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Die Aicherparkbrücke der Westtangente Rosenheim

Großprojekt mit bautechnischen Herausforderungen Die Aicherparkbrücke der Westtangente Rosenheim

von Karl Kergl, Jürgen Schmidt, Thomas Hehne, Thomas Wolf

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Die Bundesstraße 15 ist eine bedeutende bayerische Verkehrsachse in Süd-Nord-Richtung, östlich des Großraums München verlaufend. Sie stellt die Verbindung zwischen den Bundesautobahnen A 8 und A 93 aus dem Raum Rosenheim mit den Autobahnen A 3 und A 93 im Raum Regensburg her und führt weiter bis nach Hof in Oberfranken. Neben den geographischen und infrastrukturellen Anforderungen einer 11,30 km langen Neubautrasse in einem dichtbesiedelten Gebiet sind es vor allem die hochkomplexen Baugrundverhältnisse, die die größte Herausforderung darstellen. Der weiche, strukturempfindliche, feinkörnige Boden aus mächtigen Beckenablagerungen (Stichwort: Seeton) ist mit äußerster Sorgfalt zu behandeln, da er bei mechanischer Beanspruchung zur Verflüssigung neigt. Darüber hinaus ist die Lastaufnahme des Baugrundes auch wegen der Setzungsempfindlichkeit des Bodens stark eingeschränkt. Diese Bodeneigenschaften stellen an die Planung und die Herstellung von tragfähigen Bauwerksgründungen enorme Anforderungen, die sich nur mit wissenschaftlicher Begleitung bewerkstelligen ließen und lassen. Die Aicherparkbrücke ist zusammen mit dem zweiten Teilbauwerk, der Mangfallbrücke, mit insgesamt ca. 670 m Länge das größte Brückenbauwerk der Westtangente Rosenheim, das sich diesen bislang beispiellosen Anforderungen stellen muss.

1 Trassenverlauf der B 15 Westtangente Rosenheim © Staatliches Bauamt Rosenheim

1 Gesamtprojekt 1.1 Projektumfang

Die Westtangente Rosenheim beginnt als einbahnige, zweistreifige Bundesfernstraße an der A 8 München–Salzburg, an der neuerrichteten Anschlussstelle Rosenheim West, führt westlich an Rosenheim vorbei und mündet nach 11,30 km nördlich von Pfaffenhofen in die bestehende B 15. Neben der neuen Autobahnanschlussstelle am Bauanfang erhält die Westtangente vier weitere Verknüpfungen zum nachgeordneten Straßennetz. Im Streckenverlauf kreuzt sie unter anderem zwei größere Gewässer, ein Gewerbegebiet, drei Eisenbahnlinien und drei Staatsstraßen.

Das Projekt umfasst 26 Bauwerke unterschiedlicher Größe und Komplexität, darunter die genannte Aicherparkbrücke sowie eine Bahnbrücke, die die Bundesstraße unter der europaweit wichtigen Bahnlinie München–Salzburg hindurch weiter nach Norden führt. Die Gesamtkosten des Projekts belaufen sich aktuell auf ca. 234 Mio. €, wobei etwa die Hälfte der Kosten auf die Aicherpark- und die Bahnüberführung entfällt.

1.2 Planungsgeschichte

Die Bundestraße 15 verläuft bisher durch die Ortschaften Pfraundorf, Rosenheim und Pfaffenhofen. Verkehrsbehinderungen sowie erhebliche Lärm- und Abgasbelastungen für die Anwohnerinnen und Anwohner, vor allem in der hochbelasteten Ortsdurchfahrt von Rosenheim, sind die Folge. Mit dem Bau der Westtangente Rosenheim sollen die Ortsdurchfahrten vom Durchgangsverkehr und von einem Teil des Quell- und Zielverkehrs entlastet werden. Durch die Ausbildung von teilplanfreien Anschlusspunkten auf der Westtangente kann auch eine erhebliche Steigerung der Reisegeschwindigkeit auf der B 15 gegenüber der bestehenden Situation erreicht werden. Das Verkehrsaufkommen wird in den hochbelasteten Abschnitten der Westtangente mit ca. 20.000 Kfz/24h prognostiziert. Die Westtangente Rosenheim ist entscheidender Meilenstein im Sinne einer Gesamtbetrachtung für eine attraktive und durchgängige Süd-Nord-Verbindung von Rosenheim über Landshut bis Regensburg. Nachdem im Sommer 1991 vom damaligen Straßenbauamt Rosenheim ein grundsätzlich möglicher Trassenkorridor ermittelt worden war, wurde das Projekt 1993 in den Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen im vordringlichen Bedarf aufgenommen. 1997 wurde das Raumordnungsverfahren durchgeführt, 1999 der Vorentwurf zur haushaltsrechtlichen Genehmigung vorgelegt. Im Dezember 2000 wurde die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens beantragt, der Bescheid wurde im September 2005 erlassen und im September 2010 rechtskräftig. Damit konnte, nach fast zehn Jahren Verfahrensdauer, der Bau beginnen.

1.3 Bauablauf

Das Projekt wurde wegen des Umfangs in vier verkehrswirksame Bauabschnitte (BA 1–4) unterteilt. Nach der Bauvorbereitung erfolgte im August 2012 der Spatenstich für den ersten Bauabschnitt von der A 8 bis zur Staatsstraße 2078 Rosenheim-Kolbermoor. Nach knapp drei Jahren konnte er dem Verkehr übergeben werden. Ebenso abgeschlossen, seit dem Sommer 2018, ist der vierte Bauabschnitt zwischen der Staatsstraße 2080 und dem nördlichen Bauende. Gemeinsam mit der zeitgleich ausgebauten Staatsstraße 2080 entlastet dieser Abschnitt die Ortsdurchfahrt von Pfaffenhofen nahezu vollständig vom Durchgangsverkehr. Die beiden verbleibenden Bauabschnitte zwei und drei sind derzeit im Bau. Die Gesamtfertigstellung der Maßnahme ist für 2025 anvisiert.

2 Eisenbahnüberführung an der

Strecke München–Salzburg 2.1 Bauwerksentwurf

Bautechnisch mindestens genauso herausfordernd wie die Mangfall- und Aicherparkbrücke, wenn auch mit deutlich geringeren Abmessungen, gestalten sich die Planung und Bauabwicklung der Eisenbahnüberführung an der Strecke München–Salzburg. Aufgrund der obenliegenden, hochfrequentierten transeuropäischen Bahnlinie muss die Errichtung »unter dem rollenden Rad« erfolgen. Die Topographie und die wegen der Baugrundverhältnisse erforderliche Mischgründung bezüglich der Setzungsanforderungen analog Aicherpark machen in Verbindung mit dem hohen und bodenmechanisch schwierigen Bahndamm einen »klassischen« Einschub eines neben der Gleisanlage errichteten Bauwerks unmöglich.

2 Tragwerksmodell des Bauwerks © Konstruktionsgruppe Bauen AG

3 Übersicht: Gründungselemente inklusive Spundwandverbau © Konstruktionsgruppe Bauen AG

Sämtliche Spundwände, die für Baubehelfe und Hilfsbrückenauflager im Bereich des Bahndammes benötigt werden, dürfen nur gepresst und zusätzlich in einem Spezialverfahren vorgebohrt werden. Erforderliches Spezialgerät ist in Europa lediglich sehr begrenzt verfügbar und muss daher von den Firmen frühzeitig disponiert werden. Der spätere Bodenaushub unter den Hilfsbrücken muss zur Vermeidung einer Grundbruchgefahr abschnittsweise sowie unter Auflastung und Sicherung der Baugrubensohle durchgeführt werden. Die Gründung des späteren Bauwerks erfolgt außerhalb des Gleisbereiches und stützt sich auf einen trogartigen Träger, der die beiden Gründungselemente verbindet. Nach Fertigstellung werden die beiden Hälften der Fahrbahntafel der Überführung außerhalb des Gleisbereiches betoniert und in Bahnsperrpausen eingeschoben.

2.2 Baudurchführung

Die größte Herausforderung der Eisenbahnüberführung stellt dabei die planerische, geotechnische, statische und bauliche Umsetzung der Bauhilfskonstruktionen unter Aufrechthaltung eines sicheren Bahnbetriebes dar. Das wurde auch im Zuge der ersten Bauphase 2019 nochmals deutlich: Die ersten genehmigten Zugsperrpausen der Bahn reichten für den Einbau der Spundwände wegen unvorhergesehener Hindernisse im Bahndamm nicht aus. Die nächsten Bahnsperrpausen standen erst wieder Ende 2020 zur Verfügung. Der zwangsweise Baustillstand wurde genutzt, um die Ausführungsplanung zusammen mit Planungsbüro, Fachberatern und Baufirma bis ins kleinste Detail zu konkretisieren (Bild 3). Seit Beginn der Planung wird dieses Teilprojekt ebenso wie die Aicherparkbrücke wissenschaftlich vom Zentrum Geotechnik der Technischen Universität München begleitet. Zusätzlich werden die Gleislage, der Bahndamm, die Behelfsbrücken sowie das umliegende Gelände mit diversen messtechnischen Einrichtungen an der Oberfläche und im Untergrund laufend überwacht und ausgewertet. Hierzu zählen unter anderem die geodätische Erfassung von über 200 Messpunkten, Schlauchwagen auf dem Gleis und an der Behelfsbrücke sowie Vertikalinklinometer und Porenwasserdruckgeber (Bild 4). Die beiden Behelfsbrücken für den Bahnbetrieb wurden in der Folge Ende 2020 erfolgreich eingebaut. Anschließend wurde 2021 der lagenweise Aushub inklusive Sicherungsmaßnahmen für den Verbau mit drei Ebenen Gurtungen und Durchankerungen sowie zwei Lagen Steifen unter den Behelfsbrücken ausgeführt. Derzeit wird die Bauwerksgründung außerhalb des Bahngleises auf einer Zwischenebene hergestellt. Nach Fertigstellung der Mischgründung Ende 2022 wird sich unter Zuhilfenahme weiterer Sicherungsmaßnahmen für den Verbau lagenweise auf die Baugrubensohle vorgearbeitet. In der Folge kann Ende 2023 mit dem eigentlichen Betonbauwerk für die Brücke begonnen und mit dem Einschub der Überbauten Ende 2024 das Bauwerk vollendet werden. Der Termin für die Gesamtfertigstellung der Westtangente Rosenheim hängt somit von der Fertigstellung der Eisenbahnüberführung ab, sie stellt das dafür maßgebliche Teilprojekt dar.

4 Arbeiten im Gleis mit Spundwandpressgeräten © Schellmoser/Staatliches Bauamt Rosenheim

5 Bauzustand Ende 2021 mit Bohrschablonenherstellung für die Gründungspfähle © Staatliches Bauamt Rosenheim

6 Übersichtslageplan: Aicherparkbrücke im Kontext © SSF Ingenieure AG

3 Aicherparkbrücke 3.1 Einleitung

3.1.1 Lage und Anfordungen Die Aicherparkbrücke ist ein Teilbauwerk des Brückenzuges über die Mangfall, den Mangfallkanal, das Gewerbegebiet »Aicherpark« sowie die Bahnstrecke Holzkirchen–Rosenheim im Zuge der Westtangente Rosenheim, Bauabschnitt 2. Im Bereich des Aicherparks wird die Westtangente neu über die Georg-Aicher-Straße, die Oberaustraße sowie die Äußere Oberaustraße geführt, wobei die GeorgAicher-Straße mittels eines teilplanfreien Knotenpunktes an die Westtangente neu angeschlossen wird. Die innerörtliche Lage des Baufeldes, die beengten Verhältnisse im Gewerbegebiet Aicherpark, die vorhandenen Verkehrswege, die hohe Zahl der im Baufeld vorhandenen Versorgungsleitungen sowie die Belange der Bahn bilden wesentliche Zwangspunkte für die Bauwerksplanung. Erschwerend kommt hinzu, dass das Bauwerk zum großen Teil auf den Grundstücken der jeweiligen Gewerbetreibenden unter Aufrechterhaltung von deren Produktion und Logistik hergestellt werden muss.

3.1.2 Verkehrsanlage Die Planung der Trassierung ergab aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und Randbedingungen der kreuzenden Verkehrswege im Bereich der Aicherparkbrücke, von Süden kommend, zunächst einen Links- und dann einen Rechtsbogen mit den zugehörigen Klothoiden in den Übergängen. Daraus folgen variable Querneigungen und ein Querneigungswechsel in der Trasse der Westtangente. Die Anschlussrampen an die GeorgAicher-Straße beginnen jeweils mit einer konstanten einseitigen Querneigung der Fahrbahn, welche dann zum Anschluss an die Trasse der Westtangente allmählich in ein Dachprofil übergeht. Im Bereich des Herzstückes entsteht durch die unterschiedlichen Querneigungen der einzelnen Fahrstreifen einschließlich der zwei Beschleunigungs- und Verzögerungsstreifen eine äußerst komplexe Faltung der Fahrbahnplattenoberseite. Der Knoten der beiden Anschlussäste und der Trasse der Westtangente neu konnte im Grundriss nicht symmetrisch ausgebildet werden. Die Rampen schließen versetzt und mit unterschiedlichen Radien an die Trasse der Westtangente neu an.

7 Vorgaben der Verkehrsanlage © SSF Ingenieure AG

8 Ansicht: Vorzugsvariante der Vorplanung © SSF Ingenieure AG

3.1.3 Vorplanung Im Zuge der Planungen für den Vorentwurf 1999 wurde eine Variantenuntersuchung für die Ingenieurbauwerke im betrachteten Bereich durchgeführt. Im Ergebnis daraus wurde als Vorzugsvariante für das Teilbauwerk über den Aicherpark eine mehrfeldrige, durchlaufende Deckbrücke mit einem schlaff bewehrten breiten einstegigen Plattenbalken als Überbauquerschnitt mit minimaler Bauhöhe vorgesehen. Die Stützweiten wurden mit ca. 20 m gering gehalten. Im Bereich der Aufweitung und der Anschlussrampen an die Georg-Aicher-Straße, dem sogenannten Herzstück, war eine Platte als Überbau vorgesehen. Der Überbau sollte auf Rundstützen gelagert werden. Die Gründung war flach in den geringmächtigen Kiesschichten über dem Seeton auszubilden. Durch die geringen Stützweiten, den leichten Überbauquerschnitt und die Stahlbetonbauweise wurde eine kostengünstige Lösung gefunden, die den Anforderungen des Baugrundes mit den zu erwartenden Setzungen und den daraus resultierenden Zwangsbeanspruchungen im Bauwerk gerecht wurde.

3.1.4 Vorgaben aus dem Genehmigungsverfahren Mit einem Gewebetreibenden wurde eine Vereinbarung getroffen, welche die Stützenstellung, die Form der Stützen sowie die einzuhaltenden lichten Höhen in seinem Bereich verbindlich regelt. Die Stützen einer Achse sind nicht mehr als einzelnstehende Rundstützen, sondern zusammengefasst als jeweils ein Pfeiler mit Hammerkopf auszuführen, wobei eine lichte Höhe von 5 m unter dem Hammerkopf einzuhalten ist. Die Vergrößerung der Stützweite in einem Feld auf 28 m war für den ursprünglich gewählten Überbau als Stahlbetontragwerk problematisch.

3.2 Bauwerksentwurf

3.2.1 Gestaltung Anhand der zuvor beschriebenen besonderen örtlichen Randbedingungen, der Vorgaben aus der Planfeststellung, der schwierigen Baugrundverhältnisse und der bereichsweise fest vereinbarten Entwurfsparameter wurde die Gestaltung der Aicherparkbrücke überarbeitet. Der Überbau wurde in eine Stahl-Beton-Verbundkonstruktion geändert, um ihn noch leichter und für die zu erwartenden Baugrundsetzungen unempfindlicher zu machen. Die Stützweiten konnten vergrößert werden, was weniger Eingriff in den Bereichen der Gewerbetreibenden und eine höhere Flexibilität bei den Stützenstellungen bedeutet. So konnten beispielsweise vorhandene Trassen von Versorgungsleitungen belassen werden. Der Verbundquerschnitt wird von luftdicht verschweißten Stahlhohlkästen und der Fahrbahnplatte aus Stahlbeton gebildet. Es werden je nach Fahrbahnbreite zwei oder drei Stahlhohlkästen im Querschnitt angeordnet. Die Randbedingungen haben immer den gleichen Abstand zur Überbauaußenkante, so dass die Geometrie im Bereich des Kragarms gleich bleibt. Querträger werden an den Auflagerachsen und am Übergang von zwei auf drei Längsträger erforderlich. Die Stahlhohlkästen sind in der Regel gleich hoch. Das Gestaltungskonzept für die Über- und Unterbauten der Aicherparkbrücke wird aus den vereinbarungsgemäß teilweise herzustellenden Pfeilern mit Hammerköpfen abgeleitet. Die Hammerkopfpfeiler werden überall dort angeordnet, wo drei Stahlhohlkästen im Querschnitt erforderlich werden. Für die Bereiche mit der Regelfahrbahnbreite von 8 m mit zwei Stahlhohlkästen im Querschnitt werden wie in der Vorplanung Einzelstützen vorgesehen.

9 Ansicht der künftigen Aicherparkbrücke © SSF Ingenieure AG

10 Hammerkopfpfeiler: Regelquerschnitt mit Ansichten © SSF Ingenieure AG

Die Kragarme der Hammerköpfe können aufgrund der einzuhaltenden lichten Höhe am Anschnitt zum Pfeilerschaft von 5 m nur mit einer maximalen Bauhöhe von 1,30 m errichtet werden. Als Ergebnis der Abwägungen mit Bauweisen in Spannbeton werden die Hammerköpfe aus Stahl und die Pfeiler in Stahlverbundbauweise hergestellt. Die Hammerköpfe werden dabei etwas zurückgesetzt und die Pfeilerschäfte auf ganzer Höhe bis über die Auflagerbank geführt. Dadurch sind die stählernen Kragarme in Material und Form vom Pfeilerschaft getrennt und erscheinen weniger wuchtig. Die Hammerköpfe sind als luftdicht verschweißte Stahlhohlkästen konzipiert. Der Obergurt läuft durch, die Untergurte stützen sich am Pfeilerschaft ab. Der Verbund wird über Kopfbolzendübel realisiert. Im Bereich des Pfeilerschaftes sind Betonieröffnungen vorhanden. Die Außenseiten der Pfeilerschäfte und der Hammerköpfe werden in der Queransicht geneigt. Diese Neigung wird auch an den Außenseiten der Kappengesimse des Überbaus fortgeführt. In der Längsansicht wird der Pfeiler tailliert. Für die Gestaltung der Einzelstützen wird der Hammerkopfpfeiler in der Mitte quasi gedanklich getrennt und gegeneinander verschoben, so dass die Auskragungen nun nicht mehr außen, sondern innen liegen und zur Aufnahme der Pressenstandorte dienen. Die Neigungen der Außenseiten in Queransicht werden modifiziert, um dem einseitig angeordneten Kragarm optisch etwas entgegenzusetzen und die Ausmitte der Pressenstandorte zu minimieren. Die Innenseiten sind deshalb doppelt so stark geneigt wie die Außenseiten. Die Taillierung in Längsansicht wird beibehalten. Die Geometrie der Pfeilerköpfe ist jeweils konstant. Die im Querschnitt rechteckigen Pfeilerschäfte erhalten umlaufende Fasen von 10 cm Seitenlänge, um die Formgebung zu unterstützen. Das ganzheitliche Gestaltungskonzept für Pfeiler und Überbauten ergibt ein auch in der Schrägansicht interessantes und gut durchgebildetes Bauwerk. Die Gesamtlänge der Aicherparkbrücke in der Trasse der Westtangente neu zwischen dem Trennpfeiler in Achse 40 und dem Widerlager am Gangsteig beträgt 450 m, die abgewickelte Länge zwischen den Widerlagern der Anschlussrampen 220 m. Die Brückenfläche ergibt sich zu 9.300 m².

11 Einzelstützen: Regelquerschnitt mit Ansichten © SSF Ingenieure AG

12 Konzept der Mischgründung © SSF Ingenieure AG

3.2.2 Baugrund und Gründung Das Bauvorhaben liegt geologisch im sogenannten Rosenheimer Becken, welches zwischenzeitlich einen See bildete, dessen Entstehung auf den Ausläufer des Inngletschers zurückzuführen ist. Es liegen daher Beckenablagerungen mit einer Mächtigkeit von 150 m vor, welche hauptsächlich aus Seetonen, Tonen, Schluffen und Seesanden bestehen, die von Kiesschichten mit einer Mächtigkeit von 4–7 m überdeckt sind. Die zunächst vorgesehene Flachgründung in den Kiesschichten konnte aufgrund der erkundeten geringeren Mächtigkeiten und der in der Folge unzureichenden Tragfähigkeit nicht weiterverfolgt werden. Die Empfehlungen des Bodengutachtens aufnehmend, wurde eine Tiefgründung geplant. Im Gutachten war vorgesehen, die Rechenannahmen für die Pfahltragfähigkeiten durch eine Pfahlprobebelastung zu bestätigen. Die Probebelastung wurde durchgeführt, die Rechenannahmen konnten jedoch nicht bestätigt werden, so dass die geplante Tiefgründung so nicht realisierbar war. Anhand der Ergebnisse weiterer Pfahlprobebelastungen wurde unter Leitung von Prof. Dr.-Ing Roberto Cudmani vom Zentrum Geotechnik der Technischen Universität München das Gründungskonzept für die Aicherparkbrücke ausgearbeitet. Die Gründung ist danach als Mischgründung, bestehend aus Ortbetonbohrpfählen, Vertikaldrains und Verdrängungssäulen, vorgesehen, die in ihrer Gesamtheit ein robustes Bauwerksteil darstellen, welches nicht nur auf das Tragverhalten einzelner Bohrpfähle angewiesen ist. Die Vertikaldrains ermöglichen einen raschen Abbau des durch die Bodenverdrängung infolge der Herstellung der Verdrängungspfähle induzierten Porenwasserüberdruckes und somit eine schnelle Konsolidierung des Seetons. Die Vertikaldrains führen das Wasser in die Kiesschicht unterhalb der Pfahlkopfplatte, diese wird dann durch eine zusätzliche Drainageleitung entspannt. Durch die für die Herstellung der Pfahlkopfplatten vorgesehenen Spundwände, die ausreichend in den Seeton einbinden und auch nach Fertigstellung der Pfahlkopfplatten verbleiben sollen, wird dauerhaft eine hydraulische Verbindung der Vertikaldrains mit dem quartären Grundwasserhorizont in den kiesigen Deckschichten verhindert. Die Verdrängungssäulen bewirken eine Verdichtung und eine Verspannung des Bodens, die eine Erhöhung der Scherfestigkeit und der Steifigkeit des Seetons sowie des aktivierbaren Mantelreibungswiderstandes der Bohrpfähle hervorrufen. Zudem bewirken die Verdrängungssäulen eine Homogenisierung des Baugrundes hinsichtlich seines Tragverhaltens und wirken herstellungsbedingten Störungen entgegen.

13 Herstellung der Hammerkopfpfeiler © SSF Ingenieure AG

3.3 Ausführungsplanung

3.3.1 Hammerköpfe Für die Statik der Hammerköpfe samt Pfeilern stellten vor allem die ungleichen, asymmetrischen Belastungen der Kragarme eine besondere Herausforderung dar. Bei beidseitig gleichen Auflagerlasten steht der Stahlträger im Gleichgewicht, die Zugkräfte im Stahlobergurt schließen sich kurz und im Pfeiler kommen hauptsächlich vertikale Lasten an. Wird jedoch eine Seite deutlich höher belastet, entsteht ein einhüftiger Rahmen, dessen Momentenbeanspruchung bis in die Gründung zu verfolgen ist. Dabei muss der überschüssige Zugkraftanteil im Stahlobergurt über Kopfbolzendübel in den Betonstahl übertragen werden. Aus der großen Beanspruchung resultierte ein hoher Bewehrungsgehalt. Es war daher unabdingbar, die Vielzahl an Kopfbolzendübeln mit der erforderlichen Bewehrung sowie den Betonieröffnungen detailliert zu planen und mit der Baufirma abzustimmen. Bereits im Fundament war die Anschlussbewehrung mit Schablonen eingebaut worden und im restlichen Bereich gab es für jede Position eine vorgegebene Einbaureihenfolge, um die Pfeiler erfolgreich herstellen zu können.

3.3.2 Herzstück Der Bauwerksentwurf sieht vor, die Stahlhohlkästen der Rampen an die durchlaufenden außenliegenden Träger der Trasse der Westtangente neu heranzuführen. Diese werden durch im Grundriss gekrümmte Elemente miteinander verbunden, um die Geometrie der Kragarme gleichbleibend durchlaufen zu lassen. Durch weitere Ergänzung von Trägerelementen entsteht der Trägerrost im Herzstück.

14 Trägerrost als Herzstück © SSF Ingenieure AG

Die Ausführungsplanung erfolgte am 3-D-Modell. Nach Eingabe der Stahlträger im Grundriss wurde deren Höhenlage anhand der Fahrbahnoberfläche und der vorgesehenen Betonhöhen festgelegt. Aus diesem Modell wurden alle Ausführungspläne abgeleitet, womit sich eine hohe Qualität der geometrischen Angaben bei den vorliegenden Randbedingungen erreichen ließ. Die statische Berechnung wurde an einem räumlichen Gesamtsystem mit Stab- und Flächenelementen erarbeitet, wobei der Bauablauf auf Querschnitts- und Systemebene vollständig abgebildet wurde. Die erforderlichen Nachweise wurden am Gesamtsystem geführt. Besonderes Augenmerk lag auf dem Herzstück, welches komplett auf einem bodengestützten Traggerüst zu realisieren war. Das Traggerüst wurde als Flächengerüst mit insgesamt 440 Gerüsttürmen konzipiert. Um die Setzungsunterschiede zwischen den einzelnen Gerüsttürmen zu minimieren, wurde eine großflächige 0,20 m dicke Stahlbetonplatte als Gründung eingebaut. Auf den Gerüsttürmen wurde die äußerst aufwendige Einschalung in sehr guter fachlicher Handarbeit hergestellt. Nach den Bewehrungsarbeiten erfolgte in einem Großeinsatz die 24-h-Betonage der 3.400 m² Fahrbahnplatte einschließlich Herstellung der komplexen Faltung der Oberseite. Allein die Einrichtung der Abziehleisten stellte hohe Anforderungen an die ausführende Firma. Bei den vorhandenen Ausdehnungen des Herzstückes stellt die Temperaturbeanspruchung eine besondere Herausforderung in Planung und Ausführung dar. Ursprünglich war vorgesehen, das Herzstück und die beiden Rampen zusammen zu errichten. Der Verformungsruhepunkt wurde über allseits feste Lager in den Achsen 110, 120 und 130 realisiert. Bei einer moderaten Temperaturänderung von beispielsweise ± 20 K im Bauzustand ergeben sich daraus Verschiebungen von ca. ± 20 mm an den am weitesten vom Ruhepunkt entfernt stehenden Gerüsttürmen an den Widerlagern der Rampen. Um die daraus resultierende Beanspruchung auf das Traggerüst zu reduzieren, wurde in Abstimmung mit der Baufirma festgelegt, die Bauwerksteile Herzstück, Rampe Ost und Rampe West getrennt voneinander herzustellen und erst danach den Lückenschluss auszuführen. Der Einlagerungsprozess, das heißt die Vorgänge beim Ausbau des bodengestützten Traggerüstes, musste ebenfalls detailliert geplant werden. Das hochgradig statisch unbestimmt gelagerte Herzstück reagiert aufgrund von Lastumlagerungen aus zum Beispiel Stützensenkungen und Temperatur sensibel. Für den Ausbau des Traggerüstes wurde der Überbau feldweise angehoben und die Gerüsttürme damit sukzessive freigestellt. Die Pressen hierfür wurden auf den planmäßig dafür vorgesehenen Standorten für den Lagerwechsel angeordnet. Für die Berechnung selbst wurden alle Gerüsttürme in das statische Modell integriert.

15 16 17 Herstellung des Herzstücks: Stahlbau, Bewehrung, Betonage der Fahrbahnplatte © SSF Ingenieure AG

18 Planung des Traggerüst-Ausbaus © SSF Ingenieure AG

Der Gesamtprozess »Ausbau Traggerüst« wurde damit detailliert und optimiert, wofür eine mehrstufige nichtlineare Berechnung notwendig war. Überlastungen einzelner Tragelemente, wie etwa Gerüsttürme, Stahlbau, Fahrbahnplatte etc., konnten vermieden werden. Abschließend wurden die ermittelten Schnittgrößen aus dem Einlagerungsprozess mit jenen der übrigen Einwirkungen überlagert, um die Bewehrung sowie die Spannungen der Bauteile für den Endzustand zu prüfen. Ein einzelnes Absenken der Gerüsttürme hätte zur Folge haben können, dass sich dabei eine Art Dominoeffekt einstellt. Bei jedem Ausbau einer Einzelstütze wäre dann eine Lastumlagerung auf die nächstliegende Bauwerksachse, aber auch auf die umliegenden Gerüststützen erfolgt. Bei ungünstiger Umlagerung wäre eine erste Stütze ausgeknickt und weitere wären womöglich gefolgt.

3.4 Bauausführung

Die Bauausführung ist noch nicht abgeschlossen. Die Zeitschiene stellt sich wie folgt dar: – Baubeginn:

November 2018 – Spezialtiefbau:

Januar 2019 bis Mai 2020 – Fundamente, Widerlager Pfeiler:

November 2019 bis September 2020 – Stahlbau:

Mai 2020 bis Dezember 2021 – Überbau:

Dezember 2020 bis Februar 2022 – Kappen, Rampen, Lärmschutzwände,

Restarbeiten:

Februar 2022 bis Oktober 2022 – Bauende: voraussichtlich November 2022

19 Spundwandpresse im Einsatz © SSF Ingenieure AG

20 21 22 Geräteeinsatz zur Herstellung der Gründung: Bohrpfähle, Drainagesäulen, Verdrängungspfähle © SSF Ingenieure AG

Die Bauzeit beträgt ungefähr vier Jahre. Im Folgenden werden ausgewählte Teile der Bauausführung kurz bildhaft vorgestellt.

Autoren: M.Sc. Karl Kergl Staatliches Bauamt Rosenheim Dipl.-Ing. Jürgen Schmidt M.Sc. Thomas Hehne, Dipl.-Ing. Thomas Wolf SSF Ingenieure AG, München Bauherr Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Freistaat Bayern, vertreten durch das Staatliche Bauamt Rosenheim

Entwurfs- und Tragwerksplanung SSF Ingenieure AG, München

Verkehrsplanung Wagner Ingenieure GmbH, München

Geotechnische Beratung und Begleitung Technische Universität München, Zentrum Geotechnik

Bauoberleitung und Bauüberwachung SSF Ingenieure AG, München Fachbauüberwachung Geotechnik Ingenieurbüro Gebauer, Traunstein

Fachbauüberwachung Stahlbau Ingenieurbüro Koller PartGmbB, Nürnberg, München

Prüfingenieur Prof. Dr.-Ing. Robert Hertle, Gräfelfing

Bauausführung Habau Hoch- und Tiefbaugesellschaft m.b.H., Perg, Österreich MCE GmbH, Linz, Österreich Bauer Spezialtiefbau GmbH, Niederlassung Dachau (Gründung) Menard GmbH, Niederlassung München (Gründung)

Aicherparkbrücke, Rosenheim