❯ Interview mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Ihre Großmutter wurde von den Nazis im KZ ermordet, ihr Vater überlebte den Holocaust nur knapp, sie selbst wurde auf einem Hof in Mittelfranken vor den NS-Schergen versteckt: Charlotte Knobloch feiert im Herbst einen runden Geburtstag und ist hochgeachtet. Sie ist Ehrenbürgerin von München und erhielt 2019 den Europäischen Karls-Preis der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Sie ist Trägerin des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, der höchsten zivilen Auszeichnung unseres Landes, und Ehrendoktorin der Universität Tel Aviv. Die gebürtige Münchnerin war Vize-Präsidentin des Jüdischen Weltkongresses, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und führt seit 1985 als Präsidentin die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern. Charlotte Knobloch hat viel erreicht. Gescheitert ist sie nur einmal, in ihrer Jugend mit ihrem Plan für eine Auswanderung nach Amerika – ein Glück für München, für Bayern und für Deutschland. Im Interview mit der Sudetendeutschen Zeitung spricht die engagierte Frau über ihr Leben.
Advertisement
Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, auf der Dachterrasse des Jüdischen Gemeindezentrums mit der Frauenkirche im Hintergrund. Foto: Torsten Fricke
Frau Präsidentin, Sie haben im Januar 2021 anläßlich der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag eine beeindruckende Rede gehalten und dabei einen Satz gesagt, bei dem ich zusammengezuckt bin: „Ich stehe vor Ihnen als eine stolze Deutsche.“
Charlotte Knobloch:
Da darf ich mit einer Gegenfrage antworten: Warum sind Sie zusammengezuckt?
Einer meiner Professoren an der Ludwig-Maximilians-Universität war Władysław Bartoszewski, der das KZ Auschwitz überlebt und dann im Untergrund viele Juden gerettet hat. Ich habe ihn, den späteren Außenminister Polens, gefragt, warum er trotz dieser grauenhaften Erfahrung seine Zeit opfert, um in München vor deutschen Studenten zu lehren. Ich hätte verstanden, wenn er mit diesem Land nichts mehr zu tun hätte haben wollen. Und ich hätte auch verstanden, wenn Sie diesen Satz nicht gesagt hätten, zumal Sie nach der Befreiung von den Nazis eigentlich in die USA ausreisen wollten.
Charlotte Knobloch:
Das stimmt. Ich habe einige Jahrzehnte gebraucht, um dieses Land als Heimat zu sehen. Die Koffer waren in dieser Zeit nicht ausgepackt. Mir war bewußt, daß dieser Satz unterschiedliche Reaktionen auslösen wird. Aber ich bin jemand, der sagt, was er fühlt. Und das fühle ich trotz aller Themen, die auf uns lasten. Ich kenne viele Menschen, die lange nach dem Holocaust geboren sind, die sich aber trotzdem fragen: Ist das noch das Land, in dem meine Kinder aufwachsen sollen?
Wir sind hier im fünften Stock des Jüdischen Zentrums. Vom Fenster aus sieht man die Kinder des Alexander-Moksel-Kindergartens, die im Innenhof spielen. Eigentlich ein schönes Bild, wenn wir nicht wüßten, daß dieser Innenhof aus Angst vor Terror und Gewalt bestmöglich geschützt werden muß.
Charlotte Knobloch:
Wir versuchen alles, damit unsere Kinder eine unbeschwerte Kindheit haben, aber natürlich nehmen sie die Situation wahr. Es ist betrüblich, daß wir auf Eingangskontrollen, Security und andere Sicherheitsmaßnahmen nicht verzichten können.
Blicken wir in Ihre Kinderund Jugendzeit zurück. Sie sind in München geboren und waren noch ein Baby, als Hitler an die Macht kam. Was haben Ihnen Ihre Eltern erzählt? Was haben Sie später selbst mitbekommen?
Charlotte Knobloch:
Mein Vater war Rechtsanwalt und hat mir später erzählt, daß er nicht glücklich war, als meine Mutter mit mir schwanger war und sich die Familie vergrößerte. Er war ein sehr kluger und optimistischer Mann, der aber ahnte, daß die Zeiten dunkler werden. Hitler ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist vom Volk gewählt worden. Daß sich die Stimmung immer weiter radikalisierte, haben mein Vater und unsere jüdischen Freunde mit großer Sorge verfolgt, aber keiner hat je damit gerechnet, daß aus diesen Worten ein staatlich organisierter Massenmord wird.
Wann hatten Sie geplant, vor dem Nazi-Terror aus Deutschland zu flüchten?
Charlotte Knobloch:
Das war erst später. Mein Onkel war bereits 1936 in die USA emigriert und hat dann ein sogenanntes Affidavit für meinen Vater, mich und meine Großmutter beantragt. Affidavit ist ein Wort, das ich nie vergessen werde. Es war quasi die Erlaubnis, in die USA einreisen zu dürfen. Und ich habe viele verzweifelte Menschen gesehen, die in Tränen ausgebrochen sind, als sie eine Absage erhielten.
Sie und Ihr Vater haben ein Affidavit bekommen...
Charlotte Knobloch:
... aber meine Großmutter nicht. Sie wurde von den amerikanischen Behörden als zu alt angesehen. Wir haben deshalb beschlossen, daß wir unsere Großmutter nicht alleine zurücklassen und sind geblieben.
Sie hatten eine sehr enge Bindung an Ihre Großmutter, nachdem Ihre Mutter die Familie verlassen hatte, als Sie vier Jahre alt waren. Was war der Grund für die Trennung?
Charlotte Knobloch:
Meine Großeltern väterlicherseits waren sehr religiöse Juden. Aus Liebe zu meinem Vater ist meine Mutter bereits vor der Hochzeit zum Judentum konvertiert. Später wurde meine Mutter von der Gestapo vorgeladen. Man hat ihr gesagt: „Wenn Sie sich weiter mit den Juden einlassen, wird Ihnen das gleiche passieren, was den Juden passiert.“ Es hat wenige gegeben, die solchem Druck standgehalten haben.
Haben Sie Ihre Mutter später wiedergesehen?
Charlotte Knobloch:
Ich habe sie einmal ganz kurz auf der Straße gesehen. Mein Vater hat mir später erzählt, daß sie wieder geheiratet und eine neue Familie gegründet hat. Meine Großmutter hat bei mir die Mutterstelle vertreteten. Da fehlte es mir an nichts.
Auch Ihr Vater geriet in die Fänge der Gestapo.
Charlotte Knobloch:
Das passierte auf einem Spaziergang. Es war ein Sonntag bei schönstem Wetter. Ich erinnere mich gut an den grünen Gefängniswagen, der plötzlich auftauchte. Die Männer sind ausgestiegen und haben die Ausweise der Passanten kontrolliert. Mein Vater hatte ein „J“ in seinem Ausweis und wurde sofort festgenommen. Es ging alles sehr schnell. Plötzlich spürte ich eine Hand an meiner Hand, die mich wegzog und mit mir weiterging. Ich habe kurz meinen Vater angesehen und gespürt, daß er wollte, daß ich mit den fremden Menschen mitgehe. Es war ein Paar, das selbst ein Kind in einem Kinderwagen hatte. Ich habe das erste Mal erlebt, daß uns geholfen wurde.
Wie ist es Ihrem Vater ergangen?
Charlotte Knobloch:
Er kam ins Polizeipräsidium in der Ettstraße. Im Hof wurden die Häftlinge aufgeteilt. Jeder mußte einzeln vortreten, seinen Namen sagen und wo er wohnt. Dann mußten sie nach rechts gehen. Als mein Vater an der Reihe war, sagte der SS-Mann, der das Kommando hatte, er solle nach links gehen. Mein Vater fürchtete das Schlimmste. Dann wurden alle, die rechts standen, nach Dachau gebracht. Zu meinem Vater, der von diesem Transport verschont blieb, sagte der SS-Mann: „Sie kennen mich nicht mehr, aber ich war mal Mandant bei Ihnen und konnte die Rechnung nicht bezahlen. Damals haben Sie mir gesagt: ,Dann zahlen Sie, wenn Sie es können.‘ Heute kann ich es.“ Als mein Vater dann abends wieder bei uns war, war das natürlich eine große Erleichterung. Wir haben nie wieder etwas von dem Mann gehört, auch nicht nach dem Krieg. Aber mein Vater hat dann am 9. November 1938, also direkt vor der Pogromnacht, einen anonymen Hinweis bekommen, er solle sich mit seiner Familie in Sicherheit bringen. Wir glauben, daß diese Warnung auch von diesem Mann kam.
Ende 1938 begannen die ersten Deportationen. Auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 plante SS-Scherge Reinhard Heydrich, der Monate später von mutigen tschechischen Fallschirmjägern in Prag liquidiert wurde, den Holocaust. Wie haben Sie die Zeit der Deportationen er- und vor allem überlebt?
Charlotte Knobloch:
Mein Vater hatte erfahren, daß ein sogenannter Kinder- und Altentransport zusammengestellt wurde. Der Verantwortliche für die Deportationslisten hatte ihm berichtet, daß er gezwungen wurde, einen von uns auf die Liste zu setzen. Meine Großmutter entschied, daß sie sich aufschreiben läßt. Mit mir wurde das damals nicht besprochen. Mir sagte sie zum Abschied nur, sie fahre „zur Kur“. Um mich zu retten, hat mein Vater mich dann im Sommer 1942 ins mittelfrän kische Arberg zu der ehemaligen Haushälterin meines Onkels, Kreszentia Hummel, gebracht. Als wir dort ankamen, hat ihnen mein Vater die ganze Wahrheit gesagt. Die Familie hat dann lange beraten. Wir haben in einem anderen Zimmer gewartet, und ich sehe meinen Vater heute noch, wie er vor lauter Nervosität die ganze Zeit in dem Raum aufund abgegangen ist. Die ehemalige Hausangestellte hat mich später als ihr uneheliches Kind ausgegeben. Und so überlebte ich die Zeit bis zum Ende der Nazi-Herrschaft und bis zur Befreiung durch die Alliierten.
Gab es keine Möglichkeit, Deutschland zu verlassen?
Charlotte Knobloch:
Nein. 1940 hatten es noch einige Juden geschafft, nach Shanghai zu flüchten, aber bald danach waren die Grenzen dicht. Alle Juden waren registriert. Und das öffentliche Leben war für uns Juden stark eingeschränkt.
Wie ist es Ihrem Vater ergangen?
Charlotte Knobloch:
Mein Vater kam in Zwangsarbeit und hat sich dort mit russischen Kriegsgefangenen angefreundet. Als mein Vater Ende 1944 erfuhr, daß er ins KZ deportiert werden sollte, war er verzweifelt, aber die russischen Freunde haben ihn nicht im Stich gelassen. Sie haben ihm die Bekleidung besorgt, die die Kriegsgefangenen getragen haben, und ihm geholfen, auf dem abendlichen Marsch vom Arbeitseinsatz zurück zum Lager unentdeckt zu entkommen. Er hat sich zu einem Freund nach Gauting durchgeschlagen, der ihn bis Kriegsende auf dem Speicher vor den Nazis versteckte.
Wie war das erste Wiedersehen mit Ihrem Vater?
Charlotte Knobloch:
Gemischt, denn ich wollte auf keinen Fall zurück nach München. Und ich wußte, daß mein Vater kommen würde, um mich abzuholen. Die Zeit in München hatte ich in meinem Gedächtnis so eingebrannt, daß ich mir nicht vorstellen konnte, in dieser Stadt noch einmal zu leben. Aber natürlich war ich sehr froh, daß mein Vater noch am Leben war. Er hat mir eine Schonzeit eingeräumt. Ich konnte noch ein paar Wochen bei der Bauersfamilie bleiben, bis ich zurück nach München mußte. Aber für mich war klar, daß ich nur ein Ziel habe, nämlich so schnell wie möglich nach Amerika auszuwandern.
Wann haben Sie davon erfahren, daß die Nazis Ihre Großmutter 1944 im KZ Theresienstadt ermordet hatten?
Charlotte Knobloch:
Erst später. Mein Vater hatte mich trösten wollen und erst erzählt, er habe noch keine Nachrichten, obwohl er damals schon wußte, was passiert war.
Die fabrikmäßige organisierte Ermordung von Menschen war bis dahin unvorstellbar. Bei Kriegsende waren Sie zwölf Jahre alt. Wann haben Sie das ganze Ausmaß des Holocausts realisiert?
Charlotte Knobloch:
Das ging stückweise. Jeden Tag gab es neue Nachrichten, was Menschen zugestoßen war.
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich sehr schwer getan mit der Aufarbeitung der Nazi- Verbrechen und der Bestrafung der Täter. Wie belastend war es für Sie zu erleben, daß frühere Nazi-Verbrecher plötzlich wieder in Amt und Würden waren?
Charlotte Knobloch:
Nach Kriegsende standen die Amerikaner vor der Herausforderung, die Bevölkerung in München mit Essen und Trinken zu versorgen. Ich erinnere mich gut, daß der Mann, der das Lager in Milbertshofen geführt hatte, der also dafür gesorgt hatte, daß meine Großmutter und viele andere in die Waggons steigen mußten, um ins KZ deportiert zu werden, plötzlich die Aufgabe bekam, die Versorgung zu organisieren. Dieser Mann hat mich Jahrzehnte später angerufen und ein Treffen vereinbart, weil er mir angeblich wichtige Dinge erzählen wollte. Wie lief dieses Treffen ab? Knobloch: Es war bei ihm in einer Wohnung in Schwabing. Die Adresse werde ich nie vergessen. Er hat mir Fotos und Karten des Lagers gezeigt. Als ich dann erfahren habe, wer da vor mir sitzt, habe ich das Gespräch sofort abgebrochen und bin gegangen.
Sie haben 1951 Samuel Knobloch geheiratet, der das Krakauer Ghetto überlebt hatte. Eigentlich wollten sie beide schnellstmöglich nach Amerika auswandern.
Charlotte Knobloch:
Ja, ich wollte weg. Ich wollte das alles hinter mir lassen. Ich habe mich damals geschämt, einen deutschen Paß zu haben, mußte aber warten, bis ich mit 21 Jahren endlich volljährig wurde, aber da war ich dann schon Mutter. Und mit drei Kindern haben mein Mann und ich dann entschieden, daß wir bleiben. Das Schicksal hat eben anders entschieden.
Frau Präsidentin, was ist Ihre Botschaft an die Jugend?
Charlotte Knobloch:
Wir müssen den Stab der Erinnerung an die nächste Generation weitergeben. Ich möchte jungen Menschen zeigen, daß es auch in der Nazi-Zeit Menschen gab, die geholfen haben. Junge Menschen sollen verinnerlichen, daß sie sich von niemandem vorschreiben lassen sollen, wen sie zu lieben und wen sie zu hassen haben. Und daß sie als nachwachsende Generation Verantwortung übernehmen für die Zukunft. Wie gesagt: Ein Hitler ist nicht vom Himmel gefallen.
Wie sehen Sie die aktuelle Entwicklung in Deutschland?
Charlotte Knobloch:
Der Antisemitismus nimmt zu. Gerade über das Internet werden Haßbotschaften und Lügen verbreitet und finden einen fruchtbaren Nährboden. Mickey Levy, der Präsident der israelischen Knesset, hat unlängst unter Tränen im Bundestag auf die Bedeutung des ‚Nie wieder‘ hingewiesen.
Im Rahmen der Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus sprach Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, am 27. Januar 2021 vor dem Deutschen Bundestag. Foto: Deutscher Bundestag/Marco Urban
Woher kommt der Antisemitismus? Sind das rechtsextreme Deutsche oder sind das Flüchtlinge aus arabischen Staaten, die hier Schutz suchen, aber unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht respektieren?
Charlotte Knobloch:
Sowohl als auch. Judenhaß findet man vor allem bei Rechtsextremen, aber auch bei Linksextremen und Kommunisten, oder bei Menschen, die aus fehlgeleiteten religiösen Motiven Juden bekämpfen. Ich war selbst schon Zeuge von Veranstaltungen, auf denen Menschen von extremen Demagogen aufgepeitscht wurden. Vor so etwas habe ich Angst.
Selbst Amnesty International ist solchen Demagogen auf den Leim gegangen und hat in einer beispiellosen Kampagne samt einer verqueren und haltlosen Begründung Israel „Apartheid“ vorgeworfen.
Charlotte Knobloch:
Darauf kann ich nur sagen: Ich bin entsetzt. Ich kann nicht verstehen, was das für Menschen sind, die Lügen in die Welt setzen, um gegen einen Staat zu hetzen, der jeden Tag um seine Existenz kämpft.
Zahlreiche Reaktionen zeigen Gott sei Dank, daß viele Bürger und Politiker Amnesty International diese antisemitische und antiisraelische Hetze nicht durchgehen lassen. Dennoch gilt es wachsam zu sein. Sie haben im Bundestag gesagt: „Wer Corona-Maßnahmen mit der nationalsozialistischen Judenpolitik vergleicht, verharmlost den antisemitischen Staatsterror und die Schoah.“ Wie kommt es, daß solche falschen Vergleiche immer wieder gezogen werden?
Charlotte Knobloch:
Das ist purer Antisemitismus, obwohl ich das Wort heute gar nicht mehr gebrauche, sondern von Judenhaß spreche. Wenn insbesondere AfD-Politiker mit solchen Vergleichen versuchen, die Massen zu mobilisieren, werden wir Juden wieder zu Freiwild. Aus Worten werden auch irgendwann wieder Taten.
Kommen wir zu einem erfreulichen Thema: Am 9. November 2006 wurden die neue Hauptsynagoge Ohel Jakob und das Jüdische Gemeindezentrum im Herzen von München eröffnet. Die jüdische Gemeinde wächst – auch dank vieler Zuzügler aus Osteuropa. Wie funktioniert die Integration?
Charlotte Knobloch:
Es war nicht immer einfach. Viele hatten geglaubt, sie kommen in ein Land, wo Honig und Milch fließen. Die Realität war dann oft hart. Berufsausbildungen wurden nicht anerkannt oder es war schwierig, eine Wohnung zu finden. Wir haben diese Menschen auffangen müssen. Es ist deshalb wichtig, daß die neuen Gemeindemitglieder nicht ihre komplette kulturelle Heimat verlieren. Wir machen deshalb auch viele Veranstaltungen in russischer Sprache und mit russischen Protagonisten. Und unsere Gemeindezeitung erscheint zweisprachig.
Sie feiern im Herbst einen runden Geburtstag. Wie würden Sie Ihr bisheriges Leben in einem Satz zusammenfassen?
Charlotte Knobloch:
Ich habe viel gearbeitet, aber auch viel erreicht. Darauf bin ich stolz. Generell gilt: Jeder hat seine Geschichte – wenn er überlebt hat und sie erzählen kann.
Torsten Fricke
Nach ihrer großen Rede vor dem Bundestag erhält Charlotte Knobloch stehenden Applaus von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Bundestagsabgeordneten. Foto: Deutscher Bundestag/Marco Urban
❯ Zur Person: Charlotte Knobloch
❯ Geboren als Charlotte Neuland am 29. Oktober 1932 in München, verheiratet mit Samuel Knobloch (1922–1990), drei Kinder.
❯ Seit 1985: Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
❯ 2005 bis 2013: Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses (WJC).
❯ 2006 bis 2010: Präsidentin des Zentralrats der Juden in
Deutschland.
❯ 2005: Ernennung zur Ehrenbürgerin von München.
❯ 2008: Georg-Meistermann-Preis der Stadt Wittlich.
❯ 2008: Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der
Bundesrepublik Deutschland
❯ 2009: Ehrendoktorwürde der Universität Tel Aviv.
❯ 2010: Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
❯ 2010: Eugen-Bolz-Preis.
❯ 2011: Ehrensenatorin der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.
❯ 2016: Eugen-Biser-Preis.
❯ 2019: Annemarie-Renger-Preis.
❯ 2019: Europäischer Karls-Preis der Sudetendeutschen Landesmannschaft.