6 minute read

Die Hand an den Saiten des Lebens

Gefäße im Gehirn und Klänge im Kopf: Darum kreist das Leben und Schaffen des Girlaner Neurochirurgen Peter Winkler.

Advertisement

Es begann mit einem bescheidenen Leben als Girlaner Bauernbub. Dann zog Peter Winkler hinaus in die Welt, um zu einem international gefragten Neurochirurgen zu werden. 14.000 Operationen später proklamiert der leidenschaftliche Musiker vor allem eins: ein Zurück zum leisen Leben.

Erst war da der Blick hoch zur holzgetäfelten Decke der ehrwürdigen Laurin-Bar in der Landeshauptstadt Bozen, dann der Ausdruck des Erstaunens, gefolgt von einem erkenntnisreichen Lächeln. Peter Winkler zückt sein Handy, um den eben entdeckten Wandteppich zu fotografieren – oder vielmehr das geknüpfte Motiv: ein menschliches Gehirn. „Das ist gar nicht mal schlecht, da ist der Hirnstamm, das Geflecht an Gefäßen, …“ und schon ist der „Professore“ ganz in seinem Element. Winkler ist einer der weltweit führenden Neurochirurgen. Ein Mann, dessen „Arbeitsplatz“ die Schaltzentrale anderer Menschen ist. Ein Mann, der OP-Säle auf der ganzen Welt sein Office nennen kann, der in den USA, Brasilien, Südafrika, Georgien, Portugal, Finnland, der Schweiz genauso wie in Deutschland und Österreich gelehrt, geforscht und praktiziert hat und dem man nun – nach seiner Pensionierung – an der Charité, Universitätsmedizin in Berlin, und als Ehrendoktor in Tiflis (Georgien) den roten Teppich ausrollt. In seiner Heimat lädt Winkler zum wiederholten Mal zum „European Medical Forum South Tyrol“ (siehe Infobox).

Von der Einsamkeit des Operateurs 14.000 Operationen liegen hinter ihm – und es waren nicht etwa Bagatelleingriffe. Winklers Wirken kreist um Hirn- und Rückenmarktumore, um Gefäßerkrankungen des zentralen Nervensystems und degenerative Wirbelsäulenerkrankungen, um Epilepsiechirurgie. „Die Einsamkeit des Operateurs ist gigantisch. Du hältst ständig das Leben des anderen in deiner Hand. Je näher am Hirnstamm du bist, um so komplexer wird es. Eine unbedachte Bewegung und der Mensch ist tot oder für sein Leben gezeichnet.“ Über die gigantische Verantwortung könnte Winkler ein Klagelied singen, doch dafür ist ihm die Musik zu wertvoll.

Vom Selfmade-Musiker im OP „Ich brauche nur drei Töne und der Stau, der sich nach zehn Stunden im OP angesammelt hat, ist wie rausgeblasen“, sagt der leidenschaftliche Musiker. Warum das so ist: Musik aktiviert den Parasympathikus. Der sorgt für Ruhephasen und Entspannung. Alles eine Sache des Gehirns, des vegetativen Nervensystems, das ohne unser Zutun läuft. Ein Musikinstrument zu erlernen hingegen braucht aktive Beteiligung. Winkler spielt Schlagzeug, Saxofon, Klavier, Klarinette, Gitarre und will in Bälde auch der Panflöte Melodien entlocken. Immer als Autodidakt. Der Grundstein dafür wurde mit neun Jahren bei der Musikkapelle Girlan gelegt. Seiner Klarinette fiel damals ständig der untere Teil ab. „Da habe ich mir geschworen: Ich kaufe mir perfekte Instrumente, wenn ich einmal die Möglichkeit dazu habe.“ Heute hat er sie. Und er gibt gut verdaulichen, bekömmlichen Jazz zum Besten, u.a. mit der „Peter Winkler Jazz Combo“. Als er 17 Jahre alt war, wollte Winkler nach Graz,

Beliebtes Anschauungsmaterial: Bevor Peter Winkler seine Patienten operierte, erklärte er den Eingriff anhand handgezeichneter Skizzen. Hier eingezeichnet ist jenes Hirnareal, in dem sich Musik manifestiert.

WENN ICH MUSIKER WÄRE UND DANEBENGRIFFE, DANN WÜRDE MICH EIN FALSCHER TON ÄRGERN, JA, ABER ES WÄRE NICHT SO SCHLIMM.

Peter Winkler, Neurochirurg und Musiker um Jazz zu studieren. Geworden ist daraus schließlich ein Medizinstudium. „Wenn ich Musiker wäre und danebengriff e, dann würde mich ein falscher Ton ärgern, ja, aber es wäre nicht so schlimm“, sinniert Winkler über beiderlei Leidenschaft en und die Konsequenz, dass am Neurochirurgen ein Profi musiker verloren ging.

Vom Respekt des Arztes und der Angst der Patienten Das Wort Angst nimmt Winkler nie in den Mund. „Dann kann man den Beruf nicht machen.“ Respekt aber brauche es. „Je besser ein Arzt die Anatomie beherrscht, um so sicherer ist er, Technik und Computer sind nur Hilfsmittel“, so sein Credo. Letzthin hat Winkler über ein Gefäß geschrieben, das bisher noch nicht beschrieben wurde: „Es stellt eine perfekte Landmarke beim Operieren dar.“ Einen Routineeingriff gibt es für den Neurochirurgen nicht. Sein jeweiliges Gegenüber ist für ihn gerade „der wichtigste Mensch auf der Welt“. Winkler vermittelt so nicht nur seine Wertschätzung. Er gibt vielen angsterfüllten Patienten damit Sicherheit. Er zeichnet anatomische Skizzen und erklärt anhand dieser, was ihnen bevorsteht. Es ist eine Begegnung von Partnern auf Augenhöhe. „Nach jeder OP greife ich selbst zum Hörer und rufe die Angehörigen an. Am anderen Ende der Leitung hörst du dann buchstäblich einen Felsbrocken vom Herzen fallen“, berichtet der Mediziner.

Vom Rentner auf Kongressmarathon Eine große Verantwortung abgestreift hat er auch, als er im März 2021 als Vorstand der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg offi ziell in Pension ging. „Manchmal kribbelt es noch“, gibt der 66-Jährige zu: doch nun seien

andere am Zug und denen will er durch immenses Wissen und enorme Erfahrung unter die Arme greifen. 1000 Neurochirurgen hat er bereits ausgebildet. Dabei zählen nicht nur die Fakten, sondern auch das Wissen, wie man mit dem Risiko umgeht, es schafft , dem Druck standzuhalten. Beim Wort „Rentner“ zuckt Winkler sichtlich zusammen –obgleich er nun den Luxus genießt, zu tun, was er will. Doch das führt ihn dahin, wo die Atmosphäre gut ist, wo er etwas geben kann, auf Kongresse, Symposien, in Hörsäle und vermehrt in seine Wahlheimat München zur Familie. Winklers Frau leitet dort eine große Ballettschule, keines der Kinder ging in die Medizin. Tochter Anna-Babette ist Ballerina am English National Ballet in London, die zwei Söhne sind in der Wirtschaft erfolgreich.

Von einer schaurig-schönen Kindheit Was ihn als Univ.-Prof. Dr. med. heute noch mit dem Bauernbub von einst verbindet, ist ein bescheidenes und zurückhaltendes Leben. Seine Kindheit bezeichnet Winkler als schaurig-schön. Bitter deshalb, weil der Vater früh starb. „Meine Mutter war eine Mutter Courage. Sie hat acht Kinder allein durchgebracht. Wir waren Selbstversorger auf einem kleinen Höfl , hatten Wein, einen Acker und Vieh. Das galt es zu erhalten“, schildert er. Die prätentiöse Grundhaltung von heute: „Mir steht alles zu“, geht ihm mächtig gegen den Strich. „Nix steht mir zu, ich muss mir alles verdienen“, war seit jeher sein Antrieb. Es war dieser gewaltige Ehrgeiz, der dem Halbwaisen ein Hochbegabtenstipendium des Landes Österreich einbrachte. Ein Einser-Schüler. Das hatte sich bereits in der Mittelschule abgezeichnet. Winkler war bei der Weinlese unter ein Fuhrwerk geraten und musste sechs Monate zuhause bleiben. „Das Jahr habe ich dann trotzdem als Klassenbester abgeschlossen“, erzählt er mit schelmischem Gesichtsausdruck. Er verbeißt sich gerne in ein Th ema. Eine Gründlichkeit, die ihm überall zugutekam, „denn im Ausland musst du das Doppelte leisten“. DIE EINSAMKEIT DES OPERATEURS IST GIGANTISCH. DU HÄLTST STÄNDIG DAS LEBEN DES ANDEREN IN DEINER HAND.

Von den Brücken im Kopf Winkler jongliert mit Namen, Zahlen, Orten und Geschichten, dass ein Zuhörer kaum folgen kann. All das funktioniert über Eselsbrücken. Zudem schreibt er Tagebuch: „Das Tolle daran ist: Man schaut rein und der Augenblick ist wieder da. Die Stimmung. Einfach alles. Wenn du ins Outlook reinschaust, ist da gar nix.“ Mit 66 Jahren blickt er nun mehr zurück als nach vorne. Nach Südtirol zu kommen, ist für ihn wie eine Reise durch die Vergangenheit. Der Geschwister, Neff en und Nichten sowie der Weintrauben wegen fühlt er Verbundenheit. Seine innere Rastlosigkeit weicht immer mehr einer inneren Stabilität. Ihm gehört zwar ein Haus in München, aber Winkler empfi ndet es anders: „Ich besitze das, was im Koff erraum meines Volkswagen Käfers Platz hat: zwei Saxofone, eine Klarinette und im Prinzip sogar mein Schlagzeug.“

Gesundheitstreff und Jazz&Wine in Girlan

Univ.-Prof. Dr. Peter A. Winkler ist weltweit einer der führenden Neurochirurgen. Der gebürtige Girlaner lädt im Oktober in sein Heimatdorf zu „Prof. Winklers Gesundheitstreff – European Medical Forum South Tyrol“ mit hochrangigen Medizinern. Im Anschluss bei Jazz&Wine greift Winkler selbst zu Saxofon und Schlagzeug, um mit international bekannten Jazz-Musikern der „Peter Winkler Jazz-Combo” aufzutreten. Für Univ.-Prof. Dr. med. Peter Winkler war das Operieren von Hirn- und Rückenmarktumoren, Erkrankungen des Nervensystems und der Wirbelsäule alltägliches Schaffen.

This article is from: