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Staatstheater Darmstadt »Romeo und Julia« Staatstheater Mainz: »Der Mann ohne Vergangenheit«

Eine Beziehung unter anderen

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»Romeo und Julia« puristisch am Staatstheater Darmstadt

Es ist die wohl berühmteste Liebesgeschichte der Welt, und ihr tragisches Ende dürfte hinreichend bekannt sein. Regisseur Christoph Mehler kann sich demnach bedenkenlos herausnehmen, »Romeo und Julia« im Darmstädter Staatstheater von Beginn an als Totentanz zu inszenieren. Auf zwei weiße Stofftürme, die das Bühnenbild dominieren und die beiden verfeindeten Familien Capulet und Montague symbolisieren, wird, sobald das Licht ausgeht, zum »Tanz der Ritter« aus Sergej Prokofjews Ballettfassung des Dramas ein schauriger Reigen projiziert. Die Protagonisten, noch nicht als solche zu identifizieren und mit verzerrten Mienen, huschen als dämonische Bleistiftzeichnungen über die Gaze. Schon sind die Zuschauer mittendrin in einer geisterhaften Atmosphäre. Die Szene wird sich wiederholen. Das Gruseln, das sie heraufbeschwört, weicht dem Purismus, der den Abend ansonsten prägt. Nur zwei Stunden nimmt Mehler sich Zeit, durch die Handlung zu rauschen. Die Zahl der Figuren hat er radikal reduziert, manch Erklärendes wie der Grund dafür, dass Romeo die alles entscheidende Nachricht nicht erhält, wurde dabei als offenbar nicht notwendig erachtet, und auch auf romantische Momente, die von den Schrecken ablenken könnten, wartet man vergebens. Julia, gespielt von Edda Wiersch, ist eine burschikose Powerfrau mit Pagenschnitt. Jennifer Hörr hat sie in einen schwarzen Anzug mit halbdurchsichtigem Oberteil gesteckt, der Hinweis gibt auf den baldigen Wechsel in ein weißes Leichenhemd. Ihr Romeo, Ali Berber, wirkt wenig verliebt, eher so, als würde er sich einfach treiben und hineinziehen lassen von dem, was ihm gerade geschieht. Jegliches Knistern fehlt, die Beziehung entwickelt sich nicht wie die erste intensive Erfahrung dieser Art, sondern wirkt, als wäre sie nur eine weitere in einer bereits vorhandenen Reihe. Auch sonst hält man sich mit Gefühlen nicht lange auf, sodass das Personal überwiegend blass bleibt. Dass Romeos Freund Mercutio (Thorsten Loeb) und Tybalt (Daniel Scholz), der Neffe der in diesem gekürzten Fall alleinstehenden Lady Capulet (Karin Klein), dem interfamiliären Zwist zum Opfer fallen, wird wenig beeindruckt hingenommen und schnell abgehakt. Muße für große Trauer bleibt da nicht. Weiter geht‘s in schnellen Schritten, aufs Ende zu. Hier immerhin wird sich Zeit genommen für den Abschied, darf auch Romeo endlich emotionale Tiefe und ehrliche Berührtheit zeigen. Die Übrigbleibenden, zu spät in die Gruft gekommen, bleiben fassungslos zurück, doch nichts deutet darauf hin, dass der doppelte Verlust nachhaltig etwas ändern wird. Die Übersetzung von Frank-Patrick Steckel verzichtet auf jeglichen Pathos, was die oberflächlichen Charakterzeichnungen unterstreicht, aber die Dialoge auch modernisiert. Einige Worte sind trotzdem schwer zu verstehen, weil gerade Romeo sie wie beiläufig spricht. Hängen bleibt so vor allem, dass man durch das Fehlen einer Pause über einen kurzen Zeitraum gefangen war in dieser völlig unnötigen Auseinandersetzung zweier Familien. Und damit in einem Totentanz, dessen Finale unausweichlich ist.

Katja Sturm

Termine: 2., 7., 15. Juli, jeweils 19.30 Uhr www.staatstheater-darmstadt.de

hoffnungsvoll im Traurigen

Staatstheater Mainz holt aki Kaurismäkis »Der Mann ohne Vergangenheit« auf die Bühne

Am Rande, aber nicht abseits, sondern in Reibung mit der Gesellschaft sind Aki Kaurismäkis großartige Filme zuhause. Auch »Der Mann ohne Vergangenheit« spielt dort, in einem Ödland genannten Off von Helsinki, ein, nachdem er als nicht identifizierbares Opfer einer Gewalttat erwacht und sich weder an seinen Namen noch an seine Herkunft erinnern kann. Eine Musikkassette hat er in der Hosentasche, das ist alles. Es ist ein Schrottplatz, auf dem er bei Obdachlosen Unterkunft findet und wo ihn eine junge Frau von der Heilsarmee dabei zu helfen sucht, gegen alle Hindernisse insbesondere der Behörden in ein neues Leben zu finden, zumal es ein altes für ihn nicht mehr gibt. Kaurismäki-Filme werden immer mal wieder für die Bühne adaptiert. Und jetzt also in Mainz. Als »Meisterwerke lakonischer Melancholie«, die bei aller Verzweiflung immer an die Humanität appellierten und sich eine Hoffnung voll leisen Humors bewahrten, indiziert sie der Dramaturg des Staatstheaters, Boris C. Motzki. Da die Sprache in diesen dialogarmen Filmen keine übergeordnete Rolle spiele, konzentrierten sich Bühnenadaptionen ganz auf Stimmung, ganz auf die vermittelte Atmosphäre und Tristesse seiner Figurenporträts. Verlorene, aus der Bahn geworfene Menschen zumeist, die in eine neuen Heimat finden, wie auch der namenlose »M« in Ödland. Das »Hoffnungsvolle im Traurigen« zeichne die Arbeiten des Filmemachers aus, was eine gewisse Nähe zu Fellini-Figuren etwa in »La Strada« ausdrücke, meint Motzki. Wozu ganz wesentlich – auch dies eine Gemeinsamkeit – die Musik gehöre. K.D. Schmidts Inszenierung werde die melodische Ebene des Stoffes in den Vordergrund stellen, getreu dem Credo aus seinem finnischen Titelsong »Monrepos« (Mein Ruheplatz). »My thoughts are always in the land of my longing and dreams the park of love« heißt es in dessen englischer Version. Das Mainzer Staatstheater begeht die Inszenierung seines Hausregisseurs im großen Stil und fährt dazu ein 14-köpfiges Ensemble inklusive einer von Darstellern verstärkten Band auf, die sich im Laufe der Aufführung von der eine wenig traurig aussehenden HeilsarmeeCombo über eine formidable Tango-Formation zur groovigen Rhythm-&-Blues-Gruppe entwikkelt. Dennis Larich spielt den M genannten Mann, die HeilsarmeeSchwester Inna, in die er sich verliebt, im Film von der grandiosen Kati Outinen verkörpert, gibt Maike Elena Schmidt, die Elisabeth aus »Glaube, Liebe Hoffnung« (Strandgut Dezember 2021). Der Rest des Ensembles mit Andrea Quirbach, Lorenz Klee, Armin Dillenberger, Carlotta Hein und vielen anderen, teilt sich knapp 30 Rollen. Ein großer Abend bahnt sich vor der Kulisse der finnischen Hauptstadt an, den sich Boris C. Motzki als ein märchenhaftes »Alice im Wunderland« vorstellt. Wir sind gespannt.

Winnie Geipert

Termine: 8. (Premiere), 13., 16. Juli, 19.30 Uhr; 10. Juli, 18 Uhr www.staatstheater-mainz.com

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