5 minute read

Brünner Versöhnungsmarsch – starkes Signal für das Miteinander

Rekordbeteiligung beim Brünner Versöhnungsmarsch: Über hundert Sudetendeutsche reisten nach Südmähren, um am Samstag am Massengrab in Pohrlitz der Opfer der wilden Vertreibung zu gedenken. Gemeinsam mit den tschechischen Landsleuten machten sich viele der sudetendeutschen Teilnehmer dann anschließend auf, um Richtung Brünn zu gehen.

Steffen Hörtler, Landesobmann von Bayern: „Uns war es wichtig, ein starkes Zeichen der Versöhnung zu setzen – gerade jetzt, nach der Pandemie mit den tiefgreifenden Grenzschließungen. Wir müssen alle Versuche von Extremisten in beiden Ländern, die Corona als Vorwand nehmen, um alte Ressentiments wiederaufleben zu lassen, im Keim ersticken. “

Advertisement

Daß es deshalb gerade jetzt gelungen sei, mit zwei vollbesetzten Bussen und über hundert Teilnehmern nach Brünn zu fahren, „unterstreicht das bürgerschaftliche Engagement der Sudetendeutschen für Frieden, Versöhnung und Völkerverständigung“, so Hörtler.

In diesem Jahr fand der Versöhnungsmarsch bereits zum 15. Mal statt. Ins Leben gerufen hatte die Aktion Jaroslav Ostrčilík: „Die Vertreibung von 20 000 sudetendeutschen Bürgerinnen und Bürgern von Brünn und Umgebung war der tiefste Einschnitt in die jüngere Stadtgeschichte. Obwohl kein Ereignis das Stadtbild so nachhaltig verändert hat, wurde das Thema während der kommunistischen Herrschaft jahrzehntelang totgeschwiegen“, erklärt Ostrčilík sein Engagement.

SL-Landesobmann Steffen Hörtler und Initiator Jaroslav Ostrčilík.

Foto: Torsten Fricke

Beim ersten Marsch wurde Ostrčilík nur von zwei Studentinnen begleitet – wohl aus Mitleid, damit er nicht alleine unterwegs sei, wie er jetzt erzählt. Damals folgte er der ursprünglichen Route von Brünn ins 30 Kilometer entfernte Pohrlitz.

„Ich wollte zumindest ein Gefühl davon bekommen, welche Belastungen die Opfer des Vertreibungsmarsches erleiden mußten“, sagt Ostrčilík, wohlwissend, daß das wirkliche Leiden, die Erschießungen und Erschlagungen am Wegesrand, Hunger, Durst und Krankheiten außerhalb der normalen Vorstellungskraft liegen. Allein im Massengrab von Pohrlitz sind 890 Leichen begraben. Insgesamt hat der Todesmarsch mindestens 1700 Menschenleben gekostet.

Seit 2015 findet der Gedenkmarsch in umgekehrter Richtung statt – als Versöhnungsmarsch von Pohrlitz nach Brünn. Dies sei ein bewußtes Signal an die ehemals Vertriebenen und deren Nachkommen, in Brünn willkommen zu sein, so Ostrčilík.

Der Versöhnungsmarsch fand im Rahmen des Festivals Meeting Brno statt, das unter dem Motto „Die Wahrheit siegt?“ stand und insbesondere die Situation in Weißrußland thematisierte.

Steffen Hörtler: „Es freut uns sehr, daß der Brünner Versöhnungsmarsch mittlerweile von der Politk offiziell unterstützt wird. So hat der Brünner Stadtrat vor vier Jahren mit der Deklaration zur Versöhnung und gemeinsamen Zukunft ein historisches Zeichen gesetzt.“

In diesem Jahr begrüßte der Bezirkshauptmann von Südmähren, Jan Grolich, die Teilnehmer in Pohrlitz. Und in Brünn schlossen sich der ehemalige tschechische Außenminister Tomáš Petříček, Brünns Zweiter Bürgermeister Jan Hladík, Milan Horáček, Gründungsmitglied der Grünen und ehemaliger Bundestags- und Europaabgeordneter, der ungarische Konsul István Buczko und der deutsche Kultur-Attaché Markus Klinger der Marschgruppe an, um dann im Mendel-Garten des Augustinerklosters am Mahnmal Kerzen für die Vertreibungsopfer zu entzünden.

Von sudetendeutscher Seite waren unter anderem dabei: Schwester Edith Breindl, die als Kind den Brünner Todesmarsch überlebt hat (siehe Seite 3), Reinfried Vogler (Alt-Präsident der Bundesversammlung), Dr. Ortfried Kotzian (Vorstandsvorsitzender Sudetendeutsche Stiftung), Stefan Planker (Direktor Sudetendeutsches Museum), Heimatpflegerin Christina Meinusch, Peter Barton (Leiter der Prager Büros) sowie Vertreter der Seliger Gemeinde und der Ackermann-Gemeinde.

Kleine Steinkreuze erinnern an das Grauen vor über 75 Jahren: Hier bei Pohrlitz sind 890 Opfer der wilden Vertreibung in einem Massengrab bestattet.

Foto: Torsten Fricke

❯ Barbara Breindl erlebte als knapp sechsjähriges Mädchen den Brünner Todesmarsch

„Die Toten wurden nicht begraben,sondern einfach liegen gelassen“

30. Mai 1945: Gegen 18.30 Uhr wurde die damals knapp sechsjährige Barbara Breindl mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern in Brünn aus dem Haus geholt und auf menschenunwürdige Art mit rund 27 000 Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei vertrieben. Heute, mehr als 75 Jahre nach dem Brünner Todesmarsch, lebt Barbara Breindl wieder in Brünn und erinnert sich im Gespräch mit der Sudetendeutschen Zeitung an diesen Lebenseinschnitt.

❯ Zur Person: Barbara Breindl ❯ Geboren am 6. Juli 1939 in Falkenau in Mähren. ❯ Anfang 1945 flüchtete Barbara Breindls Mutter mit den drei kleinen Kindern vor den Russen nach Brünn. ❯ Mai 1945: Brünner Todesmarsch. ❯ 1951: Nach der Rückkehr des Vaters aus der tschechoslowakischen Zwangsarbeit läßt sich die Familie in Hannover nieder. ❯ 1995: Rückkehr in die Tschechische Republik nach Prag. ❯ 1996: Umzug nach Brünn.

Foto: Torsten Fricke

Frau Breindl, Sie waren damals noch ein Kind und haben erst später über die Erinnerungen der Erwachsenen das volle Ausmaß dieser wilden Vertreibung mitbekommen. Was ist damals passiert?

Barbara Breindl: Die Menschen wurden in Fünferreihen durch die Stadt geführt. Alte Menschen und kranke Menschen, da wurde keine Rücksicht genommen. Wir hatten allerdings Glück. Meine Mutter, die damals schwanger war, berichtete mir, daß wir mit meiner Oma, einer Tante und einem Onkel nach Pohrlitz gefahren wurden. Eine Tante meiner Mutter mußte dagegen mit ihrem Mann die Strecke zu Fuß gehen. Er schaffte es leider nicht. Die Tante mußte ihren Mann sterbend im Straßengaben zurücklassen. Kein Einzelfall. Breindl: Der Brünner Todesmarsch forderte mindestens zweitausend Tote. Die Toten wurden nicht begraben, sondern einfach am Straßenrand liegengelassen. Der Verwesungsgeruch soll noch Tage in der Luft gewesen sein. Im Lager von Pohrlitz, das auf halber Strecke zwischen Brünn und der österreichischen Grenze lag, war die Lage schlimm. Eine Tante von mir erkrankte wie viele andere an Diphtherie und ist in dem Massengrab beerdigt.

Ihr Vater war in Zwangsarbeit. Wie schaffte es Ihre Mutter, das Lager zu verlassen?

Breindl: Für meine Mutter war sofort klar, daß wir fliehen, obwohl das verboten war. Zu Fuß, samt Kinderwagen, sind wir dann donauaufwärts Richtung Enns gegangen. Sie wollte mit uns unbedingt in den amerikanischen Sektor. Einem sowjetischen Soldaten, der uns gestellt hatte, erzählte meine Mutter, ihr Mann würde auf der anderen Seite warten. Er hat uns dann nachts heimlich über die Grenze gelassen.

Wovon und wo hat Ihre Familie schließlich gelebt?

Breindl: Zunächst lebten wir zu siebt in einem Zimmer, später dann in zwei. Meine Oma war eine gute Näherin und hat damit etwas Geld verdient. Das größte Glück in dieser Hungerszeit war ein amerikanischer Soldat namens Len. Er half meiner Oma einen Baum zu transportieren und wurde später ein Freund der Familie. Da er in der Proviantabteilung arbeitete, hatten wir immer zu essen. Ich empfinde große Dankbarkeit für diese Fügung.

Sie haben Theologie in Passau studiert, lange als Schwester im Ursulinenorden in Duderstadt gelebt und sind dann vor ein paar Jahren nach Brünn zurückgekehrt. Mit welchem Gefühl?

Breindl: Seit meiner Rückkehr nach Brünn denke ich manchmal, daß ich die Glücklichste von allen Vertriebenen bin, weil ich in der Heimat sein darf. Dafür ist mir kein Preis zu hoch.

Gruppenfoto zum Auftakt des Brünner Versöhnungsmarsches in Pohrlitz: Die Sudetendeutsche Landesmannschaft war mit Bayerns Landesobmann Steffen Hörtler an der Spitze (zweiter von rechts) in diesem Jahr stark vertreten.

Foto: Torsten Fricke

Gebürtige Brünner: Viktor Polansky , Dietmar Schmidt, Sigrid Platzeck, Ute Groß und Wolfgang Kallwitz am Massengrab des Brünner Todesmarsches in Pohrlitz.

Foto: Torsten Fricke

„... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“: Pastorin Martina Viktorie Kopecká, Präsidentin des Festivals Meeting Brno, mit Dr. Uwe Scharfenecker.

Foto: Torsten Fricke

Kurz nach dem Start am Massengrab passieren die Teilnehmer des Brünner Versöhnungsmarsches den Ort Pohrlitz, rund 30 Kilometer von Brünn entfernt.

Foto: Torsten Fricke

Auf der von der Polizei gesperrten Landstraße geht es Schritt für Schritt Richtung Brünn. Zeit für Gespräche und Gedanken.

Foto: Torsten Fricke

Kultur-Attaché Markus Klinger, 2. Bürgermeister Petr Hladík, Ex-Außenminister Tomáš Petříček, Steffen Hörtler, Konsul István Buczko, Peter Barton.

Foto: Torsten Fricke

Gemeinsam geht es an der Kirche St. Leopold vorbei über den Fluß Svratka in Richtung Augustinerkloster.

Foto: Torsten Fricke

Gemeinsam entzünden Mario Hierhager und Peter Polierer zum Gedenken an die Opfer des Brünner Todesmarsches Kerzen am Fuß des Mahnmals.

Foto: Torsten Fricke

This article is from: