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Die schillende der Helene

Helene Bockhorst stellt in vielerlei Hinsicht einen Gegenpol auf der Skala der deutschlandweit präsenten Helenen dar. Wo auf der einen Seite glatte, inszenierte Bühnenshows das Publikum anziehen, ködert die andere mit Erlebnisexhibitionismus. Helene Bockhorst nutzt für sich die von ihr empfundene Tabubefreitheit der Bühne, um die Grenzen des Erwartbaren weit hinter sich zu lassen.

In metallic pinken Leggings, die sie auch in ihrer Freizeit gern trägt, steht Helene gestern Abend mit Auszügen aus ihrem aktuellen Programm „Die fabelhafte Welt der Therapie“ im Großen Zelt des Mainzer OpenOhr und lächelt verhalten ins Publikum. Was sie ursprünglich auf die Bühne getrieben habe, sei die Liebe zum Schreiben gewesen. In ihrer Jugend habe Helene regelmäßig an Literaturwettbewerben teilgenommen und zahlreiche Preise und Stipendien gewonnen. Als Erwachsene sah sie sich dann vor der Herausforderung, eine neue, zugängliche Plattform für ihren kreativen Output zu finden. Im Frühjahr 2017 startete sie folglich ihre Reise als Bühnenkünstlerin im

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Poetry Slam. Ein halbes Jahr später konnte sie bereits ihren Bürojob an den Nagel hängen.

Auf der Bühne widmet sie sich nun fern von Kritik an ihrer bunten und auffälligen Kleidung der Verarbeitung ihrer schlechten Kindheit, miesen Dates und Faszination für das Fischreich. Dafür, dass sie nie das Bedürfnis hatte, auf der Bühne zu stehen, läuft es nicht schlecht. Wie auch ihrem Kleidungsstil, bleibt sie auf der Bühne ihrer Person treu. Nach den Inhalten ihres Bühnenprogramms gefragt antwortet Helene, ihr sei wichtig, über Dinge zu sprechen, die nur sie erzählen könne und die mit ihr selbst zu tun hätten. Sie nutze das Setting, um über Themen zu reden, die peinlich, schlimm und schmerzhaft seien. Da auf der Bühne alles erlaubt sei und es keine Tabus gebe, eigne sie sich, um diese teils schambehafteten Erfahrungen auf ihre Weise zu bewältigen. Außerdem nimmt Helene Scham allgemein als ein Gefühl wahr, das ihr Publikum stark beschäftigt. Sie hat den Eindruck, viele dächten, sie müssten sich anpassen und versuchten „sich möglichst ungesehen durchs Leben zu navigieren“. Diesen

möchte sie „zeigen, dass man auch ein Freak sein kann und total absurde Gedanken haben kann und dass das auch in Ordnung ist“. Auf der Bühne spricht sie bewusst nur über sich und ihre eigenen Erfahrungen mit schlechtem Sex mit seltsamen Männern, unkonventionelle Geschäftsideen und die Art und Weise auf die es ihren Brüsten möglich ist, jeden in Grund und Boden zu starren, der einen heimlichen Blick auf sie zu erhaschen versucht.

Als sie in der Vergangenheit mit einer mittelgradigen Depression diagnostiziert wurde, musste sie sich damit konfrontieren, dass es Leute gibt die „bessere Depressionen“ haben als sie selbst. Doch ihr Ehrgeiz erstreckt sich

über den schlimmsten erreichbaren psychischen Zustand hinaus: Im Frühjahr 2020 erscheint ihr erster Roman, der sich „im weitesten Sinne auch mit dem Anderssein und psychischen Problemen“ beschäftige, allerdings keine Biografie sei. Wer Helene vorher noch einmal begegnen möchte, kann sie am 24.09. noch einmal im Mainzer Unterhaus sehen. Was die schillernde Helene Regenbogenfisch Bockhorst in Zukunft für uns bereithält, bleibt gespannt abzuwarten. Wir vom OpenOhr würden uns jedenfalls auch in Zukunft gerne wieder von Helenes charmanter Beschreibung von Nachbarschaftsstreits unter Röhrenaalen in Bann ziehen lassen. (su)

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