
16 minute read
Die Geschichte des Brückenbaus
GESCHICHTE DES BRÜCKENBAUS
Text Martin Dietrich
Der Wunsch, natürliche Hindernisse durch Bauwerke zu überwinden, ist ein uraltes Bedürfnis der Menschheit. In den Anfängen handelte es sich bei diesen Brücken um über Bäche und kleinere Flüsse gelegte Baumstämme oder Steinplatten. Technisch gesehen stiess diese Bauweise jedoch schnell an ihre Grenzen: Balkenbrücken aus Holz oder Naturstein waren nur für kleine Spannweiten geeignet oder mussten durch viele Zwischenaufl ager abgestützt werden (siehe Bild Seite 15). Dies lässt sich mit der Konstruktionsart ägyptischer Pyramiden oder griechischer Tempel vergleichen: Es entstanden in dieser Zeit zwar durchaus eindrückliche, sogar monumentale Bauwerke, die sich aber mit den damaligen eher bescheidenen Kenntnissen in der Statik und Materialtechnik nicht entscheidend weiterentwickeln liessen.
Die Römerbrücke im Verzascatal bei Lavertezzo passt mit ihrem Doppelbogen aus Naturstein perfekt in die Landschaft.

Martin Dietrich ist dipl. Bauingenieur ETH/SIA und seit 1980 tätig im Büro Theiler Ingenieure AG in Thun, heute als Mitglied der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats. Nebenamtlich ist er seit 1989 Dozent für Tragwerkslehre an der Berner Fachhochschule in Burgdorf in den beiden Fachbereichen Architektur und Bauingenieurwesen mit Schwerpunkt Tragwerksentwurf im Hoch- und Brückenbau.
Erst die Römer schufen mit der Erfindung des Bogens neue Möglichkeiten in der Bautechnik. Er kam beim Bau der Kuppelschale des Pantheons in Rom zum Einsatz, dessen Dach während über tausend Jahren punkto Spannweite nicht mehr übertroffen wurde. Aber auch im Brückenbau setzten die Römer mit ihren zum Teil mehrstöckigen Bogenkonstruktionen neue Massstäbe. Der bekannteste Vertreter ist wohl der Aquädukt Pont du Gard bei Nîmes in Südfrankreich. Eine kleinere, aber dennoch eindrückliche Römerbrücke ist im Tessiner Verzascatal bei Lavertezzo erhalten geblieben (siehe Bild Seite 12). Der schlichte, perfekt in die Landschaft eingepasste Doppelbogen zeigt, dass eine nach statischen Gesichtspunkten sorgfältig konstruierte Brücke keine zusätzlichen Gestaltungs- oder gar Dekorationselemente nötig hat. Ein Bogen wird vorwiegend auf Druck beansprucht und ist somit ideal für den Einsatz von Naturstein und Beton geeignet. Balken hingegen sind teilweise und Hängekonstruktionen vorwiegend auf Zug belastet. Holz ist zwar für die Aufnahme von Zugkräften durchaus geeignet, erfordert jedoch bei grosser Beanspruchung entsprechende Querschnitte und hat im Freien ein nicht ganz einfach zu lösendes Dauerhaftigkeitsproblem. Um einen weiteren Meilenstein in der Bautechnik zu schaffen, war deshalb ein neuer Baustoff gefragt.
Es dauerte bis ins 19. Jahrhundert, bis aus der Weiterentwicklung des schon länger bekannten Gusseisens das neue Material Baustahl für anspruchsvolle Tragkonstruktionen zur Verfügung stand. Damit eröffneten sich fast schlagartig neue Möglichkeiten im Brückenbau, indem als neues System die statische Umkehrung des Druckbogens,
die auf Zug beanspruchte Hängeseilkonstruktion, vor allem für die Überbrückung grosser Spannweiten rasch an Bedeutung gewann. Bei der klassischen Hängebrücke wird die Fahrbahn- oder Gehwegplatte mit Hilfe von Sekundärseilen an den primären Hauptseilen aufgehängt, die bei gleichmässiger Belastung die mathematische Form einer Parabel annehmen. Bei ungleichmässiger Belastung hingegen verändert sich die Seilkurve, was je nach Brückennutzung entweder durch einen steifen Brückenträger verhindert oder als deutlich wahrnehmbare Schaukelbewegung in Kauf genommen werden muss. Die Hauptseile werden über Stützpfeiler, sogenannte Pylone, umgelenkt und im Baugrund verankert. Bei der 1937 über der San Francisco Bay erstellten Golden Gate Brücke, der weltweit bekannten Ikone aller Hängebrücken, beträgt die Gesamtlänge rund 2700 m, der Abstand der Pylone 1280 m, die Pylonhöhe 225 m, der Durchhang der Haupttragseile 150 m und deren Durchmesser 90 cm, während die 27,5 m breite Fahrbahn beidseitig durch 7,5 m hohe Versteifungsträger stabilisiert wird (siehe Bild Seite 16).
Im Laufe der Zeit sind etliche Brücken von Künstlern gemalt, von Musikern besungen oder von Regisseuren verfilmt worden und erst dadurch richtig berühmt geworden. Andere wiederum haben politisch eine wichtige Bedeutung erlangt, indem sie in der Strategie der Kriegsführung eine entscheidende Rolle einnahmen. So gibt es noch heute mit Sprengsätzen versehene Brücken, die im Extremfall zer-

Der Fussgängerübergang im Exmoor-Nationalpark befindet sich im Südwesten Englands und besteht aus 17 Sandsteinplatten.
Eines der bekanntesten und meistfotografierten Bauwerke der Welt ist die Golden Gate Bridge über der San Francisco Bay.

stört werden sollen, um den Feind am Einmarsch zu hindern. Allerdings sollen nun alle diese ehemaligen Sprengobjekte, so erklärte Armeesprecher Christoph Brunner unlängst, bis Ende 2015 schweizweit entschärft werden. Doch gibt es auch andere Brückengeschichten, die von menschlichen Dramen handeln und so spannend zu lesen sind wie ein Krimi.
Brückenbaugeschichten
Die Brücke über den Firth of Forth in der Nähe von Edinburgh ist eine der wichtigsten Eisenbahnverbindungen Schottlands. Als 1879 nach Plänen des Ingenieurs Thomas Bouch mit dem Bau begonnen wurde, stürzte kurze Zeit später eine vergleichbare, ebenfalls von Bouch entworfene Brücke ein. Der Unfall ereignete sich während eines starken Orkans und kostete allen 75 Zugspassagieren das Leben. Der Bau der neuen Brücke wurde sofort eingestellt, das Vertrauen in Thomas Bouch war verloren. Von diesem Schicksalsschlag erholte sich Bouch nicht mehr – er starb nur etwa ein Jahr später. Die neuen Ingenieure, John Fowler und Benjamin Baker, stellten darauf ein überarbeitetes Projekt vor, dessen statische Funktionsweise sie mithilfe eines menschlichen Modells präsentierten (siehe linkes Bild Seite 17). Das Projekt wurde schliesslich akzeptiert und die rund 2 km lange Fachwerkbrücke mit drei Zwischenabstützungen gebaut. Sie diente unter anderem Gustave Eiffel als Inspiration für die Konstruktion seines 300 m hohen Turms in Paris und ist heute noch in Betrieb.
Fast gleichzeitig wurde auf der anderen Seite des Atlantiks die 1883 eröffnete Brooklyn Bridge erstellt, damals die längste Hängebrücke der Welt. Sie besteht aus einer zweistöckigen Fahrbahn, massiv gemauerten Stützpfeilern und vier Haupttragkabeln, deren 20 000 Einzeldrähte nach dem Vorbild der Spinne beim Bau ihres Netzes einzeln eingezogen wurden (siehe rechtes Bild Seite 17). Die neue Brücke wurde rasch zu einem Wahrzeichen New Yorks, hatte aber während des Baus ihre Opfer gefordert. Der deutsch-amerikanische Brückeningenieur John August Roebling quetschte bereits bei den Vermessungsarbeiten den Fuss auf einer Fähre derart, dass er kurz darauf an Starrkrampf starb. Sein Sohn führte zwar die Arbeiten weiter, doch auch er erkrankte schwer anlässlich der Tauchgänge, die für die Fundationsarbeiten nötig waren. An den Rollstuhl gefesselt, konnte er die Arbeiten nur noch von zu Hause aus überwachen, den Kontakt zur Baustelle stellte seine Frau her.
Im Gegensatz zur Brooklyn Bridge hat sich die rund 60 Jahre später errichtete Tacoma Bridge im Nordwesten der USA nicht bewährt, was sich in einer sehr kurzen Lebensdauer äusserte. Diese Hängebrücke wies bei 850 m Spannweite nur zwei Fahrspuren und eine Brückenbreite von 12 m auf, was zu einem ungünstigen Schlankheitsverhältnis für horizontal wirkende Kräfte führte. Vier Monate nach der Eröffnung wurde die Brücke im November 1940 durch starke Querwinde derart aufgeschaukelt – die Verdrehung der betonierten Fahrbahn betrug dabei bis zu 15 Grad – , dass nach etwa einer Dreiviertelstunde die Betonplatte im Bereich der Hauptspannweite


Die statische Wirkungsweise der Eisenbahnbrücke Firth of Forth in Schottland wurde um 1880 mithilfe eines menschlichen Modells präsentiert. Der Bau weit gespannter Hängebrücken wie der Brooklyn Bridge in New York war Ende des 19. Jahrhunderts eine extreme Herausforderung.

in den Fluss stürzte (siehe Bild links). Dieses Ereignis konnte von einem Filmteam dokumentiert werden, da ja die Probleme schon vorher bekannt waren, der Einsturz nicht völlig überraschend kam und deshalb glücklicherweise auch keine Todesopfer forderte. Ein Kurzfilm dazu kann auf YouTube unter dem Stichwort Tacoma besichtigt werden.
Nochmals 40 Jahre später kollidierte ein schweres Frachtschiff während eines Sturms mit einem Pfeiler der fast 9 km langen Brücke über der Tampa Bay in Florida. Der Teileinsturz forderte 35 Menschenleben; ein einziger Autofahrer überlebte, weil er auf das Deck des Frachtschiffs gefallen war. Die neue Brücke wurde 1987, sieben Jahre nach dem Einsturz, eröffnet und gilt als eine der schönsten Schrägseilbrücken der Welt. Die Anzahl der Stützpfeiler ist gegenüber der alten Brücke stark reduziert, sie sind mit massiven Schächten und einer Knautschzone gegen Schiffsanprall geschützt (siehe Bild unten). Bei einer Schrägseilbrücke wird im Gegensatz zur klassischen Hängebrücke die Fahrbahn direkt mit Schrägseilen an den Pylonen aufgehängt. Ein berühmtes Beispiel in Europa ist der 2004 eröffnete Viaduc de Millau in Südfrankreich.
Infolge Windeinwirkung wurde die Tacoma Bridge im Nordwesten der USA bereits wenige Monate nach ihrer Eröffnung im November 1940 zerstört.

Als gelungene Zusammenarbeit zwischen Ingenieur und Architekt gilt die imposante Schrägseilbrücke Viaduc de Millau in Südfrankreich.
Die Schweiz, ein Land der Brückenbauer
Die Schweiz darf mindestens in den vergangenen 100 Jahren mit gutem Gewissen als Land der Brückenbauer bezeichnet werden. So war etwa Othmar Ammann (1879–1965) der verantwortliche Ingenieur für die nebst der Brooklyn Bridge wichtigsten New Yorker Hängebrücken, die George Washington und die Verrazano Narrows Bridge. Bei der Planung der Golden Gate in San Francisco wurde er als Berater beigezogen. Als ganz grosse Figur in der Brückenbauszene der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gilt aber der Berner Robert Maillart (1872–1940), ein Absolvent des Polytechnikums Zürich, der heutigen ETH. Obwohl vor allem in der Schweiz tätig, wurde er mit seinen architektonisch hervorragend gestalteten, eleganten Bogenbrücken weltweit bekannt. Dies gilt insbesondere für die Salginatobelbrücke bei Schiers im Kanton Graubünden, die sich – wie praktisch alle Konstruktionen von Maillart – durch einen minimalen Materialverbrauch auszeichnet (siehe Bild unten). Auch im Kanton Bern existieren heute noch mehrere unter Denkmalschutz stehende Maillart-Brücken.

Die Salginatobelbrücke zwischen Schiers und Schuders im Prättigau geniesst unter Fachleuten weltweit grosses Ansehen.

Rund 50 Jahre nach Maillart setzte der Churer Christian Menn (*1927) vorerst die Tradition der schlanken voralpinen Bogenbrücken fort. Mit der Weiterentwicklung im Stahlbetonbau, speziell im Bereich der Vorspannung, eröffneten sich ihm später neue Möglichkeiten. So plante Menn mit dem Felsenauviadukt in Bern eine der grössten Balkenbrücken der Schweiz, wegen ihres in der Höhe variablen Hohlkastenquerschnitts als Voutenträger bezeichnet. Sein bekanntestes Werk ist wohl die Ganterbrücke am Simplonpass. Bei ihr handelt es sich im Prinzip um eine Schrägseilbrücke, wobei die Spannseile in markanten Betonscheiben integriert sind (siehe Bild links). Einpassung in die alpine Landschaft, Dauerhaftigkeit und geometrische Randbedingungen – die Scheiben folgen im Grundriss der gekrümmten Fahrbahn – waren die Gründe für diese aussergewöhnliche Lösung. Später folgte die Sunnibergbrücke in Klosters, wo die Schrägseile wieder frei sichtbar sind.
Unter den Ingenieuren der jüngeren Generation gibt es einige, die das Werk der alten Meister studiert und in die Neuzeit transformiert haben. Der Spanier Santiago Calatrava (*1951) hat in seinem Heimatland ein Architektur- und an der ETH ein Bauingenieurstudium absolviert, anschliessend sein eigenes Büro in Zürich eröffnet. Seine Werke, die sich nicht nur auf den Brückenbau beschränken und der «Ingenieur-Architektur» zugeordnet werden, sind auf der ganzen Welt gefragt und sorgen für Aufsehen, obwohl oder vielleicht gerade weil er das raffiniert Ausgetüftelte gegenüber der einfachen, pragmatischen Lösung bevorzugt (siehe Bild rechts). Ganz anders das Lebenswerk von Toni Rüttimann (*1967), genannt «Toni el Suizo»: Dieser hat 1987 nach wenigen Wochen sein Bauingenieurstudium abgebrochen, um in Entwicklungsländern Südamerikas, Zentralamerikas und Südostasiens die einheimische Bevölkerung beim Bau der lebensnot-
Der kühne Entwurf von Santiago Calatrava für die Wettsteinbrücke in Basel unterlag an einer Volksabstimmung 1990 einer konventionellen Bogenbrücke.

Bild links: Die Ganterbrücke an der Simplonpassstrasse bildet einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Schweizer Brückenbaus.



Die Spannbandbrücke Punt da Suransuns in der Viamala- Schlucht besticht durch maximale Schlankheit und minimalen Materialaufwand.
Bild vorangehende Doppelseite: Die Fuss- und Radwegbrücke am Unterlauf der Verzasca ist der weiter flussaufwärts gelegenen Römerbrücke nachempfunden.
wendigen Fussgänger-Hängebrücken zu unterstützen. Die Rohre für die Pylone bezieht er aus dem Rohrleitungsbau, bei den Hängeseilen handelt es sich meist um ausrangierte Seilbahnseile; Geld für seine Brücken benötigt er ebensowenig wie ein Honorar für seine eigenen Leistungen. In 25 Jahren sind so über 600 Brücken entstanden, eine fast unvorstellbare Zahl.
Fussgängerhängebrücken und Aussichtsplattformen
Der vorliegende Hängebrückenführer Schweiz vermittelt eine Übersicht der Fussgängerhängebrücken in der Schweiz vorwiegend im ländlichen und voralpinen Raum, ergänzt mit einigen Aussichtsplattformen. Die beschriebenen Brücken erfüllen unterschiedlichste Funktionen, etwa als Wegverbindung für die einheimische Bevölkerung, als Bestandteil einer Wanderroute, oder als Studienobjekt für Technik-Begeisterte. Plattformen sollen in erster Linie eine verbes-
serte Aussicht auf die Umgebung ermöglichen, wobei auch der Nervenkitzel beim Blick in die Tiefe ein durchaus erwünschter Nebeneffekt ist. Neben Eisenbahn-, Autobahn- und normalen Strassenbrücken wirken diese Bauwerke mindestens von der Grösse her zwar relativ bescheiden, setzen aber dennoch markante Signale in der Landschaft. Geplant werden sie in der Regel durch Ingenieure, da wichtige Grundsatzentscheide wie Materialisierung, Wahl des statischen Systems und Konstruktionsdetails hauptsächlich in deren Kompetenzbereich fallen. Der Beizug eines technisch interessierten Architekten als Spezialisten für die Gestaltung und eines Unternehmers, der im Hinblick auf die anspruchsvollen Montagearbeiten wichtige Hinweise liefern kann, ist aber durchaus sinnvoll. Spannende, manchmal auch kontroverse Diskussionen können so bereits in der Planungsphase stattfinden und nicht erst auf der Baustelle, wo es zu spät ist für konzeptionelle Änderungen.
Eine wichtige Rolle im ganzen Prozess spielt auch der Bauherr. Er legt zusammen mit dem Projektverfasser den Standort des Objekts und die Art der Nutzung fest, er gibt die finanziellen und terminlichen Randbedingungen vor. Weitere wichtige Punkte sind die Wahl der Brückenbreite, die Art der Gehwegfläche sowie die Höhe und die konstruktive Ausbildung des Geländers, welche den Komfort der Benutzer wesentlich beeinflussen. Es liegt dann am Ingenieur, diese Ideen und Vorgaben in ein geeignetes Tragsystem umzusetzen. Wichtig sind dabei die Kriterien der Tragsicherheit, die in den Normen relativ klar geregelt sind, und die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit, wo ein grösserer Ermessensspielraum vorhanden ist. So können beispielsweise die Anforderungen an das Schwingungsverhalten je nach Funktion und an die Dauerhaftigkeit je nach vorgesehener Lebensdauer des Objekts stark variieren. Dies wiederum hat einen massgebenden Einfluss auf die Systemwahl und Materialisierung, damit auch auf die Kosten und das Erscheinungsbild des Bauwerks. Zwei Beispiele ausserhalb der Gruppe der klassischen Hänge- oder Schrägseilbrücken sollen dies veranschaulichen. Bei der Fussgänger- und Radwegbrücke am Unterlauf der Verzasca bei Locarno handelt es sich um eine neuzeitliche Interpretation der weiter flussaufwärts gelegenen Römerbrücke (siehe vorangehende Doppelseite). Und die elegante, mit einheimischen Natursteinplatten bestückte Spannbandbrücke Punt da Suransuns, wo der Gehweg den Hängeseilen oder eben den Spannbändern folgt, liegt in der Viamalaschlucht im Kanton Graubünden (siehe Bild Seite 24).
«Die Brücke», schrieb Evelyn C. Frisch, ehemalige Direktorin des Stahlbau Zentrum Schweiz SZS, in ihrem Editorial zum steeldoc-Brückenbau-Themenheft des SZS (01/13), «gehört zur Ingenieurbaukunst schlechthin. Doch gerade bei dieser Disziplin entsteht durch das Zusammenwirken von Statik und architektonischem Ausdruck überhaupt erst das Kunstwerk». Die Kunst sei es, so Frisch, das Überqueren zu einem Erlebnis zu machen, überraschende Momente zu schaffen für den Betrachter und den Benutzer, dem Bauwerk Persönlichkeit zu geben und diese auch in ihrer Umgebung zur Wirkung zu bringen.
Stets stehen dabei Architektur und Tragwerk, führte Evelyn C. Frisch in einer früheren steeldoc-Ausgabe (01/04) aus, in einer engen Beziehung: «In der Planung eröffnen Fussgängerbrücken im Gegensatz zu Strassenbrücken grössere gestalterische und konstruktive Freiheiten. Das schmale Brückendeck kann im Grundriss frei geformt werden, und Steigungen sind, unter Berücksichtigung der Rollstuhlbefahrbarkeit, wählbar. Das Tragwerk kann filigran und schlank ausgebildet werden, da mögliche Verformungen eine geringere Rolle spielen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich so aus wenigen statischen Grundsystemen eine Vielzahl von Varianten.»
Wieviel Technik verträgt die Landschaft?
Als ich mich nach dem Studium anfangs der Achtzigerjahre bei einem Ingenieurbüro bewarb, war mir wichtig, dass sich dieses schwerpunktmässig mit Tragkonstruktionen des Hoch- und Brückenbaus befasste. Im Laufe der Zeit begann ich zu realisieren, dass mir eine jahrzehntelange Lehrzeit bevorstand. Schon Christian Menn hatte als Professor an der ETH Zürich betont: «… Sie müssen diese Brücke zuerst entwerfen, bevor Sie sie berechnen!» Dies in die Praxis umzusetzen, war aber nicht ganz einfach: Rechnen hatten wir zwar gelernt, aber entwerfen und konstruieren weniger. Und die Hilfsmittel, um einen Entwurf zu überprüfen und zu optimieren, waren damals noch recht bescheiden.
Es vergingen rund 30 Jahre, bis ich die erste grosse Fussgänger-Hängebrücke planen durfte. Es war eine Arbeit, die mich während drei Jahren – vom Wettbewerb 2009 bis zur Erstellung 2012 –
nicht mehr losliess und immer wieder von Neuem faszinierte. Statik und Dynamik in den Griff zu bekommen und Konstruktionsdetails kostengünstig, montagegerecht und schön zu gestalten, war natürlich eine Aufgabe, die sich nur im Team bewältigen liess. Das Endprodukt, die Panoramabrücke Sigriswil, ist Teil des geplanten Rundwegs um den Thunersee. Das 340 m lange Bauwerk wird von zwei Haupttragseilen mit Durchmesser 65 mm getragen, die über vier je 27 m hohe Pylone umgelenkt und im Baugrund verankert sind. Die Stabilisierung übernehmen zwei unten liegende Abspannseile und der aus abgekanteten Lochblechen konstruierte Brückenträger (siehe Bild unten). Die Brücke wird von den Einheimischen als Verbindung der durch die 180 m tiefe Guntenbachschlucht getrennten Dörfer Sigriswil und Aeschlen und von den Kindern als Schulweg genutzt. Sie zieht aber auch Wanderer und Brückenfreunde von weit her an. Die Akzeptanz des markanten technischen Bauwerks in der wunderschönen Landschaft durch die Nutzer ist gut, kritische Stimmen werden vorwiegend von der gegenüberliegenden Seeseite her laut. Dort ist die Brücke vor allem bei tief stehender Sonne als silber-

Als Teilstück des geplanten Rundwegs um den Thunersee führt die 340 m lange Panoramabrücke Sigriswil in 180 m Höhe über die Gummischlucht.

Der Peak Walk im Skigebiet Glacier 3000 bei Les Diablerets verbindet zwei Berggipfel und hat damit eine rein touristische Funktion.
ne Linie vor dem dunklen Wald gut sichtbar; es ist auch schon von einem Blendeffekt des feuerverzinkten Stahls geschrieben und ein Tarnanstrich thematisiert worden. Deshalb stellt sich die Frage: Wieviel Technik verträgt die Landschaft?
Während die Notwendigkeit einer Brücke in der Regel mit ihrer Funktion als Verbindung begründet werden kann, haben Plattformen einen ausschliesslich touristischen Zweck; dies macht sie für Landschaftsschützer angreifbarer. Ich konnte zwischen 2011 und 2014 bei einigen dieser ingenieurtechnisch anspruchsvollen Bauwerke mitwirken und habe mir dabei natürlich auch die Sinnfrage gestellt. Die Plattform auf dem Harder bei Interlaken liegt in unmit-
telbarer Nähe eines denkmalgeschützten Gebäudes, weshalb der anfängliche Widerstand von Heimatschutz und Denkmalpflege beträchtlich war. Die realisierte Variante besteht aus einer dreieckförmigen Platte mit Stahlträgerrost und Holzbelag, die von drei schlanken Stützen getragen wird. Sie ist gut frequentiert, eine Beeinträchtigung der Umgebung scheint kein Thema mehr zu sein (siehe Bild nächste Doppelseite). Gegen das ursprüngliche Projekt in der Nordwand des Stockhorns in Form eines fachwerkartigen Rings war die Opposition spätestens dann zu gross geworden, als dieses den Spitznamen «Piercing» abbekam. Aber auch die an seiner Stelle realisierte balkonartige Plattform erweitert den Sichtwinkel wesentlich, und der Blick in die Tiefe ist eine echte Herausforderung. Die Plattform mit dem Namen «Skyline Walk» auf Birg, der Zwischenstation auf dem Weg zum Schilthorn bei Mürren, ist genau gegen das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau ausgerichtet. Bei ihrer Eröffnung im August 2014 fand eine interessante Diskussion mit Vertretern aus Umwelt, Sport und Wirtschaft statt zum Thema: «Wird die Alpenwelt zum Disneyland?»
Auch für mich ist diese Fragestellung nicht ganz unberechtigt; es gibt zwischendurch auch Aufträge, wo diesbezüglich Zweifel aufkommen. So etwa auf dem Glacier 3000 bei Les Diablerets, wo für eine 107 m lange Hängebrücke Pylone und Abspannseile zuoberst auf den Berggipfeln geplant waren. Die Baubewilligung lag bereits vor, da ist die Praxis von Kanton zu Kanton leider sehr unterschiedlich. Nach Erhalt des Auftrags haben wir das Projekt angepasst und auf Pylone verzichtet; der «Peak Walk» ist 2014 realisiert worden (siehe Bild links). Die Erstellung solcher Bauten, die Mitwirkung an einem solchen Projekt ist aus meiner Sicht dann gerechtfertigt, wenn folgende Randbedingungen erfüllt sind: Der Ort ist bereits erschlossen, das Objekt hat eine klare Funktion wie bei einer Brücke oder bietet einen Mehrwert im Falle einer Plattform. Es soll sorgfältig gestaltet, einfach rückbaubar und wenn möglich rezyklierbar sein, denn eine spätere Generation soll frei entscheiden können, ob sie Bedarf hat an diesen Bauten in der Alpenwelt oder nicht.
Bild nächste Doppelseite: Die Aussichtsplattform auf dem Harder, dem Hausberg von Interlaken, bietet freie Sicht auf die Bergwelt, den Thuner- und Brienzersee.

