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Jubiläum Kunstmuseum Thun: Inter
from ThunMagazin 04/18
by WEBER VERLAG
«Die Kunst kann Berge bewegen»
Helen Hirsch in einer Installation von Jeppe Hein.
Zum 70-Jahr-Jubiläum zeigt das Kunstmuseum seine schönsten Schätze aus der Sammlung. Kuratiert haben die Schau Katrin Sperry und Direktorin Helen Hirsch, die ebenfalls ein Jubiläum feiert. Sie ist überzeugt, dass wir manchmal die Welt durch die Kunst besser verstehen können.
Die Sammlung des Kunstmuseums umfasst 7000 Werke. Wie stellten Sie die Auswahl für die Jubiläumsausstellung zusammen?
Helen Hirsch: Wir zeigen eine schöne Tour d’Horizon aus den letzten 70 Jahren. Katrin Sperry: Hauptfokus liegt auf den Künstlerinnen und Künstlern aus der Region sowie auf deren Freundschaften und Vernetzung.
Gibt es etwas typisch Thunerisches in der Kunst? Katrin Sperry: Was immer wieder auftaucht, ist der Niesen. Die Landschaft überhaupt hat sehr viele Kunstschaffende und ihre Werke geprägt. Gestalterisch arbeiteten und arbeiten jedoch alle individuell. Werke ausländischer, auch namhafter Künstler. Wir besitzen einen Roy Lichtenstein, einen Salvador Dalí, sogar einen Picasso.
Einen echten Picasso? K.S.: Ja, eine Radierung und eine Lithografie. Sie gelangten über das Maler- und Sammlerpaar Surbek zu uns, das seine Sammlung 1981 dem Museum übergab, was die Sammlung damals enorm steigerte.
Trotzdem: Schlangen wie im Louvre, wo alle die Mona Lisa sehen wollen, gibt es hier nicht. Sind Sie manchmal neidisch auf die grossen
Kunsthäuser? H.H.: Nein. Wir haben andere Aufgaben. Wir zeigen zudem zum Teil internationale Künstler, die erstmals in der Schweiz zu sehen sind. Wie etwa Jeppe Hein. Ich denke, da sind manchmal andere neidisch auf uns (schmunzelt).
Was macht denn eine gute Ausstellung aus? H.H.: Das ist eine, die mich nicht loslässt und mich inspiriert, mich intensiver mit den Werken, einem Künstler oder einem Thema auseinanderzusetzen. Eine, die mich berührt, irritiert. Ein bisschen soll sie wie ein Virus sein, der einen packt und nicht mehr loslässt.
Haben Sie auch Entdeckungen gemacht in der Sammlung? K.S.: Obwohl der Fokus auf der Schweizer Kunst liegt, finden sich einige Sie arbeiten oft interdisziplinär. Warum? H.H.: Ich finde, der Kunstbegriff sollte möglichst offen sein. Ich bringe gerne andere Themenfel-


Links «Niesen, 2001» von Reto Camenisch (Fotografie auf Barytpapier, Kunstmuseum Thun). Der Berg taucht oft auf in der Sammlung. Rechts Direktorin Helen Hirsch (rechts) und Ko-Kuratorin Katrin Sperry auf der Bank Modified Social Bench NY#13, 2015 von Jeppe Hein.
der mit der Kunst zusammen. Andere Disziplinen schaffen verschiedene Blickwinkel, um ein Kunstwerk lesen zu können. So beflügeln wir uns gegenseitig. Welche Projekte sind für die nächsten Jahre geplant? H.H.: Ich möchte eine Ausstellung von Johannes Itten realisieren. Zudem wollen wir die Sammlung auch auf der Website präsentieren. Dadurch erhoffen wir uns, ein neues Publikum zu erreichen.
Was kann denn Kunst im besten Fall bewirken? H.H.: Ich glaube an die Kraft von Kunst. Sie kann das Weltbild verändern. Die Kunst kann Berge bewegen, wenn man offen dafür ist. Künstler versuchen, uns eine Übersetzung des Zustandes der Welt zu geben. Manchmal verstehen wir die Welt besser durch Kunst.
Wann sind Sie erstmals mit Kunst in Kontakt gekommen? H.H.: Durch meine schwedischen Grosseltern, die Kunst sammelten. Sie hatten immer viele Künstler bei sich zuhause. Das war eine nachhaltige Erfahrung. Vor allem die schwedischen Landschaftsbilder mit ihren intensiven Lichtverhältnissen sind mir in guter Erinnerung.
Welches Bild hängt bei Ihnen über dem Sofa? H.H.: Eine Zeichnung des belgischen Künstlers Hans Op de Beeck gekauft. Dieses Werk ist mir sehr, sehr wichtig. Es strahlt eine Stille aus. Das Bild erdet mich. Man sieht darauf einen Sternenhimmel, kleine, weisse Punkte, die auf schwarzem Grund leuchten.
Erübrigt das nicht einen Besuch im Museum, wenn man alles online
anschauen kann? H.H.: Da wir keine permanente Sammlungsausstellung haben, können wir die meisten Werke gar nicht zeigen. Die Online-Präsentation ist vor allem eine Möglichkeit für Leute in New York, Paris oder anderswo, um von unseren Werken zu erfahren. Ziel ist es, vermehrt Leihgaben an andere Kunsthäuser zu realisieren. Das gene«Ich glaube an die riert Aufmerksamkeit für unser Kunstmuseum und zusätzliche Gelder. Kraft von Kunst.»
Haben Sie trotzdem die Befürchtung, dass die Digitalisierung dazu führt, dass man nicht mehr ins Museum kommt?
H.H.: Nein. Viele Gegenwartskünstler gestalten ihre Ausstellungen interaktiv, laden die Leute ein mitzumachen – wie etwa Jeppe Hein. Um ein Werk zu erleben, muss man präsent sein. Diese Erfahrung kann man nicht ersetzen mit einer digitalen Präsentation auf einer Website. Das Original bleibt wichtig.
Nicht alle kommen schon als Kind in Kontakt mit Kunst. Wie sehen
Sie Ihre Rolle als Kunstvermittlerin? H.H: Wir sind die Drehscheibe für Kunst hier in Thun. Dadurch haben wir auch eine Verantwortung. Wir müssen die Menschen unterstützen, die sich grundsätzlich für Kunst interessieren, aber vielleicht nicht die Gelegenheit haben, ins Museum zu kommen, oder keinen Bezug dazu haben. Oft involvieren wir die Leute, das baut Brücken.
Ein Museum ist für Sie also nicht mehr primär ein Ort der Stille, der
Ehrfurcht? H.H.: Ein Museum soll ein Ort der Begegnung und der Lebendigkeit sein.
Andere Museen veranstalten vermehrt Partys oder Yoga-Sessions.
Können Sie sich das auch für Thun vorstellen? H.H.: Punktuell flechten wir bereits heute solche Anlässe ein. Für eine Party würde uns die Infrastruktur fehlen. Aber grundsätzlich bin ich nicht abgeneigt.
Interview Simone Tanner
Bilder Erich Häsler und Reto Camenisch
Die Ausstellung und die Direktorin
Die Jubiläumsausstellung ist bis zum 18. November 2018 zu sehen. kunstmuseum-thun.ch
Helen Hirsch
*1963. Aufgewachsen in Stockholm und Lausanne Ausbildung zur Psychiatrie-Krankenschwester Studium der Kunstgeschichte in Freiburg i.B., Basel, Kopenhagen Nachdiplom in Kulturmanagement in Basel Diverse kuratorische Tätigkeiten, künstlerische Leitung Kunsthalle Palazzo (Liestal), Mandate als Dozentin und Kunstkritikerin Seit 2007 Direktorin des Kunstmuseums Thun