
6 minute read
GEFANGEN IM KINO
from TRIGON Magazin 90_91
by trigon-film
Während des Aufstandes zum Sturz des Schah-Regimes im Iran setzten Demonstranten Kinos in Brand, um ihren Widerstand gegen die westliche Kultur zu zeigen. Viele Kinos wurden niedergebrannt. In einem tragischen Fall wurde ein Saal in Brand gesetzt, in dem sich über 400 Menschen befanden. 40 Jahre sind vergangen, und im heutigen Iran beschliessen vier Personen, ebenfalls ein Kino niederzubrennen. Ihr Ziel ist ein Kino, in dem ein Film über eine nicht explodierte Rakete gezeigt wird. Treffen sich Vergangenheit und Gegenwart?

Advertisement
CARELESS CRIME VON SHAHRAM MOKRI, IRAN
Von Walter Ruggle
Wenn man die Filme des Iraners Shahram Mokri anschaut, dann kommen einem die Bilder von E. C. Escher in den Sinn oder das Moebiusband: Beide spielen mit Täuschungen, die unsere Wahrnehmung und Erfahrung nutzen und uns verblüffen. Irgendwie kommt einem auch das Lügnerparadox in den Sinn: «Dieser Satz ist nicht wahr.» – Mokri ist ein Filmemacher, der den Glauben ans Kino nie aufgegeben hat, den die Filmsprache fasziniert und der tüftelt an dem, was man mit ihr machen konnte und noch machen könnte. Seine Filme sind immer auch ein Konjunktiv. Er hat eine Idee, denkt, dass man das machen könnte und versucht’s. Das war so bei den letzten beiden Spielfilmen Fish & Cat (Mahi va gorbeh, 2013) und Invasion (Hojoom, 2017), die beide in einer einzigen Einstellung gedreht sind und es dennoch schaffen, das zeitliche Kontinuum aufzubrechen, von der Linie abzuheben.
Für Careless Crime (Jenayat-e bi deghat, 2020) hat Mokri seinen Ansatz aufgegeben, in einer einzigen Einstellung zu drehen, was ihn einige Überwindung gekostet haben dürfte und ganz neue Arbeitsbedingungen mit sich brachte. Die anderen zwei Filme hatte er jeweils innerhalb von zwei Stunden gedreht (ihrer realen Dauer eben); hier nun gibt es Schnitte, das hiess, wie er scherzend erzählt: Feierabend und Fortsetzung am nächsten Tag. Unverändert intensiv ist aber sein Interesse am Kino, am filmischen Erzählfluss. Hier hat er das Kino als realen Raum und das Kino als Erzählraum ins Zentrum seiner Betrachtung und seiner Handlung gestellt, bis hin zur Zuspitzung: Wir sind alle Gefangene im Kino.
ANSCHLAG AUFS KINO REX
Es gibt einen realen Ausgangspunkt zu Careless Crime, das war der Brandanschlag aufs Kino Rex in der Raffineriestadt Abadan am Schatt al Arab am 19. August 1978, wenige Monate vor dem Sturz des Schahs. Die genauen Gründe wurden nie geklärt, der Anschlag beschäftigt die Menschen im Iran noch heute. Die meisten denken, dass es ein Anschlag jener religiösen Kreise war, die den Schah stürzen wollten und seither das Geschehen im Land diktieren. Nicht wenige glauben, dass das damalige Regime dahinterstand. Klar ist: 478 Menschen kamen ums Leben, waren eingeschlossen im Kinosaal, darunter drei der vier Täter. Der vierte wurde nach der Revolution gefangen genommen und hingerichtet.
Der historische Moment ist für Shahram Mokri und seine CoAutorin Nasim Ahmadpour nur der Point de départ. Es gibt Dokumentarfilme über das Drama, aber keine Spielfilme. Mokri interessierte es nicht, die Geschichte nachzuerzählen. Er will sie in der Gegenwart überprüfen und nähert sich ihr ganz anders an, setzt sie in den Kontext zu heute und zur Tatsache, dass ein «careless crime», ein sorgloses, rücksichtsloses Verbrechen wie jenes wieder geschehen kann und weiter geschieht: «Es geht mir nicht um den Iran, es geht um eine kollektive Erfahrung des Mittleren Ostens, wo andere Länder vergleichbare Tragödien wie die des Cinema Rex kennen, jüngst etwa die Explosion in Beirut. Statt den Dingen auf den Grund zu gehen, decken sich alle wechselseitig mit Vorwürfen ein, stellen sich selber positiv hin und diskreditieren die anderen. Das war damals so, das ist heute nicht anders.»
Shahram Mokri hat für das Phänomen, das er da beschreibt, in seinem Film die Fiktion gewählt und in den Bergen im Stil eines traditionellen Filmdramas eine Handlung inszeniert, die an Absurditäten bald kaum zu überbieten ist. Drei Militärangehörige finden im Niemandsland eine nicht explodierte Bombe und kümmern sich weniger um die Gefahr als um nichtige Fragen und um zwei junge Frauen, die in der Nähe ein Camp eingerichtet haben, um mit anderen zusammen einen Film zu schauen: The Deer (Gavaznha, 1974) von Masoud Kimiai, in dem der populäre einheimische Star Behrouz Vossoughi eine Hauptrolle spielt. Und damit wären wir schon mitten drin in den Erzählschlaufen, die Mokri so liebt und so brillant legt und hegt und pflegt, dass wir am Ende gar nicht mehr wissen sollen, was ist jetzt, was ist wahr, was war damals, wo hört die Realität auf, wo setzt die Fiktion an, ja gibt es überhaupt einen Unterschied?
The Deer? Das war der Film, der 1978 im gerammelt vollen Rex in Abadan lief, als das Kino brannte. Die Geschichte in den Bergen ist eine Erzählung in Careless Crime. Eine weitere, und mit ihr beginnt Mokris Film: In einem Kino werden die Vorbereitungen getroffen für die Projektion des Films Careless Crime. Aus diesen Vorbereitungen heraus – die drei Männer auf der folgenden Doppelseite besprechen in den Rängen vor der Leinwand die Details – wechseln wir fliessend auf die Leiwand, auf der die bereits erwähnte Handlung in den Bergen sich abspielt. Zwischen ihr und dem Kino als Ort der Vorführung und Treffpunkt von jung und alt, wird sich das Geschehen abspielen und das, was vermeintlich real ist, und das, was man als fiktional bezeichnen könnte, wird ineinander übergehen.
Shahram Mokri trennt die Ebenen im Inszenierungsstil: Zum einen die klassische Kinoerzählung, zum anderen eine hyperrealistische Alltagsgeschichte, die ihrerseits mitunter abhebt ins Surreale. Denn nach der Titelsequenz taucht die zentral werdende Figur Takbalis auf, so hiess der damals beteiligte und später verurteilte Täter, ein Typ auf Drogen, der mit drei anderen Männern zusammen aus der schieren Banalität ihres Alltags heraus die monströse Tat begeht, bei der Zufälle wie blockierte Türen und fehlendes Wasser eine tragische Rolle gespielt hatten, keine Angestellten anwesend waren und gerade mal acht Personen es aus dem Inferno herausschafften.
«There is a difference between a thing and talking about a thing.»
Kurt Gödel
FILM IST EINE ILLUSION
In langen Einstellungen inszeniert Mokri die Gegenwart, in der er das Ereignis von damals erzählt, als wäre es heute. Die Verknüpfung geschieht über den Gang Takbalis ins Kinomuseum, wo der Brand im Rex ein fixer Bestandteil der Führungen ist und ein Schnittmonitor steht, auf dem «The Crime of Carelessness» flackert, ein Brand, verursacht durch Leichtfertigkeit, gedreht 1912 fürs Haus Edison. Sie geschieht auch über Filmplakate wie jenes von Kiarostamis Close-up, die illustrieren, wie sehr die Faszination Kino im iranischen Film immer schon präsent war.
Mit dem Skizzierten ist auch schon klar: Careless Crime ist mehr ein Film über das Phänomen Kino als über das historische Ereinis; alles spielt da in der Gegenwart, auch die Vergangenheit wird übers Kino Gegenwart. Wir sitzen, den Film schauend, im Kino, betrachten Menschen, die im Film im Kino sitzen und den Film schauen, den wir sehen. Da wäre Mokri auch wieder in der geliebten Selbstreflexion. Film ist immer hier und jetzt, eine Arbeit an der Illusion, in der die Zeit aufgelöst werden kann, obwohl der Film an eine Zeit gebunden ist. Mokri spielt damit auf vielfältige Art und auch mit Selbstzitaten wie den Loops, die er gegen Ende einbaut und in denen sich Dialogfetzen wiederholen. Am Ende ist eines klar: Das Kino ist eine Falle. Nicht nur im tragischen Sinn, wenn die Notausgänge zu sind, nein im erbaulichen: Du fällst da rein in eine Realität und bist gefangen in einem Traum. ■

