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Musik

«Wow, was lauft?» Big Zis präsentiert sich auf ihrem neuen Album wie gewohnt poetisch, politisch, lautstark.

«Mir mached en Afang nachem Schluss»

Musik Big Zis hat nach neun Jahren ein neues Album vorgelegt. Die Schweizer Rapperin trat schon in den 1990er-Jahren gegen Kapitalismus und Patriarchat an. Und findet sich heute in einer Welt wieder, die endlich versteht, worum es ihr geht.

TEXT BENJAMIN VON WYL

Das Album «4xLove:2» startet als Surren, als Wind, als überlauter Computerserver. Verteilt erste Schläge. Knistern. Die Eruption. Gesang. «In the land of love, in the land of love». Nicht immer direkt, manchmal mit Umwegen, unser Planet ist hier das «Rund/ärdigs Simulacrum Mittelpunkt». Der Text ist ertastend, Existenz entdeckend. «Das isch kes Manifescht», macht der Song klar, nach «heb’s money fescht». Es ist ein Lied über das Menschsein, das Universum und den ganzen Rest. Und obwohl es kein Manifest ist, geht es um etwas: «mer sind di Stärbliche sind di Geburtliche mir mached en Afang nachem Schluss»

Dann nehme ich die Kopfhörer raus, denn die Künstlerin fährt an.

Elf Jahre hat es gedauert, bis die laut NZZ am Sonntag «beste Rapperin der Schweiz (Rapper sind mitgemeint)» ein neues Album rausgebracht hat. Sie ist sich treu geblieben. Big Zis, das ist noch immer Rap, der einer universellen Dreifaltigkeit verpflichtet ist: Poesie, Politik, Energie. Die Person Franziska Schläpfer, wie Big Zis bürgerlich heisst, ist hingegen nicht in universellen Sphären schwebend, sondern musste wie alle anderen auch drei Jahre suchen, bis sie in Zürich eine städtische Wohnung gefunden hat. Sie findet das biobürgerliche Restaurant Markthalle, wo wir uns auf einen Tee treffen, eigentlich zu teuer und hat eine gute Stunde Zeit. Dann muss sie nach Hause, damit ihre drei Kinder etwas zu essen bekommen.

«Wenn du damals als Frau Rap gemacht hast, warst du Exotin. Dadurch war es nicht einfacher, aber ich bekam einfacher Aufmerksamkeit», erzählt sie von früher. Franziska Schläpfer fand in den 1990er-Jahren von David Bowie, Punk und Hardcore herkommend über die Musik von Gruppen wie Body Count oder Beastie Boys, die Hardcore/ Punk mit Rap zusammenbringen, zu Big Zis. Jahrelang machte sie im damaligen Mundart-Underground Musik, machte eine Lehre als Zimmerin, bevor sie 2002 nach ihrem ersten Album «Keini so» plötzlich da war. In den grossen Medien, an der Landesausstellung EXPO 02, auf der Mental Map von Schweizer Normalos.

Plötzlich verstehen alle

«Das Patriarchat hat lang genug gedauert», sagte sie damals in einem grossen Interview mit zwei anderen, heute nicht mehr so bekannten Schweizer Kunstschaffenden, die die Öffentlichkeit eher nutzten, um sich selbst zu feiern. Big Zis war schon damals sehr entschieden feministisch und kapitalismuskritisch.

In ihrem Umfeld, so Zis – die in den 1990ern in der legendären Zürcher Wohlgroth-Besetzung lebte –, sei das schon damals normal gewesen. Was sich aber nun ändere sei, wie sehr momentan Themen «hochkommen, aufgeschwemmt werden, die für mich, eigentlich schon für unsere Grossmütter, immer wichtig waren».

Zis erzählt von ihrer Verwunderung in der Welt von heute: «Kürzlich hat mir eine schlaue Journalistin vom TV-Peoplemagazin ‹Glanz & Gloria› fünf Fragen gestellt – und alle fünf waren politisch, ich mein: Wow, was lauft?» Früher hätten die grossen Medien ignoriert, dass Zis’ Texte mehr wollen als Poesie. Plötzlich verstehen es alle, es passiere etwas. Die Veränderung sei spürbar, wenn auch nur «megamegalangsam». Das sei auch logisch, denn sie sei so fundamental und erfasse alle Lebensbereiche und alle Definitionen von Wirtschaft. «Wenn der Kapitalismus bleibt, wird das Patriarchat nicht einfach verschwinden. Auch Rassismus und die Diskriminierung von Minderheiten sind damit verschränkt. Es geht um Systemkritik.»

Dass das nun mehr und mehr Menschen erkennen, habe mit dem Frauenstreik 2019 zu tun, mit der Pandemie wohl auch. «Jetzt, wo gerade alle für das Pflegepersonal klatschten, verstehen sie, worüber ich in ‹iCare› spreche.»

Davon, wie wir alle auf Hausarbeit und Kindererziehung herabschauen. Davon, wie schlecht bezahlt und prekär Pflegeberufe sind. Davon, dass alles Zusammenleben eigentlich auf der Sorge auf- und zueinander aufbaut. «ich flick und ich mach ich versorg und ich bach es isch klarer als klar ich sorg und bin da das isch nöd unbezahlbar iCare youCare weCare meCare»

Definitiv war Hausarbeit noch nie so tanzbar. Und gar der Grundbeat ist häuslich entstanden: Es sei das Geräusch der Murmelbahn ihres Sohns. Sprachlich setzen abwechselnde «Disco!»- und «Oikos!»-Rufe den Rhythmus.

Zis, die Zimmerin, holte in den Nullerjahren die Matura nach, um zu studieren. «Lange hatte ich einen Komplex gegenüber Gebildeten: Ich hatte nie Englisch in der Schule, nie Chemie und viele schlechte, wirklich schlechte Noten erhalten.» Die «zwei oder ein wenig mehr Jahre» Philosophiestudium hätten ihr beim Sortieren der Gedanken und beim Argumentieren geholfen. Zis’ Musik enthält Argumente, die beim ersten Hören eben bloss wie Sound erscheinen.

Keine Manifeste

«Oikos» – Griechisch für Haushalt, Hausgemeinschaft – bildet den ersten Teil des Wortes Ökonomie. Der zweite ist «nomos», Gesetz. Daraus schliessen feministische Intellektuelle wie Ina Praetorius, dass wir beim Wort Ökonomie nicht zuerst an Aktienmärkte denken sollten, sondern an die Wertschätzung jener Arbeit, die es anderen ermöglicht, ihre Tage an Aktienbörsen zu verbringen: unbezahlte Hausarbeit, schlecht bezahlte Haus- oder Betreuungsarbeit, Kindererziehung. Im alten Griechenland war das Haus geteilt zwischen «oikos», dem öffentlich-repräsentativen, von Frauen gestemmten und ermöglichten Teil des Hauses. Und «andron», dem reich verzierten Männergemach. Bei Big Zis gibt es keine Männersphäre mehr, Big Zis teilt ein in Haushalt und Disco! Wer das mitbekommt, der hört einen lustvollen, vorfreudigen Abgesang aufs Patriarchat.

Doch trotz allem – obwohl Big Zis im letzten Song «Funky Cool Vagina» intellektuelle Quellen aufzählt: Ina Praetorius, Franziska Schutzbach und bell hooks – muss man das nicht mitbekommen. Es ist die Kunst von Big Zis und etwas, woran politischer Rap fast immer scheitert, dass sie eben keine Manifeste singt. Es ist auch ihr Anspruch: «Lieder, die nur Fakten reihen und argumentieren wie ein Aufsatz, können toll sein. Aber mir fehlt da eine Ebene, die Kunst erst wirklich wichtig macht.» Sprache schaffe Assoziationen. «Die verbinden sich mit Erinnerungen, dann wird alles zu einem Knäuel.» Dann werde es in der Kunst relevant. «Nicht für alle, aber für einige.» Und das interessiert Zis. Und während sie das tut, denkt sie politisch, fühlt sie politisch, ist sie politisch.

«Egal, ob ich stehe oder sitze, ist es Politik. Das habe ich mal gerappt.» Da schrieb ihr der befreundete Rapper Greis eine SMS: Dafür gebe es ein studiertes Wort. Ubiquitär. Das ist zehn, zwölf Jahre her, aber der Begriff bleibt

«Kurz vor dem Auftritt den Darm entleeren» und «Hände waschen!» – Big Zis war ihrer Zeit schon immer voraus, wie diese fast schon historischen Aufnahmen von ihr zeigen.

auch zehn, zwölf Jahre noch in ihrem Aktivwortschatz und ihrer Denkwelt. Noch immer ist Big Zis Rap stufenlos, Ausdruck eines liquiden und dabei immer auch politischen Selbstverständnisses. Egal was sie tut, was sie singt. Noch immer rappt sie über Abstraktes, vermengt’s mit Konkretem, noch immer ist sie wütend, reisst an imaginären Dus, den Verhältnissen oder packt das Patriarchat am Genital: «hang mer din Schwanz um de Hals und sprütz uf de Mond (…) bin ich binär? Nei ubiquitär? ja Matriarchat? fein to big to fail? ja»

Ubiquitär, das bildungsbürgerliche Wort von Rapper Greis, gehört heute Zis. Aber gerade aus diesen Zeilen dringt, dass auch ihr politisches Denken nicht starr ist. «bin ich binär? Nei», das ist eine Absage dagegen, dass es nur zwei starre Geschlechter – Frau und Mann – gibt, denen sich alle zuordnen lassen müssen. «Ich bin ja auch ein Mensch von dieser Zeit und dieser Welt, bin mit Männer- und Frauenbildern aufgewachsen – selbst muss ich mich ja auch öffnen.» Die queere Bewegung, die Perspektiven von trans-