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Die frühen Jahre

Schon als Fünfzehnjähriger kam Hans die Ehre zu, am heimischen Weltcuprennen als Vorfahrer die Spur für die Könner zu legen.

(Wanzenried)

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Der kleine «Hanselimann», wie ihn seine Mutter nannte, gehörte nicht zu den Frühstartern, die kaum den Windeln entwachsen erste Gleitversuche auf Latten unternehmen. Hans begann «erst» mit etwa vier Jahren, sich mit Ski vertraut zu machen – unter der kundigen und geduldigen Anleitung seines Vaters und Skilehrers Heinrich «Heini» Pieren. Kaum hatte er das kleine Abc des Skifahrens erlernt, war er nicht mehr aufzuhalten und verbrachte jede freie Winterminute an den Adelbodner Skihängen, insbesondere an seinem Hausberg, dem Chuenisbärgli.

Schon als Kindergärtler Ski-Halbprofi

Der Kindergarten ist nicht mein Lieblingsplatz, ich gehe sehr ungern hin. Das Spielen im Zimmer ist mir zuwider, ich kann mit Basteln und Liedlisingen nichts anfangen. Die einzigen Lichtblicke sind das Hören von Geschichten und die Pause. Meine Mutter ist es leid, mich immer wieder zum damals noch freiwilligen Gang in den «Chindsch» zu bewegen. Sie entscheidet sich, mich nur noch im Sommer hinzuschicken und mir im Winter das «Schiine» zu ermöglichen – sozusagen als Kindergarten-Ski-Halbprofi.

Motivationsmotor Weltcuprennen

Direkt neben meinem Elternhaus liegen die Pisten des Skilifts Chuenisbärgli. Hier verbringe ich unzählige Stunden mit meinem Schulfreund Rolf und meinen Cousins Toni und Benz. Wir sind eine ganze Clique, die sich insbesondere während der Weihnachtsferien von früh bis spät auf den Hängen tummelt. Der vier Jahre jüngere Benz muss manchmal schon hart kämpfen, um den Anschluss

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Georges Brügger, Peter Aellig, Hans Pieren und Stefan Grunder gewannen 1978 und 1979 die Schweizer Team-Meisterschaft. Beide Rennen fanden in Adelboden statt.

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Preisverteilung am Ovo-Grand-Prix International in Sils. Hans reihte sich unter den zehn Schnellsten ein. Im Hintergrund Marc Girardelli und Franz Heinzer.

(Familie) Drei Männer, die Adelbodner Skigeschichte schrieben: Erwin Josi, Peter Aellig und Hans Pieren.

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Sandra Burn war wie Hans Pieren mehrere Jahre Mitglied der schweizerischen SkiNationalmannschaft. Wie Hans nahm sie an der Weltmeisterschaft 1989 in Vail teil.

(Unbekannt)

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nicht zu verlieren, aber er beisst tapfer auf die Zähne. Wir eifern den Skistars wie Karl Schranz, Gustavo Thoeni und Ingemar Stenmark nach, die alljährlich im Januar vor unseren Augen am schwierigsten Riesenslalomhang im Skizirkus um Weltcupsiege kämpfen. Das prickelnde Renngeschehen, der Auftritt der Idole auf «meinem» Hang prägen mich von Kind auf. Irgendwann fasse ich den Entschluss, Skirennfahrer zu werden. Ich vertraue meinen Fähigkeiten, weiss jedoch, dass ich kein riesiges Talent bin, dem die Erfolge in den Schoss fallen werden. Der Weg an die Spitze muss über Ehrgeiz, Willenskraft und Trainingsfleiss führen.

Talentschmiede Skiclub Adelboden

So früh wie möglich trete ich der Jugendorganisation JO des Skiclubs Adelboden bei. Sie ist stark und erfolgreich: Annerösli Zryd wird 1970 Abfahrtsweltmeisterin, das ganze Dorf ist «zunderobe» und feiert seine Athletin mit einem riesigen Umzug durch den «Schwand». Adolf Rösti schaue ich vom Pistenrand zu, wie er an unserem Weltcuprennen Zweiter wird. Peter Aellig und Erwin Josi sind damals schweizweit bei den Besten, sie schaffen später ebenfalls den Sprung ins Nationalkader und in den Weltcup. Die beiden sind sechs und sieben Jahre älter als ich und grosse Vorbilder. Meine Jahrgangskollegen Hanspeter Bärtschi, Ruedi Buchser, Peter Grunder jun. und später Björn Zryd, Stefan Grunder und Oliver Künzi spornen mich zu immer besseren Leistungen an. Der Skiclub engagiert mit Hans Burn, dem Vater der späteren Weltcupfahrerin Sandra Burn, einen vollamtlichen JO-Trainer – eine Pionierleistung. Der Aufwand zahlt sich aus, wir sind eine starke Truppe. In unserem Club bin ich zwar meist der Beste, aber «Häni» Bärtschi, «Stäffä» Grunder und Oli Künzi sind mir dicht auf den Fersen. 1972 findet am Chuenisbärgli der zweite Ovo-Grand-Prix der Geschichte statt, eine renommierte Serie, die heute Grand Prix Migros heisst. Ich bin zehnjährig und qualifiziere mich an diesem Ausscheidungsrennen, trotz eines Fehlers, als Zweiter hinter dem Brienzer Jörg Anderegg für den Final des Ovo-Grand-Prix, den wichtigsten Anlass im Nachwuchsrennsport.

Hans Pierens erster Sieg am Silleren-Cup. Er hätte ihm gerne noch zwei weitere folgen lassen. Klassenkameradin Silvia Allenbach gewann bei den Mädchen. Zwei Mitglieder des britischen Silleren-Skiclubs umgeben die beiden Jugendlichen.

(Wanzenried)

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Er findet in Kandersteg statt. Mein um ein Jahr jüngerer JO-Kollege Björn Zryd hat es auch geschafft. Sein Vater, der legendäre Skilehrer und Rennfahrer Bruno Zryd, und mein Vater wachsen unsere Ski auf der Terrasse des Bergrestaurants. Um die Rennmischung auf den Belag zu pinseln, erwärmt Bruno das Wachs in einem kleinen Pfännli auf einem Campingkocher. Unglücklicherweise kippt das Gefäss um, Wachs läuft über das Plastiktischtuch auf den Boden. Der Tisch mit dem stellenweise etwas geschrumpften Tischtuch und der Holzboden der Terrasse sehen nun ziemlich «gfürchig» aus. Die Wirtin schimpft. Doch Bruno lässt sich nicht beeindrucken, grinst breit und wachst unsere Ski in Seelenruhe fertig. Das Rennen gelingt mir nicht sehr gut. Ich habe nachts erbrochen und fühle mich nicht besonders. Ob es der Nervosität oder der Verpflegung im Hotel zuzuschreiben ist, vermag ich nicht zu sagen. Anderegg gewinnt, und ich ärgere mich, nicht mein Bestes gezeigt zu haben. Es wäre sicher mehr dringelegen.

Mit zunehmendem Alter kann ich meinen Vorsprung auf die interne Konkurrenz etwas ausbauen. Ich gewinne als Siebtklässler den bekannten SillerenCup und lasse alle Acht- und Neuntklässler hinter mir. Im Jahr darauf verpasse ich den Silleren-Cup, weil ich die Vorausscheidung zur Abfahrt am MarkerCup am Hasliberg bestreiten darf. Er ist die wichtigste Veranstaltung für Nachwuchs-Abfahrer im schulpflichtigen Alter und das Pendant zum Ovo-GrandPrix, der damals nur als Riesenslalom gefahren wurde. Diese Chance darf ich mir nicht entgehen lassen, auch wenn das Datum auf den Silleren-Cup fällt. Mein Vater bedauert das sehr. Zu gerne hätte er mich als zweimaligen oder gar dreimaligen Silleren-Cup-Sieger gesehen. Drei Siege hat in der langen Geschichte dieses Cups keiner erreicht.

Erste internationale Wettkämpfe

Ich schaffe den Aufstieg ins Nachwuchskader des Berner Oberländischen Skiverbands BOSV. Noch während meiner Schulzeit gelingt mir der Sprung ins Interregions-Kader. Dort führt der legendäre österreichische Trainer Karl Frehs-

Hans Pieren setzte sich an vielen Skiclubrennen durch.

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ner ein strenges, aber erfolgreiches Regime. Als wir fünfzehnjährig sind, bestreiten wir regelmässig FIS-Rennen im benachbarten Ausland, mal an Wochenenden, mal auch während der Woche. Die Schulkommission muss die damit verbundenen Abwesenheiten bewilligen. Meine Lehrerinnen und Lehrer Hans Jaggi, Roland Teuscher und Christine von Ballmoos setzen sich erfolgreich für mich ein. Manchmal kommt es zu unerwarteten Absenzen. An einem Sonntagabend klingelt bei meiner Mutter das Telefon: Meine Klassenlehrerin von Ballmoos ist am Apparat. Ich bin mit der Interregion an einem Wettkampf in Italien und hätte heimkehren sollen. «Hans kommt heute Abend nicht mehr nach Hause. Er darf ein weiteres Rennen bestreiten.» Sie hat die Information vom Trainer erhalten. Der Montagsunterricht findet ohne mich statt.

«Piiiiren, immer wieder Piiiiren!»

An den Zusammenzügen der Nachwuchsfahrer geht es manchmal hoch zu und her. Gusti Oehrli, Bernhard Fahner und ich dürfen ein SSV-Sichtungsrennen im Unterwallis bestreiten. Nach der Ankunft präparieren wir vorerst unsere Ski; punkt vier Uhr nachmittags rufen uns die Trainer zum Konditionstraining. Gusti ist noch nicht fertig. Er stürzt trotzdem aus dem Skiraum, will sich nicht verspäten. Nach absolviertem Training geht Gusti zurück in den Skiraum und stellt mit Entsetzen fest, dass er vergessen hat, das heisse, mit Meta-Tabletten gefüllte Bügeleisen vom Ski zu nehmen. Es ist mittlerweile erkaltet; ein Stück Belag, so gross wie das Eisen, klebt an diesem und hinterlässt ein tiefes Loch im Belag. Gusti ist gezwungen, auf seinen Ersatzski zurückzugreifen, und muss sich um Spott und Häme nicht mehr sorgen. Sein Missgeschick ist Tagesgespräch unter uns jungen Burschen.

Abends steht unser Sinn noch nicht nach der verordneten Nachtruhe in den Gruppenunterkünften. Eine Kissenschlacht ist angesagt. Einer von uns flüchtet zur Tür hinaus, ich lege mich mit meinem Kissen auf der obersten Koje bei der Tür auf die Lauer und «pässle» auf seine Rückkehr. Die Tür öffnet sich, ich hole aus und dresche mein «Chüssi» mit voller Kraft auf den auftauchenden Kopf.

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Hans Pierens Lehrvertrag mit Hans Thüler als Koch im Hotel Schönegg. Man beachte die besondere Vereinbarung.

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Er gehört leider nicht meinem Rennkollegen, es ist Trainer Morerod, der bei uns für Ordnung sorgen will. «Piiiiren, schon wieder Piiiiren, immer wieder Piiiiren», schreit der Romand wutentbrannt. Anscheinend bin ich ihm schon bei anderer Gelegenheit unangenehm aufgefallen. Ich bin mir zwar keiner weiteren Schandtaten bewusst und glaube, mich in den Trainings-Zusammenzügen jeweils ordentlich benommen zu haben. Morerod war wohl anderer Ansicht.

Stufe um Stufe aufwärts

Nach der Schulzeit beginne ich eine Lehre als Koch. Es ist vorgesehen, dass ich während der Sommersaison im Hotel meines Vaters in Interlaken und im Winter im Hotel Schönegg in Adelboden arbeite. Das Besitzerpaar Berthy und Hans Thüler ermöglicht mir, meine Skirennkarriere auch als «Stift» fortzusetzen. Hans ist nämlich ein grosser Skifan und war in seiner Jugend selbst im BOSV-Kader. Nach meinem ersten Lehr-Halbjahr verkauft mein Vater das Hotel in Interlaken, ich darf nun die gesamte Lehrzeit in der «Schönegg» bei Thülers absolvieren. Sie gewähren mir die nötige Freizeit fürs Training und für die winterlichen Rennen – ein grosser Schritt des Hotelier-Ehepaars, für den ich noch heute dankbar bin. Für Hans Thüler birgt meine Lehrzeit ein gewisses Risiko, denn er ist in der Prüfungskommission des Wirteverbandes. Manchmal sieht mich die Küchenbrigade im Januar und Februar nur an drei Tagen, und im Dorf heisst es unter Berufskollegen: «Bei der Abschlussprüfung wird der Thüler mit seinem Stift, der nie da ist, auf die Welt kommen.» Sie irren sich: Mir gelingt die beste Note der männlichen Adelbodner Kochlehrlinge. Das lässt die Meckerer verstummen – eine kleine Genugtuung für mich und meinen Lehrmeister.

Trotzdem: während der Lehrzeit komme ich sportlich nicht so schnell vorwärts, wie ich es mir wünsche. Das hat auch mit den immerwährenden Reorganisationen im Skiverband zu tun. Als Achtzehnjähriger schaffe ich 1980 den Sprung in die damalige Trainingsgruppe sechs für Nachwuchsfahrer. Das ist mit mehr Gratismaterial, offizieller Bekleidung und finanziellen Entlastungen

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Nachwuchsrennen auf der Tschentenalp. Hans ist schnell unterwegs.

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