4 minute read

Alexander Schaichet und sein Kammerorchester Zürich

ALEXANDER SCHAICHET UND SEIN KAMMERORCHESTER ZÜRICH

Vor etwas mehr als 100 Jahren wurde das erste Kammerorchester der Schweiz gegründet: das Kammerorchester Zürich. Ins Leben gerufen und geleitet wurde es von Alexander Schaichet, der damit nicht zuletzt das 1945 durch Edmond de Stoutz gegründete Zürcher Kammerorchester prägen sollte. Gemeinsam mit dem Schweizer Pianisten Oliver Schnyder zollt das ZKO Schaichet nun mit einem Jubiläumskonzert Tribut.

TEXT LION GALLUSSER

«Werke zu Gehör bringen, die selten gehört, nie aufgeführt oder besonders wertvoll» sind, dies war Schaichets Hauptziel für sein 1920 konstituiertes Kammerorchester Zürich. Dass der aus dem damals russischen Nikolajew am Schwarzen Meer stammende Schaichet seine Pläne gerade in Zürich verwirklichte, war einem besonderen Umstand geschuldet. Denn eigentlich war der 1887 geborene Violinist, der in Odessa und Leipzig studiert hatte und anschliessend nach Jena als Konzertmeister und Dirigent berufen worden war, nur zu Ferienzwecken in die Schweiz gekommen. Da während seines Aufenthalts im Jahre 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, blieb er jedoch in der Schweiz. Sie wurde ihm Wirkungsstätte und Heimat, nicht zuletzt dank der 1919 erfolgten Heirat mit der aus Ungarn stammenden Pianistin Irma Löwinger (einer Schülerin von Béla Bartók, die ihrerseits für Studien zu Ferruccio Busoni nach Zürich gekommen war) und der 1927 vollzogenen Einbürgerung.

MUSIK VERGANGENER EPOCHEN UND DER GEGENWART

Mit viel Leidenschaft gab Schaichet seinem Kammerorchester ein charakteristisches Profil. Als eine Grundkonstante setzte er häufig ältere Musik, vorwiegend aus Barock und Frühklassik auf das Programm. Diese musste damals generell nicht nur wiederentdeckt werden, sondern man hatte sich auch Gedanken zur adäquaten Wiedergabe anzustellen. Zweifelsohne kommt Schaichet und seinem Ensemble deshalb eine musikhistorisch wichtige Rolle in der Etablierung einer historischen Aufführungspraxis zu. Vom Willen zur historisch orientierten Wiedergabe zeugen neben musikalischen Überlegungen auch halbinszenierte Konzerte in Kostümen aus alten Zeiten.

Die Förderung der Alten Musik greift Oliver Schnyder am Jubiläumskonzert mit der Interpretation des Klavierkonzerts d-Moll BWV 1052 von Bach auf, wurde doch genau dieses Konzert in einem der ersten Konzerte des Kammerorchesters Zürich aufgeführt. Auch für Schnyder selbst, der das Konzert zum ersten Mal öffentlich spielt, eine Entdeckung: «Als ich davon erfuhr, war ich sehr gespannt darauf, das Werk zu erarbeiten.» Als Beispiel der Klassik spielt Schnyder zudem Mozarts Krönungskonzert KV 537, in seinen Augen ein «Popkonzert», da es «aufgrund seiner effektvollen Schlichtheit sehr volksnah» sei.

Der andere Grundpfeiler in Schaichets musikalischem Programm war die Musik der Gegenwart. Besonders hervorzuheben ist sein Einsatz für die Musik von zeitgenössischen Schweizer Komponisten wie Albert Moeschinger oder Willy Burkhard, mit denen er häufig auch in engem persönlichem Kontakt stand. Die Toccata für Streichorchester op. 55, die dem Kammorchester Zürich und Schaichet gewidmet ist und durch diese 1939 uraufgeführt wurde, steht stellvertretend für die zahlreichen Aufführungen von Schweizer Kunstmusik des 20. Jahrhunderts.

PERSÖNLICHES BEKENNTNIS

Mit seinen grossen Repertoirekenntnissen setzte sich Schaichet auch für die Werke von ausländischen Komponisten wie Béla Bartók, Manuel de Falla oder Paul Hindemith u.v.m. ein. Mitunter aufgrund seiner jüdischen Abstammung programmierte er zudem Werke von jüdischen Komponisten wie Darius Milhaud, Bernhard Sekles oder Ernst Toch. Solche Aufführungen wurden ergänzt mit den ebenfalls mit viel Courage betriebenen Engagements als Leiter des jüdischen Gesangsvereins «Hasomir» sowie der Mitbegründung des Vereins «Omanut» zur Förderung jüdischer Kunst in der Schweiz. Als russischer Immigrant wiederum war Schaichet auch die russische Musik ein grosses Anliegen. Die Zwei Stücke für Streicher op. 11 von Dmitri Schostakowitsch verweisen auf die Förderung der russischen Gegenwartsmusik durch Schaichet, der 1932 ein Konzert mit «Russen der Gegenwart» veranstaltete (neben dem genannten Werk von Schostakowitsch wurden Lazare Saminsky, Alexander Tscherepnin, Maximilian Steinberg und Nikolai Mjaskowsky gegeben).

NACHKLANG BIS IN DIE GEGENWART

1943 musste Schaichet das Kammerorchester Zürich aufgrund finanzieller Probleme und neuer Konkurrenz durch das 1941 von Paul Sacher gegründete Collegium Musicum Zürich auflösen. Dieser hatte bereits für die Gründung seines Basler Kammerorchesters im Jahre 1926 angegeben, dass ihm Schaichets Klangkörper ein Vorbild war. Und im Zürcher Kammerorchester leben einige von Schaichets Ideen bis heute weiter.

Das Erbe von Alexander Schaichet wird vom Verein «Hommage an das Kammerorchester Alexander Schaichet» gepflegt. Auf der Website www.schaichet.ch wurde eine ganze Fülle von Informationen zusammengestellt. Zudem wird dort das äusserst lesenswerte Buch Zivilstand Musiker – Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz (2020) vorgestellt.

«Als Enkelin von Alexander Schaichet freue ich mich sehr über die grosse Resonanz der Publikation und der Veranstaltungen zum 100-Jahr-Jubiläum der Gründung des ersten Kammerorchesters der Schweiz. Damit werden die Leistungen und das musikalische Wirken von Alexander Schaichet von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen und geschätzt.»

IRENE FORSTER

FESTKONZERT MIT OLIVER SCHNYDER IN MEMORIAM ALEXANDER SCHAICHET DI, 25. JAN. 2022, 19.30 UHR TONHALLE AM SEE

Oliver Schnyder Klavier Zürcher Kammerorchester Willi Zimmermann Violine & Leitung

Grosses Abo CHF 110 / 100 / 85 / 60 / 35

In Kooperation mit dem Verein «Hommage an das Kammerorchester Alexander Schaichet» www.schaichet.ch Willy Burkhard Toccata für Streichorchester op. 55 Johann Sebastian Bach Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll BWV 1052 Dmitri Schostakowitsch Zwei Stücke für Streicher op. 11 Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 26 D-Dur KV 537 «Krönungskonzert»

This article is from: