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Sinfonie Nr. 2 C-Dur
BEWÄLTIGUNG EINER SCHÖPFERISCHEN KRISE
VON RAINER LEPUSCHITZ Robert Schumanns Sinfonie Nr. 2 ist die Bewältigung einer schöpferischen, seelischen und gesundheitlichen Krise. Als der Komponist in einem Brief an seinen Freund Felix Mendelssohn Bartholdy im Frühherbst 1845 die Idee zu einem neuen Werk mit den Worten «In mir paukt und trompetet es seit einigen Tagen sehr (Trombe in C)» ankündigte, lag eine Zeit schwerer psychischer und physischer Probleme hinter ihm. Seine Therapie war zunächst: Bach.
Schumann beschäftigte sich intensiv mit der Musik des Barockmeisters und betrieb viele Monate hindurch intensive Kontrapunktstudien. Ende des Jahres 1845 begann er dann mit der neuen Sinfonie, die, so vertraute er es seinem späteren Biografen Wasiliewski an, «gleichsam der Widerstand des Geistes» war, «der hier sichtbar influiert hat und durch den ich meinen Zustand zu bekämpfen versuchte».
Angesichts der schwierigen Ausgangslage, in der Schumann die Sinfonie dann endgültig im Herbst 1846 zu Papier brachte, erscheint es umso erstaunlicher, dass der Komponist in ihr zu einer lichtvollen Tonsprache mit der bestimmenden ‹Sieges-Tonart› C-Dur fähig war und zudem die Energie aufbrachte, zu einer völlig neuen formalen und thematischen Gestaltungsweise zu finden, die das klassische Sinfonie-Modell, wie es von Beethoven so beeindruckend für die Nachgeborenen festgeschrieben war, entscheidend weiterentwickelte. In den Formabschnitten der Exposition, Durchführung, Reprise und Coda folgt Schumann nicht mehr der herkömmlichen Entwicklung und Verarbeitung eines kontrastierenden Themenbestands, er macht sie vielmehr zu Schauplätzen ständiger Transformationen eines MotivMaterials, das weitgehend schon in der dem Werk vorangestellten Einleitung aufgeworfen wird: ein markantes Fanfaren-
motiv in den Blechbläsern mit aufsteigendem Quintsprung, eine Streicher-Prozession aus besonnen auf- und absteigenden kleinen Intervallschritten und ein zunächst getragenes Motiv in den Holzbläsern, das dann in verkürzter Form mit punktierten Akzenten direkt zum folgenden Hauptthema des Allegro-Hauptsatzes überleitet. Dem energiegeladenen Allegro-Beginn folgen ein Seitensatz und eine Schlussgruppe, aus denen Einleitungsmaterial herausklingt. In der sogenannten Durchführung setzen, zunächst in den Celli, seufzende Tonfolgen in abwärtsführenden Halbtonschritten ein. Diese chromatische Sequenz transformiert einen Motivteil aus der Schlussgruppe. Dann führt eine grosse Steigerung zur Reprise und ausgeweiteten Coda, in der die Motive zunehmend miteinander verflochten und ständig kontrapunktisch verarbeitet werden – Folge von Schumanns intensiver Beschäftigung mit Bach.
In dem nervös flackernden Scherzo sind zwei Trios eingebaut, erst ein in Triolen lieblich hüpfendes, dann ein choralartig feierliches, das an das StreicherMotiv der Introduktion anknüpft und sich gleichzeitig auch schon für eine weitere Verwendung im kommenden Finale vorbereitet. In die traumhaft schöne, nahegehende Melodie des langsamen Satzes liess Schumann, wohl als Erinnerung an seinen ‹Therapeuten› Bach, den Beginn der Triosonate aus dessen Musikalischem Opfer einfliessen. Wie wichtig Schumann diese Reminiszenz ist, zeigt sich im Finale, in dem das Adagio-Thema zwei Mal über lange Strecken in transformierter Gestalt als Seitensatz ausgesponnen wird – lyrischer Kontrast zum signalhaft punktierten Hauptthema. Die Melodie aus Beethovens Lied Nimm sie denn hin, diese Lieder aus dem Zyklus An die ferne Geliebte ist eine Reverenz vor dem zweiten grossen Vorbild, das auf die Gestaltung dieser Sinfonie einwirkte. In diesem Zitat klingt aber auch das zweite Trio wieder an. In einem feierlichen Streicher-Choral führt dann das Beethoven-Thema hin zur Fanfare des Sinfonie-Beginns, die nun endgültig den Durchbruch zum Licht bringt.
Robert Schumann (1810–1856)
Sinfonie Nr. 2 CDur, op. 61
BESETZUNG
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, Streicher
ENTSTEHUNG 1845/46
URAUFFÜHRUNG 5. November 1846 im Leipziger Gewandhaus unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy