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Einleitung

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Aristoteles

Aristoteles

Vielleicht wundern Sie sich, dass sich ein Sportreporter am Ende seiner Karriere mit Philosophie befasst. Dies ist aber gar nicht so abwegig. Rund um den Spitzensport lernte ich das pralle Leben mit all seinen Unwägbarkeiten, Zweifeln und Möglichkeiten kennen. Hier fand ich Ehrgeiz und Fairness, Jubel und Enttäuschung, akribisches Handeln und Loslassen in einem geregelten, gut überschaubaren Rahmen vor. Der sportliche Wettkampf ist so etwas wie eine vereinfachte Darstellung des Lebens. Ein Team funktioniert im Grunde genommen wie ein Staat. Jeder soll seine Talente frei entfalten können, aber es braucht auch ein organisiertes Zusammengehen. Würde die Bibel heute geschrieben, würde sie wahrscheinlich weniger Gleichnisse aus der Landwirtschaft enthalten, dafür mehr aus dem Fussball, dem Marathonlauf und dem Boxen. Nicht mehr der Sämann, sondern der Schiedsrichter schritte übers Feld. Vielleicht würde der Fair-Play-Gedanke als elftes Gebot angehängt. Metaphern für allgemeine Lebenslagen liefert der Sport ja zuhauf. Da wird jemandem die Gelbe Karte gezeigt, da führt einer die feinere Klinge, da wird der Stab übergeben, eine Auswechslung vorgenommen, ein Schlussspurt hingelegt. Nachdem man Standfestigkeit bewiesen hat, ist man über dem Berg und kann das Ziel ins Visier nehmen und wird bald obenaus schwingen … Als ich mich mit den Philosophen zu beschäftigen begann, stellte ich mir vor, wie toll das wäre, wenn man mit ihnen unter vier Augen sprechen könnte. Denn wer kann die Welt besser erklären als die Philosophen? Mit diesem Buch habe ich nun meinen Traum wahr gemacht. Es ist mir nämlich gelungen, sie zu kontaktieren! Alle! Natürlich brauchte es etwas Fantasie dazu.

Die Philosophen im Himmel Ich habe mir vorgestellt, die gescheiten, aber in vielen Fällen seit langem verstorbenen Weisen seien seit ihrem Tod immer noch präsent, in einem Quartier im Himmel. Via Medien – TV, Radio, Presse, Internet – hielten sie sich über das aktuelle Geschehen auf Erden weiterhin auf dem Laufenden. Noch gewagter ist nur noch die Annahme, dass ich es schaffte, unser irdisches mit dem himmlischen Internet zu verlinken und so die Möglichkeit bekam, Interviews zu führen. Nachdem ich den gescheiten Damen (eine Einzige!) und Herren die heutigen Medien mit ihrer beschränkten Aufmerksamkeitsspanne erklärt hatte, fassten sich die meisten von ihnen tatsächlich kurz und äusserten sich in allgemein verständlichen Worten, auch wenn ihnen die dadurch entstehenden Vereinfachungen widerstrebten. Doch so ist sie nun einmal, die schöne neue Medienwelt! Einige der nicht ganz zentralen Gedanken dieser Philosophen fielen zugegebenermassen den manchmal notwendigen Kürzungen zum Opfer. Wenigstens wissen wir jetzt aber etwas genauer, wer was als Erster gedacht und gesagt hat.

Künstliche Intelligenz Ist Ihnen das alles zu unwahrscheinlich? Dann hilft Ihnen vielleicht mein alternativer Ansatz mit der Künstlichen Intelligenz (KI). Die KI hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Längst besteht sie nicht mehr nur darin, einen Roboter eine Armbewegung machen zu lassen, indem man auf den entsprechenden Knopf drückt. Die Systeme haben, gefüttert mit irrwitzigen Datenmengen, gelernt, nicht bloss komplizierte mechanische Abläufe auszuführen, sondern immer selbständiger zu handeln. Die KI nähert sich dem menschlichen Gehirn. Durch Versuch und Irrtum

handelt der Roboter mit der Zeit richtig, ohne dass er dafür noch programmiert werden müsste. Und diese Roboter kann man vernetzen! Alle lernen parallel und damit rasend schnell! Der japanische Schriftsteller Kazuo Ishiguro beschreibt in seinem Roman «Klara und die Sonne» eine Welt, in der die Kinder reicher Leute einen Künstlichen Freund (KF) zur Seite haben, der ihnen in allen Lebenslagen hilft und auch mit ihnen diskutiert. Ist das bald schon die neue Realität? Bei der Betreuung von alten Leuten ist man jedenfalls genau auf diesem Kurs. So ein Roboter könnte mit der Zeit doch das gesamte Denken eines Philosophen verinnerlicht haben und als Androide in dessen Denkweise Auskunft geben. Ich habe zu Hause keinen Platz für hunderte von Robotern, aber mir würde einer genügen, der mir dann jeweils den Zugang zu den gewünschten Philosophen vermittelte. Darf ich also hiermit vorstellen: mein Künstlicher Vermittler, genannt KV! Dank ihm werde ich mit den grössten Denkern der Menschheitsgeschichte kommunizieren können.

Und ich werde mich jeweils auch kurz mit ihm unterhalten.

Interviews im Boulevardstil Zwei Herzen schlugen während meines ganzen Berufslebens in meiner Brust, eines für die tollen Spitzensportler und eines für die genialen Denker, eines für Beckham und eines für Bacon, eines für Kahn und eines für Kant, eines für Zidane und eines für Zenon. Und immer hatte ich das Bedürfnis, das, was mir wichtig schien, an die Allgemeinheit weiterzugeben, so auch in diesem Fall. Meine Interviews mit den Philosophen sollten von möglichst vielen Leuten gelesen werden. Ich wollte, dass sie in einer möglichst aufla-

genstarken Zeitung erscheinen, also in einer Boulevardzeitung. Das erforderte einen entsprechenden Stil. Die erste Frage sollte immer ein Höchstmass an Aufmerksamkeit erregen. Die Antworten sind insofern echt, als dass deren Inhalt von den Philosophen tatsächlich so wiedergegeben wurde, natürlich bei anderer Gelegenheit und etwas anders formuliert. Es war reizvoll, all die gescheiten Köpfe auch auf heutige aktuelle Themen anzusprechen, die es zu ihren Lebzeiten noch nicht gab. Solch moderne Anklänge aus ihnen herauszukitzeln war zugegebenermassen schwierig und die Formulierungen eher nachempfunden als wörtlich übernommen, aber immer im Sinn und Geist ihres Denkens.

Wen frage ich was? Was für eine vielversprechende Ausgangslage! Nur: Wen frage ich was? Gar nicht so einfach. Wenn einem alle Möglichkeiten offen sind, steht man im Grunde genommen genauso blockiert da wie jemand, der eingesperrt ist. In einer solchen Situation befand ich mich nun. Ich konnte mit allen Philosophen über alles reden. Wen sollte ich befragen? Zu welchem Thema? Mein ganz persönliches Leben sollte es sein. Ich wollte mir einzelne besondere Vorkommnisse in Erinnerung rufen und sie dann von meinen Gesprächspartnern erklären, beurteilen und einordnen lassen. Ich würde ein Thema auf Grund eigener Erfahrungen aufwerfen, und mein KV würde mich an den geeigneten Fachmann weiterleiten. So würde ich das machen! Wenn ich nun all meine Interviews Revue passieren lasse, so fällt mir auf, dass ich oft schon sehr früh von meinem ursprünglichen Thema abgekommen bin. Die Geistesgrössen der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende waren derart interessante Leute, dass ich die Gelegenheit einfach nutzen musste, um noch mehr

von ihnen zu erfahren. Und für die ganz Pingeligen noch dies: Der zuletzt Interviewte gehört natürlich nicht zu diesen Superdenkern.

So also entstand dieses Buch. Es wurde — eine Autobiographie light — eine Parodie auf den Boulevardjournalismus — eine Kurzpräsentation der grössten Denker der Weltgeschichte mit ihren wesentlichen Aussagen.

So höret sie nun, die Philosophen!

Hitparade

Als ich ins Teenageralter kam, gaben die Beatles ihre erste Platte heraus. Bald folgten die Rolling Stones und viele weitere PopGruppen. So etwas hatte es noch nie zuvor gegeben. Diese neue Art von Musik eroberte im Nu die Radio-Stationen in aller Welt und beeinflusste fortan das Lebensgefühl und den Lebensstil vieler Jugendlicher. Meine Schulkasse am Gymnasium war in Beatles- und Stones-Fans gespalten. Als eher Braver und Angepasster hätte ich eigentlich ins Beatles-Lager gehört, doch mir gefiel die etwas rauere, bluesigere Art der Rolling Stones besser. Deren revolutionäres, aufmüpfiges Verhalten interessierte mich dagegen nicht besonders. Welche Platte die aktuell beste oder zumindest erfolgreichste war, das wurde nun Woche für Woche in den Hitparaden der verschiedenen Sender, Musikmagazine und Länder entschieden. Mit der Zeit verfolgte ich ebenso gespannt die Bücher-Bestsellerlisten, die Film-Kassenschlager und, noch später, die Einschaltquoten beim Fernsehen. Diese Listen, Klassierungen, Einstufungen und Erfolgsbeweise zogen mich sofort in ihren Bann. Später begann ich dann sogar, eigene, persönliche Listen zu produzieren. Bei den langen Fahrten in die Ferien schrieb ich schon als Kind die Marken aller entgegenkommenden Autos auf – es gab noch keine richtungsgetrennten Autobahnen – und klassierte sie nach ihrer Häufigkeit. Meistens gewann «unser» VW-Käfer vor dem Opel-Rekord und der Ente, wie der Citroen 2CV genannt wurde. Im Tabakladen, den mein Grossvater nahe der französischen Grenze führte, notierte ich die verkauften Zigarettenschachteln (1. Rang: Parisienne Super, 2. Rang: Mary Long, 3. Rang: Gauloises Bleu). Bestenlisten stelle ich bis zum heutigen Tag auf, besonders, was meine zahlreichen Reisen angeht. Ich führe eine Top 25 meiner liebsten Länder, Städte, Landschaften, Gebäude, Museen, Stadien usw.

Die allererste «Hitparade», die ich erlebte, war wohl diejenige an meinem ersten Schultag. Wir 40 (!) Erstklässler wurden da nämlich der Grösse nach eingereiht. Ich war der Zweitkleinste, und ich erinnere mich 65 Jahre später noch immer daran, dass der Kleinste Hans(li) und der Drittkleinste Edi hiess. Hitparaden, in denen man selber vorkam, genossen natürlich die intensivste Beachtung. Mein Werk «Reden ist immerhin Silber» erreichte Rang 2 der Sachbuch-Bestsellerliste, und mit dem Quiz Tell-Star, der Samstag-Abend-Show Benissimo und den Fussball-Länderspielen der Schweiz an Welt- und Europameisterschaften «gewann» ich unzählige Male die Wochen-, Monats-, ja sogar Jahreswertungen nach Fernseh-Einschaltquoten.

Ich habe mich nun gefragt, wie es denn wäre, eine Hitparade von allem, was es auf der Welt gibt, zu erstellen. Was würde dabei wohl herauskommen? Mein lieber KV, kannst du mir in dieser Sache jemanden empfehlen? Ich schlage Thomas von Aquin vor. Der hat tatsächlich schon vor rund 800 Jahren einmal so etwas Ähnliches gemacht.

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