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Aus für den Master der Philosophie
In Siegen wird es den Master der Philosophie in seiner bisherigen Form künftig nicht mehr geben. Begründet wird dies mit der geringen Auslastung des Studiengangs; zu wenige nutzten das Angebot. „Man muss sich eben damit abfinden, dass er nicht nachgefragt ist“, sagt der Rektor und verordnet die Abschaffung.
Text von André Wenclawiak
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Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen: nur ein Absolvent, zwei weitere eingeschriebene Studenten, und das seit der Einführung im WiSe 06/07 – viel ist das nicht. Auf der Podiumsdiskussion im roten Hörsaal am 22. April bat Prof. Klein, amtierender Prorektor für Lehre, Studium und Weiterbildung, um Verständnis für die Position des Rektorats: „Man muss sehen, dass das Rektorat einen solch minimal besetzten Studiengang, der ja Ressourcen bindet, sowohl dem Ministerium als auch den überfüllten Studiengängen gegenüber rechtfertigen muss.“
Wo die Kategorien der Rechtfertigung ökonomische Kennzahlen sind, tut man sich mit solchen Verhältnissen natürlich schwer. Dass man sich trotz nomineller „Hochschulfreiheit“ dem Ministerium gegenüber rechtfertigen müsse, verwundert. An fachübergreifender Relevanz gewinnt die Debatte auch durch die Feststellung von Prof. Klein, dass es von diesen „winzigen, ein-zwei-Personen Studiengängen unglaublich viele“ gebe. Andere derzeit angebotene Master, die nicht mit üppig genügender Auslastung beziffert werden können, stehen demgemäß ebenso zur Disposition.
Wie es mit der fachwissenschaftlichen Ausbildung weitergeht, bleibt indes unklar. Man spricht von Clusterisierung.
Klein: „Wir sind angetreten mit dem Anspruch, eine Fächervielfalt zu erhalten, und wir wollen das nach Möglichkeit so tun, dass wir mehrere Studiengänge, die jeweils wenig nachgefragt sind, bündeln, clustern, […] und so versuchen, unter einem gemeinsamen Dach zu einem Studienmodell zu kommen, mit dem man diese Studiengänge noch weiter führen kann.“
Im Gespräch sind interdisziplinäre Studienmodelle, innerhalb derer ähnlich ausgerichtete Fächer gemeinsame Master anbieten. Gegen solche Pläne wehren sich die betroffenen Fächer jedoch häufig – und auch sonst all jene, die befremdet davon sind, wenn fachfremde Gremien die Zusammenstellung der fachspezifischen Studieninhalte steuern.
Rektor Burckhart zur Clusterisierung: „Das ist natürlich ein ganz anderes fachkulturelles Verständnis, und da habe ich viel Ärger mit den Kolleginnen und Kollegen, die sagen: Nein, mein Fach muss vom ersten bis zum letzten Tag explizit studiert werden, da kann es kein Mittel gegen geben und ein Generalistenstudium machen wir schon mal gar nicht. Das ist ein Streit, den das Rektorat jetzt angetreten hat.“

Das Rektorat von links nach rechts: Prof. Hanna Schramm-Klein (Prorektorin für Industrie, Technologie und Wissenstransfer), Prof. Peter Haring Bolivar (Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs), Prof. Holger Burckhart (Rektor der Universität Siegen), Prof. Franz-Josef Klein (Prorektor für Lehre, Studium und Weiterbildung ) und Prof. Thomas Mannel (Prorektor für strategische Hochschulentwicklung) auf der Podiumsdiskussion im roten Hörsaal am 22. April 2010.
In Form strategischer Ziele spricht man von inhaltlich breit angelegten Bachelorstudiengängen und einer später folgenden Spezialisierung. Für kleinere Fächer bleiben für diese Spezialisierungen dann jedoch offenbar nur interdisziplinäre Master übrig. Zu fragen bleibt, wie groß der jeweilige fachwissenschaftliche Anteil in einem solchen Studienmodell überhaupt noch sein kann. Breiter Bachelor, schmaler Master. Der Widerstand der Professoren bei der Umsetzung derartiger Konzepte ist, aus inhaltlich ausgerichteter Perspektive betrachtet, durchaus verständlich.
Rektor Burckharts Vorschlag für die Philosophie wäre es, einen interdisziplinären Master, der u.a. einen philosophischen Schwerpunkt hat, in eine Graduiertenschule einzugliedern, die unmittelbar zu einer Promotion führt. Zwar gibt es eine solche Graduiertenschule derzeit in Siegen nicht, von einer „baldigen“ Installation ist aber schon länger die Rede. (Siehe dazu das Interview in fool Nr. 12).
Letztlich wäre ein derartiges System vielleicht gut für Ausnahmestudenten mit besonderen Talenten für ein spezifisches Fach. Auf diese Weise erhielten sie früh ihre Auszeichnung, um sich in der akademischen Struktur möglichst zeitig in angemessener Relation zu ihrer Leistungsfähigkeit positionieren zu können. Auch das ist eine Form der Elitenbildung; denn bei diesen Studenten handelt es sich eben um genau das: Ausnahmen. Auf der Strecke bleiben diejenigen, die den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit erst später entwickeln. Ein tragbares Bildungssystem kann und muss aber auch solche Menschen auffangen können, und nicht etwa als Getriebene einer ökonomisierten Hochschulpolitik „verheizen“.
Die Lehrerausbildung läuft derweil in Siegen weiter auf Hochtouren. Wohl eher gelegentlich entspringt der Graduiertenschule ein akademisch vielversprechender Fachbegeisterter – auf der „akademischen Überholspur“ befindlich wird sich dieser jedoch vermutlich direkt aus Siegen verabschieden. Zu erwarten, dass dieser Nachwuchs an einer „Universität“ verbleibt, welche im jeweiligen Fach hauptsächlich Lehrer ausbildet, erscheint eher unplausibel. Nicht zuletzt ist er aber in der historischen Tiefe und systematischen Breite des Fachs auch gar nicht ausgebildet, sondern in einer eng spezifizierten Nische hochspezialisiert. Macht ein solches System flächendeckend Schule, fallen alsbald äußerst sonderbare Argumente mit Geltungsanspruch wie zuletzt in der externen Debatte um den neu zu besetzenden Tübinger Lehrstuhl für Rhetorik: Kritikern zufolge schließe die vom dortigen Senat ausgeschriebene Anforderung, das Fach in seiner historischen Tiefe und systematischen Breite zu beherrschen, zu viele Kandidaten aus. Eigentlich sollte man meinen, es handle sich um eine profilgerechte Ausschreibung.

Copyright: Philipp Petzold
Etwas abseits des akademischen Mainstreams wird zunehmend die Frage drängend, was es überhaupt heißt, wenn vom „Erhalt der Fächervielfalt“ gesprochen wird.
Vielleicht wird in hitziger Umstrukturierungsatmosphäre zu schnell außer Acht gelassen, was das angestrebte Bildungsziel einer normativ verstandenen Universität ist. Wird hier die Bildung als solche überhaupt noch als Teil des selbstbestimmten Lebens gedacht? In einem humanistischen Ideal ist auch die Fähigkeit des Einzelnen für mündige Selbstpositionierung und -zwecksetzung vorgesehen: Dinge, die das Studium der Philosophie zu leisten vermag. Alsbald scheint es, als stünde ein derartiges Ideal jedoch konträr zu der tatsächlich angestrebten Verwertbarkeit des Menschen als Humankapital für Wirtschaft und Arbeitsmarkt. Auch in Siegen scheint sich zunehmend die unsichtbare Hand des Marktes als Regierung letzter Instanz erkenntlich zu geben.