Megafon Nr. 294

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CHRONOLOGIE GEWALTSAMER VORFÄLLE «Ich denke, wir können von der Beendigung der Anti-Terror-Operation sprechen»… Während seiner jährlichen Pressekonferenz am 31. Januar 2006 im Kreml behauptete der russische Präsident Wladimir Putin, nicht nur der sechsjährige Krieg in Tschetschenien sei vorbei, auch die «Anti-Terror-Operation» – Kreml-Sprache für den Tschetschenienkonflikt – sei beendet. Entgegen dieser Behauptungen hat sich die Situation in der Region nicht gross verändert.

2. Februar 2006

4. Februar 2006

Die Leiche des 38-jährigen Isa Kaimov wird heute in der Mayakovskyi-Siedlung von Grosny mit einer Schusswunde am Kopf gefunden. Verwandte von Roman Elmuraev suchen weiterhin den 27-Jährigen, der im Gudermes-Distrikt verschwunden ist. Tschetschenische Milizen nehmen während eines Scharmützels in der Molkerei Nr. 15 in Grosny einen «Verdächtigen» fest. Bei einem weiteren gewaltsamen Zusammenstoss von Milizen und unbekannten Personen im StaropromysTschetschenien ist ein schwarzes Loch für lovskyi-Distrikt in Grosny wird eine Person Informationen. Wenn der Krieg hier vorbei getötet und mehrere verwundet. Unweit des sein soll, dann nur, weil nicht mehr darüber Zentralmarktes in Grosny wird ein junger berichtet wird. Sogar offizielle Statistiken be- Mann, zwischen 20- und 22-jährig, von nicht ziffern die Zahl der Opfer unter der Russinamentlich bekannten lokalen «Strafverfolschen Armee und den tschetschenischen Mi- gungsbehörden» gefangen genommen. Sein lizen auf fünf bis sieben pro Tag. Ausserdem Aufenthaltsort ist unbekant. finden unter dem beschönigenden Titel der «Anti-Terror-Operationen» jeden Tag schwer 3. Februar 2006 wiegende Menschenrechtsverletzungen statt. Ein Angehöriger einer lokalen Miliz wird in Entführungen mit darauffolgendem «VerSernovodskaya, Sunzha, von Unbekannten schwinden» plagen die Bevölkerung weitergetötet. In einem Wohndistrikt in Grosny sind hin, und Folter wird weiterhin systematisch heute nicht explodierte Artillerie-Sprengsätangewendet. Opfer werden gegen Lösegeld ze gefunden worden. Der 27-jährige Aslan freigelassen, tot aufgefunden oder bleiben Yakhaev wird bei einem Zusammenstoss mit verschwunden. Versuch einer Auflistung von einem bewaffneten russischen Fahrzeug im Ereignissen seit der Rede des Präsidenten… Oktyabrikyi-Distrikt, Grosny, ernsthaft verletzt. Der Fahrer des russischen Panzers 31. Januar 2006 wird als betrunken gemeldet. GrossangelegDie russischen Streitkräfte entführen den te «Aufräum-Operationen» werden in Kotar22-jährigen Iskander Saidov aus seinem Zu- Yurt, Achkoi-Martan durchgeführt. Der 27hause im Dorf Shali in Chiri-Yurt aus unbejährige Said Yusupov und der 25-jährige Tazkannten Gründen. Sein Aufenthaltsort bleibt biev werden verhaftet. Ihre Aufenthaltsorte unklar. Eine Gruppe von unbekannten bewaff- bleiben unbekannt. neten Personen entführt einen Mann namens Akhmed an einer Bushaltestelle in AchkoiMartan. Sein Verbleib bleibt unbekannt.

Leistung humanitärer Hilfe verhindert, Gefangene misshandelt, Zivilpersonen entführt, gefoltert und häufig hingerichtet. Bereits Ende 1995 spaltete sich das tschetschenische Lager: Auf der einen Seite machte sich Dschochar Dudajev für eine harte Linie stark, ermutigt durch die militärischen Erfolge der tschetschenischen Truppen. Auf der andern Seite bemühte sich Generalstabschef Aslan Maschadow für eine Lösung auf dem Verhandlungsweg. Der Krieg wurde immer grausamer: Die russischen Militäraktionen nahmen mehr und mehr den Charakter eigentlicher Vernichtungsaktionen an. Plünderungen, Brandschatzungen, Vertreibungen und Massaker an ZivilistInnen, Inhaftierungen in Lagern wur-

den zu alltäglichen Vorkommnissen. Die Städte Grozny, Gudermes und Shali galten im März 1996 als zerstört. Erst der Tod Dudajevs Ende April 1996 ebnete den Weg für Verhandlungen. Nach mehreren Rückschlägen vereinbarten Aslan Maschadow und der russische Sicherheitsberater Aleksandr Lebed schliesslich Ende August eine Waffenruhe und darauf die Beendigung des Krieges. Tschetschenien war zerstört, die Infrastruktur ruiniert und rund 80 000 Zivilpersonen sowie mehrere Tausend Soldaten beider Seiten tot. Mindestens 350 000 Menschen waren vertrieben worden. Dem neuen Frieden, dieser oberflächlichen «Normalisierung», fehlte die Nachhaltigkeit. Zwar wählten die

Die russischen Streitkräfte führen in den Dörfern Kenkhi und Khimoi in Sharoi grossangelegte «Aufräum-Operationen» durch. Vier Bewohner werden später von bewaffneten Unbekannten entführt, ihr Verbleib bleibt ungeklärt. Ein Bewohner des Dorfes ZamaiYurt wird von nicht namentlich bekannten lokalen «Strafverfolgungsbehörden» verhaftet. Sein Verbleib bleibt unbekannt. 5. Februar 2006

Ein Einwohner von Kurchaloi wird bei einer «Aufräum-Operation» verhaftet. Sein Verbleib ist unbekannt. Ein Mitglied einer tschetschenischen Miliz wird während einer Auseinenandersetzung im Oktyabriskyi-Distrikt, Grosny, ernsthaft verwundet. Im Dorf Avturi, Shali, werden von der Russischen Armee grossangelegte «Aufräum-Operationen» durchgeführt. Alle Ein- und Ausgänge werden blockiert und Militärhelikopter kreisen über dem Dorf; es werden keine Verhaftungen verzeichnet. 6. Februar 2006

Heute werden zwei Einwohner des Dorfes Chechen-Aul in Grosny als vermisst gemeldet. Der Wagen von Khasan Dalaev wird daraufhin verlassen in einem Aussenbezirk von Achkoi-Martan gefunden. Von den vermissten Personen keine Spur. Zusätzliche mobile «Check-points» werden von lokalen «Strafverfolgungsbehörden» in ganz Grosny aufgestellt und eine weitere «Aufräum-Operation» wird von den russischen Streitkräften im Oktyabriskyi-Distrikt durchgeführt. >

TschetschenInnen Ende Januar 1997 mit Aslan Maschadow einen Gemässigten zu ihrem neuen Präsidenten. Doch nicht nur führte Maschadow das aus dem Koran abgeleitete Strafrecht (Scharia) in Tschetschenien ein – was Moskau provozieren musste –, sondern bereits Ende 1997 griffen angeblich tschetschenische Extremisten ein russisches Militärlager in Dagestan an. In der Folge kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen beiden Seiten. Aus russischer Sicht das Fass zum Überlaufen >

SCHWERPUNKT megafon Nr. 294, April 2006

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