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Sterben verhindern

Die Humanity 1 ist eines der größten zivilen Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeer. Seit August 2022 konnte die Crew mehr als 850 Menschen aus den Fluten bergen.

© SOS Humanity aber deutlich kleinere Louise Michel, ist ebenso auf der Suche und findet das Boot in ihrem Scheinwerferlicht. Die beiden zu Wasser gelassenen Schnellboote der Humanity 1 bringen die Menschen, die zunächst von der Louise Michel Rettungswesten bekommen haben, in kleinen Gruppen auf das Mutterschiff. Dort werden sie durch das Deck-Team empfangen und mit Wasser, Essen und trockener Kleidung versorgt. Um 01:35 in der Nacht sind alle sicher an Bord. Die Menschen sind mehr oder minder stabil, akute medizinische Notfälle gibt es nicht. Wie so oft sind es die Kinder, die am schnellsten das Schiff erkunden und ein wenig Leichtigkeit schaffen in dieser unwirklichen Situation.

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Doch die Erleichterung währt nur kurz, denn nur ein paar Stunden später trifft die Crew auf zwei weitere Boote in Seenot. Aber diesmal ist auch die sogenannte libysche Küstenwache vor Ort. Während die Menschen aus dem einen Boot gerettet werden können, werden die Flüchtenden auf dem zweiten Boot aufs Schiff der sogenannten Küstenwache gezwungen – unter Anwendung von Gewalt und vorgehaltener Waffe. Ein paar Menschen springen ins Wasser und können von den Retterinnen und Rettern an Bord geholt werden. Das alles geschieht in Sichtweite der Crew und der Geretteten an Bord der Humanity 1, doch der gewaltsamen Rückführung dieser Menschen kann die Crew nur hilflos zusehen. Viele der Geretteten an Bord wissen aus eigener Erfahrung, was sie erwartet. Darius (Name geändert) beobachtet die Szene von Bord der Humanity 1 und berichtet: „Ich selbst bin ein Opfer. Ich habe im Gefängnis gesessen. Ich habe Menschen vor meinen Augen sterben sehen. Ich fühlte Wut, Zorn. Ich war so wütend! Wir haben hier an Bord der Humanity 1 geschrien. Aber wir konnten nichts tun. In diesem Moment sahen wir unsere Brüder und wussten, dass sie wieder leiden werden, vielleicht noch schlimmer als wir. Man kann Libyen nicht beschreiben. Sie verkaufen Menschen, als würden sie Brot verkaufen.“

Die Menschen, über die Darius spricht, sind ein Bruchteil der fast 25.000, die allein 2022 von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und in den Kreislauf der willkürlichen Inhaftierung, Gewalt und Folter zurückgezwungen wurden. Mehr als 4.000 Menschen waren (stand November 2022) in libyschen Lagern interniert. Die gewaltsamen Rückführungen dorthin sind politisch so gewollt, denn das Geld und die schnellen Schiffe für die libysche Küstenwache kommen aus der EU und zusätzlich aus Italien.

Die geretteten Menschen auf der Humanity 1 hatten genug mitgemacht. Jetzt jedoch beginnt die langwierige Suche nach einem sicheren Hafen in Europa, jedes Mal ein schwieriges Unterfangen gegen die Blockaden der europäischen Politik. Diesmal dauert es nur ein paar Tage der Fahrt durch einen Sturm zu einem unnötig weit entfernten Hafen, den uns die italienischen Behörden zuweisen. Beim vorigen Einsatz brauchte es fast zwei Wochen, eine Klage gegen die italienische Regierung, massiven medialen Druck und einen Hungerstreik der Geretteten, um alle Menschen sicher von Bord zu bringen.

Im Januar 2023 hat die italienische Regierung ein neues Dekret erlassen, das die Seenotrettung für zivile Schiffe weiter erschwert. Nur jeweils eine Rettung soll erlaubt sein, auch wenn ein weiterer Seenotfall gemeldet wird. Die zivilen Schiffe sollen sofort einen zugewiesenen Hafen ansteuern, der zuletzt immer weit im Norden des Landes lag. So sind die lebensrettenden Schiffe viele Tage unterwegs und können nicht vor Libyen aktiv werden. Bei Verstößen gegen das neue Dekret drohen Geldstrafen bis 50.000 Euro, Festsetzung oder Beschlagnahmung der Schiffe. SOS Humanity wird sich jedoch nicht einschüchtern lassen und weiter retten, wie es das internationale Seerecht vorschreibt. Denn Menschen zu retten ist humanitäre wie auch rechtliche Pflicht.

WASIL SCHAUSEIL koordiniert die Kommunikation zwischen dem Rettungsschiff Humanity 1 und dem Team von SOS Humanity an Land. Die zivile Seenotrettungsorganisation mit Sitz in Berlin wird von Spenden finanziert.

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