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2 Die Erfüllung und das Erlöschen von Obligationen
from Recht 10 - LV
Um eine Obligation richtig zu erfüllen, muss der Schuldner dem Gläubiger den richtigen «Gegenstand» zur richtigen Zeit am richtigen Ort übergeben (leisten). Als Gegenstand müssen wir uns nicht nur körperliche Sachen vorstellen, sondern auch immaterielle Güter (Dienstleistungen) oder Geld. Die OR-Vorschriften gelten allgemein und unabhängig davon, ob eine Obligation aus Vertrag, unerlaubter Handlung oder ungerechtfertigter Bereicherung entstanden ist. Im kaufmännischen Bereich sind im Zusammenhang mit der Erfüllung von Obligationen aus Verträgen die folgenden Grundsätze von Bedeutung:
■ Ort und Zeit der Erfüllung
Der Inhalt eines Vertrags kann gemäss Art. 19 OR von den Parteien frei vereinbart werden (Grundsatz der Vertragsfreiheit). Entsprechend können die Vertragsparteien auch den Ort der Erfüllung nach eigenem Belieben vereinbaren. Wenn in einem Vertrag nichts über den Erfüllungsort abgemacht wird (und bei den einzelnen Vertragsverhältnissen nichts Spezielles bestimmt ist), gelten die allgemeinen Regeln gemäss Art. 74 OR.
Ort der Erfüllung
Geldschulden
Wohnsitz des Gläubigers
Speziesschulden
Ort, wo sich der Gegenstand bei Vertragsabschluss befindet
Gattungsschulden
Wohnsitz des Schuldners
Geldbeträge sind am Wohnsitz des Gläubigers zu erfüllen (es sind «Bringschulden»). Falls bei einer Überweisung ein Fehler unterläuft, genügt es für den Schuldner nicht, nur die Überweisungsquittung vorzulegen, sondern er muss mit der Bank bzw. der Post weitere Abklärungen vornehmen, ob die Überweisung korrekt erfolgt ist.
Ist eine ganz bestimmte Sache geschuldet, z. B. ein Originalgemälde oder ein Occasionswagen, so ist es für den Käufer entscheidend, genau diese spezielle, einzigartige Sache zu erhalten. Solche Sachen oder Gegenstände werden als Spezieswaren bezeichnet. Sie sind an dem Ort zu übergeben, an dem sich der Vertragsgegenstand bei Vertragsabschluss befindet.
Kartoffeln, Heizöl oder ein Posten T-Shirts sind Waren, bei denen es dem Empfänger genügt, wenn er die bestellte Menge in einer bestimmten Qualität erhält. Das Gesetz bezeichnet solche Waren als Gattungswaren, da sie der Art (= Gattung) nach bestimmt werden können. Gattungsschulden sind am Wohnsitz des Schuldners zu erfüllen (es sind «Holschulden»). Falls nichts vereinbart wurde, hat demnach der Käufer die Transportkosten zu übernehmen.
Wenn im Vertrag nichts über den Zeitpunkt der Erfüllung vereinbart wird und im Gesetz nichts anderes bestimmt ist, gilt: «Zug um Zug», das heisst, jede Vertragspartei hat ihre Leistung sofort zu erbringen (Art. 75 ff. OR).
■ Das Erlöschen von Obligationen (Art.114–142 OR)
Im Normalfall erlischt eine Obligation durch ihre richtige Erfüllung. Wenn eine Forderung während längerer Zeit nicht geltend gemacht wird, kann sie unter Umständen nicht mehr eingeklagt werden; die Forderung verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt mit der Fälligkeit der Leistung. Durch eine Verjährung «erlischt» zwar eine Obligation nicht, aber sie kann rechtlich nicht mehr erzwungen werden. Weil eine verjährte Obligation nicht untergegangen ist, darf der Schuldner eine solche Forderung selbstverständlich immer noch erfüllen.
Grundsätzlich beträgt die Verjährungsfrist 10 Jahre, sofern im Gesetz nicht ausdrücklich eine kürzere Frist vorgesehen ist. Für verschiedene Forderungen wie z. B. Mietzinsen, Handwerksarbeit, Kleinverkauf von Waren, Arbeitslöhne oder Arzt- und Anwaltshonorare beträgt die Verjährungsfrist 5 Jahre. Die Einzelheiten sind in den Artikeln 127–132 OR geregelt.
■ Übersicht Verjährungsfristen
1 Jahr ■ Schadenersatzansprüche im Allgemeinen
2 Jahre ■ Mängel bei Kaufsachen, Reparaturen (Werkvertrag) ■ Schadenersatzanspruch aus Motorfahrzeug- und Velounfällen ■ Schadenersatzanspruch an Privatversicherungen (Versicherungsvertragsgesetz, VVG)
5 Jahre ■ Mängel bei Kauf und Umbau von Immobilien ■ Periodische Leistungen wie Miet-, Pacht- und Kapitalzinsen, Versicherungsprämien, ■ Abonnemente, Telefonrechnungen, Unterhaltsbeiträge (Alimente) ■ Handwerkerrechnungen, Waren des täglichen Bedarfs, z. B. Lebensmittel ■ Honorare für Anwälte, Notare und Ärzte. (Dazu zählt auch die Rückforderung von Arztkosten bei der Krankenkasse aus der Grundversicherung. Ansprüche aus der Zusatzversicherungen verjähren allerdings innert 2 Jahren.) ■ Arbeitslohn ■ Steuern (Steuergesetz, StG)
10 Jahre ■ Allgemeine Verjährungsfrist (falls nicht etwas Spezielles gilt) ■ z. B. unbefristete Gutscheine ■ z. B. Rückzahlung eines Darlehens
20 Jahre ■ Verlustscheine ab 1997 (ältere Verlustscheine verjähren 2017)
Unverjährbar ■ Grundpfandforderungen
Aus Beweisgründen sollten wichtige Dokumente, wie z. B. Quittungen und Zahlungsbelege, entsprechend den Verjährungsfristen aufbewahrt werden.
Das haben Sie gelernt
Den Begriff der «Obligation» definieren Obligationen als Schuld- und Forderungsverhältnisse umschreiben Die drei Entstehungsgründe von Obligationen veranschaulichen Die Regeln in Bezug auf Ort und Zeit der Erfüllung von Obligationen anwenden Voraussetzung für die Entstehung von Obligationen aus unerlaubter Handlung gemäss Art. 41 ff. OR veranschaulichen Verschuldens-, Kausal- und Gefährdungshaftung anhand der Tatbestandsmerkmale unterscheiden und für einzelne Sachverhalte den zutreffenden Haftungsgrund bestimmen Die fünf Kausalhaftungen gemäss OR und ZGB sowie drei Beispiele von Gefährdungshaftungen aus Spezialgesetzen nennen Die Regeln der Beweispflicht bei Verschuldens- und Kausalhaftung unterscheiden
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