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IsabellBeer

»IchhatteAngst,vergessenzuwerden«

Isabell Beer hält nicht viel vom elitären Selbstbild des Journalismus. Sie arbeitet als Investigativ-Journalistin bei Funk – und bringt sich damit manchmal selbst an ihre Grenzen

Isabell, du hast im turi2 Clubraum erzählt, dir hätten viele Arbeitgeber vorgeworfen, keinen Uni-Abschluss zu haben. Fehlt dir dadurch was in deiner täglichen Arbeit?

Nein. Meine Recherchen drehen sich ja um Themen wie sexualisierte Gewalt und Drogen – was hätte ich da studieren sollen? Toxikologie? Nein, dafür kann ich mir ja Experten zur Seite holen.

Du hast im Boulevard, beim „Berliner Kurier“, volontiert. Würdest du das noch mal machen?

Ja, schon. Mir wurde zwar auch schon geraten, ich solle das Volo verschweigen. Aber ich habe mich dafür nie geschämt. Die Ausbildung war sehr wertvoll, mir wurde viel geholfen und erklärt, vor allem, wie man Wichtiges auf wenig Platz sehr verständlich zusammenfasst.

Könntest du noch mal in den Boulevard zurück?

Es ist schwer, bei Boulevard-Medien investigativ zu recherchieren, weil die meisten Redaktionen unterbesetzt sind. Wenn ich wüsste, das Blatt geht gut mit den Menschen um – sowohl mit Protagonistinnen als auch mit den Mitarbeitenden –, könnte ich es mir prinzipiell schon vorstellen. Es ist schade, dass wir es zu oft der „Bild“ überlassen, Nachrichten in einfacherer Sprache zu bringen. Davon bräuchten wir viel mehr.

Verprellt der Journalismus mit elitären Vorgaben gute junge Leute?

Man traut jungen Menschen nicht zu, nach der Schule ohne Studium Journalist zu werden – und wundert sich dann, dass man junge Menschen nicht mehr erreicht. Es reicht aber nicht nur, Nicht-Akademikerinnen einzustellen, sondern Redaktionen müssen auch ein Umfeld schaffen, in dem man sich wohl fühlt. Als ich ein Praktikum bei der „Zeit“ gemacht habe, habe ich gefühlt die Hälfte nicht verstanden. Wegen der ganzen Fremdwörter und Fachbegriffe habe ich mich dumm gefühlt – und das darf nicht passieren.

Du bist bei deinen FunkRecherchen undercover unterwegs, gleichzeitig sieht man dich bei YouTube und hört dich in Podcasts. Wie passt das zusammen?

Sichtbarkeit ist schon enorm wichtig, etwa bei Social Media. Ich hatte am Anfang meiner Laufbahn tatsächlich Angst, vergessen zu werden. Und diese Angst war sehr real, ich habe mehrfach keine Antwort auf Themenvorschläge erhalten, obwohl es zuvor hieß, man wolle unbedingt weiter mit mir zusammenarbeiten. Deswegen bewerbe ich mich auch immer wieder auf Journalisten-Preise. Die sagen nichts über meine Arbeit als Journalistin aus, aber sie machen meine Arbeit sichtbar.

Wie schützt du dich selbst in den sozialen Medien?

Wichtig ist, nicht die privaten Profile bei Recherchen zu benutzen. Ich habe auch kürzlich aufgehört, Kommentare zu mir unter meinen Videos zu suchen. Was bringt es mir denn, einen beleidigenden Kommentar über mein Aussehen zu lesen? Dinge wie Drohungen und Dickpics zeige ich natürlich an. Auch, wenn es nicht unbedingt zu einer Verurteilung kommt, setze ich damit ein Zeichen, dass man mir nicht alles an den Kopf werfen kann.

Verlierst du bei den Themen, die du bearbeitest – sexualisierte Gewalt, Spanner, Drogen, Frauenhasser – nicht manchmal den Glauben an die Menschheit?

Während der Spanner-Recherche war ich auf jeden Fall paranoid, weil ich gesehen habe, dass es vermeintlich ganz normale Menschen waren, die da Kameras an öffentlichen Orten installiert haben. Ich suche bis heute öffentliche Toiletten ab, bevor ich sie benutze. Bei der Incel-Geschichte habe ich mich gefragt, welche Männer in meiner Umgebung, in der U-Bahn oder im Supermarkt, vielleicht ebenfalls Frauen kategorisch hassen. Was mir hilft, sind Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen und psychologisches Coaching, wenn ich merke, es wird mir zu viel.

Was lernt man bei einem solchen Coaching?

Eine gesunde Distanz zu einem Thema zu bewahren. Und mit den Dingen umzugehen, die man während einer solchen Recherche sieht oder erlebt. Ich habe Techniken gelernt, wie ich das Gesehene noch mal vorm inneren Auge aufrufen kann und dann die Emotionen zulasse, die ich während der Arbeit unterdrücke, weil ich so im Arbeitsmodus bin. So haben auch die Albträume, die ich eine Zeitlang hatte, wieder aufgehört. Und ich setze mir Regeln, ich fange keine neue Recherche zu sexualisierter Gewalt an, bevor ich die letzte nicht verarbeitet habe.

Mit noch nicht mal 30 hast du schon mit der psychischen Belastung zu kämpfen. Kannst du den Job dein Leben lang machen?

Ich gestehe mir mittlerweile zu, an meinem Job zu zweifeln. Er kann sehr anstrengend und einfach nur scheiße sein. Durch diese Ehrlichkeit mir gegenüber habe ich aber gemerkt: Ich will genau das machen, denn es gibt in dieser Branche viel Schönes. Seien es die Kolleginnen und Kollegen, aber auch die Dinge, die ich sonst nicht erleben würde. Ich kann diesen Job aber nur machen, solange ich auf meine psychische Gesundheit achte.

Interview: Nancy Riegel

IsabellBeer

Jahrgang 1994, volontiert nach dem Abitur beim „Berliner Kurier“ und hospitiert bei der „Zeit“. Seit 2019 arbeitet sie im Recherche-Team von Funk, dem jungen Medienangebot von ARD und ZDF. 2021 veröffentlicht sie ihr Buch „Bis einer stirbt“ über die OnlineDrogenszene

IsabellBeer

im Live-Podcast turi2.de/clubraum