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Strassenverkäufer auf

Heimaturlaub

Arbeitsmigration Ein Fünftel der rumänischen Arbeitskräfte ist im Ausland beschäftigt. Daniel ist einer von ihnen. Normalerweise verkauft er das Strassenmagazin =Oslo in Norwegens Hauptstadt. Nun begleiten wir ihn in sein Dorf in Rumänien.

Die grösseren Häuser in Bradeni wie dasjenige, in dem Daniel und seine Familie leben, säumen die Strasse. Die kleineren, schlichteren liegen abseits der Hauptstrasse, auf der viele aufs Gaspedal treten, besonders wenn sie einen Pferdewagen oder einen alten Traktor vor sich haben. Deswegen muss das Tor zu Daniels Grundstück geschlossen bleiben, denn dahinter spielen die Kinder. Das Tor ist solide und ziemlich neu. «Das alte war total abgenutzt. Eines Tages fiel es meiner Frau beim Öffnen entgegen.» Glücklicherweise sei ihr nichts passiert, sagt Daniel auf dem Weg in den Hof.

Er ist gerade aufgewacht, noch müde von der dreitägigen Busfahrt von Oslo hierher ins Zentrum Rumäniens. Aber der dreijährige Edouard lässt ihn nicht alleine, jetzt, wo der Vater endlich für eine Weile zuhause ist. Edouard und sein älterer Bruder Matteo stehen mit grossen Augen in der Tür. Der jüngste Bruder, der wie sein Vater Daniel heisst, schlafe noch, erzählt uns Mutter Kristina. Sie ist hereingekommen, ohne dass wir es bemerkt haben. Daniel wirft einen Blick auf den riesigen Holzstapel in der Mitte des Hofes. «Die Winter sind kalt hier», sagt er. Nicht so kalt wie in Norwegen, aber Strom ist teuer. Dann zeigt er auf den Hühner- und den Schweinestall. Fünf Schweine. Drei davon Ferkel. Mehr Schweine dürfen die Menschen nicht mehr besitzen, seit 2019 ein Gesetz zur Beschränkung des Viehbestands in Privathaushalten erlassen wurde. Alle Familien in Bra ˘ deni haben fünf Schweine und einen grossen Gefrierschrank. Hühner und Gemüsegärten sind lebensnotwendig.

Daniel hat das Haus 2015 gekauft, ist aber erst vor zwei Jahren eingezogen. Um das Haus instandzusetzen, verkauft er jedes Jahr während etwa zehn Monaten das Strassenmagazin in Oslo. Den grössten Teil des Geldes, das er dort verdient hat, gab er für die Renovierung beider Etagen und den Kauf gebrauchter Möbel aus. Seine Ausgaben in Norwegen hält er möglichst gering. «Wir leben mit drei Männern in einem kleinen Zimmer ausserhalb von Oslo», erklärt er. «Wir kaufen billiges Essen, das wir zusammen zubereiten. Das Einzige, wofür ich Geld ausgebe, ist Rauchen. Ich schicke meiner Frau und den Jungs jeden Monat zwischen 7000 und 10 000 Kronen (ca. 600 bis 800 Schweizer Franken). Das ist mehr, als ich selbst ausgebe.» Was übrig bleibt, spart er. Damit wolle er seinen Kindern einmal eine bessere Zukunft ermöglichen, sagt er.

Viele Väter und Mütter im Ausland

2021 veröffentlichte die NGO Save the Children eine Studie, gemäss der bei etwas mehr als 75 000 rumänischen Kindern ein oder beide Elternteile im Ausland arbeiten. Die Dunkelziffer besonders für ärmere Regionen wie Bradeni im Kreis Sibiu, inmitten der historisch als Transylvanien oder Siebenbürgen bekannten Gegend, liegt noch höher. Allein im Jahr 2022 haben 560 000 Menschen das Land verlassen. In einer Studie aus dem Jahr 2018 gab die Hälfte der befragten Rumän*innen zwischen 15 und 24 Jahren an, dass sie auswandern wollten. Als wichtigste Gründe nannten sie die unzureichende Versorgung, niedrige Löhne, den Mangel an guten Arbeitsplätzen, politische Instabilität sowie Ineffizienz und weit verbreitete Korruption.

Die Folgen der Emigration zeigen sich deutlich in Bra ˘deni. Daniels Kindheitsfreund Mihai nimmt uns mit auf eine Tour durch das Dorf. Er spannt seine beiden Pferde vor den Karren, mit dem er normalerweise Holz transportiert. Einige der Nachbarskinder steigen mit auf, Daniel ist unser Guide. «Transport ist das einzige Geschäft. Hier kostet alles doppelt so viel wie in der Stadt, also gehen wir nicht so oft einkaufen. Hin und wieder bezahlen wir jemanden, der uns in die nächste Stadt fährt.»

Wir sehen nur wenige Autos unterwegs. Neugierige Dorfbewohner*innen kommen heraus, um zu sehen, wer vorbeikommt. Daniel kennt sie alle. Die alten Frauen, die Männer, die beim Bier auf der Brücke stehen und quatschen. Mütter mit kleinen Kindern. Daniel weist nach rechts und links. «Die Menschen, die in diesem Haus wohnen, arbeiten in Spanien. In dem Haus da arbeitet der Vater in Deutschland. Im nächsten auch Deutschland. Während der Erntezeit pflücken sie dort Gemüse. Hier ist niemand zuhause, die sind ebenfalls alle in Deutschland.»

Alle Häuser, auf die Daniel zeigt, sehen ähnlich aus: vergleichsweise gross, neu gestrichen und in gutem Zustand. Abseits der Hauptstrasse geht es über eine Brücke auf die Schotterpisten. Daniel zeigt auf ein kleines Backsteinhaus hinter einem wackligen Zaun und übersetzt, was sein Freund Mihai, der die Zügel lenkt, soeben gesagt hat: «Hier bin ich aufgewachsen. Zu sechst in nur einem Raum. Das musst du dir mal vorstellen. Sechs Personen schlafen, essen und waschen sich in einem kleinen Zimmer.» Daniel sagt, dass ihm ältere Kund*innen in Norwegen davon erzählt haben, dass sie auch so aufgewachsen seien. «Aber Mihai ist 26, wie ich. Und immer noch wachsen Kinder so auf wie er.»

Nach der Tour bleiben wir vor Mihais Haus sitzen. Man sieht zahlreiche notdürftige Reparaturen am Haus. Die Klamotten der Kinder sind löchrig. Daniel sagt, dass Mihai hart arbeite. Im Gegensatz zu seinem Vater lebe er nicht von minimalen Sozialleistungen, Kleinkrediten und Sozialdiensten. Mihai schaut bei diesen Worten schüchtern zu Boden. «Ich liefere Holz an alle in Bradeni, aber es ist immer noch nicht genug Geld, um meiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen», sagt er. «Ich habe das Haus mit meinen eigenen Händen gebaut, weil ich die Arbeiter nicht bezahlen kann. Wenn ich in der Hochsaison besonders viel arbeite und es schaffe, drei Fahrten pro Tag zu machen, kann ich ungefähr 2500 Kronen (gut 200 Schweizer Franken) pro Woche verdienen. Das deckt Essen, Kleidung und Strom für sechs Personen. Strom ist richtig teuer geworden.» Die Sorge über die gestiegenen Stromund Lebensmittelpreise teilen viele, denen wir im Dorf begegnen. Selbst Rumän*innen mit festen Jobs sagen, es sei unmöglich geworden, ihren Lebensstandard zu halten. Und noch mehr Menschen ziehen in andere EU-Länder.

Für die meisten in Brădeni, die nicht ins Ausland gehen, findet sich kaum Arbeit. Die Tage verbringt man mit Plaudern und einem Bier bei der Brücke.

Fünf Schweine ist die Anzahl, die das Gesetz pro Haushalt erlaubt. Die allermeisten haben genau fünf.

Warum bleibt Mihai hier? «Ich würde gerne im Ausland arbeiten, am liebsten in Deutschland, aber mit vier Kindern, darunter einem Neugeborenen, ist das schwierig. Ich glaube nicht, dass meine Frau mich gehen lässt. Aber auch ich möchte, dass meine Kinder besser aufwachsen als ich.»

Fast vier Millionen Menschen aus Rumänien leben im Ausland – diejenigen nicht mitgezählt, die dauerhaft in Nachbarländern wie der Ukraine und Serbien leben. Das entspricht etwa einem Fünftel der Rumän*innen im erwerbsfähigen Alter. Die Mehrheit von ihnen ist in Westeuropa – die meisten in Italien. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 ist ihre Zahl deutlich gestiegen.

Daniel, seine Familie und die meisten seiner Freund*innen in Bradeni sind Rom*nja, sie machen als Minderheit rund drei Prozent der Bevölkerung Rumäniens aus. Die Geschichte der Rom*nja ist bis heute geprägt von Verfolgung, Sklaverei und Diskriminierung. Wie immer wieder in der Schweiz gab es auch in Norwegen eine rassistisch aufgeladene «Bettlerdebatte». Daniel kam 2010 als 14-Jähriger nach Norwegen und lebte mehrere Jahre auf der Strasse, von der Hand im Mund. «Ich habe gebettelt und Flaschenpfand gesammelt. Nach einer Weile bekam ich einen Job in einer Autowaschanlage, doch der war schlecht bezahlt und ich wurde um Lohn betrogen. Trotzdem war ich dankbar für diesen Job. Dadurch war es mir möglich, dieses Haus zu kaufen.»

Kristina und die Jungs haben sich nun dazugesetzt. Auf dem Esstisch stehen grosse Mittagsteller mit Aufschnitt, Käse, Eiern und Grieben. Daniel fragt seine Frau, ob es in Ordnung ist, wenn er ihre gemeinsame Geschichte erzählt. Sie stimmt zu. «Ich war in Norwegen. Acht Monate lang haben wir online Kontakt gehabt. Wir mochten uns und wollten uns treffen. Also vereinbarten wir, dass Kristina zu mir kommen sollte. Ich hatte eine Wohnung in der Ortschaft Blaker gemietet, doch dann verlor ich 2016 meinen Job in der Autowaschanlage und konnte mir die Miete nicht mehr leisten. Als Kristina nach Norwegen kam, lebten wir in einem Zelt ausserhalb von Lillestrøm.» Daniel lacht. «Wir haben fast drei Monate in dem Zelt gelebt. Es war Sommer, aber es hat fast jeden Tag geregnet», sagt er. «Ich habe Flaschen recycelt und Strassenmagazine verkauft. Kristina bettelte auf der Strasse. Dann wurde sie schwanger, also ist Matteo ein bisschen norwegisch. Hergestellt in Norwegen.»

Hier im grossen, ordentlichen Wohnzimmer in Bra ˘deni, mit den überquellenden Tellern auf dem Tisch, kann man sich das nur noch schwer vorstellen. «Das war wirklich hart», erinnert sich auch Kristina, während Daniel übersetzt. «Wo wir wohnten, gab es jede Menge Mücken, und ich bin allergisch gegen Mückenstiche. Ich hatte überall an den Armen und Beinen grosse rote Klumpen. Als ich im zweiten Monat schwanger war, musste ich nach Hause fahren und bei meiner Familie leben. Daniel ist geblieben, um Geld zu verdienen. Wir haben in dieser Zeit, bevor Matteo geboren wurde, viel gestritten.» Daniel nickt.

«Ja, wir haben uns fast getrennt. Es war ein hartes Leben, und wir waren sehr jung. Lange haben wir nicht miteinander gesprochen. Jetzt lieben wir uns. Wir sind zusammen erwachsen geworden, sind stärker geworden.»

Nach dem Mittagessen bringt Daniel uns zu seinen Eltern. Sie wohnen nur drei Minuten entfernt. Neugierige Kinder folgen uns. Das Tor zum Hof ist nicht mehr als ein paar knarrende Bretter, die beinahe auseinanderfallen. Das Haus besteht aus zwei Räumen mit jeweils einer Tür nach draussen. Daniels Mutter ist damit beschäftigt, einen riesigen Topf Tomatensauce zu kochen.

Mit Bier und Smalltalk die Zeit totschlagen

«Das war mein Kinderzimmer», sagt Daniel und setzt sich auf das Bett, das einzige Möbelstück in einem der Zimmer. Die Wände sind kahl, abgesehen von einem selbstgemalten Fussballbild über dem Bett. «Ich bin hier so oft hungrig ins Bett gegangen.» Es dauert eine Minute, bis er wieder aufsteht. Gemeinsam gehen wir in den Hof, um mit seinem Vater zu sprechen. Es gibt billiges Bier aus einer grossen Plastikflasche, die beiden wechseln ein paar Worte, ohne sich anzusehen. Es ist Daniels erster Besuch bei seinen Eltern, seit er angekommen ist. «Mein Vater ist Alkoholiker wie so viele Männer hier. Es ist kein Geheimnis. Eine feste Anstellung hatte er nie. Er mag nicht arbeiten müssen.»

Daniels Vater und dessen Generation wurde massgeblich von den Jahren zwischen der Wende und dem EU-Beitritt Rumäniens geprägt. Es herrschte Massenarbeitslosigkeit und es gab wenig Möglichkeiten, im Ausland Arbeit zu suchen. In Bradeni gibt es eine Menge Männer, die sich Tag für Tag mit Bier und Smalltalk die Zeit totschlagen. Daniel nennt sie «diejenigen, die aufgegeben haben». Der Vater sagt: «Schau her, wir haben hier alles, was wir zum Überleben brauchen. Wir haben Gemüse und Schweine. Wir haben kein Geld, aber wir können es schaffen. Geh und pflücke eine Tomate. Es wird das Beste sein, was du je gegessen hast.»

Es ist tatsächlich eine fantastische Tomate und auch das frisch gebackene Brot im grossen Ofen riecht wunderbar. Es wirkt fast idyllisch. Daniel lächelt verkniffen, als ich das sage. «Es war kein guter Ort, um aufzuwachsen. Er war nicht nett zu meiner Mutter oder zu uns Kindern. Ich besuche ihn, weil er mein Vater ist, nicht weil ich das Gefühl habe, ihm etwas schuldig zu sein.» Als wir uns verabschieden, drückt Daniel seinem Vater eine Handvoll Geldscheine in die Hand. Seine Mutter hat sich bereits abgewendet. Daniel schüttelt den Kopf: «Er bittet mich immer um Geld. Jeder, der noch hier ist und so lebt wie er, tut es. Sie versuchen, ein paar Cent für Zigaretten und Bier zu bekommen. So ist es nun einmal.»

Etwas weiter begrüsst Daniel eine Frau mittleren Alters, umgeben von erwachsenen Kindern und Enkelkindern. Er erzählt uns, dass Utsa – so ihr Name – seit Jahren alleinerziehend ist und die meiste Zeit damit verbracht hat, Beeren, Obst und Gemüse in Deutschland zu pflücken.

Ihr altes, verfallenes Haus steht noch, daneben strahlen zwei neue weisse Backsteinhäuser mit kürzlich angeschlossenem Strom. Die Familie habe einen hohen Preis für den neuen Lebensstandard gezahlt, sagt Daniel: «Die älteren Geschwister haben sich um die jüngeren Geschwister gekümmert, andere Verwandte haben sich zusätzlich gekümmert», erklärt er. «Die Kinder haben hier ohne Mutter oder Vater gelebt.»

Aufwachsen bei den Grosseltern

Etwa 300 Kilometer von Bradeni entfernt, in einem Vorort der Stadt Buzau, treffen wir inmitten bekannter Gesichter vom Osloer Strassenmagazin den 20-jährigen Bogdan auf einer Tauffeier. Bogdan ist Rom wie Daniel und spricht fliessend Norwegisch. «Fast jeder hier ist verwandt. Wenn also eine Person ins Ausland geht, folgen ihr die anderen an denselben Ort, um sich sicherer zu fühlen. Deshalb kenne ich hier viele Leute von dort und hier.» Bogdan ist nicht mehr oft in Rumänien. Er begrüsst Freund*innen und Verwandte, übernimmt zwischendurch den Grill und muss sich auch noch für eine Hochzeitsfeier fertig machen, zu der er später am Abend gehen wird. Gleichzeitig erzählt er seine Geschichte. «Als meine Eltern zum ersten Mal nach Norwegen fuhren, war ich sieben», erinnert er sich. «Sie fanden keine Arbeit, lebten vom Betteln. Sie waren damals nur wenige Monate im Jahr in Norwegen. Als ich neun war, fanden sie dort feste Jobs. Dann kamen sie jedes Jahr zu Weihnachten und Ostern für zwei Wochen nach Hause. Den Rest der Zeit waren meine Grosseltern meine Eltern.»

Bogdan ist sich nicht sicher, warum er selbst die Schule abgebrochen hat, will aber erklären, warum so viele rumänische Jugendliche abbrechen. «Wenn du die erste Klasse beginnst und andere rauchen siehst, kannst du in Rumänien in den Laden gehen und selbst Zigaretten kaufen. Wenn deine Eltern nicht da sind, gibt es auch niemanden, der dich bittet, mit dem Rauchen aufzuhören. Genauso ist es mit Alkohol und Drogen.»

«Das Schlimmste war der Elternabend», erinnert sich Bogdan. «Ich schaute mir all die Eltern an und dachte darüber nach, wie lange es dauerte, bis ich meine wiedersehen konnte. Ich erinnere mich auch an meinen zwölften Geburtstag. Ich hielt ständig nach meinen eigenen Eltern Ausschau. Sie wollten kommen, haben es aber am Ende nicht geschafft. Ich habe lange geweint und dann wurde ich wütend. Unglaublich wütend. Als ich dann in die Mittelschule in der Stadt kam, begann ich mehr und mehr zu feiern und in den Häusern meiner Freund*innen in der Stadt zu schlafen.» Mit sechzehn entschied er sich, nach Norwegen zu gehen. Nach zwei Wochen begann er mit der Schule, in sechs Monaten hatte er Norwegisch gelernt und war entschlossen, es in Norwegen zu schaffen. Er lebte bei seiner Mutter und seinem Vater, bis er achtzehn wurde. «Meine Mutter arbeitete in der Reinigung und mein Vater als Hausmeister. Sie hatten nie Zeit gehabt, die Sprache zu lernen, also wurde ich ihr Dolmetscher.»

Bogdan spricht über all die Sommerjobs und Abendjobs, für die er sich beworben hat, die Vorstellungsgespräche, an denen er teilnahm, und über seine Wut, nie eine Antwort erhalten zu haben. Er erzählt von dem kleinen Taschengeld, das er hatte, und davon, dass er sich anders und ärmer fühlte als seine Mitschüler*innen. «Als ich auf die Sekundarstufe in Oslo ging, verlor ich die Kontrolle. Ohne Job und mit kaum Taschengeld suchte ich nach anderen Wegen, um Geld zu verdienen. Ich wollte die gleiche Markenkleidung wie meine Klassenkamerad*innen haben. Das Schlimmste, was ich getan habe, war, Drogen zu verkaufen. Es brachte mich in grosse Schwierigkeiten, mit Banden, mit der Polizei und mit dem Arbeits- und dem Sozialamt. Ich musste das letzte Schuljahr wiederholen. Ich bin ausgestiegen, nicht nur, weil ich viele Fehler gemacht habe, sondern auch weil ich geheiratet habe.»

Stolz zeigt Bogdan seinen Ehering. Er steht zudem kurz davor, in Norwegen eine Ausbildung zum Klempner zu beginnen. Bevor Bogdan weiterzieht, sagt er noch ein paar Worte über seine Generation: «Es gibt viele Menschen wie mich», sagt er. «Es ist ein massives Problem für Rumänien. Junge Menschen, die sich um nichts kümmern, weil niemand sie disziplinieren oder ihnen beibringen kann, wie man lebt.»

Die Rückfahrt nach Bra ˘ deni dauert vier Stunden. Aus den Autofenstern sehen wir Felder mit vertrocknetem Mais und toten, schwarzen Sonnenblumen. Rumänien litt 2022 stark unter der Dürre. Dies wird weitere Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes haben, genau wie die Massenauswanderung. Zwischen 2000 und 2018 sank die Bevölkerung von 22,4 Millionen auf 19,5 Millionen. 75 Prozent der Abwanderung entfielen auf Arbeitssuchende. Rumän*innen, die im Ausland arbeiten, sind aber auch die grösste Quelle für Investitionen im Land und tragen über drei Prozent des rumänischen BIP bei.

Auf einem Sofa in Bra ˘ deni klettern Edouard, Matteo und Daniel auf ihrem Vater herum. Sie ziehen ein wenig an seinem Bart und klammern sich an ihn. Sie kämpfen darum, ihn zum Lachen zu bringen. Kristina sitzt am grossen Esstisch und wirkt erleichtert darüber, ihren Mann für ein paar Wochen zuhause zu haben. Wie ist es, die Familie zurückzulassen? «Normalerweise sage ich den Kindern, mein Chef in Norwegen habe angerufen und gesagt, dass ich sofort kommen muss», sagt Daniel. «Ich trinke nicht oft, aber ich neige dazu, am Tag meiner Abreise ein paar Gläser zu trinken. Idealerweise gehe ich, bevor die Jungs wach sind. So ist es einfacher.»

Übersetzt aus dem Englischen via Translators without Borders. Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von =Oslo / =Norge / International Network of Street Papers

Das Geld, das Utsa als Saisonarbeiterin in Deutschland verdient, hat den Bau eines Hauses für ihre Grossfamilie ermöglicht. Soeben ist auch der Strom eingezogen worden.

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