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Game-Changing? Nein, Fokussierung

GAMECHANGING? NEIN. FOKUS

SIERUNG! Es gibt ordentlich Bewegung, auf allen Ebenen. Die Mode ist aberwitzig schnell geworden. Luxushäuser wie Dior oder Saint Laurent bringen heute nicht nur zwei Haute-CouMuss die Mode noch schneller werden? ture- und zwei Prêt-à-Porter-Kollektionen im Jahr heraus, Oder langsamer? Das richtige Timing der Kollektionen wird immer entscheisondern zusätzliche Pre-, Cruiseund Capsule-Editions. Gefeaturt mit großen Catwalkshows, dender, nicht nur am Point of Sale. Wer sich noch fragt, ob wir einen Systemlive gestreamt im Netz für ein Millionenpublikum. Der ganze Riesenapparat muss am Laufen wandel brauchen, weiß noch nicht: Wir gehalten werden, denn letztendlich geht es um sehr viel Geld. sind schon mittendrin. Ein enormer Druck und eine Text: Nicoletta Schaper. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler zunehmend unmögliche Aufgabe, zumal zwischen Promoten der neuen Kollektion und ihrem eigentlichen Verkauf zu viel Zeit liegt – und die vertikalen Kopisten die Look-alikes längst in ihren Geschäften hängen haben. Dann nämlich, wann die Konsumenten Lust darauf haben. Das ganze umsatzgetriebene System hat sich selbst eingeholt. Der Vorstoß von Burberry CEO Christopher Bailey im Februar, die Mode direkt im Anschluss der Shows online und in den Stores verfügbar zu machen, zeigt nicht nur, dass die ganze

Rechnung nicht mehr aufgeht, was in der Folge auch Marken wie Tom Ford, Proenza Schouler und Tommy Hilfiger für sich erkannt haben. Sondern er zeigt etwas, das eben nicht nur für die High Fashion Gültigkeit hat: Dass sich der Rhythmus ändern muss – nicht weiter am Markt vorbei, sondern näher ran an den Bedarf der Konsumenten.

Von allem zu viel „Es gibt ganz klar zu viele Rhythmen“, sagt Karl Reyer von Reyer Sport & Mode Hallein. „Mir kommt es vor wie ein Davonlaufen vor der Wirklichkeit, immer noch mehr Kollektionen herauszubringen, um den Umsatz irgendwie doch noch einzufahren. Dabei leidet oft die Qualität, weil die Zeit für Kreativität und Produktentwicklung fehlt. Der Handel füllt sich ab mit Ware, die er zu schnell reduziert verkaufen muss, weil der nächste Schub schon im Anmarsch ist.“ „Als Händler blickst du vor lauter Pre-, Main- und Cruise-Collections kaum mehr

Hans Weber, Geschäftsführer City Jeans Berlin: „Wir brau

chen absolut einen neuen Rhythmus. Das zeigt das Erfolgsbeispiel Anine Bing, mit monatlich neuen Looks, die auf Bestellung schnell im Handel sind: Sommerkleider im Sommer, Winterpullis im Winter.“

durch“, kritisiert auch Winni Klenk von Abseits Germany. „Es ist von Industrieseite ja auch gewollt, dass du als Händler für die Pre-Kollektion mehr ausgeben musst, weil die Main zu schwierig sei. Bei Dsquared2 schreiben wir zum Beispiel nicht die Show-Maincollection, weil die Teile ohnehin zu teuer sind.“ Brands wie MSGM, N°21 und Lala Berlin führt Abseits Germany exklusiv in Stuttgart, entsprechend viel muss Winni Klenk schreiben. „Wenn die Verkaufszahlen es hergeben, mach ich das auch. Aber ich überziehe meine Budgets nicht.“ Der Store steht für Mode, entsprechend kommt vieles früh. „Nur mit Kollektionen nach klassischem Rhythmus kommen wir nicht mehr aus. Frühjahr/Sommer 2017 von Paul & Joe haben wir ab November sensationell verkauft, unsere Fashionkunden wollen es so“, sagt Winni Klenk. „Dagegen bringen Badehosen im Januar und Strick im Juli gar nichts.“

Karl Reyer, Geschäftsführer Reyer Looks Hallein: „Das Wet

ter ist schon ein Argument, und man kann sich nicht darauf verlassen, dass es im Dezember kalt wird. Und wenn der August 40 Grad hat, hängt die Ware wie Blei.“

Udo Toepfer führt in seiner Agentur Nischenkollektionen mit klassischem Vororderrhythmus. „Dass im Mai und Juni alle Badehosen und Bikinis ausverkauft sind, ist genauso grotesk wie beispielsweise Pelze und Lammfell im Juli anzubieten“, so Udo Toepfer. „Das Timing stimmt überhaupt nicht mehr. Viele Einzelhändler, und auch ich, würden sich wünschen, dass die Ware bedarfsnäher kommt. Ich glaube, dass die Endverbraucher die Sachen mehr und mehr dann konsumieren wollen, wenn auch tatsächlich der Bedarf da ist. Der Markt ist aber einerseits von der Industrie und den Lieferzeiten getrieben und andererseits von den Mitbewerbern. Oft sagen mir Händler, wenn mein Wettbewerber in der Stadt immer früh beliefert wird, muss auch ich die Ware im Store haben.“ Die Verunsicherung im Handel ist groß. „Es gibt zu viele verschiedene Meinungen und Diskussionen, es gibt keine einheitliche Marschrichtung“, so Udo Toepfer. „Erschwerend kommen die Länder weltweit und das Onlinebusiness dazu. Wenn sich nicht alle einig sind, ist das Signal an die Industrie, etwas am Rhythmus ändern zu müssen, auch nicht klar und eindeutig genug.“ „Es gilt auch nicht für alle dasselbe Prinzip“, sagt Anita Tillmann. „Grundsätzlich brauchen wir keinen Systemwechsel, denn wir sind schon mittendrin“, so die Geschäftsführerin Premium Exhibitions. „Struktur ist kein abstraktes Ding, das sich auf Knopfdruck ändern lässt, genauso wenig, wie einzelne Player die Game-Changer sind. Alle beteiligten Marktpartner bedingen die Struktur, in der es viele Modelle und daher sehr viele Rhythmen gibt, die parallel existieren. Für die High Fashion gilt nicht dasselbe wie für die Sportswear zum Beispiel. Daher muss jeder für sich herausfinden, welches Modell mit welchem Rhythmus für ihn am besten passt. Darauf muss er sich fokussieren.“

Smart und punktgenau Fokussierung ist das, was gerade vielerorts passiert. Nichts anderes macht die Sportswearmarke Woolrich. „Wir müssen näher dran sein am Konsumenten und die richtige Ware zur richtigen Zeit in den Handel bringen, damit beschäftigen wir uns sehr intensiv“, sagt Nicola Ghelfi, Sales Director Europe Woolrich. „Wir verkaufen nicht mehr länger zwei Kollektionen jährlich mit einem Vorlauf von sechs Monaten. Sondern bringen über das Jahr kleinere Kollektionen heraus, um dem Bedarf näherzukommen und um außerdem das Händlerrisiko zu verringern.“ Die Woolrich Pre-Kollektion Frühjahr/Sommer 2017 wird im deutschsprachigen Markt im November und Dezember ausgeliefert, die Hauptkollektion von Januar bis März. Für die Pre-Kollektion Herbst/Winter gilt Auslieferung Mai und Juni, während die Hauptkollektion ab Juli avisiert ist. In jeweils drei Drops, mit dicker Daune eben nicht im

Marco Michelagnoli, Head of Sales, Woolgroup und Daniele Fiesoli: „Aufgrund der

Preispolitik großer Departmentstores, die wegen ihres Private-Label-Business sehr früh mit Reduzierungen starten können, werden die Verkaufszeitfenster immer kleiner. Daher sollte sich der kleine Händler mit speziellen Produkten unabhängig und unvergleichlich machen.“

Anita Tillmann, Geschäftsführerin Premium Exhibitions: „Im

Bezug auf Messen haben wir die Nase vorn, wir sind das System und haben alte Strukturen aufgebrochen und geändert. Unser Zeitpunkt ist der absolut richtige. Messen sind die wichtigsten B2B-Treffpunkte. Nirgendwo sonst gibt es die Möglichkeit, ein interessiertes Zielpublikum schneller und besser zu erreichen.“

Juli, sondern später. Europa ist derzeit der stärkste Markt von Woolrich, USA und Kanada wachsen schnell. „Wir haben ebenso Agentenbüros in Japan und Korea“, so Nicola Ghelfi. „So können wir viel bedarfsnäher arbeiten: Beispielsweise erfahren wir, dass der US-Markt die Kollektionen sehr früh in der Saison haben will, Südeuropa und Asien dagegen eher später. Die Agenten vor Ort sind nah an ihrem Markt, genau das ist für uns der Schlüssel zum Erfolg.“ Die italienische, trendorientierte Womenswear von Pinko nutzt das im italienischen Heimatmarkt erprobte Order-Liefersystem für alle Märkte. „Mit eigenen Stores, wo immer neue High-End-Prontoware ausprobiert wird, hat sich Pinko perfekt auf die modischen Bedürfnisse der Konsumenten eingestellt“, sagt Michael Schulz, der mit der Aco Modeagentur für den Vertrieb in Deutschland und Österreich zuständig ist. „Das passt auch für die internationalen Märkte, wie der stetige Wachstumskurs beweist.“ November bis März sowie Mai bis September wird die Black Pre-Pollektion ausgeliefert, dazu kommt die trendbetonte Black Hauptkollektion zum gleichen Lieferzeitpunkt sowie Flashprogramme und statt NOS-Ware, produktbezogene New Proposals während der laufenden Saison: zum Beispiel die in den Pinko-Stores bestverkaufte Hose oder der bestverkaufte Blazer.

Monoproducts statt Total Looks Früher hatte der Handel großen Bedarf an Total-Look-Brands. „Es war für die Händler relativ

einfach, sie konnten viele Outfits von ein paar großen Marken ordern, um so auch Fehler in Farben und Kombinationen zu vermeiden“, sagt Marco Michelagnoli, Head of Sales Woolgroup, Daniele Fiesoli. Die Folge: zu viel Gleiches in allen Sortimenten. „Heute hat sich das komplett gedreht. Die Krise hat die Händler dazu gebracht,

Winni Klenk, Geschäftsführer Abseits Germany: „Was wir

uns wünschen würden, ist mehr Zeit zwischen der Order für DOB und HAKA. Denn mittlerweile liegt so wenig Zeit dazwischen, dass man als Händler kaum zur Besinnung kommt.“

mehr nach Monoproducts zu suchen, um sich so von der Konkurrenz abzuheben. Mit einem Mehrwert in Qualität, Preis, Image.“ Auch hier also eine Fokussierung. Die Strickkollektion Daniele Fiesoli folgt dem klassischen Vororderrhythmus und baut zusätzlich auf ein großes NOS-Lager. „Der Handel soll die Möglichkeit haben, nachzubestellen, was er gut verkauft“, so Marco Michelagnoli. „Wir als Supplier stellen eine gute Auswahl an Bestsellerprodukten bereit, sodass der Kunde bei ihm Unverkäufliches gegen Topseller tauschen kann. Wir wollen es dem Handel so leicht wie möglich machen, das ist unser Verständnis von Service.“ Woolrich setzt auf seine Iconic Products, solche, die die Saisons überdauern. „Schneller zu werden, ist nicht der richtige Weg“, betont Nicola Ghelfi. „Stattdessen bringen wir dauerhafte Produkte heraus, die ihren Wert über die Saisons behalten. Mit dem Ergebnis, dass sich die Konsumenten gut fühlen mit Woolrich, weil unsere Kollektionen nicht nach zwei Monaten alt werden .“ Nicht zu reduzieren, gibt Woolrich dem Handel vor – und das zahlt sich für ihn letztendlich auch aus. Bei Winni Klenk gehen die Zwischenkollektionen grundsätzlich nicht in den Sale, sondern über in die nächste Saison. Ganz klar wäre sonst der Verkaufszeitraum zu kurz. Auch viele Jeans und Hemden im Sortiment sind Carry-overs. „Aber oft bleiben von Kollektionen wenige Teile in einer Größe übrig; ich werde künftig dazu übergehen, sie herauszunehmen, und gesondert als Sale zu verkaufen, damit die Fläche im Laden sauber bleibt.“ Denn es geht darum, der Mode ihren Wert zurückzugeben, die sie aufgrund des ewigen Sales in den Augen vieler Konsumenten verloren hat. Nichts anderes versucht Gucci gerade, indem die Marke verkündet hat, künftig auf Sale verzichten zu wollen und die Kollektionen ineinander übergehen zu lassen. Ein Schritt in die richtige Richtung, um der Mode wieder mit mehr Magie und Begehrlichkeit aufzuladen.

Magie und Begehrlichkeit Auch Hans Weber versucht als Inhaber von City Jeans Berlin,

Udo Toepfer, Geschäftsführer Modeagentur Toepfer: „Die

Lieferzeiten müssen von der Industrieseite bedarfsgerechter geregelt werden. Denn im Handel werden die Stimmen, die die frühen und nicht auf die tatsächliche Saison ausgerichteten Lieferzeiten nicht mehr akzeptieren möchten, immer lauter.“

seine Einzigartigkeit herauszuarbeiten, sich im Sortiment unvergleichbar zu machen. „Wenn irgend möglich, versuche ich meine Marken in Berlin oder zumindest in Westberlin exklusiv zu führen“, sagt der Händler. Für ihn macht das die Begehrlichkeit ganz wesentlich aus. „Ich hatte eine Goldkette von Anine Bing für 2.000 Euro im Laden. Die Kundin wollte noch überlegen. Als ich ihr gesagt habe, dass die Kette nur noch einmal da sei, wollte sie die Kette unbedingt und bitte sofort haben. Was rar ist, ist spannend. Ist etwas überall verfügbar, wird es inflationär und langweilig.“ Überhaupt das Phänomen Anine Bing. In der Bedrängnis unseres Marktes ist sie einfach

Nicola Ghelfi, Sales Director Europe Woolrich:

„Sales gehören zum System, aber kein Händler kann überleben, wenn er einen Großteil seiner Orders reduziert verkauft. Wir reduzieren das Wenigste in unseren eigenen Stores, was unsere Handelskunden sehr begrüßen und für sich übernehmen.“

in der Mitte durchmarschiert. Als Bloggerin war ihr Ansatz ein ganz anderer – und gleich auch die Vermarktungsstrategie über den eigenen Blog. „Anine Bing stellt die Ware ins Netz, eine Woche nach Bestellung habe ich sie im Laden“, sagt Hans Weber. „Das ist auf dem Punkt: Im Hochsommer gibt es Sommerkleider, im Winter dicke Pullover. Auch das zeigt, dass die Anbieter gewinnen, deren Ware wieder bedarfsnäher zum Verkaufszeitpunkt rückt.“ Hans Weber führt Anine Bing exklusiv in Berlin, allerdings ohne die üblichen Mindestordervorgaben. „Ich konnte mit kleinem Budget von 5.000 bis 10.000 Euro starten, am Ende sind es in der Saison 80.000 Euro geworden. Warum? Weil ich es freiwillig ordern konnte und weil es im Laden super funktioniert hat.“ Auch Hans Weber fokussiert sich: „Ich sehe nur meine Kunden, das habe ich im Laufe von 25 Jahren Händlerdasein gelernt, ich kaufe rational ein. Auf den Druck von Mindestordervorgaben mit 25.000 Euro lasse ich mich nicht mehr ein.“

Weniger ist mehr Das ist auch die Devise von Karl Reyer. An High Fashion führt er längst nicht mehr Prada, Gucci, Saint Laurent, weil er sich gesagt hat, der Mindestorderdruck kann nicht die Zukunft sein. Heute setzt er unter anderem auf Brands wie Stella McCartney, Marni, Thomas Meier

Michael Schulz, Geschäftsführer Aco Modeagentur: „Wir se

hen nicht allein das Vororderbudget, sondern das Budget in der Saison in Veränderung. Während das Budget für die Vororder schrumpft, sollte das In-Season-Budget erhöht werden. Das funktioniert allerdings nur im partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Lieferanten und Handelskunden.“

und N°21, verzichtet aber oft auf die teureren, High Fashion lastigeren Hauptkollektionen. „Bei den vielen Kollektionsrhythmen der Industrie ist aber etwas ganz Wesentliches aus dem Blick geraten: die Inszenierung im Store“, sagt Karl Reyer. „Ein Multibrandhändler muss das Warenbild am PoS öfters neu und gut inszenieren, damit es die Saison über spannend bleibt. Das gelingt uns nicht mit immer mehr Ware, sondern das ist unsere sehr anspruchsvolle Aufgabe. Es geht um unsere Einzigartigkeit, um unser Sortiment, für das wir als Händler mit unserem Namen stehen. Und diese Verantwortung kann uns die Industrieseite nicht abnehmen.“ Im Großen und Ganzen funktioniert das klassische Order- und Liefersystem für Karl Reyer. „Obwohl ich im November keine Sommerware brauche, die kann für mich hier in Hallein später kommen. Auch die Gewichtung im Sortiment mit NOS und Carry-overs sollte immer wieder überdacht werden. Die dunkelblaue Canada-Goose-Jacke muss ebenso wenig reduziert werden wie die Erfolgsjeans. Darauf sollte die Industrie stärker hinweisen: Dass du als Händler unnötig Geld verlierst, wenn du dennoch reduzierst.“

Systemwandel oder nicht? Künftig wird es immer weniger funktionieren, dem Markt kontinuierlich neue Ware einfach aufzupfropfen. Gewinnen werden nur die Marken, die sich gemeinsam mit Vertrieb und Handel auf den Bedarf ihrer Kunden einstellen – gemäß des Prinzips von Angebot und Nachfrage. Das ist kein Systemwandel von jetzt auf gleich, sondern ein sich vollziehender Prozess. „Es ist eine wahnsinnig spannende Zeit, gerade richtig, um Dinge zu bewegen, Strukturen aufzubrechen und die Zukunft neu zu gestalten“, sagt Anita Tillmann. „Ich bin froh, dass ich dabei sein kann.“

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