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Kino

Weil das Leben eine Chance ist

Kino Die Friedensnobelpreisträgerin Mutter Teresa hat das Leben zahlloser Menschen verändert. So auch das der Autorin, wie ihr der Film «Mother Teresa & Me» machtvoll in Erinnerung ruft.

TEXT MONIKA BETTSCHEN

Auf dem Nachttisch meiner Mutter stand bis zu ihrem Tod ein gerahmtes Foto von einer indischen Ordensschwester. Sie trägt einen weissen Sari mit blauer Bordüre und hält lächelnd ein Baby im Arm: mich. Es ist das erste Bild von mir, das meine Eltern von den Missionarinnen der Nächstenliebe, der 1950 von Mutter Teresa gegründeten Ordensgemeinschaft, erhielten. Kurz davor hatten sie sich dazu entschieden, mich Anfang der Achtzigerjahre zu adoptieren. Die Aufnahme entstand in einem Waisenhaus in Bombay, und damals lautete mein Name Kavita.

Denselben Namen trägt auch eine der beiden Protagonistinnen im Film «Mother Teresa & Me» des schweizerisch-indischen Regisseurs Kamal Musale. In zwei parallel laufenden Geschichten werden die Biografien von Kavita, einer jungen, in London lebenden Inderin, und von Mutter Teresa immer enger miteinander verwoben, bis sie am Ende schicksalshaft aufeinandertreffen. Kavitas Handlungsstrang spielt in der Gegenwart, jener von Mutter Teresa beginnt Mitte der Vierzigerjahre im indischen Kalkutta, heute Kolkata.

Während Kavita (Banita Sandhu) nach einem Unfall im Spital erfährt, dass sie schwanger ist, verspürt Mutter Teresa, damals noch Nonne des Loreto-Ordens, während einer Zugfahrt die Berufung, ihr Leben künftig dem Dienst an den Ärmsten zu widmen: Alte, von ihren Familien verstossene Menschen, Leprakranke, Männer, Frauen, Strassenkinder. Entgegen aller Widerstände, sei es am Anfang von der katholischen Kirche selbst, sei es kurz darauf von Teilen der Bevölkerung, die Bekehrungen zum Christentum befürchten, gründet sie ihren eigenen Orden und richtet ein Sterbehospiz ein. Doch während sie mit ihrer Arbeit in den Elendsvierteln immer mehr Menschen erreicht, überfallen Mutter Teresa heftige Zweifel. In ihrem kargen Schlafgemach schreibt sie verzweifelte Briefe an Gott, weil sie dessen Präsenz nicht mehr spüren kann. Nur Pater van Exem vom Loreto-Orden, einem Weggefährten der ersten Stunde, vertraut sie ihre innere Not an. Sie durchlebt eine tiefe Glaubenskrise, aus der sie gestärkt hervorgeht. Der Schweizer Schauspielerin Jacqueline Fritschi-Cornaz gelingt es, die Figur der Mutter Teresa mit bodenständiger Beharrlichkeit und Warmherzigkeit zu erfüllen. Diese sehr menschliche Darstellung erlaubt einen Blick hinter den Heiligen-Mythos und zeigt Mutter Teresa so, wie auch ich sie mir gerne vorgestellt habe: Als praktisch veranlagte Frau, die zupacken und auch improvisieren konnte, wenn ihr die Bürokratie oder Ordensvorschriften in die Quere kamen. Aber auch als eine widersprüchliche Frau, die mit ihrer strengen Haltung gegenüber Abtreibung aneckte.

Wie würde es mir gehen?

Auch bei Kavita, die ihr bisheriges Leben infrage stellt, nachdem sie mit Ende 20 von ihrer Schwangerschaft erfährt. Ihr Freund hat sich aus dem Staub gemacht, und ihren brahmanischen Eltern, die viel Wert auf die Traditionen legen, kann sie sich nicht anvertrauen. Da sie sich für ein Kind noch nicht bereit fühlt, denkt sie auch über eine Abtreibung nach. Sie erinnert sich an Deepali (Deepti Naval), die ihr Kindermädchen war, als ihre Familie noch in Kolkata wohnte. Kurzentschlossen bucht sie ein Flugticket und besucht sie, um bei ihr zur Ruhe zu kommen. Es wird eine Reise, die ihre bisherige Vorstellung davon, wer sie ist, komplett auf den Kopf stellt.

Deepali, die von Mutter Teresa als kleines Mädchen zur Zeit der Gründung des Ordens aufgenommen wurde und später an ihrer Seite mitwirkte, nimmt Kavita mit in ein Waisenhaus, wo sie heute arbeitet. Sie betreten einen Raum, in dem Babys in Metallbettchen liegen und dazwischen Kleinkinder herumwu-