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Erhebungen

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Auf Pumpen gebaut

Umwelt Provisorische Ölpumpen im Nordosten Syriens gefährden die Gesundheit von Mensch und Tier. Wer nicht geflohen ist, leidet nun unter den Langzeitfolgen des Krieges.

TEXT KHABAT ABBAS FOTOS HISHAM ARAFAT

Dreckig und gefährlich: Ölpumpe in der syrischen Provinz Raqqa.

Zehn Patienten behandelt die Krebsklinik im nordsyrischen Qamischli täglich. «Ich nehme jeden Tag fünf neue Fälle auf», berichtet Blenda Abdul-Rahman. Auf die etwa 200 000 Einwohner*innen der Stadt kommen 200 Krebsdiagnosen pro Monat – für die gesamte Region gar 1500. «Solche Zahlen waren früher unvorstellbar», sagt die Onkologin. «Was der Region helfen würde, wäre eine ordentlich funktionierende Ölraffinerie. Dann wären wir wenigstens nicht mehr so vielen schädlichen Abgasen ausgesetzt.»

Rund um Qamischli stehen verstreut bis an die Grenzen zum Irak und zur Türkei zusammengeschusterte Ölpumpstationen. Sie sondern giftige Gase ab, darunter Schwefelwasserstoff, Methan und schwere nichtflüchtige Substanzen. Seit Ausbruch des Syrien-Krieges 2011 entstanden provisorische Anlagen dieser Art in den Provinzen al-Hasakah, Deir ez-Zor und Raqqa. Die gesundheitlichen Langzeitschäden sind noch kaum beziffert. Bislang forderte allein der Krieg rund 600 000 Menschenleben und hat mehr als 13 Millionen in die Flucht getrieben.

Die Arbeiter an den Pumpen bekommen die Konsequenzen der unregulierten Erdölförderung unmittelbar zu spüren. «Früher hatten wir einmal im Jahr eine Erkältung, und die meisten von uns brauchten nicht mal Medikamente», berichtet Fahed, der sich auf einer der Anlagen verdingt und eine deutliche Verschlechterung seines allgemeinen Gesundheitszustandes spürt. «Heute leiden wir unter ständigem Husten und Juckreiz an Händen und Füssen sowie unter Durchfall. Aber es gibt sonst keine Jobs.» Wer hier schuftet, hat kaum eine Wahl. Ein Arbeiter sagt: «Wer nicht an einer Krankheit stirbt, wird verhungern.» Ein anderer, der wie sein Kollege anonym bleiben möchte, ergänzt: «Wir sind uns der schädlichen Wirkungen bewusst. Die meisten von uns leiden unter Hautallergien und manchmal auch Atemnot, aber solange wir uns auf den Beinen halten können, arbeiten wir weiter.»

Vergiftete Brunnen

Die kurdische Autonomieverwaltung bekommt die Probleme mit den irregulären Ölpumpen nicht in den Griff, obwohl das Gebiet seit 2017 unter ihrer Kontrolle steht. Kurdische Beamte sagen auf Nachfrage, dass aufgrund des Konflikts und ohne die politische Anerkennung Rojavas kein Ölunternehmen bereit sei, in der Region zu arbeiten. Die einzige Ausnahme bildete

dank einer Ausnahmegenehmigung die US-Firma Delta Crescent Energy (DCE) – doch die Genehmigung liess die Regierung Biden Ende 2021 auslaufen. Vor der Machtübernahme durch die Kurden gab es rund 330 Orte mit provisorischen Pumpstationen in der von ihnen verwalteten Region – insgesamt bis zu 15 000 Förderanlagen unterschiedlicher Grösse. Heute sind östlich von Qamischli, zwischen Qahtaniyah und Tal Hamis, wohl noch etwa 20 davon in Betrieb. Die prekäre Sicherheitslage macht die Erhebung exakter Daten in vielen Regionen Syriens unmöglich. «Vor einigen Jahren häuften sich etwa massiv Lebervergiftungen in einem Dorf bei Tel Hamis: 80 Fälle – bei gerade 500 Einwohnern», erinnert sich Akram Khalil. Der Internist praktiziert seit 25 Jahren ebenfalls in Qamischli und führt Vergiftungen wie diese auf Brunnen zurück, die nahe den provisorischen Ölförderanlagen liegen. «Auch die Verbrennungsabgase tragen ihren Teil dazu bei, Luft, Wasser und Lebensmittel zu verschmutzen», sagt Khalil. Er sieht darin eine Ursache für die ebenfalls zunehmenden Magen- und Darmerkrankungen.

Wie geschädigt die Umwelt bereits ist, wird etwa dreissig Kilometer weiter entfernt deutlich. Der nordöstliche Zipfel Syriens, die Jazira, gehört traditionell zu den landwirtschaftlich ertragreichsten Kulturlandschaften der Region. «Früher habe ich Baumwolle, Weizen und Gemüse angebaut», erzählt Bauer Bassem aus dem Dorf Beshayriya. Doch seit mehr als zwei Jahren liege sein vier Hektar grosser Acker brach. «Der Rauch der Verbrennungsanlagen hat den Boden schwarz gefärbt und das Brunnenwasser verseucht», beklagt er. Vor dem Krieg, erzählt Bassem, hätten etwa 3000 Menschen in seinem Dorf gelebt. Nur ein Drittel sei noch geblieben, und die Hälfte von ihnen habe Krebs. Im vergangenen Jahr sei auch bei seiner Frau Lungenkrebs diagnostiziert worden. Täglich machten sich die erkrankten Einwohner*innen aus Beshayriya auf den Weg zur Behandlung. «Einige von ihnen fahren in die Nachbarstadt Al-Qahtaniyah, andere nach Qamischli und wieder andere nach Damaskus», erzählt der Bauer.

Und die Beiprodukte der provisorischen Ölförderung machen nicht nur Menschen krank. «Die nichtflüchtigen Substanzen in den Abgasen schweben für kurze Zeit in der Luft, sinken dann bei niedriger Temperatur aber auf die Bodenoberfläche und bilden dort einen öligen Film, der jegliches Leben abtötet», sagt Anas Alqasem. «So sterben die Mikroorganismen ab, auf deren Mineralien die Pflanzenwurzeln angewiesen sind», seufzt der Landwirtschaftsingenieur, der auch als Imker arbeitet und seit Jahren beobachtet, wie immer mehr Äcker in der Gegend veröden. Selbst Pflanzen, die unter diesen Umständen noch wachsen, schaffen es nicht, sich zu vermehren. «Der Ölfilm bedeckt die Blüten – und verhindert so die Bestäubung, weil der Pollen nicht von den Staubgefässen zur Narbe gelangt. Deshalb tragen die Blüten keine Früchte.»

Er führt auch den Niedergang der Imkerei auf die Verödung infolge der Ölverschmutzung zurück. «Einst blühten hier Baumwolle, Sonnenblumen, Sesam und viele Gemüsesorten. Heute sind die Böden in der Umgebung unfruchtbar.» Viele Bienenvölker im Nordosten Syriens seien voll-

«Einst blühten hier Sonnenblumen. Heute sind die Böden unfruchtbar.»

ANAS ALQASEM

ständig verschwunden – auch weil in den letzten Jahren die behördliche Aufsicht gefehlt hat, die dem Einsatz verbotener Pestizide Einhalt gebieten könnte. «Vor dem Krieg hatte ich Tausende Bienenzargen, inzwischen sind mir noch 150 geblieben.» Sterben die Bienen, wachsen auch Kultur- und Wildpflanzen nicht mehr. «Im Gegensatz zu anderen anpassungsfähigen Insekten fehlt den Bienen die genetische Resistenz gegen Umweltgifte», sagt Alqasem. Dies sei der zweite Grund für die ausbleibende Bestäubung der Kulturpflanzen, «insbesondere in der Nähe der Ölförderanlagen». Alqasem zeigt dennoch Möglichkeiten auf, wie sich der Bienenbestand erholen könnte. «Dafür müssten Felder nahe der Türkei angelegt werden – die Bienen könnten dann über die Grenze fliegen, um an Pollen zu gelangen.» Verödete Flächen in der Jazira wieder urbar zu machen, ist eine ungleich schwierigere Herausforderung. Neben der Belastung durch unabsichtlich versickerndes Öl und der maroden Infrastruktur ist auch der am Ende entstehende Treibstoff minderwertig – und entsprechend giftig für Mensch und Natur. «In Qamischli sind mindestens fünfzig Grossgeneratoren täglich acht Stunden in Betrieb. Dazu kommen Tausende kleinerer Generatoren für den Hausgebrauch», berichtet ein Händler, der mit Import und Verkauf von Generatoren sein Geld verdient. Zudem sind seit 2017 geschätzt 600 000 Kraftfahrzeuge nach NordostSyrien gebracht worden – sie tanken lokal produziertes Benzin und Diesel.

Auch ohne Krieg und Umweltverschmutzung wäre Syriens Nordosten von den Folgen des Klimawandels stark betroffen. Durch den Konflikt verschärft sich diese Entwicklung zusätzlich. Immer wieder sind Ölförderanlagen Ziel strategischer Angriffe, zudem verhindert die Sicherheitslage in umkämpften Gebieten eine sachgemässe und regelmässige Wartung der Infrastruktur – insbesondere des Leitungsnetzes. So verschmutzt Öl, das beim Transport aus Pipelines oder Lastwägen austritt, Ländereien auch ausserhalb der Fördergebiete. Wenn es dann auch noch Feuer fängt, trägt der Wind giftigen Rauch übers Land – sobald die Partikel in höhere Luftschichten aufsteigen, richten sie über den Regen zusätzlichen Schaden an.

Fast eine Viertelmillion Menschen flohen 2013 bis 2015 in Richtung Irakisch-Kurdistan, erst vor dem IS, dann vor russischen Kampffliegern. Interviews mit Geflüchteten legen aber auch nahe, dass nicht nur die Gefechte, sondern auch die Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durch Umweltschäden als Fluchtursache aus Nordost-Syrien bereits damals an Bedeutung gewannen. Diesen Schäden entgegenzuwirken, ist aber fast unmöglich angesichts des Konflikts. Dafür wäre viel mehr Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren und Regionen Syriens erforderlich. «Das Mindeste, was der Region helfen würde, wäre eine ordentlich funktionierende Ölraffinerie», findet Onkologin Blenda Abdul-Rahman aus Qamischli. «Dann wären wir wenigstens nicht mehr so vielen schädlichen Abgasen ausgesetzt.»

Dieser Text wurde erstmals bei «zenith –Zeitschrift für den Orient» publiziert und erscheint mit freundlicher Genehmigung.

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