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Patricia Kopatchinskaja im Fokus

Sie ist eine treibende Kraft der Avantgarde: Ehrenmitglied Patricia Kopatchinskaja kehrt im Dezember mit Fazıl Say ins Wiener Konzerthaus zurück.

VON DÁVID GAJDOS

So neuartig, wild und fesselnd muss Beethovens Kreutzersonate zur Zeit ihrer Entstehung geklungen haben, kommt einem in den Sinn, wenn man Patricia Kopatchinskajas Einspielung mit Fazıl Say hört. Sie elektrisiert. Man fiebert mit, wie dieses eigentlich so bekannte Stück ausgehen wird. Lange sträubte sich Kopatchinskaja davor, ihre Musik in statische Aufnahmen zu sperren. Als sie sich 2008 doch zur Aufnahme ihrer ersten CD entschloss, eröffnete sie diese mit der Kreutzersonate, die sie mit Say konsequent neu dachte. Das macht Kopatchinskaja in der Regel so: Wenn sie Repertoirestücke spielt, sucht sie in ihnen neue, auch mal extreme Facetten. Im Guardian betonte sie 2016, die großen B-Komponisten, Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner und Bruch wären zwar tatsächlich die Größten, etwas »madness« müsse es im Konzertleben aber auch geben. Und zwar: Neue Musik! Ein Bild über die Dominanz des Kanons alter Werke malte sie in einem Interview mit dem VAN Magazine: Aktuell sei es so, als ob wir alle in einem Auto fahren und hinten rausschauen würden, und alle sagen, wie schön es da gewesen sei. Und niemand schaue nach vorne, um zu sehen, wohin wir fahren. Sie macht keineswegs dabei halt auf Ungleichgewichtungen hinzuweisen: kaum jemand hat im internationalen Konzertleben mehr dafür getan, Neuer Musik Akzeptanz und Gehör zu verschaffen. Allein ist sie dabei aber nicht, sie arbeitet immer wieder mit Musiker:innen zusammen, die ihre Liebe zur Avantgarde und zu weniger bekannten Komponist:innen teilen. Mit Markus Hinterhäuser, Teodor Currentzis, Kirill Petrenko oder auch mit Gidon Kremer, dessen interpretatorische Maxime und Kernrepertoire mit ihrer musikalischen Philosophie verwandt zu sein scheinen. Als junge Geigerin war sie künstlerische Leiterin des schweizerischen Festivals Rüttihubeliade, 2018 programmierte sie das Ojai Music Festival in Kalifornien. Vielleicht ist für sie irgendwann die Zeit reif, ein eigenes Festival zu gründen, so wie es Kremer in Lockenhaus tat, wo Kopatchinskaja schon erfolgreich gastierte.

Paricia Kopatchinskaja lebt seit Jahren in Bern, beendete dort auch ihr Studium, das sie in Wien begann. Hierhin floh sie mit ihren Musikereltern 1989 aus der Republik Moldau. Keine einfache Umstellung für einen Teenager: »Du kommst mit dem Zug aus Moldawien, einem chaotischen Land mit Feldern voller Kot und Müll. Dann, nach der österreichischen Grenze, wird die Welt immer quadratischer und gepflegter, klarer«, erzählte sie im Rückblick. Mit 17 wurde sie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien aufgenommen, studierte dort neben Violine auch Komposition. Sie war 18, als sie das erste Mal im Wiener Konzerthaus auftrat, wo sie das dritte Violinkonzert von Saint-Saëns spielte. Das zweite Mal musizierte sie im gleichen Frühling beim Klassenabend von Boris Kushnir, hier teilte sie die Bühne unter anderem mit Nikolaj Szeps-Znaider, Aleksey Igudesman und Julian Rachlin. Mittlerweile war sie über fünfzig Mal im Wiener Konzerthaus zu Gast, in der Saison 2014/15 wurde ihr eine eigen Porträtreihe gewidmet, seit 2020 ist sie Ehrenmitglied der Wiener Konzerthausgesellschaft. Wenn am 11. Dezember Patricia Kopatchinskaja mit Fazıl Say im Großen Saal spielen wird, dürfen wir uns auf die neuen Facetten freuen, die sie den Sonaten von Bartók, Brahms und Janáček entlockt. »Ich glaube nicht, dass sich je zwei Musiker so in die Haare geraten sind wie wir«, erzählt Kopatchinskaja über die jahrelange Zusammenarbeit mit Say. So stürmisch die Proben verlaufen mögen – was das Publikum bisher von den beiden zu hören bekam, war immer außerordentlich.

Patricia Kopatchinskaja

© Alexandra Muraveva

Die Klassikindustrie hinkt so weit hinterher. Wenn jemand etwas tut, das auch nur ein kleines bisschen anders ist, wird das gleich riesig und hitzig diskutiert.

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WUSSTEN SIE, DASS …

… Patricia Kopatchinskaja neben Neuer Musik auch viel Barockmusik spielt? Im Wiener Konzerthaus trat sie zum Beispiel mit dem Giardino Armonico unter dem Dirigat von Giovanni Antonini auf, in der gleichen Besetzung spielte sie auch eine CD ein.

… Kopatchinskaja sich besonders stark für das Œuvre der 2006 verstorbenen russischen Komponistin Galina Ustwolskaja einsetzt? Sie widmete der Meisterschülerin und Vertrauten Schostakowitschs eine CD und interpretiert ihre Werke immer wieder in Konzerten.

… Patricia Kopatchinskaja wenig von Auftragswerken hält? Die besten Kompositionen seien jene, die aus einer inneren Notwendigkeit heraus entstehen.

… Patricia Kopatchinskaja 2004 mit ihrem Vater Viktor Kopatchinsky, einem international tourenden Zimbalspieler mit Affinität zur Neuen Musik, im Wiener Konzerthaus auftrat?

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KONZERTTIPP

So, 11/12/22, 19.30 Uhr · Großer Saal

Patricia Kopatchinskaja: Violine; Fazıl Say: Klavier

Leoš Janáček: Sonate für Violine und Klavier

Johannes Brahms: Sonate d-moll op. 108 für Violine und Klavier

Béla Bartók: Sonate Nr. 1 Sz 75 für Violine und Klavier

Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59880

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