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Das Erbe des Fürsten
Vor 35 Jahren ist Eduard Wallnöfer als Landeshauptmann zurückgetreten, weil seine NSDAP-Vergangenheit bekannt wurde. 24 Jahre lang galt er als Fürst von Tirol. Er baute, betonierte, ebnete viele Wege und prägte weit über seinen Tod hinaus die Bodenpolitik des Landes. Denn unter Wallnöfer wurde das Grundvermögen zahlreicher Tiroler Gemeinden in die Hände einiger weniger Bauern verschoben. Verfassungswidrig wechselten Euro-Milliardenwerte die Besitzer. Der heutige Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi bezeichnete die Geschichte der hiesigen Gemeindeguts-Agrargemeinschaften als den „größten Kriminalfall in der Geschichte Tirols“. Das bleibt er wohl.
Bauer und Landeshauptmann. Diese Worte stehen auf dem Grabstein Eduard Wallnöfers. Am 11. Dezember 1913 wurde er in Südtirol geboren und am 13. März 1989 starb er in Innsbruck. Dazwischen wurde er zu einem Mythos. Bis er sich am 2. März 1987 aus der Politik zurückzog, war Wallnöfer 38 Jahre lang Mitglied der Tiroler Landesregierung gewesen, 30 Jahre Bauernbundobmann und 24 Jahre Landeshauptmann. Als der ÖVP-Politiker am 21. März 1989 in seinem Heimatort Mieming beigesetzt wurde, ließ der damalige Bauernbundobmann Anton Steixner in der Grabrede einen Satz aufleben, den Wallnöfer in einer seiner letzten Reden betont haben soll. „Der Bauernbund kommt gleich nach der christlichen Religion.“ würde sich hier durchaus anbieten – macht aus Wallnöfers Worten ein Bekenntnis.
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Schwarzbuch Tirol Alexandra Keller, Studien Verlag, 2009
Die ehemalige Politik-Ressortleiterin des Nachrichtenmagazins Echo hat für ihre Artikelserie zu den Tiroler Agrargemeinschaften den renommierten Alfred-WormPreis erhalten. 2009 erschien das erste
„Schwarzbuch Agrargemeinschaften“
– neue juristische Entwicklungen und historische Forschungsergebnisse ließen sie noch ein weiteres Buch zum
Thema schreiben. 2012 zeichnete sie im „Schwarzbuch Tirol“ beispielsweise nach, wie Übertragungen während der NS-Zeit wohl die spätere Enteignung der Gemeinden inspirierten.
Wären es die Bauern gewesen, die Wallnöfer dem Himmel so nah sah, wäre dieser Satz lediglich eine von seltsamer Hybris getragene Liebeserklärung an seinen Stand gewesen. Es war aber der Bauernbund, der für ihn gleich nach der christlichen Religion kam und der Bauernbund ist pure Politik. Er ist einer der sechs Bünde, aus denen sich die Österreichische Volkspartei zusammensetzt, von der Wallnöfer gerne sagte, sie sei das Klavier, auf dem der Bauernbund spielt. Keine, das politische Handeln reglementierende, Kategorie zwischen der politischen Organisation und dem Himmel gelten zu lassen – die Verfassung
Er machte nie einen Hehl aus dem Ziel, „seine“ Bauern unterstützen und schützen zu wollen.
Bauer und Landeshauptmann. Lange war die Wortwahl als Zeichen der Bescheidenheit gewer tet worden. Im Schatten dieser Bescheidenheit wurde seine legendäre Wortkargheit zu etwas Positivem erhöht und die Einfachheit zur Urtu gend stilisiert. Viele Wallnöfer-Anekdoten spie len in der Bauernstube in Mieming, schmecken nach Brot und Speck und Südtiroler Grauver natsch und erwecken den Eindruck, als wäre Wallnöfers Bauernhof im Mieminger Ortsteil Barwies der Olymp des untadelig gottesfürchti gen Tirolertums gewesen. Mehr als das Land haus oder der Landtag war es wohl diese legen denumrankte Stube, in der über 24 entscheidende Jahre hinweg festgeschrieben wurde, was richtig war für das Land und was falsch. Die Grundwer te der sich gerade formierenden modernen westli chen Demokratien waren es weniger, die den Rahmen für das knorrige Tiroler Gerüst bildeten, das dort gezimmert wurde. Aus heutiger Sicht kann durchaus behauptet werden, dass Gleichheit oder Rechtsstaatlichkeit kaum durch den Wallnöfer’schen Kachel ofen erwärmt wurden. Vielmehr wurde mit und unter Wallnöfer jener Tiro ler Anarchismus geprägt, der sich mit seiner Verach tung gegenüber Wien oder den Gesetzen, die dort beschlossen werden, und vor allem mit seiner Abscheu gegen jegliche Form passive Objekte der äußeren Umstände, sondern trotz aller Einschränkungen und äußeren Drucks in verschieden großem Maß auch GestalterInnen des eigenen Lebens.“ Eduard Wallnöfer war in beeindruckender Weise Gestalter seines Lebens wie auch des Landes gewesen. Auch in dem Zusammenhang wurde das Jahr 2005 zu einem Schicksalsjahr für sein Andenken. 2005 wurde erstmals öffentlich auf die Tiroler GemeindegutsAgrargemeinschaften aufmerksam gemacht und die Frage in den Raum gestellt, wie es denn sein konnte, dass das Grundeigentum so zahlreicher Tiroler Gemeinden – und damit aller Gemeindebürger und -bürgerinnen – in den Händen einzelner Bauern landen konnte.
2005 wurde diese Büchse der Pandora geöffnet und aus ihr strömte auch die Erklärung für die Übermacht der bäuerlichen Minderheit und die Ungleichheit, die damit tief im Land verwurzelt wurde. Die ersten Enteignungen von Gemeinden zugunsten der ortsansässigen Bauern hatten unter dem NS-Regime in Osttirol stattgefunden. Osttirol gehörte im Dritten Reich zum Gau Kärnten. 1948 – Osttirol war wieder Teil Tirols geworden – wurden die mit „Heil Hitler“ gezeichneten Akten der rechtswidrigen Eigentumsübertragungen ins Innsbrucker Landhaus geliefert, wo Eduard Wallnöfer 1949 als Agrarlandesrat begann, an seiner Polit-Karriere zu basteln. Er machte nie einen Hehl aus dem Ziel, „seine“ Bauern unterstützen und gegenüber der wachsenden Zahl an Nichtbauern schützen zu wollen. Als dann die Osttiroler Akten gesichtet worden waren, lieferte die darin festgehaltene Vorgangsweise das Drehbuch für das, was Ex-SPÖ-Chef Hannes Gschwentner als „Diebstahl“ bezeichnen sollte.
Um 1950 ging es los. Schlag auf Schlag wurden die Gemeinden, deren Vertreter sich nicht explizit dagegen wehrten, unter Federführung der Agrarbeamten des Landes enteignet. Günther Aloys, der 1974 Bürgermeister von Ischgl geworden war, hatte dazu festgehalten: „Als ich Bürgermeister wurde, hat die Gemeinde absolut nichts mehr besessen. Null, nicht einmal mehr eine Straße. Nicht die Ischgler Bürger, sondern die Mitglieder der Agrargemeinschaft, rund zehn Prozent der Bevölkerung, waren die Besitzer unseres Dorfes geworden. Ein ungeheuerlicher Vorgang in einem Rechtsstaat im 20. Jahrhundert.“
Das Ausmaß wurde lange unterschätzt. Lange wurde die Fläche, die im Rahmen dieser ungeheuerlichen Vorgänge den Bauern zugeschanzt wurde, mit zwei Milliarden Quadratmetern beziffert. Eine vom Tiroler Gemeindeverband in Auftrag gegebene Studie ergab 2014, dass es 3,5 Milliarden Quadratmeter waren, die auf einem Weg die Eigentümer wechselten, den der Verfassungsgerichtshof nicht nur einmal als verfassungswidrig bezeichnete. Eine Fläche so groß wie Vorarlberg ist in einem Land, in dem nutzbarer und bebaubarer Grund rar ist und teuer, nicht nur ein wertvoller Schatz, sondern auch ein Machtfaktor. Nachdem die Rechts- und Verfassungswidrigkeit der Eigentumsübertragungen bekannt und durch entsprechende höchstgerichtliche Erkenntnisse mehrfach in Stein gemeißelt worden war, wurde das Tiroler Flurverfassungsgesetz geändert und den Gemeinden teilweise zumindest die Verfügungsgewalt über ihr Eigentum wiedergegeben. Nie wurde jedoch auch nur ansatzweise versucht, den finanziellen Schaden der Gemeinden darzustellen, der sich durch unrechtmäßige Geschäfte mit ihren Grundstücken ergeben hatte. Nie wurden die verpassten Entwicklungschancen der Kommunen skizziert, die bei ihren Entscheidungen über Grund und Boden dem Diktat der Agrargemeinschaften ausgeliefert waren. Nie wurden die Summen aufgelistet, die über die Jahre und Jahrzehnte statt in den Gemeindekassen auf den Privatkonten der Mitglieder von Agrargemeinschaften gelandet sind.
Allein in Wallnöfers Heimatgemeinde Mieming wurden beispielsweise von zwei GemeindegutsAgrargemeinschaften (Obermieming und Barwies) Gemeindegrundstücke im Ausmaß von rund 700.000 Quadratmeter verkauft. Angenommen, dass der Quadratmeterpreis dafür bei 100 Euro lag, flossen 70 Millionen Euro in die falschen Hände. Von einem Mieminger Agrargemeinschaftsobmann ist bekannt, dass er in den Neunzigerjahren mit dem Verkauf von Gemeindegrundstücken rund eine Million Euro eingenommen hatte, und auch von seiner Schwester weiß man, dass sie rund 1,4 Millionen Euro mit dem Verkauf von Gemeindegrundstücken verdiente. Diese Summen stehen in recht eindrücklichem Gegensatz zu dem, was die betroffenen Gemeinden zurückbekommen haben. Bis 31. August 2019 konnten sie ihre Forderungen gegenüber den Agrargemeinschaften geltend machen. Als Stichtag dafür war der 31. Dezember 1998 bestimmt worden. Nur, was ab diesem Tag zu Unrecht von den Agrargemeinschaften eingenommen worden war, stand zur Disposition. Im September 2019 gab die zuständige Abteilung des Landes bekannt, dass 30 Anträge auf Rückforderungen eingelangt waren. Das Gesamtvolumen der Rückforderungen betrug drei Millionen Euro. Das war’s.
In ihrer tatsächlichen Wucht wurde die Agrargemeinschafts-Geschichte nie aufgearbeitet. Die Empörungsbereitschaft wurde unter dem Gewicht des Skandals begraben, in den Eingeweiden des Landes rumort er weiter. Der Tiroler Kabarettist Markus Koschuh hat diese anhaltende Unfähigkeit zur Selbstreinigung in harte Worte gefasst: „Der Tiroler lässt sich auf den Kopf scheißen und beschwert sich dann nicht, dass ihm auf den Kopf geschissen wurde, sondern darüber, dass es stinkt. Das ist traurig.“.