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6.3.4 Swiss Re (Mythenquai
Die Credit Suisse beschäftigt in Zürich die grosse Mehrheit ihrer rund 50’000 Mitarbeiter schweizweit und hat seit vielen Jahren entsprechende Büroräume in und um Zürich herum gebaut oder gemietet. Am Paradeplatz wird nach wie vor nur ein Teil des Gebäudes von der Bank selbst genutzt. Dennoch ist es für keinen der anderen Mieter eine so charakteristische und wichtige Adresse wie für die Bank selbst: Kein anderer Bau der Credit Suisse oder ihrer Vorgängerinnen in der Schweiz oder im Ausland hat derart grosse ikonische Wirkungen entwickelt und eine so starke Verbindung mit dem Unternehmen generiert wie das Gebäude des Hauptsitzes am Paradeplatz von 1876. Besonders für den Aspekt des imaginären Bildes eines „kleinen Landes mit grossen Banken“ sind der Bau und die Fassade am Paradeplatz 8 eine wichtige Projektionsfläche. Insofern steht Zürich hier auch für die ganze Schweiz.
6.3.4 Swiss Re (Mythenquai)
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Die Swiss Re mit ihrem Hauptsitz in Zürich ist aktuell die zweitgrösste Rückversicherungsgesellschaft der Welt.200 Sie ist mit 20 Standorten und insgesamt rund 10’000 Mitarbeitern weltweit tätig und gehört als Aktiengesellschaft zur Gruppe der Schweizer Grosskonzerne, die im Swiss Market Index vereint sind (Swiss Re 2014; Straumann 2014: 329).
Das heutige Unternehmen ist Produkt diverser Fusionen und organisationeller Veränderungen im Verlauf der letzten 150 Jahre. Die Swiss Re wurde 1863 als Schweizerische Rück-
versicherungs-Gesellschaft in Zürich gegründet. Anstoss dazu soll die Brandkatastrophe in Glarus von 1861 gegeben haben, weil sie Probleme mit den bisherigen Versicherungsschutzlösungen im Fall von Grosskatastrophen und die Notwendigkeit der Etablierung weiterer Versicherungstypen deutlich gemacht hat.201 An der Gründung beteiligten sich unter anderem die Feuerversicherung „Helvetia“ sowie Banken – darunter wesentlich die Schweizerische Kreditanstalt (Feldmann 2011).
Die Versicherung begann ihre Tätigkeit mit vier Mitarbeitern und bezog zunächst in der Altstadt zwei Zimmer zur Miete. Als das wachsende Unternehmen mehr Raum benötigte, folgten verschiedene Umzüge, während der ersten zehn Jahre ebenfalls stets als Mieter. Im Jahr 1893 erwarb das Unternehmen eine bestehende Immobilie an der Gotthardstrasse und
dislozierte von der Altstadt ins Enge-Quartier südwestlich vom Paradeplatz.
200 Das grösste Rückversicherungsunternehmen ist die Munich Re (Stand Juli 2014). 201 Versicherungen drohten bankrott zu gehen, bevor sie die ganze Schadenssumme ausgezahlt hatten.
Als sich die Schweizerische Rückversicherung nach einigen Rückschlägen und Krisen im Risikogeschäft in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts in der Schweiz, aber auch auf dem nordamerikanischen Markt mit Erfolg etabliert hatte, gab die Geschäftsleitung einen ersten eigenen Bau in Auftrag. 1913, zum 50. Geburtstag, bezog die Versicherung ihren fünfstöckigen neobarocken Palais von Alexander von Senger am Mythenquai 60 (Straumann 2014: 369).202 Der Standort lag zum damaligen Zeitpunkt relativ weit vom Stadtzentrum entfernt. Hinter der historisierenden Fassade und unter dem Walmdach versteckte sich eine
Baustruktur aus Stahlbeton mit modernen Grossraumbüros und einigen wenigen Einzelbüros.
Abb. 19 Swiss Re, Hauptgebäude, 1913 (Architektur: Alexander von Senger und Emil Faesch, Zürich)
Der Bau wurde 1930 im gleichen Stil durch die Gebrüder Pfister nach Westen erweitert. Zudem kaufte die auch als „Schweizer Rück“ bezeichnete Firma erstmals für allfällige Erweiterungen angrenzenden Grundstücke im Norden, Süden und schliesslich im Westen des Hauptgebäudes hinzu.
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg stiegen die Prämieneinnahmen der Versicherung zwar stark an, doch die Mitarbeiterzahl blieb zwischen 1930 und 1964 relativ konstant (bei 415 respektive 499 Mitarbeitenden). 1958 wurde das Restaurant mit Cafe und Küche aus dem Erstbau in einen von Hans Hoffmann neu erstellten Anbau ausgelagert – ins „Klubhaus“, einen einstöckigen lichten Pavillon (vgl. [o. A.] 1958). Mitte der 1960er Jahre plante die Versicherung eine erneute Erweiterung ihrer Büroräume mit einem zusätzlichen Gebäude: dem „Neubau“ von Werner Stücheli, der 1969 fertig gestellt wurde.
202 Die Schweizerische Rückversicherungs-Gesellschaft hatte zu dieser Zeit zwei teure Katastrophenfälle zu verkraften: das Erdbeben in San Francisco von 1906 und den Untergang der Titanic 1912.

Abb. 20 Swiss Re, Ergänzungsbau, 1969 (Architektur: Werner Stücheli, Zürich)
1962 hatte die Schweizer Rück ausserdem das in der Nachbarschaft gelegene Mythenschloss erworben, das 1927 vom Architekten Arminio Cristofari als grossbürgerlicher sechsgeschossiger Wohnpalast errichtet worden war (Swiss Re 2014). Als es sich als nicht mehr renovierungsfähig herausstellte, wurde es 1982 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt. Auf der Seeseite wurde dabei die ursprüngliche neoklassizistische Fassade rekonstruiert, während die zur Alfred-Escher-Strasse gewandte Rückseite eine moderne Metallfassade erhielt. Das Gebäude enthielt einerseits Wohnungen, die zahlenmässig dem Vorgängerbau entsprechen mussten, während andererseits die Schweizer Rück Büroräume zur eigenen Nutzung einrichtete und sie 1986 in Betrieb nahm (Eisenring 1988).
1996 wurde ein Studienauftrag für eine komplette Renovierung des Altbaus ausgeschrieben, den die Zürcher Architektin Tilla Theuss gewann und realisierte. Heute sind der Altbau, das Klubhaus und das Mythenschloss Teil des denkmalpflegerischen Inventars schützenswerter Bauten. 2013 wurde mit dem Rückbau des Gebäudes von Stücheli begonnen; an seiner Stelle realisieren Diener & Diener Architekten bis 2017 ein Neubau mit einer gewellten Glasfassade von realisiert werden.

Abb. 21 Swiss Re Next, Visualisierung Neubaus, geplante Fertigstellung 2017 (Architektur: Diener & Diener Architekten, Basel)
Insgesamt lassen sich die verschiedenen Gebäude der Schweizer Rück respektive der Swiss Re am Zürcher Mythenquai als wenig aufeinander abgestimmt betrachten. Der Architekt Ueli Zbinden kommentierte 1998:
„Das Wachstum der Schweizer Rück zu einem Unternehmen von Weltrang vollzog sich baulich nach dem Domino-Prinzip in verschiedenen Abschnitten“ (Zbinden 1998: 18).
Auf dem gleichen Areal wurden Bauten aus verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Formaten und Stilen errichtet. Damit gelang es dem Unternehmen, eine grosse Zahl an Arbeitsplätzen am gleichen Ort zu gewinnen. Allerdings benötigte die Swiss Re in der Region Zürich längst weitere Immobilien, um ihre angestiegenen Mitarbeiterzahl unterzubringen. Daher erwarb sie 1990 das Grundstück, das sie vor ihrem Umzug an den Mythenquai gemietet hatte, und übernahm die bestehende Bebauung aus den 1960er Jahren an der Gotthardstrasse 35 und 43 – ein sechs- respektive neungeschossiges Bürohaus. Beide Gebäude wurden durch die dritte Generation des Architekturbüros Stücheli renoviert. Ebenfalls in den 1990er
Jahren wurden in der an Zürich grenzenden Gemeinde Adliswil drei neue Bürokomplexe geplant und 1999, 2000/2001 und 2007 fertig gestellt (vgl. Fischer 2007: 61 f.).
Zur selben Zeit erfolgte innerhalb des Unternehmens eine strategische Neuausrichtung, die vor allem durch Aufkäufe anderer Versicherer, Konzentration auf das Kerngeschäft der Rückversicherung und weitere internationale Expansion gekennzeichnet war. Das ReBranding der damaligen Schweizer Rückversicherungs-Gesellschaft zur Swiss Re fand 1999 statt (Feldmann 2011). Im Vorfeld dieses Prozesses hat das Unternehmen Ende der 1980er Jahre mit dem Designer Otl Aicher und dem in Zürich tätigen Architekten Dolf Schnebeli zusammengearbeitet, um ein Corporate Design mit neuem Logo zu entwickeln.203 Diese Grundsätze sollten für die weitere Entwicklung der Bauten und der verfolgten Corporate Architecture wichtig werden (Swiss Re 2007).
Ein Bau, mit dem das Bemühen um eine Corporate Branding Strategie gelungen ist, der grosse internationale Aufmerksamkeit erhalten hat sowie ein regelrechtes signature building geworden ist, befindet sich nicht in Zürich, sondern in London an 30 St. Mary Axe. Es handelt sich um das von 2001 bis 2004 von den Stararchitekten Ken Shuttleworth und Lord
Norman Foster erbaute Hochhaus „The Gherkin“ oder „Swiss Re Building“. Das Unternehmen verkaufte den Bau zwar 2007, blieb aber als Hauptmieter mit einer Belegung von über 50 Prozent am Standort. Ein ebenfalls sehr bekannter Bau der Swiss Re in der Schweiz –
203 Otl Aicher hatte zuvor das Design der Bayerischen Rückversicherung massgeblich beraten. Letztere wurde 1924 durch die Schweizer Rück gekauft, lief aber bis Mitte der 1990er Jahre unter ihrem ursprünglichen Namen weiter.