MFG - Das Magazin / Ausgabe 73

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MFG Ausgabe 03/20

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JOHANNES REICHL

CORONA

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ch gestehe, ich habe lange überlegt, ob ich über das Corona-Virus schreiben soll – wem hilft schon der 100. Kommentar zu einem Thema, zu dem eh scheinbar schon alles gesagt ist. Und ja, das stimmt wahrscheinlich, nur gesagt heißt ja noch nicht gehört, verarbeitet, in den Gehirnwindungen angekommen. Denn tatsächlich muss man in zunehmendem Maße gegen eine um sich greifende Paranoia anschreiben, vor der man auch selbst nicht gefeit ist. Wenn etwa alle Veranstaltungen über 100 Personen untersagt werden, wohl alsbald alle Schulen verwaist sind und das Nachbarland Italien die gesamte Bevölkerung unter Quarantäne stellt, dann geht das natürlich mit einem Gefühl von Unbehagen bis Beklemmung einher – dem man sich aber nicht ergeben darf. Vor allem darf man nicht in Hysterie verfallen, auch wenn diese von jeder Menge, vornehmlich im Netz grassierenden Verschwörungstheorien befeuert wird, denn merke: Auch Fakenews breiten sich epidemisch aus! Im Hinblick auf die weltweit rigorosen Maßnahmen ist etwa vielerorts zu hören, dass „da ja sowieso mehr dahinterstecken muss, Ausmaß und Gefahr von Corona sicher viel schlimmer sind als offiziell zugegeben.“ Der kühle (und wenig empathische) Blick auf die Statistik hilft vielleicht weiter. An der Influenza sind aktuell rund 130.000 Bürger in Österreich erkrankt, knapp 650 sind daran heuer schon verstorben. Die nunmehrigen drastischen Maßnahmen sollen gewährleisten, dass Corona nicht zeitgleich in ähnlich hohe Sphären steigt, weil sonst – wie Experten erläutern – das Gesundheitssystem zu kollabieren droht. Eine andere, noch im Falle jeder Epidemie aufpoppende Verschwörungstheorie geht davon aus, dass es sich gar nicht um ein „natürliches“, als vielmehr um ein im Labor gezüchtetes Virus handelt, das aus dem Wuhan Institute of Virology (ja, das gibt‘s tatsächlich) entwichen ist. Hardcore Verschwörungstheoretiker sprechen gar von bewusst freigesetzt, wobei einmal die Juden, ein andermal die Araber, ein drittes Mal die USA als Schurken genannt werden – also die üblichen Verdächtigen, während es sich in den Augen reli-

giöser Fanatiker aller Konfessionen sowieso um eine Strafe Gottes handelt. Amen. Was freilich weniger nach Zufall, denn bewusstem Kalkül aussieht, ist die Wortwahl von US-Außenminister Mike Pompeo, der hartnäckig vom „Wuhan-Virus“ spricht und damit wohl auf oben genannte Verschwörungstheorie anspielt bzw. bewusst versucht, den Ursprung des Virus politisch gegen China zu instrumentalisieren. Perfide ist das insofern, weil die Mutter aller Pandemie-Schlachten, die „Spanische Grippe“, die 1918-1920 geschätzte 50 Millionen Todesopfer forderte, ihren Ausgang in den USA nahm. Vom US-Virus sprach aber niemand. Wobei sich die – aus Angst nachvollziehbare, aufgrund ihrer Irrationalität aber strikt abzulehnende – Diskriminierung natürlich nicht nur politisch, sondern auch ganz handfest im Alltag niederschlägt. Die China-Restaurants sind mittlerweile verwaist, Pizzerias dürfte wohl Ähnliches blühen, und manch Hotelier wollte etwa die Shaolin Mönche, die bereits seit sechs Wochen gesund durch Europa tourten, wieder stornieren – wohl nicht nur aus Angst vor Ansteckung, sondern auch aus Angst ums Geschäft. Ebenso ergeht es einer italienischen Freundin, die nach dem Besuch ihrer Eltern in Italien auch noch nach einem Monat versichern muss, dass man ihre Italienisch-Kurse ohne Gefahr besuchen kann – was viele dennoch lieber sein lassen. Natürlich machen noch zahlreiche Geschichten die Runde. So kursierte auf youtube etwa ein Video, in dem Hanf als wahrer Coronaviren-Killer hochgejubelt wurde. Das ist laut Ärzten zwar völliger Holler, die Anhänger der These dürften die Causa aber zumindest „entspannter“ wahrnehmen. Letztlich sollte man – die wichtigste Botschaft – den Behörden vertrauen und ihre Instruktionen befolgen. Denn wer sich zu sehr auf Dr. Google einlässt, wird alsbald jede Menge Corona-Symptome verspüren und überall Verschwörungen sowie böse Mächte am Werk wittern. Dabei wusste schon Johann Wolfgang von Goethe 1802: „Man sollte nicht alles glauben, was im Internet steht.“

Offenlegung nach §25 Medien-Gesetz: Medieninhaber (Verleger): NXP Veranstaltungsbetriebs GmbH, MFG - Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten. Unternehmensgegenstand: Freizeitwirtschaft, Tourismus und Veranstaltungen. Herausgeber/Geschäftsführer: Bernard und René Voak. Grundlegende Blattlinie: Das fast unabhängige Magazin zur Förderung der Urbankultur in Niederösterreich. Redaktionsanschrift: MFG – Das Magazin, Kelsengasse 9, 3100 St. Pölten; Telefon: 02742/71400-330, Fax: 02742/71400-305; Internet: www.dasmfg.at, Email: office@dasmfg.at Chefredakteur: Johannes Reichl Chefredakteur-Stv.: Michael Müllner Chefin vom Dienst: Anne-Sophie Müllner Redaktionsteam: Thomas Fröhlich, Sascha Harold, Johannes Mayerhofer, Michael Müllner, Andreas Reichebner, Thomas Schöpf, Beate Steiner, Thomas Winkelmüller Kolumnisten: Thomas Fröhlich, Michael Müllner, Tina Reichl, Roul Starka, Beate Steiner, Thomas Winkelmüller Kritiker: Helmuth Fahrngruber, Thomas Fröhlich, David Meixner, Michael Müllner, Clemens Schumacher, Manuel Pernsteiner, Michael Reibnagel, Johannes Reichl, Christoph Schipp, Robert Stefan Karikatur: Andreas Reichebner Bildredaktion: Elias Kaltenberger, Matthias Köstler Cover: a.Kito Director & Layout: a.Kito Korrektur: Anne-Sophie Müllner Hersteller: Walstead NP Druck GmbH Herstellungs- und Verlagsort: St. Pölten Verlagspostamt: 3100 St. Pölten, P.b.b. Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2. Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Alle Angaben ohne Gewähr. Für den Inhalt bezahlter Beiträge ist der Medieninhaber nicht verantwortlich.


INHALT BETTER SAFE THAN SORRY – Seite 8

KAPITÄN AUF DER TITANIC? – Seite 16

CARITASDIREKTOR ZISELSBERGER – Seite 38

ÖFFENTLICHES THEATER – Seite 54

ZUM ROCKSTAR ERZOGEN – Seite 62

ATP IN STP – Seite 70

3 Editorial 6 In was für einer Stadt leben wir

36 Kultur aus der Vogl-Perspektive 38 Wenn wir Not sehen, handeln wir

62 Zum Rockstar erzogen 66 Drum & Kontrabass

URBAN

KULTUR

SPORT

SZENE

74 Kritiken 75 Veranstaltungen 76 Außensicht 78 Karikatur

7 Shortcut Urban 8 Better safe than sorry 12 SWAP: Einstellungssache 16 Bernhard Wurzer – Kapitän auf der Titanic? 24 SIGNA: Kräftiges Lebenszeichen 28 Auf der Staße mit den Identitären

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42 Shortcut Kultur 44 Die Ruhe nach dem Sturm 50 Emil Mario Vacano 54 Ein Theater gibt sich öffentlich 60 Shortcut Szene

70 ATP in STP – Zurück in die Vergangenheit

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29. MAI 2020

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… in deren Region der Kahlschlag bei Industriearbeitsplätzen mit unverminderter Härte weitergeht. Verlor St. Pölten im letzten Jahrzehnt durch das Schließen der Glanzstoff Fabrik, verschiedener Sparten bei Voith, dem Zusperren des Möbelherstellers Svoboda oder des Leiner Lagers fast 1.000 Arbeiter-Arbeitsplätze, so hat es nun den Traditionsbetrieb LAUFEN in Wilhelmsburg getroffen, wo 130 der 190 Arbeitsplätze abgebaut werden! Musste man schon in den 90ern den Abzug der Porzellansparte mit dem Klassiker Lilienporzellan (Daisy lässt grüßen) verdauen, so ist jetzt auch die Sanitärsparte Geschichte – die Produktion wird eingestellt, nur die LAUFEN-ÖsterreichZentrale bleibt. Für Wilhelmsburg mit bislang ca. 1.900 Erwerbstätigen am Arbeitsort bedeutet der Aderlass natürlich eine Katastrophe oder, wie es Bürgermeister Rudolf Ameisbichler formulierte, einen „unerwarteten Schlag in die Magengrube.“

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… in der die Aufarbeitung der SWAP-Causa allmählich zu einem Ende kommt. So hat die Staatsanwaltschaft ihr Ermittlungsverfahren gegen den Bürgermeister und einen ehemaligen Finanzbeamten wegen des Verdachtes auf Untreue eingestellt. Die Reaktionen der Parteien darauf fielen erwartungsgemäß, wenngleich entbehrlich aus. So warf die SPÖ der ÖVP unanständiges Anpatzen und Denunzieren des Bürgermeisters vor, hatte diese doch 2016 mit einer Sachverhaltsdarstellung die Erhebungen ins Rollen gebracht – angesichts einer kolportierten Misere von 45 Millionen Euro ein durchaus legitimes Vorgehen, etwaige Verantwortung juristisch abzuklopfen. Umgekehrt beklagte die ÖVP „Die großen Fische lässt man laufen, die kleinen zahlen die Zeche“ und stellte eine Voreingenommenheit der Justiz in den Raum – Beleg eines äußerst fragwürdigen Rechtsverständnisses für eine demokratische Partei.

… in der der SKN St. Pölten innerhalb von zweieinhalb Jahren mit Robert Ibertsberger bereits den sechsten Trainer präsentiert. Allmählich beschleicht einen das Gefühl, dass die Problemlage des Vereins nicht nur im Sportlichen, sondern auch im Management liegen könnte. Immerhin verpflichtet dieses Trainer und Spieler, abgesehen davon dass man mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerkes immer wieder mit Aktionen abseits des Platzes für Unruhe sorgt: Stichwort Transfersperre, eine abstruse Kooperation mit einem portugiesischen Zweitligisten, eine ungeschickt lancierte Logoveränderung samt Fan-Protesten, das Nichtziehen der Option auf den angeblich verletzten Taxis Fountas oder zuletzt die Forderung der Sponsoren nach einer externen Wirtschaftsprüfung. Ibertsberger soll kein „Feuerwehrmann“ sein, heißt es – eines solchen wird es aber bedürfen, für die Mannschaft UND das Management.

FOTOS: STUDIO EAST/ADOBE STOCK, YARIK/ADOBE STOCK, HERMANN RAUSCHMAYR

IN WAS FÜR EINER STADT LEBEN WIR EIGENTLICH ...


FOTOS: BEATE STEINER, MOCKUP/EGGER, MARKUS MAINKA/ADOBE STOCK

SHORTCUT URBAN KOLUMNE MICHAEL MÜLLNER

CHINESISCHER FLUCH

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DIE „ALTEN“ VERLASSEN DIE STADT

s ist wohl ein Trend unserer Zeit, der St. Pöltens Innenstadt gerade verändert: Kleine individuelle und wirtschaftlich erfolgreiche Geschäfte, die das Bild der City jahrzehntelang geprägt haben, verschwinden aus dem Stadtbild. Blumen Hasslmayer am Riemerplatz hat nach 50 Jahren die Rollbalken runtergelassen. Gabi Pfoser verließ ihre „Wohnkultur“, die seit 65 Jahren Anlaufstelle für Koch-Afficionados und Liebhaber schöner Accessoires war. Mohammad Houshmand verkauft nur mehr bis

Ende des Jahres seine edlen Teppiche in der Schreinergasse. Und Toni Figl sperrt Mitte des Jahres sein Antiquitätengeschäft zu. Damit verlässt der letzte „alte Schreinergassen-Kaufmann“ die „feine Gasse“. Sie alle sind pensionsreif und haben keine Nachfolger gefunden. „Das liegt am Zeitgeist“, meint Gabi Pfoser. „Einerseits hat sich das Kaufverhalten der Kunden verändert. Andererseits musst du für so ein Unternehmen leben, darfst nicht die Arbeitsstunden zählen – und wer will das noch?“

G L A S S TA T T P L A S TI K

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llmählich werden diverse Klimaschutzbemühungen sichtbar. Nicht nur, dass Plastiksackerl in Supermärkten ausgedient haben (bis auf völlig unnötige Handschuhe beim HOFER Backshop), dokumentiert jetzt auch der Getränkehersteller EGGER ökologischen Innovationsmut. So investiert das Unternehmen am Standort Radl­ berg 25 Millionen Euro in eine neue Glasabfüllanlage! Bislang wurden die Radlberger Limonaden ausschließlich in PET-Flaschen angeboten, damit ist jetzt Schluss. „Bis 2025 planen wir 30 Prozent unserer eigenen alkoholfreien Marken in Glas-Mehrweggebinden zu verkaufen“, so Geschäftsführer Martin Forster. Insgesamt sollen rund 60 Mil-

lionen Glasflaschen pro Jahr vom Band rollen, was auch neue Arbeitsplätze bedeutet. Jetzt sind die Konsumenten am Zug, frei nach dem Motto „Glas statt Plastik!“

Mögest du in interessanten Zeiten leben. Dieses Sprichwort wird als „Chinesischer Fluch“ bezeichnet. Passend, denkt man an die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Der Fluch, der in St. Pöltens 8.000 Kilometer entfernten Partnerstadt Wuhan seinen Ausgang nahm, lässt die Welt den Atem anhalten. Unsere Welt ist vernetzt, die Menschheit ein einziger Organismus. Auch wenn wir nur lokal handeln können, sollten wir dennoch global denken. Denn Abschottung und Isolation führte schon vor Jahrhunderten nicht zum Erfolg. Die mittelalterliche Pest breitete sich gnadenlos aus, trotz hoher Stadtmauern und befeuerter Feindbilder. Schuld waren nun mal eben nicht brunnenvergiftende Juden, sondern die Tröpfcheninfektion zwischen den guten Christenmenschen. Heute praktizieren wir sozial weitgehend akzeptierten Rassismus und schimpfen über die chinesische Reisegruppe am Nebentisch, während uns das mulmige Gefühl beim Italiener dann doch etwas peinlich ist und wir es lieber noch für uns behalten. Ja, die Balance zwischen übertriebener Panik und seriöser Reaktion ist schwierig. Was angemessen war, wissen wir erst im Rückblick. Dafür erschreckt uns schon heute die Bereitschaft unsere Menschlichkeit aufzugeben: Das Virus als Abwehrkampf des Planeten gegen Kapitalismus, Klimazerstörung und Überbevölkerung? Die Sterberate bei Älteren als schulterzuckender Kollateralschaden beim Beklatschen des „natürlichen“ Verlaufs der Dinge? Zu viele reden dem Wahnsinn des Utilitarismus das Wort und sprechen verharmlosend vom Opfer des Einzelnen für die Gesellschaft. Interessante Zeiten...

MFG 03.20

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MFG URBAN

BETTER SAFE THAN SORRY Ein neuartiger Virus hält die Welt in Atem, auch die St. Pöltner schwanken zwischen naiver Wurstigkeit und skurriler Panik. Dabei könnte man mit etwas Engagement tatsächlich sinnvoll vorsorgen. Wie wir den Blackout überleben.

S

tell dir vor: Nach einem Verkehrsunfall wachst du im Bett eines Krankenhauses auf. Irgendwann stehst du auf und siehst dich um. Weit und breit kein Mensch. Du stellst fest: Irgendwas Unmögliches ist passiert! Aus Menschen wurden Zombies. So beginnt die Kult-Fernsehserie „The Walking Dead“. Sie erzählt seit Jahren von einer Welt, in der die Menschen lernen zu überleben, nachdem alles zusammengebrochen ist, das für uns heute alltäglich und selbstverständlich ist. Ein seltsamer Virus hat alle Menschen infiziert. Sobald wir sterben, werden wir zu Zombies, die herumstreunen und Menschen fressen. Zombies sind aber nicht das Problem in dieser Welt. Weil: Zombies sind dumm. Und mit einem festen Schlag in den schirchen Schädel wird aus dem hungrigen Untoten rasch ungefährlicher Zombie-Kompost. Für die wirklichen Probleme der Menschen in der Serie sorgen: andere Menschen. Denn wer auf der Flucht vor den Untoten mit Überleben beschäftigt ist, den erkennt man schon mal nicht wieder. Es geht also um Angst und Panik. Anarchie und Gruppendynamik. Wie bleiben wir soziale Wesen und erhalten uns so das Menschsein, wenn die gewohnte Welt plötzlich in Frage steht? Doch der Reihe nach. Zuerst wenden wir uns dem Tagesgeschehen zu. 8

Wir > Viren Denn mit Viren kennen wir uns derzeit ja besonders gut aus. Wie schnell die Verunsicherung in der Bevölkerung steigt und im Handel Dosengulasch und Desinfektionsmittel ausverkauft sind, hat das Frühjahr 2020 gezeigt. Während sich die einen am liebsten zu Hause einsperren würden, ärgert die anderen die „übertriebene Panik wegen eines Schnupfens“. Dabei macht es freilich schon Sinn, dass die Welt händeringend versucht, die Konsequenzen dieser globalen Infektion einzudämmen. Zum einen ist es besser, wenn nicht alle gleichzeitig erkranken – sondern die Infektionskurve eben möglichst langsam steigt

und somit die ersten schon wieder gesund sind, bis die zweiten erkranken. Zum anderen haben wir mit der normalen Influenza-Grippe ohnehin schon eine jährlich wiederkehrende Seuche, die allein in Österreich 1.400 Menschen jährlich umbringt (und über die sich keiner mehr aufregt, weil sie eben schon so normal ist). Jede Aufregung verdient sich auch etwas Skurrilität. So kann man sich etwa nur wundern, wenn an sich gesunde Menschen plötzlich ihr jähes Ende fürchten, sobald sie nicht stets einen Jahresvorrat an Desinfektionsmittel in Griffweite wissen. Auch so mancher Blick ins SupermarktEinkaufswagerl lässt schmunzeln: in


TEXT: MICHAEL MÜLLNER | FOTOS: BARBARA OBERNIGG, © 2020 AMC NETWORK ENTERTAINMENT LLC. ALL RIGHTS RESERVED

Quarantäne wird es Frau und Herr Österreicher weder an Gulaschsuppe noch an Klopapier mangeln. Doch halt, hier lassen wir den Spaß kurz beiseite und nehmen Zombies und Corona-Panik zum Anlass, um seriös zu werden. Es gibt nämlich wirklich so etwas wie einen Plan B. Sirenen der Seligen Peter Puchner ist KatastrophenschutzBeauftragter der Stadt St. Pölten, Zivilschutz ist sein Thema. Und obwohl jeden Samstag, Punkt 12 Uhr mittags, im Stadtgebiet die Sirenen heulen und somit jeder Bürger wöchentlich einen „friendly reminder“ bekommt, wissen die meisten erstaunlich wenig dazu. Hier möchte Puchner ansetzen. In den letzten Monaten wurde vermehrt über Zivilschutz berichtet, vor allem ein drohender Blackout wird intensiv behandelt. Überlegt man sich eine Risikoeinschätzung für St. Pölten, so erkennt man rasch, dass wir auf einer Insel der Seligen leben. Aus anderen Weltregionen bekannte katastrophale Naturereignisse wie Dürre, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis und Wirbelstürme – long time, no see in beautiful Austria. Auch Lawinen stehen im Traisental nicht an der Tagesordnung. Unter der Vielzahl an möglichen Bedrohungen drängt sich der Blackout also geradezu auf. Wer den Blackout im Griff hat, hat auch bei den meisten anderen – weit weniger realistischen – Szenarien gute Karten. Welcome to the Blackout Einen Stromausfall kennen wir alle. Ärgerlich, weil der Strom genau dann weg ist, wenn man ein spannendes Fußballmatch im Fernsehen sehen möchte oder das Essen noch am Herd steht. Doch für gewöhnlich ist nach wenigen Minuten, spätestens am nächsten Morgen, wieder alles normal. Nur die blöden Uhren muss man alle neu stellen. Das ist kein Blackout. Erst, wenn der Stromausfall überregional ist, womöglich sogar den ganzen Kontinent erfasst, und wir von mehreren Tagen ohne Strom sprechen, dann ist es ein echter Blackout – und dann wird es spannend. Elektrischer

Strom ist für uns nämlich eine Selbstverständlichkeit. Er ist billig und immer verfügbar. Die wenigsten von uns kennen eine Welt ohne ihn. Doch dass der Strom aus der Steckdose kommt, ist eine Kunst. Ins Netz muss genau so viel Strom eingespeist werden, wie wir Konsumenten verbrauchen. Solange alles mit einer Frequenz von 50 Hertz läuft, ist das System safe. Aber die Toleranz ist minimal: Schwankt die Frequenz um mehr als 0,2 Hertz, dann bricht das Netz zusammen. Peter Puchner zeigt auf einer Grafik einen plötzlichen Knick nach unten: „Am 7. Oktober 2019 hatten wir um 21:00 Uhr nur 49,82 Hertz. Das österreichische Stromnetz stand unmittelbar vor einem Blackout. Das Netz wird immer gestresster und instabiler, es braucht ein Vielfaches der Kosten, um die Frequenz in der nötigen Bandbreite zu halten. Die Frage ist also nicht, ob es zu einem Blackout kommt – sondern wann.“ Kein Anschluss unter dieser Nummer Wenn es so weit ist, dann sollte man vorbereitet sein. Und diese Vorbereitung geht weit über eine geladene Powerbank für das Smartphone hinaus. Stellen wir ein paar Überlegungen an. Fällt der Strom in Österreich und seinen Nachbarländern aus, dauert es (gefühlt) ewig, bis das System wie-

der hochfahren kann. Egal ob aufgrund technischen Versagens oder Cybercrime und Terrorismus – eine Zeit lang wird es ungemütlich. Jene Kraftwerke, die ohne Strom hochfahren können, sind als erstes an der Reihe um wieder Strom ins Netz zu speisen. Der Reihe nach werden mehr und mehr Erzeuger wieder ans Netz geschlossen. Die meisten Kraftwerke brauchen nämlich selbst Strom, um überhaupt Strom erzeugen zu können. Tricky. Doch zurück zur geladenen Powerbank für das Handy. Die nutzt uns wenig, weil mit dem Stromausfall auch die Kommunikationswelt zusammenbricht. Mobiltelefonie, Internet und Festnetz sind aus – der Strom fehlt ja nicht nur in den eigenen vier Wänden, sondern auch in den Masten und Servern der Unternehmen, die die Technik bereitstellen. Falls Sie Geheimagent sind und ein Satellitentelefon haben: Glückwunsch. Zumindest, sofern die SIM von einem Provider ist, der seinen Server nicht in Österreich hat. Am besten gleich auf einem anderen Kontinent. Achja, wen wollen Sie mit dem Satelliten-Telefon eigentlich anrufen? Hilfreich wäre es jetzt also, hätte man im Vorfeld ein Offline-Szenario mit seinen Liebsten entworfen, bei dem im Notfall jeder weiß, was er unternimmt, bis dass man sich wieder von Angesicht zu Angesicht besprechen kann.

WENN DAS LICHT AUSGEHT. Elektrischer Strom hält unsere Gesellschaft am Laufen, ein Blackout bringt alles zum Stehen. Wenn es finster wird, ist es zu spät für Vorbereitungen. MFG 03.20

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SOZIALES WESEN. Egal ob Zombies oder Stromausfall: Gute Nachbarschaft hilft. Unterdessen auf den Straßen Die Ampeln sind ausgefallen, es entstehen Staus, natürlich wollen alle so rasch als möglich vom Arbeitsplatz (an dem sie eh nichts machen können) nach Hause. Das heißt, sofern man nicht gerade im Lift steckengeblieben ist oder mit seinem Auto in der Tiefgarage festsitzt, weil der Schranken zubleibt. Panik macht sich breit: Wer holt die Kleinen vom Kindergarten und der Schule ab, wenn jetzt plötzlich alles anders ist und man niemanden erreicht? Während der öffentliche Verkehr still steht, sind Fahrräder das Transportmittel der Stunde. Endlich daheim angekommen, stellt man fest: Ohne Strom kein Licht. Im Sommer ist das weniger tragisch, aber im Winter sind die Tage kurz. Da helfen ausreichend Kerzen, aber auch praktische Lampen, die zielgerichtet dort Licht geben, wo man es gerade braucht. Entweder betrieben mit Gas, wie beim Campen, mittels Solarenergie oder gleich Lampen, deren Akkus man mit einer eingebauten Kurbel aufladen kann. Batterien gehen auch, aber von denen hat man doch schon im normalen Leben immer zu wenig oder gerade die falschen da, oder?

Keep on running Langsam zeichnet sich dann auch ab, was neben dem Strom sonst noch fehlt. Wasser läuft bekanntlich von oben nach unten. Wer also in einer tiefen Lage daheim ist, der merkt schnell, dass seine Abwasserpumpe nicht mehr arbeitet und das Schmutzwasser nicht abläuft. Umgekehrt reicht der Wasserdruck nicht aus, um das Trinkwasser (ohne Strom für die Drucksteigerungsanlagen) in hohe Lagen oder oberste Stockwerke hoher Gebäude zu bringen. Wer in der Nähe ein fließendes Gewässer hat, der kann sich mit entsprechenden Gefäßen helfen und so Nutzwasser zum Waschen und Klospülen herbeischaffen. Heikler ist es mit dem Leitungswasser, denn auch dieses wird rasch versiegen. Das St. Pöltner Trinkwasser wird von den Brunnenfeldern mit elektrischen Pumpen in hochgelegene Reservoirs gepumpt. Kommt der Blackout, fallen zwar plötzlich die großen Wasserverbraucher wie Industrie oder auch Waschmaschinen in den Haushalten weg. Aber dennoch werden die großen Wasserspeicher nach ein bis zwei Tagen leer sein. Nachschub kommt erst, wenn die elektrischen Pumpen wieder laufen. Babe, it’s up to you „Hier sieht man, wie überlebenswichtig die Eigenverantwortung ist“, erzählt Peter Puchner. Bei seinen Infoveranstaltungen fragt er die Leute gerne, wie lange sie mit ihren Vorräten an Wasser und Lebensmitteln daheim auskommen würden. Er möchte den Menschen bewusst machen, dass sie im Fall des Falles nicht darauf warten dürfen, dass jemand vom Magistrat an die Tür klopft und sie mit dem Nötigsten versorgt. „Wenn ein Mensch pro Tag rund drei Liter Wasser braucht, dann wären das bei 60.000 Einwohnern und 14 Tagen rund 2,5 Millionen Liter Wasser. Wo soll man das Lagern?

Die Frage ist also nicht, ob es zu einem Blackout kommt – sondern wann. PETER PUCHNER, KATASTROPHENSCHUTZ

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Oder noch besser: Wie soll man das Umschlagen und im Fall des Falles an die Leute verteilen?“, fasst der Katastrophenschutzbeauftragte die Fakten zusammen. Es kann also nur gehen, wenn jeder für sich vorsorgt und eine Zeitlang über die Runden kommt, denn im schlimmsten Fall haben die Verantwortlichen alle Hände voll mit anderen Dingen zu tun, als den Bürgern jene Dinge nachzutragen, für die sie in den guten Zeiten nicht selber vorgesorgt haben. Besonders relevant ist die Bewusstseinsbildung diesbezüglich bei den Schlüsselkräften einer Krise. Nur wenn Einsatzkräfte ihre Liebsten versorgt und sicher wissen, werden diese auch in ausreichender Anzahl zum Dienst antreten. Planen statt hamstern Wie soll nun ein krisenfester Haushalt aussehen? Im Internet finden sich zahlreiche Checklisten und Ratgeber für Einkaufs- und Vorratslisten. (Etwa auf der Seite des NÖ Zivilschutzverbands: www.noezsv.at.) Relevant ist aber wohl nicht die sklavische Abarbeitung der Listen. Wenn ich das ganze Jahr keinen Reis esse, dann werde ich wohl auch im Blackout-Timeout ohne Onkel Ben auskommen. Dafür wären aber Nudeln ganz hilfreich? In jedem Haushalt sollte also überlegt und besprochen werden, was man für zwei Wochen braucht, ohne dass man allzu leidet. Und ja, Krise darf auch Spaß machen, warum nicht auch Schokolade und Zigaretten dazu packen, wenn man es schon im Alltag kaum ohne schafft? Demnach haben nun viele Haushalte ausreichend Gulaschsuppen in Dosen daheim. Im Idealfall haben diese


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Individueller Plan für daheim Auch wenn es drastisch klingt: Ein Fluchtgepäck macht nicht nur für Geheimagenten Sinn. Welche wertvollen Dokumente und Gegenstände, unersetzbare Erinnerungsstücke, möchte ich unbedingt behalten? Spätestens wenn die Bude brennt, wäre es praktisch, wenn es nur wenige Handgriffe braucht, um alles wirklich Wichtige in Sicherheit zu schaffen. Die zahlreichen Info-Materialien sind für all diesen Überlegungen stets nur der Anfang.

Jeder Haushalt ist unterschiedlich, alle Menschen sind eigen und brauchen einen individuellen Plan, um wirklich vorbereitet zu sein. Wer sich zeitgerecht Gedanken macht und mögliche Situationen durchspielt, der ist jedenfalls besser gerüstet: Ist der Vorratskasten sinnvoll befüllt und sind Lebensmittel richtig gelagert? Kühl, trocken, frei von Schädlingen? Haben wir genug Verbrauchsmaterial: Klopapier, Taschentücher, Hygieneartikel, Batterien, Müllsäcke? Kann ich mit meiner Hausapotheke Verletzungen und Erkrankungen selbst gut genug behandeln? Habe ich bei den Vorräten auch an Haustiere gedacht? Gibt es besondere Bedürfnisse etwa Babys, Kleinkinder oder pflegebedürfte Angehörige? Into the wilderness Wer bei all diesen Fragen den Überblick verliert: Es wird leichter, desto länger man sich damit beschäftigt. Und im Endeffekt ist es gar nicht so schwer. Als Grundfrage könnte man nehmen: Was packe ich ein, wenn ich vierzehn Tage Campen fahre? Irgendwo in die Wildnis. Ohne Strom, ohne Einkaufsgelegenheit. Mitschwingen sollten auch Überlegungen zum Umfeld: Wer versorgt die Großeltern? Wer kümmert sich um die gebrechlichen Nachbarn im Haus nebenan? Womit wir auch schon wieder beim Anfang der Geschichte sind: Dem Miteinander. Denn sofern wir davon ausgehen, dass uns eher der Blackout erwischt als die Zombie-Apokalypse, so dürfen wir davon ausgehen, dass mit der Krise auch die Chance kommt, als Gemeinschaft zu wachsen. Mit dem Nachbarn Gulaschsuppen-Dosen gegen Chili-con-Carne-Dosen tauschen. Im Hof der Wohnhausanlage den Holzkohl-Griller anheizen und dem ganzen Chaos zum Trotz einfach Mensch bleiben. (Denn zum Gruseln haben wir ja derzeit noch Strom – und somit Fernsehen: Die aktuelle Staffel von The Walking Dead läuft derzeit montags ab 21 Uhr auf FOX. Und danach dann auf Sky.)

KOLUMNE BEATE STEINER

ROSAROT UND HIMMELBLAU Liab sind’s, die beiden. Das hübsche hemdsärmelige Mädel vor rosa Hintergrund und der smarte junge Mann im Sakko vor himmelblauem Hintergrund werben als Testimonials für Studienrichtungen an der Fachhochschule. Sie studiert Digital Healthcare, wird also in einem Gesundheitsberuf tätig sein, er ist MedienMANAGER. Schon seltsam, so eine Werbekampagne, die sich sämtlicher Klischees bedient, derer sich eine männlich geprägte Gesellschaft bedienen kann. Wie übrigens auch der alte Studienfolder der Fachhochschule, in dem ein Student einer lächelnden Studentin zeigte, wo’s langgeht. Wenn solch eine rosa-blau-geteilte Weltsicht mit unterschwelligen Botschaften verbreitet wird, nutzt das ganze Gendern nix. Und auch die anlässlich des internationalen Weltfrauentags aus allen politischen und gesellschaftlichen Ecken kommenden Beteuerungen, dass es endlich ein Ende haben muss mit der Benachteiligung der Frauen, mit dem Gender Pay Gap, mit der gläsernen Decke – nix als heiße Luft. Denn auch 2020 fragen wir uns in St. Pölten noch, wo die Frauen sind: Nicht in Aufsichtsräten, nicht auf Vorstandsposten, nicht ganz vorne im politischen Geschehen. Kaum ein offizielles Foto, das nicht als Schwarz-Weiß-Bild durchgehen würde, weil darauf nur Anzugträger abgebildet sind. Von 42 Gemeinderatsmitgliedern sind zwölf weiblich, drei davon sind Stadträtinnen, das Stadtoberhaupt und seine beiden Stellvertreter sind Männer. Da hat sich in den vergangenen fünf Jahren nix geändert. Und eine latent verbreitete rosa-blaue Weltsicht trägt dazu bei, dass das nur wenige Menschen irritiert.

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FOTO: KENTOH/ADOBE STOCK

Dosen eine Lasche, sonst wäre auch ein griffbereiter Dosenöffner super. Aber kaltes Gulasch ist nicht wirklich ein Genuss, also wäre auch eine Kochgelegenheit wichtig. Handelsübliche Campingkocher mit GasKartuschen bieten sich an, zur Not kann auch ein Holzkohlegrill weiterhelfen – der sogar Wärme gibt. Etwas einlesen schadet auch bei diesem Thema nicht, denn auch in Ausnahmesituationen sollte man sich nicht unbedingt durch die falsche Anwendung von Gasgeräten mit einer CO-Vergiftung ins Jenseits befördern. Ein Muss ist auch ein analoges Radio – idealerweise mit Kurbelantrieb, denn nur so kann man sich die so wichtigen Informationen verschaffen, was überhaupt los ist und wie man sich verhalten soll. Auch Autoradios bieten sich dafür als schnelle Infoquelle an. All das Notfall-Equipment gehört dann natürlich auch vernünftig verstaut, an einem Ort, an dem es im Fall des Falles auch von allen rasch gefunden wird. Und es sollte, dank guter Planung, vollständig sein. Zündhölzer und Feuerzeug klingen trivial, doch gerade deswegen kann man sie schnell vergessen und im Notfall dann schmerzlich vermissen. Und man sollte sich bewusst machen: Was ich nicht habe, kann ich mir nicht einfach dank Amazon Prime heimschicken lassen. Nein, auch Tankstellen, Supermärkte, Gastronomiebetriebe – ohne Strom sind sie alle lahmgelegt und ziemlich sicher geschlossen. Einkaufen ist also keine Option.

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EINSTELLUNGSSACHE Sie war die Causa Prima der St. Pöltner Politik. Es ging um unvorstellbar viel Geld („80 Millionen Euro“), massive politische Vorwürfe („Geschäfte am Gemeinderat vorbei“) und den Verdacht strafbarer Handlungen („Untreue unter Ausnützung einer Amtsstellung“).

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ach dem Freispruch durch die Wähler an der Wahlurne der letzten Gemeinderatswahl im Jahr 2016 hat nun auch die Staatsanwaltschaft kein Problem damit, wie im St. Pöltner Rathaus die SWAP-Causa abgewickelt wurde. Das 2016 ins Rollen gebrachte Ermittlungsverfahren gegen Bürgermeister Matthias Stadler und den ehemaligen, mittlerweile pensionierten Leiter der Finanzverwaltung wurde im Februar 2020 eingestellt. Wir werfen einen Blick zurück auf die Entwicklung einer Ge12

schichte, an der wir jahrelang recherchiert haben und die wir stets möglichst verständlich aufbereiten wollten. Und wir fragen Bürgermeister Stadler, wie belastend das Ermittlungsverfahren für ihn war und was er im Rückblick anders machen würde. • Frühjahr 2003: Der St. Pöltner Gemeinderat unter Vorsitz von Bürgermeister Willi Gruber (der Amtsvorgänger von Matthias Stadler) fällt einen Grundsatzbeschluss zur „Schuldenbewirtschaftung“. Jah-

relang spart sich die Stadt durch eine Vielzahl an spekulativen Zinswetten Geld – und liegt damit im Trend, denn das Geschäftsmodell der Banken floriert: Unzählige Gebietskörperschaften und Private wollen so sparen. • Mit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 geraten die Wechselkurse in Bewegung, das Risiko dieser Zinswetten wird plötzlich sichtbar. Im September schließt die Stadt mit der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien das Swap-Geschäft #707843 ab: 1,5 Millionen erhält die Stadt sofort, die Rückzahlung erfolgt in den nächsten 20 Jahren, die Zinsen sind abhängig vom Kurs des Schweizer Franken. Der später klagsanhängige STP-SWAP ist geboren. Im Frühjahr 2008 unterschreibt der Bürgermeister ein Anlegerprofil, die Stadt sei bereit, unbegrenztes Verlustrisiko zu tragen, heißt es darin.


TEXT: MICHAEL MÜLLNER | FOTOS: OLIVIER LE MOAL/ADOBESTOCK, JOSEF VORLAUFER

• Schon bald zeigt sich wie riskant und „giftig“ Swap #707843 ist. Stadt und Bank hoffen längere Zeit hindurch auf eine Stabilisierung der Kurse und führen immer wieder fruchtlose Gespräche. Letztlich klagt die Stadt die Bank im Dezember 2011, sie sieht sich von der Bank falsch beraten. • Im Sommer 2012 verkündet St. Pölten, aus allen (anderen) riskanten Spekulationsgeschäfte ausgestiegen zu sein. Im März 2014 entscheidet der Gemeinderat die Zinszahlungen für das strittige Geschäft einzustellen. Die Bank reagiert darauf mit einer Widerklage. Am Handelsgericht Wien zieht sich das anhängige Zivilverfahren monatelang oft ohne erkennbare Fortschritte dahin. • Im Frühjahr 2016, es herrscht Gemeinderatswahlkampf in St. Pölten, beschließt der Gemeinderat einen Vergleich zwischen Stadt und Bank. Offiziell wurden Vergleichsgespräche zuvor stets heftig bestritten, nun präsentiert der Bürgermeister in geheimer Sitzung dem Gemeinderat den Deal. Rund 45 Millionen Euro Kosten nimmt die Stadt in Kauf. Der Vorteil dabei: Man wird das unbekannte Prozessrisiko los. Denn im schlechtesten Fall liegen immerhin knapp 80 Millionen Euro zwischen den Standpunkten von Stadt und Bank. • Im April 2016 zeigt die St. Pöltner ÖVP den SPÖ-Bürgermeister Stadler und den ehemaligen Finanzamtsleiter bei der Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft an. Diese nimmt Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue auf, beauftragt Gutachten, führt Hausdurchsuchungen durch und entscheidet letztlich, dass kein strafrechtlicher Tatbestand verwirklicht wurde. Die Fachaufsicht im Justizministerium sowie der Weisungsrat billigen die Entscheidung der Staatsanwälte, das Ermittlungsverfahren wird im Februar 2020 eingestellt.

INTERVIEW BGM MATTHIAS STADLER

„ATTESTIERT, DASS ALLES SEINE RICHTIGKEIT HATTE.“

J

ahrelang begleitete die Amtszeit von Matthias Stadler Kritik der Opposition am Umgang mit der SWAP-Causa. Vorwürfe gab es nicht nur auf der politischen Ebene.

Das mehrjährige Ermittlungsverfahren der Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde im Februar eingestellt. Wie groß war die Belastung für Sie als Privatperson, aber auch als Politiker? Natürlich ist ein Ermittlungsverfahren nie angenehm. In der heutigen politischen Auseinandersetzung ist man offensichtlich nicht davor gefeit, von anderen beschuldigt zu werden. Ich konnte aber die Handlungen in dieser Causa immer nachvollziehen und war darum sicher, dass weder ich noch sonst jemand im Rathaus Fehler gemacht hatten. Ich bin auch nicht der Typ, der die Justiz einmal lobt, ein anderes Mal beschimpft. Ich glaube an die Unabhängigkeit der Justiz, für die Funktion unserer Gesellschaft ist diese ganz wichtig. Daran soll man sich auch als Politiker halten und nicht auf diese Art versuchen, politisches Kleingeld zu wechseln. Wurde Ihnen gegenüber begründet, wieso das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde? Ja, sehr detailliert. Die Ermittlungen waren ja umfangreich, was ich auch gut finde, damit niemand den Vorwurf erheben kann, dass da nicht genau hingeschaut worden wäre. Im Ergebnis wurden weder subjektive noch objektive Elemente des Tatbestands der Untreue verwirklicht. Auch das beauftragte Gutachten kommt zu diesem Ergebnis. Das freut mich nicht nur für mich, sondern auch für den zweiten Beschuldigten, den damaligen Leiter der Finanzverwaltung. Es ist nun attestiert, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Das Verfahren dauerte Jahre, zumindest für die Öffentlichkeit ist gefühlte Ewigkeiten nichts weitergegangen. Wie haben Sie das als Beschuldigter erlebt, wie intensiv war der Kontakt mit den Ermittlern? Ich denke, das war ein ganz normaler Verlauf so eines Verfahrens. Auch die Länge hat mich jetzt nicht sonderlich überrascht, in meiner Funktion erlebe ich ja immer wieder, dass manche rechtliche Auseinandersetzungen eben ihre Zeit brauchen und oft über Jahre gehen. In einem Rechtsstaat darf das auch so sein, dass gewissenhafte Verfahren eben ihre Zeit dauern. Zudem weiß man, dass der Justizbereich personell sehr schlecht ausgestattet ist. Ich bin gespannt, ob sich die aktuellen Versprechungen der Bundesregierung zur Verbesserung dieses Problems auch im nächsten Budget wiederfinden werden. Konnten Sie das von Bundeskanzler Sebastian Kurz kürzlich angedeutete rote Netzwerk in der Staatsanwaltschaft bemerken? Nein, glücklicherweise nicht. Übrigens auch kein schwarzes oder türkises. Ist die SWAP-Causa nun endgültig erledigt oder erwarten Sie, dass sie ein politisches Thema bleibt? In ersten Reaktionen zeigte sich die St. Pöltner ÖVP wenig versöhnlich und zweifelte die Entscheidung an. Das wird von anderen abhängen. Für mich ist die Causa abgeschlossen, zumindest ich habe keinerlei Ambition dieses Thema für parteipolitisches Geplänkel zu nutzen. Ich überlasse es gerne anderen, wenn sie meinen, auf andere Parteien oder die Justiz hinhauen zu müssen. MFG 03.20

13


MFG URBAN

EINSTELLUNGSSACHE

im Vergleich zum zeitweise vorkommenden politischen Dilettantismus ist das gut so. Was würden Sie in der ganzen SWAP-Causa im Rückblick anders machen? Man muss das Geschehen auch richtig einordnen. Es gab eine Zeit, da wurde man als konservativer Bremser kritisiert, wenn man als Stadt eben nicht Zinswetten abgeschlossen hat. Es gibt ja einen Grund, warum es mit diesen Spekulationsgeschäften hunderte Akteure mehr oder weniger hart getroffen hat. Das wurde ja nicht im St. Pöltner Rathaus erfunden. Auch die Finanzkrise ist nicht hausgemacht. Mich beschäftigt vor diesem Hintergrund eher die Zukunft. Was kommt da noch auf uns zu, wenn wir etwa an Negativzinsen denken? Im eigenen Haus haben wir natürlich auch daraus gelernt und auch die Kontrollgremien weiterentwickelt, wenn man etwa an den Stadtrechnungshof denkt.

Ich möchte diese unaufgeregte, geschäftliche Professionalität als positiv herausstreichen. Gerade im Vergleich zum zeitweise vorkommenden politischen Dilettantismus. BÜRGERMEISTER MATTHIAS STADLER

Empfinden Sie den Ausgang der SWAP-Causa als persönlichen Sieg? Zuerst, mitten im Wahlkampf, der Vergleich mit der Bank, der Ihnen trotz aller politischen Auseinandersetzung dazu Stimmengewinne brachte. Nun die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen. Den Vergleich haben wir geschlossen, weil uns Fachleuchte dazu geraten haben. Es gab Gespräche, dann Verhandlungen und als die Zeit reif war und die Experten zum Abschluss des Vergleichs geraten haben, konnten wir den Gemeinderat als zuständiges Gremium damit befassen. Dabei spielte der Wahltermin keine Rolle. Vor dem Hintergrund, was alles sein hätte kön14

nen, bin ich mit dem Ausgang zufrieden. Es gibt bis jetzt auch keinen Ansatzpunkt, dass dieser Vergleich je in Frage gestellt worden wäre. Wie ist eigentlich das Gesprächsklima mit der betroffenen Bank heute, nachdem es jahrelang schwer irritiert war? Es gab immer eine intakte Gesprächskultur. Der Vergleich ist gültig. Es gibt Gesetze, etwa im Vergaberecht, die für alle gelten. Wir als Stadt haben also gar keinen Grund für irgendein „besonderes“ Verhältnis zur Bank. Es herrscht Professionalität auf allen Ebenen. Ich möchte diese unaufgeregte, geschäftliche Professionalität als positiv herausstreichen. Gerade

Hat es Sie eigentlich beunruhigt, als der ehemalige Salzburger Bürgermeister rechtskräftig wegen einer ähnlichen Causa verurteilt wurde? Das war ja für viele Beobachter überraschend und hat zu Diskussionen geführt, wie viel Haftung Bürgermeistern zuzumuten ist. Ich bedauere die Situation der geschätzten Kollegen in Salzburg zutiefst. Sie haben ja alle versucht, Nachteile von der Stadt abzuwenden. Ich habe die juristische Diskussion etwas verfolgt, wie relevant es nun wirklich ist, ob der finanzielle Schaden beim Gemeinde- oder Landesbürger landet. Mir hatten aber alle Juristen bestätigt, dass dieser Fall zu meinem ganz anders gelagert ist. Das war also keine Beunruhigung. Ich interpretiere die Urteilsbegründung im Fall Heinz Schaden übrigens auch dahingehend, dass wir in St. Pölten richtig gehandelt haben, als wir das Problem mit dem strittigen Geschäft erkannt und die Zahlungen an die Bank eingestellt haben. So kam es dann dazu, dass uns die Bank geklagt hat und wir uns dem Problem juristisch angenommen haben.


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MFG URBAN ÖSTERREICHISCHE GESUNDHEITSKASSE BERNHARD WURZER

KAPITÄN AUF DER TITANIC? Die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) hat etwas Monumentales an sich und wirft gehörig das Assoziationskarussell an. Da kommt einem etwa, FALCO lässt grüßen, die „unsinkable Titanic“ in den Sinn oder jene Szene aus dem Film „Fitzcarraldo“, wo Eingeborene ein Passagierschiff quer durch den Dschungel von einem Flusslauf zum anderen ziehen. Oder, ganz klassisch formuliert: Diese Fusion ist eine Herkulesaufgabe, die wohl nur ein wahrer Held stemmen kann – tja, und der kommt möglicherweise aus St. Pölten und heißt Bernhard Wurzer.

F

reitagabend, 18 Uhr. Mein Handy klingelt: „Ich bin jetzt am Weg nach Hause“, lässt mich Bernhard Wurzer, Generaldirektor der ÖGK, wissen. Eine Stunde später sitzen wir im „Wellenstein“, umringt von lauter Liebespärchen – es ist Valentinstag! Statt Candlelight gibt’s in unserem Fall freilich nur einen schnöden Interviewtermin, wobei ein bisschen „Liebe“ dem Herrn Generaldirektor ganz gut tun würde, immerhin erntet er nicht selten das glatte Gegenteil davon, jede Menge Giftpfeile eingeschlossen, denn merke: Ein Mammutprojekt wie die Fusion der neun Gebietskrankenkassen zu einer Österreichischen Gesundheitskasse ist alles andere denn ein Kindergeburtstag und bringt einem, um es euphemistisch zu formulieren, nicht nur Freunde! Der Manager nimmts sportlich und lässt, 16

mit einem unmerklichen Schmunzeln um den Mund, ein Herodot-Zitat aus dem Film „300“ vom Stapel: „Und wenn die Feinde durch ihre Pfeile die Sonne verdunkeln: desto besser, so werden wir im Schatten kämpfen!“ Klingt martialisch, ist es auch, und soll vor allem eines heißen: Ich lasse mich sicher nicht entmutigen. Wer Wurzer kennt, weiß, dass gerade vertrackte Herausforderungen seinen Ehrgeiz im besonderen Maße anstacheln und ihn zu Höchstform auflaufen lassen. Mit vermeintlich aussichtslosen Si-

tuationen kennt er sich nämlich aus, immerhin war er jahrelang schwarzer Oppositionspolitiker im absolut rot geführten St. Pölten. Da bekommt man schon eine dicke Haut. Die ist angesichts der größten Fusion in der Geschichte der Zweiten Republik auch notwendig, immerhin sprechen wir von 7,2 Millionen Versicherten und einem Leistungsvolumen von über 15 Milliarden Euro, allen voran aber von einem Projekt, das entlang seismischer Bruchlinien der Republik verläuft – Föderalismus

Und wenn die Feinde durch ihre Pfeile die Sonne verdunkeln: desto besser, so werden wir im Schatten kämpfen! BERNHARD WURZER


TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER

versus Zentralismus, Selbstverwaltung versus Abhängigkeit, Funktionärsmacht versus Management, Arbeitgebervertreter versus Arbeitnehmervertreter. Von parteipolitischen und sozialpartnerschaftlichen Scharmützeln und Befindlichkeiten im Hintergrund reden wir noch gar nicht. Es geht um Macht, Geld und Einfluss – und all das unter dem Damoklesschwert einer alternden Bevölkerung, die in Hinkunft noch mehr Geld für medizinische Versorgung verschlingen wird. Zwischen diesen Gegenpolen oszillieren die (medialen) Debatten, und es muss fast schon als Treppenwitz bezeichnet werden, dass in den meisten Statements die grundlegende Frage, nämlich inwieweit eine solche Fusion im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung und für die Versicherten Sinn macht, bislang fast außen vor bleibt. It’s the structure stupid Fragen wir also den Herr Generaldirektor selbst: Macht sie jetzt Sinn, die Fusion? Da kommt wenig überraschend ein klares „Ja“, wobei Wurzer diese Position nicht erst ex post nach seiner hochdotierten Bestellung eingenommen hat, sondern schon zuvor als Generaldirektor-Stellvertreter im Hauptverband der Sozialversicherungsträger propagierte. „Die Idee zur Kassenzusammenlegung kam ja aus dem Hauptverband selbst und war schlicht unserer Erfahrung geschuldet, dass wir oft mit den neun Kassen in Wien einstimmige Beschlüsse gefällt haben, diese aber von den Kassenvertretern hinsichtlich der operativen Umsetzung offensichtlich schon bei der Ausfahrt Wien wieder vergessen waren.“ Soll heißen, die Beschlüsse wurden aufgeweicht, so dass erst recht wieder jede Kasse ihr eigenes Süppchen mit Insellösungen gekocht hat. Wobei der eigentliche Hund der Kassen Wurzer zufolge ohnedies in ihrer Grundstruktur begraben lag. „Zum einen waren da die neun Kassen als ‚eigenständige‘, selbstverwaltete Unternehmen, zum anderen der Hauptverband, der eine koordinierende Rolle mit strategischen Vorgaben ohne eigene Beitragseinnahmen

hatte. Wenn du aber Finanzverantwortung und strategische Verantwortung voneinander trennst, der eine also die Linie vorgibt, und der andere das finanzieren soll, dann geht sich das irgendwann nicht mehr aus.“ Mit der Fusionierung sei dieses Problem in seinen Augen nun bereinigt. Eine hochumstrittene Neuerung, die vom Verfassungsgerichtshof aber kürzlich als rechtlich konform gebilligt wurde, war zudem die Einführung der Parität aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern in den Selbstverwaltungsgremien. Hier hatten die Arbeitnehmer in den Vorständen der Gebietskrankenkassen bisher die Mehrheit. Für Wurzer ein richtiger Schritt „zumal – was ja gern unter den Tisch gekehrt wird – in der Kontroll-

versammlung, die wichtige Beschlüsse mitgetragen hat, es bisher als Ausgleich eine Mehrheit der Arbeitgebervertreter gab.“ Dass es in Sachen Parteiarithmetik, wie es wohl seitens der türkis-blauen Regierung Kalkül gewesen war, zu einem Überhang einer Partei kommen könnte, hält Wurzer für unwahrscheinlich. „Das hätten die Politiker vielleicht gern, aber ich glaube, da schauen sie zu sehr durch die Parteibrille.“ Freilich, die Flanke, dass ein „abtrünniger“ Arbeitnehmervertreter mit den Arbeitgebervertretern gleicher Couleur mitstimmt und ihnen damit eine Mehrheit verschafft, ist definitv größer geworden. Eine Erschütterung der Macht (Starwars lässt grüßen) erfuhren natürlich

SELBSTVERWALTUNG IN DER ÖGK QUELLE: ÖGK

Hauptversammlung Beschlussfassung über: • Jahresvoranschlag • Jahresbericht Verwaltungsrat • Entlastung Verwaltungsrat • Satzung und Krankenordnung

Verwaltungsrat Geschäftsführung, soweit diese nicht gesetzlich der Hauptversammlung oder den Landesstellenausschüssen zugewiesen ist. Weisungsrecht – einheitliche Grundsätze & Richtlinien

Delegation nach Geschäftsordnung

Büro/ Generaldirektion

Landesstellenausschüsse Aufgaben nach einheitlichen Grundsätzen und Vorgaben des Verwaltungsrates auf regionaler Ebene

Besorgung bestimmter laufender Aufgaben

MFG 03.20

17


MFG URBAN ÖGK RUTSCHT INS DEFIZIT QUELLE: ÖGK

Überschuss/Defizit in Millionen Euro, Prognose

2018*

2019*

2020

2021

-175

-178

2022

2023

+75

-51

-295 neun Gebietskrankenkassen, Fusion zur ÖGK Anfang 2020

seien eben alle Österreicher „und die haben noch nie verstanden, dass sie zwar alle das Gleiche in die Sozialversicherung einzahlen, die Leistungen aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind.“

Harmonisierung aufgrund bisher sehr unterschiedlich definierter Leistungsspektren in den jeweiligen Länder-Verträgen schon schwieriger „wenngleich wir auch hier die meisten schon harmonisiert haben.“ Last but not least ist Wurzer vor allem der gleiche Zugang zu Leistungen für die Versicherten der ÖGK wichtig „weshalb wir an einer Vereinheitlichung der Kriterienkataloge arbeiten.“

Harmonisierung nach oben? Womit wir beim großen Thema Leistungsharmonisierung gelandet sind. Vorab wurde ja versprochen, dass sich die Versicherungsleistungen nicht verschlechtern dürfen, sondern immer am höchsten Standard orientieren müssen. Ist das überhaupt möglich, oder nur ein leerer Marketinggag wie etwa die seitens der ehemaligen Regierung versprochene Patientenmilliarde. „Also dort, wo es am einfachsten ist – nämlich in den Satzungen und der Krankenordnung – haben wir die Harmonisierung nach oben schon umgesetzt“, führt Wurzer aus und bringt als Beispiele etwa „den Wegfall von Selbstbehalten bei Krankentransporten, eine Erhöhung der Zuschüsse für Heilbehelfe auf einheitlich 1.432 Euro oder eine Erhöhung des Krankengeldbezuges auf bis zu 78 Wochen“, allesamt Verbesserungen für die Versicherten. Im Vertragsbereich, etwa mit Ärzten und Orthopäden, sei die

Wir machen eine Fusion Die Generaldirektion selbst hat sich – was auf den ersten Blick hin widersprüchlich klingt – eine Art föderale Zentralstruktur verpasst. Wurzer bezeichnet das etwas sperrig als „dezentrale Zentralisierung.“ Es wurden neue, bundesweite Fachbereiche und Expertisezentren geschaffen, die großteils in den Bundesländern verortet sind. Das macht für Wurzer durchaus Sinn, weil „die Expertise unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ja bisher schon regional in den Bundesländern verankert war. Wir zerschlagen keine bestehenden Strukturen, sondern bauen auf Vorhandenem auf und machen die ÖGK so zukunftsfit. Was vorher neunfach parallel gearbeitet wurde, macht nun eine Stelle für alle Landesstellen in der strategischen Ausrichtung.“ Die nach außen hin sichtbare Neuorganisation ist voll im Gange und musste schon das offizielle Startdatum der ÖGK per 1.1.2020 bestehen, was

*

allen voran die vormaligen Gebietskrankenkassen und deren Funktionäre – sie sind nämlich in ihrer bisherigen Form Geschichte und in der ÖGK aufgegangen. Für Wurzer DER große Wurf und „Grundmotiv der Fusion“ schlechthin, „weil dadurch dem Grundprinzip jeder Versicherung nachhaltig Folge geleistet wird: Je größer die Haftungsgemeinschaft, desto geringer das Einzelrisiko.“ Zwar sei es für manche Kassen schön gewesen auf gute Zahlen zu verweisen und ihren Versicherten besondere Leistungen zu bieten, „aber erstens war es nicht ihr Geld und zweitens war es auch nicht immer nur dem eigenen Wirtschaften geschuldet, sondern schlicht den Voraussetzungen.“ Als Beispiel bringt Wurzer gern die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, die vom Linzer VOEST Standort profitiert habe, während es strukturschwache Regionen und Bundesländer eben schwerer hätten. Mit der ÖGK sei dieser Risikoausgleich nun quasi auf die höchstmögliche Ebene, nämlich jene des Bundesgebietes gehoben worden, „auch wenn das schwierig in die Köpfe von Landespolitikern zu bringen ist, die immer in der Angst leben, dass sie für andere Bundesländer mitzahlen könnten.“ Nur die „anderen“ 18

-508


KAPITÄN AUF DER TITANIC?

Je größer die Haftungsgemeinschaft, desto geringer das Einzelrisiko. BERNHARD WURZER

– wie der Generaldirektor nicht ohne Stolz einräumt – „auch gelungen ist, und zwar nach gerade einmal neun Monaten Vorlaufzeit, obwohl Experten für Fusionen dieser Größenordnung für gewöhnlich mehrere Jahre veranschlagen.“ Wurzer säumte zu diesem Zweck das Pferd quasi von der Basis auf, indem er von den leitenden Angestellten all over Austria wissen wollte, was sie überhaupt glauben, welche Fragen sich im Zuge der Fusion auftun könnten und einer Lösung bedürfen. „Da kamen über 2.700 Fragen zusammen!“ Diese wurden thematisch in 62 Cluster aufgeteilt, diese weiter in Themenfelder und Projektgruppen untergliedert. Insgesamt waren an dem Prozess über 700 Mitarbeiter beteiligt, mit dem Effekt „dass, und das darf man sich bei einem 12.000 Mitarbeiter umfassenden Unternehmen schon auf der Zunge zergehen lassen, so etwas wie eine Start-up-Stimmung entstanden ist“, freut sich der Mana-

ger. „Die Mitarbeiter haben sich voll reingeschmissen, und es ist nicht einmal passiert, dass mir ein Projektleiter am Sonntag nach 22 Uhr noch ein SMS oder eine E-Mail mit Vorschlägen geschickt hat.“ Wobei Wurzer die Parole ausgab, dass nur jene Materien zwecks Lösungsfindung bis ganz nach oben wandern sollten, bei denen man in den Steuerungsgruppen auf keinen grünen Nenner kam. Welche waren das zum Beispiel? Nun, überraschenderweise nicht etwa nur die strukturell sensiblen Themen, sondern auch vermeintlich banale, wie etwa die Frage, „ob man sich in Hinkunft mit Grüß Gott oder mit Guten Tag melden soll.“ Wurzer löste das „Problem“ pragmatisch, um ja keinen Kulturkampf aufkommen zu lassen. „Ich hab gesagt, das ist mir egal, die Mitarbeiter können sowohl die eine als auch die andere Variante wählen, Hauptsache sie melden sich freundlich!“ Im Zuge der Umstellung der E-Mai-

DIE ÖGK IN ZAHLEN QUELLE: ÖGK

12.000

MitarbeiterInnen

7,2

Millionen Versicherte

138

101

Servicestellen

Gesundheitseinrichtungen

15,3

285.000

Mrd. Euro Gesamtleistungsvolumen

Dienstgeber

ladressen – immerhin 19.000 Adressen – taten sich wiederum ungeahnte gruppendynamische Untiefen auf. So hatte sich herumgesprochen, dass der Herr Generaldirektor einen „Big Bang“ wünscht, also eine Umstellung aller Adressen von einem Tag auf den anderen per Jahresbeginn 2020, „nur das habe ich nie gesagt“, muss Wurzer noch heute beim Gedanken an das Gesicht jenes verzweifelten Mitarbeiters denken, der dem Generaldirektor die Idee ausreden sollte. „Natürlich hab ich den Vorschlag der Steuerungsgruppe eines Soft-Übergangs, demnach die Adressen mit Herbst beginnend sukzessive umgestellt werden, gerne angenommen, weil – ganz ehrlich – wer schaut schon auf den Domainnamen?“ Per 2. Jänner waren alle Adressen rechtzeitig umgestellt, so wie über 400 Ansagetexte neu eingesprochen, über 18.000 Formulare vereinheitlicht, 7.000 Stempel ausgetauscht oder die Rechnungslegungsvorschriften vereinheitlicht. Was wenig spektakulär klingt, sind genau jene Aspekte, wo Wurzer Sparpotenzial durch die Fusion ortet, „weil früher alles in jedem Bundesland für sich, mit eigener Ausschreibung, eigener Software, eigenen Auftragnehmern etc. umgesetzt wurde. Allein durch die Verbuchungsvereinheitlichung und die Umstellung auf SAP haben wir eine Ersparnis im sechsstelligen Bereich!“ Und wie sieht es mit dem Einsparungspotenzial bei den Mitarbeitern aus? Eine Fusion würde ja nahelegen, dass aufgrund der Nutzung von Synergien auch der Personalstand reduziert werden muss. Da lässt Wurzer eher ausweichend einen Standardsatz vom Stapel. „Wir reduzieren nicht die Köpfe, sondern Zweigleisigkeiten. Fusionsbedingte Kündigungen hat die Politik ja ausgeschlossen.“ Im Falle von Pensionierungen werde man aber „teils anders nachbesetzen.“ Das heißt die Personaldecke wird wohl durch natürlichen Abgang auf Sicht dünner, wobei Wurzer – ganz allgemein fürs Unternehmen gesprochen – auch den verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz vorantreiben möchte. „Tatsächlich haben wir da in Österreich, wie mir scheint, in den MFG 03.20

19


MFG URBAN DAS PROGRAMM ZUR ZUSAMMENFÜHRUNG DER GEBIETSKRANKENKASSEN IN ZAHLEN QUELLE: ÖGK

ca. 700

MitarbeiterInnen arbeiten in den Projekten

19.723

E-Mail Adressen umgestellt

135

Umsetzungsmaßnahmen bereits bearbeitet

91

Projekte

letzten Jahren einiges verschlafen. Es wird Zeit, dass wir uns von der Passagierrolle verabschieden und stattdessen am Fahrersitz Platz nehmen.“ Der Generaldirektor will deshalb neuesten Trends im Gesundheitswesen nicht nur mehr nachhecheln, sondern diese quasi aktiv suchen und von Anfang an nutzen. „Es kann ja nicht sein, dass wir für Stempel Ressourcen haben, für Dienstreisen unserer Experten etwa ins Silicon Valley, wo sich diese mit den neuesten Trends vertraut machen können, aber nicht, obwohl uns dieses Know-how nachhaltig weiterbringt.“ Seid umschlungen Milliarden Stellt sich natürlich die Frage, wo die Ressourcen dafür herkommen. Zuletzt sorgten ja die von Wurzer vorgelegten Prognosen über die Entwicklung der Gesundheitskasse eher für Ernüchterung bis Schockiertheit denn

433

neue Ansagetexte

18.800

Formulare vereinheitlicht

2.728

fusionsbezogene Fragen der SV-Träger

Euphorie. So wächst das prognostizierte Minus laufend an und wird für 2023 bereits mit über einer halben Milliarde Euro/Jahr veranschlagt. Wenig verwunderlich, dass sich Kritiker der Fusion mit ihrer Einschätzung, demnach diese nur neue politische Machtverhältnisse, aber keine Ersparnis bringt, ja gar einen Rückschritt bedeutet, bestätigt fühlen. Wurzer widerspricht: „Im Hinblick auf die Fusion an sich ist ja die Frage, was ich überhaupt hinein rechne. Meiner Meinung nach nur das, was explizit gar nicht an Kosten angefallen wäre, wenn es die Fusion nicht gegeben hätte.“ Der Generaldirektor führt diesbezüglich etwa das neue Logo, Beraterhonorare, die Implementierung des CI an und veranschlagt dafür Kosten „von 7,2 Millionen Euro für 2019. Im Hinblick auf das interne Integrationsprogramm kommen in den nächsten Jahren dann

15 Millionen Euro pro Jahr dazu.“ Themen wie „die neue Kundenservicestrategie, ein einheitliches Callcenter, die Zusammenführung von vormals drei teuren E-Mail-Systemen zu einem und ähnliches sind meiner Meinung nach hingegen keine Fusionskosten, weil sie auf Sicht ohnedies angefallen wären. Im Gegenteil bringen sie langfristig Ersparnisse.“ Wobei Wurzer einräumt, dass das Einsparungspotential bei den Verwaltungskosten, „die etwa 3% des Gesamtbudgets ausmachen, ohnedies nicht die Welt bewegen werden! Da waren auch schon die Gebietskrankenkassen nicht ineffizient!“ Wenn das größer werdende Defizit seiner Meinung nach aber nicht der Fusion geschuldet ist, wie kommt es dann zustande – zumal die Gebietskrankenkassen 2018 zusammengenommen ja noch schwarze Zahlen schrieben? „Aber auch die sind 2019 schon ins Minus gerutscht und hätten auch ohne Fusion ein ähnliches Minus geschrieben“, ist Wurzer überzeugt, der zudem auf die Rechnungsmethode bei der Prognoseerstellung verweist, „die nach den Grundsätzen der kaufmännischen Vorsicht erstellt werden muss“, übersetzt also wohl eine Art Worst-Case-Szenario darstellt. Fakt ist, dass die Gesundheitsreform der neuen ÖGK auch prinzipiell weniger „Einnahmen“ beschert bzw. ihr neue Leistungen umgehängt wurden. Weniger Einnahmen lukriert die Kasse etwa aus den Gesundheits- und Beihilfengesetz-Mitteln, wo man nur mehr 100 statt 130 Millionen pro Jahr an Steuergeld erhält. Ab 2023 fällt zudem jener Pauschalbeitrag, den die AUVA der ÖGK für Arbeitsunfälle leistet – auch da reden wir von einem Volumen von rund einer halben Milliarde Euro bis 2024. Hier soll das System ab 2023 – offensichtlich zum Vorteil der Unternehmer, welche die AUVA dotieren – auf Einzelverrechnungsbasis umgestellt werden. Da die genaue Regelung noch nicht festgelegt

Es handelt sich um 3% minus – bei einem solchen Budgetabschluss hätten manche Regierungen in dieser Republik schon mit Champagner angestoßen! BERNHARD WURZER

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KAPITÄN AUF DER TITANIC?

ist hat die ÖGK gleich gar keine Einnahmen prognostiziert „alles andere wäre unseriös gewesen.“ Die ÖGK muss zudem mehr für Privatspitäler ausgeben, bis 2024 um die 65 Millionen Euro. Last but not least, hat sich – wie Wurzer betont – auch die allgemeine Einnahmensituation aus den Beitragszahlungen der Versicherten eingetrübt. „In den vergangenen Jahren hatten wir eine sehr gute Wirtschaftsentwicklung. Die durchschnittliche Beitragseinnahmensteigerung für pflichtversicherte Erwerbstätige der letzten vier Jahre lag bei rund 4,7%. Auch für 2020 rechnen wir noch mit einer guten Wirtschaftslage und einem Plus von 4,2% bei den Beitragseinnahmen für diese Versichertengruppe. Ab 2021 flacht die Wirtschaftslage jedoch ab. Wir rechnen mit jährlichen Steigerungsraten um die 3,6%. Dadurch verliert die ÖGK in Summe 844 Mio. Euro im Zeitraum 2021 bis 2024 im Vergleich zur guten Wirtschaftsentwicklung der Vorjahre.“ Wobei der Manager die Zahlen insofern ein bisschen relativieren möchte, als „dass wir bei der ÖGK von einem Gesamtleistungsvolumen von über 15 Milliarden Euro im Jahr sprechen. Da macht 1% weniger Einnahmen 150 Millionen Euro aus. 450 Millionen Euro Bilanzminus klingt in absoluten Zahlen natürlich tragisch, es handelt sich dabei aber um 3% minus – bei einem solchen Budget­ abschluss hätten manche Regierungen in dieser Republik schon mit Champagner angestoßen! Aber natürlich“, fügt er rasch hinzu, um nicht falsch verstanden zu werden „müssen wir schauen, dass wir mit den Kosten hinunterkommen, wobei unser Hauptaugenmerk bei allen Überlegungen immer der Ausbau des Services für unsere Versicherten sein muss.“ Seitens der Regierung wurde diesbezüglich zuletzt versichert, dass es bei Beiträgen oder Selbstbehalten der Versicherten keine Erhöhungen geben darf – der Lackmustest, ob man dieses Versprechen einhält, wird wohl erst Ende der Legislaturperiode abgeschlossen sein. Wurzer muss jedenfalls mit den Ausgaben runter.

Dem Eisberg weiche ich nicht aus, sondern ich steuere ihn frontal an, so dass er zerbricht. BERNHARD WURZER

Is was doc? Eine erste mediale Überlegung, dass dieser „Konsolidierungspfad“, wie er es formulierte, auch bei den Ärztehonoraren ansetzen könnte, brachte dem Generaldirektor einen Empörungstsunami der Ärztekammer ein. Der Manager verwies bei seinen Ausführungen diesbezüglich auch auf geerbte Kosten, die sich aus in seinen Augen überproportionalen Steigerungsraten bei den Ärztehonoraren ergeben hatten. „Manche Kassen haben 2018/2019 die Honorare teils um 6,8% erhöht, während sie zuvor bei durchschnittlich 3,5% lagen.“ Wäre der Betrag im langjährigen Schnitt bei 3,5% verblieben, so Wurzers Argumentation, so hätte sich bis 2024 ein Delta von 1,2 Milliarden ergeben – das aktuell hochgerechnete Defizit der ÖGK von 1,7 Milliarden Euro bis 2024 würde also deutlich geringer ausfallen. Was wäre wenn spielt es freilich nicht, und – wie viele einräumen – die höheren Ärztehonorare seien ja v. a. dem Versuch geschuldet, die Mediziner wieder verstärkt für Kassenstellen zu begeistern und so dem Ärztemangel Herr zu werden. Für Wurzer ein zu eindimensionaler Ansatz, weil man das Thema Kassen-

ärzte angesichts einer sich wandelnden Gesellschaft von Grund auf neu denken müsse. „In der Zeit, als ich aufwuchs, haben wir uns eine Folge Enterprise angeschaut und eine Woche später die nächste. Das ist für die heutige Generation, die sich auf Netflix die ganze Staffel in einer Woche reinzieht und das, wann sie will, schlicht unvorstellbar. Warten ist heute keine Tugend mehr!“ Das Gesundheitssystem müsse sich diesem Trend anpassen und flexibler werden. „Es genügt heute nicht mehr, nur zu bestimmten Ordinationszeiten offen zu haben, sondern die Bürger wollen auch in den Abendstunden oder am Wochenende zum Arzt gehen.“ Was ein einzelner Mediziner freilich nicht leisten kann, weshalb Wurzer für einen intensiven Ausbau von – auch von der Kasse infrastrukturell unterstützten – Gemeinschaftspraxen plädiert „wo sich die Ärzte abwechseln.“ Eine Flexibilität, die sich im Übrigen laut Wurzer viele junge Mediziner wünschen würden, „die zum einen ein Angestelltenverhältnis anstreben, durch größere Flexibilität aber dennoch in der Lage sind, zum Beispiel vielleicht auch ein paar Stunden in einer Wahlarztpraxis zu ordinieren.“ Auch in den Primärversorgungszentren sieht MFG 03.20

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MFG URBAN

KAPITÄN AUF DER TITANIC?

Wurzer einen nachhaltigen Ansatz und möchte sie rasch weiterentwickeln, wobei er sich in diesem Bereich sogar – um sozusagen gleich zwei Problem-Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – eine Verknüpfung mit den Krankenhausambulanzen vorstellen könnte. „Es ist ja immer die Rede von den überfüllten Krankenhausambulanzen. Tatsächlich sind dort aber 60% der Patienten vom Krankenhaus selbst wiederbestellt und Ökonomen sagen, dass es für das System selbst kaum großartige Ersparnisse bringt, wenn man Externe aus den Ambulanzen ausschließt, weil die Fixkosten ja trotzdem bleiben“, logischerweise auch zu jenen Zeiten, wo die Ambulanzen gar nicht in Betrieb sind. Wurzer möchte daher – auch unter dem Aspekt „dass in dieser Republik sicher nie ein Spital zugesperrt wird, weil das politisch einfach ein Tabu darstellt“ – aus der Not eine Tugend machen und die Ambulanzen der Spitäler selbst zu Primärversorgungszentren ausbauen, „weil wir dort

schon die Infrastruktur haben und diese dann effizient genutzt werden könnte.“ Mit zusätzlichem Personal, das über die Sozialversicherung finanziert wird, könnte man also „die Versorgung ausbauen und die Arbeitssituation der Spitalsärzte sogar verbessern. Schließlich hätte man sogar die Chance, dem Bedürfnis, rund

Es ist soetwas wie eine Startup-Stimmung entstanden! BERNHARD WURZER

um die Uhr jemanden zur Verfügung zu haben, besser Rechnung tragen.“ Klingt nach Veränderungen und dem Kratzen an diversen Tabus, die der Herr Generaldirektor da am Plan hat und mit denen er sich auch weiterhin wohl nicht nur Freunde machen wird – was nebstbei ja auch nicht sein Job ist. Die Ärztekammer etwa warf

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zuletzt die Frage auf, ob der Generaldirektor „noch tragbar ist.“ „Keine Frage, ich segle hart am Wind“, räumt Wurzer sodenn ein, was einen an die Liedzeile aus „Wickie und die starken Männer“ erinnert. Der Zeichentrickheld hatte am Ende des Tages immer eine Idee, wie er komplizierte Rätsel und Situationen lösen kann. Das darf man im Hinblick auf das Gemeinwohl aller Versicherten auch Bernhard Wurzer wünschen, wobei – sollte der Ideenreichtum allein nicht ausreichen – in seinem Fall noch der Kämpfer-Habitus hinzukommt, den man für derlei Herkulesaufgaben braucht. So meint der Generaldirektor auf die abschließende Frage, ob er sich nicht manchmal wie auf der Titanic vorkomme und Angst habe, jeden Moment einen (der zahlreichen) Eisberge zu touchieren und unterzugehen: „Nein. Dem Eisberg weiche ich ja nicht aus, weil er sonst nur meine Flanke aufreißen würde, sondern ich steuere ihn frontal an, so dass er zerbricht.“

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MFG URBAN SIGNA-GESCHÄFTSFÜHRER CHRISTOPH STADLHUBER Warum engagiert sich SIGNA in St. Pölten? Wir engagieren uns mit unserem Bauträger BAI bereits seit einigen Jahren in Viehhofen. Dort entstehen in Abstimmung mit der Stadt rund 800 Wohnungen. Seit Sommer 2018 sind wir zudem Eigentümer der Möbelhauskette KIKA/Leiner. Am Rathausplatz von St. Pölten hat Rudolf Leiner vor 110 Jahren sein erstes Möbelhaus eröffnet, die Erhaltung des Standorts ist daher für uns eine Verpflichtung gegenüber dem Unternehmen. Das Leiner Stammgebäude hier in St. Pölten entspricht aber nicht mehr dem eines modernen, zukunftsgerichteten Einrichtungshauses. Daher werden die Geschäftsflächen deutlich verkleinert und ein neues Konzept entwickelt, das der Marke Leiner wieder gerecht wird. Was passiert mit den Mitarbeitern? Die Botschaft ist klar: Leiner am Rathausplatz bleibt erhalten und alle Mitarbeiter im Unternehmen. Wie schätzen Sie den Standort ein, welche Zukunftsperspektive sieht Signa für St. Pölten generell und für Leiner im Speziellen? Das Leiner Stammhaus ist untrennbar mit der Innenstadt von St. Pölten verbunden. Hier schlägt das Herz des Unternehmens. Leiner bleibt somit Ankermieter im Objekt, aber auch ein zentraler Frequenzbringer für den Rathausplatz. Mit einem modernen, trendigen Innenstadthotel und Wohnungen ergänzen wir die Quartiersentwicklung rund um den Rossmarkt und stärken somit das Stadtzentrum von St. Pölten. Basis unseres Engagements ist die Überzeugung, dass die Kombination von stationärem Einzelhandel und Innenstadt mit dem richtigen Konzept wieder eine blühende Zukunft erleben wird. Wir sehen uns als Speerspitze derer, die an den stationären Einzelhandel in den Innenstädten glauben. 24

EIN KRÄFTIGES LEBENSZEICHEN In Zeiten, in denen die Innenstädte immer stärker durch Einkaufszentren am Stadtrand unter Druck geraten, lässt SIGNA aufhorchen. Am Standort des Leiner Stammhauses am Rathausplatz ist ein Stadtquartier mit Hotel, Konferenzzentrum und Eigentumswohnungen geplant. MFG hat mit SIGNA-Geschäftsführer Christoph Stadlhuber über das Projekt gesprochen.

Aber der stationäre Handel hat mit dem Internet doch massive Konkurrenz? Das Zauberwort heißt „Multi-Channel“. Wir erleben reine Online-Händler, die die Nähe zum stationären Handel suchen und umgekehrt. Die Zukunft des Handels liegt in einem alle Vertriebskanäle berücksichtigenden Gesamtkonzept. Wobei das emotionale Shopping-Erlebnis im Wesentlichen der stationäre Einzelhandel, eingebettet in ein attraktives innerstädtisches Umfeld, bietet.

Und der Immobilienmarkt? Sie haben ja hier ein großes Projekt mit unterschiedlichen Nutzungen geplant. Verträgt der Markt diese Dimensionen? Bürgermeister Stadler geht hier mit seiner „Leading second city“ den richtigen Weg. Eine eigenständige Entwicklung der Landeshauptstadt unter Ausnutzung des aktuellen Trends des Zuzugs von Bewohnern ins Wiener Umfeld. Dadurch gewinnt sowohl die Stadt St. Pölten als auch der Bezirk kontinuierlich an Attrak-


TEXT: SASCHA HAROLD | FOTOS: KATHARINA SCHIFFL, MAGISTRAT ST. PÖLTEN/SCHWARZ, BAI, JOHANNES REICHL

tivität. Daher besteht nicht nur Bedarf an Wohnraum, sondern auch an Büros, Hotel oder beispielsweise an einem Konferenzzentrum … … aber gerade Wohnungen werden doch derzeit massiv gebaut? SIGNA hat wie Sie eingangs erwähnt haben über ihre Tochter BAI noch ein weiteres Großprojekt in Viehofen. Schaffen Sie sich da nicht Konkurrenz im eigenen Haus? Man sagt Konkurrenz belebe das Geschäft (lacht) … aber die Bautätigkeit hat einen eindeutig identifizierbaren Auslöser. Grund für die hohe Nachfrage ist die perfekte infrastrukturelle Anbindung, hohe Lebensqualität, aber auch die kontinuierliche Preissteigerung sowohl für Mietwohnungen als auch für Eigentum in Wien. Mittlerweile haben die Preise dort eine Höhe erreicht, die für viele nicht mehr leistbar sind. Mit der Bahn ist man aus St. Pölten in maximal einer halben Stunde am Wiener Hauptbahnhof. Daher wird der Bedarf an Wohnraum in der niederösterreichischen Hauptstadt weiter steigen. Wir gehen dennoch sehr behutsam an die Realisierung weiterer Projekte. Strategisches Ziel der Stadtpolitik ist kontinuierliches, aber kontrolliertes Wachstum. SIGNA sieht sich dabei als Partner der Stadt. Daher realisieren wir das Projekt in Viehofen in mehreren Schritten.

Sie haben bei der Pressekonferenz von rund 150 Wohnungen gesprochen. Welche Größen sollen die Einheiten haben? Wir starten derzeit erst mit den Planungen, daher sind weder Grundrisse noch Größen konkret festgelegt. Klar ist: Die Wohnungen werden hohe Qualität und eine entsprechend gute Ausstattung haben. Welches Zielpublikum wird damit angesprochen? Jeder, der den Charme der „leading second city“ schätzt und gleichzeitig die Freiheit genießen will, mit dem Bahnhof in unmittelbarer Nähe einen Verkehrsknoten zu haben, der Ausgangspunkt für sämtliche Aktivitäten abseits der eigenen vier Wände darstellt. Die Lage im Stadtzentrum ist einfach fantastisch, in 45 Minuten kann ich am Flughafen Wien sein und somit in der ganzen Welt. Wer dagegen die Natur des ländlichen Raums bevorzugt, ist mit der Mariazeller Bahn oder dem Rad sehr schnell in einer traumhaften Umgebung. Sie haben die Vorzüge von Öffis gepriesen. Fahren Sie selbst mit der Bahn oder mit dem Auto? Ich hatte bereits mehrere Termine in St. Pölten und bin – aus Wien kommend – immer Bahn gefahren. Aber weniger aus einer fundamentalistischen Grundhaltung heraus, sondern einfach, weil es planbar, stressfrei

KLOTZEN STATT KLECKERN. Das SIGNA-Stadtquartier ist fast doppelt so groß wie der Rat-

KOLUMNE TINA REICHL

GLEICH Wenn mein Sohn sagt, er hört gleich auf mit seinem Handy zu spielen, er kommt wirklich gleich zum Zähne putzen und er beginnt auch gleich mit der Hausübung, ist das ein dehnbarer Begriff. Unter „gleich“ versteht er und der Durchschnittsösterreicher nämlich nichts anderes als bald mal, in nächster Zeit, eh dann mal, vielleicht im Anschluss oder mal sehen. Wenn im Geschäft der Zettel hängt „Komme gleich!“ kann dieses eine Stunde Mittagspause bedeuten oder 10 Minuten „Ich rauch nur kurz eine und checke meinen Insta Account“, während es sich beim gleichen Satz im Schlafzimmer nur mehr um Sekunden handeln dürfte. Die Steigerungsform von gleich ist das Wort „glei-heich“ – meistens etwas harsch und genervt ausgesprochen. Der genaue Zeitrahmen wird aber hier ebenfalls nicht konkretisiert. Da kann ich bei prompt, in Kürze oder unverzüglich schon sicherer sein, dass etwas bald mal passiert. Will ich jemanden auffordern, etwas gleich zu unternehmen sind sowieso andere Wörter angesagt: „Sofort, augenblicklich, stante pede oder Zack! Zack! Zack!“ – klingen aber irgendwie nicht sehr freundlich. Erstaunlicherweise gibt einem dieses „ gleich“ hingegen ein gutes Gefühl, man glaubt es sogar und wartet beruhigt. Zumindest in der ersten Viertelstunde. Wenn mein Sohn sagt, dass er jetzt eh gleich zum Handyspielen aufhört, dann meint er das ja sicher auch so. Es kann sich also nur noch um Minuten handeln… Nach mehrmaligen Erinnerungen im 10-Minuten-Takt bequemt er sich dann doch aus seinem Zimmer und steckt sein Handy ans Aufladegerät. Akku aus! Warum nicht gleich?

hausplatz! Die Bruttogeschossfläche wird insgesamt ca. 25.000 Quadratmeter betragen!

MFG 03.20

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MFG URBAN

EIN KRÄFTIGES LEBENSZEICHEN

„GUTE ZUSAMMENARBEIT“ Christoph Schwarz ist Leiter der Abteilung Zukunftsentwicklung, Wirtschaft und Marketing am Magistrat St. Pölten. Wir sprachen mit ihm über das SIGNA-Stadtquartier und die allgemeine Entwicklung des Wirtschaftsstandortes St. Pölten.

Welche Rolle spielt das neue „Stadtquartier“ für St. Pölten?

Mit der Entscheidung für das neue Leiner-Areal haben wir uns für die Neugestaltung eines Teils des Rathausplatzes entschieden. Damit kommt für die Innenstadt die größte Aufwertung seit der Modernisierung des Bahnhofes in Gang. Das bringt frische Impulse für die Innenstadt.

WWE-GRÜNDE. Die SIGNA-Tochter BAI mischt auch im St. Pöltner Wohnbau mit.

und sehr schnell ist. Das sind überzeugende Argumente für mich. Ich meine, das sollte auch generell die Linie für alles sein, was heutzutage unter Nachhaltigkeit subsumiert wird. Wie geht das bei Wohnungen? Gibt es hinsichtlich der Bauweise relevante ökologische Aspekte oder Überlegungen bei dem gegenständlichen Projekt? Wir beschäftigen uns intensiv mit diesen Themen. So wird beispielsweise Holz als Baustoff zunehmend interessanter. Die Konsumenten werden aber weniger auf einer nicht greifbaren Metaebene zu überzeugen sein, sondern vielmehr über Atmosphäre, Behaglichkeit und Wohlfühlfaktor. Holz bietet genau diese Vorzüge. Wenn wir dadurch zusätzlich positive ökologische Effekte erzielen, ist das eine klassische Win-win Situation. Ebenfalls geplant ist der Bau eines Hotels – in welchem Segment wird das angesiedelt sein? Auf welche Marktstudien replizieren Sie? Zentraler Bestandteil des Gesamtprojektes ist ein so genanntes Hotel der „Midscale“ Kategorie. Also ein Betrieb mit Zimmergrößen von rund 20 Quadratmetern, der stark auf Design setzt oder ein Lifestyle-Konzept verfolgt. Dieses Segment hat großes Wachstumspotenzial und wird entsprechend von den großen Ketten forciert. In St. Pölten fehlt so ein 26

Wie passt das Projekt ins Konzept der St. Pöltner Innenstadt?

Die denkmalgeschützten Bauteile und damit der historische Charme des Rathausplatzes bleiben natürlich erhalten. Darüber hinaus entstehen aber insgesamt 150 neue Wohnungen, die St. Pölten in Anbetracht der stetig steigenden Einwohnerzahl dringend braucht. Außerdem entsteht ein Hotel mit Konferenzzentrum. Das ermöglicht die Abhaltung größerer Kongresse, wie z. B. eines Ärztekongresses. Eine Tiefgarage komplettiert das breite Spektrum der Projektentwicklung und entlastet die ohnehin vollen Tiefgaragen. So werden wir neue Angebote und Frequenzbringer genau dort in die Innenstadt bringen, wo bisher Stillstand gedroht hat. Nicht zuletzt ist Leiner in St. Pölten durch die Investition von SIGNA gesichert.

Was sind die kommenden Schritte für die Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes St. Pölten?

Im Jahr 2020 werden wir uns voll und ganz auf den neuen Masterplan 25I50 fokussieren, denn bereits im Frühjahr 2021 soll der Plan stehen und unsere Stadt fit für die nächsten Jahrzehnte machen. Erste Schritte setzen wir bereits heuer. Wir möchten unsere Stadt noch lebenswerter machen, noch attraktiver für die Wirtschaft werden und im Bereich Bildung weitere Schritte setzen, um das Wissen am Standort zu bündeln. Außerdem arbeiten wir intensiv an einem neuen Tourismuskonzept, damit St. Pölten als Tourismusregion erfolgreich ist.

Hotel. Da wir mehrere Hotels in unserem Portfolio haben, die wir zum Teil sogar gemeinsam mit Partnern betreiben, führen wir laufend Gespräche mit potenziellen Betreibern und tauschen uns diesbezüglich auf informeller Ebene aus. Was soll im Konferenzzentrum passieren? Die Stadt wünscht sich seit geraumer Zeit ein Konferenzzentrum und sieht auch – wie wir – entsprechenden Bedarf. Wir sind derzeit aber noch bei den Überlegungen, ob diese Flächen eigenständig oder mit dem Hotel gemeinsam betrieben werden sollen. Die Größe wird bei rund 2.000 Qua-

dratmetern und einer Kapazität von etwa 1.000 Besuchern liegen. Wie groß wird das Investitionsvolumen am Standort St. Pölten sein? Das hängt von der Ausgestaltung des Gesamtprojektes ab. Die Investitionen liegen noch knapp im zweistelligen Millionen Euro Bereich. Wie sieht der aktuelle Zeitplan aus? Wenn alles so läuft wie wir uns das vorstellen, beginnen wir Anfang 2021 mit den Abbruch-Arbeiten. Danach rechnen wir mit einer Bauzeit von rund zwei Jahren.

Die Investitionen liegen noch knapp im zweistelligen Millionen Euro Bereich. CHRISTOPH STADLHUBER


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MFG URBAN

AUF DER STRASSE MIT DEN „IDENTITÄREN“ Über mehrere Monate war ich als „Aktivist“ der Identitären unterwegs, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem bezeichnet werden. Welche Erfahrungen und Eindrücke habe ich gesammelt? Was habe ich gelernt? Ein Fallbeispiel. (Alle Namen wurden geändert)

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s ist ein zufriedenes Grinsen auf Bernds Gesicht. „Hätte nicht gedacht, dass wir in einer SPÖStadt wie St. Pölten Anklang bei so vielen Leuten finden.“ Bernd, 27 Jahre alt, ist ursprünglich aus Deutschland. Seit seinem Umzug nach Österreich ist er aktiv in der „Identitären Bewegung“, mittlerweile sogar in führender Position. Gerade eben hat der junge, schlanke Mann mit den kurzen dunkelblonden Haaren Mühe identitäre Flugzettel, Aufkleber, Unterschriftenlisten und Infomaterialen am Davonfliegen zu hindern. „Der Wind ist beschissen hier“, sagt er. „Aber bei den Leuten kommen wir gut an.“ Bernd, eine Gruppe von etwa zehn anderen identitären Aktivisten – fast alle aus Oberösterreich angereist – und ich haben einen Infostand aufgebaut und uns an der Ecke Kremser

ZUM ARTIKEL Johannes Mayerhofer, ehemaliger Student der Soziologie an der Universität Wien, thematisierte in seiner Masterarbeit 2019 die Identitäre Bewegung (IB) und recherchierte dafür mehrere Monate als „Aktivist“ bei einer identitären Lokalgruppe. Er nahm an Stammtischen, Infoständen, Konferenzen, Demonstrationen und Kundgebungen teil. Im folgenden Beitrag schildert er seine Erlebnisse bei einer IB-Aktion in St. Pölten!

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TEXT: JOHANNES MAYERHOFER | FOTOS: IDENTITÄRE BEWEGUNG

Gasse gegenüber dem St. Pöltner Bahnhof in Position gebracht. Es ist ein sonniger Samstag im Spätsommer. Leute sind unterwegs, um Einkäufe zu erledigen, bummeln gedankenverloren vor sich hin, essen Eiscreme. „Remigration“ als neues „Ausländer raus“? Es dauert nicht lange, bis die ersten Passanten auf unseren Infostand aufmerksam werden. „Schmeißts die alle raus“, keift uns eine ältere Dame an. „Alle die Ausländer, die nicht arbeiten wollen, sollen raus aus Österreich!“ „Wir streiten für Remigration. Rückführung in die Heimat“, rea-

giert Bernd leicht verlegen. Er wirkt, als wolle er keiner plumpen, ausländerfeindlichen Hetztirade zustimmen. „Remigration“ klingt wesentlich eleganter. „Wissen Sie“, legt die Frau nach,“ ich hab den Krieg noch erlebt. Hier in St. Pölten war alles kaputt. Aber wir haben alles selber wiederaufgebaut. Wir haben gewusst: Nach der Schule geht’s zum Steineschleppen.“ Bernd kommt aus dem zustimmenden Nicken nicht mehr heraus. Die Identitären, meint er, seien auch dafür, dass Kriegsflüchtlinge zurückkehren und ihre kriegsverwüsteten Länder wiederaufbauen. Bereits im Weitergehen begriffen, appelliert

AUFWIND 2015-2018: Im Zuge von Zuwanderungschaos und Flüchtlingskrise nahm die Identitäre Bewegung an Fahrt auf.

die Frau an uns: „Euch junge Leute braucht’s, damit ihr den Wahnsinn aufhalten könnt. Wenn ich mir anschau‘, wie viele Ausländer da drüben am Bahnhof rumhängen … die schauen alle g’sund aus.“ Die Dame verschwindet. Meine identitären „Mitstreiter“ haben sich über das Areal rund um den Infostand verteilt und versuchen, Flyer anzubringen und Leute in Gespräche zu verwickeln. Die meisten lehnen ab oder gehen gelangweilt weiter. Viele allerdings bleiben stehen. Sie hören uns meist nicht besonders lange zu, sondern reißen das Gespräch schnell an sich. „Solche wie euch sollten’s mal im ORF einladen. Nicht immer nur die ÖVP und all die anderen“, meint eine Frau, etwa Ende 50. „Und dem Armin Wolf, dieser Ratte, hab‘ ich schon mal persönlich geschrieben. Der regt mich so richtig auf“, schimpft sie über den bekannten ZIB-Moderator. Die Frau führt uns querbeet durch sämtliche Negativ-Erlebnisse, die sie in ihrem Leben mit Ausländern gemacht hat: eine Muslima, die meinte, vom Mann geschlagen zu werden sei ein Zeichen von „Liebe“, ein Imam, der Kinder in der Moschee vergewaltigt hat, ein ihr bekannter Lehrer, der an seiner zu 90 Prozent nicht-deutschsprachigen Schulklasse verzweifelt, bis hin zu chinesischen Krankenschwestern, die österreichische Patienten in den eigenen Fäkalien liegen gelassen haben. Nicht jeder der identitären Aktivisten ist besonders talentiert in der Rolle als „Seelsorger“ für Leute mit Ausländer-Problemen, vor allem die jüngeren. Andere, wie etwa Merlin oder Klaus, verstehen es hingegen meisterlich, Erlebnisse der Passanten in eine überzeugende identitäre Perspektive zu lenken, an deren Angst und Wut anzuknüpfen. „Uns nennen sie auch ständig ‚Rassisten‘“, sagt Merlin im Gespräch mit einem Mann Mitte 30. Letzterer schilderte zuvor, wie er „nur dafür, dass ich meine Meinung gesagt habe“ als „Rassist“ tituliert wurde. Was diese Meinungsäußerung konkret war, sagt er nicht, aber sie ist zu erahnen. Der Mann sieht nicht ein, dass er als Sohn einer MFG 03.20

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MFG URBAN WER ODER WAS IST DIE „IDENTITÄRE BEWEGUNG“ (IB)? Unter dem Namen „Identitäre Bewegung“ (IB) operieren in mehreren europäischen Ländern (u. a. Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich) aktionistische Gruppen des politischen Rechts-Außen-Spektrums. Die Initialzündung reicht ins Jahr 2002 zurück, als sich in Frankreich die „Jeunesse Identitaire“ (Junge Identitäre) als Jugendorganisation des rechtsextremen „Bloc Identitaire“ gründete. Die Identitären verstehen sich generell als „Jugendbewegung“, wobei jüngst eine Öffnung hin zu Älteren erkennbar ist. Sie treten in eigenen Worten vor allem gegen „Islamisierung“ und „Massenzuwanderung“ und für den „Erhalt der nationalen Kulturen“ ein. Die grundlegende Erzählung der Identitären ist der „Große Austausch“, eine angeblich geheim geplantes Ersetzen der europäischen Bevölkerungen durch Immigranten, vor allem Muslimen. Dem stellen sie den „Ethnopluralismus“ (kulturell „reine“ Völker, die getrennt auf eigenen Gebieten leben) entgegen. Diese Ideologieelemente beziehen die Identitären von Autoren der Bewegung der „Neuen Rechten“, der sie zugerechnet werden. Dies ist eine in den 1970ern entstandene modernisierte, intellektualisierte Form des Rechtsextremismus, welche die Identifikation mit faschistischen Systemen oder dem klassischen Hautfarben-Rassismus entsagt. Statt der rassischen wird die kulturelle Reinheit angestrebt. In Österreich gibt es die Identitären seit 2012, Aktivisten- und Sympathisantenkreise werden auf wenige hunderte Personen geschätzt. Der Auftritt der IB ist die starke Nutzung des Internets und Aktionsformen geprägt, die ansonsten von NGOs wie Greenpeace bekannt sind.

ÖSTERREICH, WIR MÜSSEN REDEN. Unter diesem Motto stehen identitäre Aktivisten in den Fußgängerzonen des Landes, um vor „Islamisierung“ und „Multikulti“ zu warnen.

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Österreicherin und eines Türken, der nur Deutsch spricht und integriert ist, andere Migranten erdulden muss, die „alles hinten hineingepumpt bekommen“ und mehr haben, als sein Vater, der 60 Stunden wöchentlich Taxi fahre. „Da hast du Recht, hier wird einem alles geschenkt. Und es gibt ja viele mit Migrationshintergrund, die voll unserer Meinung sind“, meint Merlin. Dieser Satz wird heute noch öfters fallen. Zufall ist das keiner, denn in den Strategieschriften der Bewegung der „Neuen Rechten“ (zu der die Identitären sich zählen) wird formuliert, dass man sich mit „den gegnerischen Truppen verzahnen“ soll, um sich vor „Feindfeuer“ zu schützen. Übersetzt: Man führt Aussagen ins Feld, denen auch etwa Linke, Migranten oder Muslime zustimmen können und nimmt diese „gemeinsame Linie“ als Beweis, dass an Rechtsextremismus- oder Rassismusvorwürfen nichts dran sein kann. „Wenn sogar Muslime uns zustimmen, können unsere Positionen nicht rechtsextrem sein.“ Immer wieder werden auch vermeintlich identitären-kompatible Aussagen intellektueller oder angesehener Personen (z. B. des Dalai Lama) aus dem Kontext gerissen und zur Rechtfertigung der eigenen Positionen missbraucht. Merlin fährt fort: „Letztes Jahr haben sie mit allen Mitteln versucht, uns mundtot zu machen. Darum

warnen wir immer davor, dass die Meinungsfreiheit in Österreich in Gefahr ist.“ Er meint damit den Strafprozess, als 2018 siebzehn Identitäre von der Staatsanwaltschaft Graz der „Verhetzung“ und des Vorwurfs der „Kriminellen Vereinigung“ angeklagt wurden. Der Prozess, der sogar von linker Seite kritisiert wurde, endete mit 17 Freisprüchen. Auch mussten die Identitären zahlreiche Hausdurchsuchungen und Einvernahmen über sich ergehen lassen. Nicht jeder Passant, der sich dem Stand nähert, kommt in „freundlicher Absicht“. „Wir brauchen euch hier nicht in St. Pölten“, zischt uns ein Mann an. „Das entscheidest aber nicht du“, zischt es aus den Reihen meiner „Kameraden“ zurück. „Ihr seid alle Rassisten“, erwidert der Mann. „Rassismus ist aber was anderes“, wehren sich die Aktivisten. „Der Verfassungsschutz hat euch als rechtsextrem eingestuft. Ich darf euch so nennen und ihr könnt mir nix tun!“ „Schwachsinn!“ „Die ÖVP will euch sogar verbieten. Und ich bin Jurist, mir brauchts ihr nix erzählen!“ „Wenn du Jura studiert hast, müsstest du wissen, dass das verfassungsrechtlich höchst problematisch ist, was die ÖVP da fordert!“ „Ihr seid jedenfalls Rassisten“, wiederholt er sich, „und es ist mein Bür-


AUF DER STRASSE MIT DEN „IDENTITÄREN“

„NGO-AKTIVISMUS“ VON RECHTS-AUSSEN: Medienaufmerksamkeit erregen die Identitären durch Flashmobs, Transparent- und Störaktionen, wie man sie von NGOs kennt.

gerrecht als Privatperson, euch hier zu kritisieren.“ Der Mann radelt los. „Dann ein schönes Wochenende als Privatperson wünschen wir dir“, ruft Bernd ihm hinterher. Tatsächlich wird in der Arena der „hohen Politik“ in Österreich immer wieder über ein Verbot der Identitären diskutiert. Als Anfang 2019 Spenden des späteren rechtsextremen Neuseeland-Attentäters B. T. an die Identitäre Bewegung Österreichs publik wurden, nutzte Sebastian Kurz (ÖVP) – damals noch Kanzler unter Türkis-Blau – die Situation, um ein Verbot der Identitären zu fordern und den damaligen Koalitionspartner FPÖ in die Enge zu treiben. Auch Türkis-Grün will „staatsfeindliche Vereine“ – genannt werden die Identitären – „wirksam bekämpfen“. Der „Vernichtungskampf“ der „Weißen Welt“ Die Unterschriftenlisten für den identitären Online-Newsletter umfassen bereits mehr als ein Dutzend Einträge. Die Musik, mit der das Areal vom Infostand aus beschallt wurde, hat sich mittlerweile geändert. Zu hören sind nicht mehr Billy Idol- oder KISSSongs, sondern Tracks des identitären Rappers „Komplott“. „Die weiße Welt ist im Vernichtungskampf“, heißt es da unter anderem.

Unter den Passanten, die auf unseren Infostand aufmerksam werden und das Gespräch suchen, sind erstaunlich viele Ausländer oder Menschen mit offensichtlich ausländischem Hintergrund. Klaus kommt ins Gespräch mit einem jungen Mann, einem Afghanen. Es entfaltet sich ein beinahe schon freundschaftliches Gespräch. „Da wo ich herkomme, kann ich nicht mehr leben, genau wegen dem Hass zwischen Volksgruppen, Stämmen und Religionen“, meint der Afghane. „Die Lösung kann nicht sein, dass wir alle in Europa aufnehmen. So groß ist Europa nicht“, wirft Klaus ein. Voll „auf einer Linie“ sind die beiden bei der Kritik amerikanischer und europäischer Kriegseinsätze im Nahen Osten. „Gerade die, die bei uns am lautesten nach offenen Grenzen schreien, sind diejenigen, die unten in Afrika die Bomben werfen und Länder destabilisieren“, behauptet Klaus. „Und denkst du nicht, dass das Absicht ist? Das diese Länder absichtlich destabilisiert werden, damit die Bevölkerungen von dort nach Europa kommen?“, fragt er. Es ist dies der identitäre Glaube an den „Großen Austausch“: Der demographische Trend einer größer werdenden islamischen Bevölkerungsgruppe in Europa wird zur Apokalypse einer „Ersetzung der europäischen Bevöl-

kerungen durch Muslime“ aufgeblasen. Flüchtlingskrisen sind nicht das bloße Ergebnis von Krieg, Hunger und Arbeitslosigkeit auf der einen und einer vollkommen unfähigen und zerstrittenen europäischen Politik auf der anderen Seite. Stattdessen gebe es einen geheimen Plan der Bevölkerung Europas mit Muslimen. Neben den „Multikulti-Befürwortern“ werden reiche Juden wie der US-Investor George Soros als Strippenzieher im Hintergrund gesehen und damit antisemitische Vorstellungen verwendet. Auch der afghanische Mann hält mit seinen Verschwörungstheorien nicht hinter dem Berg. „Den Afghanistankrieg als Rache für den 11. September 2001 lass‘ ich mir noch einreden“, meint Klaus. „Das ist aber gar nicht bewiesen, ob das tatsächlich Muslime waren“, entgegnet der Afghane. Einig sind sich die vermeintlich ungleichen Gesprächspartner, dass Ausländer sich im Gastland anzupassen hätten. Der Afghane meint, er selbst habe nichts mehr mit dem Islam zu tun, lebe heute sogar konfessionslos. Dafür habe er Morddrohungen seitens anderer Muslime erlebt. „Tsche­ tschenen haben mir gedroht und mich Verräter genannt“, erzählt er. „Ich habe sogar Polizeischutz beantragen müssen.“ Das Gespräch geht noch eine Weile weiter. „Schön jedenfalls, dass es Leute wie dich gibt, mit denen man vernünftig reden kann, gell? Mach’s gut“, verabschiedet sich Klaus schließlich. Dann dreht er sich zu Bernd um: „Eigentlich arg!“ Bernd ist verwirrt: „Was meinst du?“ „Hab‘ gerade mit diesem Afghanen gesprochen, der von Tschetschenen bedroht wurde, nur weil er den Islam abgelehnt hat.“ „Ex-Muslime sind für die schlimmer als Nicht-Muslime“, so Bernd. „Eigentlich ein vernünftiger Typ. Wenn bloß nur solche zu uns kommen würden …“, murmelt Klaus vor sich hin. „Naja, aber wenn massenweise liberale Ex-Moslems hereinkämen … dann wäre es ja auch nicht mehr Österreich …“, entgegnet Bernd. Klaus senkt den Kopf. „Ja, da hast du vollkommen recht.“ MFG 03.20

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MFG URBAN INTERVIEW JUDITH GOETZ

„DER ‚KRIEG DER WORTE‘ KANN ZU TATEN FÜHREN!“ Die Literatur- und Politikwissenschaftlerin Judith Goetz ist Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten und setzt sich in ihrer Forschungstätigkeit intensiv mit Rechtsextremismus, Antifeminismus sowie insbesondere auch der Identitären Bewegung auseinander. MFG sprach mit ihr über den Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Neonazi, warum sie die Ideologie der IB für gefährlich hält und wie die Gesellschaft damit umgehen sollte.

Bei den Identitären handelt es sich um klassische Rechtsextreme. JUDITH GOETZ

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TEXT: JOHANNES MAYERHOFER | FOTO: NURITH WAGNER-STRAUSS

Die „Identitäre Bewegung Österreichs“ (IBÖ) bezeichnet sich selbst als Teil der „Neuen Rechten“. Lässt sich diese politikwissenschaftlich von der klassischen, faschistischen Rechten abgrenzen? Zunächst würde ich nicht von der „Identitären Bewegung Österreichs“ (IBÖ) sprechen, sondern von den Identitären. Der korrekte Eigenname lautet zwar eigentlich Identitäre Bewegung (IB), da es sich auch beim Gruppennamen aber um eine Selbstbezeichnung handelt, die nicht zuletzt auch Strategie verfolgt, sich größer darzustellen als es real der Fall ist, finde ich, dass der Begriff Bewegung nicht verwendet werden sollte. Von einer Bewegung waren sie selbst in Zeiten ihres Erfolges weit entfernt. Mit der Selbstbezeichnung als sogenannte Neue Rechte versuchen die Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe eine vermeintliche Distanz zum Nationalsozialismus herzustellen und sich so als scheinbar nicht rechtsextrem zu inszenieren. Insofern handelt es sich auch hier um eine verharmlosende Selbstbezeichnung, die das Ziel verfolgt, nach außen hin unscheinbarer zu wirken, weder rassistisch noch nationalistisch, sondern als besorgte, patriotische Jugendliche rüberzukommen. Vielmehr handelt es sich bei den Identitären aber um klassische Rechtsextreme. Ihr völkisches Weltbild, ihre frauenverachtende Ideologie, ihr Antisemitismus und die zutiefst rassistischen Vorstellungen sind Elemente, die eine derartige Klassifikation durchwegs zulassen. Durch die Verwendung weniger belasteter Begriffe wie z. B. „Ethnopluralismus“ für eine klassisch rechtsextreme Blutund-Boden-Ideologie versuchen sie, sich anders bzw. harmloser darzustellen. Neu sind lediglich die Strategien, nicht jedoch die Inhalte oder die Ideologie. Als „rechtsextrem“ werden gemeinhin neonazistische, faschistische und auch gewaltbereite Erscheinungsformen bezeichnet. Kann man die IBÖ in dieselbe Kategorie packen wie etwa „Blood & Honour“ oder Rechtsterroristen

wie der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)? Dem würde ich widersprechen, da es in Österreich einen Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus sowie Neonazismus gibt. Neonazismus ist in Österreich durch das Verbotsgesetz verboten und auch mit dem Vorwurf einer strafbaren Handlung verbunden, der NSU ebenso wie Blood & Honour würden in Österreich ziemlich klar als Neonazismus gefasst werden. Mit dem Vorwurf des Rechtsextremismus ist in Österreich hingegen nicht der Vorwurf einer strafbaren Handlung verbunden, sondern er beschreibt vielmehr bestimmte politische und soziale Phänomene, ideologische Positionierungen. Gerade die Definition von Willibald Holzer, auf den sich die meisten Rechtsextremismusexperten in Österreich berufen, fasst Rechtsextremismus über die dahinter stehenden Ideologien, allen voran den Antiegalitarismus auf. In Bezug auf die Identitären trifft diese Klassifikation auf jeden Fall zu. Auch hat die Gruppe in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie sich zwar rhetorisch von Gewalt distanziert, die aktivistische Praxis aber oftmals eine andere Sprache spricht, wie sich an den zahlreichen gewalttätigen Übergriffen auf politische Gegner gezeigt hat. Die starke Bezugnahme auf faschistische Theoretiker in der Ideologie der Identitären und die Kontakte zu faschistischen Gruppierungen in Italien oder Ungarn würden gemeinsam mit der Gewaltbereitschaft auch eine Klassifikation als neofaschistisch zulassen. Oberflächlich betrachtet stellt die IBÖ zum Teil höchst mainstream-fähige Forderungen, etwa nach „sicheren Grenzen“ und „konsequenten Abschiebungen von abgelehnten Asylwerbern“. Wenn Sie jemand fragt, wieso die IBÖ gefährlich sein soll, was antworten Sie dieser Person? Die Identitären streben das Ziel einer „ethnisch relativ homogenen Gesellschaft“ an, wie sie es programmatisch vorgeben. Dass dieses Ziel in

einer von Migration geprägten Gesellschaft nur mit extremer Gewaltanwendung erreicht werden kann, ist ihnen durchaus bewusst, wenn es auch nicht immer so offen geäußert wird. Die Stellung zur Gewalt spiegelt sich bei ihnen aber nicht nur in ihrer Sprache wider, die durch zahlreiche Kampf- und Kriegsmetaphern sowie eine entsprechende Bildsprache und Anleihen in der Populärkultur – etwa „300“, „Fight Club“ etc. – geprägt ist, sondern auch in ihren wehrhaften Männlichkeitsvorstellungen. Auch die Ideologie der Identitären präsentiert insbesondere männliche Gewalt als scheinbar letzte Lösungsmöglichkeit der „letzten Generation, die den Großen Austausch noch aufhalten“ könnte. Der imaginierte Untergang steht im Denken der Identitären unmittelbar bevor, da der „Große Austausch“ längst begonnen habe und in dieser Endzeitstimmung scheint jedes Mittel recht, ihn noch aufzuhalten. Die Bereitschaft, sich im Ernstfall zur Wehr zu setzen und zuzuschlagen wird nicht nur verbal vorbereitet, sondern auch bei Kampfsportcamps eingeübt. Sich mit Gewalt gegen das Problem „der aufgezwungenen Vermischung“ zur Wehr zu setzen, wird in dieser Logik zur scheinbar legitimen „Notwehr“. Auf ähnliches Gedankengut bezog sich ja auch der Attentäter von Christchurch. Ja, auch der Attentäter von Christchurch glaubte an die von den Identitären maßgeblich popularisierte Verschwörung eines geplanten „Bevölkerungsaustauschs“ und legitimierte damit die brutale Ermordung von 51 Menschen aus rassistischen Motiven. Die Namensgleichheit seines Manifestes mit der IB-Kampagne kam daher auch nicht von ungefähr: Über den Titel hinaus gibt es weitreichende ideologische Überschneidungen mit den Identitären, aber auch zur extremen Rechten insgesamt. Wie die Identitären beruft sich der Attentäter auf das rassistische Konzept des Ethnopluralismus. Dieses sieht vor, „ethnisches Überleben“ mittels einer globalen Apartheid abMFG 03.20

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MFG URBAN

„DER ‚KRIEG DER WORTE‘ KANN ZU TATEN FÜHREN!“

KOLUMNE ROUL STARKA

CORONA

FOTO: THAUTIMAGES/ADOBESTOCK

Wesentlich mehr als das Coronavirus geht das angebliche Bescheidwissen um dieses Virus um. Und sollte es schlimmer werden, wird der Streit, ob es nun „das“ Virus oder „der“ Virus heißt, alle Ansteckungen übertreffen. Will man ein bissl gscheit wirken, so wie ich, verwendet man das alte lateinische – sächliche – Geschlecht: das. Den ganzen Tag über aber sag ich „der“ Virus, zum Beispiel: „Do hob i ma an Virus eigfaungt oda so wos.“ Merkwürdig, im Dialekt sagt man auch: „Des depperte Virus des!“ Zum Weltfrieden: Laut Duden sind beide Varianten erlaubt. Mediziner und Wissenschaftler verwenden eher „das“ Virus. Der Volksmund hinter der Schutzmaske sagt: „DrVrrrs!“ Jetzt noch ein bisschen Statistik: Pro Jahr (!) haben wir weltweit ca. 1,35 Millionen Verkehrstote, nur Autounfälle. Wir werden trotzdem morgen wieder ganz locker in unsere Autos steigen. Das Auto ist eine antike Corona, ein Ehrenoder Siegeskranz (ursprüngliche Bedeutung) pro Tag, nämlich ca. 3.700 Tote – pro Tag! Also bitte eher die Westautobahn meiden als italienisch sprechende Chinesen. Was ich da sage, ist meinetwegen zynisch, vor allem aber ist es sachlich. Vielleicht werden wir alle bald Masken tragen müssen, kann sein, und wir werden es überleben. Eine Maske allerdings würden wir nicht mehr überleben, das ist die Maske des Rassismus und des Faschismus. Diese Masken müssen wir runterreißen, täglich und konsequent. Wenn wir Angst vor dem Fremden haben, müssen wir das Fremde zu Unserem machen, weltweit. Vielleicht ist das der Sinn von Corona, ich weiß es nicht.

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zusichern, in der alle „Völker“ klar voneinander separiert leben sollen. Eine weitere Gemeinsamkeit gibt es in den ausgemachten Ursachen der imaginierten Untergangsbedrohung: niedrige Geburtsraten der autochthonen Bevölkerung sowie die mangelnde Wehrhaftigkeit von Männern. Damit ist der Rechtsterrorist von Christchurch nicht alleine. Auch die Attentäter der Anschläge in El Paso, bei dem 22 Menschen ermordet wurden, und in Halle, bei dem zwei Menschen erschossen wurden, stimmten in die Verschwörungserzählung ein und begründeten ihre Taten ähnlich rassistisch und antifeministisch sowie im Fall von Halle auch wahrhaft antisemitisch. Sie sind Beispiele dafür, dass der „Krieg der Worte“ und „Kulturkampf“ zu Taten führen kann und – extrem rechte – Männlichkeitsvorstellungen nicht ohne Gewalt auskommen können. Genau dadurch ergibt sich auch die Gefährlichkeit der Identitären. Haben Sie Überblick darüber, wie viele Personen in Österreich Teil der IBÖ sind? Soweit ich das sehe, hat selbst der Verfassungsschutz Probleme, das Phänomen zu quantifizieren. Ich würde schätzen, dass die Identitären in Österreich in den besten Zeiten circa 30-40 Aktive und an die 200 Sympathisanten hatten, die sich zeitweise an Aufmärschen oder Aktionen beteiligten. Vor allem im Nachgang von Christchurch und El Paso sowie Halle scheint das Label aber verbrannt zu sein. So ging zunächst die FPÖ – auf Druck hin – auf Distanz, bis heute gibt es Diskussionen über ein mögliches Verbot der Gruppe und selbst Götz Kubitschek (Verleger und Vordenker der Neuen Rechten, Anm.) hat ihnen den Rücken zugekehrt, indem er meinte, dass aus den Identitären nichts Großes mehr werden würde. Auch manche Aktivisten schienen die Verbindungen zum Rechts­terrorismus zu heiß geworden zu sein, so dass sie sich ebenfalls abwandten und auch eine Jugendgruppe wird irgendwann älter, so dass sich einzelne auch in Familiengründungen

zurückgezogen haben. Insofern befinden sich die Untergangster schon länger im Untergang. Nur weil die Marke Identitäre aktuell nicht mehr von großen Erfolgen begleitet wird, heißt es aber nicht, dass alle Aktivisten in den Ruhestand gehen werden. Im Gegenteil zeigt sich, dass sie gerade dabei sind, ein neues Projekt aufzubauen, eine Bürgerbewegung. Ich glaube aber kaum, dass sie mit diesem Projekt noch mal groß durchstarten werden. Am Gründungsevent nahmen gerade mal 100 Personen aus ganz Österreich teil, unter diesen vor allem andere gescheiterte rechtsextreme Gruppierungen und Parteien. Es wirkt eher wie eine Selbsthilfegruppe der Gescheiterten. Wie sähe aus Ihrer Sicht ein angemessener Umgang mit der IBÖ von politischer und juristischer Seite aus? Die Bandbreite reicht ja von einem Verbot bis zur bloßen „argumentativen Entmantelung“. Ich glaube, dass sich diese Frage in absehbarer Zeit von alleine erledigen wird, aber rückblickend sind die bisherigen Versuche, juristisch gegen die Identitären vorzugehen, aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Eine Verurteilung der Gruppe durch den Rechtsstaat, beispielsweise wegen Verhetzung, wäre zwar ein wichtiges symbolisches Zeichen gegen menschenverachtende Propaganda gewesen und hätte das Fortwirken der Gruppe maßgeblich erschwert sowie Auswirkungen für andere rechtsextreme Gruppen mit sich gebracht. Ohne eine Gesellschaft, die sich gegen das von den Identitären verbreitete Gedankengut stellt, bleibt ein rechtsstaatliches Urteil aber zahnlos. Ich glaube, es braucht daher beides und noch viel mehr. Einerseits gute Argumente, um die Gefährlichkeit der identitären Ideologie herauszustreichen, andererseits wirksame juristische Mittel, um gegen menschenfeindliches Gedankengut vorzugehen, vor allem aber auch Präventions- und politische Bildungsarbeit, um dem entsprechenden Gedankengut vorzubeugen, bevor es sich überhaupt entwickelt.


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MFG URBAN

KULTUR UND MEHR AUS DER VOGL-PERSPEKTIVE Sie ist die neue Kultur-Lady des ORF, mit einem erfrischenden, sehr persönlichen Zugang zu Kunst und Künstlern. Geweckt wurde Teresa Vogls Leidenschaft für Musik und alle schönen Dinge in St. Pölten.

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ote Mähne, extravagantes Auftreten, herzhaftes Lachen, frische Fragen an ihre Interviewpartner – seit der Opernball-Übertragung ist Teresa Vogl nicht nur Freunden der ORF-Kultur und Besuchern von klassischen Konzerten ein Begriff. „Schade, dass der Opernball nur ein Mal im Jahr stattfindet“, lächelt die 36-Jährige, die vor zweieinhalb Millionen ORF-Sehern ihr gelungenes Debüt als Moderatorin gegeben hat. „Für mich war der Ball ein Traum, ein sehr schöner Abend, wo sich moderationstechnisch der berühmte Flow eingestellt hat, den auch Sportler in Situationen höchster Konzentration erleben. Gleichzeitig gab es viel Spielraum für Improvisation und spontane Formulierungen, was ich sehr mag.“ Lampenfieber kennt Teresa Vogl also nicht, Live-Auftritte beflügeln sie: „Ich hab’ die Lust zum Risiko und halte mich an das Gebot von Oscar Wilde – du sollst Dein Publikum nicht langweilen.“ Diese Einstellung kommt der Moderatorin bei zahlreichen Off-AirKulturveranstaltungen wie Konzerten, Galas, der Eröffnung der Wiener Festwochen, der Seefestspiele Mörbisch und der Salzburger Festspiele zugute. Und dieses Talent hat sie zum Beispiel auch über die Situation gerettet, als der betagte Komponist Friedrich Cerha und seine Gattin bei einer CDPräsentation nicht erschienen waren und auch auf Anrufe nicht reagierten. „Wir haben uns Sorgen gemacht, dass etwas Schlimmes passiert sein

könnte“, erinnert sich die Moderatorin, die den Abend ohne Ehrengast über die Bühne brachte. „Später haben wir dann erfahren, dass ein Wasserrohrbruch das Ehepaar Cerha am Kommen gehindert hatte – die beiden mussten ihre Bücher in Sicherheit bringen.“ Vom Kirchenkonservatorium auf die große Bühne Schon die kleine Teresa Vogl hat mit viel Fantasie und Improvisationstalent dafür gesorgt, dass den Menschen in ihrer Umgebung nicht langweilig wurde. Das Eintauchen in verschiedene Welten mochte sie schon im Kindergarten. „Da hab’ ich jeden Tag eine andere Person verkörpert und wollte den ganzen Tag als diese angesprochen werden.“ Auf ihrer ersten größeren Bühne stand die gebürtige Neulengbacherin dann im Stadttheater St. Pölten. Als 16-jährige Schülerin hatte sie ein Engagement als Knabe in der Zauberflöte. Vorher hatte die Oma das musikalische Interesse ihrer Enkelin geweckt. Denn Ende der 1980erJahre, als das St. Pöltner Stadttheater noch Operettenbühne war und mit Franz Lehars Hits wie „Da geh’ ich ins Maxim“ oder „Meine Liebe, deine Liebe“ entzückte, saß die kleine Teresa Vogl regelmäßig mit der Oma im Publikum. „Für mich war es das Schönste, wenn sie mich ins Theater mitgenommen hat“, erinnert sich die Kultur-Fachfrau. Später weckte dann

Sollte die Elbphilharmonie für eine Konzertmoderation anfragen, würde ich nicht ‚nein’ sagen. TERESA VOGL

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Anton Gansberger ihre Faszination für Musik. Teresas Musiklehrer am Mary Ward Gymnasium brachte sie zum Konservatorium für Kirchenmusik und zum Domchor, wo sie auch im Jugendensemble gesungen hat. „Das war musikalisch eine sehr prägende Zeit für mich“, erzählt die Moderatorin mit Gesangsausbildung, die in ihren Anfängen auch beim St. Pöltner Privatradiosender PL1 schnupperte und beim ORF Niederösterreich engagiert war. „Mein großer Traum war aber immer der Radiosender Ö1.“ Das klappte dann 2010, nach einem Studium der Germanistik, Romanistik und Musikwissenschaften. Bis 2016 gestaltete Teresa Vogl im Ö1 etwa „Apropos Kammermusik“, „Spielräume“ und „Radiokolleg“. Bis heute moderiert sie einmal wöchentlich das „Pasticcio“. Seit 2016 erfreut sie mit ihren erfrischenden und persönlichen Zugängen zu Kunst und Kultur auch die ORF-TV-Seher, zum Beispiel bei der Matinee am Sonntag. Mit Ratte Rolf Rüdiger erkundet die Mutter einer sechsjährigen Tochter für Kinder die Welt der Musik. Und in der Serie „Kultur aus der Vogl-Perspektive“ trifft sie interessante Persönlichkeiten zum Gespräch. „Da waren schon so viele schöne Begegnungen dabei, mit Rudolf Buchbinder, Lotte Tobisch, Martin Grubinger, Elina Garanca“, schwärmt Teresa Vogl über gute Gespräche auch abseits der Kamera, die „sicher indirekt zur Lockerheit des Gezeigten beitragen und einen Beziehungsaufbau ermöglichen.“ Probleme mit zickigen oder exaltierten Promis hatte die charmante Moderatorin bis jetzt nie. „Es gehört für mich zu meinem Beruf, mit ‚schwierigeren‘ Persönlichkeiten umzugehen. Natürlich pflegen viele Stars mit Lust ihr Image.“ Deshalb hat sich Teresa Vogl auch nicht gewundert, dass sie


TEXT: BEATE STEINER | FOTO: THOMAS RAMSTORFER

ORF KULTURLADY. Teresa Vogl begeisterte heuer als Nachfolgerin von Barbara Rett am OpernballParkett.

zum Beispiel während des Interviews enthusiastisch von Erni Mangold umarmt und dann nach Ablauf der gewährten Frist aufs Originellste hinauskomplimentiert wurde. Musik in alle Richtungen, Mode mit persönlichem Stil Musik prägt das Leben der Moderatorin auch abseits von TV und Radio. Teresa Vogl und ihr Mann, ein Musiker, pflegen viel Kontakt zu zeitgenössischen Komponisten und Komponistinnen: „Eine Uraufführung ist immer etwas ganz Besonderes, wenn ein Werk das erste Mal im Konzert erklingt — und die Reaktion des Publikums ist auch jedes Mal anders.“ Wenn in ihrer Wohnung nicht Ö1 aufgedreht ist („Ich möchte ja gerne wissen, was meine Pasticcio-Kolleginnen und Kollegen gerade so beschäftigt“), läuft tagsüber alles Mögliche, von Ernst Molden über Bob Dylan oder Ella Fitzgerald und Cats bis zu moderner Orgelmusik „oder die geniale Kinderlieder-CD Butzemann. Hin und wieder tut Stille aber auch ganz gut.“ Apropos Stille — wie schafft frau das, viele Engagements und ein Kleinkind? „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen“, beruft sich Teresa Vogl auf ein afrikanisches Sprichwort und auf ihr enges Betreuungsnetz mit Ehemann und Großeltern: „Und unsere Tochter ist sehr flexibel und sehr interessiert an vielem.“ Zum Beispiel hat die Sechsjährige schon wie Mama die Liebe zu Vintage-Mode entdeckt: „Ich habe als 15-Jährige begonnen, auf Floh­ märkten Vintage-Kleider zu suchen, weil mir Individualität immer wichtig war. Jetzt begleitet mich meine Tochter gerne dabei und findet auch immer wieder etwas für sich.“ Dass sich Teresa Vogl in nächster Zeit neue Auftrittswünsche erfüllt, verneint sie — fast: „Ich bin sehr zufrieden mit allen aktuellen Engagements. Ich genieße die Abwechslung sehr. Sollte in Zukunft aber zum Beispiel die Elbphilharmonie für eine Konzertmoderation anfragen, würde ich nicht ‚nein’ sagen.“ www.teresavogl.at MFG 03.20

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MFG URBAN CARITASDIREKTOR HANNES ZISELSBERGER

WENN WIR NOT SEHEN, HANDELN WIR Die Caritas ist ein „geschäftstüchtiger“ Verein, und dies ist keinesfalls als Kritik an der Hilfsorganisation zu verstehen, denn ihr „Geschäft“ ist Hilfe für Menschen in Not, ihr Kapital die Solidarität der Mitmenschen, die sich oft auch in Form von Spenden manifestiert – und so ist es nur schlüssig, dass mich Caritasdirektor Hannes Ziselsberger zu Beginn unseres Gespräches gleich auf die neue Möglichkeit des SMS-Spendens aufmerksam macht. Schmunzelnder Nachsatz: „Das könnten wir ja gleich ausprobieren.“

N

ach kurzem Laufen auf der Leerscheibe verstehe ich den sozialen Wink mit dem Zaunpfahl und zücke mein Telefon. „Ja klar, können wir.“ Ich tippe die Spendennummer +43 664 6603333 ein und gebe das Kennwort: KIND ein, doch bevor ich abschicke, fällt Ziselsberger ein, dass das SMS-Spenden nicht bei Firmenhandys funktioniert. Ich muss die gute Tat also aufschieben – definitiv nicht die Herangehensweise der Caritas, deren DNA auf rasche Hilfe gepolt ist oder, wie es Ziselsberger formuliert: „Wenn wir Not sehen, handeln wir!“ 38

100 Jahre Nächstenliebe Dieses Motto hat sich auch nach 100 Jahren nicht geändert. Damals, 1920, „hat Dompfarrer Michael Memelauer mit anderen Christinnen und Christen die Caritas St. Pölten ins Leben gerufen“, erzählt der Direktor, dies insbesondere unter dem Eindruck der verheerenden Folgen des Ersten Weltkrieges. „Da ging es ums nackte Überleben, um Grundbedürfnisse wie Essen, Heizen, ein Dach über dem Kopf, medizinische Versorgung – die Säuglingssterblichkeit war enorm!“ Heute stellt sich „Armut“ in einem

der reichsten Länder der Welt natürlich anders dar, wenngleich – wie es die Caritas auf einer breitgefassteren Sinnebene verortet – „Not nach wie vor allgegenwärtig ist. Unsere aktuelle Kampagne etwa lautet ‚Einsamkeit ist Not!‘“, führt Ziselsberger aus und bringt ein Beispiel aus seiner eigenen Erfahrungswelt. „Bei mir in Herzogenburg besuche ich zum Beispiel im Zuge unserer Haussammlung jedes Jahr einige ältere Damen – die freuen sich schon richtig auf diesen Termin, weil sie sonst übers Jahr kaum Kontakt mit anderen Menschen haben.“ Not in Zeiten wie diesen sei aber auch „Überforderung“, so der Caritas-Chef. „Stress und Leistungsdruck sind ja enorm, viele halten das einfach nicht mehr aus. Aber auch Hoffnungslosigkeit bedeutet Not – etwa ein Gefühl der Ohnmacht angesichts drohender Gefahren wie Klimawandel oder, ganz aktuell, des Corona-Virus.“ Freilich sei auch „klassische“ Armut noch immer nicht überwunden „wenn Familien gar nicht wissen, wo sie das Essen für den nächsten Tag auftreiben sollen.“ In derlei Härtefällen hilft die Caritas aus, „etwa mittels Lebensmittelgutscheinen, der Übernahme von Energiekosten oder einem einmaligen Zuschuss zur Monatsmiete.“ Der Taufschein der Unterstützten spielt für die römisch-katholische Hilfsorganisation dabei keine Rolle. „Wir helfen, weil WIR Christen sind,


TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: KARL LAHMER, FRANZ GLEISS

NÄCHSTENLIEBE. Ziselsberger ist gläubiger Christ, der Taufschein spielt beim Helfen aber keine Rolle: „Wir helfen, weil WIR Christen sind, nicht weil die anderen Christen sind!“ nicht weil die anderen Christen sind“, so Ziselsberger. Auch für eine Anstellung ist die Konfession kein Kriterium, „einzig wichtig ist, dass unsere Mitarbeiter unsere Philosophie mittragen“, soll heißen, Nächstenliebe in einem universalen Sinne leben. Der Direktor selbst outet sich als religiöser Mensch. „Es gibt immer wieder schwierige Herausforderungen, und da ist es für mich schön zu wissen, dass es da eine Kraft gibt, die mir zur Seite steht und die mich liebevoll trägt – daraus kann ich Kraft schöpfen und bin sehr dankbar dafür.“ Neuer Hass Vielleicht lässt genau dieses Grundvertrauen den Sozialmanager auch manch Anwürfe leichter ertragen, mit denen sich NGOs in den letzten Jahren zusehends konfrontiert sehen, was an Zynismus nebstbei kaum zu überbieten ist, weil die Caritas nicht erst einmal – um es plakativ zu formulieren – der Gesellschaft den Arsch gerettet hat und sie ohne jeden Zweifel nachhaltig zum sozialen Frieden in diesem Land beiträgt.

Wie reagiert man darauf, wenn man ins Fadenkreuz populistischer Politiker oder wahrheitsresistenter Fundis gerät? „Zurückhaltend. Ich möchte nicht Feuer mit Öl löschen, sondern man kann nur versuchen, den verbreiteten Lügen mit Fakten zu begegnen“, meint Ziselsberger nüchtern. Ein Fake-Klassiker ist diesbezüglich etwa die Mär, demnach die Caritas Flüchtlingen Handys schenkt „was vollkommener Blödsinn ist, aber natürlich tut es weh.“ Zumal diese Gschichtln ja keine harmlosen Unterstellungen sind, sondern ganz bewusst gestreute Falschinformationen, um einen gewissen Spin in der Gesellschaft zu erzeugen. Ziselsberger ortet diesbezüglich überhaupt ein gefährliches Zeitgeist-Phänomen, das vor allem Politiker vom Schlage eines Donald Trump salonfähig gemacht haben, „wobei es andererseits auch ein uraltes Thema zu sein scheint. Es gibt in der Bibel die Stelle‚ ‚Falschheit und Lüge lass ferne von mir sein; Armut und Reichtum gib mir nicht.‘ Das heißt, vor der Lüge wurde schon vor 2.500 Jahren gewarnt und dem sozi-

alen Ausgleich das Wort geredet! Das hat sich nicht geändert – die Washington Post etwa hat Donald Trump bis Ende 2019 mittlerweile über 15.000 Falschmeldungen während seiner Amtszeit vorgerechnet!“ Ist man als Sozialarbeiter angesichts derlei Entwicklungen nicht in besonderem Maße frustriert, weil sie – Stichwort Arm-Reich – den Schluss nahelegen, dass es sich bei Not um ein zeitloses Phänomen handelt, das nie restlos überwunden werden kann? „Ich denke, man muss einfach akzeptieren, dass es seit jeher gute Menschen gibt, und solche, die weniger gute Absichten verfolgen. Als Sozialarbeiter braucht man natürlich eine hohe Frustrationsschwelle, zumal man oft wüsste, wie geholfen werden könnte – nur diese Hilfe muss auch angenommen werden, wir können und wollen ja keinen Zwang ausüben. Zudem müssen wir uns bewusst sein, dass wir die Welt als solche nicht verbessern können und dass – wenn wir eine Sache für ausgestanden halten – bestimmt eine neue folgt.“ Aktuell etwa Corona-Hysterie, Klimawandel oder eine möglicherweise wieder aufpoppende Migrationsdebatte. „Eines wissen wir aber bestimmt“, fügt Ziselsberger bestimmt hinzu: „Es ist unsere Pflicht zu helfen!“ An vorderster Front So wie man es – um beim Thema Migration zu bleiben – auch 2015/2016 an vorderster Front getan hat, als nicht zuletzt dank des Engagements der Zivilgesellschaft und der NGOs rasch Strukturen geschaffen wurden,

NOT. Die Caritas versucht selbst Hoffnungslosen wieder Hoffnung zu geben.

MFG 03.20

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MFG URBAN

YOUNG CARITAS. Beim Benefizlauf „LaufWunder“ helfen Kinder armen Menschen!

CARITAS ST. PÖLTEN Die Caritas der Diözese St. Pölten deckt die Hauptstadtregion sowie das Most- und Waldviertel ab. Das Angebot von Beratungs-, Betreuungs- und Hilfsangeboten richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Geholfen wird u. a. Menschen mit Pflegebedarf, mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen, sowie Menschen, die von akuter Armut betroffen sind. Die Caritas St. Pölten hat 2.500 hauptberufliche Mitarbeiter und ist an 165 Standorten aktiv, 4.800 Menschen engagieren sich freiwillig, die Zahl der bisherigen Spender liegt bei 70.000! Aktuell wird eine Übersiedlung der Hauptstelle ins ehemalige Alumnat in der Wiener Straße geprüft.

AKTUELLE AKTIONEN COFFEE TO HELP Wenn Sie im Café Emmi, Cinema Paradiso, Café Schubert, Pan Pan und bei Caterings von Parzer & Reibenwein Ihren Kaffee mit dem Zusatz „to help“ bestellen, spenden Sie 20 Cent pro Tasse für Kinder und Jugendliche in Not. SMS SPENDE Spendennummer +43 664 6603333 Kennwort: KIND SPENDENKONTO Caritas St. Pölten IBAN: AT28 3258 5000 0007 6000

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um die Situation in den Griff zu bekommen. Dafür erntete man aber nicht nur Dank, sondern auch Angriffe seitens Nationalisten und Migrationsgegnern, und zwar bis zum heutigen Tage. Für Ziselsberger nicht zuletzt deshalb nur schwer nachvollziehbar „weil sich die Lage ja danach wieder beruhigt hat – im Vorjahr hatten wir gerade einmal 12.500 neue Asylanträge“ (zum Vergleich: 2015 waren es über 88.000, Anm.). Verstörend war und ist an der Debatte vor allem eine gewisse Wahrnehmungsverzerrung und Hysterie. „Ein Beispiel: Wir haben in Herzogenburg in einem Wohnhaus schon 2013 eine Flüchtlingsfamilie untergebracht. Als 2015 die Zahl stark gestiegen ist, wunderte sich eine Nachbarin, dass in der Stadt keine Flüchtlinge untergebracht sind. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass neben ihr schon jemand gewohnt hat. Oder nehmen wir eine Waldviertler Gemeinde, wo die Unterbringung von etwa 20 Asylwerbern zu großen politischen Auseinandersetzungen führte. Die Gemeinde hat 1.600 Einwohner – und die fürchten sich vor vier Familien mit 20 Personen? Wirklich?“, schüttelt Ziselsberger den Kopf, der das Thema zudem auf eine höhere, wenngleich gern verdrängte Ebene hebt. „Die Wahrheit ist, wir brauchen Migration! In den kommenden elf Jahren erreichen jährlich im Durchschnitt 27.000-29.000 Menschen in Niederösterreich das Pensionsalter. Gleichzeitig treten aber nur etwa 17.000 potentiell in den Arbeitsmarkt ein. Bislang kann mir niemand vorrechnen, wie sich das Füllen der Lücke – und damit die Sicherung unseres Sozialstaates – ohne Migration ausgehen soll.“ Das Mindeste Allein aus diesem pragmatischen Grund, wenn schon nicht alle von Nächstenliebe beseelt sein mögen, „muss die Integration jener, die schon da sind, prioritäres Anliegen sein. Wir müssen diesen Menschen Zugang zu unserer Gesellschaft gewähren, insbesondere auch zum Bildungssystem, denn es zeigt sich vor allem bei den Jungen, dass sie sich rasch anpassen,

die Sprache schnell erlernen und damit auch in ihrer Community insgesamt die Integration vorantreiben.“ Kontraproduktiv seien dahingegen Maßnahmen wie jene in der novellierten Mindestsicherung, die die Auszahlungshöhe an ein bestimmtes Sprachniveau koppeln, „weil man anerkennen muss, dass es für die Neuankömmlinge zunächst prioritär ist, das nackte Überleben zu sichern – da verschwendet man sicher nicht den ersten Gedanken auf Spracherwerb.“ Dieser müsse dann natürlich – nicht zuletzt auf Basis eines dementsprechenden öffentlichen Angebotes – bestmöglich gefördert werden. „Und die Kurse werden auch gut angenommen“, räumt Ziselsberger gleich mit einem anderen Vorurteil der angeblich integrationsunwilligen Flüchtlinge auf. Auch die ebenfalls mittlerweile nach einem Verfassungsgerichtshofentscheid abgefederte, aber seitens des Bundeslandes Niederösterreich auch in der „reparierten“ Neuversion des Sozialhilfegesetzes festgeschriebene unterschiedliche Unterstützungshöhe für Kinder hält Ziselsberger für sozial unverträglich. „Kinder sind nicht unterschiedlich viel wert und es ist grundfalsch, sie dafür zu bestrafen, dass sie in einer kinderreichen Familie aufwachsen, die mit Armut zu kämpfen hat.“ Durch diese Diskriminierung würde der Staat die Armut – zum späteren monetären und sozialen Nachteil der Gesamtgesellschaft – geradezu einzementieren und die Zukunftschancen dieser jüngsten Staatsbürger nachhaltig gefährden. Der Caritasdirektor bringt ein ver-

WELTGEMEINSCHAFT. Die Caritas St. Pölten enagiert sich auch international.


WENN WIR NOT SEHEN, HANDELN WIR

meintlich banales Beispiel. „Meine Tochter hat für ihre Diplomarbeit zum Thema Kinderarmut einige Menschen interviewt. Ein 60 Jahre alter Mann etwa hat auf die Frage, was für ihn eine schlimme Erfahrung gewesen sei, gemeint, dass er als Kind nie neue Schi bekommen hat, weil sich das die Eltern nicht leisten konnten. Er sei daher beim Schifahren immer der Letzte gewesen, habe sich immer unterlegen gefühlt. Dieses Kindheitserlebnis hat ihn sein Leben lang begleitet!“ Letztlich gehe es immer auch um die psychischen Langzeitwirkungen von Armut, die Scham, ganz abgesehen von der unmittelbaren Not, „wenn eine alleinerziehende Mutter nicht weiß, wie sie am nächsten Tag den Hunger der Kinder stillen soll, wo es also wirklich ums Allernotwendigste geht! Ich verstehe einfach nicht, wie man das in einem reichen Land wie Österreich zulassen kann.“ Alle denken nur an sich, nur ich denk an mich. Könnte das seiner Meinung nach auch mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Entsolidarisierung zu tun haben, die – groteskerweise – einem gewissen Wohlstand geschuldet zu sein scheint? „Viele Menschen haben jedenfalls Angst, etwas zu verlieren. Faktisch betrachtet geht es uns heute natürlich viel besser als noch etwa unserer Großeltern- oder Elterngeneration. Die hatten zum Beispiel noch die 50-Stunden-Woche und drei Wochen Urlaub im Jahr, heute sind‘s 40 Wochenstunden und fünf Wochen Urlaub. Aber was sich vielleicht geändert hat, ist diese Zuversicht steten Aufstieges – heute haben viele eher den Eindruck, es kann nur mehr bergab gehen.“ Solidarität wird dadurch zusehends von Egoismus zersetzt, was aber gar nicht als amoralisch gilt, sondern gar als hipp. „Wenn man täglich mit Slogans wie ‚Geiz ist geil‘ beschallt wird, dann verändert das eben irgendwann das Mindsetting einer Gesellschaft.“ Und zerstört auf Sicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In diese Kategorie fallen auch politische Slogans à la „Wer etwas leistet, darf nicht der Dumme sein.“ Dies

BRENNPUNKT-THEMA PFLEGE. Die Caritas beschäftigt allein in St. Pölten 200 Mitarbeiter im Bereich Pflege – 60 in der Hauskrankenpflege und 140 im Pflegeheim Haus St. Elisabeth. suggeriert nämlich, dass „die anderen“ eben nichts „leisten“, ja es sich gar auf Kosten der Leistungsfähigen gut gehen lassen und sich dabei noch ins Fäustchen über deren Dummheit lachen. Nach den Gründen, warum diese Menschen zum Beispiel nicht arbeiten (können), wird gar nicht erst gefragt – was gerade etwa im Fall der Mindestsicherungsbezieher besonders bizarr ist, wenn man weiß, dass über 35% davon Kinder sind und weitere gut 25% schlicht nicht erwerbsfähig (Pensionisten, Menschen mit Betreuungspflichten). Die Gesellschaft wird so in Lager gespalten, Neid und Missgunst werden geschürt, Solidarität nicht mehr als Stärke, sondern als Schwäche aufgefasst, „ganz abgesehen davon, dass diese Sichtweise auch ein sehr einseitiges Verständnis von Leistung offenbart. Ich hatte diesbezüglich eine bemerkenswerte Episode mit meiner Tochter, die in der Schule immer zu kämpfen hatte, stundenlang am Tag lernen musste, während ihrem Bruder das alles recht leicht von der Hand gegangen ist. Als er für seine Leistungen einmal ausgezeichnet wurde, fragte sie verschmitzt: ‚Warum bekommt er eigentlich eine Auszeichnung? Er hat doch gar nichts geleistet, er merkt sich halt Dinge leicht.

Ich musste viel mehr investieren, ich bekomme aber keine öffentliche Anerkennung. Was ich damit sagen möchte: Vielleicht ist die größere Leistung ja die, zum Beispiel als alleinerziehende Mutter den Kindern unter großen Entbehrungen ein halbwegs gutes Leben zu ermöglichen – nur diese Form von Leistung wird in unserer Gesellschaft nicht wahrgenommen und kaum wertgeschätzt.“ Wobei Begriffe wie „Leistung“ oder „Faulheit“ für die Caritas ohnedies keine Kategorie darstellen. Geholfen wird jedem, der in Not ist, und die kann – wie Ziselsberger wichtig ist zu betonen – „wirklich jeden treffen! Wir Menschen sind soziale Wesen und aufeinander angewiesen, das sollten wir nicht vergessen. Deshalb müssen wir zusammenhalten!“ Die Caritas St. Pölten praktiziert das seit nunmehr 100 Jahren auf vielerlei Art und Weise. Dies verdient nicht nur unseren Respekt, sondern vor allem auch unsere Unterstützung – etwa in Form einer Spende. Das kann man jetzt übrigens ganz einfach per SMS (oder wie in meinem Fall zuletzt auch ganz klassisch via Überweisung). Das könnten wir ja gleich ausprobieren … Ich hoffe, Sie verstehen den kleinen Wink mit dem sozialen Zaunpfahl! MFG 03.20

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SHORTCUT KULTUR

FOTOS: FRANZL DRAWS/ADOBE STOCK, SEBASTIAN KONOPIX, ZVG

KOLUMNE THOMAS FRÖHLICH

RETURN OF THE UNGUSTL „Des hom‘S ja eh ned, gön‘S?“ Oder auch konkreter: „Orangen hom‘s natirlich kane, gön‘S?“ Hervorgebracht in höhnisch aggressivem Tonfall, begleitet von vorwurfsvollen Blicken und den Umstehenden gegenüber Beifall heischendem Kopfschütteln, stellen dies Lieblingssätze des durchschnittlichen St. Pöltners dar, schenke ich meiner Lieblingsmarktfrau Glauben. Und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. In Baden etwa, meint sie, sei das anders, dort freuen sich die Menschen über Waren, die man vielleicht nicht immer und überall bekommt. Seien höflich und freundlich. Aber hier … Ich muss ihr leider recht geben. Mieselsüchtige Grantschermigkeit, gekoppelt mit täglich geübter Ignoranz und zur Perfektion getriebener Pöbelhaftigkeit feiern derzeit in STP fröhliche Urständ‘. Wieso das so ist? Ich weiß es nicht. Daran, dass „wir“ nicht Kulturhauptstadt geworden sind, kann‘s nicht liegen – die war und ist 98 Prozent der Einwohnerschaft eh blunznwurscht. Möglicherweise haben die Preise für Hundefutter angezogen (und das in einer Stadt, wo auf jeden Bewohner mindestens ein überall hinkackender Hund kommt) – das wäre eine Erklärung. Vielleicht will man sich aber auch nur in Sachen Benehmen von den zuvor erwähnten ach so konservativen, monarchistischen Badnern abgrenzen. Weil: Bin i da Elmayer? Eben. Daraufhin vor den Marktstand gespuckt und rülpsend aufs Handy starrend weiter geschlurft. Übrigens: Wenn es stimmt, dass Architektur den Menschen prägt, dann mögen uns die Götter bei dem, was derzeit baulich so hingerotzt wird, gnädig sein.

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S

ZAUBERHAF T

ie ist schon jetzt eine der erfolgreichsten österreichischen ShowProduktionen aller Zeiten, und sie trägt das Herkunftslogo „made in STP“: Thommy Ten & Amélie van Tass‘ „Zweifach zauberhaft“. Nicht nur, dass die Magier selbst in St. Pölten geboren wurden und heute in Krems wohnhaft sind (wenn sie nicht gerade in den USA weilen), sondern auch die gesamte Produktion, Management, technische Umsetzung stammen aus St. Pölten, steckt dahinter doch die Firma NXP, die zugleich auch Veranstalter der

Tournee ist. Das heißt im Klartext, dass insgesamt 100 Tonnen Equipment on the Road sind und rund 50 Leute zum Erfolg der Show beitragen, die Ende Februar ihren vorläufigen Höhepunkt feierte, als Thommy und Amélie vor 10.000 Besuchern in der ausverkauften Wiener Stadthalle Robert Kratky „zersägten“. Am 15. und 16. Mai gastieren die beiden Ausnahmemagier im Wolkenturm Grafenegg, im kommenden Jahr wird dann die „Zweifach zauberhaft“-Tournee in Österreich und Deutschland fortgesetzt.

K UNS T BEF LIS S ENE T ÖC HT ER

S

ie sind Fotografinnen, bildnerische Künstlerinnen, kreative Frauen, die den öffentlichen Raum in der Landeshauptstadt erobern: Hippolyt & Töchter nennt sich das Künstlerinnenkollektiv, das an wechselnden Orten ausstellt und dabei auch leer stehende Geschäftslokale und trostlose Auslagen attraktiv gestaltet. Maria Budweiser, Eva Benesch, Silvia Fembeck, Edith Haiderer, Ingrid Loibl, Ingrid Reichel, Judith Wagner und Claudia Zawadil nehmen mit ihren Kunstwerken zu unterschiedlichsten Themen Stellung, präsentieren ein künstlerisches Statement aus weiblicher Sicht. Beim Höfefest, zum Beispiel, waren Hippolyt & Töchter mit einer Ausstellung in der

Linzer Straße präsent, derzeit bespielen sie leere Räumlichkeiten im Herrenhof. Was als Projekt für die Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt gedacht war, hat sich eigenständig weiterentwickelt.


MFG ADVERTORIAL

FESTSPIELHAUS ST. PÖLTEN / BÜHNE IM HOF

COOLE SOCKEN

FRÜHLINGSERWACHEN ... ... mit choralem Meisterklang am 15/03 Chorus sine nomine . ALMA: KAIROS ... mit afrikanischen Rhythmen am 28/03 Angélique Kidjo . Tonkünstler-Orchester

Das Visuelle löst ja seit jeher so seine Assoziationen aus, überhaupt wenn man ein mittlerweile so genial zerfurchtes Gesicht wie Ian Siegal sein eigen nennt, das einen an Mickey Rourke ebenso gemahnt wie – in Kombination mit seiner rauchig-rauen Stimme – an den Bluesballaden scheppernden Tom Waits. Kurzum eine geniale Mischung, die den Briten nicht zufällig zum besten Blues-Export seines Landes machte, wobei er – Brexit hin oder her – bei seinem Konzert am 16. April auf die wohlfeilen Fähigkeiten ein paar waschechter Festland-Europäer, gar St. Pöltner als Backing Band vertraut: Dieter Libuda, Peter Pansky, Oliver Jung und Daniel Letschka. Noch Fragen?

... mit feinstem Blues am 03/04 Eric Bibb: Global Griot ... mit spektakulärem Tanz am 18/04 Serge Aimé Coulibaly . Rokia Traroé: Kirina Angélique Kidjo © Sofia and Mauro

Infos und Tickets unter www.festspielhaus.at |

/festspielhaus |

Eine coole Socke und Meister seines Faches, das freilich mehr Richtung Jazz, Funk und Soul geht, ist auch Raul Midón. Der New Yorker geht die Sache am 8. Mai allerdings lieber solo mit Gitarre und samtweicher Stimme an, die im Übrigen schon Background bei Größen wie Lopez, Aguillera oder Shakira zu hören war. Der Hintergrund ist freilich nicht wirklich etwas für den genialen Jazzmusiker, der mit „Bad Ass and Blind“ – Midón ist von Geburt an blind – 2017 ein grammynominiertes Album hinknallte und damit quasi zum offiziellen Mitglied im Jazzolymp avancierte, in dem er schon mal gerne mit Heroen wie Herbie Hancock arbeitstechnisch abhängt.

www.buehneimhof.at

/festspielhaus.at

MFG 03.20

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MFG KULTUR

DIE RUHE NACH DEM STURM Gut 100 Tage liegt die Entscheidung der Jury gegen St. Pölten als Europäische Kulturhauptstadt zurück. Während man die berühmten 100 Tage für gewöhnlich neuen Regierungen zum Einarbeiten einräumt, waren es im Falle St. Pöltens sozusagen 100 Tage, um sich von der Enttäuschung einigermaßen zu erholen.

E

s geht uns gut, wir sind wieder voller Energie nach – zugegeben – einer harten Phase mit einigermaßen Wut im Bauch“, räumt Albrecht Großberger, nach dem Abgang Michael Duschers interimistischer operativer Geschäftsführer der NÖ Kulturlandeshauptstadt St. Pölten GmbH, eingangs des Gespräches ein. Die „Wut“ hatte man vor allem aufgrund der Jury-Entscheidung. „Es gibt sechs ganz klare Kriterien, nach denen die Jury zu beurteilen hat – und zwar nur nach diesen sechs – das hat sie unserer Meinung nach nicht konsequent getan“, kommt sich 44

zu stark.“ Auch dass die angenommenen Personalkosten zu hoch und teils nicht nachvollziehbar seien sowie das Einstimmigkeitsprinzip des mehrköpfigen Leitungsteams zu Stillstand und Konflikten hätte führen können, lässt Großberger nicht gelten – wohl auch unter dem Aspekt, dass Bad Ischl mittlerweile (allerdings erst nach dem Zuschlag) eine kaufmännsiche Geschäftsführung sowie ein siebenköpfiges künstlerisches Direktorium ausgeschrieben hat. „Es stimmt, der Personalaufwand für ein komplexes Projekt wie die Kulturhauptstadt Europas ist hoch, doch wir wollten eine bestmögliche Umsetzungsfähigkeit sicherstellen. Und weil wir nichts zu verstecken haben, wurden die Personalkosten ganz transparent offengelegt, wie wir überhaupt die gesamte Finanzierung stringent und seriös durchgerechnet haben, und zwar vorab seitens der Politik einstimmig garantiert.“ Dass die St. Pöltner Bewerbung zu

Es geht uns gut, wir sind wieder voller Energie nach – zugegeben – einer harten Phase mit einigermaßen Wut im Bauch. ALBRECHT GROSSBERGER

Großberger noch immer ein bisschen wie im falschen Film vor. Auch manch im Jurybericht formulierte Kritik stößt dem Interimsleiter sauer auf. „Im Bid Book 1 wurde etwa seitens der Jury moniert, dass wir den Zentral- und Osteuropa-Schwerpunt zu wenig ausgearbeitet hätten. Wir haben darauf reagiert und nachjustiert. Bei der Beurteilung des Bid Book 2 hieß es jedoch, der Fokus der Bewerbung auf Zentral- und Osteuropa sei

kopflastig und konzeptionell gewesen sei, wie ebenfalls kritisert, lässt Großberger ebenfalls nicht unwidersprochen. „Ganz ehrlich, wenn unsere Bewerbung zu ‚intellektuell‘ war, das heißt Tiefgang hatte und weit über Marketing-Slogans hinausging, dann sind wir stolz darauf. Bei Bad Ischl steht eine Überschrift zum Kernthema Overtourism ohne dass es dazu dazu im Bid Book einen klaren Lösungsansatz gibt“, ärgert er sich. Wobei das


TEXT: JOHANNES REICHL | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER

Wir werden gewisse Formate im kleineren Rahmen abtesten, damit wir für 2024 gerüstet sind. CAROLIN RIEDELSBERGER

Thema „Overtourism“, wie Projektleiter Jakob Redl mutmaßt „aktuell vielleicht opportuner ist und der Jury besser gefallen hat. Wir sind eben mehr in die Tiefe gegangen, haben überlegt, wie das Große im Kleinen wirkt, wie verschiedene Aspekte, die in Europa relevant sind, auch in den Mittelstädten durchschlagen – Umweltschutz, Migration, technischer Wandel, Mobiliät etc.“ Zwar nicht explizit ausgesprochen, vermeint man doch den Verdacht eines gewissen Spins der Jury herauszuhören. „Vielleicht wollte man einfach nicht sozusagen die kleine Schwester von Linz, also diese Transformationsgeschichte einer ehemaligen Industriestadt zur Kulturstadt, sondern eben erstmals eine inneralpine Kulturhauptstadt mit Tourismusfokus“, so Redl. „Das Gute in dieser schwierigen Situation der Absage war, dass wir eine maßgeschneiderte und breit getragene Bewerbung hatten, so dass wir jetzt auf einer soliden Basis nahtlos weitermachen können“, ergänzt Großberger. Plan B Womit wir die Rückschau abschließen und den Blick in die Zukunft richten. Denn, wie im Vorfeld versprochen, bedeutet die gescheiterte Bewerbung ja nicht das komplette Aus der Kulturhauptstadt 2024, sondern sie schmilzt „nur“ von der offiziellen Europäischen zur NÖ Kulturlandeshauptstadt zusammen. Jetzt wird der „berühmte“ Plan B ausgerollt, auf den sich Stadt und Land schon im Vorfeld geeinigt hatten „und der auch wirklich umgesetzt wird“, wie Großberger betont. Diesen als B wie Besser zu bezeichnen wäre natürlich völlig unangemessen, aber aufgrund des Wegfalls europäischer Vorgaben „haben wir jetzt natürlich

mehr Spielraum und können komprimierter unsere Vorstellungen umsetzen“, so Redl. Großberger bringt ein pragmatisches Beispiel. „Als Europäische Kulturhauptstadt musst du zum Beispiel im Jänner, wenn es bei uns vielleicht schneit und Minusgrade hat, ein Megaeröffnungsfest hinlegen. Das können wir uns jetzt ersparen.“ Wie man sich überhaupt auf die touristische Primetime von März bis Oktober konzentrieren wird, wie Marketingleiterin Carolin Riedelsberger ergänzt. „Und es wird auch nicht jeden Tag Programm geben.“ Die Grundstoßrichtung der Programmierung an sich bleibt aber im Kern bestehen, auch Europa als Angelpunkt wird nicht gekübelt „wobei wir uns bewusst auf die Nachbarländer bzw. auf ausgewählte inhaltliche Kooperationen konzentrieren und hier gerade auch mittel- und osteuropäische Städte mitdenken“, erläutert Redl, womit man auch eine Art Doppelstrategie verfolgt. „Es geht uns um die Umsetzung eines spannenden Kunstprogramms, das kulturtouristisch nach außen wirkt und Touristen aus diesem Umkreis anzieht, ebenso geht es aber auch um ein soziokulturelles Programm nach innen

für die Bevölkerung, das uns bei der Lösung der gestellten Themen und Herausforderungen Erkenntnisgewinne bringen soll und die Stadt insgesamt weiterbringt.“ Alles in allem wird St. Pölten 2024 also so etwas wie eine Kulturhauptstadt light erleben – die mühsam erarbeiteten Projekte sollen jedenfalls nicht allesamt in der Schublade verstauben – wobei „light“ ein relativer Begriff ist: Immerhin wird das Programmbudget 2024 mindestens 16 Millionen Euro betragen – acht Millionen kommen vom Land (wie üblicherweise bei einer Landesausstellung) und acht Millionen sind von der Stadt budgetiert, etwaige weitere Förderungen von Bund oder der EU, Sponsorings und Kartenerlöse noch nicht mitgerechnet. Und auch die Macher möchten festgehalten wissen „dass das nicht nur irgendeine ‚kleine‘ Version wird, sondern 2024 muss höchsten Qualitätsansprüchen europäischer Dimension genügen!“ Dafür wird im Vorfeld – auch das in sicheren Tüchern – kräftig in die Infrastruktur investiert, wenngleich teils auf niedrigerem Niveau als im Falle des Zuschlages geplant. Wir reden diesbezüglich aber immer noch MFG 03.20

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MFG KULTUR

DIE RUHE NACH DEM STURM

von insgesamt 30 Millionen Euro. Knapp vor seiner Präsentation steht etwa das KinderKunstLabor (Arbeitstitel, Anm.). Und auch wenn die Projektverantwortliche Carolin Riedelsberger noch nicht allzuviel verraten kann, so verweist sie doch auf die intensiven Vorarbeiten. „Wir haben uns praktisch alle best practice-Modelle in Europa angeschaut“, wobei die Einrichtung in St. Pölten insofern einzigartig sein wird „weil sie nicht an irgendeine andere ErwachsenenInstitution angedockt ist, sondern es tatsächlich ein eigenes Haus sein wird, das sich gestalterisch und programmatisch primär an Kindern orientiert.“ Diese werden u. a. bereits seit letztem Sommer über einen Kinderbeirat auch direkt in die Architektur, Namensgebung, Programmgestaltung etc. miteingebunden. Inhaltlich, soviel ist schon durchgesickert, dürfte das KinderKunstLabor schwerpunktmäßig im Bereich zeitgenössische bildende Kunst angesiedelt sein, womit St. Pölten – nach dem Verlust der Bildenden Kunst im Landesmuseum – auf dieser Ebene ein kleines Comeback erfährt. „Das Programm wird

Synagoge, technische Adapatierungsarbeiten im Festspielhaus „wodurch wir auf Sicht den Tanzstandort absichern“, Investitionen in die Gestaltung der Verbindungen zwischen Innenstadt und Regierungsviertel, eine Reanimation des Klangturms „der wieder partiell erklingen soll“ sowie die Renovierung der LAMES Gebäude im Sonnenpark auf Schiene. Es kommt jedenfalls genug auf das Team zu. Dieses arbeitet in der ersten Jahreshälfte ein update des Grundkonzepts aus, auf dessen Basis dann die künstlerische Leitung und die operative Geschäftsführung ausgeschrieben wird „damit diese genau wissen, was erwartet wird bzw. was nicht.“ Die neue Mannschaft wird dann mit der Umsetzung beginnen, wobei man auf verschiedenen Ebenen schon vor 2024 Outputs der Landeskulturhauptstadt merken wird. Zum einen natürlich über die Bautätigkeiten, ebenso aber auch durch den regelmäßigen Austausch mit Stakeholdern und der Bevölkerung – Stichwort Partizipation – sowie programmatisch durch manche Testballons. „Wir werden gewisse For-

Das wird nicht nur irgendeine ‚kleine‘ Version, sondern 2024 muss höchsten Qualitätsansprüchen europäischer Dimension genügen! JAKOB REDL

sehr interdisziplinär angelegt, ‚Ausstellungen‘ werden anders kuratiert, anders gehängt sein als in klassischen Häusern, die Kinder werden mit Künstlern zusammenarbeiten, diskutieren – freilich nicht vorgegeben, sondern prozesshaft und ergebnisoffen, um so viele Kompetenzen zu vermitteln“, reißt Riedelsberger ein paar Grundgedanken an. Neben dem KinderKunstLabor sind außerdem die Neugestaltung des Domplatzes, Investitionen ins Stadtmuseum „das sich mehr Platz für die Präsentation der archäologischen Funde oder auch für Eröffnungen wünscht“, die Renovierung und Neuprogrammierung der ehemaligen 46

mate im kleineren Rahmen abtesten, damit wir für 2024 gerüstet sind“, so Riedelsberger, die etwa „auf Überlegungen für ein kleines KinderKunstLabor im Rahmen des diesjährigen Festes der Begegnung“ verweist, oder auch auf ein Konzert der Tonkünstler Niederösterreich am St. Pöltner Domplatz 2023 bei freiem Eintritt. Die 2024-Geschichte geht also weiter. Wie meint Redl abschließend im Hinblick auf die gescheiterte Bewerbung. „Natürlich wird man schlauer und hätte aus heutiger Sicht vielleicht das eine oder andere anders gemacht, aber im Großen und Ganzen hat sich an unseren Grundüberzeugungen und am Zugang nichts geändert. Wir wollten keinen Ghostwriter, der irgendwelche vermarktbaren Slogans kreiert, sondern diese Bewerbung, das Programm, die Themen sind zu 100% von uns selbst gekommen, und das halte ich noch immer für absolut richtig.“ Bad Ischl zollt er trotzdem, um da nicht ein falsches Bild aufkommen zu lassen, Respekt. „Die haben das als Underdog sehr schlau angelegt und alle überrascht.“ 2024 wird St. Pölten am europäischen Kulturparkett der Underdog sein – Überraschungspotenzial inklusive!


MEISTERKONZERTE DER LANDESHAUPTSTADT SANKT PÖLTEN STADTSA AL IM CITYHOTEL D&C

KÜNSTLERISCHE LEITUNG: ROBERT LEHRBAUMER

KONZERTE & ABO

Barockfestival St. Pölten 5.–20. Juni 2020

Sonntag / 29. März 2020 / 18.30 Uhr

HIGHLIGHTS DES SWING DIE „MARILYN MONROE DES JAZZ“ Nicki Parrott – Gesang, Kontrabass Martin Breinschmid & The Radio Kings

Sonntag / 3. Mai 2020 / 18.30 Uhr

GALA FÜR JÖRG DEMUS

BELIEVE IN MAGIC

GEDÄCHTNIS- UND GESPR ÄCHSKONZERT Maria Kliegel, Robert Lehrbaumer, Norman Shetler, Ryoko von Busekist u.a.

Sonntag / 14. Juni 2020 / 18.30 Uhr

BEETHOVEN-FEST

ZUM 250. GEBURTSTAG VON BEETHOVEN Robert Lehrbaumer – Dirigent & Solist Domchor St. Pölten / Czech Chamber Orchestra

Info, Abo- und Kartenverkauf Magistrat der LH St. Pölten, Fachbereich Kultur und Bildung Prandtauerstraße 2, 3100 St. Pölten Tel.: 02742 333-2601, E-Mail: kultur@st-poelten.gv.at Einzelkarten: Vorverkauf: 20 Euro / Abendkassa: 24 Euro Kleines Abo: 55 Euro (für die letzten drei Konzerte)

www.barockfestival.at


MFG ADVERTORIAL

PRÄDIKAT

„HERVORRAGEND“ „Wirklich, bin ich das schon?“, fragt Lothar Fiedler überrascht, als ich ihn auf sein 10-jähriges Jubiläum an der Spitze der Freunde der Kultur St. Pölten im Vorjahr hinweise. Der Vereins-Präsident hat halt mehr seine „Schäfchen“, sprich Mitglieder im Blick, für die er „ein allumfassendes Erlebnis schaffen möchte.“ Nachhaltig unterstützt dabei von Claudia Wallner, die operativ im Hintergrund den Laden schupft und so zum Erfolg des größten St. Pöltner Kulturvereines beiträgt, weshalb er sie gleich zum Gespräch mitgenommen hat. Und Erfolg kann man Fiedler und seiner Mannschaft wahrlich nicht absprechen. So hat er etwa den von Herbert Binder und Franz Rupp 2002 gegründeten, großartig geführten und „Förderverein Kulturbezirk“ getauften Verein sukzessive weiterentwickelt, was sich auch an der Mitgliederzahl ablesen lässt. „Heute sind es 550!“, freut sich Fiedler über steten Zuwachs, der zuletzt aufgrund einer gewissen Schwerpunktsetzung auch eine allmähliche Verjüngung erkennen ließ. „Wir haben etwa eigene Familienangebote kreiert, wo Kinder etwa den Probenarbeiten zu Ottfried Preußlers ‚Die kleine Hexe‘ im Landestheater beiwohnen durften, sich dabei im Zuge eines Workshops selbst als Mimen versuchten, eine Rätselrallye durchs ganze Haus absolvierten und sich schließlich bei Kaffee und Kuchen laben konnten“, erzählt Claudia Wallner, und Fiedler ergänzt. „Das ist schon herrlich, wenn man dann die roten Backerl und leuchtenden Augen der Kinder sieht.“ Letztlich geht es Fiedler darum, auch bei den jüngsten Gästen und quasi dem Vereinsnachwuchs sein prinzipielles Credo umzusetzen. „Es geht um eine win-win Situation für unsere Betriebe ebenso wie für die Vereinsmitglieder. Die Menschen sollen Kultur nicht nur mittels ihres finanziellen Beitrages unterstützen, sondern diese auch aktiv ‚konsumieren‘ und einen

Mehrwert aus der Mitgliedschaft ziehen.“ Was eindrucksvoll gelingt. So wurden allein im Vorjahr 28 verschiedene Veranstaltungen durchgeführt, die jeweils ganz besondere „Benefits“ mit sich brachten. „Wann kommt man schon so hautnah mit Künstlerinnen und Künstlern in Kontakt, kann wirklich einen Blick hinter die Kulissen der Kultur, ja in den Kulturbetrieb selbst werfen?“, fragt Claudia Wallner und bringt als Beispiel „etwa einen unserer letzten Besuche in der Bühne im Hof, als sich Katharina Strasser nach der Veranstaltung zu uns gesellte und mit den Mitgliedern scherzte.“ Den Faden weitergesponnen kann man auch fragen, wo man sonst im Rahmen der – Lothar Fiedler ebenfalls sehr wichtigen – VereinsExkursionen in auswärtige Kulturinstitutionen von den aus Funk und Fernsehen bekannten Direktorinnen vom Kaliber einer Johanna Rachinger, Agnes Husslein, Sabine Haag oder Danielle Spera höchstpersönlich begrüßt wird und anschließend exklusiv durchs Haus geführt wird, auch in Winkel und Ecken, die der Öffentlichkeit sonst verschlossen bleiben. „Das ist schon ein Erlebnis!“, betont Fiedler und verweist auch auf die von ihm ins Leben gerufenen Künstlergespräche, „wo wir mit Dominique Meyer begannen und zuletzt Nikolaus Habjan zu Gast hatten.“ Zur „Abrundung“ geht es zudem einmal im Jahr auf eine grö-

ßere Kulturreise in Europa, die für die Mitglieder von A bis Z durchgeplant ist! Man muss sozusagen nur mehr einsteigen und genießen. Höhepunkte waren auch die Kurzreisen nach Hamburg mit dem Tonkünstler Orchester in die Elbphilharmonie und mit dem Landestheater nach Leipzig zum Euro Scene Festival.

Brücken bauen

Fiedler war freilich auch der Weg in die St. Pöltner Innenstadt wichtig, wo die jüngsten Mitgliedsinstitutionen Landestheater Nieder­ österreich, Bühne im Hof und Stadtmuseum St. Pölten situiert sind. „Uns geht es ja um die St. Pöltner Kultur in ihrer Gesamtheit, auch für unsere Mitglieder“, weshalb die Grenzen des Kulturbezirks sozusagen irgendwann zu eng wurden und der „Förderverein Kulturbezirk“ auch namentlich zum Verein „Freunde der Kultur St. Pölten“ mutierte. „Das war intern an-

MITGLIED WERDEN und die zahlreichen Vereinsvorteile (Exklusivveranstaltungen, Previews, Künstlertreffen, Exkursionen,

Ermäßigungen uvm.) genießen. Anmeldung und Infos unter T +43 2742 90 80 90-941, F +43 2742 90 80 94, freunde@kultur-stp.at

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FREUNDE DER KULTUR ST. PÖLTEN

Seit zehn Jahren ist Lothar Fiedler Präsident der „Freunde der Kultur St. Pölten“, im Hintergund organisiert Büroleiterin Claudia Wallner St. Pöltens größten Kulturverein.

fangs alles andere den unumstritten, aber aus meiner Sicht einfach notwendig!“, so Fiedler, der damit auch ein starkes Signal in Sachen „Brücken bauen“ setzte. So wurden ja nicht nur – wie bis dahin üblich – „Landesinstitutionen“ aufgenommen, sondern mit dem Stadtmuseum auch erstmals ein städtischer Kulturbetrieb – ein Meilenstein. „Dieses Denken in schwarz-weiß – oder in diesem Fall schwarzrot, Stadt-Land – war nie meines. Deshalb hat mich ja schon die ursprüngliche Gründung des Vereines mit dem eher konservativ verorteten Herbert Binder und dem roten Lager zugeordneten Franz Rupp als Führungstandem so begeistert, dass ich sofort beigetreten bin“, erinnert sich Fiedler.

Behind the scene

Mit dem neuen Namen wurde auch ein neues CI auf den Weg gebracht, und an der Stelle

kommt sozusagen – zumindest unmittelbar nach dem Beschluss – Claudia Wallner ins Spiel, die 2017 die Büroagenden des Vereins übernahm. „Die Implementierung des CIs gehörte zu den ersten Aufgaben, die ich umzusetzen hatte“, erinnert sie sich an den Sprung ins kalte Wasser, den sie aber, wie alles was folgte, mit Bravour bewerkstelligte und deshalb heute ein bisschen als die gute und vor allem arbeitsreiche Seele im Hintergrund sowie Liebling der Mitglieder gilt. „Dieser Aufgabenbereich ist ja ein Riesenaufwand, den man nach außen hin vielleicht gar nicht so wahrnimmt“, verweist Fiedler auf das Arbeitspensum der Büroleiterin. So gehören die permanente Mitgliederbetreuung auf allen Kommunikationskanälen ebenso zu ihrer Jobdescription wie Adressmanagement, Mitgliederverwaltung, Protokollarbeit, Organisation der Reisen und Ver-

anstaltungen – immerhin 28 im Vorjahr mit insgesamt über 1.200 Gästen, die Wallner allesamt im Vorfeld nicht nur organisiert und koordiniert, sondern jeweils auch selbst Vorort betreut hat – weiters Programmkoordinierung, Drucksortenmanagement, Website-Betreuung und vieles mehr. „Und sie macht das alles mit unglaublicher Verlässlichkeit“, streut Fiedler seiner rechten Hand Rosen. Verständlich, dass es ihn schmerzt, dass Wallner nun innerhalb der NÖKU neue Aufgaben übernehmen wird „auch wenn ich dem Verein natürlich mit meiner Expertise treu bleibe“, wie Wallner verspricht, um dem oder der Nachfolgerin anfangs zur Seite zu stehen. Diese Arbeitskraft soll jedenfalls wieder aus der NÖKU selbst kommen, „weil es einfach wichtig ist, dass man die Betriebe kennt, innerhalb dieser bzw. mit ihren jeweiligen Protagonisten gut vernetzt ist“, so Fiedler. „Und sie darf nicht leutescheu sein“, ergänzt Wallner schmunzelnd, die durchaus auch mit einem weinenden Auge baldigen Abschied nimmt. „Der Kontakt zu den Mitgliedern war und ist schon eine schöne Erfahrung, auch weil man die Wertschätzung spürt.“ So wurde sie nicht nur einmal zu Weihnachten angerufen und mit Glückwünschen bedacht, und an den Veranstaltungsabenden gab es immer wieder Sonderlob. „Es sind schon viele traurig, als sie erfahren haben, dass ich diese Tätigkeit nicht mehr lange mache, und haben sich bedankt.“ So wie es auch Fiedler tut, indem er seine rechte Hand bewusst vor den Vorhang bitten wollte und zum Gespräch mitgenommen hat. „Dieses Niveau aufrecht zu erhalten ist natürlich unser Ziel, aber es wird eine echte Challenge, weil es Claudia einfach so hervorragend gemacht hat!“ Womit sie in gewisser Weise auch pars pro toto für die Arbeit der „Freunde der Kultur“ für ihre Mitgliedsbetriebe, die einzelnen Mitglieder sowie nicht zuletzt das städtische Kulturleben steht, die ebenso das Prädikat „hervorragend“ verdient. Überzeugen Sie sich selbst und werden Sie Mitglied!

INFORMATIONEN

www.freundederkultur-stp.at, Tel.: 02742 90 80 90-941

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MFG KULTUR EMIL MARIO VACANO

Cokette und Betbruder in einer Person. EMIL MARIO VACANO

&

HERZBLUT CHAMPAGNER 50


TEXT: THOMAS FRÖHLICH | FOTOS: ELIAS KALTENBERGER, SETZ/ZVG, ARCHIV

Nach ihm ist die Vacano-Promenade im Stadtwald, dem ehemaligen Kaiserwald, benannt. Er war einer der meistgelesenen altösterreichischen Autoren und eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Heute kennt ihn beinahe niemand mehr: Emil Mario Vacano, der auch eine Zeitlang in St. Pölten lebte. Thomas Fröhlich begab sich anlässlich dessen 180. Geburtstags auf Spurensuche in nebliges Terrain.

D

er Kaiserwald von St. Pölten bietet im winterlichen Nebel und bei sanftem Schneefall nicht nur für Melancholiker eine prächtige Bühne. Eine beinahe undurchdringliche Stille liegt über ihm, nur gelegentlich unterbrochen vom Knacksen eines Zweiges oder dem kaum merklichen Rauschen des Windes. Betritt man den Wald von der Stadtseite aus durch den kurzen Fußgängertunnel unter der Bahntrasse und wendet sich sogleich nach links, befindet man sich auf der Vacano-Promenade, die uns an einem Bildstock aus dem 17. Jahrhundert vorbei zum Kalvarienberg führt. Alles wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Unter „Promenade“ stellt man sich möglicherweise auch etwas anderes vor als diesen unauffälligen Waldweg, der so gar nichts Mondänes oder Glamouröses an sich hat. Im Sockel des Bildstockes findet man die später angebrachte, mittlerweile stark verwitterte Inschrift: „Hier verweilte oft und gern der Dichter Emil Mario Vacano.“ Vacano? Den meisten sagt das wahrscheinlich gar nichts. Er scheint nicht dauerhaft in die Literaturgeschichte eingegangen zu sein – und als Ikone, mit der touristisches Kleingeld zu wechseln ist, dürfte er schon gar nicht taugen. Obwohl man nicht komplett falsch liegt, wenn man ihn – nicht nur vom Lifestyle her – ein wenig mit Oscar Wilde vergleicht. Er war auf jeden Fall ein Vielschreiber, der im Grunde jedes Genre beackerte: Satire, Biografie, Erzählung, Schauerliteratur, Zukunftsroman, religionskritisches Essay, Lustspiel, Ratgeber. Er galt (und gilt immer noch) als einer der vielgelesenen und kommerziell erfolgreichen Schriftsteller der k.u.k. Monarchie. Er war mit den unterschiedlichsten Zeitgenossen befreundet, darunter Alexander von

VERGESSEN. Emil Mario Vacano war eine der schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Von 1866 bis zu seinem Tod 1890 lebte er in St. Pölten. Sacher-Masoch, Peter Rosegger, Franz Keim oder die gerüchte- und skandalumflorte Tänzerin Lola Montez, mit der er – gleichsam in Autorengemeinschaft – 1864 das Buch „Blaues Blut. Handbuch der Noblesse“ herausbrachte. Wer aber glaubt, hier einen Ratgeber für ausschließlich adeliges Geblüt vor sich zu haben, hat die Rechnung ohne Vacano gemacht. Dieser thematisierte auch „die Noblesse der Künstlerinnen, der Armut – und die Noblesse der Gauner“ (W. Setz). Vor seiner Karriere als Schriftsteller arbeitete er unter anderem im Zirkus als Kunstreiterin (!) mit Namen Miss Corinna oder Signora Sangumeta. Zudem wurde ihm ein homoerotisches Verhältnis mit Emerich Graf von Stadion nachgesagt.

Untertags war er ein glühender Katholik, der sich mitunter auch in der Mönchskutte abbilden ließ, die Amtskirche hingegen harsch in seinem Werk „Die Gottesmörder“ kritisierte. Nachts war er diversen Frivolitäten und Pikanterien nicht abgeneigt und dafür auch bekannt und berüchtigt. Vacano selbst bezeichnete sich gerne als „Cokette und Betbruder in einer Person“ und titulierte sich als „Patriarch und Gigerl“. „In den Nächten fast frivol für das Orpheum schwärmend, am Tage im gotischen Dome in verzückter Gläubigkeit vor dem Altar kniend – so habe ich ihn selbst gesehen“, schrieb Rosegger in seinem Nachruf auf Vacano. Beschäftigt man sich ein wenig näher mit Vacanos Leben, findet man

Ein Fabulierer, der seine Feder bald in Champagner, bald in Herzblut tauchte. GÜNTHER VON FREIBERG

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MFG KULTUR

Jesus brachte das Licht zur Erde. Seine Jünger machten daraus die Flamme. EMIL MARIO VACANO

FREUNDSCHAFT. Mit dem Literaten Emerich Graf von Stadion verband Vacano eine lange Beziehung.

ein paar unverrückbare Fakten und viel Fiktion vor, da er selbst ein Meister darin war, seine Biografie immer wieder ein wenig abzuändern, sich selbst gleichsam neu zu erfinden. In der „Allgemeinen Deutschen Biographie“ von 1895 lesen wir unterm Eintrag „Vacano, Emil(e)“ gleich im ersten Satz: „Emil(e) Mario (eigentlich Emil Alois Ferdinand) V., in den letzten Jahren bisweilen Emil V.-Freiberg, Romanschriftsteller, geboren am 16. November 1840, während einer Reise seiner Eltern zu Schönberg an der mährisch-schlesischen Grenze, ist eine der seltsamsten Literaturgestalten des 19. Jahrhunderts“. Nach der Matura in Lemberg ging Emil(e) zum Zirkus, wo er als Seiltänzer und Kunstreiter auftrat, Letzteres sehr oft in Frauenkleidung. Allerdings war dies damals keine Seltenheit: Da man Frauen bestimmte Stunts nicht ausführen lassen wollte, steckte man gerne junge Männer, die nicht gerade über eine Schwarzeneggersche Körperlichkeit verfügten, in feminines Gewand. 1859 verließ Vacano den Zirkus und trat eine Zeit lang als Schauspieler auf, ehe er zur Literatur fand. Sein erstes Buch, „Mysterien des Welt- und BühnenLebens“, in der Theater- und Zirkuswelt angesiedelt, zeigte schon jenen 52

Schreibstil, der sein gesamtes Werk durchziehen sollte: ein leichter Tonfall und eine oft verspielte Erzählweise mit autobiografischen Einsprengseln, die scheinbar die Oberflächlichkeit feierten, bei genauerer Betrachtung jedoch durchaus in Gefühlstiefen wie auch Abgründe führten, wie etwa in seinem Schlüsselroman über Ludwig II., „König Phantasus“. Mit Emerich Graf von Stadion, der sich ebenfalls literarisch betätigte, verband ihn eine lange Beziehung, wobei die Lesarten ihrer Freundschaft differieren. Der Historiker Wolfram Setz, der 2014 im Männerschwarm-Verlag

die definitive Biografie über Vacano herausbrachte, ging zuerst von der Homosexualität des Schriftstellers aus – eine Annahme, die er im Zuge der Recherchen mehr und mehr relativierte. Geschlechtergrenzen scheinen bei Vacano eher unbestimmt und nicht so leicht fassbar zu sein. Dass ihn der männliche Körper faszinierte, kann man in vielen seiner Texte nachlesen. Und auch der eigene Körper dürfte ihm gefallen haben, wie er in „Die Kunst der Schönheit“ in charmanter Eitelkeit zugibt: Da zählt er die „acht wahrhaft schönen Männer“ auf, die er in seinem Leben gesehen

Ach, die Meisten von uns gehen auch zu Grunde am verbrannten … Maule. EMIL MARIO VACANO


TEXT: THOMAS FRÖHLICH | FOTOS: ELIAS KALTENBERGER

habe; der letzte Name in dieser Reihe: „Emil Mario Vacano“. Seine Bücher kamen auf jeden Fall beim Publikum an, auch wenn er sich oftmals darüber mokierte, vom heimischen Literaturbetrieb, den „Wiener Genies von eigenen Gnaden“, deren „Namen über die Wiener Ringstraße nicht hinaus klingen“, zu wenig gewürdigt zu werden. Fallweise verließ er auch die Gestade der Donaumonarchie, um etwa in New York den weltberühmten Zirkus Barnum zu besuchen oder den „Moralischen Vorlesungen“ von Lola Montez zu lauschen. Und gelegentlich konnte er Menschen durchaus auch vor den Kopf stoßen, wenn er mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hielt. Er konstatierte dies, etwa im „Bilderbuch für Hagestolze“, mit dem Bonmot: „Ach, die Meisten von uns gehen auch zu Grunde am verbrannten … Maule.“ Von 1866 lebte er bis zum Tod seiner Mutter 1890 mit dieser in der St. Pöltner Domgasse. In späteren Jahren dürften ihm, der immer schon zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“ schwankte, wirtschaftliche Probleme sowie ein massives Herzleiden das Leben bitte-

rer gemacht haben. Seine letzten von Krankheit überschatteten Jahre verbrachte er schließlich bei einem befreundeten Maler in Karlsruhe, wo er am 9. Juni 1892 verstarb. Was bleibt? Sein heutiger Bekanntheitsgrad hält sich in überschaubaren Grenzen. Wie einst der Regisseur Willi Forst am

LITERATURTIPP

Setz, Wolfram: Emil Mario Vacano. Eine biographische Skizze. Hamburg: Männerschwarm Verlag, 2014. 323 Seiten, zahlreiche Abbildungen

Ende seiner Karriere meinte: „Mein Stil hat Pause“, so dürfte auch Vacanos leichtfüßige Herangehensweise an Kunst und Leben in diesen Tagen nur wenige inspirieren. Er war einer, der zwischen allen Stühlen saß und dessen Leben wohl mindestens so spannend war wie sein Schaffen. Im Rahmen des St. Pöltner Bürgertheaters wurde zwar vor einigen Jahren ein Dramolett von Moritz Beichl zum Thema Vacano zum Besten gegeben – doch hatte dies mit der historischen Gestalt nicht viel mehr als den Namen gemein. Er selbst – Emil Mario, Corinna, Sangumeta – verblieb im Nebel der Literaturgeschichte und der verlorenen Erinnerungen. Währenddessen gehe ich im leichten Schneetreiben die Vacano-Promenade entlang – die Dämmerung setzt ein und irgendwie tät‘ ich nun gerne Pferdegetrappel und leise Zirkusmusik vernehmen. Und jemand, der, im etwas dandyhaften Stil des 19. Jahrhunderts gekleidet, neben dem Bildstock steht, wirft mir ein Bonmot zu, das mich zum Lächeln bringt. Aber so etwas geschieht nicht. Nicht heute. Nicht einmal zur blauen Stunde.

SPUREN. Im Stadtwald kann man auf den Spuren des Literaten wandeln, an den auch ein Bildstock mit der (stark verwitterten) Inschrift erinnert: „Hier verweilte oft und gern der Dichter Emil Mario Vacano.“

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MFG KULTUR

EIN THEATER GIBT SICH ÖFFENTLICH Mit den Menschen in der Stadt ins Gespräch kommen, Fragen stellen und den Blick auf die Vergangenheit werfen, um die Gegenwart zu erkennen. Das Landestheater Niederösterreich sucht den permanenten Austausch mit dem Kontext Mensch und Raum in St. Pölten. Dabei setzt man auf neue Formate, die an besonderen Orten mit besonderen Atmosphären ganz besondere Geschichten erzählen.

A

ls inhaltlicher und intellektueller Überbau fungiert das Erinnerungsbüro, von Marie Rötzer und Julia Engelmayer in gemeinsamer Arbeit geführt. Der Wunsch, diese lokale Verortung in Bezug zur Vergangenheitsschau zu gestalten, wurde anlässlich des Paulus Hochgatterer Stückes „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“ immanent. „Beim Publikumsgespräch kam es zu einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit der Problematik der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges in Niederösterreich hier am Theater und es entstand ein großes Bedürfnis, sich mit diesem Thema zu beschäftigen“, erzählt Julia Engelmayer. Der Gedanke des Erinnerungsbüros, einem Kunstprojekt, das sowohl innerhalb, aber auch vorwiegend außerhalb des Theaters nach atmosphärischen Orten sucht, um Geschichten aus der Vergangenheit der Landeshauptstadt zu erzählen, wurde geboren. Die Programmschiene ist in vier Teile aufgespalten: „Nathan 575“, „Die lange Tafel“, „Die lebendige Bibliothek“ und „Ein Stadtspaziergang“.

Mit den Menschen in der Stadt ins Gespräch kommen, sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um die Gegenwart zu erkennen. JULIA ENGELMAYER

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Nathan 575 „Als theatrale Installation wird sich Nathan 575 präsentieren“, so Engelmayer, „Textstellen und Szenen aus Lessings Nathan treten in Dialog mit Zeitzeugenberichten aus St. Pölten.“ Wie war das jüdische Leben in St. Pölten am Anfang des 20. Jahrhunderts? Wie stellte sich der frühe Antisemitismus in der Stadt dar, welche Erschütterungen das Novemberpogrom bedeutete, wie gelang, im günstigsten Fall, die Flucht vor den Nazischergen? Dafür fand das Landestheater starke


TEXT: ANDREAS REICHEBNER | FOTOS: MATTHIAS KÖSTLER, ALEXI PELEKANOS

Kooperationspartner, wie das Institut für jüdische Geschichte Österreichs. Ludwig Wüst und Maja Savic werden Regie führen und die Musik kommt vom Akkordeonspieler Helmut Stippich. Tobias Artner, Emilia Rupperti und Helmut Wiesinger treten an, um den Geist der Ringparabel im Wiederschein zu originalen, biografischen Texten von Menschen, die sich unmittelbar mit den Repressalien und Unmenschlichkeiten der NS-Herrschaft konfrontiert sahen, auferstehen zu lassen. „In Kooperation mit dem Verein MERKwürdig wird es auch ein Gastspiel am 21. April in einer Originalbaracke des KZ-Außenlagers von Mauthausen, in Melk, geben. Danach wird die Inszenierung in der ehemaligen Synagoge in St. Pölten zu sehen sein“, so Engelmayer, die in diesen Zusammenhang auf die eigene Atmosphäre an diesen besonderen Orten, die für die Produktion ausgewählt wurden, hinweist. Bei der Findung der historischen Texte konnte man sich etwa auf Publikationen von Christoph Lind, der einen großartigen Beitrag zur Erforschung und zur Erinnerungskultur der jüdischen Gemeinde in St. Pölten sowie jenen Niederösterreichs leistete, stützen. Die lange Tafel Ein Gesprächsformat, das in Verbindung mit der aktuellen Ausstellung im Landesmuseum Niederösterreich „Der junge Hitler – Prägende Jahre eines Diktators 1889-1914“ steht, wird zentrales Motiv des Projektes „Die lange Tafel“ sein. „Nach Führungen mit Expertinnen und Experten, vornehmlich Historikerinnen und Historikern, durch die Ausstellung wird bei Brot, Wein und Wasser in einem moderierten Gespräch über den kulturellen Humus des frühen Antisemitismus diskutiert werden“, erzählt Engelmayer, „dabei ist an Gruppen von zirka 30 Personen gedacht.“ Angefragt als Moderatoren sind Kulturwissenschaftler Christian Rapp und die Historikerin Martha Keil. „Dabei wäre es sehr toll, wenn Menschen auch persönliche Geschichten aus ihren Familien mitbringen“, so Engelmayer.

An besonderen Orten in der Stadt, mit besonderer Atmosphäre, Geschichten erzählen. JULIA ENGELMAYER

Lebendige Bibliothek Den direkten Zugang zur Gegenwart zeigt das Vermittlungskonzept „Lebendige Bibliothek“, das Julia Perschon in die Wege leitet. Junge Menschen mit Migrationshistorie und Flüchtlinge werden hier in einem außergewöhnlichen Format ihre Geschichten erzählen. Zusammen mit dem Theaterclub wird so eine lebendige Bibliothek entstehen, wo sich das Publikum praktisch die Medien – also Menschen mit ihren Wörtern und persönlichen Geschichten – ausleihen kann. „Das Theaterlabor mit Flüchtlingen läuft bei uns im Theater schon einige Zeit“, so Engelmayer. „Es ist uns hier sehr wichtig, dass die Geschichten aus den Jugendlichen selbst herauskommen“, weiß die Theatervermittlerin Julia Perschon aus ihrer reichen Erfahrung. Auftauchen werden dabei eigene Erzählungen, Geschichten von Verwandten und von Widerstandskämpfern aus St. Pölten. Mehrsprachig organisiert, werden

die Wörter lebendig, verbinden sich die Geschichten der unmittelbaren Vergangenheit mit denen des Zweiten Weltkrieges. Darüber hinaus wird auch in die Zukunft geblickt. Wie stellen sich Flüchtlinge ihr weiteres Leben in Österreich vor? Ein Stadtspaziergang „Sie war das erste Mädchen, das in St. Pölten am Gymnasium maturierte“, erzählt Julia Engelmayer über die Protagonistin des vierten Projektes des Erinnerungsbüros. Rosa Kubin, geborene Lustig, erlangte 1925 ihre Matura und promovierte 1931 in Chemie an der Uni Wien. 1938 gelang ihr mit ihrem Mann Ludwig über Kanada die Flucht in die USA, wo sie als Assistenzprofessorin an der Middlesex University arbeitete. „Bettina Kerl, eine unserer Schauspielerinnen wird in die Rolle der Zeitzeugin Rosa schlüpfen und in einer theatralen Stadtführung das Publikum zu wichtigen Orten des jüdischen Lebens in St. Pölten MFG 03.20

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MFG KULTUR

EIN THEATER GIBT SICH ÖFFENTLICH

Steilwand soll niederschwellig funktionieren, Leute ansprechen, die, um ins Theater zu gehen, eine Hürde überwinden müssen. TIM BREYVOGEL

geleiten“, zeigt Engelmayer das Anliegen dieses Projektes auf. Dort werden Hintergründe dargestellt, Lebensgeschichten jüdischer Stadtbewohner offenbart. Mit den Menschen in der Stadt ins Gespräch kommen wird weiterhin im Fokus des Landestheaters stehen, denn 1820 wurde das Theater gegründet, also steht ein Jubiläum an. Nicht müde wird man dabei, Fragen zu stellen: „Wie wollen wir als Mensch mit Respekt leben, wie soll sich die Gesellschaft entwickeln, wie funktioniert das mit der Toleranz – das wird ein fortlaufendes Projekt von uns sein, wird uns weiterhin begleiten“, blickt Engelmayer in die unmittelbare Zukunft und verweist auf das Bürgertheater, das sich in der kommenden Produktion „Eine Stadt sucht ihr Theater“ ebenso auf eine Spurensuche nach Orten mit speziellen Geheimnissen begeben wird. Ein großes Bedürfnis, gemeinsam mit den Menschen vor Ort ein Bewusstsein zu entwickeln, steckt hinter den Interventionen des Landestheaters. Deshalb sucht man auch den Austausch, die Öffentlichkeit, auch abseits der großen Bühne im Hause. 56

Steilwand – ein Theateract am DJ-Pult Und diese Öffnung, dieses Hinausgehen in die Stadt zeigt sich auch intensiv in einer anderen Produktion, die dieser Tage als österreichische Erstaufführung im schwarzen Raum von Lames im Sonnenpark fulminant anlief. Dabei geht das Landestheater auch beim In-Szene-setzen neue Wege. „Die Produktion ist auf meinem Mist gewachsen“, erzählt Tim Breyvogel, der den Text des britischen Dramatikers Simon Stephens schon am Staatstheater Mainz unter Marie Rötzer gegeben hat, nonchalant. „Simon hat den Text auf Englisch gelesen, ich auf Deutsch.“ Damals nur als Lesung abgehalten, entpuppt sich die aktuelle Produktion nun als Clubformat. Breyvogel agiert an kleinen Synthesizern, wo er fette Beats erzeugt und hämmern lässt, bringt so den Text enorm in Fahrt. „Bei meiner Performance trete ich an, um Musik live zu machen, zu arrangieren, an den Schrauben zu drehen und am Live-Set die Geschichte überhand nehmen zu lassen“, so Breyvogel, „es ist eine irrsinnige Überforderung, hat aber gleichzeitig viel mit der Figur zu tun.“ Der Text

von Stephens stellt einen jungen Vater in den Mittelpunkt, der im Laufe des Abends seine traurige Geschichte loswerden will. „Eine furchtbar schreckliche Story, die für die Figur selbst noch ein sehr frisches Ereignis darstellt“, lässt Breyvogel, der diesen intensiven Abend gemeinsam mit seiner Frau Annette Holzmann vorbereitet hat, durchblicken. „Bei den Proben hat mir meine Frau ordentlich auf die Finger geklopft und mich aufgefordert mehr Erzähldruck zu erzeugen.“ Und das ist der Regisseurin Holzmann gut gelungen, denn am Premiere-Abend im schwarzen Raum spielte Breyvogel als wäre er kurz davor, dass ihn der Teufel holt. Er schraubte an den Synthis, quetschte einen Sound hervor, der den Text vor sich hertrieb, sein furioses, drängendes Spiel endete in absoluter Vehemenz. „Danach gibt es Tempo, der Modus, das raus zu tanzen, ist wichtig dabei“, gab Breyvogel den Takt des Abends, der dann von weiteren DJs wie DJ Lichtfels alias Andreas Fränzl, übernommen wurde, vor. „Es war uns wichtig, dass dieser Abend niederschwellig funktioniert. Wir wollen damit eine andere Zielgruppe ansprechen, Leute, die, um ins Theater zu gehen, eine Hürde überwinden müssen“, so Breyvogel, der „gerne in allen möglichen Clubs dieses Ding spielen würde.“ Theatergigs in der ehemaligen Glanzstoff-Fabrik und im Freiraum sind schon fixiert. Theater auf der Suche nach neuen Räumen, neuen Formaten, neuen Erzählformen und kontextuellen Begegnungen.

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MFG KULTUR AUFBRECHEN, DIE ZWEITE

GEGEN DEN WIND Das herausragende Projekt des NÖ Kultur­ forums im Jahr 2019 war der Jugendkreativ­ wettbewerb AUFBRECHEN. Rund 100 Einsendungen von jungen Nieder­ österreicherinnen und Niederösterreichern können als überaus großer Erfolg betrach­ tet werden. Die Jury, bestehend aus Günter Glantschnig (Literatur), Gotthard Fellerer (Bildnerisches Gestalten), Johannes Winkler (Musik) und Ewald Sacher (NÖ Kulturforum), hatte es nicht leicht, die Preisträgerinnen und Preisträger aus den drei Kategorien Bildne­ risches Gestalten (Kurzfilm, Video), Literatur und Musik auszuwählen. Im Juni 2019 fand im FREIRAUM St. Pölten die Abschlussveranstaltung statt. Bei der eines klar wurde: „Das Projekt muss weiterge­

Du bist da anders. Du bist zielstrebig. Du kannst das, den Wind beherrschen. Ihn an dich binden. Ihn dazu bringen das zu tun, was du willst. Dich vorwärts tragen zu lassen. Du bist sehr geschickt darin. Im Segeln. Den Wind dazu zu bringen, sich für dich zu drehen. Du bist immer schon geschickter gewesen als ich. Nicht nur im Segeln. Du hast dich immer schon darauf verstanden, den anderen den Wind aus den Segeln zu nehmen, sie in dein Boot zu holen. Sara Schmiedl Passage aus dem Text „Zwei Segel“

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hen! Wir planen im Zwei-Jahres-Rythmus die­ sen tollen Wettbewerb zu einem Dauerprojekt des NÖ Kulturforums zu machen“, so dessen Obmann Prof. Ewald Sacher.

BRECHEN: „Für mich als Künstler und Pädago­ gen ist es eine große Freude zu sehen, wie un­ sere Saat bei den jungen Menschen aufgeht!“

Mag. Marianne Plaimer, die Organisatorin des Wettbewerbs: „Wir waren von der Qualität der Werke so beeindruckt, dass eine Fortset­ zung für uns eine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb haben wir die Preisträgerinnen und Preisträger eingeladen, sich mit neuen Arbei­ ten in einer Folgeveranstaltung zu präsentie­ ren.“ Gesagt, getan: Im Februar 2020 fand diese unter dem Motto GEGEN DEN WIND im FREIRAUM St. Pölten statt.

Neue Texte unter dem Motto GEGEN DEN WIND präsentierten Alina Bauer, Benjamin Hodi, Sara Schmiedl und Viola Rosa Semper. Am Klavier umrahmte auf beeindruckende Weise Alina Bauer mit neuen Eigenkomposi­ tionen die Lesungen. Ein begeistertes Publi­ kum genoss den Abend. Das NÖ Kulturforum wird in einem eigenen Band seiner Edition AUS FREUDE die Autorinnen und Autoren vorstellen und deren Texte dokumentieren. Vielleicht ein Schritt in eine Zukunft als erfolg­ reiche junge Schriftsteller ...

Prof. Gotthard Fellerer, der Initiator von AUF­

von links nach rechts: Ewald Sacher, Sara Schmiedl, Viola Rosa Semper, Marianne Plaimer, Benjamin Hodi, Alina Bauer, Günter Glantschnig, Gotthard Fellerer

Gegen den Wind


KULTUR VOR DER HAUSTÜR – NÖ KULTURFORUM

10. Februar 2020 Der Wind ist ja mal heftig unterwegs. Meine Nachbarin hat es glatt durch die Straßen geweht. Geschieht ihr recht. Braucht mich da nicht anschreien, weil ich den Kaffeebecher in den Plastikmüll werfe. Was scheißt die sich so an? Der Deckel ist ja aus Plastik. Wegen einem Becher. Hallo? Ein ganzer Kontinent brennt! Das sind Probleme Frau!

Alina Bauer

Benjamin Hodi Passage aus dem Text „Gedanken eines Konsumenten“ Benjamin Hodi

Viola Rosa Semper

[...] Als Catarina den Topf von der Herdplatte ziehen wollte, vergaß sie den Topflappen, aber es fiel ihr nicht auf. Alles fühlte sich kalt an. Die Zwiebel selbst waren schwarz geworden. Der einzige Geruch, der noch in der Luft hing. Verbrannte Zwiebel. Catarina riss die Fenster auf. Die frische Luft tat gut. Gegen den Wind konnte sie die Zwiebel nicht riechen. Ihr war, als müsste sie husten, aber sie blieb stumm. Kochen war ihr Traum gewesen. Aber in der Großküche, wo sie gelernt hatte, hatte man sie nach einem Jahr gekündigt. Ihre tollpatschigen Finger hatten mehr zerstört, als kreiert. Sie hatte protestiert, leise, aber doch. In der WG hatte sie aus den einfachsten Gewürzen köstliche Marinaden gezaubert, aus altem Gemüse die besten Aufläufe und aus jeglichen Resten ein kleines Festmahl. Darum hatten ihre Mitbewohnerinnen auch so lange gewartet, bis sie mit der Wahrheit herausgerückt waren. Ohne Geld könne sie nicht bleiben. Catarina hatte bloß genickt und bejaht und gemurmelt, dass sie verstünde. Im nächsten Restaurant war sie entlassen worden, weil sie dem Chef nie geantwortet hatte, und schon gar nicht tat, was man ihr sagte. Wie konnte sie sich auch an die fettigen, übersalzenen, unaromatischen Rezepte halten, die er ihr vor die Nase legte? Und wen kümmerte es, welches Messer sie zum Gemüse-schneiden, welches für Geflügel und welches sie für Brot benutzte? [...] Viola Rosa Semper Passage aus dem Text „Unsichtbar“ MFG 03.20

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SHORTCUT SZENE

FOTOS: PARILOV/ADOBESTOCK, LAWINE/ZVG, BARRACUDA/ZVG

KOLUMNE THOMAS WINKELMÜLLER

NÖs NADELPHOBIE Haben Sie eigentlich gewusst, dass man Zitronensäure und einen Zigarettenfilter braucht, um sich Heroin zu spritzen? Ich auch nicht bis vor Kurzem. Das und noch eine Menge mehr habe ich während einer längeren Recherche für den STANDARD zum Thema Sucht gelernt. Darunter war ein Problem mit Niederösterreich-Bezug. Im ganzen Bundesland gibt es keine Möglichkeit kostenlos Spritzen zu tauschen. In sieben anderen – sonst nur nicht im recht kleinen Burgenland – ist das Thema schon längst abgehakt, für unsere deutschen Nachbarn sowieso. Da frage ich mich doch: Warum geht das eigentlich bei uns nicht? Fachlich spreche nichts dagegen, sagt die niederösterreichische Drogenkoordinatorin. Als Hindernis für einen Vorstoß nennen verschiedene Seiten immer wieder das „Flächenbundesland“. Niederösterreich sei zu groß, um schnell ein funktionierendes Konzept erstellen zu können. Dazu zwei Sachen. Es kommt nicht auf die Größe an – und selbst wenn: Spritzentausch als Schutzmaßnahme für Suchtkranke ist nicht erst gestern aufgepoppt. Die Landesregierung kennt das Problem seit mindestens drei Jahrzehnten und hätte längst eine Lösung entwickeln können. Hat sie leider nur nicht. Die ÖVP meint, weil von der SPÖ Gesundheitslandesrätin kein Vorschlag kommt. Aus roten Kreisen hört man, dass die Schwarzen – ja, in Niederösterreich sage ich bewusst nicht türkis – den Schritt in Richtung kostenlosem Spritzentausch stets blockiert hätten. Wer recht hat? Die Wahrheit liegt bekanntlich in der Mitte. Ganz gleich was stimmt: langsam wär’s Zeit.

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LAWINE

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on wegen junge Künstler brächten nur mehr Songs aus dem LiebesSchmalztopf, l’art pour l‘art oder nichtssagendes Mainstream-Gebrabbel hervor, das sie als Fashionvictims und Konsumjunkies entlarvt. LAWINE, Elektropopmelange aus Wien & Lilienfeld, knöpfen sich gerade umgekehrt die Konsumgesellschaft als solche vor und haben ihr gesamtes Debütalbum unter das Motto „Kaufhaus“ gestellt.

„Im Kaufhaus gibt es alles. Es ist bunt, auffallend und verführt. Genauso wie LAWINE“, meinen die zwei mit einem gehörigen Schuss Augenzwinkern. Musikalisch verorten sich Lento LAWINE und Sirius MASCHINE dabei irgendwo zwischen „Deichkind, Frittenbude und Grossstadtgeflüster.“ Das Album ist bereits digital released. Am 24. März sind sie zu Gast im Campus & City Radio St. Pölten auf 94,4.

W E LOVE T HE 9 0 s

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aja, und wieder ein Flashback … also für die Oldies, nicht für die Youngsters, für die ist es einfach „alte Musik“ neu entdeckt. Willkommen bei „WE LOVE THE 90s“, Ergebnis und Ausfluss eines wahren Neunziger-Revivals. Galten die Songs schon zu ihrer Zeit teilweise als peinlich bis leiwand, so haben sie mittlerweile absoluten Kultustatus und fehlen auf keiner anständigen Party. Tja, und weil die Konserve das eine, live aber das andere ist, stehen die Heroen des ausklingenden letzten Jahrtausends nun wieder höchstselbst auf der Bühne bei „WE LOVE THE 90s“. Mit am Start am 21.

November im VAZ St. Pölten Aqua, Coolio, Lou Bega, Maxi Jazz von Faithless, Vengaboys, Corona, Snap! und DJ Quicksilver. In diesem Sinne: „Rhythm Is A Dancer“, „Insomnia“, „Gangstas Paradise“, Mambo No5“, „Rhythm Of The Night“, „I‘m A Barbie Girl“ … Noch Fragen?


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Mohit Gosain Junior Manager A&R (Sony Music Entertainment Austria) Absolvent Digital Media Management

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MFG SZENE

ZUM ROCKSTAR ERZOGEN

Als „Salami Recorder“ und mit den Bands „Scurf“ und „Sausage Bunnies“ spielt sich der 17-jährige Felix Schnabl durch die Bundesländer – stets im Punkoutfit, geschmückt mit Buttons. Sein Weg wurde ihm bereits in die Wiege gelegt.

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elix Schnabl öffnet seine Gürtelschnalle und zieht die enge schwarze Hose bis über die Knie hinunter. „Ein bisschen ausgefranst, aber sonst – perfekt“, sagt er und präsentiert stolz sein erstes Tattoo. Eine Freundin hat es ihm gestochen. „Richtig professionell mit Handschuhen und Desinfektionsmittel“, erzählt Schnabl und grinst. Scurf steht in Blockbuchstaben auf seinem linken Oberschenkel zu lesen. Ob er Angst hat, dass es verrinnt? Ist ihm „eigentlich wurscht.“ Dem Aussehen des Band-Tattoos entsprechend, klingt auch die Mu62

sik von Felix Schnabl. Sie ist lofi, stellenweise unsauber und wild. Er selbst fasst das alles unter FuckOff-Attitüde zusammen. Sein Name als Solokünstler Salami Recorder kommt daher, „dass ich früher Salamischeiben gegen das Mikrofon geworfen hab, um das Geräusch dann zu recorden.“ Dieser Hang zum Anderssein mag in seinen Genen liegen. Schnabl ist der Sohn von Martin „Filius“ Schnabl, den die meisten unter Filius de Lacroix kennen. Ein exzentrischer Künstler und Musiker der St. Pöltner Art-Szene – mittlerweile in Wien tätig.


TEXT: THOMAS WINKELMÜLLER | FOTOS: ELIAS KALTENBERGER

Als kleines Kind bekommt Schnabl die künstlerische Seite seines Vaters vermittelt. „Ich weiß noch, an einem Abend hat er mir die White Stripes und Kiss gezeigt. Seitdem waren das meine Lieblingsbands“, erzählt er, „der hat sich wirklich bemüht, mir einen guten Musikgeschmack reinzudrücken.“ Einflüsse der Eltern kommen immer wieder zum Vorschein. Er trägt Converse und Doc Martens in Babygröße. Während seiner Zeit im Kindergarten schneidet er die Ärmel seiner Jeansjacke ab und verkleidet sich als Rockstar oder malt die geschminkten Gesichter von Kiss. „Meine Zeichenlade war immer so g’steckt voll, dass die Blatterl schon am Rand rausgestanden sind“, erinnert er sich, „mein Fach hast dann einfach von der Ferne komplett gesehen.“ Straight outta Harland Zuhause tanzt er mit seinen Plastikgitarren durch die Harlander Wohnung. „Ich bin damit immer nur herumgehüpft und als mir meine Mama eine echte Gitarre zum Probieren geben wollt, habe ich sofort nein gesagt“, erzählt Schnabl, „ich wollte einfach nur Rockstar werden.“ Ein Instrument zu spielen lernt er erst viel später. Mit dreizehn schenkt ihm sein Vater die Gitarre, die er selbst am seltensten benutzt. Zwei Jahre später wird Felix Schnabl die erste Band gründen. Einen beachtlichen Teil seiner Kindheit verbringt er im Kaffeehaus. Aus dieser Zeit kennen ihn viele als Grundausstattung der St. Pöltner Innenstadt. Wer sich an einen kleinen Buben mit Anzug oder Punkoutfit erinnert, der am Rathausplatz skatet oder mit sich selbst spricht, hat Felix Schnabl vor Augen. „Wenn du von klein auf immer in die Kaffeehäuser mitgenommen wirst und nicht wirklich andere Kinder dort sind, die man kennt oder mit denen man sich gerne beschäftigen würde, muss man sich eben was anderes finden.“ Oft sitzt er einfach an der Bar und tratscht mit den Kellnern oder den Freunden seiner Eltern. Stets auf Augenhöhe, betont er. Mit acht geht er

dann das erste Mal ins Narrenkastl. Damals, als es noch Sitzsäcke gab, besucht er mit seiner Mutter eine ihrer Freundinnen und trinkt neben ihnen sein Erdbeerpago. „Dort hab‘ ich das Reden und Kommunizieren gelernt.“ Heute ist Schnabl in seinem Proberaum im Sonnenpark. Hinter ihm hängt der alte Bass seiner Mutter. Ohne Heizstrahler kann er im Winter hier nicht spielen. Zwischen den blondierten langen Locken blitzen immer wieder müde Blicke mit dunklen Augenringen hervor. Darunter wächst der Flaum über seiner Oberlippe langsam vor sich hin. Links und rechts davon hat sich ein „Fleckerlteppich“ ausgebreitet. „Filzgoschen wäre natürlich besser, aber wurscht, auch wenn ich so ein bisschen schmuddelig aussehe“. Für das Interview hat er ein ganz besonderes Shirt angezogen. Allgemein achtet er – auch wegen seiner Rolle als Musiker – auf sein Äußeres. „Man schaut schon darauf, dass man gut ausschaut“, sagt er, „wobei gut ja was anderes ist, aber ich gebe mir Mühe und setz mich damit auseinander.“ Rampensau All die beschriebenen Einflüsse kommen in seiner Musik und bei seinen Auftritten zusammen. Filius Schnabl hat selbst in einer 60s-Band mit surfigem Sound gespielt. „Vom Papa kenn ich die uralten Sachen und selber hab‘ ich dann die neuen Bands entdeckt, die immer noch uralt klingen.“ Daraus entsteht eine verzerrte und manchmal fordernde Ästhetik. Live klingt seine Musik noch roher. Schnabl schreit in das Mikrofon bis sein Kopf blutrot anläuft, und trommelt, wenn es sein muss, auch mit dem Hals seiner Gitarre am Schlagzeug. Texte spielen eine untergeordnete Rolle. Der Lärm seiner Saiten übertönt den Gesang und Zuhörer können ihn kaum verstehen. Seine

ANGST.

„Vor einem Solo-Konzert scheiß ich mich an -– auf der Bühne ist mir die Situation dann völlig wurscht.“

Nachricht bedarf nur weniger Worte. „Ich weiß, dass ich nicht der Beste bin, aber mir geht es darum Energie zu vermitteln.“ Vom Kindergarten ins Kaffeehaus pendeln. Abends Musikerziehung von seinem Vater. Schnabl ist untypisch aufgewachsen. „Dadurch, dass es in unserer Familie immer cool war ein wenig anders zu sein, habe ich auch immer bisschen den Druck dahinter, dass ich nicht mit der Masse mitgehe.“ Das würde er noch von seiner Erziehung mittragen. Labelvertrag hat er heute noch keinen unterschrieben, von der Musik würde er trotzdem gerne leben, „aber mein Sound ist nicht unbedingt das Genre, wo man’s größte Knödel macht.“ Felix Schnabl ist ein Rockstar, der meistens noch vom Taschengeld leben muss – und trotzdem schon mitunter wildere Gigs spielt als Bands, die seit fünf Jahren im Geschäft sind.

Ich hab früher Salamischeiben gegen das Mikrofon geworfen. FELIX SCHNABL

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MFG STUDIENGUIDE 2020

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BERG- UND HÜTTENWESEN Die Montanuniversität Leoben ist eine Technische Universität und Österreichs einzige Hochschule für Berg- und Hüttenwesen. An der MU Leoben werden u. a. Studienrichtungen in Geowissenschaften, Rohstoffingenieurwesen, Energietechnik, Werkstoffwissenschaft, Kunststofftechnik uvm. angeboten. Die Entwicklung von innovativen Technologien und neuen Materialien, die den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht werden, ist ein Schwerpunkt. www.unileoben.ac.at 64

Fotos: Katarina Balgavy, OS.Car Racing Team, NDU, Montanuni Leoben,, FH Vorarlberg

KARRIERE MIT TECHNIK!


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MFG SZENE

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DRUM KONTRABASS 115

Dezibel laut klatschen, jubeln und stampfen. Das reicht und der Lautstärkenrekord für Besucher des Wiener Konzerthauses ist gebrochen. Ganz allgemein war das Publikum bei den zwei ausverkauften Aufführungen von Red Bull Symphonic, einem gemeinsamen Abend der Drum & Bass Titanen Camo & Krooked und der Musiklegende Christian Kolonovits, Anfang Februar ein untypisches. Der Großteil unter Dreißig, Snapback-Kappe am Kopf und sonst selten bis gar nicht in Räumlichkeiten wie der heutigen anzutreffen. Das letzte Mal wollen die drei nicht gemeinsam aufgetreten sein. Zu viele Arbeitsstunden und Emotionen sind in das Projekt Red Bull Symphonic geflossen, bei dem sie Drum & Bass in Form einer Symphonie samt Begleitung durch das Max Steiner Orchester live präsentieren. „Das Ganze wird weitergehen. Wir machen keine Welt66

Gemeinsam mit Christian Kolonovits lassen Camo & Krooked ihre Songs mit Klassik verschmelzen und kreieren dabei etwas, das die Musikwelt so noch nicht erleben durfte.

SPANNUNG. Dieses Gefühl möchte Kolonovits mit den Zuhörern teilen.

tournee, aber jetzt aufzuhören wäre sicher Verschwendung und ein Fehltritt“, sagt der Dirigent des Abends, Christian Kolonovits. Der Mann mit stets weit aufgeknöpftem Hemdkragen und Silberplektrum um den Hals hat bereits mit österreichischen Musikgrößen wie Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich und Georg Danzer gearbeitet und jetzt auch Camo & Krooked in seinen Katalog aufgenommen. Die Idee Drum & Bass und Klassik. Zwei Genres die auf den ersten Blick nicht verschiedener sein könnten. Mit den etwa 175 BPM schallt die elektronische der beiden Musikrichtungen recht flott aus den Lautsprechern – meistens in Clubs bis in die frühen Morgenstunden hinein. Im Jargon der Szene würden Jugendliche sagen, dass die Musik „schiabt“. Um sich etwas unter der Geschwindigkeit vorstellen zu können: Der durchschnittliche Popsong


TEXT: THOMAS WINKELMÜLLER | FOTOS: PHILIPP CARL RIEDL / RED BULL CONTENT

KREATIVITÄT. Loopmusik als Symphonie zu spielen, ist eine Kunst für sich.

hat etwa 130 BPM und ist meist deutlich langsamer. Klassik ebenso. Einem Orchester mit Ausnahme einiger Interludes dieses Tempo aufzuerlegen, wirkt im ersten Moment wie ein Akt der Folter. Die Ursprungsidee stammt eigentlich von Felix Günther, dem ehemaligen Red Bull Culture Manager. 2016 verstirbt der Mann hinter dem Konzept an Krebs. „Das Projekt war ihm schon damals eine Herzensangelegenheit“, sagt Markus aka Krooked. Nach seinem Tod bleibt die Idee beim Unternehmen Red Bull hängen und vor eineinhalb Jahren mussten Markus und Reini eine Entscheidung treffen: Machen wir‘s oder nicht? „Wir haben uns gedacht, dass das ja in der tatsächlichen Umsetzung einem Anflug von Größenwahn gleichkommt – musikalisch, technisch, organisatorisch etc. Aber jetzt stehen wir wirklich da und haben sozusagen ein Monster erschaffen.“

arbeiten kann.“ Den ausschlaggebenden Anstoß für die Zusage von Kolonovits gibt dann schlussendlich seine Tochter. „Die ist riesiger Camo & Krooked-Fan und hat gesagt, da müsse ich mitmachen.“ So ist es auch geschehen. Drei Monate lang setzten sich Kolonovits und Camo & Krooked mit der Idee der elektronischen Klänge im großen Symphonieorchester auseinander, rufen sich mitten in der Nacht an und diskutieren. „Das war für mich gar nicht störend, ganz im Gegenteil. Ich arbeite ohnehin nachts so bis etwa 4 Uhr morgens. Da ist es am ruhigsten und man hat Zeit“, sagt Kolonovits, „ich hatte nur manchmal Angst, dass ich die Jungs stören könnte.“ Nacht um Nacht spielt ihnen Kolonovits Ideen auf dem Klavier vor, bis die Arbeit der drei nach vielen Wochen in einem tiefen Vertrauen endet. „Das war der Punkt, ab dem das Ganze wirklich zu wirken begann.“ Nebenbei werden Kolonovits und Camo & Krooked Freunde. „Er ist ein toller Typ, ein Genie auf seinem Gebiet, da können wir uns niemand Besseren vorstellen“, sagt Reini aka Camo, „wir haben eine richtige Gaudi und uns in unsere Welten gegenseitig reingelebt.“ Dabei haben sie eine Symbiose geschaffen, bei der beiden Seiten genug Raum zum Atmen bleiben würde. Markus sieht das ähnlich.

„Das Schönste am Christian ist, dass er wirklich einfühlsam ist, wenn es um neue Musik geht. Gerade bei Drum & Bass ist es notwendig weltoffen zu sein und er hat unserer Musik in der Umsetzung vollen Respekt gezollt.“ Die Umsetzung Am 1. und 2. Februar ist es dann soweit. Gemeinsam mit Christian Kolonovits präsentieren Camo & Krooked ihre Symphonie. Eineinhalb Stunden dauert das Gemisch aus alten und neuen Scheiben der Diskografie der beiden Drum & Bass Produzenten. Von Track zu Track brodelt die Stimmung des Publikums auf, bis sich vereinzelt die Ersten von ihren Plätzen erheben. Die rund 50 Musiker des Orchesters gehen in Sachen Tempo sichtlich an ihre Grenzen und heizen die Stimmung weiter an. Ab der Halbzeit tummeln sich die ersten Gäste inmitten der Gänge und beginnen zu tanzen – anfangs belächelt von den Zuhörern links und rechts davon. Im Konzerthaus auf rotem Teppich zu raven fühlt sich nicht für jeden richtig an, aber langsam verlässt die Zurückhaltung den Saal und hinein stürmt Tanzwut. Immer mehr Menschen erheben sich und füllen die Gänge. Am Ende kann niemand mehr der Musik widerstehen. Ein unvergesslicher Abend! Felix Günther hätte wohl seine Freude daran gehabt!

UPS & D0WNS. Auch wenn Drum & Bass gerade unpopulär ist, verschwindet diese Musikszene nie. Laut Markus die Kakerlake der elektronischen Musik.

Der Weg Für dieses Vorhaben wollen Red Bull und Camo & Krooked jemanden mit Rang und Namen ins Boot holen. Einen Künstler, der die Symphonie sowohl produziert als auch dirigieren kann. Kurz darauf klingelt das Telefon bei Christian Kolonovits. „Nach dem Anruf musste ich mich einmal in die ganze Diskografie einhören“, sagt Kolonovits, „und dann habe ich plötzlich gemerkt, dass in den Tunes von den Jungs schon jede Menge orchestrales Gedankengut drinnen steckt. Da wollte ich noch etwas draufsetzen, weil ich mit ihrem Material wirklich MFG 03.20

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MFG SZENE

DRUM & KONTRABASS

D I E K Ü N S T L E R U N D S T. P Ö L T E N Herr Kolonovits, was verbinden Sie mit St. Pölten?

Ich wohne nicht weit von St. Pölten, nämlich in Rotheau bei Traisen und Lilienfeld. Dort habe ich ein wunderschönes Landhaus in den Voralpen. Am Wochenende mache ich kleine Trips nach St. Pölten, um mir mal einen Kopfhörer im MediaMarkt zu checken, den ich gerade in Wien vergessen habe. Da nehme ich mir dann die Zeit und fahre raus, gehe oft ins Kino am Rathausplatz, dieses wunderschöne kleine, und natürlich die Barrockstadt, die für mich einzigartig ist. Ich lebe jetzt seit fast 30 Jahren in der Nähe von St. Pölten und es ist quasi meine zweite Hauptstadt geworden – wenn auch nicht Kulturhauptstadt.

Christian Kolonovits

Lebt seit bald drei Jahrzehnten in der Nähe der niederösterreichischen Landeshauptstadt – und spart nicht mit Kritik an der lokalen Szene. mehr aufbauen. Ich hätte jede Menge Vorschläge für St. Pölten, aber am Ende des Tages geht es immer um die Jugendlichen, die man frei laufen lassen sollte, aber ihnen dort helfen muss, wo sie die Unterstützung brauchen.

Und für Kids geht es um Musik, ihre und nicht die meine. Genau dort sollte man ihnen Plattformen bieten, mehr Proberäume zur Verfügung stellen, um Musik selbst zu machen, aber ja, am Land ist das eben so eine Sache.

Als Musiker und Künstler, wie bewerten Sie das Kulturangebot?

Da könnte man einiges mehr machen, muss man echt sagen. Ich denke, St. Pölten war in Sachen Nachtleben früher eigentlich desaströs und der pure Horror, weil da nie wirklich viel stattgefunden hat. Ein Cineplex und Clubs am Stadtrand sind nicht genug. Die Lage hat sich jetzt eh verbessert, aber ich glaube man könnte einfach viel mehr für die Kids machen. Liveszene und die Clubs muss man allgemein am Land

Camo & Krooked

Reini und Markus von Camo & Krooked verbindet viel mit St. Pölten, Letzterer ging sogar hier zur Schule. Was verbindet ihr mit St. Pölten? Ich wohne ja im Bezirk Lilienfeld und verbinde daher sehr viel mit St. Pölten, bin auch noch oft in der Stadt. Wir waren erst wieder in der Skatehalle im Steppenwolf und es macht einfach Spaß. Man trifft Leute am Skatepark oder alte Kollegen im Kaffeehaus, weil ich ja in St. Pölten zur Schule gegangen und damit ja auch hier aufgewachsen bin. Auflegen habe ich hauptsächlich im Warehouse gelernt. Damals war ja auch der Reini viel dort. REINI Für mich ist das VAZ irgendwie dieses Kulturzentrum, in dem sich viel Drum & Bass-Szene abspielt. Ein starker Teil der Wiener Szene stammt MARKUS

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auch aus St. Pölten und der Region. Vor zehn Jahren war St. Pölten wirklich eine der stärksten Städte in Sachen Drum & Bass. Da gibt es wirklich so viele Leute und eine richtig engagierte Community, vor allem was unsere Generation angeht.

Christian Kolonovits hat die Kulturszene der Stadt kritisiert. Seht ihr das anders? MARKUS Also ich will da kein schlechtes Wort verlieren. St. Pölten hat sich wirklich sehr gemausert in den letzten zehn Jahren und geschuftet, um den Kulturhauptstadt-Titel zu gewinnen – auch wenn sie ihn nicht bekommen

AMBIVALENZ. Die drei Musiker vertreten konträre Meinungen zur Landeshauptstadt.

hat. Aber ganz allgemein wird St. Pölten viel lebhafter und ich bin schon gespannt, wie es in zehn Jahren ausschauen wird. Sie haben ja einiges vor, was ich gehört habe. Wenn ich jetzt auf Wohnungssuche bin, ist St. Pölten sicher auch eine gute Option. Nicht nur weil es nahe an Wien ist, sondern weil es eine lebenswerte Stadt ist. REINI Also St. Pölten schaut dem Volk schon aufs Maul und will der Jugend was bieten, zumindest habe ich dieses Gefühl. Sie haben einen großartigen Skatepark und durch das VAZ ist einiges los. Das ist für eine kleine Hauptstadt nicht selbstverständlich – und die Community ist sowieso super.


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MFG SPORT

ATP IN STP – ZURÜCK IN DIE VERGANGENHEIT

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er Parkbank Grand Prix presented by Lokalbier direkt vor den French Open im Mai wird wieder zum Stelldichein der ATP-Superstars in St. Pölten. Neben Lokalmatador und Aushängeschild Dominic Thiem haben schon Gaël Monfils und Diego Schwartzman fix zugesagt. Mit drei weiteren Top-20-Spielern ist St. Pöltens Turnierleitung in Verhandlung. Oh, Stopp! 15 Jahre ist es mittlerweile her, dass zahlreiche Spieler der Tennis-Weltelite letztmalig in St. Pölten Station machten, um sich hier auf Pariser Sand mit „Roland-Garros“-Bällen auf die French Open vorzubereiten. Grund genug, für MFG – Das Magazin ein 70

Was haben Thomas Muster, Andre Agassi, Stefan Edberg, Marcelo Rios, Jevgenij Kafelnikov, Patrick Rafter und Andy Roddick gemeinsam? Sie alle waren einmal die Nummer 1 der Tenniswelt und beruflich irgendwann einmal in St. Pölten aktiv. Ihren damaligen Arbeitsplatz würden sie heute wohl kaum wiedererkennen. wenig in Erinnerungen zu schwelgen und über ein „Was wäre wenn?“ zu sinnieren. Überhaupt, wo Ex-Turnierveranstalter Ronnie Leitgeb den „Kurier“ wissen ließ, dass er sich mit Neo-Sportlandesrat Jochen Danninger beim Hahnenkamm-Rennen in Kitz schon „kurz darüber unterhalten hat“ was aus seinem Baby in St. Pölten geworden ist.

„Mein Heimturnier neben Wien“ Jürgen Melzer, Finalist der letzten Auflage 2005, erzählt uns, dass er nur gute Erinnerungen hat: „St. Pölten war neben Wien mein Heimturnier, es waren immer meine Familie und zahlreiche Freunde anwesend. Aus nieder­ österreichischer Sicht ist es natürlich sehr, sehr schade, dass es das Turnier


TEXT: THOMAS SCHÖPF | FOTOS: JOSEF VORLAUFER, MADAINI, ELIAS KALTENBERGER, FRANZ ETTLINGER

nicht mehr gibt. Wenn ich nur daran denke, wie viele Stars hier waren, wie Andy Roddick oder Andre Agassi beispielsweise. Okay, der war vielleicht nicht erfolgreich, aber zumindest da.“ Die Lichtgestalt aus Las Vegas (damals Nr. 7 der Weltrangliste) verlor 2004 nach nur einem Training mit seinem Spezi Sargis Sargsian bei nasskalten Bedingungen glatt gegen Qualifikant Nenad Zimonjic (Nr. 339). Die eindeutigste Partie war jene von Thomas Muster 1996 gegen Nasser Al-Khelaifi (6:0, 6:0). Der damals 22-jährige Katari hatte eine Wildcard bekommen, bestenfalls „Landesliganiveau“ und wurde vom Publikum am Centre Court teilweise ausgelacht oder bedauert. Mittlerweile ist AlKhelaifi als Geschäftsmann erfolgreich und Präsident von einem der größten Fußballklubs der Welt, von Paris Saint-Germain. Rios’ Tischmanieren: Not pretty! Rekordsieger mit drei Turniererfolgen war Marcelo Rios, gefürchtet bei Journalisten und Gastronomen. Seine Pressekonferenzen glichen „Täglichgrüßt-das-Murmeltier“-Veranstaltungen, nach Siegen mit dem immer gleichen Eröffnungssatz: „I think, I played pretty good today.“ Wenn sein Essen nicht „pretty good“ war, landete es mitunter am Boden. Feschak Richard Krajicek hingegen war nach einem Training vom Apfelstrudel der ASKÖ Damen so angetan, dass er ihnen am Tag danach in den Wechselpausen seines Spiels gerne zublinzelte und auf die Tribüne hinauf winkte. NÖTV-Präsidentin Petra Schwarz – selbst einmal Nr. 52 der Welt und 1994 im Viertelfinale von Paris – besuchte das St. Pöltner Turnier während ihrer aktiven Karriere und danach als Jungmutter mit Kinderwagen. Persönlich haben ihr die Auftritte von Roddick und „Lieblingsspieler“ Stefan Edberg 1996 gefallen: „Es war sein letztes Jahr auf der Tour und nach seiner Niederlage (gegen Slava Dosedel, Anm.) habe ich noch beobachten können, wie er in der Landessportschule ausgelaufen ist und hoch professionell in aller Ruhe nachgedehnt hat. Er hatte immer eine tolle Einstellung.“ In

ANDRE AGASSI. Der einst beste Returnspieler scheiterte an Zimonjic’ Aufschlägen.

den Monaten danach stellte Edberg seine Karriere-Bilanz gegen den eineinhalb Jahre jüngeren Muster übrigens noch von 7:0 auf 10:0, besiegte den Leibnitzer in Queen’s, Wien und Paris (Halle). Herminator hinterließ offene Münder Muster war das Zugpferd des Turniers, der „Ticket-Seller“. Da der langjährige Turnier-Hauptsponsor mit dem Giebelkreuz auch Hermann Maier unter Vertrag hatte, wurde der Ski-Star per Hubschrauber zum Medientermin und Sponsorenabend eingeflogen. Mit seiner Urgewalt sorgte der „Herminator“ für Staunen: Auf dem Weg ins Tenniscenter hüpfte er zum Spaß aus dem Stand auf einen circa 1,20m hohen Begrenzungsstein und nach seiner Trainingsession im Fitnessraum war der Ergometer so fest eingestellt, dass die Pedale von den meisten Hobbysportlern nicht einmal ansatzweise in Bewegung gebracht werden konnten. Muster vs Madaini Eine Tennissession mit der ehemaligen Nummer eins der Welt durfte Ramin Madaini, nunmehr Leiter der gleichnamigen Tennisschule, im Sportzentrum NÖ erleben. Der ehrgeizige Muster fand einmal am frühen Abend unter den ATP-Spielern keinen motivierten Sparringpartner mehr, woraufhin Leitgeb meinte, dass er eben ein paar Bälle mit dem hiesigen Trainer schlagen solle. „Ich war unfassbar nervös“, erinnert sich Madaini,

„plötzlich wollte Tom auch noch ein paar Games spielen. Ich hab’ ihm vorgeschlagen, dass ich jedes Mal bei 40:0 beginnen darf, und war sogar 3:0 vorne. Bis 3:3 haben wir gespielt. Am Centre-Court war noch ein ATP-Doppel im Gange, aber nach wenigen Minuten war unser Platz drei bummvoll. Die sind alle Muster gegen Madaini schauen gegangen.“ Madaini veranstaltet im Übrigen seit 2006 das kleine, aber feine „Nachfolgeturnier“ im Sportzentrum Niederösterreich. Das „ITF“-Event (International Tennis Federation) war zunächst mit 10.000 Dollar dotiert, dann bald mit 15.000 Dollar und 2019 erstmals als Damenturnier („Women’s World Tennis Tour“) mit 25.000 Dollar. „Der sportliche Unterschied zur Weltklasse ist kaum zu erkennen“, meint Madaini, „die Dichte bei den Herren ist mittlerweile ja so groß, dass die Nummer 320 nicht viel anders spielt als die Nummer 57 beispielsweise.“ 2016 siegte beim ITFTurnier in St. Pölten der 20-jährige Sebastian Ofner und streifte dafür 1.440 Dollar Preisgeld ein. Ein Jahr danach sorgte er in Wimbledon für Furore, als er es via Quali bis in die dritte Haupt­ runde schaffte und sich mit 90.000 Pfund Preisgeld mehr als ein Jahresbudget erspielte.

JÜRGEN MELZER. Der Lokalmatador zeigte in St. Pölten oft hervorragendes Tennis. MFG 03.20

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MFG SPORT

VORWÄRTS IN DIE VERGANGENHEIT

BEGEGNUNGEN. NÖTV-Präsidentin Petra Schwarz war als Fan vor Ort. LH Erwin Pröll und BGM Willi Gruber mit Sieger Nicolás Lapentti und Finalist Fernando Vicente (rechts) 2004. Weltstar Thomas Muster schüttelte Tennislehrer Ramin Madaini nach einem 3:3 die Hände.

„Tennisstadion gleicht einer Ruine“ Den großen Thiem, den jüngeren Melzer (Gerald), Dennis Novak und Co. gab’s in St. Pölten dafür im Februar 2018 im Davis Cup in der „Europa-Afrika-Zone 1“ zu sehen. Nur dank Sondergenehmigung, da die große Halle im VAZ der ITF zu niedrig ist. „Die Weltgruppe ist in Niederösterreich, wenn überhaupt, nur in der Arena Nova möglich“, bedauert Schwarz, „und da ist das größte Problem die Kurzfristigkeit.“ Soll heißen: Kriegt Österreich gach’ ein Heimspiel zugelost, aber die „Dinosaurier – im Land der Giganten“ haben in Wr. Neustadt schon eingebucht, geht für Thiem und Co. dort nix mehr. Ein ATP-Turnier in St. Pölten würde Schwarz natürlich begrüßen, eines der kleinsten Kategorie (ATP 250, Preisgeld über 600.000 Euro) hält sie „für gar nicht so unrealistisch. Schließlich arbeiten ja Stadt und Land vor allem beim Sport sehr gut zusammen. Natürlich bräuchte es einen oder mehrere große Sponsoren und um Dominik zu bekommen, muss alles passen.“ Für ihre jungen NÖTV-Asse wie Jurij Radionov oder Moritz Thiem würde sich eine tolle Bühne auftun. Madaini ist da schon skeptischer: „Unsere Infrastruktur hier und in der Umgebung ist, was Trainingsplätze betrifft, zwar top. Aber das Tennisstadion gleicht einer Ruine. Und so ehrlich muss man sein: Als im letzten Jahr des ATP-Tur72

niers mit Nikolaj Davydenko ein Weltstar und mit Jürgen Melzer Österreichs Topspieler im Finale standen, war der Centre Court bei weitem nicht voll.“ An eine Lizenz würde St. Pölten nur ran kommen, wenn ein anderer Turnierveranstalter seine hergibt. Leitgeb ist mit „seinem Baby“ ja bekanntlich auch für drei Jahre nach Pörtschach übersiedelt, nachdem der Hauptsponsor abgesprungen ist und das Land NÖ den Geldhahn nicht noch weiter aufdrehen wollte. Die Kärntner durften sich dann drei Jahre lang am „HYPO Group Tennis International“ erfreuen.

donaufestival.at

Gemma Thiem-Schaun Zuschauer werden nur mehr von mehr oder weniger großen Namen angelockt. Das ist selbst in Harland zu bemerken. Für gewöhnlich schauen Lokalmatador Markus Sedletkzy (Nr. 13 in Österreich) und Co. bloß ein paar Dutzend Interessierte bei den Bundesligaspielen zu. Als 2018 aber Irdning mit den Melzer-Brüdern (Jürgen und Gerald) aufkreuzte, herrschte Volksfeststimmung unter den 400 Fans. Und als Moritz Thiem für Harland auflief, gab’s Kiebitze, die auf die bloße Anwesenheit seines großen Bruders Dominik hofften. Als jener tatsächlich einmal am Luggauer Weg erschien, verbreitete sich das dank WhatsApp wie ein Lauffeuer und Schau- und Selfie-Lustige trudelten im Minutentakt herein.

m a c h i n e s l i k e u s

A P R I L 2 4 — M A Y 0 2

SOPHIE SWANS GIRL BAND ROBERT HENKE: CBM 8032 AV MOON DUO PRESENT “The Lightship” THE CARETAKER DEENA ABDELWAHED “Khonnar” LIVE UMFANG UCC HARLO GABBER MODUS OPERANDI LEE RANALDO & RAÜL REFREE DEBBY FRIDAY AND MANY MORE ...

K R E M S — A U S T R I A — 2 0 2 0



ZUM HÖREN Manshee | mikeSnare | Thomas Fröhlich | Dr. Schramek | Rob.STP | Dr. Ray B. (von links nach rechts)

ÁSGEIR

Ásgeir ist für seinen Falsettgesang bekannt. Auf dem neuen Album erinnert sein Gesang stark an Bon Iver. Die Songs lassen die grenzenlose Isolation ahnen, der er sich in dem abgelegenen Sommerhaus aussetzte, in dem das Album entstand. Ásgeir fügt in „Bury The Moon“ die vielseitigen Einflüsse aus Folk, R’n’B und Indie-Pop zu einem erkennbaren Sound zusammen, der durch seine durchdringende Stimme zusammengehalten wird.

WEATHER

HUEY LEWIS & THE NEWS

PERPLEXOR

PHILIP SULIDAE

Ein Album, ausschließlich aus Soundcollagen – elektrische Interferenzen, Rauschen, Fiepsen – mit Airplay im Radio wird das wohl nichts. Als „Ehrerbietung und Mutmaßung für vergangenen wie gegenwärtigen Klang“ umschrieben, ziehen die 36 Minuten ohne Refrains, Strophen und Bridges den perplexen Hörer auf ganz eigene Weise in ihren Bann. Kopfhörer vorausgesetzt – ansonsten verschwimmen die Sounds in den Alltagsgeräuschen.

ANGER

SMOOTH

Huey Lewis war schon in den 80ern mit seiner Mischung aus Rock’n’Roll und Rythm’n’Blues aus der Zeit gefallen, und avancierte doch – Zurück in die Zukunft lässt grüßen – zum Superstar, der nebstbei auch ein St. Pöltner Stadtfest beschallte. Nach 18 Jahren Schaffenspause rollt er mit „Weather“ noch einmal den klassischen Huey Lewis Sound aus – wohl zum letzten Mal angesichts seiner teuflischen Menière-Krankheit.

Der Name „Mainframe“ steht in Österreich für Drum&Bass Events der Superlative. Nicht ganz so bekannt ist, dass das Label Mainframe Recordings von Mastermind Daniel aka. DisasZt regelmäßig hochqualitativen Output liefert. Mittlerweile schon weit über 100 Releases in the game präsentiert Mainframe nun den slowenischen Shootingstar Smooth mit dem Track Anger in für Mainframe gewohnter Manier: Wild und Garstig!

THE PHOENIX SWARM MIEL NOIR

Wer ein Faible für ritualistisch angehauchten Electropop, Dark Ambient und neoklassische Klavierklänge, abgeschmeckt mit entschlacktem Industrial, besitzt, ist hier richtig. Mit „Mother Kali“ begibt sich der Kreativ-Pool um Marcel P. auf hinduistisches Terrain, um von dort „Honig aus Heliopolis“ mitzubringen. Mit wechselnden Vocals eine wunderschöne Club-Meditation, nicht nur fürs Neofolk-Universum.

THE WORLD IS IN YOUR WAY DRAGGED UNDER

Das Quintett aus Seattle liefert mit „The World Is In Your Way“ ein Album mit starken, mächtigen Riffs und eingängigen Refrains. Maßgeblich für den Sound verantwortlich ist dabei Gitarrist und Youtuber Ryan „Fluff“ Bruce. Mit seinen Kollegen verbindet er perfekt Härte mit Melodie und ehrlichem, von Herzen kommenden Texten. Fans von Beartooth, A Day To Remember und Konsorten sollten auf jeden Fall mal reinhören.

ZUM SCHAUEN

ZUM SPIELEN

ZUM LESEN

Manshee | C. Schuhmacher

Christoph Schipp

H. Fahrngruber | M. Müllner

DER FALL RICHARD JEWELL

DARKSIDERS GENESIS

DER HAMMER

„Da ist eine Bombe im Centennial Park. Ihr habt noch 30 Minuten!“ Wachmann Jewell verhindert durch sein Einschreiten die große Katastrophe bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta. Jewell wird für seine Heldentat geehrt. Doch das FBI braucht einen Täter, und der schrullige Einzelgänger Jewell wird ohne Beweise zu einem der Hauptverdächtigen ...

Airship Syndicate serviert einen grundsoliden Mix aus Zelda und Diablo mit abgespeckten Charakterentwicklungsmöglichkeiten, der sowohl alleine im OfflineModus als auch im Koop für gut 15 Stunden eine Menge Spaß macht. Der Titel punktet durch eine tolle Atmosphäre, detaillierte Dungeons und einem durchaus knackigen Schwierigkeitsgrad.

Die Sehnsucht nach dem Orient führt den Freiherrn Joseph von Hammer-Purgstall von der Reichshauptstadt Wien nach Konstantinopel. Wiewohl klug und vielsprachig, bleibt ihm ob seines eitlen und undiplomatischen Auftretens die erhoffte diplomatische Karriere verwehrt. Ein schillerndes Porträt eines Einzelgängers an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.

MULAN

ZOMBIE ARMY 4: DEAD WAR REBELLION

LINDA ERKER, ANDREAS HUBER, K. TASCHWER

Kein Gesang, kein Drache Mushu – Disneys neueste Realverfilmung MULAN ist kein Remake, sondern eine Neuerzählung, die mit kraftvollen Bildern und einem emotionalen Soundtrack überzeugt und so gar nichts mehr mit dem Kinderfilm von 1998 zu tun hat. Ein Fantasy-Action-Epos, das sich nicht nur an Disney-Enthusiasten richtet!

Zombie Army 4 ist ein solides Koop-Angebot mit kompromisslos inszenierter SplatterAction in ansehnlicher Kulisse und einem guten Level-Design mit seinen verwinkelten Karten. Alternativ kämpft man im Horde-Modus ums Überleben, der mit vier Karten etwas mager ausgefallen ist. Das Game ist alles andere als ein Genre-Highlight, aber für ein paar Stunden durchaus gut.

Im demokratischen Rechtsstaat von heute fehlt uns oft die Vorstellungskraft, wie Gesellschaften so rasch ins Autoritäre kippen können. Forscher beleuchten hier eine elitäre Geheimgesellschaft, die in den 1930er-Jahren den Weg des Landes in die Nazi-Diktatur geebnet hat. Und deren Netzwerk auch in der Zweiten Republik erschreckend lange nachgewirkt hat.

CLINT EASTWOOD

NIKI CARO

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AIRSHIP SYNDICATE

DIRK STERMANN

DER DEUTSCHE KLUB

FOTOS: ZVG

BURRY THE MOON


HIGHLIGHT Wolkenturm Grafenegg

INA REGEN

RE.AKTION

AB 22. MÄRZ Die neue Sonderausstellung „Klima & Ich“ erklärt einfach verständlich und wissenschaftlich fundiert, wie der Klimawandel entsteht und welche Folgen er für Flora und Fauna hat. Die Ausstellung will eine Handlungsanleitung bieten, was jede und jeder einzelne gegen den Klimawandel tun kann. Herzstück ist das „CO2-Labor“ mit interaktiven Stationen.

AB 2. APRIL Die Ausstellung Re.Aktion widmet sich der zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksform „Appropriation Art“. Dabei kopieren bzw. reagieren Künstlerinnen und Künstler bewusst und mit strategischer Überlegung auf die Werke anderer Künstler, wobei der Akt des Kopierens und das Resultat selbst als Kunst verstanden werden sollen.

MUSUEM NÖ

| AUSSTELLUNG

ANDY BAUM, CHRISTIAN BECKER & BAND 24. APRIL Andy Baum und Christian Becker, deren musikalische Wege sich immer wieder auf der Bühne kreuzten, verbindet eine lange Freundschaft. Seit einigen Jahren bringen sie gemeinsam mit einer herausragenden vierköpfigen Band ein immer wieder überraschendes Programm auf die Bühne. Musikalisch abwechslungsreich! FREI:RAUM

| KONZERT

KUNST:WERK

| AUSSTELLUNG

ALF POIER 30. APRIL Die Leute sagen oft: „Ich versteh´ die Welt nicht mehr!“ Alf Poier geht es umgekehrt – die Welt versteht ihn nicht mehr. Spinnt er oder spinnt die Welt? Kann die Kunst uns retten, oder muss er die Kunst retten? Wohin soll man flüchten? Am Ende seiner Show „Humor im Hemd“ weiß man vielleicht mehr – oder noch besser – vielleicht gar nix mehr! VAZ ST. PÖLTEN

| KABARETT

KARL RITTER‘S KOMBOJANER

POSTMODERN JUKEBOX

14. MAI Geburtsstunde dieser unglaublichen Kombo war ein Konzert im Porgy&Bess Ende letzten Jahres. Karl Ritter, Roland Guggenbichler, Erich Buchebner und Depeche Mode Schlagzeuger Christian Eigner waren lange Zeit „Chefpartie“ vom Ostbahnkurti. Außerdem Teil der formidablen neuen Besetzung: Saxophonist Andrej Prozorov.

9. JULI Der amerikanische Pianist Scott Bradlee hat sich mit seinem aus wechselnden Musikanten bestehenden Projekt „Postmodern Jukebox“ ganz dem Swing und Ragtime verschrieben – interpretiert werden Hits wie „All About The Bass“, „Tainted Love“, „I Will Survive“, „Black Hole Sun“, „Umbrella“, „Everybody Wants To Rule The World“ uvm. Genial!

| KONZERT

RATHAUSARKADEN WIEN | KONZERT

CINEMA PARADISO

PSYCHEDELIC BLOSSOM PRESENTED BY JAYA 4. APRIL JAYA macht Halt in St. Pölten! Niemand Geringeres als Pettra aus Tel Aviv und EClip aus Belgrad werden mit den Besuchern in den Frühling stampfen. Support erhalten sie von Fairytale Soundsystem aus Wien, die in der Fungus Garage richtig Druck machen werden. Für die psychedelische Deko sorgen Sunshine Structures. WAREHOUSE

| PARTY

NORBERT SCHNEIDER & BAND 17. APRIL Was der dreifache Amadeus-Gewinner angreift, wird ein Erfolg. Die Songs aus „So wie’s is“ hat Norbert Schneider nicht nur selbst geschrieben, gespielt und gesungen, sondern auch in Eigenproduktion zu musikalischer Vollendung gebracht. Mit seiner siebenköpfigen Band wird er für eine grandiose Liveshow und Standing Ovations sorgen. | KONZERT

BÜHNE IM HOF

VAZ ST. PÖLTEN

KONZERTE | EVENTS | MESSEN | KONGRESSE

SA 25.04.20 // 16:00

KINDERLIEDERMACHER BERNHARD FIBICH SA 18.07.20 // 14:00

HOLI FESTIVAL DER FARBEN DO 08.10.20 // 20:00

THORSTEN HAVENER – DER GEDANKENLESER Fotocredit: Sammy Hart

KLIMA & ICH

Foto: Gerd Schneider

26. JULI Ina Regens Karriere liest sich wie ein Märchen und doch ist die charismatische Oberösterreicherin am Boden und vor allem sich selbst treu geblieben. Mit „Wie a Kind“ hat sie sich im Herbst 2017 sofort einen Fixplatz in der österreichischen Musiklandschaft gesichert, das folgende Debüt-Album „Klee“ stieg sofort von Null auf auf Platz 1 der Album-Charts ein. „Momentaufnahmen eines Lebens zwischen Trenzen und Tånzen“ (Oberösterreichisch für Weinen und Tanzen) – nicht mehr und nicht weniger verspricht Ina Regen ihrem Publikum für das Konzert in Grafenegg im Rahmen ihrer „Leuchten Tour“.

FR 16.10.20 // 20:00

PRINCE TRIBUTE SHOW STARRING MARK ANTHONY Tickets im VAZ St. Pölten, ticket@nxp.at, www.vaz.at, 02742/71 400 in allen Raiffeisenbanken, Geschäftsstellen von www.oeticket.com und unter www.noen.at/ticketshop VERANSTALTUNGSBETRIEBS GMBH

MFG 03.20

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MFG

FOTOS: LUIZA PUIU, SEBASTIAN REICH

AUSSENSICHT

WIE VIEL WACHSTUM VERTRÄGT DIE LANDESHAUPTSTADT? GEORG RENNER

Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

„Keine Angst vor einem Stück mehr Dichte und Wachstum.“

„Lieber stetes Wachstum, als eine Gemeinde, die ausstirbt.“

Wo wollen Sie lieber leben? In einer „liebevollen Mittelstadt mit eigenem Profil“ – oder in „einer der vielen Speckgürtel-Gemeinden von Wien“? Es ist ein schöner Gegensatz, den die Kritiker der großen Wohnbauprojekte in St. Pölten konstruieren – mit dem Schönheitsfehler, dass es eben eine Konstruktion ist. Denn ebenso wie St. Pölten spätestens seit Eröffnung der neuen Weststrecke funktional Teil des Speckgürtels geworden ist, schließt das natürlich ein eigenes Profil nicht aus, noch weniger, ein „liebevoller Ort“ zu sein. Klar ist: Große Wohnbauprojekte wie die „Glanzstadt“ oder „Elastic City“ (wer denkt sich eigentlich solche Namen aus?) können einen ob ihrer Dimension schon einmal skeptisch stimmen – und die Frage, ob die umliegende Infrastruktur und deren langrfristige Planung für hunderte neue Wohneinheiten ausreicht, ist legitim und wichtig. Aber es ist eben auch ein Stück irrational, darin plötzlich den Charakter der Landeshauptstadt untergehen zu sehen. St. Pölten wächst ja nicht, wie die chinesischen Megastädte unserer Zeit, von einem Jahr auf das nächste um zehn, 15 Prozent und gewaltige Ghettos am Stadtrand – sondern um ein moderates Hundertstel pro Jahr. Das ist verkraftbar, und mit vorausschauender Politik durchaus zu managen. Es wird sogar ein Stück leichter durch solche großen Wohnparks: Im Gegensatz etwa zu dem von Einfamilienhäusern geprägten Süden der Stadt lassen sich Wohnhausanlagen wie die geplanten planerisch einfacher integrieren: Weil sie von haus aus die notwendige Dichte mitbringen, um öffentlichen Verkehr auf sie abzustimmen, dezidierte Rad- und Fußwege zu ihnen anzulegen, Nahversorger in ihre Nähe zu bringen und so weiter. Agieren Politik und Verwaltung schlau, können solche neuen Viertel die Stadt sogar aufwerten und sie ein Stück ressourcenschonender machen. Also: keine Angst vor ein bisschen mehr Dichte und Wachstum. St. Pölten wird nicht über Nacht zu Chongquing, sondern wird auf absehbare Zeit eine Mittelstadt bleiben. Und ja, vermutlich auch „liebevoll“. 76

JAKOB WINTER

Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.

Wer wie ich nur alle paar Wochen nach St. Pölten kommt, erlebt die Stadtentwicklung wie im Zeitraffer. Wo eben noch eine verwahrloste Wiese war, stehen nun meterhohe Kräne; wo eben erst zu bauen begonnen wurde, beziehen bereits die ersten Mieter ihre neuen Wohnungen. Ohne Zweifel: St. Pölten wächst. Die vielen Bauprojekte könnten beinahe den Eindruck erwecken, die Bevölkerungszahl der Stadt werde demnächst genauso rasant in die Höhe schießen. Allein: Der Schluss wäre verfehlt. Ein Blick auf die aktuellsten Zahlen der Statistik Austria rückt das Bild zurecht: Anfang 2020 leben um exakt 0,89 Prozent mehr Menschen in St. Pölten als Anfang 2019 – das bedeutet 500 Zuzügler. Auch wenn die Bevölkerungszahl nur moderat ansteigt, wurde zuletzt hitzig über mögliche negative Folgen des Wachstums diskutiert. Unbestritten: In der Stadt wird es zwangsläufig enger, freie Ausblicke verbaut und das Verkehrsaufkommen erhöht. Doch der Zuzug bringt auch positive Effekte: Denn entscheidend ist, dass parallel zur Bevölkerung auch die Infrastruktur mitwächst – dann nämlich bleibt die Lebensqualität erhalten; oder sie steigt im besten Fall sogar. Und dafür gibt es derzeit gleich mehrere Indizien: Das Landesklinikum und das VAZ wurden erweitert, ein neues Primärversorgungszentrum eröffnet und aktuell wird an einem Zubau für die FH gewerkt. Und schließlich beschert das Plus an Bewohnern der Stadt auch ein größeres Budget. In vielen Gemeinden – zumeist in abgelegenen Regionen – kann derzeit der genaue Gegentrend beobachtet werden: Abwanderung. Die Folgen sind fatal. Geschlossene Geschäfte, aufgelassene Postfilialen, kaum öffentlicher Verkehr, ja sogar die Infrastruktur muss teils zurückgebaut werden. Im Extremfall kann Abwanderung richtig teuer werden, wie das Beispiel Eisenerz zeigt: Dort mussten Häuser abgerissen und die Kanalrohre verkleinert werden, weil durch die starke Abwanderung zu wenig Abwasser durch die Kanalisation floss – was beißenden Gestank beförderte. Im Zweifel wäre mir stetes Wachstum deutlich lieber als eine Gemeinde, die langsam ausstirbt.


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