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Am Stehplatz Günter Schober

AM STEHPLATZ

Günter Schober

Bis heute durfte ich über 800mal den Stehplatz der Wiener Staatsoper besuchen, habe gewissermaßen ALLES erlebt, was hier gut, teuer und Weltspitze war und ist – wofür ich sehr dankbar bin. Und tatsächlich: Wo gibt es etwas Vergleichbares auf der Welt und zu solch geringen Preisen? Die Antwort lautet: Nirgends!

Mein erster Besuch in der Wiener Staatsoper – es war der 5. Oktober 1958 – fiel insofern aus dem Rahmen, als ich, ein 15jähriger Teenager, über ein Theater-der-Jungend-Abo Puccinis La Bohème auf einem Sitzplatz miterleben konnte. Eine sonderbare Aufführung übrigens, in der abwechselnd sowohl auf Deutsch als auch in der italienischen Originalsprache gesungen wurde. Auf jeden Fall hielt sich meine Begeisterung, um ehrlich zu sein, in Grenzen … Aber irgendwie dürfte meine Leidenschaft offenbar doch geweckt worden sein, denn ich besuchte bald darauf auch andere Aufführungen und war schließlich am 9. November 1963 sogar in der „richtigen“, Premiere* der heute noch existierenden, von Herbert von Karajan dirigierten, Bohème-Produktion von Franco Zeffirelli – am Stehplatz. Unvergesslich! Live miterlebt habe ich dann in der letzten Karajan-Saison unter anderem noch Aufführungen von Fidelio, Rheingold, Tosca … und, am 11. Juni 1964, die für lange Zeit letzte Karajan-Premiere, der nur eine einzige weitere Aufführung (in teilweise veränderter Besetzung) folgte: Die Frau ohne Schatten, oder FR.O.SCH., wie schon Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal ihre großartige vierte gemeinsame Oper während der Entstehungszeit bezeichnet hatten. Wir vom Stehplatz waren auf jeden Fall begeistert – (obwohl viele das Werk damals noch gar nicht richtig verstehen konnten) – nicht zuletzt, weil wir unbewusst fühlten, Zeugen eines ganz besonderen Ereignisses geworden zu sein. Endloser Jubel! Erst 13 Jahre später wurde dieses besondere Werk, den ich als Abschluss der romantischen Oper nach Richard Wagner verbunden mit den musikalischen Möglichkeiten des 20. Jahrhunderts verstehe, wieder ins Repertoire aufgenommen – von einem anderen Spezialisten: Karl Böhm, der sich Zeit seines Lebens immer für dieses grandiose Werk eingesetzt hat. Unter anderem 1955 bei der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper, 1966 bei der amerikanischen Erstaufführung im Zuge der Eröffnung der neuen Metropolitan Opera in New York (großteils mit Wiener Besetzung!) Und damit schlage ich den Bogen zum 25. Mai 2019, dem Tag, an dem die Frau ohne Schatten in einer absolut würdigen Neuproduktion zum 150. Geburtstag des Hauses zur Premiere gelangte. Besser geht es, meines Erachtens nach, weltweit nicht! Danke und Gratulation an alle Beteiligten, allen voran an Christian Thielemann und das Orchester der Wiener Staatsoper! Selbstverständlich besuchte ich auch die Wiederaufnahme am 10. Oktober 2019, exakt am 100. Jahrestag der Uraufführung! Gratulation auch zu dieser Programmierung! Was kann ich noch aus meinen vielen, schönen Stehplatz-Jahren herausheben? Elektra unter Böhm, Meistersinger, Parsifal, Troubadour, Carmen, Jenu ˚ fa, Falstaff unter Bernstein, Viaggio a Reims und Chowanschtschina unter Claudio Abbado, Attila, Macbeth und „FR.O.SCH“ unter Giuseppe Sinopoli, „Ringe“ unter Christoph von Dohnányi, Franz Welser-Möst und Thielemann, Brünnhilden mit KS Nina Stemme, weiters Vorstellungen von Billy Budd, Capriccio, Fliegender Holländer und zuletzt Manfred Trojahns Orest sowie Tosca mit KS Piotr Beczała als Cavaradossi … * Die ursprünglich angesetzte Premiere am 7. November fiel einem Streik zum Opfer. SERIE