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7.2 Stadtentwicklung und Architektur in der Central Area

7.2 Stadtentwicklung und Architektur in der Central Area

Eines der gewichtigsten Felder, auf dem in Singapur staatlicherseits Anstrengungen unternommen werden, die Stadt als Finanzzentrum auszubauen und attraktiv zu halten, ist die Stadtentwicklung und die Bereitstellung der baulichen Infrastruktur für das Finanzgeschäft. Die erste bekannte Stadtplanung Singapurs von 1822 geht zurück auf die Zeit von Stamford Raffles. Am Ufer der südlichen Mitte der Insel, um die Mündung des Singapore River herum, legten die Briten ostwärts Verwaltungsbauten an,221 sahen westlich ein Geschäftsviertel vor und nördlich – gegen das Landesinnere – Wohnquartiere, die nach Ethnien segregiert wurden (Yeoh 1996: 40 ff.).222

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Zwischen 1880 und 1930 stieg die Bevölkerungszahl Singapurs stark an – vor allem durch die grosse Einwanderung aus China, welche auch die Wohnquartiere anderer eingewanderter, nicht britischer Bevölkerungsgruppen wachsen liess.223 Neben Wohnungen und Geschäftsbauten wurden zudem muslimische, buddhistische und hinduistische Sakralbauten gebaut; auf kleinstem Raum entstand so in hoher Dichte eine grosse, gerade auch visuelle Vielfalt architektonisch unterschiedlicher Gebäude (Powell 2004).

Der Baustil der britischen Verwaltungsarchitektur, der Wohn- und Sakralbauten des Kolonialpersonals224 sowie der ersten grösseren Geschäfts- und Bankhäuser, die ab den 1880er Jahren in Singapur errichtet wurden, orientierte sich mit leichter zeitlicher Verzögerung an der jeweilige Mode im Mutterland England. Zu den wichtigen Bauten aus dieser Zeit gehören das mondäne Raffles Hotel, die Hongkong and Shanghai Banking Corporation und die Chartered Bank, die sich 1892 respektive 1895 an bester Lage im Geschäftsviertel – an der Robinson und der Battery Road – prächtige Villen errichten liessen (Beamish/Ferguson 1985: 47-86).225 In den 1920er Jahren, die auch in Singapur von einem wirtschaftlichen Boom gekennzeichnet waren, wurden im klassizistischen Stil einige grosse Bauprojekte realisiert. Ab den 1930er Jahren folgten erste moderne Bauten, deren Architekturstil sich in den folgenden zehn Jahren in Singapur endgültig durchsetzte. Die erste Generation lokaler Architekten, die in England ausgebildet wurden und anschliessend nach

221 Ein erster wichtiger Architekt für das frühe koloniale Singapur war George Drumgoole Coleman, der von 1822 bis zu seinem Tod 1844 mehrere Bauten, alle im Stil des Palladianismus, errichtet hat (Frost/Belasingamchow 2012: 119 ff.). 222 Mit dem Ziel, ethnische Spannungen zu vermeiden, hat die Segregation der Wohnquartiere die Entwicklung von Konflikten gerade unterstützt. Tatsächlich haben ethnische Konflikte wesentlich das moderne Singapur hervorgebracht –durch die über Rassenunruhen provozierte Ausgliederung Singapurs aus der malaysischen Föderation. Die starken Massnahmen, die von der Regierung in Singapur bis heute ergriffen werden, um ethnische Konflikte und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, zu verhindern, haben ihren Ursprung in der kolonialen Geschichte der Segregation. 223 Die Bevölkerung stieg von 97’000 Menschen im Jahr 1871 auf rund 500’000 im Jahr 1931 (Yeoh/Kong 1995: 35). 224 Kolonialbeamte waren häufig mit ihrer ganzen Familie vor Ort. 225 Das Gebäude der Hongkong and Shanghai Banking Corporation wurde 1919 abgerissen, um einem grösseren Bau Platz zu machen – jenem der Chartered Bank von 1930 (vgl. Beamish/Ferguson 1985: 83).

Singapur zurückgekehrt waren, begannen nach dem Zweiten Weltkrieg vor Ort zu bauen (Beamish/Ferguson 1985: 145 ff.).

Die Dekolonisation des Stadtstaates, der darauffolgende kurze Zusammenschluss mit Malaysia sowie die erzwungene Abspaltung bedeuteten für Singapur politische, wirtschaftliche und administrative Unsicherheit. Ein Grossteil der ansässigen Bevölkerung, die zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1965 1,9 Millionen Menschen zählte, lebte damals in schlechten Wohnverhältnissen und die Infrastruktur Singapurs war generell veraltet. Die Landnutzung für Handel und Gewerbe mit der Hafeninfrastruktur beschränkte sich auf die Uferregion der südlichen Mitte der Insel. Auslaufend von dieser heute noch als Central Area betrachteten Gegend entstanden städtische Wohngebiete, während der Rest der Insel grösstenteils ländlich und landwirtschaftlich geprägt war (Tyers 1993).

Die PAP-Regierung entschied sich für eine rapide und gründliche Modernisierung – einer „wholesale modernisation“ (Rowe 2012: 16) – und der Urbanisierung der neuen Nation. In den folgenden zwanzig Jahren wurde die Insel baulich komplett erneuert, ihre Infrastruktur ausgebaut, die Bevölkerung im Rahmen staatlicher Wohnbauprojekte untergebracht und umgesiedelt (Chong 2002: 54 ff.); Industriezonen und kommerzielle Flächen wurden geschaffen, Militärareale und der Flughafen gebaut, Erholungsgebiete, Parklandschaften und Naturreservate angelegt (Yeoh et al. 2004: 53 ff.). Der starke Staat agierte pragmatisch: Getrieben von der Sorge um den begrenzten zur Verfügung stehenden Raum und den damit verbundenen und so wahrgenommenen Zwang zu dessen effizienter Nutzung, wurden seit 1958 bis heute fünf übergeordnete Master-Pläne zur Stadt- und Landschaftsentwicklung entworfen.226 Die Insellage und ihre damit zusammenhängenden Probleme hat Singapur mit Manhattan gemeinsam.

Wichtigste Institutionen für die Umsetzung dieser Aufgaben waren und sind das Housing & Development Board (HDB) und die Urban Redevelopment Authority (URA). Die im Laufe der Zeit veränderten Bedürfnisse, Prioritäten und Selbstdarstellungsaspekte von Singapur spiegeln sich in den wechselnden Zielen und Visionen der beiden staatlichen Plan- und Baubehörden. In den 1960er und frühen 1970er Jahren ging es primär darum, innerhalb kurzer Zeit Wohnraum und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, um die wachsende Bevölkerung unterzubringenund den Stadtstaat für eine rasche Entwicklung und

226 Die Masterpläne wurden 1958, 1980, 2003, 2008 und 2014 veröffentlicht (vgl. URA 2014a). Die Insel umfasst circa 712 km2. Durch Landaufschüttung wurde und wird Singapur nach wie vor stetig vergrössert. Zudem wurden in der Vergangenheit zur Landgewinnung einige in der direkten Nachbarschaft gelegenen kleineren Inseln von Indonesien gekauft.

Industrialisierung mit dem Nötigsten auszustatten.227 Mit dem öffentlichen Wohnungsbau und dessen Administrierung ist exklusiv das HDB beauftragt. Die Umsetzung nach der Unabhängigkeit bestand dabei in der Schaffung von New Towns, bei denen es sich um verdichtete Siedlungen handelte, die über die ganze Insel verteilt waren. Während in diesen Zonen gewohnt wurde, sollte die Central Area kommerziellen und administrativen Zwecken zur Verfügung stehen; planerisch liegen diesem Konzept die Ideen von Le Corbusiers cité radieuse zugrunde. Durch die Verdichtung wurde ausserdem Raum für Infrastruktur, Industrie, Naturreservate, aber auch militärische Nutzungen geschaffen respektive freigehalten.228 Die Wohnungen in den New Towns wurden als günstige Eigentumswohnungen angeboten, was die Identifikation der Bevölkerung mit der neuen Nation stärken sollte (Kong/Yeoh 2003: 94 ff.; Lim 2004).

Die Notwendigkeit einer zentralen Planung bis ins kleinste räumliche Detail wurde von Beginn an mit der Kleinheit des Stadtstaats gerechtfertigt – also mit der Begrenztheit des zur Verfügung stehenden Raums als externer Rahmenbedingung, die zu optimaler Nutzung und Effizienz zwingt. Gleichzeitig suchte man über die Planung unerwünschte soziale Erscheinungen zu verhindern – etwa Anhäufungen von Menschenmassen als potentiell unkontrollierbare Krankheits- oder Aggressionsherde. Noch heute wird eine reglementierte und kontrollierte Wohnpolitik als wichtigste Präventionsmassnahme von religiösen und ethnischen Spannungen in der heterogen zusammengesetzten Bevölkerung verstanden (Yeoh et al. 2004: 98 ff.).

In den Aufgabenbereich der URA fallen die Gesamtplanung der Insel, die Erneuerung ihrer Infrastruktur sowie Landgewinnungen. Für die URA war der Einbezug externer internationaler Experten eine wichtige Praxis im Vorfeld der Entwicklung von Master- und Umsetzungsplänen (concept plans) und ersetzte gewissermassen die nicht vorhandenen Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung an Planungsprozessen und -entscheidungen. Der Vorrang grösstmöglicher sachlicher Expertise dient allerdings nicht nur bei der Stadtplanung, sondern in allen Politikfeldern als Legitimation politischer Entscheidungen und stellt geradezu den sich perpetuierenden Gründungsmythos der Nation dar. Hier setzen auch Kritiken am Singapur-Modell an, die auf die demokratischen Defizite innerhalb dieser Spezialform der Meritokratie aufmerksam machen (exemplarisch: Chua 1995).

227 Heute leben fast 90% der Bevölkerung in staatlichen „HDB-flats“; die meisten befinden sich in Hochhausanlagen. 228 Diese Aufteilung und die Anlage der New Towns waren zu Beginn noch ganz von Le Corbusiers Ideen zur Stadt der Zukunft inspiriert (Siang 2007: 18).

Die beiden für die Planung Singapurs zentralen Institutionen URA und HDB haben in den Publikationen, die ihre Pläne und Projekte jeweils begleiten, um die breite Öffentlichkeit zu informieren, ihren Optimismus in Sachen direkter Rückkopplung von der gebauten Umwelt auf die Bürger, ihr Leben und ihre Leistungsfähigkeit, immer betont. Die stets anzutreffende Haltung ist jene, dass der überlegene Sachverstand zugleich für das Wohl der Nation, der Gemeinschaft und jedes Einzelnen plant. Der offensichtliche Paternalismus des Staats gegenüber seinen Bürgern wird dabei durch die grossen, schnellen und sichtbaren Erfolge eines effizienten staatlichen Vorgehens ausgeglichen (Chua 1995: 124 ff.; George 2000).

Zu Beginn der 1980er Jahre war Singapur komplett modernisiert, das Stadt- und gesamte Inselbild in grossen Teilen transformiert und viele Geschäftshochhäuser renommierter internationaler Architekturbüros beherrschten die Skyline des Geschäftsdistrikts der Central Area. Dieser schnelle und gelungene Wandel scheint tatsächlich nur mit einer starken Regierung möglich gewesen zu sein:

„Singapore is unique in the sense that more than any other city it displays the result of government entrepreneurship, control and facilitation. The physical environment of Singapore is a precise reflection of its government’s political, social and cultural and economic visions“ (Marshall 2003: 153).

Diese Besonderheit ist zum einen der relativ kurzen Geschichte Singapurs seit der unabhängigen Stadtstaatgründung von 1965 zuzurechnen, zum anderen der politischen Kontinuität durch die seit fast fünfzig Jahren regierende PAP. Die Politik der Regierung ist dabei nachhaltig geprägt von den Perspektiven und Visionen von Lee Kuan Yew, ihrer typischen effektiven, pragmatischen aber auch zentralistisch-autoritären Umsetzung sowie einem umfassenden Planungsgeist. Mit dem vorrangigen Selbstverständnis als Entwicklungsstaat während seinen ersten Dekaden hat Singapur seine Zukunftsziele und Zukunftshoffnungen physisch umgesetzt: Durch den Bau der Infrastruktur einer modernen Grossstadt nach westlichem Vorbild sollte die Entwicklung gelingen. Gleichzeitig wollte man sich damit räumlich und visuell von den ärmeren Nachbarn in der Region unterscheiden (King 2004: 180).

Aus den Planungsergebnissen der ersten zwanzig Jahre der Staatsgründung speist sich der Ruf der singapurischen Stadtentwicklung, eine Bulldozer-Politik umzusetzen, die den Komplettabriss mit anschliessenden Neubauten als Vorgehensweise für bauliche Veränderungen in enorm schnellen Zyklen favorisierte.229 Diese Tabula Rasa, die Bewohnern und Besuchern keine Zeit lässt, sich emotional an Gebäude und Stadtstruktur zu gewöhnen, die keine

229 Selvanathan (2000: 216) nennt dies einen „destroy-and-disneyfy-approach“ und meint damit spezifisch die radikalen Abtragungen der Baustruktur in den alten ethnischen Vierteln, um sie etwas später für touristische Zwecke wieder aufzubauen.

Sentimentalität für Andauerndes duldet,230 sondern permanent Neuerungen einführt, brachte Singapur die Kritik einer „Stadt ohne Eigenschaften“ ein (Koolhaas/Mau 1995):

„Almost all of Singapore is less than 30 years old; the city represents the ideological production of the past three decades in its pure form, uncontaminated by surviving contextual remnants. It is managed by a regime that has excluded accident and randomness: even its nature is entirely remade. It is pure intention: if there is chaos, it is authored chaos; if it is ugly, it is designed ugliness; if it is absurd, it is willed absurdity. Singapore represents a unique ecology of the contemporary“ (Koolhaas/Mau 1995: 1011).231

Seit den 1980er Jahren sind in Singapur unzählige Shopping-Malls errichtet worden. Die staatlich erwünschte Lust am Konsum der breiten und solventen Mittelschicht232 wird

animiert von einer teilweise spektakulären Architektur der Einkaufszentren, die sie ihrerseits finanziert. Die Konsumfreude mag einerseits typisch sein für ein Land, das sich innerhalb kürzester Zeit vom Entwicklungsland zur entwickelten Nation und zum ungebrochenem Wirtschaftswunderland gewandelt hat. Andererseits sind die weit verbreiteten und beliebten Malls auch spezifisch für ein Land, in dem die politische Legitimation vornehmlich über Ergebnisse und speziell die Wohlstandsvermehrung seiner Bürger funktioniert. Rem Koolhaas und Bruce Mau notieren dazu:

„an entire city perceived as shopping center, an orgy of Eurasian vulgarity, a city stripped at the last vestiges of authenticity and dignity“ (Koolhaas/Mau 1995: 1079).

Das Bild der modernen und wohlgeordneten Arbeits- und Einkaufsstadt, die aber auch etwas langweilig ist und der vor allem Authentizität jenseits der immer gleichen universalen Moderne und Konsumkultur fehlt, wird Singapur nach eigener Wahrnehmung seit Mitte der 1990er Jahre zum Verhängnis. Prominente Kritiken wie jene von Koolhaas oder William Gibson, der in einem berühmt gewordenen Essay den Stadtstaat als „Disneyland with the death penalty“ (Gibson 1993) bezeichnete, wurden dabei wahr- und aufgenommen: Singapur sah die gewünschte künftige Entwicklung als Tourismusdestination, aber auch als international attraktiver Standort für multinationale Unternehmen gefährdet. Erneut wurden

230 Seit der Staatsgründung wurde zum Beispiel eine umfangreiche Einebnung traditioneller chinesischer Friedhöfe eingeleitet: Die für viele chinesische Glaubensrichtungen zur Ahnenverehrung wichtigen traditionell grosszügigen Erinnerungsflächen mit Familiengruften oder Einzelgrabstätten wurden von der Regierung als „space wasters“ problematisiert und mit der Notwendigkeit argumentiert, diesen ungenutzten Raum für den gemeinschaftlichen Nutzen der Lebenden zu entwickeln. Die platzsparende Kremierung und anschliessende Aufbewahrung der Urnen in hygienischen und kompakten Kolumbarien wurde der Bevölkerung mit finanziellen Anreizen und dem Argument, es sei „faster, easier, cleaner and simpler“ erfolgreich nahegebracht. Ein Grossteil der Verstorbenen – mit Ausnahme der Muslime, denen dies aus religiösen Gründen explizit verboten ist – wird heute verbrannt (Yeoh et al. 2004: 196 ff.). Das Abreissen von Friedhöfen ist vielleicht das eindrücklichste Beispiel für eine Politik des „erasure of memory“ (Powell 2000: 14). 231 Koolhaas’ Essay ist ein provokativer Rundumschlag, der stellenweise und in seinen Übertreibungen oberflächlich bleibt. So korrigiert Lim (2004: 15), dass keineswegs alle Bauten alter und sogar kolonialer Struktur zerstört sind. 232 Der singapurische Soziologe Chua Beng Huat nimmt für den Titel seiner konsumsoziologischen Essaysammlung (2003) eine Aussage und einen Aufruf des damaligen Premierministers Goh Chok Tong in seiner National Day Rally Speech von 1996 auf: „Life for Singaporeans is not complete without shopping!“.

pragmatisch Massnahmen ergriffen, um gegenzusteuern. George Yeo, von 1990 bis 1999 Minister für Information und Künste im singapurischen Kabinett von Goh Chok Tong233 , warb bereits 1993 für einen Politikwechsel:

„It may seem odd, but we have to pursue the subject of fun very seriously if we want to stay competitive in the 21st century“ (Tong 1993).

Etwa gleichzeitig erlebte sowohl die Literatur zu den Global Cities, vor allem geprägt durch Saskia Sassen (exemplarisch: 1997; 2002), als auch jene zur Netzwerkgesellschaft (exemplarisch: Castells 2004) eine erste grosse Rezeptionsphase. In beiden Diskursen fand sich Singapur adressiert und bestätigt in den bisher unternommen Anstrengungen weltweiter wirtschaftlicher Vernetzung und seiner politischen Agenda für die weitere Entwicklung.234 Die Merkmale einer Global City, die vor allem aus den Beispielen New York und London abgeleitet waren, finden sich in den folgenden Visionen des singapurischen Ministeriums für nationale Entwicklung und in den städteplanerischen und baulichen Übersetzungen der ihr unterstellten URA seit den 1990er Jahren explizit wieder. Dass neben einer attraktiven Infrastruktur für Unternehmen die Stadt nun auch aufregende Freizeit- und Kulturangebote, insgesamt hohe Lebensqualität sowie einen unterscheidbaren lokalspezifischen Geist bieten soll, wird seither in allen Visionen und Plänen betont. Die URA formuliert dazu:

„Our mission is to make Singapore a great city to live, work and play“ (URA 2014b).

Hatte zu Beginn der Nationenbildung Singapurs die Bereitstellung der Grundinfrastruktur Priorität,235 sind seit den 1980er und verstärkt seit den 1990er Jahren die Lebensqualität, Kulturangebote und damit Qualität, Attraktion und Wirkung des Stadtbildes relevanter geworden, um weitere Investoren und Unternehmen, aber auch die eigene Bevölkerung anzuziehen beziehungsweise zu befriedigen (Powell 2000: 10). Diese neuen Schwerpunkte stehen im Einklang mit Ideen einer Global City. Singapur hat diese Ideen in konkrete Leitlinien für die Stadtgestaltung übersetzt: Der Status einer Global City ist für Singapur keine Zufälligkeit oder ein simpler empirischer Befund, sondern ein erstrebenswerter Zustand, auf den ein Standort aktiv hinarbeiten kann (Chong 2002: 64 ff.).

Im Rahmen dieser neuen Bestrebungen wurde Geschichte – und damit auch Baugeschichte und eine Politik zur partiellen Erhaltung bzw. Konservierung historischer Bauten – als

233 Goh Chok Tong war der erste Premierminister Singapurs nach Lee Kuan Yew, Während seiner Legislaturperiode wurden erste Liberalisierungen im zivilgesellschaftlichen Bereich angestossen (Tan 2007: 299). 234 Singapur war durch den Kolonialismus und seine spezifische Geschichte als Hafenstadt von Anfang an eng mit der Welt und dem Welthandel verbunden. 235 „Filling the stomach was more important than feast on the eyes!“ (Siang 2007: 16).

wichtiger Attraktionsfaktor definiert. Einzelne Viertel im Innenstadtbereich wurden reethnisiert (Chinatown, Little India, Kampong Glam, Arab Street), indem Gebäude in chinesischem, tamilischem, malaiischem oder arabischem Baustil errichtet und Richtlinien zum zukünftigen Erhalt historischer Bausubstanz verfasst worden sind. Gezielt wurde das singapurische Nachtleben etabliert und massiv in neue Bauten für die Künste investiert (Tan 2003; da Cunha 2002).236 Darüber hinaus ist für die neuen Stadtgestaltungsparadigmen die Besinnung auf die Verortung in einem tropischen Klima leitend – in den Konzeptplänen aufeinanderfolgend als „tropical city of excellence“ über „garden city“ bis hin zu einer „city in the garden“ formuliert. Pflege und Ausbau vorhandener Parkflächen, aber auch Begrünungen neuer Architektur sind dabei wichtige Ziele (Kong/Yeoh 2003).

Seit den 1990er Jahren ist schliesslich die Positionierung Singapurs als asiatischer Staat zentral geworden. Dies mag zum einen dem Wunsch nach Unterscheidbarkeit von anderen (westlichen) Weltstädten und dem Wunsch nach Authentizität geschuldet sein; eines der Mottos der URA in den 1990er Jahren war jenes der „Renaissance City“ (URA 1991), womit die Renaissance Asiens gemeint war. Zum anderen korrespondiert diese Positionierung auch mit staatlich gestützten Kampagnen für sogenannte asiatische Werte und der Betonung der grundsätzlichen Andersheit der asiatischen Mentalität im Vergleich zur westlichen (Chua 2004).237

Die gesteigerte Aufmerksamkeit für die eigene Bausubstanz, die Besinnung auf die eigene Verortung in einem tropischen Klima und den damit verbundenen spezifischen Möglichkeiten des Bauens inklusive der Integration einer entsprechenden Landschaftsarchitektur, als auch die Proklamation von und Rückbesinnung auf sogenannte asiatische Werte lassen sich als verschiedenen Formen einer Emanzipationsbewegung von der westlichen Moderne lesen.238 Dies schlägt sich in Stadtgestaltung und Architektur nieder und passt gleichzeitig in das Bemühen der Herstellung einer unterscheidbaren Lokalität mit einer spezifischen Ortsstimmung.

236 Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Umgestaltung der Mohammed Sultan Road in eine Ausgehmeile. Vorgestellt wurde diese unter anderem an der Architekturbiennale 2004 in Venedig. Neben den baulichen Infrastrukturen für Unterhaltung und Freizeit wurde auch das vormals stark konservativ-traditionelle Gefüge verändert: Viele Dienstleistungen der Erotikindustrie wurden legalisiert und Homosexuellen-Rechte eingeführt. 237 Für Singapur bedeuten diese „Asian Values“ vornehmlich: „Nation before community and society above self; Family as a basic unit of society; Community support and respect for the individual; Consensus, not conflict; Racial and religious harmony“. Einerseits versuchte die Regierung möglicherweise damit, ihr Volk vor den unerwünschten Nebenwirkungen von Modernisierung zu bewahren, andererseits steht die Propagierung der „Asian Values“ in Singapur in enger Verbindung mit den nicht nachlassenden Bemühungen um Nation Building (vgl. Ortmann 2009). 238 Auch wenn die westliche Moderne einen universellen Anspruch hat, war sie doch immer westlich geprägt und sich ihrer eigenen, kulturbedingten impliziten Voraussetzungen nicht immer hinreichend bewusst.

Das Streben nach einer Ortsspezifik ist dabei ein Aspekt der Global City-Bemühungen genauso wie die verstärkten Anstrengungen Singapurs, sich weiter aktiv als globaler Finanzstandort zu etablieren.

Der traditionelle Finanzdistrikt Central Business District (CBD) der Stadt befindet sich im Downtown Core der Central Area, dem zentralsten Gebiet der ursprünglichen und aktuellen Stadt, rund um Raffles Place. Dort, wo bereits die Briten das Geschäftszentrum vorgesehen hatten, wurden auch nach der Unabhängigkeit Banken und andere Finanzinstitutionen situiert – beziehungsweise sie bauten sich dort selbst neue Gebäude. Vor allem der Shenton Way ist hierfür eine wichtige Adresse, die ihm den Namen „Wall Street of Singapore“ (Powell 2004: 106) eingebracht hat. Der in die Parallelstrassen (Cecil Street, Robinson Road und Battery Road) ausfransende Central Business District ist zudem unter den Namen „Golden Shoe Area“ und „Little America“ bekannt (ebd.). Die letztere Bezeichnung hat nicht nur in der wahrgenommenen Imitation amerikanischer Business-Kultur ihre Inspiration gefunden sondern auch in der hohen Dichte der von amerikanischen Architekten erbauten Geschäfts-

hochhäuser (etwa Kevin Roche & John Dinkeloo, Philip Johnson, John Burgee). Nachdem in den 1970er Jahren hier die ersten Hochhäuser nur vereinzelt standen, reiht sich heute am Shenton Way Hochhaus an Hochhaus.

Je besser es dem Finanzsektor ging, desto beschränkter wurde hier der Raum; die ersten Überlegungen und Planungen zum Ausbau des bestehenden Central Business Districts fallen in die 1990er Jahre. Zwar wurde seit der Unabhängigkeit ein robuster und weiter wachsender Finanzsektor als wichtigste Voraussetzung für die Mobilisierung von Kapital und für ein gutes Investitionsklima bewertet. Dessen Ermöglichung und Förderung hinsichtlich der dafür nötigen weichen und harten Infrastruktur hat in jedem Master- und Konzept-Plan seine Korrespondenz gefunden (Wong 2001). Erst ab Anfang der 1990er Jahre erhielt dieses Ziel grösstes Gewicht. Der Umstieg der singapurischen Wirtschaft auf immer mehr spezialisierte Dienstleistungen zeichnete sich markant ab, wobei der Finanzsektor eine wesentliche Rolle spielte und seine Rolle in Zukunft noch stärker werden sollte. Ein starker Finanzstandort galt als wesentlicher Faktor einer Global City, die Singapur werden wollte. Darüber hinaus wurde die Raumfrage für das Geschäft dringlicher, da der existierende Central Business District zu klein wurde.

Ein starker sowie repräsentativer und visuell-räumlich markanter Central Business District wurde als gleichbedeutend mit einer „‚jump-space’ integration with the most advanced global economies“ (Wong 2004: 33) eingeschätzt.

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