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Ein Stück Sylter Geschichte

Wenn sie zusammen mit ihrer Familie auf dem Deich am Königshafen unterwegs ist, mit Wind im Gesicht und Ausblick auf die nördlichste Bucht Deutschlands, auf die See und den unglaublich weiten Himmel darüber, dann weiß Kristina Hansen, dass sie auch wegen der Natur zurückgekommen ist.

Nach einer Ausbildung zur Hotelfachfrau und Stationen in der Schweiz, in London und Neuseeland, hatte die heute 41-Jährige zunächst mit einer Karriere in Hamburger Luxushotels geliebäugelt. Und sich dann, nachdem sie „bei Papa ausgeholfen“ hatte, doch noch für eine Ausbildung zur Köchin und damit die Fortführung einer Lister Institution entschieden, die bereits seit 1881 existiert: Seit fast zwölf Jahren führt Kristina Hansen zusammen mit ihrem Mann das Restaurant Königshafen in die Zukunft – mit Herzblut und ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen.

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und Prinz-Heinrich-Mütze, die Damen mit üppig verziertem Sommerhut. Oder auch das Zollboot, mit dem ihr Ururgroßvater als Kapitän zwischen List und dem dänischen Hoyer seinen Dienst tat. Und doch ist diese längst vergangene Geschichte Teil ihrer eigenen. Anekdoten vom Vorfahren Lille Peer, dem Eierkönig von List, genauso wie von der Großmutter, die in den 60er-Jahren, als die Saison noch kurz war, beherzt in die eigene gute Stube lud, wenn im Gastraum zu viel los war. „Der Restaurant-Alltag hat auch mein Leben geprägt, und ich wusste immer, was es heißt, selbstständig zu sein“, sagt die dreifache Mutter. Sie erinnert sich gut daran, wie sie als Kind morgens nach den beliebten Bingo-Abenden die Plättchen in der Gaststube vom Boden auflas. Und dass sie dankbar dafür war, dass Mutter und Vater trotz ihrer vollen Tage immer greifbar waren, weil das Privathaus sich direkt hinter dem Restaurant befand. Heute lebt Kristina Hansen selbst mit ihrer Familie dort. „Meine Eltern wohnen immer noch in der Nähe und kommen fast jeden Tag vorbei.“

Hansen. Selbstverständlich setze ihr Mann Patrick, ein angesehener Koch, der schon im Rantumer Söl’ring Hof gearbeitet und einst für das A-Rosa den ersten Stern mit erkocht hat, auch weniger traditionelle Gerichte wie Loup de Mer mit Risotto und „einem Schäumchen“ auf die Karte. Doch man wisse eben sehr genau und respektiere, was die Gäste am liebsten mögen. Schließlich kommen manche schon seit Jahrzehnten in den Königshafen.

Messinglampen und holzvertäfelte Wände

sich 200 Jahre lang ebenfalls eine Gaststätte befand – bevor Ende 2022 plötzlich die Bagger anrückten. „Wir wollen das Alte bewahren“, sagt Kristina Hansen mit Nachdruck, aber unaufgeregt. Wie alle alteingesessenen Lister verfolgt sie aufmerksam, was an neuen Bauprojekten umgesetzt wird. Zu viele, wenn es nach ihr geht. „Infrastruktur und Dienstleistung kommen kaum hinterher.“ Auch interessante gastronomische Angebote gebe es zu wenig.

Es ist nicht so, dass sie jeden Tag vor den alten Bildern stehen bleiben würde, die in den Gasträumen hängen oder im Büro. Leicht vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografien, die herausgeputzte Herrschaften im Garten zeigen – die Herren mit Schnauzer

Natürlich, möchte man sagen, denn Familie Hansen und der Königshafen sind nicht wegzudenken aus List. Ein klassischer Dorfkrug, in dem die Einheimischen Taufen, Hochzeiten und runde Geburtstage feiern, und ein Spezialitätenrestaurant, in dem Zweithausbesitzer einkehren, um mit vorfreudigem Lächeln Kutterseezunge oder Scholle mit Speck zu bestellen. „Fast 95 Prozent sind Stammgäste“, sagt Kristina

Mit viel Feingefühl und Liebe zum Detail hat das Paar in den vergangenen Jahren nicht nur die Küche komplett, sondern zudem die vier „Stübchen“ renoviert. „Lounge-Musik und Grautöne finden die Menschen in den Städten. Hier haben wir auch noch Messinglampen.“ Und holzvertäfelte Wände. Und Gemälde, die von der urwüchsigen Landschaft draußen erzählen. Und einen idyllischen, von Hortensien umstandenen Garten. 140 Jahre verpflichten: Kein Restaurant in der Gegend ist so alt wie der Königshafen. Wie besonders das ist, erkennt, wer den öffentlichen Aufschrei verfolgt hat, der den Abriss des Alten Gasthofs begleitet hat. Als guter Nachbar stand ein Stückchen entfernt das im Jahr 1650 erbaute inseltypische Friesenhaus, in dem

„Wer uns in der Saison besuchen will, der muss inzwischen vorher reservieren.“ Und dass wie überall auch auf Sylt das Personal knapp ist, ist längst keine Neuigkeit mehr. „Nur wenige Einheimische kommen zurück, um die elterlichen Betriebe zu übernehmen, so wie ich es getan habe.“ Die eigenen Kinder sind noch viel zu jung, um darüber nachzudenken, ob sie eines Tages das familiäre Erbe fortführen werden. Ob sie die sechste Generation sein wollen. „Keiner muss“, sagt Kristina Hansen. Sie hält es da wie die eigenen Eltern.

Mittags, wenn das Personal nach den ersten Vorbereitungen eine Pause macht, dann genießt die Chefin die Ruhe im Restaurant, zupft Kissen zurecht oder gießt Blumen. Und auch, wenn Kristina Hansen wirklich nicht der Typ Mensch ist, der sich mit der eigenen Familiengeschichte oder gar der Sylter Herkunft brüsten würde, erfüllt sie der Anblick dessen, was genau vor ihr liegt, mit Stolz. Aber danach muss man sie erst fragen. Nordisches Understatement eben. •

Wer sehr früh dran ist, der sieht Jan Hansen vielleicht draußen auf dem Meer. Ganz klein, hinten auf den Wellen, allein mit seinem Board. Aber wer sonst ist schon um 5 Uhr morgens am Strand unterwegs? Selbst wenn der 42-jährige Sylter mittlerweile nicht mehr jeden Tag auf dem Wasser sein mag – frühes Aufstehen oder ungemütliches Wetter haben ihn noch nie geschreckt. Nicht als neugieriges Kind, das früh seine Leidenschaft für Windsurfing entdeckt hat. Und schon gar nicht als erfahrener Surflehrer, der seit drei Jahren die eigene Wassersportschule „Waves & Wind“ in List leitet.

In der Saison – zwischen Ende Juni und September – ist viel los an der Hafenstraße. Dann meldet sich nicht nur an, wer Surfen oder Kiten lernen will, sondern es kommen auch die zurück, die etwas komplett Neues ausprobieren wollen. So wie die Trendsportart Wing Foil, von der Jan Hansen sich gut vorstellen kann, dass sie das Kiten demnächst ablösen wird. Er selbst musste auch erst ausprobieren, wie man dank eines Tragflügels unter der Oberfläche perfekt übers Wasser schwebt. Dass er es gelernt hat, versteht sich von selbst. Schließlich hat er auch schon einem 82-Jährigen das Kiten beigebracht. Ursprünglich wollte der gebürtige Lister das elterliche Restaurant Königshafen übernehmen. Gesundheitliche Gründe zwangen ihn, seinen Plan zu überdenken. Und aus der Surf-Passion wurden erst ein Job und dann die Selbstständigkeit. In der geschützten, dem Watt zugewandten Bucht, nach der das Traditionshaus seiner Familie benannt ist, bringt sein Team heute

Anfängern die ersten Manöver auf Surfbrett oder SUP bei. „Je nach Tidenstand ist die Flachwasserbucht ein Stehrevier“, sagt der 42-Jährige. Die Surfspots für Fortgeschrittene befinden sich an der windigen Westseite der Insel. Mit dem großen RIB-Schlauchboot, das Jan Hansen vor ein paar Jahren angeschafft hat, um einen mobilen Stützpunkt am Ellenbogen zu ersetzen, geht es hinaus. Dicht vorbei an der Vogelschutzinsel Uthörn, ein Stückchen am Ellenbogen entlang. Nicht ungewöhnlich, dass man ein paar Robben sieht. Und manchmal herrscht auch ordentlich Seegang. „Für die meisten Schüler ist bereits die Bootsfahrt ein Abenteuer“, sagt Jan Hansen.

Wer sollte besser wissen als er, dass heute deutlich mehr los ist auf dem Wasser als noch in den 90er-Jahren. „Aber jeder vernünftige Surfer lebt im Einklang mit der Natur.“ Und mit Zunahme des Tourismus’ habe auch deren offizieller Schutz zugenommen. Der Ellenbogen selbst, der an seiner fragilsten Stelle gerade einmal 330 Meter breit ist, und für dessen Umrundung man 14 Kilometer einplanen muss, ist ebenfalls ein artenreiches Vogel- und Naturschutzgebiet. Wildes Parken oder Campen sind genauso verboten wie Hunde ohne Leine – auch wegen der vielen frei laufenden Schafe. Wenn diese gemütlich auf der Mautstraße unterwegs sind, haben sie „Vorfahrt“. Dass an den Stränden Badeverbot herrscht, liegt an der lebensgefährlichen Tiefenströmung – nördlich der Halbinsel mit den beiden charakteristischen Leuchttürmen treffen Weltnaturerbe Wattenmeer und offene Nordsee aufein-

Der Surflehrer Jan Hansen früh morgens mit seinem Board am Strand ander. Für Wassersportler gibt es ein extra abgegrenztes Gebiet. „Man muss sich schon auskennen, denn mit den Stürmen ändern sich jedes Mal auch die Sandbänke“, sagt Jan Hansen. Ob er selbst schon bedrohliche Situationen erlebt habe? Klar. Einmal, als die Finne vom Board abriss, und das ablaufende Wasser ihn darauf Richtung Dänemark treiben ließ. Oder ein anderes Mal, als er im bloß knöcheltiefen Wasser kniete, aber partout nicht auf die Füße kam, weil der Sog so unnachgiebig war. Angst habe er nicht gehabt. „In solchen Fällen ist es wichtig, Ruhe zu bewahren“, sagt Jan Hansen mit einer Selbstverständlichkeit, die nur einer haben kann, der mit den Gezeiten groß geworden ist. Das sei wie mit dem „Waschgang“, dem Moment, in dem die Welle einen für eine gewisse Zeit nach unten drücke. „Entweder du magst es, oder du hasst es.” Jan Hansen liebt, was er tut. Genau wie seine Crew, zu der auch ein

Mitglied der Familie Diedrichsen zählt. Diese gehört ihrerseits zur Listland-Eigentümergemeinschaft, in deren Privatbesitz sich der Ellenbogen befindet. „Quasi Verwandtschaft“, wie es der Surflehrer nennt. Er ist froh, dass die Natur, die ihrer aller Leben so sehr prägt, „unantastbar“ ist – anders als List selbst, wo eine Großbaustelle auf die andere folgt. Jan Hansen, der außerhalb der Saison mit seiner Lebensgefährtin Apartments vermietet, kommentiert das nicht weiter. Er lebt vom Tourismus, bleibt jedoch lieber auf Abstand.

Wenn er nahe der Buhne 16 in Kampen surft – eines seiner Lieblingsreviere –, hält er sich auch auf dem Meer gern abseits der anderen Surfer. Auf die Idee, sich später noch unter die Gäste der Strandbar zu mischen, käme er nie. Aber wenn alle nach Hause gehen, weil das Meer einmal richtig tobt, dann ist sein Moment gekommen. •

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