit habe ich in Erlangen studiert, in Fürth gewohnt und hier mit einem Kleindarsteller-Vertrag am Mainfranken Theater gespielt und bei Kollegen auf der Couch geschlafen. Beim Hin- und Herfahren habe ich meinen Weg gesucht – ob ich es mir voll zutraue, Schauspieler zu werden. Wie kam es zu Ihrem Engagement als Eleve? Ich hatte schon als Regieassistent in Konstanz Bernhard Stengele kennengelernt. Mitte 2005 bot er mir an, mich hier ausbilden zu lassen. Die drei Jahre waren dann eine wunderbare Zeit. Haben Sie sich als Versuchskaninchen für diese doch inzwischen sehr seltene Ausbildungsform empfunden, bei der Sie im laufenden Spielbetrieb das Schauspielen lernen? KulturGut 07 | Seite

Auf einer Schauspielschule kann man in einem geschützten Raum vier Jahre lang etwas ausprobieren und muss nicht raus. Ich hatte dagegen direkt Verantwortung und ging von Anfang an auf die Bühne, was ich sehr genossen habe. Manchmal ist es allerdings ein Kreuz. Man kann sich als Eleve nicht sagen: Ich möchte diese Figur erforschen, an ihr möchte ich auch mal etwas falsch machen können – das geht in sechs Wochen Probezeit nicht. Learning by doing – welche Lektionen gab es außerdem? Ich hatte unter anderem Szenenstudien mit Schauspielern und Regisseuren und Workshops, wo ich Ansätze auch einmal ins Leere laufen lassen durfte. War es ein Vorteil, dass Sie in einem jungen Ensemble gelernt haben?

16 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Als ich kam, war das Ensemble schon ausgewogen, und ich war der Jüngste, das Altersspektrum zog sich hin bis zu Carlo Schmidt, den ich noch auf der Bühne eerleben durfte. Alle Kollegen waren erfahrene Künstler, und es war mir ein Vergnügen, an ihrer Seite auf der Bühne stehen zu dürfen – das ist es übrigens heute noch, neben älteren wie jüngeren. Liegt da nicht auch eine Gefahr? Ja, für einen Schüler kann es schwierig werden, wenn viel erfahrenere Kollegen ihm sagen, was er mit seiner Rolle mal probieren müsste. Das ist zwar bis zu einem gewissen Punkt sehr hilfreich, aber dahinter muss man sagen: Stop, nicht weiter, ich gestalte die Figur jetzt gerade so, dass sie etwas anderes braucht. Das fällt teilweise nicht leicht, weil man mit den Leuten so verbunden ist, unter denen man ganz klein angefangen hat. Aber es ist beglückend, dass ich da reinwachsen durfte, fast wie in eine Familie. Schauspielschulen haben für alle Spezialgebiete Experten… Mit meiner Ausbildungskollegin Katharina Ries hatte ich täglich morgens vor den Proben und nachmittags Unterricht. Dabei haben wir den ganzen Kanon abgedeckt, der an einer staatlichen Schauspielschule auch gegeben wird: Sprech-, Gesangsunterricht, Stimmbildung, Bühnenkampf, Akrobatik. Für die meisten Fächer gab es einen Spezialisten im Ensemble, der oder die uns trainiert hat. Besonderes verbunden bin ich heute immer noch Bernhard Stengele, Natalie Forester und Boris Wagner, unseren drei Hauptdozenten. KulturGut 07 | Seite

Der Stil des Mainfranken Theaters gilt als recht körperbetont. Kam dabei die Sprechausbildung nicht zu kurz? Nein, das nicht. Allerdings kann kein Theater parallel zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs dieselbe Unterrichtsmenge wie eine Schauspielschule anbieten. Die Anbindung an die Praxis macht das aber auf jeden Fall wett. Auf einer Schauspielschule könnte ich nicht das lernen, was ich hier schon tun konnte. Welche Reaktionen bekommen Sie von Kollegen auf Ihre Ausbildung? Sehr schnell, nach einem Jahr vielleicht, wurde ich Teil dieses Ensembles und stach nicht mehr als „Azubi“ raus. Wenn jemand überhaupt etwas davon erfahren hat, war er sehr angetan davon, dass ein Theater solch eine Ausbildung macht. Sie machen den Eindruck eines Künstlers, der in sich selbst ruht und deswegen auch mutig aus sich herausgehen kann. Ist das Ihr Naturell oder verdanken Sie das Ihrer Ausbildung? Ich konnte die Ausbildung hier sicher deswegen machen, weil ich bin, wie ich bin. Und sicher hat Bernhard Stengele auch etwas in mir gesehen, das ich von mir noch nicht kannte. Ich bin ja zwangsweise ein bisschen körperbetont (lacht). Und dass ich gern auch mal lauter werde, ist sicher ein Aspekt von mir. Aber ich weiß, dass ich hier noch nicht alles gespielt habe, was ich spielen kann und will, ich lerne jeden Tag dazu. Das ist erfüllend, ebenso wie die Arbeit in diesem Ensemble. Ich denke, ich habe hier noch Raum zu wachsen.

17 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Wort drauf! Hip Hop als Kunstform und Sprachrohr von Christian Neubert

+ „Ich weiß noch genau, wie das alles begann“, beginnt der Rapper Torch seinen Song „Kapitel I“, in dem er erzählt, wann und wie die Hip-Hop-Bewegung Einzug in sein Leben hielt. Wann diese Sprechgesang-Musik ins öffentliche Blickfeld der Würzburger geriet, kann man, ähnlich wie Torch, nur subjektiv formulieren. Das Jahr 1994 wird dabei des Öfteren genannt.

und späten Neunziger Jahren verdankt. Während in dieser Zeit überall im Land die Jeans gern etwas weiter geschnitten sein durften, gab eine neue Generation deutsche Rapper ihrer Landessprache wieder eine Stimme.

Großer Anfang zum Osterfest

Liedtexte in deutscher Sprache waren urplötzlich wieder so salonfähig wie in meysten Liedermacherzeiten. In Würzburg konnte man diese Entwicklung damals regelmäßig im AKW und auf der Bühne des Jugendzentrums Bechtolsheimer Hof beobachten. Auch dem ersten Osterjam sollten weitere folgen. Alles, was in der hiesigen Hip-Hop-Szene Rang und Namen hatte, gab sich an diesen Veranstaltungsorten das Mikrofon – in die Hand, eingeheizt von Lokalmatadoren wie den Sicksteez, Geutz, Mistaa, Photosynthese, den Geknickten mit oder den Diversen Polen.

Denn auch wenn Jugendliche bereits vorher zu Hip-Hop-Beats tanzten und bei Open-Mic-Sessions die begabtesten Reimer der Stadt ermittelten: 1994 rückte der „Osterjam“ in der Diskothek Airport Hip Hop als neue Jugendbewegung mit großer Geste in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Rap-Musiker, die dort Pionierarbeit leisteten, legten das Schienennetz für die vielen anderen, die auf diesen Zug aufsprangen und denen Hip Hop in Deutschland seine Golden Era in den mittleren KulturGut 07 | Seite

Das W am Mee

18 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Dass heute wieder Bands mit Liedern in deutscher Sprache bekannt werden und Charterfolge feiern, ist ein Verdienst der deutschen Hip Hopper. Die originäre Form von Rap ist, unmittelbar und improvisierend auf einen vorgegebenen Beat zu reimen – zu freestylen. In der Szene besucht man so genannte Freestyle-Contests oder auch Battles, bei denen Rapper gegeneinander antreten.

Die Basis bestimmt, was is‘ Wenn sie auf der Bühne wettstreiten, darf das Publikum meist entscheiden, wer als Gewinner aus den Contests hervorgeht, um schließlich nach dem K.O.-System den Sieger des gesamten Battles zu ermitteln. Die auf dem Würzburger Umsonst & Draußen-Festival ausgetragenen Freestyle-Wettbewerbe werden immer auch in den Zehnerjahren zahlreich besucht und begeistert aufgenommen. Seit der Hip Hop ein relevantes Thema unserer kulturellen Landschaft ist, hat sich sein Erscheinungsbild in den Medien und auf den Straßen stark gewandelt.

gen. Ab 2004 sorgte dort das Veranstalter-Duo Musiculum fünf Jahre lang dafür, dass in unserer Stadt regelmäßig Auftritte internationaler Gruppen der alternativen und experimentellen Hip-Hop-Szene stattfinden konnten. Mittlerweile ist es in Würzburg wie auch anderswo etwas ruhiger um den Hip Hop geworden. Auf jeden Fall hat sich diese Ausprägung der Jugendkultur von Jugendzentren, Kneipen und Spielplätzen wegverlagert: ins Internet. Da kommt es freilich mehr auf die Pose als auf die Unmittelbarkeit der Battles an. „Hat da jemand was von Tod gesagt, totgesagt?“ Mag sein, nicht schlimm, denn Totgesagte leben länger.

Rückzug hinter Computerbildschirme Während noch vor einem Jahrzehnt bunte Mützen und Interrailtickets die gängigen Accessoires der Reimakrobaten waren, verlangt das Rapper-Klischee heute eher nach Goldketten und Lederjacken. Davon, dass sich Hip Hop aber auch abseits jeglicher Uniformierung und des subkulturellen Dogmatismus behaupten kann, konnten sich die Hörer in den letzten Jahren im Würzburger Jugendkulturhaus Cairo überzeuKulturGut 07 | Seite

19 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Ein Herr namens Mistaa Besuch bei Würzburgs angesagtestem Sprechgesangartisten von Marcus Thume / Foto: Daniel Peter

+ „Für das, was ich zu sagen habe, brauch ich keinen Stift – ich greif einfach ins nichts!“, rappt Mistaa im gutbesuchten Bockshorn. Seine Performance im Rahmen der 1. Würzburger Rederevue ist eins der Highlights an diesem Freitagabend im Juli. Mit seinem weißen Hemd und dem lässig über die Schulter geworfenen Sakko erscheint der 32jährige, der mit bürgerlichen Namen Dominik Straub heißt, eher wie ein junger Dirigent oder Theaterregisseur bei der Premiere. Diese bei einem Hip Hopper eher unerwartete Garderobe rührt von seiner Anwesenheit bei der Hochzeit eines Freunds am Nachmittag. Eben noch auf der Bühne hat er dem Publikum erklärt, warum er heute seinen Auftritt alleine, nur begleitet von einem Tape, bestreitet: Sein Drummer sei z. Zt. mit Bushido und der Saxophonist mit Deep Purple unterwegs. Das sorgt für einige Lacher – ein richtiger Hip-Hop-Münchhausen! Der Hauptwitz dabei: Diese Angaben entsprechen der Wahrheit. „Das sind nur Beispiele dafür, wie schwierig es für mich überhaupt ist, eine feste Crew zusammenzuhalten. Die Musiker, mit denen ich arbeiKulturGut 07 | Seite

te, haben eben auch eine Menge anderer Projekte. Daher trete ich immer wieder mit anderen Leuten auf.“ Zu seinem Genre kam Dominik Straub eher zufällig. Bei einer Veranstaltung seiner Schule überredete ihn ein Freund, ihm auf der Bühne beim Rappen zu helfen. Der Auftritt war wohl vielversprechend, denn die beiden arbeiteten von nun an zusammen an neuen rhythmisch unterlegten Verbalschöpfungen. Als der Freund einen anderen Weg einschlug, kreierte Straub Mistaa Audiodidacta als Künstlernamen und machte alleine weiter. Den Namen reduzierte er alsbald um der Merkbarkeit Willen auf das erste Wort.

Alles wirklich improvisiert? Vor diesem Werdegang verspürte er eigentlich keine ausgeprägten Sprachambitionen. Ohne die Begeisterung für den Hip Hop wäre er wahrscheinlich nicht zum Textkünstler geworden: „Die Sprache, die Wörter sind für mich Spielzeug. Es geht darum, Spaß am Aneinander-

20 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

reihen von Wörtern zu haben. Ich lass es gerne fließen, Assoziationen spielen hier eine wichtige Rolle. Oft ist auch nur der der Klang eines Wortes bei meinen Raps entscheidend.“

Am Anfang war der Loop Und einen Stift braucht Mistaa bei seiner Arbeit tatsächlich nicht. Am Anfang steht bei ihm ein Loop, d. h. ein Musik- und Rhythmusfragment, das durch technische Mittel wiederholt wird. Darauf wird bei Mistaa spontan getextet: „Oft weiß ich noch gar nicht, was das Thema für den Track wird. Ich wiederhole die Worte immer wieder, bis der Text in meinem Kopf feststeht. Aufschreiben bringt da nicht viel, denn es geht darum, beim Rappen an der richtigen Stelle Akzente zu setzen. Hier mal früher einsetzen oder da mal die Zeile über den Takt hinausziehen – sowas kann man nur schwer notieren...“ Meist textet er über Dinge, die ihn unmittelbar beschäftigen – z. B. „meine Stadt Würzburg, Frauen u. a. Ich beschreibe auch Stimmungen oder Zustände, die jeder irgendwie kennt.“ Sein Track „Wasser, Wein, Wodka“ steht für das häufige Dilemma, das, was man gerade hat oder macht, gegen etwas anderes auszutauschen zu wollen: „Hab ich Wasser, will ich Wodka, hab ich Wodka, will ich Wein!“

dienreise wieder, die er mit seinen Brüdern unternahm. Auf keinen Fall will Mistaa das Gangsta-Klischee bedienen. Sein Publikum setzt sich eher aus Leuten 25+ zusammen, die sich mit seinen Texten gut anfreunden können. Weil so unterschiedliche Strömungen in Würzburg existieren, ist die hiesige Szene nicht auf einen bestimmten Ort fixiert. Viele Performances finden auf privaten Veranstaltungen statt. Mistaas persönliche erste Adresse sind das Jugendkulturhaus Cairo und das Projekt Ulla Eisbrecher auf der Arte Noah im Hafenbecken hinter dem Kulturspeicher. Die Veranstaltungsreihe Ulla Eisbrecher hat Mistaa selbst im Januar 2011 mitgegründet. Die meisten Aktionen dort erstreckten sich zwar bisher nur bis zum Frühjahr – aber Mistaa will an einer Fortsetzung arbeiten. Als Programmmacher dort geht es ihm nicht nur um Hip Hop. Von Anfang an bezieht er auch andere musikalische Stilrichtungen, Theater und Literatur mit ein.

Die Würzburger Szene LINK: | www.mistaa.de | www.myspace.com/mistaasoularis | www.ullafanblog.blogspot.com

Mistaas Drang, das hier und jetzt Erlebte spontan in Hip Hop zu verwandeln, zeigt sich auch auf seinem aktuellen Werk „Indien-Tape“. Die meisten Stücke dieser CD spiegeln seine Eindrücke von einer InKulturGut 07 | Seite

21 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Anfangs sehr aufgeregt Ingrid Noll ist eine der erfolgreichsten deutschen Krimi-Autorinnen, 76 Jahre alt und noch immer gern auf Lesereise Interview: Daniel Staffen-Quandt | Foto: ddp images/dapd/Torsten Silz

+ Frau Noll, was haben Sie gerade als Lektüre auf Ihrem Nachttisch liegen? Martin Suter: „Allmen und der rosa Diamant“. Sie haben mal gesagt, unter den deutschen Krimis gebe es „viel Schrott“. Inwiefern? Das klingt sehr arrogant, ist aber nicht so gemeint. Ich war früher in der Jury für den Glauser-Preis und las ein Jahr lang nichts anderes als frisch gedruckte, deutschsprachige Kriminalromane. Es ist klar, dass bei mehr als hundert Büchern sowohl hervorragende als auch schlampig geschriebene, unlogische oder gar langweilige Romane vertreten sind. Ihre Täter sind meist Frauen. Sind weibliche Protagonisten die besseren Mörder? KulturGut 07 | Seite

Meine Täter sind zwar oft Frauen, aber keineswegs immer. In meinen Kurzgeschichten habe ich schon mehrmals einen Mann morden lassen, aber es fällt mir etwas leichter, mich in die Psyche einer schrägen Frau einzufühlen. Überdies glaube ich schon, dass Frauen hinterlistiger und etwas raffinierter sind, also mit guten Chancen, nicht erwischt zu werden. Sie sind im Oktober in Würzburg beim Literarischen Herbst zu Gast. Lesen Sie gerne vor? Ja, natürlich. Sonst bliebe ich zu Hause. Nicht jeder gute Autor kann gut vorlesen, trotzdem gehen fast alle auf Lesereise. Warum? Auch hier gilt: Übung macht den Meister. Unbekannte Autoren haben zudem die Möglichkeit, sich dem Publikum vorzustellen. Außerdem

22 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

hat es auch kommerzielle Gründe: Wenn eine Lesung gut ankommt und wohlwollende Journalisten darüber berichten, wird das Buch in der Regel besser verkauft. Mir persönlich macht es zudem Freude, gelegentlich meine Klause zu verlassen und mein Publikum kennen zu lernen. Schreiben ist ein sehr einsamer, stiller Vorgang, das Herumreisen, Beobachten und Vorlesen ein lebendiger Ausgleich. Wird man von Verlagen zu Lesereisen überredet, wenn man noch nicht so bekannt ist? Ich kann nur von meinem Verlag – Diogenes – sprechen, wo man sehr freundlich mit mir umgeht und mich selbst entscheiden lässt, wo und wann ich lesen möchte. Doch die meisten Autoren wollen ja irgendwann ins Rampenlicht treten, sind also eher dankbar, wenn sie die Möglichkeit zu einer Lesung bekommen. Leseabende sind auf jeden Fall gute PR – vor allem für Neuveröffentlichungen, oder? Selbstverständlich! Als Sie zum ersten Mal auf Lesetour gegangen sind, haben Sie vorher laut vorlesen geübt? Ja, aber wahrscheinlich nicht genug, denn ich war anfangs sehr aufgeregt, unsicher, schüchtern und hatte Lampenfieber. Erst nach drei Lesungen ging es mir besser und ich konnte mich darauf verlassen, dass ich nicht ohnmächtig würde.

Man redet zwar nicht über Geld, aber trotzdem: Sind solche Auftritte für Autoren lukrativ? Das ist sehr unterschiedlich. Anfänger lesen sogar manchmal umsonst. Wer in der Bundesliga spielt, kann natürlich mehr verlangen als ein Greenhorn. Auf jeden Fall kassieren aber Politiker, Moderatoren, Fernsehstars oder Schauspieler, also Personen, die oft auf dem Bildschirm zu sehen sind und nun ein Buch geschrieben haben, deutlich mehr als wir reinen Schreibtischtäter. Sie haben erst mit 55 Jahren zu schreiben begonnen, jetzt sind sie 76. Keine Lust auf Rente? Das sind bloß 21 Schriftstellerjahre, die meisten Menschen wollen länger arbeiten. Im Übrigen bin ich zwar Rentnerin und vierfache Oma, aber so lange es mir Spaß macht, darf ich doch noch ein bisschen, oder? Natürlich – und wie lange gehen Sie noch auf Lesereisen? Keine Ahnung! Spätestens wenn ich nicht mehr bei Trost bin, wird man mir das diskret andeuten. Meine Großmutter wurde 105, meine Mutter 106; bis neunzig waren sie noch ziemlich fit. Meine Mutter pflegte mit hundert zu sagen: „In meinem Alter macht man keine langfristigen Pläne.“

INFO: Am 19. Oktober ab 20 Uhr liest Ingrid Noll in der Stadtbücherei Würzburg im Falkenhaus.

www.gut-fuer-mainfranken.de

Unser Erfolg. Ein Gewinn für alle.

Der Geschäftserfolg der Sparkasse kommt allen Bürgerinnen und Bürgern zugute. Wir engagieren uns für alle Bevölkerungsgruppen und beraten mit langfristiger Perspektive. Gewinne investieren wir in Wirtschaftsförderung und in viele soziale und kulturelle Projekte, die Mainfranken noch attraktiver machen. Dem Wohlstand der Region und den dort lebenden Menschen verpflichtet: die Sparkasse. Gut für Sie – und gut für Mainfranken.


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Kanaksprakwissenschaft Vom Comedy-Slang zur Interkulturellen Philologie: Schwerpunkt beim Würzburger Verlag K&N von Nina Dees / Foto Gleb Polovnykov

+ „Die Literaturwissenschaft hat sich gewandelt“, erklärt Dr. Thomas Neumann vom Verlag Königshausen & Neumann. Die Disziplin greift mehr und mehr auf andere Kulturen und Kulturwissenschaften über – und so passt für ihn auch die Interkulturelle Literaturwissenschaft sehr gut in das Verlagsprogramm. Der Würzburger Wissenschaftsverlag bringt zwei plurikulturwissenschaftliche Reihen heraus. Gefragt seien heute weniger Monographien mit Einzelinterpretationen zu Werken, so Neumann, als Überblicksdarstellungen, die möglichst viele Aspekte eines Themas beleuchten. Und diese Herangehensweise passt hervorragend zur Interkulturellen Literaturwissenschaft. Denn „interkulturell“ meint eine literarische Schreibweise, bei der der Blickwinkel des Autors von mehr als einem Kulturkreis geprägt ist. Die Autoren schreiben zum Zweck der Selbstbehauptung und der Wahrung ihrer eigenen Identität. KulturGut 07 | Seite

Komplott mit dem Leser Häufig fühlen sich die Schriftsteller in beiden Kulturen fremd. Auf diese Fremdheit in der Literatur trifft auch der Leser: Sprachen mischen sich, Verfremdung ist ein gern benutztes literarisches Stilmittel. Gerade darin sieht der Germanist Prof. Michael Hofmann das Potential einer multikulturellen Literatur, denn die trage dazu bei, diese Fremdheit zu akzeptieren. Dies eröffne die Chance, „dass wir durch die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen die Begrenztheit unserer Perspektiven erfahren und kritisch reflektieren, dass wir Alternativen zu unseren Verhaltensmustern erdenken und vielleicht realisieren können“. Denn „eine grundlegende Aufgabe der Interkulturellen Literaturwissenschaft“ sei „die Frage nach dem Verständnis von Interkulturalität“, so der Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft und Didak-

24 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

tik an der Universität Paderborn, der bei Königshausen & Neumann die Reihe „Studien zur deutsch-türkischen Literatur und Kultur“ herausgibt. 1985 hat es sich die Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik (GiG) zur Aufgabe gemacht, „das Interesse an deutschsprachigen Kulturen theoretisch und praktisch in einen interkulturellen Zusammenhang zu stellen“. Dies werde möglich, indem das Fremde „zum Ferment von Kulturentwicklung und interkultureller Integration“ werde. Das „produktive Wechselverhältnis von Fremdem und Eigenem“ soll helfen, ethnozentrische Isolierung zu überwinden, heißt es in einer GIG-Erklärung. So kann die interkulturelle Literatur zu gesellschaftlichen und politischen Diskussionen beitragen. Eine ähnliche Rolle wird der interkulturellen Literaturwissenschaft auch hinsichtlich sozialwissenschaftlicher Dispute zuteil: In neueren Veröffentlichungen reflektieren beispielsweise die deutsch-türkischen Autoren Selim Özdogan in „Die Tochter des Schmieds“ (2005) und Feridun Zaimoglu in „Leyla“ (2006) die Rolle der Frau. Aufgrund des breit gefächerten Spektrums auch an kultur-, sprach- und sozialwissenschaftlichen Aspekten wird die Interkulturelle Literaturwissenschaft zu einer fächerübergreifenden Disziplin. Unter der deutsch-türkischen Bevölkerung hat sich im Lauf der Zeit ein eigenständiger Soziolekt entwickelt. Viele der deutsch-türkischen Autoren schreiben in dieser Kanak Sprak und entwickeln auf diese Weise neue literarische Konzepte. Hier fällt insbesondere Zaimoglus „Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ ins Auge – der Titel ist gleichzeitig das Konzept: „Hasshand teilt gerne aus, bricht sich viele Knochen“, auf Schriftdeutsch: Wer von Hass erfüllt ist, greift ohne KulturGut 07 | Seite

Rücksicht auf Verluste zu Gewalt. Syntax und Metaphorik verweigern sich dem Deutschen, zahlreiche Neologismen, Anglizismen, neue Semantiken oder Aussprachevarianten wirken identitätsstiftend – und geben wiederum Anlass, interkulturelle Literatur zu verfassen.

INFO: Eine „Chronik literarischer Wanderungen“ und eine ausführliche Übersicht über deutsch-türkische Literatur: | www.tuerkischdeutsche-literatur.de Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik (GiG): | www.germanistik.unibe.ch/gig. Die erwähnten kulturwissenschaftlichen Titel verzeichnet: | www.verlag-koenigshausen-neumann.de Primärliteratur: Feridun Zaimoglu: Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft. Rotbuch Verlag 2004. ders.: Liebesmale, scharlachrot. Kiepenheuer & Witsch 2002. Zafer Senocak: Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift. Edition Körber Stiftung 2011. Selim Özdogan: Die Tochter des Schmieds. Aufbau Verlag 2011.

25 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Alles Theabra, Kadabra? Anfang November sind die Zauberer los. Wie viel Theater benutzt diese Zunft? Fotos: Gleb Polovnykov u. a.

+ Das Zauberkünstler-Duo Gerd Reitmaier und Bernd Zehnter richtet in diesem Herbst zum zehnten Mal die Würzburger Zaubertage aus. Im Theater am Neunerplatz begannen sie ihr Festival, und auch wenn sie zur Jubiläumsausgabe das CCW für eine Gala-Show gebucht haben, so halten sie der kleinen Privatbühne doch die Treue. Wir wollten von einigen Magiern wissen: Welche theatralischen Mittel benutzen Sie?

Method Acting für verzauberte Münzen Ob ich zuerst Zauberer oder Schauspieler war, darüber können sich die Gelehrten streiten. Laut der Familienlegende meiner Mutter soll ich KulturGut 07 | Seite

im Alter von einem Jahr die Laienspieltexte meiner großen Geschwister nachgesprochen, d. h., weil ich noch nicht sprechen konnte, ihren Tonfall nachgeahmt haben. Mit sechs jedenfalls habe ich heimlich den Zauberkasten meines großen Bruders geöffnet und darin sehr viel Unheil angerichtet oder schlicht: kaputtgemacht. Die Prügel, die ich dafür bezog, könnten Traumata ausgelöst haben, die ich heute noch verarbeite. Jedenfalls bin ich seit knapp 20 Jahren als Zauberkünstler professionell unterwegs, habe die Schauspielschule München absolviert und bilde mich auch heute noch bei Meistern weiter, weil ich die Geheimnisse der Bühne ergründen möchte. An meiner Schauspielschule nahm es mich zuerst ein, dass dort Method Acting gelehrt wurde, aber dann stellte ich fest, dass die Lee-

26 | Würzburg


  

Riemenschneider im chor Tilman Riemenschneider, Die heilige Anna und ihre drei Ehemänner, um 1505, SMB – SPK Inv. 2/2006, Foto: A. Voigt, Berlin

Das Bode-Museum Berlin zu Gast in der Johanniterhalle Schwäbisch Hall 28. Juni 2011 – 8. Januar 2012 Di – So 11 – 17 Uhr Eintritt frei

Johanniterhalle/Kunsthalle Würth Im Weiler 1, 74523 Schwäbisch Hall Fon +49 791 946 72-330 johanniterhalle@wuerth.com

Strasberg-Schule gar nicht so mein Ding war. Die Schauspielkunst hat meine Zauberkunst vor allem beim Improtheater befruchtet. Immer wenn der Theatersport-Erfinder Keith Johnstone in Deutschland Kurse gab, hab ich versucht mitzumachen, denn da kommt es auf Schlagfertigkeit an, darauf, mit einer Situation und dem Publikum umzugehen. Das kann ich nicht nur als Zauberkünstler sehr gut anwenden, sondern auch als Schauspieler, Regisseur und Lehrer – übrigens gelegentlich auch als Lehrer für Lehrer und als Lehrer für Zauberkünstler... Erst weit nach meiner Schauspielausbildung nahm ich wieder an Workshops in Method Acting teil, die auf Strasbergs Lehrer Konstantin Stanislawski basierten. Ein Schwerpunkt dieser Richtung ist die Art, mit Gegenständen umzugehen. In der Ausbildung werden häufig imaginäre Gegenstände benutzt. Dabei kommt es darauf an, das Objekt ganz realistisch mit Details aufzuladen und auch so wahrzunehmen, und wenn man glaubt, jetzt sei man fertig mit dem Gegenstand, dann sagt der Lehrer: Jetzt fangen wir erst an! Denn die Eigenschaften, die man auflegt, haben ihre Geschichten. So kann bei einem mächtigen, wertvollen Zauberstab jeder Kratzer mit einem Wunder verbunden sein, das man mit diesem Stab vollbracht hat. Oder es ist ein völlig verbrauchter, weil verkratzter Zauberstab. Man trainiert in jedem Fall eine spezielle Beziehung zum Gegenstand, die im Alltag von allein geschieht. So etwas muss man auf der Bühne selbst herstellen. Und dabei gilt als ein allgemeineres, übergeordneKulturGut 07 | Seite

27 | Würzburg

Alle Aktivitäten der Johanniterhalle/Kunsthalle Würth sind Projekte der Adolf Würth GmbH & Co. KG.

{}


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

tes Prinzip: Du musst möglichst spezifisch sein, möglichst genau spielen, was im Moment auf der Bühne passiert. Wenn ein Gegenstand verschwindet, möchte ich als Zauberkünstler wissen, wohin er verschwindet. Löst sich eine Münze in Luft auf? Wird sie zerrieben oder durch die Haut absorbiert? Für welches sinnliche Ereignis entscheide ich mich? Jede der drei Möglichkeiten fühlt sich anders an, bei jeder hat der Zuschauer ein anderes Erlebnis. Durch solche Differenzierungen können wir Zauberkünstler unsere Individualität ausprägen – nicht einfach nur dadurch, dass wir in diesem oder jenem Stil auf der Bühne sprechen. Das Method Acting lehrt den Zauberkünstler, dass er ein Mensch ist, ein Mensch mit Fehlern und Ängsten. Der weiß nicht, ob ein Zauberkunststück gelingt oder nicht – der muss mutig sein. Einer meiner Meister gab mir den schönen Satz mit auf den Weg: Der Zauberkünstler ist ein menschliches Wesen, das übermenschliche Fähigkeiten demonstriert. Gaston

Dramatischer Bogen über den Niagara „Theatralik“ ist in Bezug auf Zauberkunst ein schwieriges Wort, aber „dramaturgische Elemente“ spielen in unserer Zunft eine ausgesprochen wichtige Rolle. Es geht darum, für das Publikum im richtigen Moment etwas Passendes zu tun. Ein Programm kann nicht einfach darin bestehen, einen Trick nach dem andern vorzuführen. Man muss wissen, wann man Pausen zu setzen hat, wann man ruhigere Momente einbauen sollte. Schließlich strengt das Staunen auch an, in das wir den Zuschauer versetzen. Zum Beispiel: In unserem aktuellen Programm greifen wir mit einem ferngesteuerten Hubschrauber das Motiv „David Copperfield in den Niagarafällen“ auf. Das ist zwar ein bisschen parodistisch, aber zugleich hauen wir mit lauter, heldenhafter Popmusik auch ziemlich auf die Pauke. Zur Auffrischung planen wir dann nicht nur rekreative Pausen ein, sondern auch spaßige Passagen. Das Zaubern setzt eine Show schließlich ständig unter Druck – da braucht es zwischendurch Ventile, um Dampf abzulassen. Oberstes Gebot für den dramaturgischen Aufbau ist: Die Zuschauer sollen sich wohlfühlen. Ganz wichtig ist etwas, das durchaus mit dem Theater zu tun hat: Gleich beim Intro kommt es uns darauf an, mit Musik und projizierten Bildern Atmosphäre zu schaffen. Und auch im Verlauf der Show arbeiten wir immer wieder mit „Musikbetten“, etwa um Spannung aufzubauen. Was allerdings – abweichend von der landläufigen Meinung – überhaupt nicht funktioniert: Man kann Bühnenszenen nicht dazu einsetzen, um die Zuschauer von heimlichen Zauberhandgriffen abzulenken. Niemand kann 1000 Augen dazu bringen, gleichzeitig auf den „grünen Elefanten“ am Bühnenrand zu blicken. Dagegen ist etwas anderes möglich, auch wenn man uns Männern diese Fähigkeit abspricht: Das Zaubern hat viel damit zu tun, dass es einem gelingt, eine perfekte Parallelhandlung aufzubauen. Wir können ein Programm zwar ohne einen professionellen Regisseur konzipieren. In der praktischen Umsetzung sind wir aber heilfroh, dass wir mit unserem Bühnentechniker und Beleuchter Sven Höhnke einen erfahrenen Theatermann im Team haben, der jahrelang mit dem Kabarettisten Frank-Markus Barwasser getourt ist und am Neunerplatztheater selbst auf der Bühne steht. Der Mann kann nicht nur gut mit Scheinwerfern umgehen. Sven Höhnke hat sich bei aller Professionalität den Blick vom Zuschauer her bewahrt. Wir wissen, wie die Zauberkunststücke funktionieren, aber er sagt uns, wie es wirklich wirkt.

Gerd Reitmaier

Bernd Zehnter

Gaston kommt allein nach Würzburg.

KulturGut 07 | Seite

28 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Das Publikum treibt sie in die Rollen Wir sind nicht die Manipulatoren, die mit einem Fingerschnippen Sound und Licht und Bühneneffekte abrufen. Unser Markenzeichen als Real & Honest Magic ist das Arbeiten mit ganz normalen Gebrauchsgegenständen, wie sie in jedem Haushalt vorkommen. Spezifisch theatralische Requisiten brauchen wir dazu also nicht, und auch unsere Shows wie das Magic Dinner und die magische Wein- oder Bierprobe kommen ohne einen Theaterraum aus. Allerdings schlüpft man beim Zaubern in eine Rolle, und wenn wir zu zweit auftreten, legen wir Wert darauf, dass wir verschieden angelegte Rollen haben. Ich trete in unserem Duo beispielsweise seriöser auf, während Bernd Zehnter sich manchmal als der Wildere gibt. Im Prinzip leben wir aber auch im Alltag in diesen Rollen. Wenn wir auf die Bühne treten, legen wir nicht noch einen drauf. Vielmehr geschieht die Stilisierung dieser Persönlichkeitsbilder von allein oder besser: Sie passiert durch die Mithilfe des Publikums. Je nachdem, wie die Interaktion mit den Zuschauern verläuft, ändert sich auch unser theatralisches Bühnenverhalten. Je mehr Reaktion wir bekommen, desto besser sind wir auf der Bühne dabei und desto stärker geht jeder von uns in seine Rollenfigur rein und darin auf. Gerd Reitmaier

INFO: Höhepunkt der 10. Würzburger Zaubertage ist die Jubiläumsgala, bei der die Gastgeber einen ausgewachsenen Pkw „aus dem Nichts“ auf der Bühne materialisieren. An diesem Abend des 5. November tritt zusätzlich zu den anderen Festival-Magiern obendrein der Manipulator Matthias Rauch im CCW auf. Zur Eröffnung am 22. Oktober geben die veranstaltenden Real and Honest Magic ein Magic Dinner, am 28. und 29. ein Theaterdinner. Beginn wie die Gala um 19.30 Uhr. Nach einem Kindertermin am 30. Oktober, 14 Uhr, mit dem Duo Schenk Spaß geht es am 2. November mit Gastons Programm „Perrückt“ weiter, gefolgt von Martin Sierps „Der Fürst der Finsternis“ sowie dem Gastgeberpaar und seiner Show „Zurück in die Zukunft“ am Freitag – alle drei Termine 20 Uhr. | www.wuerzburger-zaubertage.de


KulturGut | Inhalt | Editorial | Titelthema | Musik | Bühne | Literatur | Kunst | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Theater |

|

Heureka

22. September bis 23. Oktober, Theater am Neunerplatz Eine Zeitmaschine teleportiert die Kinder Edi und Alexa ins antike Griechenland zu ihren Altersgenossen Telemach, Praxiteles und Helena, die gerade in der Nähe von Delphi Holz sammeln. Der Theatermacher Aristophanes sucht hingegen Schauspieler für sein neues Theaterstück „Die Vögel“. Aber wie fliegt man wieder ins Jahr 2011? Autor Wolfgang Salomon entführt Kinder ab acht auf eine spannende Zeitreise – in Koproduktion mit dem Mainfranken Theater und unter wissenschaftlicher Beratung von Prof. Ulrich Sinn. Uraufführung um 19 Uhr, weitere Termine Mi., Fr., Sa. und So. 16 Uhr. | www.theater-am-neunerplatz.de ++++++++++++++++++++++++

Useless Dog

2., 16. Oktober, 19. November, 20 Uhr, Tanzspeicher

Termine |

Improtheaterfestival 22. bis 30. Oktober

Das zehnte Festival seiner Art feiert sein Jubiläum an zehn Tagen auf über zehn Bühnen. Zu den 22 Shows luden die Veranstalter – Jugendkulturhaus Cairo mit Kaktussen – zwölf ihrer Lieblingsspieler aus aller Welt. Für die Dauer des Würzburger Festivals bilden sie ein Ensemble, in das sie die ImproFormate aus ihrer jeweiligen Heimat einbringen. Dabei sollen sie neue Strukturen für gemeinsames Stegreifspiel entwickeln. Doch das Festival arbeitet nicht nur in die Zukunft. Es greift auch auf die markenrechtlich geschützte Urform des modernen Improtheaters zurück und ruft zur 1. Internationalen Theatersport-Meisterschaft „Der Goldene Kaktus”. Erstmals in Würzburg zu Gast sind Kolektiv Narobov aus Slowenien mit ihrem Radio-Format FM und zwei australische Gruppen. Auftritte in einer Tanzschule und ein Zuschauer-Speed-Dating setzen Tüpfelchen in das ohnehin farbenfrohe Geschehen. | www.improtheaterfestival.de

Wovon träumt ein Tänzer? Und was verdient er? Wie groß ist die Kunst als Wirtschaftsfaktor, wo fängt der „Kulturbetrieb“ an? Ein neues Projekt von Choreograph Thomas Kopp vermisst dies Thema in einer Ausdehnung, wie sie der Autoindustrie samt ihrer Zulieferbetriebe entspricht. Da sind Hoteliers, Gastronomen und Taxifahrer als so genannte Stakeholder am Umsatz der Kreativwirtschaft beteiligt. Genau diese Repräsentanten holt Kopp auf die Bühne. Das Publikum soll sich zu ihnen setzen und sie ausfragen. Inszeniert ist dieser Austausch in Form eines SpeedDating. Es wird aber auch richtig getanzt! Weitere Termine sind für das Jahr 2012 und darüber hinaus vorgesenen. | www.tanzspeicher.de

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Deutschland. Ein Wintermärchen

10., 19., 26. und 27. November, 20 Uhr, Mainfranken Theater Schon in der fünften Spielzeit erzählt Bernhard Stengele von Heinrich Heines Exil und den Gedanken des Dichters an sein Ursprungsland. Der Schauspieldirektor macht dabei die Person und Befindlichkeit Heines authentisch plausibel. Und wie der aus seinen großen Schmerzen die kleinen Lieder machte, so treten Kai Christian Moritz und Philipp Reinheimer hinzu, um ihrem Chef sangeslustig beizuspringen. | www.theaterwuerzburg.de

KulturGut 07 | Seite

30 | Würzburg

Willkommen im Tamusiland 12. November, 14 und 17 Uhr, Congress Centrum

Detlev Jöcker ist der Superstar des deutschen Kinder-Entertainment. Seine Mitmachshows können Kinder ab drei Jahre nachhaltig beeindrucken, auch Eltern fahren auf die Platten Jöckers ab. Die Teilnahme an diesem Spektakel, das musikalisch tief in der Schlagertradition wurzelt, hat freilich ihren Preis: 17,70 Euro im Vorverkauf und keine Kinderermäßigung. | www.kartenkiosk-bamberg.de ++++++++++++++++++++++++

Neuss, Hüsch, Beltz und Konsorten

12. November bis 31. Dezember, 20 Uhr Werkstattbühne „Kabarett der Bonner Republik“ untertitelt die schnell geschnittene Revue (Regie: Stephan Ladnar) mit 27 Songs und Satiren der drei genannten Staatskritiker, zu denen noch Süverkrüp und Degenhardt treten. Im Hochsommer angelaufen, jetzt zum Glück wieder aufgenommen, profilieren sich Ladnar, Markus Grimm und der junge Julian Plutz, begleitet von einem Musiker. Unterm Strich kein Museum of Liedermaching, sondern ein leider immer noch aktueller Kabarettabend. | www.werkstattbuehne.com ++++++++++++++++++++++++

Ach, du fröhliche!

26. November bis 18. Dezember, 16.30 Uhr, KuZu Chambinzky Sechs mal spielt die Jugendtheatergruppe unterm Chambinzky ihr Stück über Plätzchenorgien und einige damit zusammenhängende, mehr oder weniger


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Theater |

|

spirituelle Erlebnisse. Martina Esser führt Regie über das Jugendtheaterprojekt, bei dem die Teilnehmer unter professioneller Leitung ihre eigenen kreativen Kräfte erfahren. Auf das Weihnachtsstück arbeiten sie seit Monaten hin. | www.chambinzky.com ++++++++++++++++++++++++

Bruno Jonas

23. November, 20 Uhr, Mainfrankensäle Veitshöchheim „…es geht weiter!“ mit Hubert Unwirsch. Bruno Jonas greift in dem Kabaretttheater mit dem progressiv klingenden Titel seine Kunstfigur wieder auf. Diesmal will der Unternehmensberater im TV seine fiesen Machenschaften bekennen. Während er sich auf die Sendung vorbereitet, kommen ihm Zweifel, ob seine Entscheidung zielführend sei: Rahmen für eine Rundumbetrachtung aktueller Politphänomene. | www.eventim.de. ++++++++++++++++++++++++

Nora

23. November bis 7. Januar, Theater Ensemble Die Privatbühne in der ehemaligen Brauereikantine pflegt ihr Ensemble zwar nicht mit luxuriösen Arbeitsbedingungen, aber mit Entfaltungschancen. Das sorgt für Kontinuitäten. Oft gelingen auf der Kleinbühne erstaunliche Umsetzungen, z. B. vor drei Jahren Ibsens „Gespenster“. Verglichen mit den Gesellschaftsdramen ist „Nora“ nun eher ein privates Kammerspiel – für die Hauptdarstellerin eine umso größere Herausforderung. Unter Regie von Andreas Büettner wird‘s schon gelingen! | www.theater-ensemble.net

Termine |

Lars Reichow

9. Dezember, 20.15 Uhr, Bockshorn Wie ungut der durchschnittliche Zeitungsleser sich an gesellschaftspolitische Nachrichten von hohem Grauslichkeitswert (Königshochzeiten, Weltfinanziershotelzimmer) gewöhnt hat, das erhellt nach wenigen Sätzen und Klavieranschlägen dieses Gentleman-Satirikers. Einem Publikum, das nichts mit Rap am Hut hat, schenkt er ganz nebenbei die Sensationen des Freestyle: Songtexte wie aus dem Stegreif wirken eben gemeiner als Lyrics, an denen der kritische Geist lange gefeilt hat. | www.bockshorn.de ++++++++++++++++++++++++

Emilia Galotti

ab 10. Dezember, 20 Uhr, Mainfranken Theater Die Regisseurin Angelika Zacek zeigte mit ihrer „Amphitryon“-Produktion am selben Ort, dass sie vom Kern der Werke aus denken und das Bühnengeschehen von hier aus lenken kann. Beim Lessing wird sie werktreuer verfahren als bei ihrer „Collage mit Elementen nach Kleist“. Ihr Ansatz liegt dennoch wieder nahe an dem ihrer vorigen Würzburger Arbeit. Ging es dort um die Erfahrung von Individualität, so hier um das bürgerliche Subjekt als einzige Trägersubstanz von Besitz und gesellschaftlicher Akzeptanz. Für Zacek ist die Tötung Emilias ein „Ehrenmord“. | www.theaterwuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Hennes Bender

10. Dezember, 2015 Uhr, Bockshorn Der Kabarettist erzählt von den Alltagsdingen, die jedem nahe stehen. Oder, falls sie das nicht tun, stellt er sie in jedermanns Nähe. Sein Show-Titel „Erregt“ KulturGut 07 | Seite

31 | Würzburg

geht jedenfalls eher auf private als auf parteipolitische Beobachtungen zurück. In seinen Vortrag, der mit großen Temposchwankungen spielt, arbeitet er gekonnt laienhafte, unprofessionelle Töne ein – was eine dezente Post-Helge-Schneider-Performance ergibt. Ruhmzentrum des Bochumers ist noch Nordrhein-Westfalen. | www.bockshorn.de ++++++++++++++++++++++++

Urban Priol

19. Dezember, 20Uhr, Mainfranken-Säle Veitshöchheim Wer es an der Zeit findet, Deutschlands TV-Politanstaltsleiter in intimem Rahmen zu erfahren, sollte sofort seine Eintrittskarte kaufen. Morgen könnte er ausverkauft sein. Der Kanzlerinnen-Haudrauf setzt auf die Überzeugungskraft seiner Bühnenpräsenz. Er spricht zwar schnell, aber überfordert sein Publikum nicht mit großen Argumentationsbögen, die es konzentriert mitzuverfolgen gälte. | www.ticketonline.de ++++++++++++++++++++++++

Kirchentanzabend

31. Dezember, 18 Uhr, St. Kilian im Juliusspital Das sommerliche Festival „Würzburg tanzt“ scheint Recht zu haben. Jedenfalls erobert sich der Tanz neue Räume, gestalten den ökumenischen Silvestergottesdienst im Juliusspital doch die Thomas Kopp Kompanie & friends mit. Der Kirchenraum, die christliche Botschaft und bewegte Menschen sollen gemeinsam eine festliche Stimmung zur Einstimmung in den Jahreswechsel kreieren. | www.tanzspeicherwuerzburg.de


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Evangelische Stimmen im katholischen Würzburg Der Bachchor feiert seinen Fünfzigsten von Daniel Staffen-Quandt / Foto: Daniel Peter

+ Er blickt auf keine jahrhundertelange Tradition zurück, aber in den 50 Jahren seines Bestehens erregte der Würzburger Bachchor durchaus Aufsehen. In einer tiefkatholischen Bischofsstadt im Jahr 1961 einen evangelischen Chor aus der Taufe zu heben war durchaus ein Wagnis. KulturGut 07 | Seite

Doch Gründer Günter Jena hatte als Assistent bei Karl Richter und seinem Münchener Bachchor gesehen, wie man schnell ein erfolgreiches Konzertensemble formt. An der Würzburger St. Johanniskirche tat er es ihm gleich.

32 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

de 1979 der erst dritte Dirigent und ist es bis heute „gern geblieben”: „So viel wie bei unseren Probenabenden wird bei wenigen Chören gelacht.” Der Spaß bleibt trotz des enormen Aufführungspensums nie auf der Strecke: Jedes Jahr gibt der Bachchor knapp 35 Konzerte, bei den jährlichen Bachtagen bestreitet er die beiden Oratorien-Abende und gestaltet die Festgottesdienste mit Bachkantaten. Außergewöhnlich für einen Laienchor ist außerdem, dass jeweils montags und mittwochs zwei Stunden geprobt wird, vor wichtigen Konzerten auch mal mehr. „Diese Probenintensität gibt es bei kaum einem anderen Chor”, sagt Kabitz.

Strenge und Vergnügen Zu viel Druck, Stress und Strenge dürfen aber nicht sein: „Das ist sicher der Hauptunterschied zur Gründungszeit.” Und außerdem hat sich auch die Chorlandschaft in Würzburg stark verändert. Gab es vor 50 Jahren eben nur den Domchor als ernste Konkurrenz für den neuen Bachchor, zählt Kabitz mittlerweile „sicher an die 20 wirklich gute Ensembles in und um Würzburg”. Der Bachchor ist dennoch nach wie vor erfolgreich – und das liegt sicher auch an seiner musikalischen Wandlungsfähigkeit. Neben Brahms, Bach und Händel singen die Mitglieder auch mal Rock- oder Popmusik. Und sie widmen sich der Kirchenmusik. Im Frühjahr 2011 arbeiteten sie an der Uraufführung des „Agnus Dei” des Würzburger Komponisten Matthias Schmitt – ein Stück für Marimba und Chor. Die Uraufführung im Mai in der St. Johanniskirche wurde frenetisch beklatscht.

Historisches Best-Of im Gottesdienst

Der heutige Chorleiter Christian Kabitz kennt diese erste Zeit nur aus Erzählungen – doch die sind äußerst lebhaft. „Es muss ein fulminanter Start gewesen sein”, sagt der Kirchenmusikdirektor. Der Würzburger Bachchor galt bald nach seiner Gründung als „schick” und auch ein wenig elitär, weil er „anders als der katholische Domchor nicht die vorrangige Aufgabe hatte, Gottesdienste zu gestalten”, sagt Kabitz. Jena wollte einen Konzertchor für die Oratorien Bachs und Händels aufbauen.

Der dritte Dirigent Im Bachchor sahen damals vor allem „die Professoren-Gattinnen und Studentinnen” eine angemessene Freizeitbetätigung – inzwischen ist die Schar der Sänger bunt gemischt. „Nur die Tatsache, dass Frauen nach wie vor lieber im Chor singen als Männer, ist bis heute so”, bedauert Kabitz. Er leitet den Chor schon seit mehr als 30 Jahren, er wurKulturGut 07 | Seite

Wer einmal als Sänger beim Würzburger Bachchor landet, hält ihm die Treue – sofern es Berufs- und Privatleben zulassen. Annemarie Heiß singt seit mehr als 30 Jahren mit, aus Spaß an der Freude, sagt sie. Und wegen des hohen Anspruchs: „Der Bachchor war 1981 der Chor in der Stadt, bei dem man mitsingen wollte.” Daran habe sich bis heute nichts geändert. „Es macht großen Spaß, aber man wird auch gefordert”, sagt Annemarie Heiß. Wer nicht wirklich singen könne, sei fehl am Platz. Chorleiter Kabitz pflichtet ihr bei: „Wer bei uns mitmacht, der muss ganz klar mitsingen wollen und können.” Anders als in einem Chor mit mehr als 100 Mitgliedern, bei dem man auch mal nur die Lippen bewegen kann, ist der Würzburger Bachchor mit ungefähr 50 Stammsängern auf jeden angewiesen. Aufnahmeprüfungen gibt es trotz der Ansprüche nicht: „Niemand soll Angst haben, bei uns mitzumachen.” Sein 50-jähriges Bestehen will der Chor nicht mit einem Festakt oder einem großen Konzert feiern. „Für uns ist das ganze Jahr Jubiläum und deshalb sind auch all unsere Konzerte Jubiläumskonzerte”, schmunzelt Kabitz. Trotzdem gibt es im Herbst einen zentralen Auftritt des Chores: Zum 1. Advent am 27. November singt der Chor nicht wie sonst eine Bachkantate im regulären Festgottesdienst, sondern lädt quasi zu einem Festkonzertgottesdienst mit Stücken aus den vergangenen 50 Jahren.

33 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Zurückblättern, fortschreiben, Neue Musik im Gespräch. Mit dem Würzburger Komponisten Klaus Ospald Interview: Jens Essmann

+ Neue Musik ist gut 100 Jahre alt. Aus dem Skandal des Neuen ist Dauer geworden. Und doch gibt es Gründe, die Neue Musik als etwas Neues zu erfahren, sich zu wundern, zu streiten, zu interessieren.

auf, dieser Prozess, den es braucht, um eine Position zu finden. Auch wenn man selber ein Werk komponiert hat und es dann wieder hört, öffnen sich in diesem Werk wieder neue Fenster.

Neue Musik beschreibt sich in einem Verhältnis zu so etwas wie „alter Musik“. Was wollen Sie neu machen? Als junger Mensch beschäftigt man sich zunächst mit der Tradition: „Das Herz eines jungen Künstlers ist ein Friedhof alter Meister.“ Bei mir ist das eher ‘ne Cafeteria – ein permanenter Austausch, der natürlich altersabhängig ist: Wenn man als junger Mensch Chopin spielt und dann auf Schönberg, Webern trifft – da sieht man auf einmal, was für unterschiedliche Musiken es gibt. Man sieht, dass Musik eben nicht nur verbindet, sondern auch trennt. Sodass eine innere Haltung zu unterschiedlichen akustischen Phänomenen gefunden werden muss.

Wo steht dabei der Hörer? Grundsätzlich denke ich beim Komponieren an keinen Hörer. Wenn, dann bin ich mein eigener Hörer. Nach dem Komponieren möchte ich einen anderen Blickwinkel einnehmen. Sich dann selbst zu hören, zum Beispiel bei der Uraufführung, das ist ein unvorhersehbares Ereignis. Ich will meine Werke also so gestalten, dass sie sich von mir lösen können, wenn sie diesen Raum verlassen, in dem ich mich beim Komponieren bewege. Und dann ist nicht mehr wichtig, ob es von mir ist oder nicht.

Kann man den Weg zwischen Chopin und Schönberg in beide Richtungen gehen? Zunächst einmal fühle ich mich verbunden mit kompositorischen Denkweisen, die überzeitlich sind. Man kann heute ja immer noch was von Monteverdi lernen, oder von Schubert – nicht, was die Tonalität angeht, sondern eine Form, in Tönen zu denken. Man kann in eine Bibliothek gehen, eine Schumann-Sinfonie aufschlagen und schon ist man mittendrin. In der Gegenwart dieser Musik. Und das hört niemals KulturGut 07 | Seite

Erwarten Sie vom Hörer, der nicht Klaus Ospald ist, eine Vorbildung? Grundsätzlich muss das Entscheidende eine unvoreingenommene Wahrnehmung sein. Oft wird eine Person, die solche akustischen Phänomene zum ersten Mal hört, verstört. Der ganze Musikmarkt ist schließlich darauf ausgelegt, Beethoven oder Schubert zu hören. Von dort bis zur Neuen Musik liegen nun mal 200 Jahre, und die scheinen unüberbrückbar. Wenn ich einem solchen Hörer meine Kompositionstechniken erkläre, dann kann das natürlich ein differenzierteres Verständnis zur Folge haben. Das muss es aber nicht.

34 | Würzburg


In der aktuellen Diskussion zum Thema Musikvermittlung wird gefragt, ob man Mozart oder Boulez so erklären sollte, dass es „jeder versteht“. Und ob man damit aus ernster Musik ein „Kinderspiel” macht. Aber man muss ja einladen – egal, ob mit einem Text im Programmheft oder indem man ein Musikstück „Sinfonia“ nennt. Das sind immer Erklärungen und letztlich Interpretationen. Wenn über Musik gesprochen wird, kann alles in die Musik reingelegt werden. Im Programmheft schildert einer seinen Höreindruck und kombiniert den mit seiner Bildung – das ist schon grenzwertig, weil es in der Natur der Sache liegt, dass Musik nicht sprachlich übersetzbar ist. Musik ist ein Denken in Tönen, und dazu gibt es kein sprachliches Pendant. Es gibt keine kausale Beziehung zwischen Tönen und Worten. Wenn ich drei Töne komponiere, C-D-E, und dann kommt die klassische Frage: „Was wollten Sie damit sagen?“, dann ist meine Antwort: „Genau das. Das wollte ich damit sagen.“ Im besten Fall hört man eine Komposition, und die unterteilende Zeit verschwindet für diese Dauer. Aber das zu empfinden, da muss man erst mal hinkommen. Das traut sich nicht jeder zu, das kann sich nicht jeder leisten. Es ist eine Unart der heutigen Zeit, alle Grenzen verwischen zu wollen. Im eigenen Leben ist man doch ständig bemüht, Grenzen zu schaffen, um sich nicht zu verlieren. Diese Idee der Grenzenlosigkeit ist für mich eine Marktstrategie, und die soll auch funktionieren, wenn man in Bayreuth glaubt, man müsse den „Ring“ kinder-kompatibel machen. Weil Kinder ja kreativ sein müssen und intelligent und wissbegierig. Das ist doch Blödsinn. Es gibt Kinder, die wollen das mit 13 schon hören und kommen da sprachlos heraus, andere schlafen ein. Bei Erwachsenen ist das nicht anders. Das ist ja der Irrglaube der Erwachsenen: Man muss Kinder schöpferisch machen und schickt sie dafür in die Oper. Aber Kinder sind von vornherein schöpferisch. Und eben deswegen muss es Grenzen geben: Wenn ich mich wie ein Sechsjähriger verhalte, störe die Sechsjährigen. Der Sechsjährige darf nicht sagen: „Ich will das nicht“, weil er dann nicht in meine Idee von einem Sechsjährigen passt – die vom Erwachsensein her gedacht ist. In den glücklichsten, freiesten Momente bestimmt man selbst, ob man etwas mag. Auch Kinder. Es ist sehr unreflektiert zu sagen, dass Musik nur verbindet: „Das hier, das ist jetzt Musik und die finden wir alle toll...” …und wenn du sie nicht schön findest, dann bist du eben blöd. Tatsache ist, dass Neue Musik verstörend wirken kann. Aber das galt bei Beethoven auch. Adorno sagte über Schönberg, bei ihm gebe es „ungezähmte Klänge“. Und dieses Ungezähmte, nicht Kompatible, das ist wichtig. Manchen gefällt das nicht. Grenzen sind nicht zuletzt auch Einladungen. In Bayreuth wurde eine Leinwand für den „Plebs”, den „Mob” aufgestellt. Da haben Sie wieder die Zwei-Klassen-Gesellschaft: „Die da draußen”, die können mit Pommestüte und Liegedecke kommen und auch wieder gehen, wenn’s zu lang wird. Das ist vielleicht so was wie die Großzügigkeit des Feudalherren… … der dann an den Pommesbuden mitverdient. Und doch spricht man davon, dass Grenzen einfach weggenommen werden könnten. Manche Grenzen sind notwendig. Manche Bücher muss man dreimal lesen, da muss man zurückblättern. Aber Zurückblättern, das ist ja schon ein Unwort, heutzutage. Für mich ist das als Komponist eine harte Nuss. Ich weiß, dass ich Musik komponiere, die Hindernisse hat, die trennt. Und ich find’ das gut, wenn Musik trennt.


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Musik |

|

Clueso & Band

14. Oktober, 20 Uhr, S. Oliver-Arena Von den jüngeren Stars dieses Quartals empfiehlt KulturGut den Lesern, die sich popmusikalisch auf dem Laufenden halten wollen, den deutschsingenden Musiker, der nicht rapt (jedenfalls nicht mehr so viel wie in seinen Anfängen) und seine Stimmbänder nicht in Richtung Soul schielen lässt. Ohne große Stimme arbeitet der 31-jährige Erfurter oft hochmusikalisch aus dem Klang der Sprache heraus. Texte mit spielerischem Tiefsinn laufen von liedermachigen Anfängen zur großen Soundgeste auf. | www.posthalle.de ++++++++++++++++++++++++

Termine |

belegt ein Blick in seinen Terminkalender: Vorwiegend mit dem schwedischen Posaunisten Nils Landgren ist er von Oktober bis Dezember unterwegs. An diesem Donnerstagabend legt Wollny zwischen Stockholm und Friedrichshafen einen Zwischenstopp im Klangraum Kulturspeicher ein – solo. | www.freundeskreis-kulturspeicher.de ++++++++++++++++++++++++

Jazzfestival der Jazzinitiative Würzburg 29. und 30. Oktober, je 19 Uhr, Felix-Fechenbach-Haus

Viktor Aslund war lange Erster Kapellmeister am Mainfranken Theater. Außerdem ließ er sich von USamerikanischen Landstraßen inspirieren. Dann setzte er sich hinter die Keyboards und komponierte eine Suite für Kammerorchester und Rock-Instrumentarium, deren CD-Produktion an diesem Abend freigelassen wird. Mit eigens dazu zusammengestellten Konzertmusikern.

„Crazy Heimat-Sounds“ apostrophiert das Festival seine 27. Ausgabe, weil jedes Ensemble irgendeinen biographischen Bezug zu Würzburg hat. Große Namen sind dabei: Peter Fulda, Hubert Winter, Peggy Herzog! Was indes mehr zählt, ist die Qualität, die Feinheit ihrer musikalischen Aussage. Und was dieses Jahr besonders viel bedeutet: All diese Talente unserer Region spielen verrücktes Zeug. So farbig, schön und schön überraschend war das Festival lange nicht. Dass jede Band ihren Freiraum hat, wenn sie losgelassen, dafür sorgen auch Soundtechniker, die seit Jahrzehnten für die Jazzer arbeiten. | www.jazzini-wuerzburg.de

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Michael Wollny

Baustellenkonzerte

Für sein Solo-Album „Wunderkammer” erhielt der Pianist 2010 den Jazz-Echo als bester deutscher Instrumentalist, mit seinem Trio [em] in diesem Jahr den für das beste deutsche Ensemble. Dass der aus Schweinfurt stammende Michael Wollny mittlerweile längst die Nationalgrenzen hinter sich gelassen hat,

Die Klosterkirche am Dominikanerplatz hat sich zunehmend geöffnet – und dann wegen Renovierung geschlossen. Eine Konzertreihe sammelt für die Sanierung – heute mit zwei Violinen, Cello und Orgel. Letztere, ein Klais-Instrument, wird gestimmt. Am 3. Dezember spielt sie die Hauptrolle im

The Dirtroad Project 15. Oktober, 20.30 Uhr, Vogel Convention Center

20. Oktober, 19.30 Uhr, Museum im Kulturspeicher

5. November und 3. Dezember, je 19.30 Uhr, Augustinerkirche

KulturGut 07 | Seite

36 | Würzburg

„Orgelnach(t)gespräch“. Die Organisten Andreas Saage, Christian Bischof und Hans Bernhard Ruß demonstrieren und erklären die Verbesserungen. ++++++++++++++++++++++++

Junge Philharmonie

5. November, 19.30 Uhr, Musikhochschule Hofstallstraße Eine der zahlreichen neuen Kulturinitiativen der jüngsten Zeit ist das Projektorchester, zu dem zweimal jährlich neue und bewährte Nachwuchsmusiker bei intensiven Probephasen zusammenkommen und ein anspruchsvolles Programm erarbeiten. Für diesen Herbsttermin wurde nun sogar erstmals ein Werk eigens für die Junge Philharmonie komponiert. Die weiteren Partituren sind dezidiert spätromantisch: Variations on „America” von Charles Ives, Richard Strauss’ erstes Hornkonzert mit Wolfram Richter als Solist sowie die d-Moll-Symphonie von César Franck. Der Ort des Wiederholungskonzerts am 6. November, 18 Uhr, wird in der Tagespresse bekannt gegeben. Kostenfreie Eintrittskarten reservieren lassen! | www.junge-philharmonie-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Missa solemnis

6. November, 18 Uhr, St. Johannis Für das Jubiläumskonzert zu seinem Zehnjährigen wählte der über 100-köpfige Oratorienchor Würzburg etwas ausgesprochen Ernstes und Feierliches: Beethovens Messe. Neben Orchestermusikern haben Matthias Göttemanns SängerInnen Gesangssolisten aus Stuttgart, Frankfurt und Essen zu Gast, aus dem Pott nämlich den Tenor Albrecht Kludszuweit, der im Opernensemble des Stadttheaters einige Spielzeiten lang sehr angenehm agierte. | www.oratorienchor-wuerzburg.de


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Musik |

|

Prager Kammerphilharmonie 11. November, 20 Uhr, Vogel Convention Center

Das 6. Benefizkonzert der Würzburger Druck- und Medienunternehmen fördert die Wissenschaft: Der Erlös fließt an Forschungsprojekte. Entsprechend herausragende Musiker interpretieren Bachs 3. Brandenburgisches Konzert. Als Solist brilliert Gábor Boldoczki in Händels Suite und Donizettis Concertino für Trompete. Sejoume und Rosauro schrieben die Marimba-Konzerte für Katarzyna Mycka. Das DruckBenefiz ist nach dem Sport- und Medienball Würzburgs zweitgrößtes Wohltätigkeitsereignis. | www.wuerzburger-benefizkonzert.de ++++++++++++++++++++++++

Elias

13. November, 18 Uhr, St. Stephan Felix Mendelssohn Bartholdy berechnete sein Oratorium für die erstarkende Sangesbewegung und schuf starke Chorpartien (die Sänger nehmen als Volk und Engel an der Handlung teil). Dekanatskantor Christian Heidecker vereint daher Kammerchor Nürnberg und Cappella St. Stephan. Dazu treten als Solisten auf: Helen Rohrbach (Sopran), Sonja Koppelhuber (Alt), Tilman Lichdi (Tenor) und Tobias Schabel (Bass). ++++++++++++++++++++++++

Termine |

zwei passende Gitarristen zusammengesucht: keine jungen Kerls zum Matteschwenken, sondern zwei gleichberechtigte Solisten, die die melodischen und mitunter dezent theatralischen Songs der 1969 gegründeten Brit-Rock-Band interpretieren. | www.posthalle.de ++++++++++++++++++++++++

weisend. Heute umfasst sie über 130 Sängerinnen zwischen acht und siebzehn Jahre, die zweimal wöchentlich proben, monatlich eine Messe im Dom gestalten und bisher in Italien, Ungarn, Frankreich und den USA konzertierten – mit Motetten, Messen und Kantaten aller Epochen. Seit Februar 2011 leitet Domkantor Alexander Rüth den Chor. | www.wuerzburger-dommusik.de

Bachtage 2011

++++++++++++++++++++++++

19. bis 27. November, Johanniskirche u. a.

3. und 4. Dezember, 20 bzw. 17 Uhr, Neubaukirche

++++++++++++++++++++++++

A Glezele Vayn

Mädchenkantorei

Martin Turner’s Wishbone Ash 20. November, 10 Uhr, Neumünster 15. November, 20.30 Uhr, Posthalle

Rory Gallagher, George Harrison und Duane Allman nennt Ray Hatfield als Gitarrengötter seiner Jugend. Sein Kollege Danny Willson, der mit sieben Jahren anfing, Radiohits nachzuspielen, stand in jungen Jahren im Bann von Wishbone Ash. Jetzt stehen beide in dieser Kultband auf der Bühne, die Bassist und Sänger Martin Turner am Leben hält. Dazu hat er sich

Hodie

In der Johanniskirche ist der Bachchor zu Haus, dessen Porträt (s. S. 32) auf den Festgottesdienst zum 50-jährigen Bestehen verweist. Das BachtageProgramm stellt dem Namengeber heuer Händel zur Seite. Mit dessen „Messias“ und Bachs Hoher Messe in h-moll bringt das – auf zwölf Programmpunkte konzentrierte – Festival zwei Großwerke. Aber auch das Kleine kann sich sehen lassen. So spricht am 18. November zur Bachtage-Eröffnung der Musikwissenschaftler Prof. Ulrich Konrad im Toscanasaal über die Barockkomponisten (19 Uhr). Am selben Ort fördert die Matinee am 26. November zwei junge Künstler: den Cellisten Arthur und die Pianistin Klara Hornig. | www.bachtage-wuerzburg.de

Zum 40. Gründungsjubiläum lud die Dommusik alle Ehemaligen ein, gemeinsam zu singen, zu feiern, alte Kontakte aufleben zu lassen und Domkapellmeister Siegfried Koesler wiederzusehen. Zum Mittelpunkt des Festwochenendes gestalten ehemalige und aktive Mädchen dieses Pontifikalamt. Die Würzburger ist die älteste Mädchenkantorei in Deutschland, ihre Gründung galt damals als sehr modern und zukunftsKulturGut 07 | Seite

37 | Würzburg

Der Monteverdichor zieht mal wieder alle Register, sehr geeignet mit Ralph Vaughans Riesenkantate „Hodie“ (Heute). Das Weihnachtswerk hat Frauenstimmen, die ganz meditativ von einer Orgel begleitet werden, und dann vor allem beim Finale einen weltbewegenden Freudenausbruch. Unter Matthias Beckerts Leitung sind außer seinem Chor das große Orchester der Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt und Solisten zu hören. | www.hochschulchor.de ++++++++++++++++++++++++

17. Dezember, 20 Uhr, Trinitatiskirche Der Bandname ist leicht zu entschlüsseln: Klezmer und Balkanmusik zelebrieren Achim Rinderle (Klarinette, Urwaldflöte, Gesang u. a.), Szilvia Csaranko (Akkordeon), Daniel Bister (Kontrabass) und Jacobus Thiele (Derbouka, Cajon u. a.) im schwungvollen Wechsel zwischen akustischer Dezenz, großer Hingabe und witziger Moderation. | www.glezele.de ++++++++++++++++++++++++


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

VierpunktSonderausstellung „Kunst geht fremd“ bis in die Rhön von Joachim Fildhaut

+ Vier Museen zwischen Würzburg und Bad Neustadt tauschen Exponate aus. „Wir haben das als erstes Projekt bewusst sehr klein gehalten“, bekennt Andrea Brandl, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kunsthalle Schweinfurt. Geboren wurde die Idee, wenn Brandl sich richtig erinnert, „beim Kaffeetrinken“. Und entsprechend rasch war klar, wer was wohin gibt.

Konterreformatorisches Politmöbel Wie bestellt und geliefert wirkt Julius Echters Prunktisch im Fürstenbau-Museum. Das Schaumöbelstück kehrte in die Immobilie seiner ersten Präsenz zurück, schließlich wohnte der Fürstbischof hier auf der Festung. Rätselhaft bleibt nur, wie die Zinn-Intarsienarbeit mit dem aufgepunzten Eigentumsvermerk „Iulius episcopus herbipolensis dux franconiae orientalis“ in die Ketzerstadt Schweinfurt geriet. Dort tauchte sie nämlich Ende des 19. Jahrhunderts in der ältesten erhaltenen Inventarliste der Kunstsammlung auf. Schweinfurts Kulturamtsleiter Dr. Erich Schneider kann nur spekulieren, möglicherweise hätten die schwedischen Burgbesatzer im Dreißigjährigen Krieg das kunstvolle Objekt aus Würzburg in die konfessionell befreundete Reichsstadt verschenkt. Er weist aber auch darauf hin, dass ausgerechnet eine Echter-Schwester sich in der dem Bruder so verhassten Stadt niedergelassen habe. Zweifellos hingegen eines: Die üppig illustrierte Tischplatte folgt inhaltlich einem dezidiert katholischen Bildprogramm. Kunsthandwerklich rar an dem konterreformatorischen Politmöbel ist die Technik. Für die Blechstege wurden Vertiefungen in das Holz geschnitten und anschließend ein bis zwei Millimeter tief mit Zinnlot ausgegossen. Als Gegengabe reisten Tilman Riemenschneiders Leuchterengel zurück nach Schweinfurt. Die Arbeiten gehörten zu den Sammlungshauptstücken des Industriellen Wilhelm Sattler, Erfinder und Produzent der Farbe Schweinfurter Grün. Als der Sattlersche Kunstschatz 1901 aufgelöst wurde, kaufte die Stadt Würzburg die Figuren. In der Kunsthalle stehen die Leuchtkörperhalter in keinem historischen Kontext. Sie gehen vielmehr einen Dialog mit den modernen Werken der Dauerausstellung „Diskurse“ ein. KulturGut 07 | Seite

In der Klimakiste „Übers Meer“ Gegenseitig tauschten auch Rhönmuseum und Kulturspeicher Würzburg. Aus Fladungen kamen geschnitzte, elf Zentimeter hohe Figuren, fünf musizierend und drei Paare tanzend. Laut dem Volkskundler Wolfgang Brückner waren sie „prätenziöser Nippes und anspruchsvolle Souvenirs“, eben Mitbringsel aus den fränkischen Kurstädten des Biedermeier. In der Würzburger städtischen Sammlung steht die Kirchweihtanzgruppe jetzt zwar im Saal zeitgenössischer Malerei, bricht aber trotzdem mit einer Galerietradition: „Wir stellen erstmals volkskundliche Objekte aus“, sagt Galerieleiterin Dr. Marlene Lauter. Dass das Fladunger Rhönmuseum derzeit wegen Renovierung geschlossen ist, verleiht der vierten Gastpräsentation ihre innere Plausibilität. In die Bresche sprang nämlich das Kloster Wechterswinkel, und zur dortigen Gegenwartskunst gehört Helmut Dirnaichners „Übers Meer“ gewiss. Auf den ersten Blick drei unscheinbare Lanzettformen, erschließt sich das Bild mit dem Wissen, dass der Maler seine Pigmente und Papier selbst herstellt, in der Landschaft und aus der Landschaft, die ihn inspiriert. „Übers Meer“ entstand aus gemahlenen Edelsteinen. Als „mittelalterliche Kostbarkeit – schön, dass sie einen Platz im Kloster gefunden hat,“ bezeichnet denn auch Lauter das kleine Triptychon. Ganz simpel war der Tausch über Kreuz dann übrigens doch nicht. Gerade die jahrhundertealten Stücke mussten mit äußerster Vorsicht behandelt werden. Dazu konnten die Museen auf die Klimakisten zurückgreifen, in denen die Riemenschneider-Figuren vor gut zehn Jahren in die USA gereist waren.

INFO: Bis 30. Oktober. www.kunst-geht-fremd.de. Obacht: Kloster Wechterswinkel öffnet lediglich Sa., So. und feiertags von 13 bis 17 Uhr. Am 6. Oktober, 19.30 Uhr, erläutert Dr. Astrid Scherpf, Kulturagentur Landkreis Rhön-Grabfeld, das Ensemble „Kirchweihtanz“ im Kulturspeicher Würzburg.

38 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | B端hne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

KulturGut 07 | Seite

39 | W端rzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Brüche im System Die Konkrete Künstlerin Esther Stocker im Gespräch mit KulturGut Text und Fotos: Ralf Edelmann

+ Am 27. Oktober besucht Esther Stocker das Museum im Kulturspeicher zum Künstlergespräch. Die Konkrete Künstlerin lebt und arbeitet in Wien. Ralf Edelmann, ebenfalls in Wien lebender deutscher Künstler, hat sie in ihrem Atelier aufgesucht. Ein Künstlergespräch zum Künstlergespräch also. Heute besuche ich die italienische Künstlerin Esther Stocker in ihrem Atelier im 8. Wiener Bezirk, besser bekannt als Josefstadt, einem charmanten Altwiener Viertel unweit des gleichnamigen Theaters. In einem ehemaligen Ladenlokal zur Straße, mit Nebenräumen in einem schmucken, typischen Wiener Altbau, werde ich empfangen. Nach kurzer Begrüßung setzen wir uns an einen Ateliertisch und beginnen ein lockeres Gespräch. Mir fällt auf, dass nicht nur die Bilder an den Wänden, sondern auch das ganze Ambiente im Wesentlichen klar strukturiert und in schwarz weiß daher kommt. Trotzdem ist die Atmosphäre nicht kühl, vielmehr einladend und nett. Wir essen frische Trauben und beginnen den Dialog, der sich im Wesentlichen entlang der im Vorfeld überlegten Fragen entwickelt. Meine erste Frage wurde dir vermutlich schon des Öfteren gestellt. Es fällt gleich auf, dass sich deine Arbeiten farblich strikt im schwarzweiß-grau Bereich bewegen. Warum beschränkst du dich auf dieses Spektrum? Es ist mir aufgefallen, dass man gerne zuerst auf etwas anspricht, was offensichtlich fehlt. Dieses Fehlen kann auch wieder thematisiert werden. Zum Beispiel durch das Nichtabbilden. So funktioniert das für mich etwa mit den Farben. Ich denke da sehr formal, arbeite mit den Mitteln KulturGut 07 | Seite

der Reduktion auf Elemente und Strukturen. Die Zwischenräume stehen für das Fehlende. Das Farbige steht für mich visuell generell nicht so im Vordergrund. Mir geht es um Relationen zwischen Elementen innerhalb von Systemen, die ich mit diesen strukturellen Mitteln darzustellen versuche. Das funktioniert innerhalb des Schwarz-Weiß-Spektrums. Dabei benutzt du Raster und Linienmuster, die aber auch immer Brechungen und Unregelmäßigkeiten aufweisen … Ja. Räumliche Ordnung- und Unordnung innerhalb von Systemen versuche ich auf Wahrnehmungsebenen zu übertragen. Es geht mir darum, diese Paradoxe darzustellen und auf diese Weise erfahrbar zu machen. Systeme sind nicht perfekt, sondern tendieren zu Brüchen und Anomalien. Diese Brüche und Störungen bieten Gelegenheit zum Verlassen und Überspringen der vorgegebenen Matrix. Auch deine fotografischen Arbeiten wirken überaus kontrastreich. Ja, auch dort wird Farbe, zum Beispiel Hautfarbe – es sind ja keine Schwarz-Weiß Fotografien – eher zurückgedrängt zugunsten von Kontrasten, die den Körper als Form herausstellen, also seine Grenzen oder Ränder aufzeigen. Hast du schon immer so gearbeitet? Nein. Ich komme von der Malerei und Zeichnung und habe da eigentlich ganz klassisch begonnen, habe sehr figürlich gearbeitet, beispielsweise in Portraits. Im Grunde sind Portraits ja auch immer Darstellungen räumlicher Begrenzungen.

40 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Du arbeitest sehr raumbezogen. Was macht dabei für dich den besonderen Reiz aus? Ich würde eher sagen: ich arbeite nicht mit dem Raum, sondern der Raum arbeitet quasi mit mir. Vom Malerischen kommend, interessieren mich Verhältnismäßigkeiten und deren Abweichungen. Formale Divergenzen, die ich dann versuche, im Raum darzustellen. Dazu verwende ich Kontraste und Begrenzungen, manchmal in Form von Rastern oder schlicht Linien. Welche Rolle spielt der Mensch innerhalb deiner Arbeit? Es interessiert mich, wie ein Mensch in eine Struktur, in eine Situation, eintritt und durch diese Strukturen hindurch findet.

Deine Bilder erinnern mich in ihrer Struktur an Bachs Fugen. Sie folgen einem Grundmuster, aber brechen dann immer wieder auf und variieren. Ja. Wie bei den Fugen spielt Mathematik eine wichtige Rolle. Ebenso Variationen und eben Brüche, Distanzen und Polaritäten. Würzburg könnte dir gefallen. Es ist ein wenig wie eine Miniatur von Wien. Es gibt einen Dom, Wein, gutes Essen und alles ist sehr katholisch. Ich bin gespannt und freue mich darauf.

Das lässt mich an klassische Labyrinthe denken. Ja, damit hat es zu tun. Allerdings kann man meine Begrenzungen auch überspringen, sie sind vor allem visuell. Und anders als beim Labyrinth schaffe ich Brücken zwischen Ordnung und Unordnung. In der Abweichung finde ich mich dann wieder.

INFO: Esther Stocker wurde 1974 in Schlanders/Südtirol geboren. Sie studierte Kunst in Wien, Mailand und Pasadena. Ihre Arbeiten werden u. a. in Paris, Rom, Wien, Zürich, Berlin, London und Brüssel gezeigt. | www.estherstocker.net Ralf Edelmann ist Künstler in Wien. | www.vorwaertsinallerichtungen.de Do, 27.10.11, 19.30 Uhr Museum im Kulturspeicher Künstlergespräch mit Esther Stocker Eine Veranstaltung des Freundeskreises des Museums im Kulturspeicher

Arbeitest du konzeptuell in dem Sinne, dass du das Bild im Kopf hast und dann umsetzt, oder lässt du während der Arbeit Experimente und Zufälle einfließen? Beides! Ich habe eine Idee oder Vorstellung, die ich umsetzen möchte und der ich dann folge. Aber natürlich ergeben sich auch Änderungen in der Struktur während des Arbeitsprozesses.

KulturGut 07 | Seite

41 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Das wollen wir doch mal sehn! Kommt das Museum für Bayerische Geschichte nach Würzburg? Die Chancen stehen nicht schlecht. von Thomas Williams

+ Ein Bürgermuseum soll es werden – hochmodern, flexibel, multimedial. Thema des geplanten Museums für Bayerische Geschichte wird die jüngere bayerischen Geschichte ab 1803 mit den Schwerpunkten „Strukturwandel“ (vom Agrarstatt zum Industriestaat) und Demokratiegeschichte. Das Konzept für das Museum ist zweifellos innovativ und seine Realisierung mit 25 Millionen Euro Investition und anschließendem Unterhalt durch den Freistaat Bayern auch bestens gesichert.

te Mozartschule. Das Baudenkmal soll mit neuer Energietechnik ausgestattet werden, das Flair seiner Entstehungszeit bietet tatsächlich ein zur inhaltlichen Ausrichtung des Museums passendes Umfeld. Die räumliche Lage ist ideal: gut angebunden und fußläufig zum Hauptbahnhof, erschlossen durch den Straßenbahn-Neubau der Linie 6, symbolträchtig eingebettet zwischen Residenz und Dom, direkt auf dem Weg der touristischen Besucherströme.

Ein wunderbarer Ort

Entscheidung im Herbst

Mit der Ausschreibung ist ein seit den 1960er Jahren immer wieder diskutiertes Thema nun in der konkreten Umsetzungsphase – und nicht wenige Städte möchten das Projekt für sich gewinnen, das 2018 stehen soll. Neben Ingolstadt, Regensburg, Kulmbach, Nürnberg, Freising, Landshut, Passau und Kempten hat sich unter anderem auch die Stadt Würzburg beworben. „Solch ein Museum an diesem wunderbaren Ort wird eine Begegnungsstätte von Menschen unterschiedlicher Herkunft, von Jung und Alt, von Bayern und Nicht-Bayern“, zitiert die Würzburger Bewerbung den Benediktinerpater Anselm Grün. Ausführlich werden die Vorteile illustriert: Die verkehrsgünstige Lage am Knotenpunkt aller wichtigen Fernverbindungen im Herzen Deutschlands, der offene Geist durch Bildung und Forschung, das reichhaltige Kulturleben der Stadt.

Im Oktober soll die Vorauswahl vom Haus der bayerischen Geschichte getroffen sein, die dann im Landtag vorgestellt wird. Wie die Chancen stehen? Manch einer hat das Gefühl, „die Unterfranken seien jetzt einfach mal dran“, wo sich doch sonst alles auf München und Nürnberg konzentriert. Nach dem Proporz-Gedanken wird die Entscheidung allerdings wohl nicht fallen. Also muss die Qualität der Bewerbung für Würzburg sprechen - und die Stimmen der Unterstützer, die sich für das Projekt einsetzen. Einige Prominente tun das schon. So findet sich neben Dirk Nowitzki der eine oder andere, der es in der Bewerbungsmappe frisch-frech auf den Punkt bringt: „E Museum für b a y e r i s c h e Geschichte in Würzburch? Des will ich see“ – tönt Erwin Pelzig provozierend. Na dann: Wollen wir doch mal sehn!

Chancen für das Mozart-Areal Selbstbewusst präsentiert man sich und den Standort auf dem städtischen Areal gegenüber dem UNESCO-Weltkulturerbe Residenz: die für ihre beispielhafte Architektur der 1950er Jahre denkmalgeschützKulturGut 07 | Seite

INFO: Die Bewerbung als E-Paper: | www.wuerzburg.de/downloads/Museum/ blaetterkatalog/index.html

42 | Würzburg


Faszination Afrika! Botswana Tansania Uganda/ Ruanda

Mainfränkische Aufträge Fünf Arbeitsschwerpunkte fürs Regionalmarketing

Live-Multivisionsshow Im Reich wilder Tiere, atemberaubender Landschaften & der letzten Berggorillas. Datum: Freitag, 28. Oktober 2011 Ort: Würzburg, Saalbau Luisengarten, Martin-Luther-Straße 1 Einlass: 19:00 Uhr - Beginn: 19:30 Uhr Referent: Michael Merbeck - Eintritt: 5 €

von Thomas Williams

+ Die Umstrukturierung der Entwicklungsgesellschaft Region Mainfranken ist vollendet. Die GmbH bezog ihre Geschäftsstelle in neuen Büroräumen an der Würzburger Ludwigstraße ist dort für zukunftsweisende Ideen aufgeschlossen. Dabei soll das bisher verfolgte Mainfranken-Marketing stärker ausgebaut und um Projekte der Regionalentwicklung erweitert werden. Die 46-jährige Diplom-Betriebswirtin mit einem MBA-Abschluss im Standortmarketing, Asa Petersson, erklärt: „Durch die Neugründung können wir wichtige Synergien nutzen. Durch die enge Vernetzung und die intensive Zusammenarbeit mit allen mainfränkischen Schlüsselakteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Politik besteht eine ganzheitliche Verankerung in der Region.“ Das Team um Asa Petersson wurde mit einem klaren Handlungsauftrag ausgestattet, um die Aktivitäten auf fünf Kernbereiche zu konzentrieren: Eine gesamtregionale Strategie soll dem spürbaren Fachkräftemangel entgegenwirken und den demographischen Wandel in der Region aktiv und positiv gestalten. Zusätzlich wird eine Plattform geschaffen, die die regional vorhandenen Kompetenzen in Wirtschaft und Wissenschaft besser vernetzt und dadurch den Standort Mainfranken weiter stärkt. Natürlich will man sich auch dem Thema Kultur widmen. Durch eine stärkere Vernetzung und Vermarktung der kulturellen Höhepunkte soll Mainfranken als Kulturregion noch stärker positioniert werden. Ein weiterer Handlungsauftrag liegt darin, einen „zwingend notwendigen Verkehrsverbund Mainfranken” zu schaffen. Auch das Thema Elektromobilität steht ganz oben auf der Agenda. Ziel ist es, durch Koordination und Bündelung regionaler Projekte aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung die vorhandenen Kompetenzen auszubauen und eine nachhaltige Mobilität in der Region zu sichern. Die neu gegründete Gesellschaft soll organisatorisch schlagkräftiger, vor allem rechtlich verbindlicher sein. Das Ziel ist klar definiert: Die Region Mainfranken soll durch das erweiterte Aufgabenportfolio noch besser für den sich verschärfenden Wettbewerb der Regionen aufgestellt werden.

Informationen: www.abendsonneafrika.de/messen.html

Abendsonne Afrika GmbH Zur Unteren Mühle 1, D-89290 Buch Tel. +49 (0)7343.92998-0, Fax -29 Email: info@abendsonneafrika.de www.abendsonneafrika.de

INFO: Geschäftsstelle: Region Mainfranken GmbH, Ludwigstraße10 1/2 , 97070 Würzburg, Telefon (0931) 452 652-0, eMail: info@mainfranken.org | www.mainfranken.org KulturGut 07 | Seite

43 | Würzburg


KulturGut | Inhalt | Editorial | Titelthema | Musik | Bühne | Literatur | Kunst | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Kunst |

|

Passagen – Stationen bis 23. Oktober, Spitäle

Barbara Schaper-Oesers Videobeitrag zur Sommerausstellung im Spitäle – der mit den viereckigen Eiswürfeln im Glas, die sich im Lauf des Films unter dem Einfluss der Sommerhitze zitternd ründeten – zeigte alles, was über diese Künstlerin zu sagen ist: Sie verfolgt ihre Themen, in diesem Falle die Quadratur des Kreises (oder auch umgekehrt), mit erstaunlicher Ernsthaftigkeit und Beharrlichkeit, mit Entdeckungslust und Witz und durch alle ihr zu Gebote stehenden künstlerischen Darstellungsformen hindurch. Und das sind mittlerweile einige. Notentypographin und Grafikdesignerin war die gelernte Textildesignerin, als sie 1971 autodidaktisch mit Malerei und freier Grafik begann. Fotografie, Objektkunst und digitale Medien kamen im Lauf der Jahre dazu. Die lokalen Ritterschläge folgten schnell: 1973 Mitglied im Berufsverband Bildender Künstler, dann auch bei der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens. Letztere richtete ihrer langjährigen Vorsitzenden nun zum 70. Geburtstag am 10. Oktober eine Jubiläumsausstellung aus. Die zeichnet Passagen und Stationen einer Künstlerin nach, deren Abstraktionen in der genauen sinnlichen Wahrnehmung und im Respekt der Realistin für die Schönheit ihres Materials gründen. Am 2. und am 23. Oktober kann man ihr im Spitäle auch persönlich gratulieren. | www.vku-kunst.de ++++++++++++++++++++++++

Die Essenz des Ortes

8. Oktober bis 12. November, Galerie Schwanitz Überbauen, abreißen, ablagern, überschwemmen. Ausgraben und aufzeichnen. Wenige Prinzipien formen unser Bild älterer Siedlungen, und doch ist jeder Fleck einer historischen Stadt anders, als Gebiet

Termine |

und als Karte. Diesen Prozess vollzieht die Malerin Gertrude Elvira Lantenhammer auf ihren Leinwänden nach. Man liest ihre übermalten, freigekratzten, wieder gespachtelten Gemälde so, wie der Laie ein topographisches archäologisches Protokoll betrachtet. Und: Er taucht in die Stimmung der Farben ein. | www.g-e-lantenhammer.de | www.leinwandundbronze.de ++++++++++++++++++++++++

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 10. bis 16. Oktober, Cairo

Sophia Konstanze Rüthel ist eine gefragte Workshopleiterin. Oft arbeitet sie mit Kindern, zum Beispiel an Künstlerbüchern. Parallel dazu denkt sie über das Altern und das Erinnerungsvermögen nach. Zu diesem Themenkreis stellt sie im Rahmen des Kulturherbsts im Galeriehaus Reichenberg (Kirchgasse 9) und in der Stadt im Jugendkulturhaus aus. | www.cairo.wue.de ++++++++++++++++++++++++

Kultur am Bau

16. Oktober, 14 Uhr, Seniorenzentrum Kürnach Im Winter soll das neue Heim des Landkreises für 49 Senioren eröffnen. Eine sonntagnachmittägliche Baustellenbegehung führt zugleich zu den Werken des Skulpteurs Rainer Haindl. Der lässt seine Formen gern von den starken Maserungen des Olivenholzes inspirieren. Ähnlich struk- und konturenbewusst gibt sich Maren Tscherner in ihrer freien Acrylmalerei. Die Adresse: Am Trieb 44. ++++++++++++++++++++++++

KulturGut 07 | Seite

44 | Würzburg

Die Sprache meiner Hand

16. Oktober, 14.30 Uhr, Kulturspeicher An diesem Sonntag endet die Sonderausstellung mit Zeichnungen des Zero-Künstlers Heinz Mack. Die Finissage ist ein Traditionstermin für die Jungen Freunde des Freundeskreises Kulturspeicher, die MIKs. Die haben sich während der Ausstellungsdauer mit den Werken vertraut gemacht. Ihnen liegt vor allem deren Vermittlung am Herzen. Deswegen laden sie Kunstinteressierte ein, an diesem Sonntag bei Kaffee und Kuchen zwanglos über das, war wir sehen, wissen oder was wir uns denken, zu reden. Auch jeden ersten Samstagnachmittag im Monat schwärmen MIKs durch die Galeriesäle, um mit Kunstfreunden ins Gespräch zu kommen. Zu erkennen ist ihre Aktion an dem Titel „Livespeaker – Kunstgespräch“. | www.die-miks.de ++++++++++++++++++++++++

Die wunderbare Welt des Buntpapiers ab 22. Oktober, Mainfränkisches Museum

Rund um seine bisher wenig bekannte Sammlung von etwa 500 Druckmodeln aus der Aschaffenburger Buntpapierfabrik hat das Museum seine diesjährige Weihnachtsausstellung aufgebaut. Bis nach Amerika exportierte das 1810 von Alois Dessauer gegründete Unternehmen seine farbenfrohen Dekorpapiere, die als Buch-, Möbel- oder Wandschmuck Verwendung fanden. Wobei auch in vorindustrieller Zeit das Bedrucken mit Modeln nur eine Möglichkeit war, die Farbe aufs Papier zu bringen. Werkzeuge, Musterbücher und Produkte Würzburger Papierhersteller hat das Museum dazu geliehen und zeigt so mit Objekten von 1697 bis heute die verblüffende Vielfalt der Buntpapiere und die Techniken eines fast ausgestorbenen Handwerks. Das Rahmenprogramm mit Führungen,


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Kunst |

|

Termine |

Familien- und Ferien-Aktionstagen, zu denen auch ein Kunsthandwerkermarkt im Januar gehört, begleitet die Ausstellung. Kuratorin Frauke van der Wall führt an drei Sonntagvormittagen durch die Ausstellung (23. Oktober, 6. und 20. November, je 11 Uhr). | www.mainfraenkisches-museum.de

schauer in ihren Bann. Er muss nur genug Zeit zum Verweilen mitbringen. | www.kunstverein-wuerzburg.de

Portugall, Bele Bachem und Gehard Hoffmann „Jugendfreies“ zu dieser Weihnachtsausstellung bei. | www.leinwandundbronze.de

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Zimmer, Küche, Bad

ab 4. November, Kulturspeicher

Hommage an Hokusai

Im letzten Jahr stellten drei Künstler des BBK-Unterfranken in Offenbach aus. Jetzt kommen auf Gegeneinladung drei Mitglieder des Bunds Offenbacher Künstler. Der Titel „Kreuzweise“ bezieht sich auf Form, Zeichen und Gestik in den Arbeiten von Jürgen Eckert (Malerei), Gabriele Saur-Burmester (Malerei) und Ortrud Sturm (Skulpturen). Eckert kreuzt die Gestik seines Malschwunges mit der Fläche des Malgrunds – dabei entsteht Raum im Zweidimensionalen. Bei seiner Kollegin Saur-Burmester kreuzen sich Linien; ihr Lieblingsmotiv hat Gewebestruktur. Sturm schließlich schlägt aus Holzstämmen kastenförmige Elemente, deren Vertikalen und Horizontalen sich oft und gern kreuzen. | www.bbk-unterfranken.de

Nein, das städtische Museum vermietet nicht! Es richtet vielmehr – teils aus eigenen Beständen – eine Sonderausstellung mit hohem Gemütlichkeitsfaktor aus. Zusammengehängt werden Interieurs, also Einsichten in Innenräume. Die Bilder stammen aus den Epochen zwischen Biedermeier und heute. Die ältesten markieren dabei eine Wende in der Entwicklung der Rauminnensichten. Denn von hier an interessierten sich Maler plötzlich für das menschenleere Zimmer, das in der Romantik noch vom – gern einsamen – Menschen bevölkert war. Nun ging es um das Psychogramm in der Möblierung, und bald allein um Lichteinfälle aufs wächsern schimmernde Holzparkett. Die Gegenwartskunst steuert dann auch Video und Installation bei. Nach der Eröffnung um 18.30 Uhr hängt die Ausstellung bis 22. Januar in Würzburg. | www.kulturspeicher.de

Die Berliner Künstlerin Ute Litzkow, 1973 in Rostock geboren, tritt vor den Naturholzschnitten des japanischen Meisters Hokusai schon recht weit zurück, um sich ihr eigenes Bild zu machen. Sie reduziert ihr Vorbild aufs Wesentliche, um es anschließend zu Traumlandschaften neu auszufalten. Die Ergebnisse sind meist Buntstiftzeichnungen, bei denen der Stift seinem Namen Bunt wirklich alle Ehre macht. Sie wirken oft psychedelisch und entstehen „aus Fragen nach der Sehnsucht oder der Illusion von Wünschen, positiven Gemütszuständen, Vorstellungen von Attraktivität, von einer heilen Welt“. | www.siebold-museum.de

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Für eine lange Weile

bis 2. November, Kunstschiff Arte Noah

Des Künstlers Muse – Sex sells

Still und dennoch gewaltig sind die fotographischen Arbeiten der 1964 geborenen, in München lebenden Japanerin Yukara Shimizu. Oft belichtet sie ihre Aufnahmen eine wirklich lange Weile, denn sie wählt gern nächtliche Landschaften als Motiv. Oder Regentage. Dabei geben ihre großformatigen Fotos Details zu erkennen, die das Auge des Alltagsbewusstseins nicht wahrnehmen kann. Diese Präsenz zieht den Zu-

Die engagierte Galerie in der Katharinengasse habe eine der größten privaten Druckgraphiksammlungen zu veräußern, verheißt der Inhaber. Ein Schwerpunkt mit 300 Werke liege auf erotischer Kunst von beispielsweise Klaus Böttger, Bodo W. Klös oder Valerie Chakalov. Zudem steuerten Graphiker wie Dieter

Kreuzweise

bis 23. Oktober, BBK-Galerie

19. November bis 23. Dezember, Galerie Schwanitz

KulturGut 07 | Seite

45 | Würzburg

bis 13. November, Siebold-Museum

++++++++++++++++++++++++

Seelenlandschaften

bis 11. Dezember, Museum am Dom Matteo Montani bekennt sich zu einem in Deutschland geborenen Künstler als großem Anreger: Max Ernst. Insbesondere die imaginären Landschaften des Surrealisten haben es dem 1972 geborenen Römer angetan. Er hat seine eigenen Techniken entwickelt, um diese mitunter gefährlich fleischlichen und sehr nahen Natur-Umgebungen mit verstörendem Leben aufzuladen. Im vergangenen Jahr schaffte er den Sprung über den Atlantik und stellte im italienischen Kulturzentrum von Greenwich Village in New York aus. In Europa ist er außerhalb seines Heimatlands noch weitgehend zu entdecken. | www.museum-am-dom.de


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Schrift braucht Namen Das gedruckte Buch wird sich halten. Ergon-Verleger Hans-Jürgen Dietrich gegen die Anonymität im Netz von Jens Essmann

+ An einem Buch kann man sich auf viele Arten festhalten. Aber Bücher kann man nicht festhalten: Ein Band bleibt verliehen, ein anderer im Zugabteil liegen. Papier vergilbt, Seiten knicken, reißen, fliegen und verschwinden. Hier schließt eine Bibliothek, dort hat das alte Regal keinen Platz in der neuen Mietwohnung. Mal werden Inhalte streitbar, mal Argumente widerlegt. Geschmäcker ändern sich, Notizen und Anstreichungen machen Lieblingspassagen unlesbar, Wasserrohrbrüche tun ähnliches, wenn auch weniger wählerisch. Dass man Bücher letztlich nicht festhalten kann, ist vielleicht ein erster, ein intuitiver, uns berührender Grund, an Büchern festzuhalten.

Unter der Keesburg Hans-Jürgen Dietrich hat ein auffällig aufgeräumtes Büro, in dem ein auffällig kleines und für die Aufgeräumtheit dieses länglichen Erdgeschosszimmers auffällig überfrachtetes Bücherschränkchen steht. Während des Gesprächs geht sein Blick immer dann durch dessen Reihen, die akkuraten und die gestolperten, wenn er nach Beispielen sucht, die die Geschichte seines Verlags ausmachen. Dann nimmt er mit einer gezielten Bewegung den entsprechenden Band oder er entschuldigt sich kurz, um das Vermisste aus dem Nebenzimmer zu holen. Der Gründer des Ergon-Verlags sitzt entspannt vor einem Couchtisch, auf dem nummerierte Notizen und ein kleiner Stapel seiner aktuellen Lieblingsveröffentlichungen liegen: Ein weicher Band zum 100. Geburtstag der wieder entdeckten Würzburger Lyrikerin Marianne Dora Rein, eine gewichtige Monographie zum literarischen Mythos der Kaiserin Elisabeth, die Memoiren des ehemaligen Ehrenvorsitzenden KulturGut 07 | Seite

der Jüdischen Gemeinde in der Türkei, eine Ausgabe des Journals für „Knowledge Organization“. Dazu Kaffee und Wasser, Sofas mit weichen Stoffbezügen, darüber ein Portrait von Thomas Mann. Dietrich erzählt ruhig und ausladend, ganz im mittleren Ton seiner Stimme, ist aufgeräumt, noch wenn er emphatisch wird. Die ersten Stichpunkte: 1989 hat er den Verlag gegründet, 1995 bekommt Annemarie Schimmel, die bei Ergon publizierte, den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Kooperationen mit namhaften Universitäten und Institutionen folgen und etablieren sich. War der Schwerpunkt der Veröffentlichungen anfangs ein orientalistischer und literaturwissenschaftlicher, sind es die Informations- und Bibliothekswissenschaften, die die aktuell größte Erweiterung des Verlagsprogramms ausmachen. Dietrich beschreibt seinen Verlag als in den Geisteswissenschaften fundiert und von dort aus „organisch gewachsen“. Auf eine ähnliche Weise sieht er sich Würzburg verbunden, während man international veröffentlicht, neue Publikationen in Istanbul und Wien präsentiert und mit der Übernahme des Index-Verlags (Washington) auch in Übersee aktiv ist.

Nur die können das Verlag und Verleger zu trennen ist im Gespräch kaum möglich – wohl weil Dietrichs Distanziertheit so genau bemessen, so selbstverständlich scheint. Die Rolle, die ein Verlag seiner Meinung nach spielt und zu spielen hat – keine Frage. Während elektronische Bücher immer mehr Abnehmer finden und wissenschaftliche Institutionen für Open Access, also den elektronischen, uneingeschränkten Zugang zu Forschungsveröffentlichungen werben, sieht Dietrich die Wichtigkeit der

46 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Verlegertätigkeit wachsen. Ein Wandel in den zentralen Aufgabenfeldern sei weder wünschenswert noch absehbar. Erst über die mittlere Instanz der Verlage wäre doch gesichert, dass Texte auf lange Sicht zugänglich bleiben, dass es jemanden gibt, der zentrale Aufenthaltsorte der Daten sichert, der für die Qualitätskontrolle, die Vermittlung und Informationsverpflichtung Sorge trägt. „Nur wir können das.“

Soziales Netz mit Buch Letzten Endes leben ja auch wissenschaftliche Veröffentlichungen von einem Vertrauen, das sich in Verlags- und Institutionennamen, Herausgeberschaften, Zitat-Apparaten, freilich aber auch der Aufmachung, dem Satz, der Haptik eines Buchs niederschlägt. In verschiedener Gewichtung, doch stets mit ähnlichen Folgen, wirken diese Faktoren wohl immer, wenn man seine Hand nach dem Bücherregal ausstreckt und dabei fragt: Wer ist unsere Aufmerksamkeit wert, von wem erwarten wir Ideen, wessen Argumentation opfern wir unsere Zeit und Energie? So besteht Dr. Hans-Jürgen Dietrich auch mit Verweis auf sein Philosophiestudium immer wieder darauf, dass es schlichtweg nicht möglich sei, immer und allgemein Gültiges zu formulieren: Die Genauigkeit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung könne nur eine vorläufige sein. Wofür im Gespräch das Gegenüber einsteht, im Seminar der Dozent, dafür haben in der Schrift die Fußnoten, die Edition sowie nicht zuletzt Autoren- und Herausgebernamen zu garantieren. Bücher haben nicht nur Inhalte, sie sind uns auch Symbole. Und das nicht allein dann, wenn wir unsere Wohnungen mit ihnen schmücken. An die „Anonymität des Netzes“ wären demnach keine hohen KulturGut 07 | Seite

Erwartungen zu hängen. Denn nicht nur brauche es Ordnungs- und Kontrollinstanzen, um dem interessierten Leser entgegenzukommen. Auch die Autoren verlangten nach persönlicher Betreuung, wollen sie doch sichergehen, dass ihre Arbeit ernstgenommen wird. Der „OpenAccess-Apologetik“ sei die „soziale Funktion des Buches“ entgegenzustellen. Und für diese garantierten die Verlage. Dies ist vielleicht der einzige Moment, in dem Dietrich aus der Ordnung des Gesprächs fällt, polemisiert, in dem es persönlich wird. Mit dem unhinterfragten Vertrauen in das Internet riskiere man eine „Entseelung“, eine „Entmenschlichung“ eben des Geschäfts, in dem er seit knapp 20 Jahren aktiv ist. Neben dem persönlichen Kontakt zu den Autoren sei es doch die fassbare Instanz des Buches, vor deren Hintergrund die Flüchtigkeit der EBooks erst funktioniere. Anstatt eines Wechsels sei also eher eine Verdoppelung in der Veröffentlichungspraxis zu erwarten. Auch der Ergon-Verlag wird ab 2012 alle Neuerscheinungen zusätzlich als EBooks anbieten und stellt jetzt schon viele seiner Texte über die Plattform libreka für Stichwortsuchen und Leseeindrücke zur Verfügung. Hans-Jürgen Dietrich präsentiert sich als das, was man mal eine „Verlegerpersönlichkeit“ nannte. Und das darf man wohl gänzlich unironisch als Seriosität lesen. Seiner Internet-Skepsis, die nicht zuletzt auf die Unkontrollierbarkeit der Daten abzielt, stellt er seine Argumente und die Arbeit am Verlag bei. Dass der Ergon-Verlag mittlerweile eine sehr profilierte Sektion zu Themen des Wissens- und Informationsmanagements betreut, also zu den grundlegenden Fragen nach der Möglichkeit und den Möglichkeiten, Wissen überhaupt zu ordnen, ist dabei eine Pointe, die er gelassen hinnimmt.

47 | Würzburg


KulturGut | Inhalt | Editorial | Titelthema | Musik | Bühne | Literatur | Kunst | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Literatur |

|

Bekennende Weinfreunde bis 14. Oktober, Vinothek Divino Nordheim

Vorwiegend aus der Sammlung des Museums Burgk, 1981 als „Nationales Exlibris-Zentrum der DDR” gegründet, stammen die 100 Kleingrafiken, mit denen Buchbesitzer ihr Eigentum kenntlich machten und ihre Sekundärleidenschaft für einen guten Tropfen dokumentierten. | www.divino-nordheim.de ++++++++++++++++++++++++

Stephan Krawczyk

1. Oktober, 17 Uhr, Akademie Frankenwarte Mit einigem Getöse kam der DDR-Liedermacher 1988 in den Westen. Die DDR ist noch immer sein Thema, der Ton hat sich geändert: Sieben erstaunlich leise, auch witzige Bücher legte er mittlerweile vor, sein letztes über Simon (West) und Ronald (Ost), die sich während eines Klassenausflugs auf dem Berliner Fernsehturm kennenlernen, stellt er in seiner Konzertlesung vor. | www.frankenwarte.de ++++++++++++++++++++++++

Gott bewahre!

5. Oktober, 20 Uhr, Jugendkulturhaus Cairo Blutig und spermareich sind seine Krimis, und mit Musik haben sie auch immer zu tun – der Schotte John Niven (Foto: Jas Lehal) spielte Gitarre bei einer Indieband, bevor er Englische Literatur in Glasgow studierte und dann doch erst einmal in der Musikindustrie arbeitete. 2002 hatte er genug, entschied sich fürs Schreiben und landete vor drei Jahren mit „Kill Your Friends“, einer Satire auf die Musikindus-

Termine |

trie, seinen ersten großen Erfolg. Splatterpop lautet der Genre- und „The Second Coming“ der Originaltitel seines neuesten Buches. Das wird Niven auch in der Originalsprache vorstellen, denn für seine Lesereisen in deutschen Landen holt er sich deutschsprachige Co-Leser. Die heißen Bela B., Bernd Begemann oder Nagel (Thorsten Nagelschmidt), welchletzterer in Würzburg assistieren wird. Vor dem internationalen Abend hält Niven ab 16.30 Uhr 60 Signierminuten in der Buchhandlung Hugendubel. | www.cairo.wue.de | www.nagel2000.de ++++++++++++++++++++++++

Sonntagsumdrei: Ronald Schernikau

16. Oktober, 15 Uhr, Werkstattbühne Ronald M. Schernikau war der letzte Bundesbürger, der freiwillig in die DDR zog. 1989 übersiedelte er von West nach Ost-Berlin, auf Anraten von Peter Hacks – wer ein großer Dichter werden wolle, meinte der, habe gar keine andere Wahl, da nur die DDR „auf ihre entsetzliche Weise“ die Fragen des Jahrhunderts stelle. Aus Anlass des 20. Todestags liest Wolfgang Schulz aus dem Werk des Schriftstellers. | www.werkstattbuehne.com ++++++++++++++++++++++++

Max Goldt

++++++++++++++++++++++++

Erinnerungen an den Liebhaber aus Indochina

11. November, 19 Uhr, Volkshochschule 70 war Marguerite Duras, als mit der Erinnerungscollage „L’amant“ ihr erfolgreichstes Buch erschien. Auf den Spuren der 1914 in Saigon geborenen Schriftstellerin bereiste die Würzburger Journalistin Sabine Ludwig das Mekongdelta. | www.vhs-wuerzburg.info ++++++++++++++++++++++++

Thommie Bayer

17. November, 20 Uhr, Stadtbücherei im Falkenhaus „Heimweh nach dem Ort, an dem ich bin“ heißt sein neuer Roman, was an sein Buch „Das Herz ist eine miese Gegend“ erinnert. Der Songwriter, Maler und Schriftsteller lotet differenziert Charaktere aus. Die Ergebnisse schreibt er recht zupackend auf. | www.stadtbuecherei-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Ein Weihnachtsmärchen 10. Dezember, 20 Uhr, Residenz

7. November, 20 Uhr, Saalbau Luisengarten Wie begann der FAZ-Autor Michael Maar seine begeisterte Besprechung der letzten Goldtschen Buchveröffentlichung? „Max Goldt zu rezensieren ist fast so unangenehm, wie einen Abend mit ihm zu verbringen, nachdem man ihn versehentlich geduzt hat.“ KulturGut 07 | Seite

Also nur kurz: der große deutsche Schriftsteller Max Goldt ist endlich wieder einmal da und liest. | www.wuerzburg-deluxe.de

48 | Würzburg

Im Januar kommt ein Programm von Markus Grimm (Foto: Daniel Biscan) über Balthasar Neumann auf die Bühne. Im Dezember ist saisonbedingt erst noch einmal die Einmann-Interpretation des Dickens-Klassikers über die wunderbare Wandlung des kaltherzigen Geschäftsmanns Ebenezer Scrooge dran. | www.dergrimm.de


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Film |

|

Auguri Italia

2., 16., 23. und 30. Oktober, je 11 Uhr, Programmkino Central TIC to town: Mit dem neuen Namenszusatz „Circolo Culturale Italo-Tedesco“ signalisiert das Teatro in cerca, dass es seinen Aktionsradius über die Bühne hinaus erweitert hat. Im Herbst tut es das mit der Filmreihe „Auguri Italia!“. Denn was in der deutschen Presse zwischen Bunga Bunga, Lampedusa und Wirtschaftskrise fast unterging: Italien feiert in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag. Da die meisten Italiener schnell wieder wissen, worauf sie stolz sein können, wenn das Thema Kino aufkommt, ist es nur folgerichtig, die Geschichte Italiens aus der Sicht seiner großen Regisseure zu zeigen. Nach Viscontis „Gattopardo“ und „Senso“ im September sind dies an den Oktobersonntagen Bertoluccis „Novecento“ (2. und 16.), Fellinis „Amarcord“ (9.) und Rossellinis „Roma, città aperta“ (23.). Die Reihe endet am 30. Oktober mit „Buongiorno notte” von 2003. Regisseur Marco Bellocchio erzählt hier den Fall Aldo Moro aus der Perspektive der Täter und gewinnt dem Thema Terrorismus einige neue Fragen gab. Alle Filme in Originalfassung mit deutschen Untertiteln! | www.teatro-in-cerca.com | www.central-programmkino.de

Termine |

konzipierten Ausstellung gehören zwei DEFA-Filme, die die zeittypischen Befindlichkeiten der Menschen in der DDR besonders markant transportieren. Am 30. Oktober (18.30 Uhr im Programmkino Central) schildert Konrad Wolfs autobiographisch gespeister Streifen „Ich war 19“ (1967/68) die Erlebnisse von Gregor Hecker, der als Leutnant der Roten Armee 1945 in sein ihm fremd gewordenes Heimatland zurückkehrt. Frank Beyers „Spur der Steine“ (1966) mit dem jungen Manfred Krug als unkonventionellem Baubrigadeleiter (6. November, 18.30 Uhr im Programmkino Central) wurde schon kurz nach der Uraufführung verboten. | www.vhs-wuerzburg.info | www.central-programmkino.de ++++++++++++++++++++++++

ueber Mut

6. bis 13. Oktober, 18 Uhr, Cinemaxx Würzburg

und 1950er Jahre von Otto Preminger („Anatomie eines Mordes“ mit James Stewart in der Hauptrolle), Alfred Hitchcock („Der Fall Paradin“ mit Gregory Peck und Charles Laughton), Billy Wilder („Zeugin der Anklage“ abermals mit Laughton, hier mit bzw. gegen Marlene Dietrich und Tyrone Power) und am Donnerstag, in der einzigen Spätvorstellung der Reihe, Wolfgang Staudte („Rosen für den Staatsanwalt“ mit Martin Held, Walter Giller und Ingrid van Bergen). Die Filminitiative Würzburg, die auch das Internationale Filmwochenende veranstaltet, half bei der Auswahl. Der Eintrittspreis (14 Euro) zahlt auch den Rotweinschoppen in der Pause. | www.hofkeller.de ++++++++++++++++++++++++

Leonhard Frank im Film 7. und 9. Oktober, 20 Uhr, Programmkino Central

4. Oktober bis 23. Dezember, Volkshochschule, Galerie im Flur

Guilty or not guilty?

Eine kinogeschichtliche Ausstellung lohnt den Weg in die Münzstraße. Plakate zum Filmschaffen in der DDR zwischen Anpassung und Opposition: Zum Begleitprogramm der vom Wilhelm-Fraenger-Institut

15. bis 17. November, 19 bzw. 22 Uhr, Hofkeller der Residenz

Zwei cineastische Pretiosen im Großformat beschert uns der 50. Todestag des in Würzburg geborenen Schriftstellers Leonhard Frank: Am 7. Oktober den Stummfilm „Heimkehr” mit Gustav Fröhlich, den der aus Österreich stammende Filmregisseur und -produzent Joe May 1928 nach Franks Novelle „Karl und Anna” drehte. Ein Klavierspieler untermalt die Projektion mit passend dramatischen Klängen. Im „Niemandsland“ zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs treffen dann am 9. Oktober unter anderem Ernst Busch, Vladimir Sokoloff und der afroamerikanische Tänzer Louis Douglas (aus Josephine Bakers „Revue nègre“) als verfeindete Soldaten aufeinander – Frank schrieb die Dialoge, Hanns Eisler die Musik für Victor Trivas’ mehrsprachigen Film aus dem Jahr 1931. | www.leonhard-frank-gesellschaft.de

Schwarz oder weiß oder beides heißt es bei den neunten Filmnächten mit Gerichtsdramen der 1940er

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Sehr unterschiedlich sind die Heldengeschichten, die das Tournee-Festival der Aktion Mensch in zehn internationalen Spiel- und Dokumentarfilmen zeigt. Die Katholische Arbeitnehmerbewegung holte die Serie nach Würzburg. Ihre Perspektive: Dem Mutigen gehört die Welt – aber welche?! Entstanden sind die Streifen in den letzten drei Jahren, z. B. (siehe Foto) „Eine flexible Frau“ von Regisseurin Tatjana Turanskyj. Jeweils mit Kurzfilmen als Vorfilme. | www.uebermut.de

Freiheit und Zensur

++++++++++++++++++++++++

KulturGut 07 | Seite

49 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Weiche Sessel, gute Filme Im November jährt sich die Eröffnung des Programmkinos Central zum ersten Mal von Christine Weisner / Foto: Gleb Polovnykov

KulturGut 07 | Seite

50 | Würzburg


+ Überraschende Vorgeschichte: Plötzlich schloss das Corso-Kino, weswegen sich zahlreiche Filmfreunde für die Einrichtung eines Programmkinos ins Zeug legten. Sie gründeten eine Genossenschaft, die Stadt stellte Räume zur Verfügung, die ehrenamtliche Helfer in kurzer Zeit in ein Kino verwandelten. Am 4. November war es dann soweit: In der neu gebauten Vorführkabine ratterte der erste Film durch den 35mm-Projektor. Seitdem läuft der Spielbetrieb mit mindesten zwei Filmen täglich. Das Publikum gewöhnte sich schnell an die harte Schulaula-Bestuhlung, die vom Kino durch ausleihbare Kissen abgemildert wurde. Bereits im ersten Halbjahr übertrafen die Besucherzahlen die Erwartungen. Wie geplant gab es von Anfang an Kooperationen, unter anderem mit dem Mozartfest. Dabei lockte überraschenderweise der Dokumentarfilm „Von Mao bis Mozart“ die meisten Fans ins Kino. Jetzt im Oktober beteiligt sich das Kino an den Aktivitäten anlässlich des 50. Todestags von Leonhard Frank. Natürlich war das Central auch Spielstätte des Würzburger Filmwochenendes. Heidrun Podszus, die Vorsitzende der Kino-Genossenschaft, merkt dazu an: „Wir mögen dieses Festival sehr. Wenn das nicht jahrelang stattgefunden hätte, wäre unser Filmkunstpublikum sicherlich anders beschaffen.“ Ein Festival-Highlight war die Stummfilmkomödie „Ich möchte kein Mann sein“ von Ernst Lubitsch, von Live-Musik begleitet. Ungeachtet der guten Stimmung beim Festival blieben allerdings die Besucherzahlen am neuen Frühjahrstermin hinter denen der Vorjahre zurück.

„Ich hätte anfangs nicht gedacht… … dass sich das wirklich materialisiert und ich bin beeindruckt, wie die Arbeit der Ehrenamtlichen ohne Probleme funktioniert. Jeder fühlt sich verantwortlich und alles entwickelt sich ziemlich demokratisch“, sagt Kinoleiterin Franziska Werbe (Foto). Sie hatte sich zuvor schon in der Filminitiative engagiert und arbeitet beim Central von Beginn an mit. Ihre im Februar eingerichtete 30-Stunden-Stelle ist der erste Arbeitsplatz, den das Central schuf. Abgesehen davon wird nur das Putzen stundenweise bezahlt. Dagegen arbeiten alle Vorstände, Kassen- und Thekenleute, Vorführer, Flyerverteiler, Programmplaner, Renovierungs- und Umbauhelfer ehrenamtlich. Die Struktur, die dabei aufgebaut wurde, entspricht der Arbeitsteilung unter den Vorständen: Heidrun Podszus, von Beruf Filmverleiherin, kümmert sich zusammen mit der Programmgruppe um Auswahl und Bestellung der Filme. Der Architekt Rainer Berger koordiniert und plant Umbauten und Renovierungsmaßnahmen. Gisela Pfannes ist zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit sowie das Erstellen des Programmflyers und das Management der Verteilung durch die Ehrenamtlichen. Bei Thomas Schulz, der unter anderem die Ausbildung der Filmvorführer organisiert, laufen die Fäden im Bereich Technik zusammen. Und für das Finanzwesen zeichnet Vorstandsmitglied Gabriele Weidner verantwortlich. Bald stellte sich heraus, dass die berufstätigen Ehrenamtlichen bestimmte Jobs nur schwer erledigt bekommen. Diese Arbeiten übernimmt jetzt Kinoleiterin Franziska Werbe. So fungiert sie als Ansprechpartnerin für die Speditionen, die die Filme, mal früh am Morgen, mal abends nach der letzten Vorstellung, bringen oder abholen. Daneben erledigt sie alle organisatorischen Arbeiten, kümmert sich um Getränke, Snacks und Eis, Büromaterial, Putzmittel, Werbemittel für Filme, die Weitergabe von Informationen, Abrechnungen und Anleitungen für die Computerkassen. Werbe plant den Putzdienst und greift ein, wenn sich im Schichtplan der rund 40 ehrenamtlichen Kassen- und Thekenleute eine Lücke abzeichnet. Eine Aufgabe konnten die Thekenleute allerdings inzwischen wieder von ihrer Liste streichen: den Kissenverleih. Die neuen weichen Kinosessel sind da und wurden in bewährter Manier mit vereinten Kräften eingebaut. KulturGut 07 | Seite

51 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | B端hne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Wie urban ist diese Stadt? Was macht das Leben in einer Stadt aus? Eine Antwort lautet: Man kann sich leichter als auf dem Land ohne Auto fortbewegen von Christine Weisner / Fotos: Joachim Fildhaut

KulturGut 07 | Seite

52 | W端rzburg


c r a z y H E I M AT sounds

27.

KulturGut 07 | Seite

• HUBERT WINTER QUARTETT • CONFERENCE OF THE BIRDS • KLIMA KALIMA • DUO HAAGER KRAUS • MAMSELL ZAZOU • PETER FULDA GHOST • MARKUS HOLLINGER QUARTETT

Flanieren Für das Leben in einer Stadt kann die Verdichtung sprechen, die für kürzere Wegezeiten und für mehr Strecken sorgt, die man mit dem Fahrrad, dem Nahverkehr oder zu Fuß zurücklegen kann. Für diese Fortbewegungsarten mag sprechen: eine umweltfreundlichere und gesündere Lebensweise, weniger Stress mit Staus und Parkplatzsuche, die Kostenersparnis oder die Absicht, auch dann noch regelmäßig ins Theater oder mit Freunden Essen zu gehen, wenn sich das Autofahren aus Altergründen verbietet. Die autolose Fortbewegung entfaltet darüber hinaus ihre eigenen urbanen Qualitäten. Ulrike Schäfer, Schriftstellerin und Gewinnerin des Würth-Literaturpreises 2010, beschreibt die Gründe, warum sie ihre Wege in Würzburg bevorzugt zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrmitteln zurücklegt, so: „Zufußgehen empfinde ich als große Freiheit. Dabei erlebe ich die Langsamkeit als Zugewinn, denn so kann ich die Stadt und das Leben in ihr mit offenen Sinnen wahrnehmen. Ähnlich ist es, wenn ich mit Bus oder Straßenbahn unterwegs bin, während beim Radfahren in der Stadt oder beim Autofahren meine Aufmerksamkeit durch das Verkehrsgeschehen zu sehr gebunden ist. Zudem verschafft mir das Gehen ganz nebenbei ein gewisses Pensum an Bewegung – Schreiben ist ja eine nahezu reglose Tätigkeit. Und es ist eine einsame Arbeit. Da genieße ich es, zu Fuß in der Stadt unter Menschen und trotzdem für mich zu sein. Beim Laufen kommen mir dann erstaunlich oft Ideen oder Lösungen für das Schreiben, ohne dass ich bewusst daran arbeite.“ Das Flanieren bildet das großstädtische Gegenstück zum ländlichen Spazierengehen im Grünen. Während man bei letzterem die Natur genießt, besteht der Reiz des Flanierens darin, die Stadt mit ihrer Architektur und dem geschäftigen Treiben der Menschen in sich aufzunehmen. Auch für die Interessenvertretungen des Einzelhandels spielt dieser Aspekt eine wichtige Rolle, wobei ihre Definition des Flanierens naturgemäß etwas näher beim Einkaufbummel liegt. Volker Wedde, Bezirksgeschäftsführer des Handelsverbands Bayern, verweist darauf, dass Shopping mittlerweile zu einem Freizeitvergnügen geworden ist, das eng mit dem Bummeln und Schauen verbunden ist. Die Aufenthaltsqualität in der Würzburger Innenstadt schätzt er positiv ein, zumal sich nach seiner Beobachtung das Miteinander von Fußgängern und Straßenbahn in der Fußgängerzone gut eingespielt hat. Auch Dr. Leonard Landois, Geschäftsführer des Stadtmarketings Würzburg macht Spaß e.V., legt großen Wert auf die innerstädtische Aufenthaltsquali-

JAZZFESTIVAL

DER JAZZINITIATIVE WÜRZBURG E.V.

29. & 30. OKT. 2011, 19:00 UHR FELIX-FECHENBACH-HAUS

+ Obwohl die Bevölkerungszahl in Deutschland insgesamt sinkt, gehen die Statistiker davon aus, dass sich für Würzburg die Probleme der Shrinking Cities, der schrumpfenden Städte, nicht stellen werden. Die Zahl von derzeit rund 133 000 Einwohnern soll vielmehr weiter ansteigen. Dabei wird Würzburg nicht etwa durch eine hohe Geburtenrate punkten, sondern Gewinne durch die Binnenwanderung verbuchen. Bereits jetzt ist erkennbar, dass vermehrt ältere Menschen vom Umland nach Würzburg ziehen. Nach wie vor drängt auch das Gros der Studenten in die innerstädtischen Wohnlagen. Seit ungefähr fünf Jahren registriert Oliver Rippstein von der Firma Immobilien-König zudem bei der gehobenen Klientel einen deutlichen Trend hin zum möglichst stadtnahen Wohnen, der sich in den letzten drei Jahren noch weiter verstärkt hat. Im Gegenzug sind Objekte, die über einen Garten und viel Grün verfügen, aber 15 Kilometer außerhalb stehen, nun schwerer zu vermitteln. Die Mehrzahl seiner Interessenten, darunter viele Universitätsprofessoren, Ärzte und andere Akademiker, bevorzugen inzwischen die Innenstadt sowie die zentrumsnahen Stadtteile Frauenland, Sanderau und das Alte Mainviertel. Wichtige Faktoren sind dabei die Nahverkehrsanbindung und eine fußläufige Erreichbarkeit der Innenstadt.

w w w . j a z z i n i - w u e r z b u r g . d e

Theater am Neunerplatz Tel.: 0931- 415 443 www.neunerplatz.de

53 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

tät. Wie Wedde betont allerdings auch er, dass für seinen Verband die Erreichbarkeit Würzburgs mit dem Pkw eine ausgesprochen wichtige Rolle spielt. Die Flanierqualität macht sich für ihn unter anderen daran fest: „Ist dieser Straßenzug eine Rennstrecke oder ist er einladend? Möchte man hier einen Kaffee trinken?“ Die Stadtmarketingleute haben neben dem jährlichen Stadtfest erstmals ein Brunnenfest veranstaltet, denn „Brunnen bieten Flair und machen die Stadt lebenswert“. Auch Landois ist mit der Situation in Würzburg zufrieden, allerdings sieht er in der Kaiserstraße dringenden Handlungsbedarf.

Werbereiter, Müllbehälter, Telefonsäulen In der Tat lässt sich an der Kaiserstraße geradezu exemplarisch aufzeigen, welche Hindernisse sich Flaneuren und eiligen Fußgängern in KulturGut 07 | Seite

den Weg stellen können. In der Dokumentation zum Städtebaulichen Ideenwettbewerb Kaiserstraße, die das Baureferat der Stadt 2008 veröffentlichte, heißt es: „Die schmalen Bürgersteige können den Fußgängerstrom in Richtung Bahnhof bzw. in Richtung Innenstadt kaum fassen. Erschwerend kommt hinzu, dass zahlreiche Stadtmöbel und willkürlich aufgestellte Warenständer das Begehen des Bürgersteigs zu einem schwierigen Hindernislauf werden lassen. Unter der bunten Ansammlung von Stadtmöbeln befinden sich Straßenlampen, die nicht mehr dem Stand der Zeit entsprechen, Bänke, deren Umfeld keinerlei Aufenthaltsqualität bietet, Werbereiter, Müllbehälter, Briefkästen, Telefonsäulen und vieles mehr.“ Die geplante Umgestaltung wurde zunächst jedoch zurückgestellt, weil für die Würzburger Innenstadt zurzeit ein „Integriertes Städtebauliches Entwicklungskonzept“ erarbeitet wird. Es soll unter Beteiligung

54 | Würzburg


der Bürger die vorhandenen Planungen und Konzepte bündeln und als Grundlage für zukünftige Förderanträge dienen. Während in der Innenstadt um das gedeihliche Miteinander von Fußgängern, Radfahrern, Straßenbahnen, Bussen und Pkw erkennbar gerungen wird, ist es ansonsten bei den Themen Fußgängerfreundlichkeit und öffentlicher Nahverkehr in Würzburg recht still. Nur wenn es ums Fahrradfahren geht, kochen manchmal die Emotionen hoch.

Kulturleben jenseits des Ringparks

AUSDRUCKSMALEN

Gelegentlich thematisiert wird zudem die fußläufige Erreichbarkeit des Alten Hafens. Das Areal hat schon jetzt mit Kulturspeicher, Hafensommer, Bockshorn, Arte Noah, Tanzspeicher, BBK-Galerie und CinemaxxKino für Kulturinteressierte eine Menge zu bieten. Künftig soll mit der Frankenhalle, die zunächst als Ausweichspielort für das Mainfranken Theater dienen wird, eine weitere Kulturadresse hinzukommen. Durch den jetzt noch schmalen Fußweg am Main und den Durchgang zwischen Zollamt und Heizkraftwerk gibt es bereits erkennbare Verbesserungen, die vor allen Dingen tagsüber eine gute Alternative zum kombinierten Geh- und Radweg entlang der vierspurigen Veitshöchheimer Straße bieten. Diese Ausfallstraße sorgt andererseits dafür, dass die neue Kulturmeile gut an den Nahverkehr angebunden ist. Allerdings schaffen die verschiedenen Buslinien, die den Kulturspeicher ansteuern, auch eine gewisse Unübersichtlichkeit. Ein eigenes Fahrplanheftchen, das die gesamten Verbindungen zum Alten Hafen übersichtlich zusammenfasst, hält Ulrike Stöcker, Pressesprecherin der WVV, jedoch nicht für erforderlich. Sie verweist auf die Fahrplanauskunft im Internet, wo man sich die Verbindungen für die jeweils geplante Unternehmung zusammenstellen lassen kann. Ebenfalls mit Bus oder Straßenbahn gut erreichbar sind das Museum Shalom Europa, das Siebold-Museum, das Felix-Fechenbach-Stadtteilzentrum in Grombühl sowie die s.Oliver-Arena. Wer allerdings in der Akademie Frankenwarte einen Abendvortrag besuchen oder zu einem der regelmäßig angebotenen Länderabende gehen will, der kann sich zwar noch mit der Buslinie 35 den Berg hinauf befördern lassen, muss sich aber für den nächtlichen Rückweg eine andere Lösung einfallen lassen. Der Fußweg zur Festung Marienberg ist zwar kürzer als der zur Frankenwarte, aber insbesondere für Menschen, die nicht gut zu Fuß sind, recht beschwerlich. Die an der Residenz startende Buslinie 9 schafft hier Abhilfe – allerdings nicht ganzjährig. Dr. Claudia Lichte, die Leiterin des Mainfränkischen Museums, schätzt die Erreichbarkeit der Festung so ein: „Zu den Eigenschaften einer Festung gehört die erschwerte Zugänglichkeit – nur so bot sie Schutz und Verteidigungsmöglichkeiten. Mit dem Mainfränkischen Museum nehmen die Bürger quasi die Festung in Besitz. Damit sie das auch ohne Schwierigkeiten tun können, gilt es, mentale wie geographische Barrieren möglichst umfassend abzubauen. Ein ganzjährig verkehrender Festungsbus wäre ein erster wichtiger Schritt. Noch verkehrt die Linie 9 nur von April bis einschließlich Oktober, und das Mainfränkische Museum ist im Winter wie abgeschnitten von den Besucherströmen.“ Mit Verbesserung ist derzeit nicht zu rechnen. Ulrike Stöcker erläutert, dass die Buslinie Verluste einfährt, weshalb für die WVV eine Ausweitung aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage kommt.

Malen als Spiel mit Farben für Jede-Frau und Jeder-Mann Laien, Nicht-Künstler, Hobby-Künstler und sonstige Mutige dürfen im raum5 den Spaß und die Freude des so ganz anderen Freizeitvergnügens erfahren. Beate Raab Balthasar-Neumann-Promenade 5b, 97070 Würzburg www.raum5-wurzburg.de, info@raum5-wuerzburg.de, Telefon: 0931 45 24 75 06

„Wenn ich an all die Stunden – und allmählich Jahre – denke, die ich durch die Straßen der Welt geschlendert bin, dann hätte ich in dieser Zeit die gesammelten Werke von Hegel und Kant mit der Hand abschreiben können. Statt dessen habe ich ein Buch gelesen, das nie zu Ende geht, ein Buch, dessen Kapitel und Buchstaben aus Gebäuden, Standbildern, Straßen, Autobussen und Menschen bestehen, vor allem vielen Menschen.” Cees Nooteboom: Ein Essay über den Flaneur KulturGut 07 | Seite

55 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Stadt |

|

Termine |

Mainfranken Messe

Versteckte Höhepunkte

Evangelisch in Würzburg

Gut 600 Aussteller – Schwerpunktthema energetisches Bauen und Sanieren. In Halle 1 präsentiert sich die veranstaltende Stadt mit Partnern wie Universität und Fachhochschule samt Medienbühne (Halle 1). Der Länderschwerpunkt liegt auf Afrika (Halle 2), neben der Bühne des BR stellt der Bezirk seine Partnerregion Calvados vor (Halle 10 und 11) und in Halle 23 lockt der Kunsthandwerkermarkt „Arts & Crafts“. Wer sich die Eintrittskarten in den WVV-Kundenzentren holt, bekommt Hin- und Rückfahrt kostenlos dazu. | www.mainfranken-messe.de

Der eineinhalbstündige Gang mit Gästeführer Rudi Held führt zu „Kunst und Architektur am Wegesrand“, so der Untertitel seiner Führung. Der Weg führt über Markt, Dom, Franziskanerkloster und Neubaustraße zu unbekannten Meisterwerken

Die Führung beginnt bei der Wiederaufbau-Kirche par excellence. Danach spazieren die Teilnehmer mit der Romanistin Prof. Dr. Maike Hansen zur Dekanatskirche St. Stephan, der ersten evangelischen Kirche in Würzburg.

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Dachlandschaften

Tod aus der Luft

Ob Zink-, Glas-, Tonziegel-, Solar- oder Gründach – in ihrer Summe bilden Dächer die Landschaft einer Stadt. Fünf deutsche Industriefirmen haben sich zu einem Verbund zusammengeschlossen und stellen Planern und Architekten, aber auch Bauausführenden und -herren einschlägige Lösungen vor. Noch vor Technikdetails will das Seminar neue Gestaltungsmöglichkeiten zeigen. | www.dachlandschaften.com

Immer noch schnell hochemotional wird die Diskussion, wenn es um die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg geht. Das zeigten auch die Debatten um die Neugestaltung des Würzburger Gedenkraums im Rathaus. Der Jenaer Historiker Dietmar Süß plädiert beim Literarischen Herbst für eine sachlichere Auseinandersetzung. Für ihn ist die Frage, ob der Luftkrieg als Kriegsverbrechen zu werten ist, eine Sackgasse, die meist nur die gegenseitigen Vorwürfe der einstigen Kriegsgegner reproduziert. Er betrachtet den Luftkrieg erst einmal als eine spezifische Form von Gewalt moderner Gesellschaften im 20. Jahrhundert und konzentriert sich dann auf die Frage, wie und warum unterschiedliche politische Systeme – hie britische Demokratie, dort nationalsozialistische Diktatur – zu einer unterschiedlichen herrschafts-, kultur- und erfahrungsgeschichtlichen Bewältigung der traumatischen Bombardierungserfahrungen beitragen. Das 720 Seiten starke Buch kann die Wunden nicht schließen – aber erklären, warum sie auch nach 1945 immer wieder aufreißen. | www.stadtbuecherei-wuerzburg.de

1. bis 9. Oktober, Talavera-Wiesen

++++++++++++++++++++++++

Würzburger Residenznacht 1. Oktober, 19 Uhr, Residenz

Auch das Martin von Wagner-Museum ist wieder mit dabei: zum elften Mal lädt die Schloss- und Gartenverwaltung mit einer kulturell-kulinarischen Mischung zum großen Fest. | www.residenz-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Hinter Klostermauern

ab 4. Oktober, 16 Uhr, versch. Orte Einen Eindruck vom heutigen Leben hinter Klostermauern vermittelt die Führungsreihe vom MatthiasEhrenfried-Haus: eineinhalbstündige Besuche bei den Claretiner-Missionaren in der Wölffelstraße (4. Oktober, 16 Uhr), im Augustinerkloster am Dominikanerplatz (8. November, 15.30 Uhr) und im Mutterhaus der Rita-Schwestern in der Friedrich-Spee-Straße (29. November, 16 Uhr). Treffpunkt ist immer die Klosterpforte und eine vorherige Anmeldung obligat. | www.me-haus.de

17. Oktober, 15 Uhr, Vierröhrenbrunnen

25. Oktober, 13-18 Uhr, Festung, Hofstuben Tagungszentrum

++++++++++++++++++++++++

Bürgerwerkstatt Dialog Erinnerungskultur

29. Oktober, 11 Uhr, versch. Orte Stadtentwicklung im Spiegel der bayerischen Geschichte, Erinnerungsrituale im Wandel, die Shoa im Stadtgedächtnis oder die Vergangenheit und Zukunft des „Kulturorts” Mozart-Areal – damit befassen sich interessierte Laien und Fachleute aus Forschung und Kulturvermittlung auf Exkursionen und ab 14 Uhr bei einer gemeinsamen Veranstaltung im Rathaus. Das Programm liegt ab Ende September in Kultureinrichtungen aus. | www.wuerzburg.de/de/kultur-bildung | www.kulturplan.com KulturGut 07 | Seite

56 | Würzburg

30. Oktober, 15 Uhr, St. Johannis

31. Oktober, 20 Uhr, Stadtbücherei im Falkenhaus

++++++++++++++++++++++++


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Wissenschaft |

|

30 Jahre Universitätsbibliothek am Hubland Zwischen Dachsanierung und Modernisierung der Sicherheitstechnik feierte die Zentralbibliothek ihren 30. Geburtstag am Standort Hubland – im Juli 1981 wurde der Neubau auf dem Campus-Gelände offiziell eröffnet. Dank weitsichtiger Konzeption konnte der Alexander-von-Branca-Bau bibliothekstechnische Fortschritte, verdoppelte Studierendenzahlen und den Funktionswandel zur „Bibliothek als Lernort“ problemlos verkraften. Eine kleine Online-DauerFoto-Ausstellung dokumentiert die Anfänge. | www.bibliothek.uni-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Hinterglaskunst

7. bis 8. Oktober, Residenz Experten aus Deutschland, Tschechien, Russland und Frankreich referieren in deutscher Sprache über verschiedene Aspekte der Hinterglasmalerei. Der Ort wurde vom veranstaltenden Institut für Kunstgeschichte natürlich bewusst gewählt, verfügt er doch mit dem restaurierten Spiegelkabinett über ein raumgreifendes Musterbeispiel. Zur Tagung und bis Ende Oktober zeigt die Graphische Sammlung des Martin von Wagner-Museums eine Sonderausstellung mit Hinterglaswerken von Hella und Wolfgang Lenz (Würzburg) sowie von Fride Wirtl-Walser (Peiting). | www.kunstgeschichte.uni-wuerzburg.de

Termine |

Spohr am Samstag auch eine deutsche Erstaufführung des Requiems Boris Pigovats bereit hält. Am 14. Oktober steht die Musikpädagogik im Mittelpunkt, ein Vortrag gilt dem Violinpädagogen Egon Saßmannshaus, der als Direktor der Würzburger Sing- und Musikschule, vor allem aber mit seinen Streicherschulen Generationen von Kindern zur Musik führte. Ausgesprochen prominente Musikschulen sind die geistigen Heimstätten einiger Dozenten. Für Studierende bieten Thomas Riebl (Mozarteum Salzburg), Samuel Rhodes (Julliard School, New York) und Jutta Puchhammer (Montreal) Meisterklassen und Reinhard Gagel (Köln) Improvisations-Workshops an, am Samstag werden die Preisträger des Walter-WitteKompositionswettbewerbs präsentiert. Eine Ausstellung von Geigenbauern und Bogenmachern gibt Gelegenheit zum Fachsimpeln und Ausprobieren. | www.viola-gesellschaft.de ++++++++++++++++++++++++

Bio Bang

19. und 20. Oktober, Rudolf-Virchow-Institut

12. bis 15. Oktober, Hochschule für Musik

Die explosionsartig wachsende Bedeutung ihres eigenen Fachbereichs thematisieren Studenten der „Graduate School of Life Sciences” der Universität bei einem internationalen Symposium. Das RudolfVirchow-Institut als DFG-Forschungszentrum für Experimentelle Biomedizin bietet damit seinen Doktoranden und den Teilnehmern weiterer biomedizinischer Graduiertenkollegs und Sonderforschungsbereiche die Möglichkeiten, sich frühzeitig in der Welt der Wissenschaft zu bewegen. | www.student-symposium. graduateschools.uni-wuerzburg.de

Bratschisten aus aller Welt treffen sich zu Konzerten, von denen das Abschlusskonzert der Camerata Louis

++++++++++++++++++++++++

++++++++++++++++++++++++

Viola-Kongress

KulturGut 07 | Seite

57 | Würzburg

Höllenfahrten

25. Oktober, 19.30 Uhr, Neue Universität am Sanderring Ägypter und Griechen kannten Unterweltsfahrten, das Mittelalter sowieso und bis heute erfreut sich das Thema erstaunlicher Beliebtheit. Warum? An zwölf Dienstagabenden stellt die Ringvorlesung die vielfältigen Niederschläge in Kunst und Literatur vor, fragt nach den Ursachen der Popularität und der archetypischen Funktion dieser Anderwelten. Altertumswissenschaftler, Philologen, Kunsthistoriker, Theologen und ein Mediziner kommen zu Wort. Den Anfang macht, dem chronologischen Aufbau der Reihe entsprechend, der Ägyptologe Martin Stadler mit seinem Vortrag über „Elysische Gefilde und Orte der Schrecknisse“ in den Reiseerlebnissen des altägytischen Sonnengotts. | www.germanistik.uni-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Wandlungen des Würzburger Bischofsgrabmals 26. Oktober, 19.30 Uhr, Handwerkskammer für Unterfranken

Quantität und Qualität seiner Bischofsgrabmäler zeichnen den Würzburger Dom aus. Im Original sind sie wegen des Umbaus derzeit nicht zu sehen, aber im Fokus der Wissenschaft: Aus kunst- wie profangeschichtlicher Perspektive betrachtet und interpretiert der Würzburger Kunsthistoriker Prof. Stefan Kummer die Reihe der Epitaphe von Gottfried von Spitzenberg (gest. 1190) bis Georg Anton von Stahl (gest. 1870) mit Blick auf zeittypische Besonderheiten und deren Wandlungen. | www.frankenbund-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Was dachten sich die alten Ägypter? Glauben vor 2300 Jahren: Die Ausstellung „Kult Orte“ in der Würzburger Residenz versucht in Köpfe zu blicken von Joachim Fildhaut

+ Der Laie sieht sofort Dreiecke vor seinem geistigen Auge. Der Ägyptologe verbessert freundlich, aber sachlich: „Pyramiden waren keine Kultorte, sondern nur Königsgräber.“ Freilich konzediert PD Dr. Martin Stadler, den Pharaonen habe man auch göttliche Funktionen zugeschrieben, aber Kultorte seien nicht deren Mausoleen, sondern die Tempel in der Nachbarschaft der Pyramiden gewesen. Das macht die Tempel von Gizeh für die Wissenschaft nicht automatisch zu den interessantesten. Der Würzburger Forscher beispielsweise konzentriert sich auf Dime. In hellenistischer Zeit lag der Ort am Rand eines Sees in einer Oasenlandschaft, einem Gemüseanbauzentrum des Reichs. Heute steht der Tempel dieses ehedem florierenden Wirtschaftsstandorts in der Wüste; dank des trockenen Klimas blieben die vielen Papyri des Dime-Tempels hervorragend erhalten. Dass sie heute auf Paris, London, Wien und Berlin verteilt sind, gehört zum Standardschicksal der Forschungsgemeinschaft. Martin Stadler bekommt hervorragende fotographische Ablichtungen der Dokumente: „Nur wenn Stellen ganz problematisch sind, reise ich zum Original und hoffe, dass ich die Fragen da entscheiden kann.“

Lebensgefahr in Gesangbüchern Was Stadler dann entscheiden muss, sind Feinheiten der Hymnendichtung. Er beschäftigt sich mit der Edition und Kommentierung von Schriften voller Götteranrufungen. Während er in seinem ägyptologischen Arbeitsraum sitzt – der wie das ganze Institut abenteuerlich genug in den ersten Stock des Residenz-Südflügels eingebaut ist –, evoziert er in druckreifen Sätzen eine kulturgeschichtliche Struktur, in der das Stichwort „Götteranrufung“ tief staunen und keinesfalls abwinken lässt: nordostafrikanische Gesangbücher, geschenkt... Denn was hatte der Ägypter vor 2000 Jahren mitzuteilen, wenn er in den Tempel schritt? „Wer den Wohnort der Götter betrat, musste deutlich machen, dass das in wohlwollender Absicht geschah“, erläutert Martin Stadler die brisante Berufssituation, in der sich die Theologen seinerzeit befanden. Um die Herrschaft im Allerheiligsten nicht zu erzürnen, legitimierte sich der Eindringling mit poetischen Vergleichen zwischen dem Tempel in seinem unmittelbaren Umfeld und dem Weltgebäude, zwischen sich selbst und den Göttern: eine gute diplomatische Grundlage für die Rituale, denen wiederum eine aufdringliche menschliche Übergriffigkeit innewohnte. Schließlich gehörte es zur Verrichtung, Götterstatuen zu entkleiden, um sie salben und dann mit einem neuen textilen Opfer verhüllen zu können. Diese Vorgänge sind nicht nur Thema der Textkritik am ägyptologischen Institut. Der Besucher soll sie auch sinnlich nachvollziehen können, wenn er ab 20. Oktober den Flur der Antikensammlung durchschreitet. Dem Innersten eines ägyptischen Tempels widmet das Martin von Wagner-Museum dann den leergeräumten und umgestalKulturGut 07 | Seite

teten Kuppelsaal: die aufwändigste hiesige Sonderausstellung bisher. Ein Design-Student, mehrfacher Preisträger einschlägiger Wettbewerbe, gestaltete mit der Expositionsarchitektur seine Diplomarbeit. Sein Werk soll die dreidimensionale Erfahrung eines Tempelinneren möglich machen. Noch ambitionierter als die Ausstellungsarchitektur ist der Anspruch von „Kult Orte“. Zwar organisierten Museen seit jeher Schauen über Archäologie und Architektur einzelner Tempel, aber laut Stadler wurde „weltweit noch nie der Tempel als Gedankenwelt, als Identifikationspunkt und kulturprägende Institution in einer Ausstellung thematisiert“.

Echte Ptolemäer Und: Die Schau setzt Maßstäbe mit den Originalen. Aus Stuttgart, Tübingen und dem eigenen Magazin stammen die rund 100 Stücke – und vorwiegend aus der ptolemäisch-römischen Zeit von 300 vor bis 200 nach Christus. Die Exponate sind keineswegs sämtlich sakrale Kunst. Dr. Carolin Arlt erforscht die wirtschaftlichen Aspekte des Dime-Tempels, bei dem etliche Handwerksbetriebe siedelten. Die stellten Salbgefäße her, Statuen, und es florierte das Alltagsleben rings um das religiöse Zentrum. Denn hier wurden Priester ausgebildet, man archivierte die Schriften, kopierte und überarbeitete sie. An den Schulen standen neben der Religion auch Heilkunde, Astronomie und Mathe auf dem Lehrplan. Wer damit befasst war, wollten leben. Für die ökonomische Kraft solcher Einrichtungen gibt der thebanische AmunTempel ein überzeugendes Beispiel: Er war der größte Grundbesitzer im Nilreich. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert mehrere Projekte zur Erforschung dieser Welten.

Eine Bibliothek aus Stein Würzburgs Kooperationspartner in Tübingen verfolgen einen literaturwissenschaftlich spezialisierten Ansatz. Ihnen geht es um die „Tempel als Kanon der ägyptischen Literatur“. Denn die Tempel – im Gegensatz zu den Pyramiden von Gizeh – sind meist über und über mit Hieroglyphen versehen. Allein die Transkription der Anlage von Edfou füllt 18 Folianten. Hier sind die Schwaben recht fortgeschritten. Letztlich wollen sie sämtliche Tempel vergleichen. In Tübingen konzipierte Daniel von Recklinghausen die Würzburger Ausstellung mit. Alle Kuratoren bringen ihre neuen Erkenntnisse auch in die Lehre ein. „Kult Orte“ ist nicht die erste innovative Ausstellung, an der Dr. Martin Stadler mitarbeitet. Vor vier Jahren organisierte er „Wege ins Jenseits“, deren Exponate im riesigen Paradies-Environment des Museums am Dom mit Gegenwartskunst in Dialog traten. Die damalige Besucherzahl von 25.000 möchte Stadler gern wieder reißen. Verdient hätten die vereinten Bemühungen den Erfolg.

58 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

In Stiergestalt erschien Ptah den Menschen. Allerdings zählten ihn nur die Theologen von Memphis zu den höchsten Göttern.

Horus-Tempel von Edfou: Die Würzburger Ausstellung „Kult Orte“ will für fünf Euro Eintritt Ersatz bieten – wem eine Reise nach Ägypten zu teuer oder derzeit politisch zu unsicher ist.

INFO: Kult Orte. Mythen, Wissenschaft und Alltag in den Tempeln Ägyptens. 20. Oktober bis 11. Februar 2012 im Martin-von-Wagner-Museum, Südflügel der Residenz. Dienstag bis Samstag 13.30 bis 17 Uhr, Sonntag 10 bis 13.30 Uhr. Gruppenführungen nach Anmeldung, Telefon (0931) 3182866. Termine für öffentliche Führungen | www.aegyptologie.uni-wuerzburg.de/tempel

Ort einsamer Opfer: In Tempeln wie dem von Dendera übernahm der Priester die Rolle des Pharao. Theoretisch hätte höchstens der gottgleiche König hier reingedurft. KulturGut 07 | Seite

59 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Wo sich das Leben entscheidet AndersOrte: Wie aus einem Ortswechsel der Katholischen Akademie Domschule eine Veranstaltungsreihe wird von Dr. Rainer Dvorak

+ Kennen Sie ein lauschiges Plätzchen, an dem Sie sich gern aufhalten? Einen Ort mit einem gewissen Etwas, der Sie magisch anzieht, weil Sie das Gefühl haben, dass dort einfach alles stimmt? An dem Sie sich sicher und geborgen fühlen und am liebsten für immer bleiben würden – Ihre Oase für die Sinne, für Leib und Seele, an der Sie immer wieder auftanken? Orte haben elementare Bedeutung für den Menschen. Der Lieblingsplatz in den eigenen vier Wänden, ein echtes Zuhause, das Urlaubsparadies oder der religiöse Gnadenort sprechen für diese Behauptung. Besonders aber das Gefühl, am falschen Ort zu sein, legt diesen Zusammenhang schlagartig offen. Wenn der Stau auf der Autobahn immer endloser erscheint oder bei einer Begegnung zwischen Menschen etwas derart Peinliches passiert, dass man sich ins nächste Mauseloch wünscht. Es ist eben nicht egal, wo man gerade ist. Wer schon einmal einen Hagelschauer auf freiem Feld erlebt hat, weiß das. Menschsein heißt: an einem bestimmten Ort sein. Wenn der Mensch sich selbst vorfindet und als existierend erfährt, dann immer an einem bestimmten Ort in dieser Welt. Freilich können Menschen ihren Standort auch wechseln. Sie müssen sich dazu bewegen. Dafür nehmen sie Zeit in Anspruch. Aber sie können zu einer bestimmten Zeit immer nur an einem bestimmten Ort sein. Selbst Menschen mit einem ausgeprägten Doppelleben haben dagegen noch kein Mittel gefunden.

Machtvolle Orte Orte zu verlassen kostet Zeit und Kraft, kann aber belebend sein. Das bekommen Menschen nicht erst zu spüren, wenn sie die Kisten für einen Umzug packen oder eine „neue Position“ antreten. In arge Bedrängnis kann kommen, wer seinen Standpunkt in einer Diskussion ändert. Fast scheint es so, als könnten sich Menschen viel leichter durch verschiedene Zeitebenen bewegen als ihren Ort wechseln. Sie können sich an etwas erinnern oder etwas erwarten, auf Traditionen verpflichtet oder auf Ziele fixiert werden. Dafür müssen sie noch nicht einmal den Raum wechseln. Menschen können Orte und Zeiten wechseln – der Relativität ihrer raum-zeitlichen Existenz können sie unter irdischen Bedingungen aber nicht entfliehen. Erst wenn sie tot sind, sind sie „nicht mehr da“. Orte sind soziale Größen. Überall, wo ein Individuum Raum für sich einnimmt und seinen Lebensraum beansprucht, haben andere Menschen sofort eine Bedeutung. Jeder Vater mit zwei pubertierenden KulturGut 07 | Seite

Töchtern, aber nur einem Badezimmer, weiß frühmorgens davon ein Lied zu singen. Totalitäre Regime verweigern Oppositionellen den Zugang zu öffentlichen Plätzen, lassen sie nicht vor die Kamera und ins Internet oder verunmöglichen mit Stacheldraht die Ausreise, wenn sie sie nicht einfach wegsperren. In Würzburg ist mit dem durch den Abzug der US-amerikanischen Streitkräfte freigewordenen Areal innerhalb der Stadt die soziale Qualität von Räumen unübersehbar geworden. Dass die Konversion dieses Geländes mit konstitutiver Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geschieht, ist schon deshalb eine konsequente und der Sache angemessene Entscheidung. Das feine Gespür für öffentliche Räume zeigt sich in dieser Stadt aber auch – Stichwort „Skulpturenweg“ – im Ringen der Verantwortlichen um die Gestaltung des Kulturareals am Alten Hafen.

„Andersorte“ Orte schenken tiefe Einblicke. An markanten Orten kann man große Entwicklungen der Geschichte festmachen. Im Gefüge des vergangenen Jahrhunderts stehen Verdun und Versailles, Auschwitz und Hiroshima oder das Brandenburger Tor für diese Einsicht. An bestimmten Orten lassen sich aber auch die feinen Unterschiede festmachen, die in Gesellschaften gelten. In New York ist es eben ein feiner Unterschied, ob man in Manhattan oder in der Bronx wohnt. Orte legen offen, wie Gesellschaften funktionieren und welchen Regeln sie unterliegen. Der Laufsteg und das Siegertreppchen, der Altarraum und die Wall Street sind nicht irgendwelche Plätze, sondern machtvolle Orte. Es gibt Orte, an denen Menschen ganz bestimmten elementaren Fragen nicht ausweichen können. Sie sind – nach dem französischen Philosophen Michel Foucault – „Orte außerhalb der Orte“, „Anders-Orte“ oder Heterotopien, die die herrschenden Regeln einer Gesellschaft entweder repräsentieren und auf den Punkt bringen oder unterlaufen und bestreiten – oder beides zugleich. An solchen Orten blickt die Gesellschaft in einen Spiegel. Sie bekommt gezeigt, wie sie ist und nach welchen Regeln sie funktioniert. Anders-Orte prägen ein bestimmtes Thema, über das aber in aller Regel nicht bereitwillig und offen, sondern eher verschämt gesprochen wird. Der Friedhof beispielsweise ist solch ein Ort. Hier liegen die Toten. Sie zeigen, dass es mit dem Leben ganz schnell zu Ende sein kann. Und wenn dann noch bei einer Beerdigung für die Person aus dem Kreis der Trauernden gebetet wird, die als nächstes sterben wird, dann kann

60 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

der Mensch der elementaren Frage nicht mehr ausweichen, die an diesem Ort laut wird, nämlich der Frage nach der eigenen Endlichkeit, nach der Begrenzung und deshalb nach der Gestaltung seiner Lebenszeit, nach seinem Sterben und seiner Hoffnung. Gefängnis und Kreißsaal, Kino und Psychiatrie, Schlachthof, Finanzamt und Autobahn oder einfach nur ein Garten oder der Wald sind solche Andersorte. An ihnen entscheidet sich das Leben. „Andersorte“ gibt es selbstverständlich auch in Würzburg. Gemeint sind damit nicht die lauschigen Plätzchen oder die anheimelnden Orte, die diese Stadt in außergewöhnlicher Fülle zu bieten hat. Zu den Andersorten in Würzburg gehört aus Sicht einer Katholischen Akademie beispielsweise der Ratssaal der Stadt. In ihm wird debattiert und über die Belange dieser Stadt gestritten, demokratisch abgestimmt und – in aller Regel öffentlich – entschieden. Für die Stadt und das Zusammenleben der Menschen in ihr ist der Ratssaal ein Ort mit herausragender Bedeutung. Hier ereignen sich Freiheit und demokratische Legitimation, erhält bürgerschaftliches Engagement seine Pointe, geschieht „Stadt“. „AndersOrte“ – so lautet eine neue Veranstaltungsreihe der Katholischen Akademie Domschule, mit der wir Menschen mit solchen Andersorten in Kontakt bringen wollen. Interessierte sind herzlich eingeladen, an diese Orte der besonderen Art zu gehen und sich den Themen zu stellen, die mit diesen Orten unausweichlich verbunden sind. Bei solchen Ortsbegehungen reflektieren und diskutieren sie über die Fragen, die an diesen Orten in der Luft liegen, und kommen so der Bedeutung dieser Orte auf die Spur.

Eine neue Veranstaltungsreihe Wie wir auf diese Idee gekommen sind, ist schnell erzählt. Ab Herbst 2011 wird das St. Burkardus-Haus, in dem die Katholische Akademie Domschule ihren Sitz hat, einer grundlegenden Sanierung unterzogen. Seine Pforten hat es bereits geschlossen. Es steht uns für einen Zeitraum von gut zwei Jahren nicht zur Verfügung. Während wir mit unseren Büros vorübergehend im Priesterseminar Unterschlupf finden, fehlt unserer Arbeit als Akademie ab sofort das Herzstück: ein fester Ort. Wir haben keinen Saal und keine Gruppenräume mehr. So ist die Idee entstanden, diese besondere Situation während der Umbauzeit, in der wir auf andere Orte für unsere Veranstaltungen und für unser Arbeiten angewiesen sind, zum Programm zu erheben. KulturGut 07 | Seite

Der Blick auf den so genannten Spatial Turn in den Sozialwissenschaften, in der Geographie und Archäologie hat uns in unserer Unternehmungslust bestärkt. Hier ist auf wissenschaftlichem Plateau in mehreren Schüben die Bedeutung ans Licht getreten, die bestimmten Orten zukommt, gekoppelt mit einer geistesgeschichtlichen Verschiebung: Wer oder was jemand ist, soll jetzt nachrangig sein gegenüber der Frage, wo jemand zu finden ist. Von dieser Behauptung im Allgemeinen und von den Überlegungen des französischen Philosophen Michel Foucault zu den Heterotopien im Besonderen – er hat den Begriff „Anders-Ort“ geprägt – haben wir uns für unser Vorhaben anregen lassen.

An fremden Türen Mit diesem Rüstzeug im Gepäck haben wir an die Türen Würzburger Andersorte geklopft. Die Freude derer, die sich für gewöhnlich hinter diesen Türen aufhalten, über unser Interesse an ihrem Ort überwand rasch die gerunzelte Stirn und den skeptischen Blick; diese Mimik wich der Lust, etwas von dem, was diesen Ort ausmacht, zu erzählen. Was das ist, müssen wir als Veranstalter uns ja von denen sagen lassen, die dort leben und arbeiten. Dass sie es bereitwillig getan haben und den Menschen in Würzburg jetzt Tür und Tor öffnen – dafür sind wir ihnen sehr dankbar! Was das alles mit einer Katholischen Akademie zu tun hat, liegt vielleicht nicht sofort auf der Hand. Doch den Spatial Turn gibt es auch in der Theologie. Für sie hat ihn vor allem Hans-Joachim Sander, katholischer Theologe in Salzburg und eine Art intellektueller Gewährsmann für unsere Veranstaltungsreihe, fruchtbar gemacht. Von den Andersorten aus eröffnet sich ein neuer Blick nicht nur auf die Kirche, sondern auch auf die Frage, wo Gott ist. Sie sind herzlich dazu eingeladen!

INFO: Auftaktveranstaltung „Debattieren und Entscheiden. Der Ratssaal als Ort demokratischer Legitimation“ am 11. Oktober, 18 Uhr im Ratssaal mit Oberbürgermeister Georg Rosenthal und dem Theologen Prof. Hans-Joachim Sander (Salzburg). Eintritt frei, Anmeldung Telefon (0931) 38664500, E-Mail: anmeldung@domschule-wuerzburg.de

61 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Sprühlack auf Beton, Rollen auf Asphalt Die Straßenkunst von Skatern und Sprayern von Christian Neubert / Fotos: Gleb Polovnykov

KulturGut 07 | Seite

62 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

+ Seit der Künstler Banksy die internationale Szene aufmischt, wissen auch Museumsgänger: In den Ausdrucksformen, die der Begriff Street-Art zusammenfasst, ist wirklich Kunst zu entdecken. Die Stadt Würzburg nahm diesbezüglich durchaus eine progressive Haltung ein, indem sie jüngst der Street-Artistin Manou Wahler den Preis für junge Kultur verlieh. Ein begrüßenswerter Umstand – aber auch ein bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass Street-Art als Kunst im öffentlichen Raum eigentlich anonym sein will. Eine recht ursprüngliche Ausdrucksform der Street-Art sind Graffiti. Max und Rode nennen sich zwei Würzburger Sprayer, die sich dieser Kunst schon seit langem verschrieben haben: „Ich habe 1994 angefangen, Max ist bereits seit 1986 dabei“, berichtet Rode, wobei Max sofort einlenkt, dass bei dem, was die beiden machen, eigentlich nicht von Graffiti im eigentlichen Sinn gesprochen werden darf. „Immerhin steht der Begriff für illegales, kriminalisiertes Bombing. Die Werke, die wir als Auftragsarbeiten oder auf legalen Flächen schaffen, erlauben eine ganz andere Arbeitsweise und sind entsprechend eher als Spraycan-Art zu bezeichnen.“

Ein Treffen mit zwei Veteranen Angefixt wurden die beiden Würzburger, die allein oder gemeinsam bereits in Städten wie Hamburg, München, Budapest oder Barcelona gesprüht haben, als sie die Pieces anderer Writer vom Zugfenster aus erblickten. Anfangs machten sie vorwiegend sogenanntes Stylewriting, Gemälde aus kunstvoll arrangierten Buchstaben. Nach und nach wandten sich die beiden dann dem figürlichen Malen zu. Denn sie wollten den jeweils eigenen Stil erweitern, und vor allem sollten ihre Werke als Teil des öffentlichen Raumes viele Menschen ansprechen. „Kunstvolles Stylewriting schätze ich nach wie vor sehr, doch leider gibt es kaum jemanden, der diese Bilder mit den abstrakt verschachtelten Buchstaben lesen kann“, erklärt Rode. KulturGut 07 | Seite

Aber nicht nur stilistisch hat sich seit den Anfangstagen der beiden als Graffiti-Künstler viel getan. „Zum Sprühen unterschiedlich dicker Linien kann man inzwischen verschiedene Sprühköpfe wie Fatcaps oder Skinnycaps kaufen. Wir haben damals noch die Sprühköpfe der Dosen manipulieren müssen, um diese Effekte zu erzielen“, erinnert sich Max.

Das Team als Urheber Die Würzburger Szene finden sie „eher überschaubar“. Es gab Zeiten, in denen es mehr Aktivisten gab und auch mehr Austausch stattfand. „Man muss aber auch sehen, dass wir und die Leute, mit denen wir arbeiten und gearbeitet haben, schlicht älter geworden sind. So wie wir haben die meisten unserer Sprüherkollegen in irgendeiner Form die Kunst zum Beruf gemacht, weswegen man z. B. nur noch selten dazu kommt, gemeinsam eine große Fläche nach einem bestimmten Konzept zu bemalen.“ Dass dies trotzdem immer wieder geschieht, ist erstaunlich genug: Kaum eine Form der bildenden Kunst kennt mehr als einen Urheber. Beim kollektiven Gestalten einer großen Fläche stehen sich allerdings oft die Egos der Beteiligten im Weg – ein Umstand, an dem der CrewGedanke, der die Graffiti-Szene vieler Städte prägt, bisweilen scheitert. Daher sind Rode und Max froh, im jeweils anderen nicht nur einen guten Freund gefunden zu haben, sondern auch einen Partner, mit dem sie sich beim Arbeiten hervorragend ergänzen und blind verstehen: „Dass wir im Team gut funktionieren, liegt daran, dass wir mehr sind als eine Zweckgemeinschaft, die sich lediglich auf die Vorliebe für ein gemeinsames Medium beschränkt.“ So wünschen beide, dass die Städte mehr Flächen zum Bemalen freigeben: „Es gibt keinen Grund, Unterführungen und ähnliches nicht mit bunter Farbe gestalten zu dürfen, während dort nach und nach der graue Putz abbröckelt.“

63 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

Artisten auf dem Rollbrett Bewegte Linien in der Senkrechten – Graffiti. Waagerecht hingegen – Pflastermalerei? Nein, Street-Art auf dem Asphalt wird von Skatern ausgeübt, ist bewegte Kunst. Oder Sport? Jedenfalls bildet die Szene ein kulturelles Phänomen. Anhänger trifft man geballt, wenn man die städtischen Skate-Parks aufsucht, wo sie an ihren Tricks feilen, die technisch mitunter so anspruchsvoll sind, dass man den Eindruck bekommen könnte, man habe es mit Stuntmen zu tun. Einen Skate-Park von passabler Größe finden sie in Würzburg allerdings nicht. Manche Stadtteile haben zwar eigene, kleine Anlagen, aber die Möglichkeiten darin genügen den Fortgeschrittenen nicht. Das rief einige Würzburger Aktivisten auf den Plan, einen Verein zu gründen. „In Skater-Kreisen sind Vereine zwar weitestgehend unpopulär“, erklärt Emanuel Thurneysen, Vorstand vom Skatepark Würzburg e.V. Der Individualismus der Skater rührt mit von ihrer Do-it-yourselfAttitüde. Sie sind es gewohnt, lokale und regionale Events eigenständig aus der Taufe zu heben. „Aber wenn man auf städtischer Ebene etwas in der Größenordnung, in der wir uns den Park vorstellen, bewegen will, dann funktioniert es eben nicht, wenn man als Privatperson seine Wünsche vorträgt. Immerhin hängt an so einem Projekt ein gewaltiger Rattenschwanz an behördlichem Aufwand.“ Kurz nach seiner Gründung widerfuhr dem Verein dann auch gleich eine glückliche Fügung: Tobias Rödl, Vereinsmitglied der ersten Stunde und Redakteur beim Szene-Magazin „Playboard“, engagiert sich schon seit längerem für ein Projekt des kommunalen Fachbereichs Jugend und Familie. Durch dieses Ehrenamt erfuhr er vom geplanten Abriss des alten Waschplatzes in den Zellerauer Mainwiesen – und von den Gesprächen, dass dort stattdessen ein Skate-Park realisiert werden könnte. Schnell stellte der Verein die nötigen Kontakte her, um sein Anliegen dem Stadtrat vorzutragen. Dort stand man dem Projekt anfangs zwar ein wenig skeptisch gegenüber, „aber die Skepsis war bald verflogen. KulturGut 07 | Seite

Im Gegenteil: die Stadt war schnell Feuer und Flamme von der Idee. Die Motivation war von allen Seiten sehr groß“, erinnern sich Thurneysen und Rödl. „Auch nachdem die Länderförderung gekappt wurde, zeigten sich alle beteiligten Ämter sehr gesprächsbereit. Man hat sich wirklich mit Nachdruck für uns eingesetzt.“

Glückliche Fügung für ein großes Projekt Für die Realisation des geplanten Skate-Parks wird die Schweizer Firma Bowl Constructions AG zuständig sein. Den Kontakt mit diesem Unternehmen hat ebenfalls Tobias Rödl hergestellt. „Die haben auch die großen Anlagen in München und Ravensburg gebaut, die bundesweit wirklich jeder Skater kennt. Es war uns aber auch wichtig, die Planung von Anfang an zu begleiten.“ Inspiriert von Skate-Videos haben die beiden besondere Obstacles ersonnen, die nun in den Park integriert werden. „Was da bald am Mainufer gebaut wird, ist einzigartig in der BRD!“ Doch auch der soziale Aspekt soll nicht zu kurz kommen: Eingebettet zwischen Spiel- und Grillplatz entsteht in der Zellerau ein Areal, das jeden ansprechen soll. Emanuel Thurneysen betont: „Als Familienvater war mir das ein wichtiges Anliegen – und dass der Park für Skater aller Altersklassen, für alle Niveaus attraktiv ist.“ Apropos Niveau: Im sportlich-artistischen Umgang mit dem Board bewege sich die Würzburger Szene auf einem vergleichsweise hohem Level, meinen die beiden: „Dass wir den ganzen behördlichen Beistand erfahren haben, liegt sicher auch daran, dass die Würzburger Skater eher durch sportlichen Ehrgeiz auffallen als durch Vandalismus, der der Szene gern nachgesagt wird.“ Entsprechend sind die beiden Szene-Aktivisten froh über die Anlage im Stadtgebiet. Andernorts werden Skater gern in die Randbezirke abgeschoben. Und das sehr zu Unrecht, wollen die beiden richtig stellen: „Die Skate-Kultur lebt doch gerade durch ihre vitale Energie – und nicht durch eine destruktive Grundhaltung.“

64 | Würzburg


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Bühne | Musik | Kunst | Literatur | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

 weitere Informationen: www.kulturgut.wuerzburg.de

|

Interkultur |

|

Interreligiös zum Frieden 6., 7. und 13. Oktober, Shalom Europa, St. Stephan

„Interreligiöse Dialogkultur für den Frieden“ heißen drei Tage in der ersten Oktoberhälfte, zu denen das Ökumenische Nagelkreuzzentrum und das evangelische Dekanat einladen. Für den Auftakt im jüdischen Gemeindezentrum am 6. Oktober (Valentin-Becker-Straße) ist eine Anmeldung erforderlich (Rudolf-Alexander-Schröder-Haus, Telefon 0931 321750). Ab 20 Uhr spricht der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, über das Jom Kippur-Fest und die jüdische Versöhnungskultur. „Versöhnung mit der Natur“ strebt die Verlegung der 14. Bodenplatte am Denkmal am Wilhelm-SchwinnPlatz an – am 7. Oktober um 16.30 Uhr ist der Künstler Thomas Reuter soweit. An diesem Nachmittag begeht die Regierung von Unterfranken in ihrem Park nebenan einen Waldtag. Umfassend und grundsätzlich wird es bei der Podiumsdiskussion „Aspekte einer interreligiösen Leitkultur für den Frieden“ im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus am 13. Oktober um 20 Uhr. Einen möglichen Beitrag des Islam erläutert Prof. Dr. Rauf Ceylan, des Christentums Pfarrer Dr. Geiko Müller-Fahrenholz und den der Bahai-Religion Ulrike Sendelbach. | www.wuerzburg-ststephan.de ++++++++++++++++++++++++

Termine |

unüberbrückbaren Missverständnissen. Dabei werden gerade die Potenziale genutzt, die in der kulturellen Vielfalt liegen. Der Teilnahmebeitrag liegt bei 195 Euro, Kontakt: Carmen.Schmitt@frankenwarte. de, Telefon (0931) 80464340. ++++++++++++++++++++++++

Tientos

12. und 13. November, Matthias-Ehrenfried-Haus Dialog statt Informationsvermittlung, so geht schon das Konzept des Mehrgenerationenhauses. Inhaltlich setzt das Programm einen erheblichen Schwerpunkt beim interkulturellen Austausch, und das von Kindesbeinen an: Ein Russischkurs für Kindergartenkinder trainiert die zweite Heimatsprache des Migrantennachwuchses. Außerdem gibt es eine multinationale Eltern-Kind-Gruppe. Sprachneutrale Kinderbetreuung an Vormittagen soll Elternteilen die Teilnahme an Weiterbildungen ermöglichen. Zum Beispiel bei diesem Kurs für einen etwas ruhigeren Flamenco, der sich an Anfänger und ausdrücklich auch an Männer richtet. | www.me-haus.de ++++++++++++++++++++++++

Die preußische Expedition nach Ostasien

Interkulturelle Mediation

25. November, 19 Uhr, Siebold-Museum

An engagierte Menschen in Politik und Ehrenamt richtet sich das Seminar, das Konflikte bei der Zusammenarbeit von Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Kultur mit den Methoden des Diversity Managements angeht – und das auch bei scheinbar

Die deutsch-japanischen Beziehungen feiern heuer ihren 150. Geburtstag. Das Jubiläum hat insofern eine besondere Bedeutung, als das fernöstliche Kaiserreich zugleich sein Politparadigma wechselte und den festen Kurs seiner Selbstisolation aufgab. Über diesen globalisierenden Zusammenhang referiert die Münchner Japanologin Inga Streb, die 17 Jahre lang

7. bis 9. Oktober, Akademie Frankenwarte

KulturGut 07 | Seite

65 | Würzburg

in Japan lebte, u. a. um Alt-Japonica für die Bayerische Staatsbibliothek zu erwerben. ++++++++++++++++++++++++

Gemeinschaftliches Wohnen 26. November, 14 Uhr, Ökohaus

„Gemeinschaftliches Leben und Wohnen im Alter – ökologisch und sozial“ lautet der komplette Titel des dreistündigen Seminars mit Josef Scheurich. Baubiologie, das heißt für den Architekten „ökologisches, soziales und wohngesundes Bauen und Siedeln“ – man liest den ganzheitlichen Ansatz mit. Und gleich die fünfte seiner 25 baubiologischen Leitlinien lautet: „Keine sozialen Folgelasten!“ Eben die sollen beim generationenübergreifenden Wohnen ja von vornherein vermieden werden. – Den psychosozialökologischen Nachmittag moderiert Klaus Isberner, Bildungsreferent des Bunds Naturschutz. Es wird eine Gebühr von fünf Euro erhoben. Anmeldung bis zum 24. November erbeten unter Tel. (0931) 43972. | www.bn-wuerzburg.de ++++++++++++++++++++++++

Interreligiöse Shuttle-Tour 21. Dezember, 8 bis 17 Uhr, Matthias-Ehrenfried-Haus

Die dritte und letzte Tour des Jahres für Jugendliche ab 14 Jahre veranstaltet das Würzburger Bündnis für Zivilcourage. Für die Treffen mit Christen, Buddhisten, Sikhs, Moslems oder Juden und den Besuch der verschiedenen Gebetsstätten können SchülerInnen einen freien Tag beantragen, und einen Stempel im Coach-Pass für interkulturelle Jugendarbeit der Jugendbildungsstätte Unterfranken gibt es auch. Rechtzeitige Anmeldung ist unbedingt erforderlich, denn es gibt nur 60 Plätze. | www.kja-regio-wue.de


KulturGut | Editorial | Inhalt | Titelthema | Musik | Bühne | Literatur | Kunst | Film | Stadt | Wissenschaft | Interkultur | Service

|

Impressum |

Herausgeber und V.i.S.d.P.: MorgenWelt Würzburg GmbH Gerberstraße 7, 97070 Würzburg Telefon 09 31 32 999 0 und Kulturreferat der Stadt Würzburg Rückermainstraße 2 97070 Würzburg Redaktionsadresse MorgenWelt Würzburg GmbH: KulturGut Gerberstraße 7, 97070 Würzburg Telefon (09 31) 32 999 0

Kostenlose Auslage in Kulturzentren, Kinos, Veranstaltungshäusern, städtischen Einrichtungen, Gastronomie und ausgewählten Ladengeschäften

Chefredaktion, Konzept: Iris Wrede

Anzeigen: MorgenWelt Würzburg GmbH, Gerberstraße 7, 97070 Würzburg Stefan Luz, Telefon (0931) 32999 11 Matthias Meyer, Telefon (0931) 32999 14 Angela Hofmann, Telefon (0931) 32999 13

C. v. D.: Joachim Fildhaut

Druck: Schleunungdruck GmbH, Marktheidenfeld

Mitarbeiter: Ralf Edelmann, Thomas Williams, Nina Dees, Dr. Rainer Dvorak, Jens Essmann, Gaston, Christian Neubert, Gabriele Polster, Gerd Reitmaier, Dr. Gunther Schunk, Prof. Ulrich Sinn, Daniel Staffen-Quandt, Marcus Thume, Sonja Wagenbrenner, Christine Weisner, Bernd Zehnter

Auflage: 10.000 Exemplare ISSN 2191-9666

Internet: www.kulturgut-wuerzburg.de

Redaktionsbeirat: Anja Flicker, Muchtar Al Ghusain, Hans-Georg Mennig, Dr. Rotraud Ries, Hermann Schneider, Dr. Gunther Schunk, Prof. Ulrich Sinn Fotos: Zur Illustration des Titelthemas verwandten wir Graffiti-Ausschnitte von Würzburger Wänden und Bauzäunen. Wir danken den Sprayern. Gleb Polovnykov, Falk von Traubenberg, Gabriela Knoch, ddp images/dapd/Torsten Silz, Iris Wrede, Bildarchiv der Stadt Würzburg, KulturGut Bildarchiv, Veranstalter Art Direktion Melanie Probst

Sonstiges: Alle Veranstaltungsangaben ohne Gewähr. Veranstalter, die Fotos an den Verlag senden, haben eventuelle Honorarkosten zu tragen. Urheberrechte für Anzeigenentwürfe, Vorlagen, redaktionelle Beiträge sowie für die gesamte Gestaltung bleiben beim Herausgeber. Der Nachdruck von Fotos, Zeichnungen, Artikeln und Anzeigen, auch auszugsweise, bedarf der ausdrücklichen Zustimmung des Herausgebers. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Leserbriefe und Fotos kann keine Haftung übernommen werden. Bearbeitung und Abdruck behalten sich Verlag und Redaktion vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Verlags und der Redaktion wieder. Dank: Wir danken ausdrücklich den Unterstützern und beteiligten Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden, ohne die die Herausgabe dieses Mediums nicht möglich wäre.

Produktion & Distribution: MorgenWelt Würzburg GmbH, Gerberstraße 7, 97070 Würzburg

KulturGut erscheint viermal jährlich in Würzburg.

KulturGut 07 | Seite

66 | Würzburg


Gefördert von:

LES FUNÉRAILLES DU DÉSERT

DIE STADT DER EINSAMEN – EUROPÄISCH-AFRIKANISCHES THEATERPROJEKT VON LILITH JORDAN, BERNHARD STENGELE UND PAUL ZOUNGRANA AB 8. OKTOBER 2011 � MAINFRANKEN THEATER WÜRZBURG, GROSSES HAUS Karten: Tel. 0931 / 3908-124 | www.theaterwuerzburg.de



Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.