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Siegen & Region: Ist Siegen Studentenstadt?
Die Zusammenarbeit zwischen Universität und Stadt könnte weit besser sein. Das liegt am mangelnden Interesse füreinander − so das Ergebnis einer Studie.
Text von Annika Schlemmer
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Über die Attraktivität der Stadt Siegen als Studentenstadt zu diskutieren ist müßig. Das Thema ist alt, und mit meiner Umfrage im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich das schlechte Image Siegens unter Studenten sogar schriftlich: Neben den Assoziationen „Berge“ und „Wälder“ wurde am häufigsten das „unattraktive Stadtbild“ genannt. „Bausünden“, „fehlende Stadtplanung“ und „Beton“ waren unter den befragten Studenten weitere spontan genannte Begriffe. Und als Studentenstadt sahen die allerwenigsten ihre Studienstadt – viel mehr war Siegen für sie Industriestadt.
Müsste Siegen größer sein, um das bundesweite Image der hässlichen Industriestadt unter Studierenden zu verlieren? Müsste sich Siegen herausputzen? Vielleicht die Sieg im Stadtkern von ihrer Betonplatte befreien?
Viele beliebte Studentenstädte sind nicht viel größer als Siegen; die Einwohnerzahlen in Heidelberg, Tübingen und Göttingen zum Beispiel sind nicht gerade die einer Metropole. Das scheint also kein Kriterium für die Attraktivität einer Stadt zu sein. Aber vielleicht der Fluss? Die Freilegung der Sieg ist jetzt beschlossene Sache, und möglicherweise wird das förderlich für das allgemeine Image Siegens sein. Indessen bleiben jedoch an anderer Stelle weitere Bausünden bestehen. Allein ein neues Siegufer wird also kaum den Ausschlag geben, dass Siegen zur attraktiven (Studenten-)Stadt wird. Und ein komplettes Umkrempeln der Stadtstruktur wäre kaum denkbar. Außerdem: Es gibt ja nette Fleckchen wie die Altstadt und eine kleine, aber langsam wachsende Café- und Kneipenlandschaft. Ich persönlich habe das allerdings erst entdeckt, als ich nach ganzen drei Studienjahren von Weidenau in die Oberstadt gezogen bin.
Liegt das schlechte Image Siegens unter Studenten also darin begründet, dass sie, weil sie sowieso hauptsächlich auf dem Haardter oder Fischbacherberg zu tun haben, die schönen Seiten der Innenstadt gar nicht wahrnehmen können? Ein Lösungsansatz wäre das. Wenn die Uni ihren Standort in der Stadt hätte, müsste man für interessante Vorträge und Unipartys nicht mehr auf den Berg, für die Mitarbeit in studentischen Initiativen bräuchte man sich keine Gedanken mehr um den letzten Bus zu machen und vielleicht würden ja dann Studentenpreise im Kino eingeführt. Ein Traum, der gar nicht so fern liegt, zumindest teilweise, wenn nämlich in ein paar Jahren der Fachbereich 5 ins Untere Schloss einzieht. Eine Universität in der Stadt ist für letztere ohnehin ein Gewinn, da sie durch zusätzliche Studierende und Beschäftigte der Stadt mehr Einwohner beschert. Mehr Einwohner bedeutet zugleich mehr Kaufkraft am Ort, was langfristig zu vermehrtem Angebot führt. Das lässt sich sowohl auf Bekleidungs- und Lebensmittelgeschäfte als auch auf Clubs, Cafés, Kneipen und so weiter anwenden. Dadurch werden wiederum die Gewerbesteuer-Einnahmen der Stadt erhöht, was sie zum Beispiel dazu befähigt, Bauprojekte voranzutreiben. Kurzum: Die Stadt profitiert. Vorausgesetzt, Abiturienten kommen tatsächlich zum Studieren in die Stadt und wählen nicht lieber eine andere. Außerdem könnte die Stadt mit hohen Studierendenzahlen der Alterung der Gesellschaft zumindest für einen begrenzten geographischen Raum entgegenwirken – schließlich sind Studenten in der Regel zwischen 20 und 30 Jahre alt und damit eine pure Verjüngungskur für die Stadt. Schön wäre natürlich außerdem, wenn mehr Studenten auch nach ihrem Studium am Ort blieben und damit die Bevölkerungszahlen langfristig erhöhen.
Ein weiteres Argument für die Stadt, ihre Uni doch endlich als Imagevorteil zu sehen, ist folgender: Unternehmen brauchen vermehrt akademisch qualifizierte Arbeitskräfte, das bringt die viel diskutierte Entwicklung zur sogenannten „Wissensgesellschaft“ nun mal mit sich. Diese qualifizierten Arbeitskräfte finden Unternehmen am ehesten an Hochschulstandorten. Sicherlich reicht eine kleine (Ex-Gesamt-)Hochschule wohl kaum aus, um die Aufmerksamkeit derjenigen Firmen auf sich zu ziehen, die ihren neuen Unternehmenszweig alternativ auch in einer Stadt wie Köln oder Hamburg ansiedeln könnten. Dennoch könnte Siegen als Wissenschaftsstandort immerhin mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als eine Stadt ohne höhere Bildungseinrichtung. Doch die ganze Stadt müsste sich als Wissenschaftsstandort sehen und nicht nur die beiden Berge, auf denen die Campi in Siegen zu finden sind.
Es gibt also zahlreiche Gründe, warum die Uni für die Stadt nützlich sein kann. Je früher die Stadt dies als Argument also für die eigene Vermarktung nutzt, desto besser. Da ist nur ein Haken: Wenn die Stadt keinen Bedarf sieht, auch überregional als Universitätsstadt aufzutreten, dann hilft das einer Hochschule, die ohnehin schon „ausgelagert“ auf dem Berg steht, nicht sonderlich; es verhindert vielmehr, dass die Siegener Uni zu einer beliebten Wahl unter Abiturienten wird. Dann bleibt Siegen eben weiterhin besonders für Schwerindustrie und den Rothaarsteig bekannt.

Effekte der Universität auf die Stadt Siegen
Eine persönliche Nachfrage bei der Gesellschaft für Stadtmarketing in Siegen (GSS) brachte in diesem Punkt allerdings eher Ernüchterung: Für die Siegener Bevölkerung liege die Uni auf dem Berg und „da wird die bleiben, gedanklich“, so eine Mitarbeiterin der GSS. Auch mein Einwand, den Umzug eines Fachbereichs ins Untere Schloss im Herzen der Stadt zum Anlass zu nehmen, den Siegenern ihre Uni näherzubringen, wurde abschlägig beantwortet: „Nein, dafür ist der Bereich zu klein, der ins Schloss zieht.“ Sicherlich zieht mit einem Fachbereich nicht die ganze Uni in die Innenstadt, dennoch wäre dieser Umzug für die Stadt ein guter Ansatzpunkt, an dem man auch bezüglich der Außenwirkung Siegens als Universitätsstadt anknüpfen könnte. Doch auch dieses Argument lässt man bei der GSS nicht gelten: „Denken Sie denn, das Image einer Universität ist die Aufgabe einer Stadt?“ Gegenüber Kooperationsprojekten zwischen Uni und Stadt hingegen ist man allerdings vergleichsweise offen, aber „ein erster Impuls, der erste Schritt, der muss von der Uni kommen. (...) Ich kann nicht versuchen, für die irgendwas zu entwickeln. Weil ich ja auch gar nicht weiß, wo die Uni hin will. Es ist auf gar keinen Fall so, dass die Tür dafür zu ist oder dass wir da nicht jegliche Bereitschaft haben.“ Bei der GSS, die laut Homepage Siegens ‚Attraktivität erhöhen‘ und ‚Siegens Image und Identität profilieren‘ möchte, setzt man derzeit eher auf „Familienfreundlichkeit“ und arbeitet nach der Leitlinie „Einzelhandel fördern, familiengerecht agieren, Historie verbreiten“. Aber: „Dass die Studenten nicht wichtig sind, das soll auf keinen Fall dabei raus kommen“, fügt meine Gesprächspartnerin noch schnell an und versucht so, auch diese Zielgruppe noch ins Boot zu holen. Solange also selbst die Gesellschaft für Stadtmarketing in Siegen im Interview von „einer Uni“ und nicht von „Unserer Uni“ spricht, die Uni sogar nicht einmal als Teil der Stadt sieht, wird Siegen keine „Universitätsstadt“ werden und „Krönchenstadt“ bleiben.
Dass eine Universität die Attraktivität einer Stadt steigern kann, wurde mittlerweile in einer Vielzahl von Studien bestätigt (bspw: „The university: a regional booster?“ von R. J. Florax oder „Wirtschaftsfaktor Bildung und Wissenschaft“ von W. Pfähler, et al) – diese haben den Weg nach Siegen offenbar noch nicht gefunden. Dabei bräuchte man sich noch nicht einmal durch hunderte Seiten von Forschungsberichten zu kämpfe, um hinter den ‚Mehrwert Uni‘ zu kommen, die einschlägige Wirtschaftspresse genügt bereits (bspw: „Wissen ist Wirtschaftsmacht“ in: Capital 8/2009, S. 26-32).
Aber was tun eigentlich andere Städte, um Uni und Stadt näher aneinanderzurücken? In Münster und Bielefeld, zum Beispiel, hat man im Rathaus ein Wissenschaftsbüro eingerichtet. Von hier geht die kooperative Planung des Marketings für Stadt und Universität aus. Das heißt es, werden Events in der Stadt mit dem Know-how der Uni verwirklicht oder Forschungsergebnisse für Nicht-Studierende greifbar gemacht und vorgestellt. Damit auch die Bürger etwas von ihrer Uni haben. Und damit die Studenten merken, dass ihr Tun nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft stattfindet, sondern in die Gesellschaft hineingetragen werden muss. „Study & Stay“ nennt man ein Programm in Münster, mit dem die Stadt erreichen will, dass Studenten gerne bleiben, auch nach dem Studium. Selbstverständlich müsse die Uni ihren Teil dazu beitragen, dass potenzielle Studenten und Professoren sich für die Uni Münster als renommierte Lehr- und Forschungseinrichtung interessieren, so der Verantwortliche im Wissenschaftsbüro der Stadt. Aber gleichermaßen müsse die Stadt auch dafür Sorge tragen, dass diejenigen, die sich für die Uni Münster entschieden haben, gerne länger bleiben. Das fange bei der finanziellen Unterstützung von Start-up- Gründungen, die von Studierenden ausgehen, an und gehe beispielsweise weiter mit der kooperativen Stadtentwicklungsarbeit, sodass sich zum einen alle Bürger mit der Hochschule identifizieren können und sich zum anderen neue Studenten und Mitarbeiter der Uni auch in der Stadt willkommen und wohl fühlen.

Diese Art der Image-Pflege von innen kann natürlich ohne echtes Zusammenwirken von Uni und Stadt nicht funktionieren, wenn die Titel „Universitätsstadt“ oder „Studentenstadt“ nicht nur hohle Phrasen bleiben sollen. Aber wenn Angebote wie die Kinder-Uni oder spannende und auch für Laien verständliche Vorträge aus der Forschung auch als gemeinsame Projekte angepackt werden, dann wird die Uni auch von der nicht-akademischen Bevölkerung wahrgenommen und mehr noch: Die Siegener werden sich mit ihrer Uni identifizieren. Oder anders gesagt: Wenn intern der Kooperationsgedanke erst einmal vorhanden ist, dann lässt sich auch nach außen die Verbindung von Universität und Stadt glaubhafter vermitteln. Und davon wird sowohl die Stadt als auch die Universität profitieren.
Annika Schlemmer studierte Medienplanung, -entwicklung und -beratung in Siegen. Der Titel ihrer Diplomarbeit lautet: Die Universität als Erfolgsfaktor im Städtewettbewerb. Untersuchung von Effekten der Universität auf das Vermarktungspotenzial einer Stadt.