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Wir mussten uns nie neu erfinden

Norbert Lock setzt als Geschäftsführer Vertrieb auf enge Partnerschaften, intensiven Austausch und Bindung ans Unternehmen.

Karin Veit, Geschäfts- führerin Design, arbeitet seit 1975 bei Marc Cain – eine ungewöhnliche Kontinuität und zweifellos eine Stärke.

Marc Cain

„Wir mussten uns nie neu erfinden.“

Marc Cain ist über die Jahre hinweg und bei allen großen Veränderung im Markt eine feste Größe und Erfolgsgarant im Handel geblieben. Im Interview mit style in progress Chefredakteur Stephan Huber erklären Geschäftsführerin Design Karin Veit und Geschäftsführer Vertrieb Norbert Lock, wie es ihnen gelingt, Kontinuität mit Flexibilität in Einklang zu bringen und dabei immer die Marc-Cain-Kundin fest im Blick zu haben. Interview: Stephan Huber. Text: Nicoletta Schaper. Fotos: Marc Cain

Frau Veit, sind Sie eine Frauenversteherin?

Karin Veit: Vielleicht kann man das so sagen, ja. Im Entwurf gehe ich immer erst von mir aus und davon, was mich gerade interessiert, berührt und welche Highlights an Trends es gibt. Das gilt es dann in eine Kollektion zu übersetzen.

Dabei haben sich Gesellschaft und Branche in den letzten Jahren und damit auch die Zielgruppe ganz grundlegend geändert.

Karin Veit: Umso wichtiger ist es, kontinuierlich dranzubleiben. Unser Austausch mit Vertrieb und Handel ist sehr eng. Was ändert sich, was ist gerade dran, wie ist der Zeitgeist? All das fließt in unser Design ein. Marc Cain ist heute nicht mehr nur eine Kollektion, sondern unterteilt sich in mehrere Labels wie zum Beispiel Marc Cain Collections, Marc Cain Sports oder Marc Cain Additions, weil wir in kleinen Themen, in Storys arbeiten. Was super ankommt. Norbert Lock: Unsere Beständigkeit ist das andere Erfolgsgeheimnis. Bei Marc Cain kommen nicht alle vier Jahre neue Designer oder Produktmanager. So bleibt unsere DNA erhalten, so können wir auf unserem Know-how aufbauen.

Braucht es diese Kontinuität, um schnell und flexibel zu agieren?

Karin Veit: Sie ist mit Sicherheit entscheidend. Ich arbeite bereits seit 1975 bei Marc Cain, kenne unsere Kundin und ihre Ansprüche und versuche, die Trends für sie modisch und kommerziell umzusetzen.

Dabei hat auch die Geschwindigkeit in der Branche enorm zugenommen, was wiederum die Kollektions rhythmen beschleunigt hat. Gerade die Mode für Frauen hat sich massiv verändert.

Norbert Lock: Durch unsere verschiedenen Labels haben wir die Möglichkeit, uns auf Neues einzustellen, ohne unsere DNA aus dem Blick zu verlieren. Sei es der Trend Fitwear, Contemporary, der Trend zur Einzelteiligkeit mit Coordinates. Im Handel konnte der Wechsel oft gar nicht so schnell stattfinden, wie die Trends aufkamen. Für Contemporary gab es lange noch gar nicht die Kundin! Dass die Mode einzelteiliger geworden ist, kommt uns entgegen, da wir immer schon stark in Einzelteilen waren. Gleichzeitig ist es unser Vorteil, dass wir nicht aus der Konfektion kommen wie andere bekannte Marken. Umso leichter fiel es uns, das Thema Crossdressing zu spielen, das für Marc Cain ohnehin stilprägend ist.

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis scheint zu sein, dass Sie durch das Aufgreifen verschiedener Themen das Denken in Saisons überwun den haben.

Karin Veit: Davon haben wir uns bereits vor zwei Jahren verabschiedet. Ready to wear ist bei uns wörtlich zu nehmen. Norbert Lock: Im Juni können wir kein weißes Leinen liefern, ebenso wenig wie schweren Strick. Gerade für die Übergangsmonate November, Dezember und Juni, Juli ist es eine Herausforderung, etwas zu bringen, was von der Konsumentin als genau richtig zu dem Zeitpunkt empfunden wird.

Dabei hat es unsere Branche geschafft, dass der Kunde die Mode weit vor dem Zeit punkt kauft, zu dem er sie eigentlich tragen kann. Ähnlich absurd wäre es, würde er das iPhone X kaufen, aber drei Monate warten müssen, bis es freigeschal tet wird.

Karin Veit: Deshalb reden wir nicht über eine Frühjahrskollektion, sondern über eine Kollektion mit Liefertermin November und die man im November auch schon tragen kann. Es muss sich ja auch

schon früh verkaufen, weil im Mai schon überall der Sale beginnt. Wir denken also nicht mehr in Sommer- oder Winterkollektion, sondern in Farben, Drucken und Materialien. Die Liefertermine sind gleich geblieben. Norbert Lock: Wobei es sich als sinnvoll erwiesen hat, auch in der Auslieferung in kleinere Gruppen zu unterteilen. Große Kunden wie PKZ oder Jelmoli brauchen gewisse Mengen von uns, gleichzeitig gibt es im Handel Massen an Ware. Die Kunst liegt in der richtigen Einsteuerung und im richtigen Merchandising. Also haben wir nicht mehr nur drei große Themen, sondern zusätzliche Kapseln, die wir Top of the Week oder Top of the Month nennen.

Wie haben Sie die Händler mit ins Boot genommen?

Norbert Lock: Mit Fashion Coachings, die ein wesentlicher Bestandteil unserer Kommunikation sind. In den letzten sieben Wochen haben wir die Kollektionsthemen unseren Handelspartnern in Wien, Zürich, Amsterdam, Antwerpen, London und Moskau vorgestellt. Vor allem natürlich den Verkäufern und Verkäuferinnen, es ist wichtig, dass gerade sie Marc Cain verstehen. Diese Coachings sind begehrt, ebenso unser Coaching in unserer Marc Cain Academy hier im Haus. Das Team von Garhammer zum Beispiel setzt sich schon um vier Uhr morgens in den Bus, um noch vor dem Coaching die Betriebsbesichtigung mitzubekommen. Im Anschluss geht es nicht nur um Verkaufsberatung, sondern auch um Stilberatung, Merchandising und wir vermitteln außerdem, wie in unserem Betrieb gestrickt und gedruckt wird – beides Kernkompetenzen von Marc Cain.

Das heißt aber auch, dass Produkt allein heute nicht mehr reicht.

Norbert Lock: Wir wollen dem Handel, den Departmentstores, unsere Marc-Cain-Welt vermitteln. Für manche Großkunden übernehmen wir auch das Merchandising, was von uns als starkem Partner oft auch erwartet wird. Wenn wir bei Breuninger, P&C Nord, Appelrath und KaDeWe bis Oberpollinger die Schaufenster gestalten, ist das ein Marketinginvestment, das sich auch für uns lohnt.

Die gegenwärtige Kernzielgruppe ist die erste Generation, die mit den Vertikalen groß geworden ist und damit einen völlig anderen Umgang mit Mode und Konsum ge lernt hat. Die jetzt nachrückende Generation wiederum ist mit dem Internet und auch Onlineshopping groß geworden. Wie reagieren Sie auf diese Änderungen?

Norbert Lock: Wir haben im Bereich Premium immer im Kern die Frau ab 50 Jahre bedient. Mit Marc Cain Sports sind die Frauen sogar noch etwas älter, da viele von ihnen nicht mehr berufstätig sind und sich casual kleiden. Sie haben vielleicht 20 Jahre unsere Business-Looks getragen und möchten weiterhin Marc Cain kaufen, weil sie der Marke vertrauen.

Interessant, dass Sie das so offen aussprechen, zumal unsere Branche sich so jugendgetrieben gibt.

Norbert Lock: Eine 25-jährige Studentin kann sich keinen Cashmere-Pulli für 350 Euro leisten, ebenso wenig wie die junge Mutter, die sich gerade mit ihrem Mann ein Haus gekauft hat. Vielleicht leistet sich die 35-jährige Referendarin einen Marc Cain Essential Jerseyblazer für 199 Euro, als Einstieg. Überraschenderweise ist aber unsere Onlinekundin um zehn Jahre jünger.

Also fast eine halbe Generation jünger als die Kundin, die im Marc Cain Store kauft.

Norbert Lock: Die Jüngeren haben eine andere Herangehensweise. Wenn zum Beispiel meine 27-jährige Tochter online ein Dirndl sucht, gibt sie keine Marke ein, sondern die Begriffe „Dirndl mit Bluse, Türkis“. Braucht die 40-Jährige ein Kleid für eine Hochzeit auf Mallorca, gibt sie vielleicht „Festkleid, bunt, bestickt“ ein. So kommt sie zu Marc Cain, auch wenn sie die Marke vorher nicht auf dem Radar gehabt hat und auch nie auf die Idee gekommen wäre, in einen unserer Stores zu gehen, was auch mit Schwellenangst zu tun hat. Da sind mittlerweile auch unsere TV-Werbespots hilfreich, mit der wir gerade unsere jüngeren Kundinnen erreichen.

Wie gelingt es Marc Cain noch, woran so viele schei tern: Nämlich nicht mit den Kunden alt zu werden, son dern sich mit jungen Kunden weiterzuentwickeln?

Karin Veit: Indem wir uns mit vielen jungen, kreativen Menschen umgeben. Hier arbeiten erfahrene Designer mit viel Know-how mit jungen Designern eng zusammen. So können alle voneinander profitieren und es entstehen ganz neue Energien.

Marc Cain hat früh begonnen, das Thema Digitalisierung wirklich ernst zu nehmen. Wie vernetzen Sie die Marke bis zum Kunden?

Norbert Lock: Unsere eigenen Stores sind mit unserem Lager verknüpft, sodass bei Bedarf gleich ersichtlich wird, ob ein bestimmtes Teil in Farbe und Größe verfügbar ist. Im nächsten Schritt folgt bis Oktober die Verknüpfung mit unseren Franchisestores und nächstes Jahr schließlich mit unseren Multilabel-Partnern. Wobei wir das Warenrisiko noch stärker auf unsere Seite verlagern, da wir die Ware für unsere Handelskunden vorbehalten, ohne Abnahmegarantie.

Das könnte im Handel allerdings das saisonale Cleaning erleichtern, zumal damit der Warentausch der verschie denen Händler untereinander möglich wird.

Norbert Lock: Das ist unser Szenario für die Zukunft, ja. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es aber noch offene Punkte, etwa was die Verrechnung betrifft oder den Datenschutz. Viele Händler zögern, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, wobei ich auch auf Händlerseite einen großen Mehrwert sehe.

Was wird den Markt in den nächsten drei bis fünf Jahren bestimmen? Welche Antwort hat Marc Cain darauf?

Norbert Lock: Generell heißt es ja, dass die Konsumenten ihr Geld vor allem für Reisen und Essengehen ausgeben. Aber so lang sie das tun, wollen sie dabei auch immer gut angezogen sein. Deshalb mache ich mir um den Konsum von Mode keine Sorgen. Wir werden uns weiterhin damit beschäftigen, wie wir die Zielgruppe weiterhin ansprechen können und wie sich die Abteilungen im Handel verändern werden. Wie hoch liegt künftig der Anteil an Coordinates, wie entwickelt sich das Premiumsegment und bleibt Contemporary? Darauf werden wir unserem Prinzip getreu flexibel reagieren und unsere Kollektionen in der richtigen Gewichtung anpassen. Wir mussten uns als Marke nie neu erfinden. Lediglich das Angebot ergänzen.

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