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Swissness ist ab sofort grün
from Hotelier 06/21
by WEBER VERLAG
Schlafkomfort-Experte und «Hotelier»-Autor Jens Rosenbaum über Swissness
Swissness ist ab sofort grün!
So einfach ist das wohl nun doch nicht. Da verordnet sich gerade «Schweiz Tourismus» auf der Jahresmedienkonferenz ein neues Nachhaltigkeitsprogramm mit dem wohlklingenden Namen «Swisstainable». Erklärtes Ziel: «Die Schweiz zu einem der nachhaltigsten Reiseländer der Welt zu machen», so Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger. Und was machen die Schweizer? Sie lehnen kurz darauf per Volksabstimmung ein CO2-Gesetz ab, das ja geholfen hätte, mit einer Reduzierung der CO2-Emissionen diesem Ziel zumindest näher zu kommen. Wenn aber schon die eigene Bevölkerung nicht zu 100 Prozent hinter solch einem Ziel steht, wie sieht dann der Rest der Welt das Thema Sustainability, wie sehen es die Gäste tatsächlich? Vor allem, was ist es ihnen wert und wo sind die Grenzen?
Nachhaltigkeit ist kein Selbstzweck!
Versuchen wir es mit Antworten und be ginnen wir zunächst mit der Nachhaltigkeit, ohne ein Plagiat von Wikipedia zu produzieren, und einer These. Denn der gute Johann Hanns Carl von Carlowitz, der uns allen mit seiner «sylvicultura oeconomica» 1713 den forstlichen Nachhaltigkeitsbegriff vererbt hat, hatte als Oberberghauptmann des Erzgebirges vielleicht gar nicht so sehr die Natur als solche im Mittelpunkt seiner Betrachtung. Nachhaltigkeit nicht zum Selbstzweck, sondern, aus seinem damaligen Blickwinkel, um damit das wirtschaftliche wie technische Bedürfnis dauerhaft befriedigen zu können, Stollen im Bergwerk mit Holz ab stützen zu können. Denn wenn man immer nur Bäume gefällt hätte, anstatt auch mal welche anzupflanzen, respektive nachwachsen zu lassen, wäre irgendwann das Erzgebirge kahl gewesen – und da Holzimporte anno 1700 noch etwas kompliziert waren, hätte der Bergbau irgendwann stillgestanden. Das galt es zu vermeiden. Und er hat es vermieden, indem er seinen Zeitgenossen und allen nachfolgenden Generationen den Vorteil einer Bewahrung der natürlichen Regenerationsfähigkeit für eine fortsetzbare Ressourcen-Nutzung mit auf den Weg gegeben hat.
Nachhaltigkeit sah er, so die These, als Mittel zum Zweck! Und daran schliesst sich folgerichtig die Frage nach der Formel für eine taugliche Nachhaltigkeitswerbung an.
Diese Fragen sind wichtig, denn schnell ist eine Richtung eingeschlagen, die letztlich ebenso schnell am Ziel vorbeiführen kann. Und jeder spätere Richtungswechsel kostet Zeit, Kraft und Glaubwürdigkeit. Ist Nachhaltigkeit also tatsächlich der ultimative wie unerlässliche, pauschale Werbe-Booster – oder kommt es auf die Details an? Was ist überhaupt Nachhaltigkeit? Und ist Nachhaltigkeit alles, getreu dem ersten Gebot «Du sollst keine anderen Götter haben neben mir»?
Der Autor
Jens Rosenbaum hat Mathematik und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Münster studiert und einen Abschluss als Diplom-Kaufmann. Seit mehr als 25 Jahren beschäftigt er sich mit Themen der Gesundheit und ist spezialisiert auf das Fachgebiet Schlaf. Er ist diplomierter Schlafberater der Akademie LDT Nagold, Journalist, Herausgeber des Journals «Schlafen Spezial» und beratend tätig für Handel und Industrie. Seit vielen Jahren ist er Autor von Fachartikeln zum Thema Hotel-Bett, so auch im Fachmagazin «Hotelier». Rosenbaum ist auch Herausgeber des neuen Buches «Das Hotel-Bett», Begründer von Hotel-Betten-Check sowie Hotel-Betten-Test und verleiht zusammen mit anderen Fachmedien jährlich den Clean- und Green-Sleeping-Award für die Hotellerie.
Nicht, ob Nachhaltigkeit wichtig oder un wichtig ist. Diese Frage ist längst geklärt. Sondern, welche Kompromisse einzugehen sind, um Nachhaltigkeit sowohl alltags- und damit auch gästetauglich, aber vor allem zielführend zu machen. Denn so viel ist sicher, den grössten Effekt in Sachen Nachhaltigkeit und der damit verbundenen Ressourcen-Schonung würde man erzielen, wenn der Tourismus scharf be grenzt, wenn nicht gar komplett unterbunden werden würde. Das kann aber kaum das Ziel sein. Wer hier also zu ambitioniert agiert und ausblendet, dass alle Massnahmen letztlich nur von und mit Menschen umzusetzen sind, um deren Ziele zu be fördern, landet schnell in der Sackgasse. Der Gast soll ja kommen, um unbeschwert und mit gutem Gewissen seinen Urlaub zu verbringen, aber er ist mittlerweile auch erfahren genug, um Greenwashing entlarven zu können.
Wenn die Schweiz sich grün macht, sollte sie das Rot nicht vergessen
Und letztlich hat alles auch seinen Preis, auch seinen maximalen, wie wir es am Bio-Regal im Supermarkt sehen können. Der Verbraucher ist sehr wohl bereit, einen höheren Preis für seine Bio-Zitronen zu zahlen, aber eben nicht jeden. Er definiert hier über den Preis seine Kompromiss fähigkeit, in Abwägung zu parallelen Zielen und was er letztlich dafür bekommt. Nur eine Bio-Zitrone – oder gibt es da noch einen weiteren Mehrwert? Denn der Wunsch nach Nachhaltigkeit ist eben nur einer neben vielen – und der Begriff be ginnt auch sich abzunutzen. So dürfen andere, für einen Kompromiss wichtige Entwicklungen nicht unberücksichtigt bleiben, und damit kommen wir zur zweiten Frage, ob Nachhaltigkeit heute alles ist. Was gibt es neben Nachhaltigkeit und den unendlichen, einer florierenden und sehr perfekt bis perfide funktionierenden Werbewirtschaft entstammenden Wünschen noch – und was davon ist dem Gast wichtig? Hier hat die Pandemie, die übrigens noch nicht abgeschlossen ist, wohlmöglich zu einer Verschiebung im Wertesystem beim Konsumenten geführt, die besondere Aufmerksamkeit verdient und Teil der Antwort sein könnte. So wurden aktuell in der Schweiz, an der Kalaidos University of Applied Sciences, Veränderungen im Konsumentenverhalten in Korrelation mit der Corona-Pandemie untersucht, Fokus Tourismus. Und dort wird eine Trans formation des nachhaltigen Tourismus gesehen, der nicht nur grüner, sondern, jetzt bitte aufpassen, auch sozialer wird! Der Mensch hat offensichtlich gelernt, nicht nur die Natur respektvoller wahrzunehmen, sondern auch seinesgleichen. «Da im Kontext des Reisens neben der Reduzierung von CO2 die Achtsamkeit gegenüber allen beteiligten Protagonisten im Rahmen einer Reise ebenfalls mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückt, entwickelt sich daraus eine nachhaltigere Form des Tourismus, die auf Resonanz basiert», so Wolf-Thomas Karl, der auch Dozent für nachhaltigen Tourismus an der Hochschule Fresenius und Partner von L&T Communications ist.
Es kommen also neue Komponenten in das Spiel, die einen Ausblick darauf geben, was die Gäste erwarten und zu welchen Kompromissen sie willens und fähig sind. WolfThomas Karl hat in seiner Studie auch herausgefunden, dass durch die Pandemie bereits Änderungen in den Verhaltensweisen herbeigeführt respektive beschleunigt wurden. So zum Beispiel hat das Inland, samt seiner Nahziele, wieder Hochkonjunktur und Kreuzfahrten werden auch in Zukunft schwächeln, womit die Gäste bereits nachhaltiges Handeln adaptiert haben, notgedrungen, aber wissentlich. Auffallend ist eben, dass nachhaltiges Handeln bereits weit über den Schutz der Natur hinausgesehen wird als eine zukunftsfähige Konzeption für eine ge samtgesellschaftliche, soziale Verantwortung. ➤
«Mit Swisstainable hat man nur eine neue Worthülse geschaffen, bei der hinterfragt werden darf, was diese an Neuem enthält und ob es diese auch überhaupt braucht»
JENS ROSENBAUM Wertschätzung für die Menschen vor Ort – von Gästen und Gastgebern auch in Richtung der Leistungserbringer. Nachhaltigkeitskonzepte verlangen demzufolge künftig auch sozioökonomische Inhalte, Natur alleine reicht also nicht mehr.
In Swissness liegt der Schlüssel für Sustainability
Mit Swisstainable, und so kommen wir zum Ausgangspunkt zurück, ist nur eine neue Worthülse geschaffen, bei der hinterfragt werden darf, was diese an Neuem enthält und ob es diese auch überhaupt braucht. Zumal die Gäste selbige auch erst verstehen müssen, um die hier gebotene Nachhaltigkeit gegenüber jener in anderen Ländern hinreichend differenzieren zu können. Dabei hat die Schweiz ja bereits seit den 90er-Jahren eigentlich einen Begriff, quasi eine Allzweckwaffe, den es nicht mehr zu erklären braucht: «Swissness». Hier bemühe ich nun mal Wikipedia: «Die positiv konnotierten Attribute Fairness, Präzision, Zuverlässigkeit, politische Stabilität, Natürlichkeit und Sauberkeit sollen in einem Begriff zusammengefasst und als typisch schweizerisch insbesondere auch im Ausland vermarktet werden». reine Werbung auf, wo beginnt ernsthaftes Handeln? Zum Beispiel primär auf regionale wie saisonale Produkte zu setzen. Im Winter also mal keine Erdbeeren, die sonst eingeflogen werden müssten oder aus Ge wächshäusern stammen, die ganze Land striche überdachen. Oder ohne Blumenarrangements, von denen bisweilen keine einzige in der Schweiz wächst. Oder nur Fair-Trade-Kaffee aus zertifiziert nachhaltigem Anbau. Das geht weiter mit dem Beheizen der Pools und das Präparieren der Ski-Pisten. Was davon ist vertretbar, wo wäre die Nachhaltigkeitsschwelle und wo liegt die Kompromissgrenze? Und ein ganz grosser Teil findet sicherlich im nicht sichtbaren Bereich statt. Auf Produktqualität setzen und Matratzen lieber mal öfters waschen und dafür lange nutzen, anstatt sie aus hygienischen Gründen alle fünf Jahre zu entsorgen. Die Wäsche jenseits der Grenze waschen, weil es da einige Rappen billiger ist, ist das nachhaltig und sozial? Wo kommen die Stoffe für die Wäsche her, wie wird produziert, wie entlohnt und wie wird man seiner sozialen Verantwortung vor Ort sichtbar gerecht? Swissness würde auf viele dieser Fragen bereits eine Antwort geben.
Fazit
Diese Vermarktung hat sich, und da wird niemand widersprechen, bereits mehr als erfolgreich verankert. Und mit den Attributen Natürlichkeit und Fairness ist dieser Begriff bereits auch inhaltlich für einen nachhaltigen Resonanz-Tourismus aufgeladen – und das seit 30 Jahren. Viel wichtiger wäre es also, diese Aspekte vor und mit dem Gast konsequent zu leben. Das verlangt, wie sich erahnen lässt, Kompromisse und kostet auch Geld, aber dafür erhält man dann auch Glaubwürdigkeit, die wichtigste Währung in der Werbung, und das Vertrauen der Gäste, das zu be kommen, was sie erwarten, wenn sie mehr erwarten sollen, als andere Länder zu bieten haben.
Aber was sollen sie von der Schweiz konkret erwarten? Das ist doch die entscheidende Frage. Wie würde sich Swissness in dem hier besprochenen Kontext in die Tat umsetzen lassen? Und wie weit ist der Tourismus hier bereit zu gehen? Wo hört Die Schweiz geniesst einen exzellenten Ruf. Sich auf diesem hohen Niveau das Ziel zu setzten, auch zu einem der nachhaltigsten Reiseländer der Welt zu werden, braucht weniger einen neuen Werbeslogan, sondern mehr einen erkennbar grün-roten Faden, der sich durch das gesamte Angebot zieht. Durch den sichtbaren wie den für den Gast unsichtbaren Teil. Herausforderung wird sein, über die vielen Anbieter und Tourismus-Produkte eine einheitliche wie verbindliche Aussage zu formen, damit Erwartung und erlebte Realität keinen Widerspruch erfahren. Das wird auch gelingen, sofern Nachhaltigkeit nicht als starrer Begriff verstanden und kein Greenwashing betrieben wird, sondern die Qualität der Umsetzung zeigt, dass hier die Schweiz am Werk ist.