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27 Jahre EDEKA Hartwig & Senol
27 Jahre EDEKA Hartwig & Senol – ein Rückblick
Fast drei Jahrzehnte leiteten Sven Hartwig und Sami Senol den EDEKA-Markt in der Neustadt. Mit viel Engagement, Herzblut, Geschick und Klebeband boten sie den Neustädter:innen mehr als nur Lebensmittel. Gemeinsam werfen wir einen Blick zurück. Sven Hartwig im Gespräch mit Lothar Baur und Kirsten Piper, Fotos: Hartwig/ Senol
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TRAFO: Für unseren Kunst- und Kulturverein gegenüber war das natürlich eine kleine Katastrophe, als der Edekamarkt und auch alle Leute plötzlich nicht mehr da waren. Abgesehen von der aktuellen Zwischennutzung ist dieser Fleck Neustadt ja auch irgendwie unendlich tot. Neulich hat mir jemand die Frage gestellt: Weißt du eigentlich noch, was vor dem Edeka da war oder wann der Edeka da eingezogen ist? Und wann hat er zugemacht? Die Fragen gebe ich jetzt einfach mal weiter. Sven: Ich kenne auch nicht alles aus der Geschichte, aber zuerst war es ein Busbahnhof, danach ein P&Q Markt [Sparkette] und danach ein Euro-Spar – der hat damals aufgegeben. Wenn die Filialenketten es nicht schaffen Geld zu verdienen, dann kommen wir selbstständigen Einzelhändler ins Spiel, weil eben ein anderes Engagement bei uns dabei ist. 1991 hab ich den Markt mit fast 1200 qm übernommen, der war damals riesengroß. Ich weiß noch, wie der scheidende Marktleiter sagte: „Gott sei Dank, kann ich hier weg. Hier ist ja nur Alarm.“
Draußen vor der Tür haben sich immer viele Leute zum Biertrinken getroffen, mit denen musste ich dann erst einmal sprechen und sagen: „ Leute, beim besten Willen, so geht das nicht!“ Die waren auch ganz kooperativ und sind nach und nach weggegangen und dann nur vereinzelt wieder aufge„Wir haben uns sehr taucht. Das gemit dem Markt und dem hörte natürlich auch mit dazu. Stadtteil mit all seinen Facetten identifiziert.“
„Verwinkelt, verschachtelt, heiss im Sommer.“
TRAFO: Ich kann mich erinnern, dass es bei ihnen an der Kasse auch diese schwarz-gelben Sterne zu kaufen gab. Was hatte das auf sich? Sven: Die Sterne konnten Kunden kaufen und an eine Magnet Tafel pappen. Und Leute, die wenig Geld hatten, was wir allerdings nie überprüft hatten, sondern das war auf Vertrauensbasis, die konnten sich diese Sterne abnehmen und dann an der Kasse gegen Grundnahrungsmittel einlösen. TRAFO: Das ist schon sensationell. Sven: Ja, das war schon ganz gut. Wir haben uns sehr mit dem Markt und dem Stadtteil mit all seinen Facetten identifiziert. Ich hatte nie ein Problem damit, obwohl viele meiner Edeka-Filialen-Kolleg:innen sagten: „Wie kannst du bloß!“ Aber ich hatte da nie ein Problem. TRAFO: 1991 haben Sie den Markt übernommen und wann sind Sie rausgegangen? Sven: Also es war ein fließender Übergang, vor drei Jahren, 2018. Seitdem ich diesen Markt geleitet habe, hieß es immer von Seiten der Stadt: „Wir bauen was Schönes, was Neues.“ Sie waren ja auch Kunde bei uns und kennen den Markt. Verwinkelt, verschachtelt, heiß im Sommer. Und eigentlich hat uns der Veterinär immer im Nacken gehangen und gesagt: „Leute, ich muss euch hier die Bude irgendwann mal zumachen, es ist viel zu heiß!“ Ich konnte immer nur dazu sagen: „Ja, wir bauen bald neu, wir bauen ja bald neu!“
2003 wurde dann zum ersten Mal über einen neuen Standort- die Werftstraße gesprochen. Dass wir dahin umsiedeln und neu bauen könnten.
Die Stadt wollte Anfang der 90er Jahre sogar den ganzen Autoverkehr aus der Neustadt raus haben. Die wollten da eine Busspur machen. Und dann sind wir Gewerbetreibende natürlich alle Sturm gelaufen: ohne Autos keine Kunden und ohne Kunden ist Feierabend. Die Stadt wollte die Neustadt am liebsten zur Fußgängerzone machen, so ein bisschen Verlängerung von der Norderstraße.
Dann haben wir über Alternativen gesprochen. Um Platz zu bekommen musste der Verlauf der Werftstraße verändert werden. Der Tankstelle, die es da mal gab, wurde der Pachtvertrag mit der Stadt nicht verlängert. Der Betreiber wollte ja weitermachen und hat gesagt, dass er geht, wenn die Bauarbeiten beginnen. Aber er musste raus. Danach stand die Tankstelle jahrelang leer. Sieben Jahre lang stand sie da und verrottete. 2003 gab es dann die ersten Pläne für einen neuen Markt an der Werftstraße. Aber dann hieß es immer, nächstes Jahr ist es soweit, nächstes Jahr ist es soweit, nächstes Jahr ist es soweit. Und insgesamt hat es von 2003 bis 2018 gedauert, also 15 Jahre. 15 Jahre haben wir in unserem Edekamarkt alles geklebt und geflickt, mit Tesafilm und mit Panzertape. und immer irgendwie versucht, das Ganze am Laufen zu halten, weil wir gesagt haben, wir brauchen nicht investieren. Wir bauen ja bald neu!
Dann wurden auf dem vorgesehenen Gelände Altlasten im Boden gefunden und alles hat sich wieder verzögert. TRAFO: Schade, schade, weil irgendwie Edeka ja doch eine Institution war und Sie auch viel gemacht haben. Ich erinnere mich an ihre Neustadt Kampagne mit den schwarzen Einkaufstaschen. Bis dahin hatte so etwas nämlich einfach niemand gemacht und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, bei all den super verschiedenen Menschen, die da sind, da will jemand Stadtteil Identität zeigen. Und das hat doch auch funktioniert oder nicht?
Sven: Ja, mit dem Logo: Unser Stadtteil, unser Markt. Also wir haben uns wirklich mit dem Stadtteil identifiziert. Denn viel Geld verdient haben wir da nicht. Wir haben eigentlich immer nur gehofft, dass wir jetzt irgendwann den neuen Standort machen können. Aber wir wurden immer vertröstet. Aber wir hatten eine super Truppe, eine wirklich super Truppe. Wir haben Mitarbeiter gehabt, die 20 ,25, 30 Jahre bei uns waren. Alle Mitarbeiter sind später in den neuen Edeka Markt übernommen worden, das hatten wir so verhandelt. Zum Abschied haben wir in dem alten, leergeräumten Gebäude eine Riesenparty gefeiert. „15 Jahre haben wir in unserem Da sind viele, viele Tränen geflossen. Aber trotz der speziellen Umstände in der Neustadt Edekamarkt alles geklebt und haben wir das alles irgendwie doch geliebt und uns damit identifiziert, das hatte so ein geflickt“ klein bisschen Kultcharakter. TRAFO: Ich erinnere mich auch noch gern an die Abteilung Handwerkszeug. Sven: Ja, wir haben so oft gehört: Mensch, ich muss wegen einer Schraube jetzt durch die ganze Stadt und viele unserer Kunden hatten auch gar kein Auto und fanden es total umständlich. Und so haben wir das geregelt, dass es ein kleines Sortiment für den Hausgebrauch, Hammer, Schraubenzieher, Meterstab, Farbe usw gab. Wir haben schon versucht, die Bedürfnisse aus dem Stadtteil zu sehen und zu erfüllen. Wir waren immer glücklich, dass die Kunden bei uns fast alles gekriegt haben. TRAFO: Das haben sie ganz gut hinbekommen …. Ihre Belegschaft war interkulturell und relativ jung, oder? Sven: Ja, wir haben viel für junge Leute getan. Wir hatten immer 7-8 „Schöner, alter Auszubildende, hatten auch immer migran- Scheissladen, aber tische Jugendliche ge- mit sehr viel Herz“ habt, haben mit Behörden und anderen sozialen Einrichtungen aus dem Stadtteil zusammengearbeitet. Wir hatten „ein klein bisschen auch hoffnungslose Fälle, die auch hoffnungslos los geblieben sind
Kultcharakter“ und wir es nicht geschafft haben, sie auf einen Weg zu bringen. Viele haben aber auch ihren Weg und Karriere gemacht, nicht nur bei Edeka. Naja, der Stadtteil hat uns wirklich am Herzen gelegen. Aber natürlich sind wir nicht nur eine soziale Einrichtung, sondern wollten auch Geld verdienen. Aber so viel Geld war da auch wieder nicht zu verdienen, ehrlich gesagt.
TRAFO: Schon schade, dass der spezielle Satellit Edeka Hartwig Senol mit so engagierten Leuten dann etwas überspitzt formuliert, vertrieben wurde. Sven: Also wir haben ja immer weitergemacht, hätten das auch gern weitergemacht, weil wir ja immer gehört haben, es geht jetzt bald los. Wir kriegen jetzt bald einen neuen Markt, denn der alte hatte viele verwinkelte Ecken und du konntest gar nicht mehr richtig platzieren und der Fußboden sah immer aus! Und dann mussten wir immer durch den gesamten Laden fahren, mit den Säcken und leeren Flaschen. Und man fühlt sich ja auch selbst wohler in einem schönen Laden, das macht mehr Spaß. TRAFO: Aber alle haben es mit Fassung getragen. Also nicht nur Sie und ihre Leute, sondern auch die Kunden. Mit den Jahren sah man schon, dass es immer schwieriger wird. War auch klar, da wird nichts mehr gemacht, weil da irgendwann der Umzug kommen soll. Sven: Ja, total. Wir bekamen auch damals schon Bewertungen auf Google und haben immer echt gute Kritiken gekriegt. Z.Bspl. „Schöner, alter Scheißladen, aber mit sehr viel Herz und so!“ TRAFO: Oder: „Völlig stickig. Riecht irgendwie seltsam da. Alles komisch, aber supernette Leute, Superladen.“ Es haben sich auch viele Leute gekannt in dem Laden, weil man ja jahrelang hingerannt und sich begegnet ist und es war ja auch die ganze Neustadtmischung vorhanden, vom Obdachlosen bis zu den Menschen aus den besseren Wohnsiedlungen und jungen Leuten aus der Stadt. Sven: Also ich bin ja aus Hamburg und mein Kollege auch. Wir waren beide Marktleiter in Hamburg. Und dann wurden wir verkauft. Unsere Firma, die hieß damals in den 80ern ‚deutscher Supermarkt‘, kennt heute keiner mehr.
In Hamburg gab es 30 Märkte und dann wurden wir geschluckt von Rewe. Wir sind damals als Kaufleute ausgebildet worden mit eigenen Ideen. Und wir wollten was machen, mit viel Eigenverantwortung.
Dann hab ich eine Stellenanzeige im Hamburger Abendblatt aus Flensburg entdeckt, die suchten einen Verkaufsleiter. Dann hab ich mir Flensburg angeguckt und gesagt: „Das mache ich einfach!“ Und als ich dann hier sesshaft wurde und eben halt ein bisschen kapiert habe, wie der Laden funktioniert, da hab ich dann meinen Freund angerufen aus Hamburg, Herrn Senol, und gefragt: „Hast du nicht auch Lust? Wir brauchen ja immer gute Leute, wenn du willst, komm doch her!“ Und dann hat er damals in Niebüll erst einen Markt übernommen und danach ist er hier eingestiegen. Und dann kam zum Glück Edeka und wir wurden von Edeka übernommen. Denn Edeka ist sehr gut organisiert und sie lassen einem viel eigene Spielräume, so dass wir uns auf die Bedürfnisse der Kunden einstellen können. TRAFO: Waren Sie eigentlich sauer auf die Stadt? Sven: Es war irgendwie unglücklich alles. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie einen irgendwie verarschen oder so. Sondern das war wirklich einfach den Umständen geschuldet. Da war immer irgendwas. TRAFO: Jetzt ist es ja so, dass es tatsächlich fertige Pläne gibt für den Bereich ‚alter Edekamarkt‘. Ob es aber dann schnell geht, die Skepsis in der Bevölkerung ist schon riesengroß. Sven: Also wir haben uns immer gewünscht, dass alles ein bisschen schneller geht, weil die Pläne, die ich immer gehört habe, die waren ja super. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir waren nachher einfach zu alt dafür und haben gesagt: „Gut, dann lassen wir das und machen wir einfach mit Langballig weiter.“