Queer Spaces - Einstieg in die Zusammenhänge zwischen Gender und Architektur

Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Prof. Dr. Richard Woditsch

Theorie der Architektur und Entwerfen

Wissenschaftliches Arbeiten: Studentische Beiträge

Queer Spaces

Einstieg in die Zusammenhänge zwischen Gender und Architektur

Verfasser: Evelyn Reinke, Matrikelnummer: 3577655 Carmen Selaru, Matrikelnummer: 3578834

Seminararbeit im Fach M 4030 Wissenschaftliches Arbeiten Seminarleiterin: Jennifer Raum (M.A.) Wintersemester 2021/22 Abgabedatum: 20.01.2021 Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Fakultät Architektur Bahnhofstrasse 90 90402 Nürnberg Lehrbereich Theorie der Architektur und Entwerfen Postanschrift: Postfach 90121 Nürnberg Internet: http://tae.ohmarch.de/

Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen

Prof. Dr. Richard Woditsch M. A. Jennifer Raum

Inhaltsverzeichnis 1.

Einleitung

2.

Stand der Forschung

3.

Hauptteil

3.1

Terminologien im Feld der Queer Studies und Historie von Vorreiterbewegungen 3.1.1. Terminologie und Etymologie relevanter Begriffe 3.1.2. Problematik einer geschlechtsspezifisch gebauten Umwelt 3.1.3. Feministische Architektur und Gender Studies als Vorreiter einer Queer Revolution

3.2

Queer Spaces und das Queering von Architektur 3.2.1 Entstehungsdynamiken von queeren Räumen 3.2.2. Aneignung und das Queering in der Architektur

4.

Résumé

5.

6.

Abbildungsverzeichnis Quellenverzeichnis

“Queer originally meant, and still can mean, different, distinct, something other than the norm. [...]

In a manner of speaking, we are a nation of queers. Architecture is certainly a queer profession: Neither art nor business nor science, yet all three at once, architecture is indeterminate, something in-between”1

1. Einleitung

Am 27. Oktober 2021 lehnte der italienische Senat einen Gesetzesentwurf ab, der diskriminierende Handlungen und Aufrufe zur Gewalt gegen Homo-, Bi-, Transsexuelle sowie Menschen mit Behinderung juristisch strafbar gemacht hätte. Das geplante Gesetzt hätte Homophobie und Rassismus gleichgestellt und die Möglichkeit einer strengeren Ahndung solcher Hassvergehen zugelassen.

Die Zurückweisung des Gesetzesentwurfes wurde in mehreren Instanzen als „Schande“ bezeichnet und löste Empörung auf internationaler Ebene aus, vor allem bei Angehörigen der LGBTQIA+ Community und deren Allies.2 Unglücklicherweise zeigen aktuelle Studien, dass es

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um die Gleichbrechtigung in Europa nicht gut bestellt ist.

Die Entscheidung des italienischen Senats spiegelt damit die innereuropäische sinkende Akzeptanz gegenüber der queeren Gemeinschaft wider.3 LGBTQIA+ Personen sehen sich in ihrem Alltag häufig mit der Gefahr von Diskriminierung, Gewalt und Hassverbrechen konfrontiert.

Diese Alltagsrealität ist der allgemeinen Bevölkerung wenig, wenn überhaupt bewusst. Als eine der Ursachen kann man ist die geringe Sichtbarkeit von LGBTQIA+ Personen und ihren Problemen, vor allem in Massenmedien, auf politischer Ebene, aber auch auf räumlicher und stadtplanerischer Ebene erachten.

Queere Menschen wurden seit jeher marginalisiert, von der Gesellschaft ausgeschlossen und werden in bestimmten Teilen der Welt auch heute noch verfolgt. Jugendliche, die sich als homosexuell oder transsexuell innerhalb intoleranten Familien outen, werden mitunter aus dem Elternhaus vertrieben. Viele queere Personen sind gezwungen ihre Identität nicht öffentlich zu machen, bis sie dazu in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu sicher.

In der Vergangenheit wurde homosexuellen Personen oft das Betreten bestimmter Gebäuden oder Versammlungsstätten verweigert. Nicht immer sind öffentliche Plätze, Straßen und Parks ein sicherer Aufenthaltsort für sexuelle

Vallerand, „...and some of the people who use it“, 2010 S. 73 vgl. https://www.nzz.ch/ <24.11.2021> [Italien: Gesetz gegen Homophobie im Parlament gescheitert] https://rainbow-europe.org/sites/default/files/annual-report/Annual-Review-Full-2021.pdf <10.11.2021>

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Minderheiten, weil körperliche Angriffe aufgrund von Vorurteilen und Hass weltweit bis heute vorkommen.

Räumliche Präsenz auf städtischer Ebene ist ein essentieller Bestandteil der Gründung und Langlebigkeit einer gesunden Gemeinschaft. Sichtbarkeit und Respekt wird durch oft markante Bauwerke erzeugt. Versammlungsorte dienen der Kultivierung und dem Austausch von Gedanken und Ideen zwischen gleichgesinnte Menschen.

In der LGBTQIA+ Community haben Orte der Versammlung eine essentielle Bedeutung, da sie oft den einzigen Kontext bieten, in dem sich die Angehörigen in einem geschützten Rah-

men ungehemmt ausleben können. LGBTQIA+ Personen, die von ihren Familien nicht akzeptiert sind, bilden sich Ersatzfamilien innerhalb der Community, um die psychischen Grundbedürfnisse nach Verbundenheit, Unterstützung und Liebe zu erfüllen.

Befreit vom gesellschaftlichen Druck und Status Quo, schöpfen sich queere Gemeinschaften ihre eigenen Welten für gemeinsames Versammeln und für das private Leben.

Vor diesem Hintergrund sind queere Umfelder einzigartig in ihrer Entwicklung und ihrem Dasein.

Bislang haben sich queere Räume im Schatten einer heteronormativen Welt entwickelt. Sie wurden als entartet abgetan und vermieden. In den letzten Jahren hat die

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LGBTQIA+ Bewegung jedoch Fortschritte auf zahlreichen Ebenen erlebt und an Anerkennung gewonnen.

Damit steigt auch der Anteil von räumlichen Strukturen, die die LGBTQIA+ Community offener und zugänglicher auftreten lassen.

Ihre einzigartige Entwicklung bringt Gefüge mit besonderen Merkmalen und Eingenschaften hervor.

Diese Arbeit versteht sich als Grundlagenforschung um ein besseres Verständnis über den Typus Queer Space zu erlangen. In der Analyse ihrer Charakteristika , besteht das Potential auf eine Vertiefung von Architektur-, Raum- und Gesellschaftsverständnis.

Wie werden Queer Spaces definiert, weshalb gelten sie als verdrängte Räume und inwiefern können sie die Qualität von gebauter Umwelt positiv beeinflussen?

Dementsprechend geht diese Abhandlung der Frage nach, welche Attribute und Merkmale queeren Räumen zuzuschreiben sind, um einen Definitionsbereich festzulegen, der den Begriff Queer Spaces zugänglicher für Architekt:innen machen kann.

Es wird beleuchtet, weshalb queere Räume oft als verdrängt wahrgenommen und bezeichnet werden, indem subkulturelle Aspekte untersucht werden. Darüber hinaus soll diese Arbeit Qualitäten von solchen Orten ermitteln und konkludieren, wie ihre positive Eigenschaften beim Planen anderer Bauten eingesetzt werden könnten.

Nachdem sich die Thematik in einer Schnittstelle verschiedener Forschungsgebiete befindet, wurde es

bislang lediglich gering in Literaturquellen behandelt.

Daher ist es notwendig, sich an Erkenntnissen verwandter Disziplinen zu bedienen.

Dazu gehören unter anderem Frauenforschung, Sozialwissenschaften und Gender und Queer Studies. Quellen und Errungenschaften aus diesen Bereichen, bieten wertvolle Einblicke in die stadtplanerische und architektonische Haltung gegenüber der geschlechtsspezifischen gebauten Umwelt.

Im Hinblick auf eine Definition, besteht demnach ein Teilziel der Studie, in der Anwendung von Queer Studies im Kontext der Architektur.

Anhand der Betrachtung der historische Entwicklung queeren Räume und ihrer exemplarischen Analysen soll

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die Typologie und ihre Wesensmerkmale greifbar gemacht werden. Idealerweise können auch Handlungsmöglichkeiten für Planer:innen aufgezeigt werden.

Diese Erkentnisse sollen im erweiterten Sinn auch als Stütze für einen Entwurf und die Planung eines Zentrums für Menschenrechte und Aktivismus dienen. Die LGBTQIA+ Bewegung sieht sich im breiten Kontext des Kampfes für Gleichstellung und Gleichberechtigung. Universelle Werte queerer Architektur, wie Freiheit, Offenheit, Inklusion und Sichtbarkeit können und sollen auf andere benachteiligte Gruppen übertragbar sein.

2. Stand der Forschung

Soziologie

Frauenforschung

Architektursoziologie Gender Studies

Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, Barrierefreiheit, der Umgang mit Asylsuchenden, zu Unrecht behandelte marginalisierte Gruppen erregen heutzutage in unterschiedlichen Kontexten viel Aufmerksamkeit.

Themen, welche die Andersartigkeit von Menschen behandeln, münden oftmals in hochgradig politisch als auch emotional aufgeladenen Diskursen. Um eine neutrale und ergebnisoffene Untersuchung von Queer Spaces zu gewährleisten, ist eine multiperspektivische Betrachtung essenziell.

Für den Rahmen dieser Arbeit werden vornehmlich die Erkenntnisse aus der Soziologie herangezogen, insbesondere die spezifischen Teilbereiche der Architektursoziologie, der Frauenforschung, sowie der

Queer Spaces

Abb. 1

eigene Darstellung. Einordnung des Begriffes der Queer Spaces als Schnittpunkt verschiedener Wissenschaften.

4 5

Vallerand, „...and some of the people who use it“, 2010 S. 71 https://profession-politischebildung.de/grundlagen/geschichte/frauenbewegung/ <7.12.2021>

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„LGBT architecture – understood as an architecture purpose built for queer clients or users – has rarely been represented as such in professional architecture and design publications. There is, however, a belief shared by some that the issue is of interest: the topic has surfaced irregularly since the early 1990s in both professional and academic publications. Why then does LGBT-oriented architecture and LGBT designers have such a low visibility in architectural publications? Is it representative of a “closeted” conservative profession or is it that sexuality is not considered a valid criterion to approach architecture?“4

Gender und Queer Studies. Im Folgenden wird ein Überblick des Standes der Forschung dieser Gebiete aufgezeigt.

In den 1960er und 70er Jahren setzten Proteste und Aufmärsche neue Impulse für die deutsche demokratische Gesellschaft. Neben der Studentenbewegung, kämpfte auch die Neue Frauenbewegung für einen gesellschaftlichen Wandel.

Es handelte sich dabei nicht um eine homogene Strömung, sondern um zahlreiche aktivistische Gruppierungen mit dem Ziel, die bestehenden patriarchalen Strukturen offenzulegen, um gegen geschlechterbezogene Bevormundung, Ungerechtigkeiten und soziale Ungleichheit vorzugehen.

Die Politisierung des Privaten führte nicht nur zum Aufbruch der klassischen

6 7 8

Rollenverteilung im Haushalt und in den Köpfen, sondern auch in der Wissenschaft.

Hier löste die Emanzipation der Frauen die Bildung einer auf Frauen bezogene Wissenskultur aus.5 Insbesondere in den Themengebieten der Soziologie, weil diese als Wissenschaft des Sozialem die Aufgabe hat, „das Soziale als eigene Realität herauszuarbeiten und in seinen Strukturen zu verdeutlichen“6, wurden bestehende Disziplinen um Fragestellungen bezüglich der Geschlechterkomponenten erweitert oder gar neue Disziplinen erschaffen. Zu letzterem gehören auch die Gender Studies.

Laut des Gender Glossars der Universität Paderborn liegt der Forschungsgegenstand der Gender Studies „in der Analyse des hierarchischen Geschlechtsverhält-

nisses – etwa in Bezug auf die Geschlechterdifferenz, die Geschlechtsrolle und Geschlechtsidentität – sowie dessen Manifestation in verschiedenen Gesellschaftsbereichen bzw. -feldern.“7 Zudem wird auch angemerkt, dass die Geschlechterforschung nicht zwingend einen eigenen Forschungsansatz bildet, sondern eher als ein Zugang, eine Perspektive oder Haltung mit Einfluss in Forschung und Wissenschaft fungieren soll.8 Gender Theorien und Ansätze sind somit in verschiedenen Disziplinen vertreten.

Im Überschneidungsgebiet von Cultural Studies, Anthropologie und Architekturtheorie, werden Orte seit Henri Lefebvre als Raum sozialer Praxis gesehen und neu definiert. „Raum wird als komplexes Verfahren von Vernet-

Schäfers, Architektursoziologie, 3/2014, S. 21 https://www.uni-paderborn.de/universitaet/genderportal/gender-glossar/gender-studiesgeschlechterforschung <8.12.2021> [Genderglossar: Gender Studies / Geschlechterforschung] vgl. ebd.

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zungen und Ausgrenzungen verstanden, als Überlagerung von kulturellen und sozialen Praktiken“.9 Es werden Zusammenhänge untersucht, die den Alltag unbewusst strukturieren: Objekte und Räumlichkeiten die auf Geschlechtergeschichte verweisen, aber nur im Kontext ablesbar sind.

Die Kunsthistorikerin Irene Nierhaus verknüpft Raum, Kunst und Gegenstände mit der Kategorie „Gender“ und untersucht auf verschiedenen Ebenen den Innenraum, öffentlichen und sozialen Raum sowie den imaginären Raum. So legt sie die Binärstruktur der Geschlechterkonstruktionen in allen Lebensbereichen offen.10 Solche binären Strukturen werden in den Gender Studies und verwandten Feldern oft untersucht und kritisch bewertet, aber selten darüber

9 10 11 12

hinaus.

Anders als in den Queer Studies beziehungsweise den Queer Theories. Diese haben ihren Ursprung in den Gay und Lesbian Studies.

Ebenfalls beruhend auf den Feministischen Bewegungen und Forschungen, kämpfen die Queer Theories in einem bestimmten Ausmaß auch aktiv gegen deren Ideologien und Denkweisen an.11 Ihre Kritik beruht auf den oftmals rein zweigeschlechtlichen Ordnungen und Analysen, da diese binäre Betrachtung patriarchale Strukturen verursacht und ermöglicht haben.

Um jegliche Form von binären Denken verwerfen zu können, wird der Begriff „Queer“ seit den 1980er Jahren als „Grundlage von theoretischen Einsprüchen gegen die Heterosexuali-

täts- und Normalitätsanforderungen von Gesellschaft und Wissenschaft“12 verwendet.

Die Philosoph:innen und Theroretiker:innen Michel Foucault und Judith Butler gelten als Vorreiter der Queer Theories. Während sich Foucaults Werke vorwiegend mit Themen der Sexualität in Hinsicht auf die historische Entwicklung beschäftigen, behandelt Butler den engen Zusammenhang zwischen Gender und Sexualität.13 In dem Buch „Queer: A Graphic History“ von Meg-John Barker und Julia Scheele werden die Thesen der beiden Wissenschaftler:innen gegeübergestellt. So können folgende wesentliche Ziele und Aussagen der Queer Studies, wie folgt zusammengefasst werden: Gender und Sexualität sind nicht-essenzielle und flexible Bestandteile der

Nierhaus, 1999, S. 7 vgl. ebd. S. 12 vgl. Barker; Scheele, 2016, S.391 https://www.uni-paderborn.de/universitaet/genderportal/gender-glossar/queer-studiesqueer-theory <8.12.2021> [Genderglossar: Queer Studies/Queer Theorie]

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menschlichen Identität. Binäre Einteilung ist ein Mittel der systematischen Marginalisierung. Binär einteilen bedeutet nicht nur Mann oder Frau, männlich oder weiblich, sondern auch „homosexuell oder heterosexuell“, „cisgender oder transgender“ und sogar „queer oder nicht queer“.14 Meg-John Barker und Julia Scheele erläutern in ihrem Buch über die queere Geschichte: “Queer theory, like all of us, has no fixed identity and multiple – contradictory – origin stories, rather than any one linear narrative.

Like us it’s plural rather than singular, in flux rather than static.”15 Unsere Untersuchung der Queer Spaces liegt somit in der komplexen Schnittstelle zwischen architektonischer Soziologie, Gender Forschung und Queer Studies.

13 14 15 16 17

vgl. Barker; Scheele, 2016, S. 182 edb.

Barker und Scheele, S. 177 vgl. Frank, 2009, S.254 ebd.

Hier herrscht aktuell noch ein Mangel an Publikationen.

Im nicht universitären Kontext spielen Forenbeiträge und Erlebnisberichte eine wichtige Rolle, um Gleichgesinnte zu finden und sich mit ihnen auszutauschen zu können.

Ansonsten sind lediglich im Bereich der grauen Literatur Tendenzen zu einem wachsenden Interesse an Queer Spaces zu erkennen.

Für eine architektonische Betrachtung der Queer Spaces wird sich an verschiedenen theorethischen Ansätzen orientiert, welche auf räumliche Komponenten übertragen wird.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es sich bei feministischer Forschung und den aus ihr entstandenen Disziplinen immer um radikal kritische wissenschaftliche und politische Projekte

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handelt.16 Durch sie wurde ,Geschlecht‘ als eine historisch-dynamische, wandelbare soziokulturelle Kategorie konzipiert.“17 Solche Unterfangen sind maßgeblich verantwortlich für die stetige Verbesserung verschiedenener Bedingungen in der Gesellschaft.

3. Hauptteil 3.1. Terminologien im Feld der Queer Studies und Historie von Vorreiterbewegungen Vor einem tieferen Abstieg in die Thematik der Queer Spaces und der Untersuchung einzelner räumlicher und soziologischen Aspekte, ist es notwendig, einige Begriffe vorab zu definieren, da es aktuell keine übergreifende Autorität gibt, die diese reguliert. Dabei muss man auch auf die Etymologie der Wörter eingehen, weil viele der gängigen Benennungen und Akronyme dem englischen Sprachraum entstammen. Somit hat die Entwicklung dieser Begriffe zusätzliche Bedeutungen. Sprache ist vor allem im akademischen Rahmen von Bedeutung, um die Präzision und Richtigkeit von Informationen zu sichern.

Wenn man über Themen der Sexualität und Geschlechteridentität spricht, ist akkurate

Wortwahl ein Mittel, Gleichstellung und Respekt vor Minderheiten zu kommunizieren. Werden Ausdrucksweisen misachtet und politisch unkorrekte Bezeichnungen verwendet, so ist dies eine Form Beleidigung oder sogar Diskriminierung.

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3.1.1.

Terminologie und Etymologie relevanter Begriffe

Anhand des Wortes „Gender“ kann man die Notwendigkeit fremder Begriffe hervorragend beobachten, vor allem wenn man neue Themen etablieren will. Bis in die 1970er Jahre war die Bezeichnung „Gender“ nur ein Fremdwort.

Dank der feministischen Bewegung und späteren Queer Theories, etablierte es sich zu einem Terminus, mit Hilfe dessen Personen die Möglichkeit bekommen, ihre Identität präziser zu definieren.

Gender beschreibt, im Unterschied zum biologisch bezogenen Wort „Geschlecht“, die „Geschlechtsidentität“ des Menschen als soziale Kategorie (z. B. im Hinblick auf seine Selbstwahrnehmung, sein Selbstwertgefühl oder sein Rollenverhalten)18. Die Relevanz des Begriffes steigerte sich, mit zunehmender

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Sichtbarkeit der transgender dieser Hinsicht keine vertretund transsexual Community, bare Formulierung, weil sie Ende der 1990er Jahre.19 davon ausgeht, dass es einen erstrebenswerten Standard In der Auseinandersetzung gibt, nach dem sich alle Menmit Fragen nach Geschlech- schen richten sollten. Diese terrollen und der sexuellen Denkweise ist nicht nur moraIdentität, entstand auch der lisch fragwürdig, sondern Bedarf nach einem Wort für auch sehr gefährlich, da sie die bislang als „normal“ gel- einen Nährboden für Gewalt tende Mehrheit der Gesell- gegen queere Menschen und schaft. So führte der Sexu- sogar Menschen mit Behindealwissenschaftler Volkmar rungen bietet.

Sigusch Ausdrücke wie „Zissexuelle“ und „Cisgender“ ein In dieser Arbeit wird, wie und schuf damit eine präzise im Titel bereits erwähnt, vor Bezeichnung für Personen, allem der Begriff „Queer“ verderen Körpergeschlecht und wendet. Dieser gilt heutzuGeschlechtsidentität natürli- tage als etablierter Überbecherweise zusammenfallen.20 griff für die Bezeichnung von Diese Begriffe spielen deshalb Angehörigen der LQBTQIA+ eine wichtige Rolle, weil man Community. Das sind Menohne sie dazu neigen würde, schen, die sich in ihrer sexuals Gegenteil zu einer Trans- ellen Orientierung und/oder person die Bezeichnung „nor- Geschlechtsidentität nicht in male Person“ zu benutzen. die zwei cisgender und die Durch seine inhärente Subjek- heterosexuellen Geschlechtivität ist das Wort „normal“ in ter von „Mann“ und „Frau“

https://www.duden.de <09.12.2021> [Gender] vgl. Agarwal, 01.05.2018 Sigusch, Sexualitäten, S.244.

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einteilen lassen. Dieses Wort wurde im deutschen Sprachgebrauch übernommen und hat als Fremdwort auch keine anderen Konnotationen.

Allerdings muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass „queer“ ähnlich wie beim deutschen Wort „schwul“ sehr lange als abwertender Begriff benutzt wurde, um Homosexuelle und Transsexuelle zu beleidigen und auszuschließen.21 „Queer“ hatte ursprünglich die Bedeutung von „seltsam“ oder „komisch“ und wurde von der homosexuellen, bisexuellen und transgender Gemeinschaft adoptiert.22 Im Zuge der Pride Bewegung, mit der Intention LGBT Personen sichtbarer zu machen und auf die Diskriminierung gegen sie aufmerksam zu machen,sowie diese abzubauen, hat das Wort „queer“ nach

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und nach an seiner negativen Deutung verloren und wird nun als stolze Bezeichnung für Personen, die sich nicht mit heteronormativen Gesellschaftsmodellen identifizieren, genutzt.

Gemeinschaft.23 Dies hat den Hintergrund, dass sie durch ihre unauffälligen Phänotypen in einer heteronormativen Gesellschaft nicht auf den ersten Blick wahrgenommen werden.

Das Akronym L.G.B.T. (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) wurde seit Ender der 1990er bis etwa Mitte der 2010er Jahre als Überbegriff für die queer Community gängig verwendet. Je mehr Menschen, insbesondere berühmte Persönlichkeiten, sich über ihre Sexualität und Geschlechtsidentität outen, desto klarer wird es, dass das Genderspektrum noch viel breiter ist, als die vier Bezeichnungen dieser Abkürzung vermuten lassen.

Intersexuelle und Asexuelle sind beispielsweise auch ein großer, bislang eher unterrepräsentierter Bestandteil der

Das Wort „queer“ ist auch für die Personen passend, die keine allzu persönliche Informationen teilen wollen, oder sich in ihrer sexuellen Identität noch unsicher sind.

Es ist eine Andeutung darauf, dass man sich außerhalb des heteronormativen Bereichs bewegt, ohne dass eine nähere Definition von Nöten ist oder private Informationen preisgegeben werden.

So entstand eine Weiterentwicklung zur Abkürzung LGBT/Q und etwas später zum Akronym LGBTQIA+.

Ersteres deutet auf die komplexe Geschichte von queeren Personen24 hin und der

Kühne, 28.07.2017 Permann, „How the word ‘queer’ was adopted by the LGBTQ community“.

O‘Donnell, 13.11.2021 Loist, „Queer Film Culture: Performative Aspects of LGBT/Q Film Festivals“ S.56.

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Schrägstrich hebt das Wort „Queer“ als Überbegriff für die Community hervor, wobei Letzteres durch die Buchstaben „I“ für Intersex und „A“ für Asexual inklusiver ist. Das „+“ Zeichen ist hierbei von zentraler Bedeutung, weil es auf die Vielfalt weiterer Orientierungen und Identitäten aufmerksam macht.

Relevante Beispiele hierfür sind non-binäre Personen, also diejenigen, die das Konstrukt von den zwei Geschlechtern komplett ablehnen oder sich damit nicht identifizieren können oder wollen. Hinzu kommen auch gender-fluide Personen, diese implizieren, dass Geschlecht ein fließender Begriff ist, der sich ähnlich wie beispielsweise Emotionen, von Tag zu Tag ändern kann.

Im Lichte dieser Information ist es erwähnenswert, dass sich zunehmend mehr Leute als pansexuell identifizieren und outen, welches eine sexuelle Orientierung bezeichnet, bei der das Begehren oder Lieben einer Person unabhängig vom Geschlecht oder Gender vorkommt. Im Gegensatz zu bisexuellen Personen, bei denen das binäre Geschlecht von mehr Bedeutung ist.

Der präferierte Begriff für diese Arbeit ist vor allem die Bezeichnung „queer“ als inklusiver Begriff für alle Personen, die der LGBTQIA+ Community angehörig sind.

Wenn man in einem anderen Kontext über diese Community spricht, würde man hiermit auch cisgender und heterosexuelle Personen, die sich in

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ihrer Handlung und Haltung für Rechte der LGBTQIA+ Personen durchsetzen, einschließen. Diese werden gängiger auch als „Allies“ oder „Verbündete“ bezeichnet. Jedoch werden zu Zwecken einer differenzierten Analyse die Allies vorerst vernachlässigt, da sie in der Entwicklung von Queer Spaces nur vereinzelt wichtige Rollen spielen.

3.1.2.

Problematik einer geschlechtsspezifisch gebauten Umwelt

Leider passiert es nicht selten, dass queere Menschen in ihrer biologischen Familie keine Akzeptanz und Unterstützung im Outing-Prozess finden.

Für diese bietet sich in Queer Communities die Möglichkeit, eine neue Familie zu schaffen, die sogenannte „Chosen Family“. Die Treffpunkte dieser Gemeinschaften sind in der Lage das dringende Verlangen nach einem Ort der Geborgenheit, nach einem Safe Space zu befriedigen.

Die Forschungslücke und die eher subkulturelle Existenz dieser zwischenmenschlich essenziellen Begegnungsorte wirft die Frage auf, wie es zu Räumen kommt, die für die heteronormative Gesellschaft nahezu unsichtbar sind und selbst im wissenschaftlichen Diskurs kaum beleuchtet werden, obwohl sie für bestimmte

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Mitglieder der Gesellschaft so Hierarchie von Arbeitsbezieviel Positives mit sich bringen. hungen und in emotionalen Beziehungsverhältnissen.

Die Ursache kann in den sozio- In all diesen Gesellschaftskulturellen Zusammenhängen bereichen setzt sich tendender männlichen Hegemonie ziell, egal ob bewusst oder ergründet werden. Der Begriff unbewusst, männliche Macht Hegemonie stammt aus dem durch.

Griechischen und beschreibt Dabei sichert dieses Konstrukt einerseits die „Vorherrschaft“ nicht nur die soziale Domioder „Vormachtstellung, die nanz von Männern gegenüber ein Staat gegenüber einem Frauen, sondern auch hieraroder mehreren Staaten chisch unter Männern. In einer besitzt“ oder andererseits heterosexuell ausgerichteten „ihre faktische Überlegenheit Gesellschaft werden homopolitischer, wirtschaftlicher sexuelle Männer26 marginalioder ähnlicher Art“25. siert, ebenso wie schwarze Das Konzept dieser Art der Männer in einer überwiegend Dominanz übertrug die Sozio- weißen Bevölkerung. login Raewyn Conell auf die Aus dieser kulturgenetisch gesellschaftliche Praxis und in eingeschriebenen, kompliden wissenschaftlichen Dis- zenhaften Haltung der Männkurs. Nach ihrem Verständnis lichkeit entsteht ein allgemeikann das Patriarchat auf eine ner Vorteil, die sogenannte flexible Dominanzstruktur in „patriarchale Dividende“, von drei Ebenen heruntergebro- der alle Männer, insbesondere chen werden: In politische weiße Cismänner profitieren.

Machtverhältnisse, in die 27 28

https://www.duden.de <09.12.2021> [Hegemonie] Connell, 1987. S. 186 https://www.gwi-boell.de/de/2010/06/02/hegemoniale-m%C3%A4nnlichkeit. <04.01.2021> vgl. ebd.

16

„Wo normal draufsteht, ist männlich drinnen.“29

Daraus kann man die These ableiten, dass weder unsere Städte noch unser Wohnraum gendergerecht sind, sondern so konzipiert, dass sie, ebenfalls teils bewusst, teils unbewusst, dieses Machtpotenzial und die männliche Vorherrschaft aufrechterhalten.

Anita Zieher propagiert in ihrem Buch „Auf Frauen bauen“ für frauengerechtes Planen und Bauen.

Es wird erläutert, dass die Theorien des Städtebaus und der Stadtsoziologie neutral formuliert seien und demnach unterschiedliche Nutzerinnengruppen verschweigen.30 In der Entwicklung der Städte und des Wohnraums, wie wir sie heute kennen, wurden immer Annahmen und Normen zugrunde gelegt, welche hauptsächlich auf die männlichen Sicht- und Lebensweisen angepasst waren.

29 30 31 32 33

Zieher und Schreiber, 1999, S.32 ebd. vgl. ebd. S 53 vgl. ebd. S. 33 ebd, S:9

Damit birgt der gebaute Raum geschlechtsspezifische Auswirkungen auf die Lebensrealitäten der Menschen. Beispielsweise hat der Wohnraum mit innewohnenden geschlechtsspezifische Raumbedingungen, oftmals direkte Auswirkungen auf die Rollenverteilung oder die Aufteilung häuslicher Arbeit.31 Erst durch die Integration von Frauen in planerische Prozesse, das Aufzeigen ihrer konkreten Bedürfnisse und die Komplexität ihrer Erlebniswelten, konnten traditionelle Lebens- und Wohnweisen aufgebrochen werden.32 Schließlich setzt „erst die Thematisierung (…) eines Ungleichgewichts einen Perspektiven-wechsel in Gang“33.

Die Chancen für die Auseinandersetzung mit räumlichen Gegebenheiten, das Hinterfragen ihrer Nutzung

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und das Entdecken von Veränderungspotenzialen, sind vielversprechend.

Denn richtig eingesetzt, kann Architektur zum Katalysator für weiterführende gesellschaftliche Prozesse werden und zu positiven Veränderungen in der Gemeinschaft beitragen.

Diese Vorgehensweise könnte auch den Queer Spaces zu Gute kommen, denn durch die Einbindung queerer Menschen in Planungsprozesse, könnten ihre Orte sichtbarer in der Gesellschaft werden.

Diese physische Präsenz kann mehr Begegnungen mit der LGBTQIA+ Community und folglich mehr Toleranz schaffen.

3.1.3.

Feministische Architektur und Gender Studies als Vorreiter einer Queer Revolution

An Exemplaren feministischer Architekturbewegungen beziehungsweise durch sie hervorgerufene Umstrukturierungen, kann man die potenzielle Veränderungskraft aktivistischer Bemühungen gut erkennen.

Im Folgenden werden zwei konkrete Beispiele erläutert, durch deren aktivistische Impulse eine positive Veränderung in Lebenswelten vieler Menschen stattgefunden hat.

Anhand der Küche kann der Wandel der Bedeutung häuslicher Arbeit, ihr Stellenwert und die Nutzungsdynamik gut abgelesen werden.

Mit dem Entwurf der Frankfurter Küche gelang es Margarete Schütte-Lihotzky 1926 das „notwendige Übel der Haus- und Küchenarbeit für die (berufstätige) Frau so gut wie möglich zu reduzieren“34.

Mithilfe zahlreicher Analysen

34 35

von Bewegungsabläufen, optimierte sie den Ort, an dem gut die Hälfte Häuslicher Arbeit anfällt, um sie möglichst effizient zu gestallten. Obwohl das modulare System gut in den Zeitgeist von Automatisierung und Rationalisierung passte, stieß es auch auf viel Kritik. Einige sahen darin „eine Verbannung ihres Arbeitsfeldes aus dem Wohnbereich“35, oder einen Verlust von Individualität innerhalb ihrer eigenen vier Wände.

Die Kritik wurde berücksichtigt und der Wunsch nach Küchen als kommunikative Zonen im Mittelpunkt des häuslichen Lebens, wird heutzutage häufig durch großzügige Wohn- und Kochbereiche erfüllt.

Die Hinterfragung, Feedback und Alternativvorschläge von Hausfrauen und Architektinnen, trugen dazu bei, dass

Zieher und Schreiber, 1999, S. 56 ebd.

18

eine individuelle angepasste Einrichtung und Gestaltung der Küchenarchitektur heute als selbstverständlich angesehen ist.

Anknüpfend an die Gründung der Frauenuniversitäten im Zuge der bereits erwähnten Neuen Frauenbewegung, versammelten sich im Privaten Frauen, um ihre Erfahrungen und Probleme miteinander auszutauschen.

Jedes Treffen hatte ein übergeordnetes Thema, zu dem alle Teilnehmende zunächst sich selbst und anschließend ihre Sichtweise oder ihren Bezug zu vorher bestimmtem Gegenstand vorstellen konnte. „Diskutiert wurde unter anderem die Rolle der Frau, die an sie gerichteten Erwartungen, wie z.B. die generelle Verfügbarkeit des Mannes über die weibliche Sexualität und die Benachteiligungen in

struktureller und individueller Hinsicht durch die Gesellschaft, sowie die Gewalt gegen Frauen.“36 An die persönliche Vorstellung, schloss ein Austausch an, hier wurden die Erfahrungen mit den Erlebnissen anderer in der Gruppe abgeglichen, Analysen oder Abstrahierungen erstellt und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Unter dem Motto, dass „keine Erfahrung zu persönlich sei, als dass sie nicht auch die Erfahrung vieler anderer und die gesellschaftliche Vermittlung deutlich machen könnte“37, können diese Selbsterfahrungsgruppen als wichtige Emanzipationsarbeit gelesen werden.

Institutionalisierte Strukturen der Erwachsenenbildung, zunächst Frauenzentren und Frauenverbände, später auch gewerkschaftliche oder politische Bildungsträger, übernahmen die die Idee und boten

36 37 38

ähnliche Programme an.38 Eigeninitiierte Hilfsprogramme oder Bemühungen zur gegenseitigen Unterstützung aus Nächstenliebe und Fürsorge, haben demnach das Potential, aus privaten Aktionen in große institutionelle Angebote umgesetzt zu werden und eine größere Reichweite zu erlangen.

als transdisziplinäres Projekt für stetige Weiterbildung und Aufklärung, auch außerhalb aktivistischer Kreise.

Durch die Überschneidungen ihrer Bereiche, den daraus entstandenen Austausch und die Nutzung gemeinsamer Ressourcen, verstärken sie ihre Veränderungskraft gegenseitig.

Vergleicht und betrachtet man Auffassungen und Werte feministischer Ideologien und die der LGBTQIA+ Community sind viele Parallelen zu erkennen. Vieler ihrer Gemeinsamkeiten beruhen auf einer ähnlichen Basis der Ungerechtigkeit, gegen die ihr Aktivismus ankämpft. An den Mechanismen, die feministischen Bemühungen zum Erfolg gebracht haben, kann sich die Queere Gemeinschaft ein Vorbild nehmen.

Die Genderstudies sorgen

Das größte Ziel einer Queer Revolution wäre der Verlust von Labels. Dass alle die Kategorien, männlich, weiblich, divers, cis oder queer, farbig, gläubig, irgendwann keine Rolle mehr spielen müssen.

In dieser toleranten Gesellschaft zählt nicht die Anpassungsfähigkeit des Individuums an bürgerliche Normen, sondern seine vielfältigen Charakteristika.

Die genannte Wunschvorstellung ist sehr idealistisch und in

https://profession-politischebildung.de/grundlagen/geschichte/frauenbewegung/ <7.12.2021> ebd. vg. ebd.

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weiter Ferne. Bis dahin ist der Diskurs um diese Lables, ihre Ausdifferenzierung essenziell, besonders für Einzelne auf der Suche nach Identität.

Diese vielseitigen Auseinandersetzungen und eine rege Beteiligung durch Wisschenschaft, Aktivist:innen und vielen weiteren verschiedenen Gruppen bietet eine Grundlage für eine Queer Revolution, um die Gesellschaft von Geschlechterklischees und Vorurteilen zu lösen.

Abb. 2 Bild von der ersten Pride Parade (Christopher Street Day) in New York

20

3.1. Queer Spaces und das Queering von Architektur 3.2.1.

Entstehungsdynamiken von queeren Räumen

„The need for secrecy is deeply rooted in the history of queer spaces which, as a matter of survival, needed to be adaptable, ephemeral, and anonymous. The act of coming to terms with one’s identity and letting go of masks and a shadowed life, in order to live brightly, flamboyantly, and unapologetically with people who share similar struggles, is at the core of queer mythologies, and remains radical, even dangerous.“39

Das vorangegangene Zitat aus einem Artikel von Elio Choquette erfasst die Entwicklung der Queer Spaces in westlichen Ländern seit dem 20. Jahrhundert. Zuerst handelte es sich um ein geheimes Netzwerk von Veranstaltungsorten, Bars und Clubs, welches in den Schattenseiten vieler Metropolen, wie subkulturelle Unterwelten, gewachsen sind.

Wann und wie diese Welten

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ans Licht, beziehungsweise in das öffentliche Bewusstsein traten, ist von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren stark abhängig. Die im Folgenden beschriebene, simultan ablaufenden Ereignisse in der Geschichte, haben den Startschuss einer queer Revolution gesetzt. Wie jede Revolution ist auch diese von Mut, Zusammenkommen, Befreiung, aber auch von Gewalt und Leid geprägt.

Im Folgenden Kapitel der Arbeit werden einige dieser Ereignisse exemplarisch mit ihren Hintergründen und Folgen erläutert, um ein besseres Verständnis für die Entstehungsdynamiken queerer Räume und deren Besonderheiten zu erlangen.

Community entstand. Sie repräsentieren die damals am häufigsten marginalisierte Gruppe von Menschen aufgrund der zahlreichen homophobischen und transphobischen Gesetzten42, aber auch durch den noch stark verbreiteten Rassismus in allen Gesellschaftsschichten.

Inspiriert von Standardtanzwettbewerben (englisch „ballroom dance“), wurden Veranstaltungen (sogenannte „Balls“) in geschlossener Gemeinschaft organisiert, bei denen für Trophäen in verschiedenen Kategorien konkurriert wurde.43 Kategorien wie „executive woman realness“ oder „european runway“ waren für queere Personen damals und vor allem für QTBIPOC AngehöriEnde der 1970er Jahre ent- ge die einzige Möglichkeit, ihr wickelte sich in New York eine Potenzial zu zeigen und sich einzigartige Subkultur40, die eine Gesellschaftsrolle, die vor allem durch der QTBIPOC41 ihnen nicht zugänglich war,

Choquette, https://www.thesitemagazine.com/ [queering-architecture] <12.01.2022> https://www.hyperkulturell.de/ [ballroom culture] <14.01.2022> QTBIPOC : Queer, Trans, Black, Indigenous, and People Of Colour https://www.hyperkulturell.de/ [ballroom culture] <14.01.2022> ebd.

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anzueignen.44 Erfahrene Mitglieder:innen der Szene beginnen, jüngere Mitglieder:innen zu betreuen und ihnen sogar die Unterkunft zu sichern, damit sie in deren Namen bei den Balls teilnehmen können.

So entstanden die ersten sogenannten „Houses“, die sich oft Namen von globalen Modehäusern angeeignet haben. Obwohl die Häuser heutzutage vor allem als Tanzgruppen, Kunst- oder Modelagenturen verstanden werden, waren sie in ihrem Ursprung der Ausdruck eines Safe Spaces.45 Da die Hausgründer:innen die traditionelle Rolle der Eltern übernahmen und dementsprechend agiert haben, konnten sie auch einen gewissen Einfluss auf die Lebensentscheidungen ihrer „Kinder“ haben und vorbeugen, dass sie über strafbare

44 45 46 47 48

Tätigkeiten wie Prostitution und Drogenhandel ihren Unterhalt verdienen.46 Die gebildeten Gemeinschaften brechen das traditionelle Familienbild und herkömmliche Wohn- und Lebenskonstellationen auf. Die Entscheidung für das Leben in einer solchen Interessensgruppe und der daraus entstandene Zusammenhalt in der Community sind ein guter Beweis dafür, dass Lebensgemeinschaften außerhalb der heteronormativen Konstellationen langlebig funktionieren.47 Auch wenn die Houses zunächst im Untergrund entstanden, kann man den gegenseitigen Rückhalt und das Bündeln ihrer Kräfte und Forderungen in späteren öffentlichen Auseinandersetzungen erkennen.

Schwule Gäste waren in den

edb.

Livingston, 1990 https://www.hyperkulturell.de/ [ballroom culture] <14.01.2022>.

Livingston, 1990 https://www.aclu.org/ [sodomy lawys] <15.01.2022>

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Bars und Restaurants der letzten Jahrhundertmitte in den USA nicht erlaubt. Zwar war die Ausgabe von Getränken und Essen an Homosexuelle erlaubt, das publike Austauschen von Nähe und Zärtlichkeiten stand jedoch unter Strafe.48 Transgender und transsexuelle Personen, waren in regulären Restaurants und Lokalen nicht willkommen. Die Mafia sah ein lukratives Geschäft in der Billigung homosexuellen Klientels und kontrollierte ab der Mitte der 60er Jahre einen Großteil der Gay-Bars in New York.

Trotz interner Abmachungen und Bestechungen zwischen Polizei und Maffia kam es immer wieder zu Razzien und Schikanen durch die Gesetzeshüter in besagten Lokalitäten. Dies löste stetig steigend Frustration und Ärger bei den betroffenen Diskriminierten

LGBTQIA+ und QTBIOP Per- sechs Tage langen Auseinansonen und den Betreibenden dersetzungen und Aufstände solcher Wirtschaften aus. in der Christopher Street und dem anliegenden Christopher Am frühen Morgen des 28. Park. 49 Juni 1969 begann die New Frühere Bemühungen im Yorker Polizei eine grobe Sinne der Gay Rights MoveDurchsuchungsaktion im ments spielten sich eher im Stonewall Inn in der Christo- Verborgenen ab. Doch die pher Street. Das Stonewall Inn Lautstärke und Radikalität genoss einen guten Ruf in der der Stonewall Riots und die Community, da der Eintritt Berichterstattung darüber, recht günstig war und Drag- generierte Momentum und queens der Zutritt gewährt erlaubte es den Aufständen, wurde, was in wenigen dieser auch außerhalb der Stadt für Lokale der Fall war. Außerdem Aufregung zu sorgen. Durch durfte hier ebenfalls unübli- Proteste der LGBTQIA+ cherweise getanzt werden.

Anhänger wird der öffentliche Die aggressive Vorgehens- Raum angeeignet und somit weise bei der Razzia und zu einem temporär höchst Verhaftungen erzürnte die sichtbarem Queer Space.

Besucher:innen der Bar und Anwohner:innen der Gegend Die Ereignisse um die Christound eine ebenfalls gewaltsa- pher Street zählen bis heute mer Gegenwehr wurde unter- zu den bedeutendsten Fortnommen. schritten für LGBTQIA+ GleichFliegenden Flaschen und berechtigung und werden mit Straßenschlägereien folgten den jährlichen Pride Paraden

49 50

vgl. https://www.history.com/ [The Stonewall Riots] <13.01.2022>. ebd.

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zelebriert. Die farbenfrohen Straßenzüge mit geschmückten Fahrzeugen, aufwendigen Show- und Musikdarbietungen, Menschenmengen, Regenbogenflaggen, Travestie- Künstler:innen und Drag Queens, erregen auch die Aufmerksamkeit der breiten Bevölkerung.50 Nach den Ausschreitungen konnte Anfang der 70er Jahre weltweit ein erhöhtes Aufkommen an Organisationen im Sinne der Gay- und Lesbian- Rights- Movements erfasst werden. Nicht immer waren die erläuterten Proteste der Grund dafür, manche entstammten autonomer, parallel ablaufender Ereignisse. Man könnte diese als Trigger- Ereignisse bezeichnen: Aufstände, kulturelle Phänomene, neue Gesetze, Politika und weitere, welche die Gemeinsamkeit besitzen, dass

sie das Fass der Ungerechtigkeit zum Überlaufen gebracht haben. Die Empörung und der Widerstand dagegen, entwickelt katalysatorische Einflüsse und befeuern so den Kampf Queerer Communities.

Eine weitere Gemeinsamkeit kann das Resultat des Ausfechtens dieser „Kämpfe“ sein, nämlich die Entdeckung eines neuen Selbstbewusstseins und die Gewissheit, dass man sich bei Bemühungen im Streben um gesellschaftliche Anerkennung nicht verstecken muss.

Aktionsgruppen gesorgt.51 In dem Film wird die Lebensrealität eines jungen homosexuellen Mannes beleuchtet und auch die teils toxische Subkultur, in der er sich bewegt, kritisch hinterfragt.52 Der Protagonist des Filmes erlangt nach problematischen Erfahrungen in der Szene die Erkenntnis, dass es seine Aufgabe sei, „sich als emanzipierter Schwuler zu seinem Schwulsein zu benennen“ und wird animiert „sich politisch zu organisieren und gemeinsam mit anderen Schwulen über menschliche In Westdeutschland war der Formen des ZusammenleSkandal um einen Film ein bens nachzudenken“53. solches Trigger Ereignis. 1970 hat Rosa von Praunheims Die Existenzen vulnerabler „Nicht der Homosexuelle ist Gruppen, welche viel Ablehpervers, sondern die Situati- nung erfahren, gehen oftmals on, in der er lebt“ vor, bei und mit weiterführenden Problenach der Ausstrahlung für men einher. In dieser Arbeit Kritik, Diskussion und in den wurde darauf hingewiesen, Nachwirkungen für politische dass Queer Spaces oftmals

51 52 53

vgl. Kaschel, 28.06.2012 von Praunhaim, 1970. http://www.rosavonpraunheim.de/ [Rosa Filme] <14.01.2021>

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Zufluchtsorte darstellen und ein Sicherheitsgefühl suggerieren, da dieses Ortes zumindest die Diskriminierung aufgrund der queeren Identität ausbleibt. Gleichzeitig können es hingegen auch Orte sein, an denen, oft resultierend aus bereits genannten Traumata, toxische Verhältnisse herrschen, wie Drogenmissbrauch, körperliche Gewalt oder sexuelle Ausbeutung verschiedener Art. Die Thematisierung der damals von vielen als obszön gewerteten Inhalten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wurden als Skandal empfunden.

Für die LGBT Szene im deutschsprachigen Raum, gilt er heute als einer der ausschlaggebenden Momente in der Entwicklung der Schwulenszene. Auf internationaler Ebene gilt der Doku-

mentarfilm „Paris is Burning“ von 1990 als erster wichtiger Schritt zur Beleuchtung der QTBIPOC Community im New York der 1950er bis 1990er Jahre. Die weit über die queere Community hinaus gefeierte Verfilmung, generierte einen Impuls für die Öffnung der Mainstreamkultur gegenüber solch neuer Inhalte.54 Für Menschen, die sich ihrer Identität noch unsicher sind, kann die mediale Beleuchtung alternativer Lebensrealitäten eine große Stütze sein.

Heutzutage haben Serien wie „Queer-Eye“ oder „Drag Race“ Kultstatus und Beliebtheit bei einem Querschnitt der Gesellschaft erlangt.

In diesem Sinne kann man ableiten, dass auch mediale Räume als queer Spaces bezeichnet werden können.

Wenn in ihnen „Raum“ für das Aufzeigen gesellschaftlicher Missstände gegeben wird, sie

54

genug Anklang finden, haben sie auch Einflüsse auf das reale Leben.

Das temporäre Stattfinden der Pride Paraden und die zeitlich begrenzte Aneignung eines öffentlichen Raumes steht in Kontrast zu den neu entstandenen Gebäuden für LGBTQIA+ Personen.

Der Zusammenschluss von Organisationen ermöglichte die Eröffnung von Gemeinschaftszentren, die sich für Rechte und Unterstützung queerer Menschen auf politischer Ebene engagieren konnten. Das LGBT Community Center in San Francisco mit seiner kräftig lila gestrichenen Fassade ist ein repräsentativer Ausdruck von queeren Pride Haltung in Form einer permanenten, gebauten Struktur.

Ein ähnliches Beispiel in Europa ist die Türkis Rosa Lila Villa in Wien, welche in den

https://taz.de/[Ballroom Culture im Berliner HAU]

25

späten 1970er Jahre gegründet wurde.

Solche Zentren sind nicht nur politisch aktive Akteure, sondern auch Zufluchtsorte für junge LGBTQIA+ Angehörige, die sich in schwierigen Lagen befinden. Sie bieten Unterkunftsmöglichkeiten und Unterstützung bei der Jobund Wohnungssuche.

Aus dieser Hinsicht können sie als eine Weiterentwicklung der New Yorker Houses gesehen werden, welche die Rolle der familiären Struktur in Vergangenheit und teilweise auch noch heute übernehmen.

Es ist gut zu erkennen, dass Queer Spaces auf verschiedenen Ebenen zu finden sind.

Die Gemeinsamkeiten liegen in der Ausgangssituation geprägt von Diskriminierung und führt über Mechanismen wie Transformation und Aneignung zu einem gesteigerten Selbstwertgefühl und Repräsentation in der Öffentlichkeit. Diese Eigenschaften werden im folgenden Kapitel näher erklärt.

Abb. 3 Das Standbild aus dem Dokumentarfilm „Paris is Burning“ zeigt die Besetzung eines verlassenen Schultheaters durch die QTBIPOC Community bei einer Ballroom Veranstaltung.

26

3.2.2.

Aneignung und das Queering in der Architektur

Aus den vorherigen historischen Beobachtungen wurden Queer Spaces, bis auf wenige Exemplare, nicht durch klassische architektonische Planung erschaffen.

Es könnte behauptet werden, dass die Strukturen,vor allemdurch Aneignung entstanden sind.

Ihre Eigenschaften werden je nach Zeitpunkt in der Geschichte, durch äußerliche Zwänge und durch die Besetzer:innen bestimmt.

Queere Communities sind in der Vergangenheit am Rande der Gesellschaft zusammengekommen. Dabei nutzten sie oftmals verlassenen Ecken, mussten sich mit den UnOrten einer heteronormativen Gesellschaft zufriedengeben.

Erst durch queere Präsenz wurden solche vergessenen und negativ konnotierten Orte transformiert um später

55 56 57 58

als Inseln der Farbe, der Hoffnung und der Gemeinschaft wahrgenommen zu werden.

Die New Yorker Gay-Bars des späten 20. Jahrhunderts galten als abartige und gefährliche Orte, aber heute schätzt man sie als Pfeiler der Bewegung für Gleichberechtigung und Menschenrechte.

Das Filmzentrum in Manila, was unter dem Diktator Ferdinand Marcos circa 1980 erbaut wurde, ist aufgrund diverser Unfälle und negativer Presse Jahrzehnte lang verlassen gewesen.55 Erst im Jahr 2001 wurde dieses durch eine koreanische TravestitenenShow neu aktiviert. 56 Die neue Funktion steht im starken Kontrast zu dessen brutalistischen Aussehen und grausamen Geschichte. In diesem Fall ist zu beobachten, wie eine Gemeinschaft von queeren Dasteller:innen sich

mit ihrer Kunst einen ungewollten Raum mit enormer Negativbelastung angeeignet haben und diesen transformiert haben.

Der Prozess der Transformierung bezüglich Queer Spaces wurde seit der 2000er Jahre in unterschiedlichen Texten auch als „Queering“ bezeichnet. Elio Choquette beschreibt in dem Artikel „Queering Architecture: (Un) making Places“ den Unterschied zwischen einem Queer Space und einem „queered“ Space. Ersteres ist „ein Raum, der von queeren und marginalisierten Menschen besetzt ist“57 und Letzteres ist „ein Raum, der auf den Status quo, auf die normativen Standards der Gesellschaft reagiert“ ein Kapitel der Queer-Bewegung, das sich speziell an die Architektur richtet.“58

vgl. Benedicto, 2013, S. 26–27 ebd. übersetzt aus Choquette, https://www.thesitemagazine.com/[queering-architecture] <12.01.2022> ebd.

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Der Begriff „queering“ hat seinen Ursprung in der Queer Theorie und ist die Kurzform von „queer reading“. Dies bezeichnet, nicht zu verwechseln mit dem deutschen querlesen, das Lesen eines Textes in einer bestimmten Weise, die ihn queer erscheinen lässt.59 Es ist die Methode durch die Queer Theoretiker:innen Gebilde kritisch untersuchen und mögliche gefährliche Folgen daraus schließen.

Hauptziel der Queer Studies ist es, Menschen vom binären Denken zu entfernen und Identität als Konstrukt zu hinterfragen.60 Queer ist so gesehen keine Eigenschaft, die eine Person definiert, sondern ein Form der Handlung.61 Dieses Thema wird vom amerikanischen Schriftsteller Michael Warner im Buch „The Trouble With Normal“ aus-

59 60 61 62

führlicher behandelt.

Merkmal von Queer Spaces ist die Abwesenheit von festen Eigenschaften und die ständige Offenheit für Veränderungen. „Indem sie kritisch und äußerst selbstbewusst bleiben, scheinen diese NichtOrte immer bereit zu sein, sich zu verbessern und neu zu definieren, selbst wenn dies zu ihrem eigenen Ende und ihrer Abschaffung führt.“62

Wenn man „queer“ als Verb oder das „Queering“ als Vorgehensweise versteht, bezeichnen diese den dekonstruktiven und radikalen Prozess im Sinne der Hinterfragung aller bestehender Normen. In diesem Zusammenhang ist es möglich zwei Formen des Queering zu unterscheiden: das Queering von Architektur (als räumliches Gebilde) und Eine weitere Form des Queedas Queering in der Architek- ring kann in dem breiten Kontur (als Fachrichtung). text der Architekturdisziplin auch an Bedeutung gewinDas Queering von Architektur nen: Queering in der Archiwürde in diesem Fall den Ent- tektur. Wie die queer theostehungsprozess eines Queer retische Ideologie beschreibt, Spaces beschreiben. befindet sich die Menschheit Angefangen bei der phy- in einem ständigen Wandel. sischen Besetzung, zur Sie ist geprägt von Pluralität Umwandlung in ein für quee- und muss immer bereit sein, re Menschen passenden sich anzupassen. Architektur Raum und unter Umstän- ist ein prägendes Element den sogar zur stufenweisen der menschlichen Erfahrung Auflösung. Ein wesentliches und hat den Anspruch, sich

vgl. Barker und Scheele, 2006, S. 292 vgl. Barker und Scheele, 2006, S. 45 vgl. Barker und Scheele, 2006, S.46 übersetzt aus Choquette, https://www.thesitemagazine.com/[queering-architecture] <12.01.2022>

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ihren Nutzern anzupassen.

Architekt:innen haben die Gelegenheit, durch kritisches Denken und radikale Handlung innovative und positive Fortschritte in der gebauten Umwelt zu erreichen. Das Queering in der Architektur ist in diesem Sinne mehr als eine analytische Methode, es ist eine Haltung und Philosophie, die Planer:innen dazu auffordert, bestehende Normen des Bauens und Planens zu ergründen.

Abb. 4 Das lange Zeit verlassene Filmzentrum in Manila, heute durch Nutzung für queere darstellende Künste reaktiviert.

29

4. Résumé

Ursprüngliches Ziel dieser Arbeit war es, eine möglichst zugängliche Schilderung von Eigenschaften, die queer Spaces verbindet und von nicht-queeren Räumen unterscheidet, zu erlangen. Es ist deutlich geworden, dass sich ein solches „Handbuch“ für dieses komplexe Thema nicht erstellen lässt und vielleicht auch, dass der Versuch es trotz der verwebten und äußerst komplizierten Historie zu erstellen, vielleicht auch falsch wäre. Natürlich lassen sich einzelne Merkmale und Motive immer wieder erkennen, aber die starre Festlegung dieser hätte den Verlust des essenziellen Charakters zur Folge.

Stattdessen wurden in dieser Arbeit Ansätze zum Verständnis von und zur Annäherung an queere Räume angerissen.

Die Diskussion über Queer Spaces bleibt in der Litera-

63 64

tur der Queer Studies verankert und kann nicht isoliert aus architektonischer Position thematisiert werden.

Bezieht man sich wieder auf die Definition von Raum als „komplexes Verfahren von Vernetzungen und Ausgrenzungen (…) als Überlagerung von kulturellen und sozialen Praktiken“63, wird verständlich, warum eine solche klare Abgrenzung nicht möglich ist.

Akzeptanz und Toleranz für die LGBTQIA+ erschwert. Die durch langzeitige Unterdrückung aufgebaute Frustration bei den betroffenen sexuellen Minderheiten, mündete in weltweiten Protesten, Demonstrationen und Aufständen und einer stetig steigenden Sichtbarkeit im öffentlichen Bewusstsein. Heutzutage ist gut erkennbar, dass die Queer Bewegung stufenweise den Raum auf zahlreichen Historisch gesehen haben sozialen Ebenen in Anspruch sich Queer Spaces, auf- nimmt: historisch, politisch, grund der gesetzlichen Lage, kulturell, medial und schlusabseits der heteronormativen sendlich räumlich.

Gesellschaft entwickelt. Die Geheimhaltung dieser Räume Bislang sind Queer Spaces hatte teilweise auch negati- durch Transformation und ve und toxische Konsequen- Aneignung eines bestehenzen für die Gemeinschaft. den, privaten oder öffentliDie unterbliebene oder erst chen Raumes entstanden. spät einsetzende gesetzliche Diese Art der Wandlung durch Gleichstellung von homose- queere Okkupation ist eins xueller Liebe und transgender der verbindenden SchlüsAuslebung, hat bis heute die selmerkmale, die beobach-

Nierhaus, 1999, S. 7 https://www.dw.com/de/stonewall-beginn-eines-globalen-aufbruchs/a-49328161. <14.01.22>

30

tet werden können. Bereits entstandene Organisationen für LGBTQIA+ Rechte mit permanenten Headquarters, verkörpern eine neue Form von Queer Spaces: ein sichtbarer, selbstbewusster Ort, der nicht weiterhin verdrängt werden will.

Wie und ob sich Queer Spaces zu einer eignen Architekturform oder Typologie entwickeln werden, ist in kommenden Jahren näher zu beobachten.

Dabei kann sich die Architekturforschung verschiedener Techniken der Queer Studies bedienen, insbesondere der des Queering.Dieser analytische Prozess kann zur Hilfe genommen werden, um in heteronormativen und binären Konstrukten auch bauliche Normen oder traditionelle Gegebenheiten kritisch zu hinterfragen.

65 66

Vorliegende Arbeit hat sich im Zusammenhang mit einem architektonischen Entwurfsprojekt entwickelt.

In Venedig verortet, behandelt es die kritische Menschenrechtslage auf lokaler und nationaler Ebene.

Ansatzpunkt war die sich tendenziell verschlechternde Menschenrechtslage, insbesondere in Bezug auf die LGBTQIA+ Community, trotz verbesserter Präsenz in Stadtbild und Medien.

Obwohl es „viel mehr TransAktivismus als noch vor 20 Jahren“64 gibt, berichtet die International Lesbian Gay Association in Europa (ILGA Europe) von sinkenden Fortschritten in den letzten Jahren. „Leider sehen wir in diesem Jahr in immer mehr Ländern konkrete Anzeichen für einen Rückschritt auf politischer und legislativer Ebene“65 behauptet die ILGA Direktorin

in einer Presseerklärung von 2019. In dem Jahresbericht derselben Organisation zeigen Ergebnisse der LGBTI II Survey, dass sich 6% mehr Personen aufgrund ihrer Sexualität und Geschlechtsidentität diskriminiert fühlen als noch vor 9 Jahren.66 Diese rückschrittliche Entwicklungen wurden als Ausgangspunkt für den Entwurf und die wissenschaftliche Arbeit bestimmt.

Zentrale Erkenntnisse über Sichtbarkeit, Selbstbewusstsein, Aneignung und Transformation fließen in den Entwurfsprozess mit ein und bereichern ihn. Obwohl das Projekt den übergreifenden Kampf für Menschrechte durch Aktivismus thematisiert, ist die queere Revolution ein fester Bestandteil dessen.

https://ilga-europe.org/resources/news/latest-news/ilga-europes-10th-annual-review-shows-result-unprecedented-events-2020 <10.11.2021> ILGA Europe, 2021, S.10

31

Im Rahmen einer tieferen Ausarbeitung und Untersuchung der Queer Spaces, sind weiterführende Studien der Queer Studies ratsam. Die weitreichenden, teils philosophischen Texte mit dem Ziel der Befreiung von heteronormativen Konstrukten, bergen das Potential, auch das Architekturverständnis erweitern zu können.

Zusätzlich empfiehlt sich eine systematische Analyse von relevanten Bauwerken aus der Queering Perspektive. Die einzigartigen Entstehungshintergründe und Ausprägungen von queeren Räumen verlangen eine zur traditionellen Architekturbetrachtung differenzierte Herangehensweise. Durch eine Etablierung des Queering Prinzips in der architekturtheoretischen Betrachtung könnte man wertvolle Einblic-

ke in das Zusammenspiel von Architektur und Gesellschaft erlangen.

Die Prozesse der Aneignung und Transformation stiften einen hohen Identifikationswert für die Nutzenden. Von diesen Vorzügen können nicht nur queere Personen profitieren, sondern alle Menschen.

Daher sollte es auch im Interesse von Planer:innen sein, sich dieser Prozesse bewusst zu machen, und sie durch Offenheit und Flexibilität in der Architektur zu ermöglichen.

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33

34

5. Abbildungsverzeichnis

Abb. 1

eigene Darstellung

Abb. 2 Fred W. McDarrah: https://i.natgeofe.com/n/b4af3226-7b72-429d- 9c14-11ddadedbe03GettyImages-83647140-resize_4x3.jpg <18.01.2022> Abb. 3 https://s3.amazonaws.com/criterion-production/editorial_content_posts/ hero/6832-/gdRdelMr1Yzx148Dq7vBJ7DiUKxvWx_original.jpg <18.01.2022> Abb. 4

https://farm4.static.flickr.com/3098/2674311888_e1327943cc.jpg

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6. Quellenverzeichnis Bibliographie Barker, Meg-John und Jules Scheele: Queer. A Graphic History.

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Technische Hochschule Nürnberg GSO Fakultät Architektur Theorie der Architektur und Entwerfen Prof. Dr. Richard Woditsch

Theorie der Architektur und Entwerfen