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Theaterhaus Jena
ZUR WARTBURG
Das Theaterhaus Jena eröffnet am 15. Oktober mit der Kneipen-Produktion »Zur Wartburg« die neue Spielzeit. Mit der Wiedervereinigung zweierlei Deutschlands wurde Geschichte geschrieben, eine Geschichte, welche auch jeder Mensch für sich neu schreiben musste. Orte wurden umgewidmet, verschwanden, erneuerten, kapitalisierten sich. Man ging Richtung Kaufhalle los und landete im Galeria Kaufhof. Und trotzdem bestehen mittendrin kleine Inseln einer Vergangenheit, die passé ist, Zeitkapseln geradezu.
Eine dieser Kapseln fand sich lange im Damenviertel. Die Wirtschaft »Zur Wartburg« bewahrte in ihrem Gastraum ein Stück DDR-Flair und damit Erinnerung bis ins Jahr 2019 hinein. In der Theaterhaus-Produktion, die ihren Ursprung in den Geschichten um diese sehr besondere Restauration hat, diskutieren Stammgäste, angetrieben von den vielen Volumenprozent der Getränkeauswahl, über ihre Wahrnehmung der Wahrheit, über Verschwörungen und alles, was eben nur in Stammtischatmosphäre sagbar ist. Vor der Kulisse der Nachwendezeit offenbaren sich über Jahre entstandene Ressentiments und Alternativerzählungen. Gleichzeitig jedoch stellt sich das Ensemble die Frage, ob nicht die Kneipe derjenige Ort sein kann, an dem man die Filterseifenblasen zum Platzen bringen kann und mit Menschen, die eine andere Meinung als man selbst haben, endlich ein Gespräch beginnen kann. Ab dem 30. Oktober ist das Theaterhaus Jena wieder einmal im Kassablanca zu Gast und präsentiert dort »Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud« nach Christa Wolf. Zu Beginn der 1990er-Jahre verbringt eine deutsche Schriftstellerin eine Rechercheresidenz in Los Angeles. In der Fremde der Vereinigten Staaten wird sie auf ihre Identität als Deutsche zurückgeworfen und muss sich mit der Geschichte im Allgemeinen wie auch ihrer persönlichen auseinandersetzen. Immer wieder wird sie vor sonnendurchtränkter Kulisse mit den blinden Flecken ihrer Vergangenheit, mit Vergessen und Erinnern konfrontiert. Wie kann es ihr gelingen, die eigene Geschichte zu erzählen, und welche Geschichte konstruierte sie für sich selbst? Mit »Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud« veröffentlicht die Schriftstellerin Christa Wolf 2010 eine Analyse der Wendepunkte ihres Lebens. In ihrem Spätwerk schickt sie eine literarische Stellvertreterin auf eine psychoanalytisch-inspirierte Ausgrabung in ihr eigenes Erinnern. Dabei stellt sie sich dem Wandel ihres Verhältnisses zur DDR von der einsatzbereiten, den Zielen des Sozialismus verpflichteten Genossin über den Prozess der allmählichen Ablösung, bis hin zum Dissens mit der ideologisch erstarrten SED-Führung. Karten für alle Theaterhaus-Produktionen gibt es wegen der coronabedingten Hygieneauflagen ausschließlich im Vorverkauf und über den Ticket-Service der Tourist-Information Jena. 8
