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Nah und (immer) da

und (immer) da

Made in ganz weit weg? Das finden Konsumenten zunehmend unschick, besonders im hochwertigen Segment. Doch es gibt noch bessere Argumente für die Produktion vor der Haustüre: Schnelligkeit zum Beispiel. Text: Kay Alexander Plonka. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler

Wenn Wurstfabrikanten vegetarische Produkte anbieten, könnte man meinen: Irgendwas läuft ganz falsch – oder ganz richtig. Die Lebensmittelbranche hat vorgemacht, dass ein anderes Konsumverhalten möglich ist. Bio wird immer öfter als selbstverständlich erachtet und lokal erzeugte Produkte einzukaufen, ist mindestens genauso wichtig wie das Fair-Trade-Siegel bei Kaffee, Bananen oder Schokolade. Langsam aber sicher zieht die Modebranche nach: Missstände in der Textilindustrie – egal ob in Kambodscha, Bangladesch oder der Türkei – haben dazu beigetragen, dass immer mehr Menschen ihr Konsumverhalten hinterfragen und sich den Luxus leisten, Textilien oder Schuhe bewusster einzukaufen und deren Herstellungsbedingungen zu hinterfragen. Dominik Meuer vertritt mit Die Hinterhofagentur Marken wie Cape Horn und Breco’s aus Italien oder Des Petits Hauts aus Frankreich, die nahezu ausschließlich in ihren Herkunftsländern oder in der EU produzieren und sagt: „Made in Italy oder made in France ist mit einer Erwartungshaltung der Kunden verbunden. Im hochpreisigen Sportswearsegment ist es heute schon fast eine Voraussetzung, um zum einen entsprechende Preislagen zu rechtfertigen und zum anderen durch raffinierte Veredelung, exklusive Stückzahlen und hochwertige Qualitäten gegenüber Produkten aus Asien einen Vorsprung zu haben. In Europa zu produzieren, heißt letztendlich auch in das Produkt und nicht in die Transportkosten zu investieren. Die Menschen kaufen immer bewusster ein und bei Kleidung aus der EU ist klar, dass keine Giftstoffe zum Einsatz kommen und Sozial- oder Arbeitsschutzstandards eingehalten werden.“

Fair geht vor „Fairness ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Sports!“, schreibt der Deutsche Fußball-Bund auf seiner Website. Ein Motto, das mühelos auf die Geschäftspraktiken vieler Familienunternehmen

in der Textilbranche übertragen werden kann, von denen viele schon seit Jahrzehnten ohne plakative Zertifizierung und Siegel auskommen. Denn oft wichtiger als ein Prüfzeichen ist die Grundeinstellung der Unternehmer. Ein gutes Beispiel ist die Schweizer Marke Artigiano, die seit den

„Made in Italy oder made in France ist mit einer Erwartungshaltung der Kunden verbunden.“ Dominik Meuer, Die Hinterhofagentur aus München

1970er-Jahren Hemden und Blusen in der eigenen Fertigungsstätte im Norden von Portugal sowie im Tessin teilweise als Maßanfertigungen produziert. Nun wurde im September 2014 eine weitere Produktionsstätte mit zwölf Mitarbeitern im Schweizer Tessin eröffnet. Das Schneideratelier ist mit neuesten Maschinen ausgestattet und nur zweieinhalb Stunden Fahrzeit vom Hauptsitz des Unternehmens in Neerach entfernt. So kann schneller auf Trends reagiert werden, zudem lassen sich Logistik und Lagerkosten optimieren. „Kunden können mehrmals im Laufe einer Saison nachbestellen“, erklärt Projektleiterin Aline Aeberhard. In der schweizerischen Produktionsstätte wird ein Hemd vom Zuschnitt bis zum Legetisch in allen Schritten im Haus produziert, es trägt sein Label „Made in Switzerland“ völlig zurecht. Die Seidenstoffe für die Damenblusen stammen beispielsweise aus Italien und werden am Comer See gefärbt. „Kurze Wege zu den Lieferanten ermöglichen schnelleres und flexibleres Agieren und damit bessere Servicequalität für unsere Kunden. Kleine Stückzahlen oder einzelne Serien mit Stickereien lassen sich so problemlos umsetzten“, sagt Aeberhard. Die Hemden und Blusen aus der Schweiz werden in 18 Länder exportiert. „Für die Kunden wird es immer wichtiger, woraus und von wem ein Produkt gefertigt wird. Wir setzen ganz bewusst auf den Manufakturstandort Schweiz auch aus marketingtechnischer Sicht, um die Marke zu stärken. Aber in erster Linie, weil wir unserer Verantwortung gerecht werden wollen. Bei einem Hemd aus der Schweiz ist klar, dass es nicht unter fragwürdigen Umständen hergestellt wurde. Produktionskosten allein sind in unserem Segment nicht ausschlaggebend. Freilich muss der Preis wettbewerbsfähig bleiben, die Stoffqualität besser sein und das Produkt feiner und durchdachter – nur ein Herkunftsnachweis aus der Schweiz allein reicht nicht aus.“

Die richtige Zielgruppe ansprechen Besonders Männer begeistern sich für langlebige Qualitätsprodukte made in Germany. Das kommt Mey aus Albstadt bei der in diesem Sommer gelaunchten Marke Mey Story zugute. Mit der zehnteiligen Kollektion schafft der renommierte Unterwäschehersteller den Sprung in die Sortimente von HAKA-Läden. Alle Teile von Mey Story werden vollständig in Deutschland aus feinster handgepflückter Pima Baumwolle aus Peru von Hand gefertigt. Neu ist, dass es sich bei dieser Linie um eine komplett eigene Markenwelt handelt, die separiert von den klassischen Wäschekollektionen

„Unsere Ziel ist es, das feinste weiße T-Shirt zu machen.“ Michael Prues, Head of Business Development von Mey Story

nur im gehobenen Facheinzelhandel oder ausgewählten Conceptstores erhältlich ist. In Deutschland und Österreich wird Mey Story von der Agentur Heritage Agents und in der Schweiz von der Agentur The Wearhouse vertrieben. Mitte September war das Produkt zum ersten Mal im Handel. Nicht irgendwo, sondern in Läden wie Andreas Murkudis, Lodenfrey, Schnitzler, Engelhorn, Volls, Sagmeister, Kastner & Öhler oder Neumann. Die VK-Preise für T-Shirts in den Variationen V- und Crew-Neck starten bei 59,90 Euro, Unterhemden und Shorts kosten ab 39,90 Euro. Michael Prues, Head of Business Development von Mey Story erklärt: „Unser Ziel ist es, das feinste weiße T-Shirt zu machen. Ein Produkt ohne modische Halbwertszeit in Topqualität. Die speziell entwickelte Passform

„Für die Kunden wird es immer wichtiger, woraus und von wem ein Produkt gefertigt wird.“ Aline Aeberhard, Artigiano

beruht auf langjähriger Erfahrung der deutschen Produktionsstätten. Von der Faser bis zum fertigen Teil wird großer Wert auf höchste ökologische Standards gelegt. Mit Mey Story richten wir uns an eine sehr anspruchsvolle Zielgruppe, für die Nachhaltigkeit, umweltverträgliche Produktion sowie Traditionen und Handarbeit einen sehr hohen Stellenwert haben. Unser Feedback aus dem Handel ist, dass zum einen das Trageerlebnis als auch das Preis-Leistungs-Verhältnis als einzigartig empfunden werden. Zudem sprechen wir hier über Produkte, die wir auf Lager haben. Die Bestände im Handel können wir zu jeder Zeit wieder aufstocken.“

Gutes muss nicht teuer sein Qualität hat ihren Preis. Dass Produkte von besserer Qualität für den Endverbraucher in einem erschwinglichen Preisrahmen liegen können, zeigt Espadrij l’originale. Im Jahr 2009 startete Felix Staeudinger, Inhaber der Agentur Panorama Europe, mit der Produktion von klassischen Espadrilles aus Canvas mit Naturkautschuk beschichteten Sohlen aus Jute. „Schuhe herzustellen, die eine deutlich längere Lebensdauer haben, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Mir war es wichtig, zu beweisen, dass es möglich ist, in Europa zu produzieren und die Schuhe dennoch in einem kommerziellen Preisrahmen anzubieten, damit sich viele Menschen unsere Produkt leisten können“, erklärt Staeudinger. Die Stoffe werden in Spanien gewebt. In einem kleinen Dorf in den französischen Pyrenäen werden die mediterranen Slipper auf traditionelle Art von Hand vernäht. Ein Paar kostet 29,95 Euro. Besonders gefragt sind sie bisher bei der Zielgruppe der 30- bis 40-Jährigen, die sie mit ihren Kindheitserinnerungen vom Urlaub am Mittelmeer verbinden. „Made in France spielt eine große Rolle. Wir wollen die EU als Produktionsstandort stärken. Der Produzent ist uns am Anfang entgegengekommen, damit wir für den Markteintritt trotz geringer Abnahmezahlen wettbewerbsfähig sein konnten. Heute, trotz der viel höheren Stückzahlen, zahlen wir immer noch den gleichen Preis wie vor sechs Jahren. Hier gilt das Motto Leben und leben lassen.“ In der kleinen Manufaktur arbeiten zehn Mitarbeiter und gerade wird aufgrund der weltweiten Expansion von Espadrij l’originale eine neue Halle gebaut. Mittlerweile gibt

„Mir war es wichtig zu beweisen, dass es möglich ist, in Europa zu produzieren und die Schuhe dennoch in einem kommerziellen Preisrahmen anzubieten.“ Felix Staeudinger, Espadrij l’originale, Panorama Europe

es Chukka Boots für Männer und verschiedene Modelle mit Keilabsatz für Frauen sowohl aus Canvas als auch Veloursleder zu VK-Preisen bis 79,90 Euro. Das ganze Jahr über wird produziert. Im Lager in Düsseldorf sind alle Farben und Größen stets vorrätig. Mittlerweile wird nach Australien, China, Japan und in die Arabischen Emirate exportiert. Der nächste Schritt ist so clever wie konsequent: Auch Kinder sollen bald in nachhaltig produzierten Espandrilles laufen können.