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Bernhard Kopp: «Das Problem ist das Priorisie ren. Etwas leidet immer

10 Seit seiner Pensionierung Ende 2019 findet Bernhard Kopp wieder mehr Zeit für seinen Schwimmteich und zwei angrenzende Biotope.

Bernhard Kopp: «Das Problem ist das Priorisieren. Etwas leidet immer.»

Frisch pensioniert, geht der frühere Augenarzt Bernhard Kopp unzähligen Interessen nach – vom Reisen und Segeln bis zum Pilzesammeln und Alphornspielen.

«Nach der Hondrichflue und dem zweiten Zeughaus links abbiegen, es ist das Haus bei der verglasten Garage», erläutert mir Bernhard Kopp den Weg zu ihm nach Hondrich. Als ich eintreffe, fährt soeben ein Mann weg, hält kurz an und frotzelt durchs Autofenster: «Ich bin vom Sonntagsblick, jetzt sind Sie dran.» «Nun», erwidere ich, «auch das SpiezInfo ist ein gut gelesenes Blatt.» «Das war mein jüngerer Bruder», schmunzelt Bernhard Kopp, vor der Haustür stehend. «Er ging bereits mit 62 in Pension», fügt er an, nicht ohne zu erwähnen, dass er seine Augenarztpraxis bis 67 – bis Ende letzten Jahres – geführt hat. Bernhard, der mir sogleich das Du anbietet, ist kein schweigsamer Mensch, er erzählt und erläutert gerne, während wir einen kurzen Rundgang ums Haus unternehmen. Hier wohnt er mit seiner Frau, der Theologin und Autorin Marianne Vogel Kopp, seinem einen Sohn Basil und Trüffelhündin Xina, die uns wedelnd begleitet. Nach einem informativen Rundgang ums Haus, zum Schwimmteich und zwei Biotopen, angelegt in einer Landschaft aus Felsblöcken, gelangen wir in den hohen Wohnraum mit offener Dachkonstruktion. Wir nehmen auf einem riesigen schwarzen Design-Kanapee Platz.

Bernhard Kopp, fühlt sich das Pensioniertsein so an, wie du es dir vorgestellt hast? Es ist sogar viel besser. Aber zwischen dem, was man plant, und dem, was dann wirklich ist, besteht schon ein Unterschied. Vom Kopf her kann man planen, vom Bauch her nicht. Es ist jeden Tag wie Samstag – es wurde mir noch nie langweilig.

Beschäftigt dich auch, dass das Leben quasi in die dritte Runde geht, dass nicht mehr für alles beliebig viel Zeit bleibt? Ich bin ja «gsund und zwäg». Ich war in über 30 Jahren Praxis in Spiez nur einen Tag krank. Mit den natürlichen Vorgängen des Alterns habe ich auch nicht Mühe. 40 Jahre lang habe ich meine Patienten erlebt und gesehen,

wie sie älter werden. Da bin ich keine Ausnahme. Ich fange ja mit bald 70 nicht noch an, Triathlon zu laufen oder mit Gewalt die Jugend zurück zu prügeln. Nun räume ich Ballast weg. Das ist sehr befreiend.

Was ist denn Ballast für dich? Ich sammelte jahrelang Material, nach dem Motto, «das brauche ich dann mal». Heute sage ich mir: Was ich während zehn Jahren nie in der Hand gehalten habe, das kommt weg. Meine Schwiegereltern sind innerhalb eines Jahres beide gestorben, wir mussten ihr Haus räumen. Das führte mir vor Augen, wie sich Zeugs ansammelt, das dann die Nachkommen einfach in die Mulde werfen.

In deinem Berufsleben drehte sich alles um das Auge. Wie selbstverständlich ist es eigentlich, dass wir beide uns klar und deutlich sehen können? Wir sind ja glücklicherweise gut konstruiert für das, was wir brauchen im Leben. Wir können über eine vernünftige Lebensspanne gut sehen. Vielleicht hat aber die Evolution nicht vorgesehen, dass wir ein Alter erreichen, in dem es den grauen Star oder eine Makula-Degeneration gibt, wo Abnützung auftritt. Das ist die Kehrseite der Lebensverlängerung. Wir sind, sagen wir mal, für 40 Jahre Lebensdauer ausgelegt. Was darüber hinausgeht, ist geschenkt.

Wie verändert es einen Menschen, wenn er weniger oder gar nichts mehr sieht? So wie die Leute verschieden sind, ist auch die Reaktion auf eine solche Behinderung verschieden. Ich erinnere

mich an eine Frau, die immer fröhlich war, immer zufrieden -, aber sie musste geführt werden. Ich kannte einen, der war Chefmasseur in einer Klinik, er führte 30 Leute, er sah kaum mehr etwas. Der war aber immer zufrieden! Und dann gibt es Leute, die sehen noch 50 Prozent und jammern vom Morgen bis am Abend! Fazit: Die meisten Leute, die gar nichts sehen, können damit umgehen. Das ist Lebenskunst!

Bist du selbst ein «Augenmensch»? Ja, sicher. Daher meine Freude am Fotografieren, an Sachen, die mit den Augen zu tun haben. Das Sehen ist für mich eine wichtige Sinnesqualität. Das Hören ist demgegenüber bei mir sekundär. Verschiedene Musiklehrer bissen sich an mir die Zähne aus. Aber ich spiele Didgeridoo, dort steht eines, daneben das Alphorn. Für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, wieder viel mehr zu «alphornen».

Du warst auch als Augenexperte fürs BAZL, das Bundesamt für Zivilluftfahrt, sowie das FAI, das militärische Fliegerärztliche Institut, tätig. Muss ein Pilot heute immer noch besonders gut sehen? Die Anforderungen sind fast unverändert, aber die Richtlinien haben geändert. Früher musste man unkorrigiert gut sehen, heute sind Brillen gestattet, ausser bei Militärpiloten. Dort will ich keine Brillen.

Im Vorgespräch hast du erwähnt, dass du ab und zu in einem F/A-18 mitfliegen durftest. Wie erlebtest du diese Flüge? Es ist (überlegt) – heftig! Im Dogfight hat man immer wieder 9 g in den Kurven, man wird also mit dem neunfachen Körpergewicht in den Sitz gepresst. Giftig! Vorher bin ich sehr oft im Hunter-, aber auch im Tiger- und im Vampire-Doppelsitzer mitgeflogen, ein einziges Mal auch im Mirage-Doppelsitzer. Als ich noch jung war, behauptete ich: Der Pilot, der mich zum Kotzen bringt, muss zuerst geboren werden. Ich habe das Organ, das einem Übelkeit erzeugt, schlicht nicht.

Deine Interessen gehen aber weit über die Faszination Luft hinaus, zu andern Elementen! Ja, eindeutig. Das Wasser fasziniert mich genauso. Ich bin gesegelt, auf dem See und auf dem Meer, bin getaucht, habe mich auf und im Wasser bewegt. Marianne

Zusammen mit seiner Frau, der Autorin Marianne Vogel Kopp, interessiert sich Bernhard Kopp auch für das lokale Kunstschaffen – hier Bilder des Oberländer Grafikers Martin C. Stucki.

12 Während über 30 Jahren praktizierte Bernhard Kopp als Augenarzt im Lötschbergzentrum. Heute ist es eine Gemeinschaftspraxis mit mehreren Augenärzten.

wird es leider rasch schlecht beim Segeln. Trotzdem habe ich sie noch zum Segelpatent und sogar zum Hochseepatent «geprügelt» (schmunzelt). Wir machten damals eine Schiffsüberführung von Griechenland nach Spanien, bei wirklich schlechtem Wetter. Da sahen wir: Das ist nichts für Marianne. Ihr war vom Morgen bis am Abend übel.

Tauchen ist etwas ganz anderes als Fliegen... Tauchen ist in gewisser Weise wie Fliegen. Mit dem wunderbaren Unterschied, dass du anhalten kannst! Du hast einen Abhang, hast Strömung, «fliegst» diesem Abhang entlang, kommst zu einem Korallenstock: Ein bisschen einatmen, dann hebt es dich darüber, ausatmen, du sinkst dahinter wieder ab. Ein 3-D-Feeling in Slow Motion!

Neben Luft und Wasser bleibt die Erde. Du erwähnst in deinem Lebenslauf, dass das Pilzesammeln seit über 50 Jahren dein Hobby ist. Kannst du dich fast nicht entscheiden, in was alles du dich vertiefen möchtest? Das Problem ist das Priorisieren. Aber ich kann es nicht lösen. Irgendetwas leidet immer. Das Alphornspielen hat in den letzten anderthalb Jahren gelitten. Wenn meine Frau mir per Whatsapp ein Foto schickt von einem grossen, schönen Steinpilz, dann ist alles andere weg! Dann packt mich gerade die Sucht. Ich habe als kleiner Bub von meinem Vater gelernt, Pilze zu suchen. Beim Pilzesammeln hilft dir auch dein Hund... Ja, Xina ist ein Trüffelhund. Sie findet Trüffel von Natur aus, auch hier im Hondrichwald. Sie hat das selbst gelernt. Xina ist der verfressenste Hund der Welt! Wenn sie zu graben anfängt, musst du dort sein. Ein Goodeli geben, den Trüffel nehmen – sonst ist er fort, gefressen! Sie gibt den keinesfalls her.

Vom Erdboden nochmals zum Himmel: Was fasziniert dich an der Astronomie? Das Kleine im Verhältnis zum Grossen. Das Grosse, die Sterne, haben mich schon immer interessiert. Ich habe jetzt im Garten an einer dunklen Ecke ein Podest aufgebaut, um das Fernrohr zu installieren. Von dort her will ich dann die Sterne fotografieren. Nun habe ich mir vorgenommen, dem auch wieder etwas Raum zu geben. Das Schöne am Pensioniertsein ist eigentlich: Du kannst jederzeit sagen, jetzt öffne ich ein neues Fenster und schliesse drei andere! Du hast Wahlfreiheit.

Woher hast du eigentlich diese riesige Neugier? Bekamst du dies von Kind auf mit? Ja. Ich war zwar ein stilles Kind. Aber schon damals suchte ich tagelang Pilze im Wald. Im Pilzverein machte ich schon als Dreizehnjähriger mit, die andern waren 70 plus.

Für dich hat der Tag zu wenig Stunden! Ja, wirklich. Aber zugleich muss ich sagen: Ich «plättere» gerne herum!

«Tauchen ist in gewisser Weise wie Fliegen. Mit dem wunderbaren Unterschied, dass du anhalten kannst!»

Schwer zu glauben, nach allem, was du erzählt hast. Auch mit Marianne unternimmst du ja viel... Ja, meine Frau und ich machen vieles gemeinsam. Seit Jahren reisen wir öfter mit dem Wohnmobil. Okay, mit Astronomie hat sie nichts zu tun, aber segeln – ja. Pilze sammeln – ja. Und ich bin Erstleser ihrer Romane. Sie ist ja als Autorin bekannt. Und ich bin auch ihr Kritiker. Meist wohlwollend. Einmal, als sie noch Radiopredigten produzierte, sagte sie zu mir: «Radiopredigt, häre höckle, zuelose!» Das machte ich, aber nach fünf Minuten stand ich auf und sagte: «So, spätestens jetzt würde ich den Radio ausschalten.» Da verschwand Marianne in ihrem Zimmer, knallte die Türe, sagte kein Wort mehr. Aber dann, morgens um 2 Uhr, weckte sie mich und rief: «Aufstehen – Radiopredigt zwei!» Ich hörte wieder zu, dann sagte ich: «Jetzt ist gut, jetzt würde ich den Radio laufen lassen.»

Etwas fällt in deinem Lebenslauf auf: Du hast einige Wochen auf den Salomonen-Inseln in der Südsee gearbeitet. Wie kam das? Ich kenne den früheren Chefarzt Chirurgie in Meiringen gut. Der sagte eines Tages, er habe genug, er halte das System hier nicht mehr aus. Darauf fuhr er nach Honiara, der Hauptstadt der grössten Salomonen-Insel Guadalcanal, und gründete dort ein Spital mit etwa 600 Betten. Eines Tages sagte er zu mir, ich solle doch mal einen Drittwelt-Einsatz leisten, das würde mir gut tun. Nach einigem Zögern stimmte ich zu. Für ein paar Wochen schloss ich die Praxis hier in Spiez und reiste nach Honiara. Zunächst arbeitete ich im General Hospital. Danach fuhr ich per Schiff mit dem ganzen Equipment auf diverse Inselchen mit je ein paar Hundert Leuten, einem kleinen Gesund heitszentrum und einem Arzt, der alles können muss, bis und mit Kaiserschnitt. Diese Ärzte sammelten einige Wochen vor meiner Ankunft Augenpatienten, die ich dann alle nacheinander operierte. In den Gesundheitszentren erhielt ich ein kleines Büro, wo ich jeweils meine mitgebrachte Klimaanlage einbaute, inklusive Generator. Dann habe ich dort vom Morgen bis am Abend Stare operiert. Am nächsten Tag kontrollierte ich die Operierten und fuhr weiter zur nächsten Insel. So ging das einige Wochen, danach reiste ich wieder nach Hause.

Nun unsere erste Standardfrage: Was gefällt dir besonders an deiner Wohngemeinde Spiez? Hier in Hondrich gefällt mir das Klein-Dörfliche. Man kennt sich, grüsst sich, hilft einander. Und Spiez selbst ist eben ein richtiges Dorf, nicht ein Schlafdorf. Es ist kulturell reich. Es gibt Lesungen, Konzerte, verschiedenste Anlässe. Auch die zahlreichen Sportvereine sind super, davon haben unsere Jungen sehr profitiert. Es gibt den See, die Berge, jeder Zug hält – was will man mehr?

Zweite Standardfrage: Was würdest du ändern an Spiez, wenn du könntest? Etwas an Spiez ändern? Uff, das ist schwierig! Ich würde gar nichts ändern. Mir fällt einzig auf, dass die grossen Würfe es ein bisschen schwer haben hier in Spiez. Aber ich fühle mich wirklich sehr wohl hier, sonst wäre ich nicht da.

Interview: Jürg Alder Bilder: ald/zvg

Vom Oberaargau ins Oberland und in die Südsee Bernhard Kopp, Jahrgang 1952, der seine Augenarzt-Praxis in Spiez Ende 2019 nach über 30 Jahren an Gabor Varadi übergab, wuchs mit seinem jüngeren Bruder Thomas in Lotzwil und Herzogenbuchsee auf. Der Vater war angestellter Mechaniker und Verkaufsleiter und erfand unter anderem das «Baby-Huckepack». Die Mutter stammte aus einer Bauernfamilie und hatte die Handelsschule besucht. Sie arbeitete nach der Elternzeit lange bei der Kreditanstalt in Bern. Bernhard Kopp und sein Bruder besuchten das Gymnasium in Langenthal und studierten in Bern – Bernhard Medizin, Thomas, Wirtschaftsrecht. Seit 30 Jahren ist Bernhard Kopp in zweiter Ehe mit Marianne Vogel Kopp, Theologin und Autorin, verheiratet. Sein Sohn Christoph aus erster Ehe ist Mathematiker, Basil, der jüngere, studiert Medizin. Von Christoph haben Bernhard und Marianne bereits ein zweieinhalbjähriges Grosskind, das sie regelmässig hüten.

Bernhard Kopp engagierte sich als Augenarzt sehr in der Flugmedizin – zivil fürs Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL), militärisch fürs Fliegerärztliche Institut (FAI). Er war oberster Verantwortlicher für die augenärztlichen Beurteilungen angehender und aktiver Piloten und Pilotinnen. Bernhard Kopp hat zahlreiche Hobbys, darunter Lesen, Reisen mit dem Wohnmobil, Tauchen, Segeln, Rudern, Fotografieren, insbesondere Astrofotografie, sowie Alphornspielen. Einige Jahre lang war er auch Segelflugpilot. Seit über 50 Jahren ist er Pilz-Experte – er gab Kurse an der Volkshochschule und war Pilzkontrolleur. Im Jahr 2007 arbeitete er während einigen Wochen auf den SalomonenInseln und operierte Patienten mit Augenleiden.

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