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Dating im Zeichen des Babyelefanten
Was macht eine Pandemie mit der Partnersuche? 6020 hat einen Partnervermittler und drei Singles gefragt, wie und ob man in Zeiten von Corona langfristig daten kann.
Text: Benjamin Stolz – Illustrationen: Monika Cichoń
Einsamkeit macht unzufrieden und wer zufriedener mit seinem Liebesleben ist, der ist umgekehrt auch weniger einsam. Was man im Aus tausch mit Freunden vielleicht schon gehört hat, wurde in einer aktuellen Studie der Soziologin und Sexualpädagogin Bar bara Rothmüller an der Sigmund Freud
Privatuniversität bestätigt: Zwei Drittel der Personen in Singlehaushalten fühlten sich im April einsam. Bei Menschen mit „unverbindlichen sozialen Kontakten“ oder „unverbindlichen Beziehungen“ hat sich das Liebesleben eingeschränkt: Die
Hälfte der ersteren hatten zu ihren aktu ellen Sexpartnern selten oder gar keinen
Kontakt, die zweiten häufiger zu ihren Expartnern als vorher. 45 Prozent der 18- bis 20-Jährigen bezeichneten in der Umfrage ihr Sozialleben überhaupt als „trostlos“. Kurz gesagt: Singles, die mit ihrem Bezie hungsstatus unzufrieden sind, haben es zurzeit nicht leicht. Nach sechs Monaten Pandemie ist Corona längst ein Dauer zustand und ein Date mit Mund-NasenSchutz oder imaginiertem Babyelefanten für viele keine angenehme Vorstellung. Wie wichtig ist die Partnersuche in Zeiten von Corona und wie soll man zurzeit über haupt jemanden kennenlernen?
MITEINANDER GEHEN.
Wolfgang Posch betreibt das Innsbrucker Büro der Partneragentur Contacta. „Im Lockdown haben die Leute gespürt, was Alleinsein bedeutet“, erklärt er. Den Lock down hat auch die Agentur zu spüren bekommen, April und Mai waren aber „gute Monate“ mit wieder mehr Kundenzulauf. Posch ist so etwas wie Tinder mit Hirn.
Menschen auf Partnersuche kommen zu ihm ins Büro und werden in eine Kartei aufgenommen, die wiederum anderen Singles vorgelegt wird. Auch wenn das Konzept einer klassischen Partnervermitt lung etwas altmodisch anmaßt, hat Posch keine Angst vor in Corona-Zeiten boomen den Dating-Apps. Er will mit Regionalität punkten und Idealvorstellungen von Partnern auflockern: „So manche Kundin kommt hierher und meint: 178 cm Körper größe wäre schön. Und nach einer halben Stunde sagt dieselbe Person: Der Chef wäre nicht mehr zu haben? Dann sage ich: Nein, ich wäre Ihnen ja zu klein.“
Hohe Ansprüche beim Onlinedating hält Posch für ein großes Problem. Außerdem sieht er Leute, die „nicht gut Rechtschreiben können“ im Nachteil. Das Ergebnis einer niederländischen Studie aus dem Jahr 2019 zeigt, dass Tippfeh ler, Regelverstöße und Fehler durch eine informelle Sprache potenzielle Partner unterm Strich weniger attraktiv erschei nen lassen.
FOMO FÄLLT FLACH.
Auch Viktoria ist eine korrekte Recht schreibung beim Chatten wichtig. Auf Dating-Apps ist es schließlich „das Einzige, was man zum Ausdruck bringt.“ DatingApps erleben gerade einen nie dagewese nen Boom. Allein im ersten Quartal des Jahres hatte Tinder ganze sechs Millionen Abonnenten. Damit war der OnlinedatingGigant, lässt man Gaming-Apps beiseite, die umsatzstärkste App auf dem Markt. Auf Partnersuche ist Viktoria momentan nicht. Im Gegenteil: „Als der Lockdown kam, habe ich es genossen, für mich alleine zu sein.“ So wie sich die Situation momentan entwickelt, macht sie „lieber etwas alleine, bevor ich auf ein halbher ziges Date gehe.“ FOMO, fear of missing out (Millennial-Sprech für „etwas verpas sen“), fällt durch Corona für viele flach. In Barbara Rothmüllers zu Beginn zitierter Studie steht, dass 35 Prozent der Men -
WOLFGANG POSCH

VIKTORIA
schen ohne sexuelle oder romantische Beziehung erleichtert darüber waren, „dass während des Lockdowns niemand von ihnen erwartete, ein aktives Sexle ben zu führen.“ Bei asexuellen Personen war es sogar jede zweite Person und bei Menschen in Beziehung ganze 18 Prozent, die eine „geringere sexuelle Erwartungs haltung“ durch Corona erleichterte.
SOZIALE RÄUME UND EINE GENERATIONENFRAGE.
David Prieth empfindet die aktuelle Datingsituation als etwas belastender: „Mir kommt vor, dass sich zurzeit viel mehr dieses Gefühl durchschlägt, dass ich etwas verpasse.“ Dating in Zeiten von Corona ist für David zwar nicht tabu, jedoch mit gegenseitigem Vertrauen ver bunden, denn: „Ich glaube nicht, dass ich bei einem Kuss sagen würde: Sorry, eine Armlänge Abstand!“ Beruflich betreffe ihn jedoch „weniger die Schmus-fraktion als die Veranstalterfraktion.“ Als Clubbe treiber sind die mittlerweile seit Monaten geschlossenen Nachtclubs wichtige sozia le Räume. Dort gebe es nicht nur wichtige Kontakte, sondern „magische Momente, in denen man sich leichter verlieben kann.“
Genau wie die Jungen nötigt Coro na auch die älteren partnersuchenden Singles, die in ungefährlicheren Zei ten gerne das Tanzbein schwingen, zu virtuellen Ausweichmöglichkeiten. Beim Onlinedating sieht Prieth die Generation „50 plus“ im Nachteil. Und tatsächlich: Wissenschaftler von der University of Michigan bestätigen in einer beunru higenden Studie, dass heterosexuelle Männer beim Onlinedating 18-jährige Frauen am attraktivsten finden und Frau en wiederum Männer bis 50 Jahre. Über
DAVID PRIETH
das subjektive Empfinden der Einsamkeit hat Rothmüller in ihrer Studie herausge funden, dass sich die Personengruppe ab 51 vergleichsweise am wenigsten isoliert und ungefestigt in ihren Beziehungen fühlt.
VERLORENE JUGEND.
„Im Leben will man immer das, was man gerade nicht haben kann“, meint Teresa. „Vorher wäre es einem vielleicht gar nicht bewusst gewesen, dass man gerade kein Date hat. Man hätte einfach sein Leben
TERESA
gelebt.“ Die Studentin bleibt zurzeit lieber unter ihren Freunden. Ein Tinder-Date will sie nicht erzwingen und schon gar nicht „mit dem nächstbesten auf ein Date gehen.“ Teresa könnte sich zwar vorstel len, dass online eine Freundschaft entsteht. „Die große Liebe“ zu finden, ohne die Person im echten Leben zu sehen, kann sie sich jedoch nicht vorstellen.

Partnervermittler Wolfgang Posch bedauert, dass vor allem die ganz jungen Leute – er selbst hat eine 17-jährige Toch ter – an der nur eingeschränkt möglichen Intimität leiden. „Den jungen Leuten nimmst du die Jugend, den Leichtsinn irgendwo zu sitzen, zu trinken.“
Während diese Zeilen geschrieben werden, stieg die weltweite Zahl der Corona-Toten auf 800.000. Die Partnersu che mag auf der Prioritätenliste in einer Welt mit Covid-19 nicht auf Platz eins ste hen, doch Wolfgang Posch ist überzeugt: „Einsamkeit macht krank.“